Verliebt in Granada

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Ashley ist tief beeindruckt von der Schönheit Granadas, aber noch viel mehr fasziniert sie der umwerfende Juan Carlos Alvarez. Unter funkelndem Sternenhimmel durchtanzt sie eine ganze Nacht mit ihm - nur um dann schmerzvoll zu erfahren, dass ihr Traummann verlobt ist ...


  • Erscheinungstag 07.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745073
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der Ausblick war einfach bezaubernd. Das rötlich schimmernde Bauwerk in der Ferne muss die berühmte Alhambra sein, überlegte Ashley begeistert. Auf einem Bergrücken über der Stadt im Tal gelegen, wirkte die maurische Festung geradezu majestätisch.

Während man in London, wo sie erst vor ein paar Stunden abgeflogen war, noch Winterkleidung brauchte, war es hier in Granada bereits warm. Es duftete nach Flieder und Frühling. Seufzend wandte sie sich gegen die mit Schnitzereien verzierte Haustür, um zu klingeln.

Wegen des milden Klimas hatte sie den Mantel über den Arm gelegt. Der schwarze enge Rock, den sie zum roten ­Jackett trug, war fast frei von Sitzfalten geblieben. Neben ihr stand der Lederkoffer, der zu ihrer Aktentasche passte. Eigentlich konnte ihr nichts passieren. Und doch war sie ein wenig nervös, denn in diese vornehme alte Villa führte sie ihr bisher größter geschäftlicher Auftrag. Es war wichtig, dass sie ihn erfolgreich erledigte.

Eine junge Hausangestellte öffnete.

„Guten Tag, mein Name ist Ashley Bennett. Ich bin mit Margarita Alvarez verabredet.“ Sie hoffte, dass das Mädchen Englisch sprach, denn ihr Spanisch war ausgesprochen schlecht.

Por favor.“ Das Mädchen lächelte, bat sie mit einer Handbewegung herein und nahm ihr den Mantel ab. Im Flur griff ein älterer Mann in schwarzen Hosen und weißem Hemd nach ihrem Koffer. Für einen Moment blieb Ashley allein, prüfte, ob sich keine ihrer hellbraunen Haarsträhnen aus dem französischen Zopf gelöst hatte, und schaute sich um. Der Holzboden der Eingangshalle glänzte eindrucksvoll. Hier standen nur wenige schwere, aus dunklem Holz geschnitzte Möbelstücke, aber zwei bunte Blumensträuße belebten den Raum. Geradeaus endete ein Flur, der in den hinteren Teil des Hauses führte. Daneben öffnete sich ein prächtiger Treppenaufgang zum oberen Stockwerk. Rechts vermutete Ashley die Speisezimmer. Links waren alle Türen geschlossen. Von dort vernahm sie Stimmen. Obwohl sie kein Wort verstand, weil Spanisch gesprochen wurde, hörte sie Ärger heraus.

Das Hausmädchen kehrte ohne Ashleys Mantel zurück und lächelte verlegen, als sich nun hinter den verschlossenen Türen eine helle Frauenstimme erhob. Ashley tat so, als hörte sie nichts, und folgte der Angestellten. Sie klopfte und ließ den Gast eintreten.

Damit platzte Ashley mitten in einen Streit hinein, ohne dass die beiden Kampfhähne davon Notiz nahmen. Die aufgeregt und hitzig sprechende junge Frau musste ihre Auftraggeberin sein, riet Ashley und hätte sich vielleicht unbemerkt zurückgezogen, wenn der Anblick des Gegenspielers sie nicht gefangen genommen hätte.

Der Mann beim Fenster war groß, schlank und dunkelhaarig. Zum grauen Anzug trug er ein blütenweißes Hemd. Es betonte die Sonnenbräune seines markanten Gesichts. Was Ashley an ihm beeindruckte, war weder seine elegante Erscheinung noch das gut geschnittene Gesicht, sondern seine selbstbewusste, Vertrauen erweckende Ausstrahlung. Doch der jungen Frau gegenüber verhielt er sich eher herablassend. Er hörte ihr mit fest zusammengepressten Lippen zu, während sie, die Hände in die Hüften gestemmt, auf ihn einschrie. Seine provozierende Gelassenheit trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht, ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut.

„Kinder, wir haben einen Gast.“

Der sanfte Tadel kam vom Sofa her, wo eine Dame saß. Ashley hatte sie bisher nicht bemerkt.

„Ich hoffe, Sie verzeihen unsere Unhöflichkeit. Sie sind bestimmt Ashley Bennett. Herzlich willkommen!“ Die Frau lächelte.

Ihr Haar war weiß. Einen anderen Hinweis auf Alter konnte Ashley nicht entdecken. Die Dame hatte die Haut eines Pfirsichs und sprühende blaue Augen. Als Zeichen ihrer Witwenschaft trug sie Schwarz, wie es alter spanischer Brauch war.

„Ich bin Señora Alvarez. Und diese beiden Streithähne sind meine Kinder.“

Obwohl sie ruhig und eher leise gesprochen hatte, waren die Kontrahenten sofort verstummt. Der Mann schaute zur Tür und durchbohrte Ashley mit seinem Blick. So kam es ihr jedenfalls vor. Sie fühlte sich verlegen, atemlos, aufgeschreckt. Für einen Moment vergaß sie alles um sich herum und glaubte sich mit ihm allein. Hinter der kühlen Fassade, gegen die seine Schwester Sturm gelaufen war, erkannte Ashley den heißblütigen Gegner. Ihre Pupillen weiteten sich.

Was hatte sie nur für Gedanken! Hitze durchströmte sie.

Der Mann musterte sie von oben bis unten. Ashley schnappte nach Luft. Es war ihr, als könnte er mit seinen dunklen Augen durch all ihre Kleidung hindurchschauen. Unverschämt! Was bildete dieser Mensch sich eigentlich ein?

Doch als seine Augen anerkennend aufblitzten, fühlte sie sich plötzlich sehr weiblich. Wie peinlich! Sie war nicht hier, um sich weiblich zu fühlen, sondern um zu arbeiten.

„Dann sind Sie Ashley. Herzlich willkommen! Sie sehen genauso aus, wie Chad Sie beschrieben hat.“ Das Gesicht der jungen Frau hellte sich auf. „Gracias, dass Sie gekommen sind, um uns zu helfen. Ich bin Margarita Sabrina Alvarez.“ Sie hatte das gleiche dunkle Haar wie der Mann, der nun neben sie getreten war, aber ihre Augen waren blau wie die ihrer Mutter.

Ashley zwang sich, nicht wieder in die verwegenen schwarzen Augen zu sehen und unterdrückte die Erregung. Sie lächelte höflich. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Margarita. Sie übertreffen Chads Beschreibung.“

Das stimmte. Das Mädchen sah entzückend aus und hatte eine charmante Ausstrahlung. Ashley empfand auf den ersten Blick Sympathie für Margarita. Aber hatte sie etwas anderes von der zukünftigen Frau ihres langjährigen Freundes Chad erwartet? Sie war froh, die Hochzeit der beiden zu organisieren.

„Meine Mutter hat sich Ihnen schon vorgestellt. Und dies ist mein älterer Bruder, Juan Carlos Alvarez.“ Margarita warf ihm einen feindseligen Seitenblick zu.

Er kam, um Ashley mit Handschlag zu begrüßen, und verbeugte sich dabei mit altmodischer Galanterie. Seine Hand war angenehm warm, ihr Druck ließ Stärke, Selbstbewusstsein und etwas anderes erkennen, was Ashley nicht zu beschreiben vermochte. Offenbar war sein Ärger noch nicht abgeklungen, denn seine Augen musterten sie kühn und mit Vorbehalt.

Diesmal stieg ihr das Blut in die Wangen, als sie sich von seinem Blick löste. Ihr Herz klopfte, und sie hatte Angst, er könnte es hören oder spüren. Deshalb versuchte sie, ihm rasch die Hand zu entziehen. Aber er gab sie nicht frei.

„Willkommen in Granada, Señorita Bennett. Fühlen Sie sich bei uns wie zu Hause.“ Seine Stimme war tief und kräftig. Er sprach mit einem charmanten andalusischen Akzent. Ashley lief ein Schauer den Rücken hinunter. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, um den Klang dieser weichen Stimme zu genießen.

Stattdessen rang sie sich ein unverfängliches Lächeln ab. Unmöglich, wie sie sich hier aufführte! Dies war ein Geschäftsbesuch. Sie war nicht hier, um sich von Granada oder einem Spanier betören zu lassen. Diesmal zog sie ihre Hand mit mehr Nachdruck zurück und wandte sich wieder ihrer Auftraggeberin zu.

„Setzen Sie sich, meine Liebe, die Reise war sicher anstrengend“, sagte Margarita und führte sie zu einem Sessel. Offenbar bemerkte niemand etwas Außergewöhnliches an Ashley, und sie fragte sich, ob das Kribbeln in ihrer Hand und das Herzklopfen vielleicht Nachwehen der Reisestrapazen waren.

„Willst du stehen bleiben, Juan Carlos?“, fragte die junge Spanierin schroff.

„Nein!“ Alles Weitere sagte er auf Spanisch, bis sich das Gesicht seiner Schwester wieder erhitzte.

„Juan Carlos, es ist genug! Dein Vater wäre damit einverstanden, und es ist auch mein Wunsch.“ Señora Alvarez hatte in scharfem Ton gesprochen.

Er presste die Lippen aufeinander, nickte unmerklich und verließ wortlos den Raum.

„Ich freue mich, dass Sie mir helfen“, sagte Margarita, nachdem ihr Bruder die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Ich bin nämlich schrecklich aufgeregt.“ Auch sie sprach fehlerfrei Englisch, aber Ashley war von ihrem Akzent nicht so entzückt wie von dem ihres Bruders.

„Ich habe mich sehr gefreut, als Chad mir erzählte, dass er die richtige Frau gefunden hat. Wir sind nämlich seit Jahren gute Freunde. Aber das wird er Ihnen sicher erzählt haben“, erwiderte sie lächelnd.

Si, natürlich! Er spricht viel von Ihnen. Als er mir den Heiratsantrag machte, war klar, dass wir Sie bitten würden, unsere Hochzeit auszurichten.“

„Das ehrt mich. Chad ließ durchblicken, dass ihm eine Hochzeit nach englischem Brauch am liebsten wäre. Und wie sehen Sie das?“ Ashley hoffte, dass ihr Freund sich nicht über die Wünsche seiner Braut hinweggesetzt hatte.

Margarita zuckte mit den Schultern. „So viel anders als eine spanische wird sie schon nicht sein, oder? Ich möchte, dass Chad glücklich ist.“

„Es wird bestimmt eine wunderbare Hochzeit“, sagte Señora Alvarez. „Mein Mann wäre entzückt gewesen. Er liebte alles Englische.“

„Im Gegensatz zu Juan Carlos“, murmelte Margarita und sah finster zur Tür. Ihre Mutter wies sie mit einem strengen Blick zurecht, und die junge Frau zwang sich zu einem Lächeln. „Ich finde Ihren Beruf wunderschön, Ashley. Es macht doch bestimmt Spaß, Hochzeiten zu planen. Juan Carlos hat nie zugelassen, dass ich einen Beruf ergreife.“

„Arbeit wäre bisher auch ganz überflüssig gewesen, mein Schatz. Wenn du verheiratet bist, wird vielleicht alles anders. Dein Mann trifft bestimmt die richtige Entscheidung“, erklärte ihre Mutter.

Ashley schaute die Frauen überrascht an. War Juan Carlos der Gebieter in diesem Haus? Und die beiden folgten seinen Anweisungen? Dann würde das Leben in England für Margarita gewiss eine große Umstellung bedeuten. Denn dort waren Frauen selbstständig und ließen sich nicht von ihren Brüdern oder dem Ehemann die Entscheidungen abnehmen. Aber damit musste Chad sich auseinandersetzen. Nicht sie. Ashley holte ihr Notizbuch aus der Aktentasche. „Dann wollen Sie also bald einen Ball geben, um die Verlobung offiziell zu verkünden? Und die Hochzeit soll im August stattfinden, ja?“ Das war ein enger Zeitrahmen, aber durchaus einzuhalten, fand Ashley.

„Genau. Und es soll die prächtigste Hochzeit von Granada werden. Vielleicht sogar ganz Spaniens.“ Margaritas Augen hatten einen verträumten Ausdruck angenommen.

„Es reicht, wenn es ein schönes Fest wird, mein Kind. Wir brauchen nicht zu sparen, aber wir wollen auch nicht protzen“, ermahnte sie ihre Mutter. Und an Ashley gewandt: „Wir sollten mit Ihnen unsere Vorstellungen besprechen, Señorita Bennett. Und Ihnen dann alles Weitere überlassen. Chad sagt, dass Sie eine perfekte Organisatorin sind.“

„Juan Carlos interessiert kein bisschen, was Chad sagt“, maulte Margarita.

„Er wird es akzeptieren.“

Ashley fragte sich, was für Einwände Juan Carlos haben könnte. War er etwa gegen diese Ehe? Oder wollte er lieber eine Feier nach spanischem Brauch? Sie nahm sich vor, das herauszufinden, ohne sich in ihren Planungen beirren zu lassen. Der Auftrag war schwierig genug, denn sie musste hier ohne ihr Büro auskommen, und sie sprach die Landessprache nicht. Bei der Verständigung war sie auf Margarita oder ihre Mutter als Dolmetscherinnen angewiesen. Meinungsverschiedenheiten in der Familie waren das Letzte, was sie gebrauchen konnte.

Drei Stunden lang besprachen die drei Frauen das Notwendigste der Hochzeit. Den Ort, die Anzahl der Brautjungfern, die Zeremonie und den anschließenden Empfang. Immer wieder zog Ashley Fotos und Zeichnungen aus ihrer Aktentasche, anhand derer die Braut leichter erklären konnte, welche Dekorationen sie sich vorstellte, welchen Geschmack sie hatte, von welchem Hochzeitsfoto sie träumte.

Ashley notierte penibel, was Margarita mochte und was nicht, ihre Lieblingsblumen, ihre Lieblingsfarben und die Musik, die sie sich wünschte. Danach wollte sie später ein Konzept entwickeln, das für Margarita und Chad maßgeschneidert war.

Irgendwann rief Margarita: „So spät ist es schon? Wir haben Sie den ganzen Nachmittag in Anspruch genommen. Sie müssen ja schrecklich müde sein!“

Ashley schüttelte den Kopf. Für sie war alles viel zu aufregend, um an Ruhe zu denken. Ja, sie hoffte sogar, dass sie während ihres Aufenthalts zwischendurch Zeit finden würde, sich die Stadt und vor allem die Alhambra anzusehen. Sie hatte immer von einem Spanienurlaub geträumt. Deshalb wollte sie diese Geschäftsreise nutzen, um wenigstens die erste Neugier zu befriedigen.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.“

„Wann reist eigentlich Chad an?“, fragte Ashley, als sie Margarita in die erste Etage folgte.

„Oh, er kommt am Wochenende. Es wäre gut, wenn wir ihm dann schon über die Ergebnisse unserer Planung berichten könnten.“

Der obere Flur war schmal und lang. Margarita öffnete eine der Türen, die rechts abgingen. „Das ist eines unserer Gästezimmer. Gegenüber liegt das, welches Chad benutzt, wenn er zu Besuch kommt. Mama und ich schlafen am anderen Ende. Das Zimmer neben ihnen gehört Juan Carlos. Er liebt den Ausblick.“ Ashleys Gepäck war bereits heraufgebracht worden. „Wenn Sie etwas brauchen, dann melden Sie sich. Wir essen um sieben Uhr.“ Margarita lächelte und verabschiedete sich.

Ashley schloss die Tür und stellte ihre Aktentasche mit dem Notebook auf einen Stuhl. Als Erstes sprang ihr der farbenfrohe Überwurf des großen Bettes in die Augen. Die Wände waren weiß gestrichen, der Boden aus dunklem Holz. Sie durchquerte den Raum, um die Fenster aufzustoßen und die warmen Strahlen der Nachmittagssonne hineinzulassen.

Ihr Zimmer lag nach vorne zur Straße hinaus. Von hier aus konnte sie noch viel besser als von der Haustür aus auf die Dächer von Granada blicken. Und wieder zog sie wie magisch die Alhambra an. Bewegungslos genoss sie für einige Minuten die Aussicht.

Dann packte sie hastig aus. Ihre Garderobe wirkte fast verloren in dem geräumigen Kleiderschrank. Sie lief im Zimmer umher, streichelte die kleinen Statuen auf dem Toilettentisch und betrachtete sich in dem goldgerahmten Spiegel.

Der Raum war einladend und wohnlich. Er war Ausdruck der Gastlichkeit dieser Familie. Man hatte sie freundlich willkommen geheißen. Mutter und Tochter jedenfalls. Aber dieser Juan Carlos hatte sich nur ein Lippenbekenntnis abgerungen. Warum eigentlich? Was hatte er gegen ihren Besuch?

Nachdenklich ging sie zurück zum Fenster, neben dem sich die Vorhänge im Frühlingswind bauschten. Granada! War das Traum oder Wirklichkeit? Kaum zu glauben, dass sie hier mehrere Tagen verbringen würde, ja sogar hin und wieder hierher zurückkehren musste bis zu Chads und Margaritas Hochzeit. Wunderbar! Der ganze Auftrag war wunderbar. Zudem auch noch lukrativ. Für das kommende Jahr musste sie sich keine Sorgen mehr machen.

Ein dunkler Sportwagen fuhr den Hügel herauf und hielt vor dem Haus. Heraus kletterte ein Mann. Es war Juan Carlos Alvarez. Ashleys Herz pochte, als sie ihn erkannte. Als hätte er es gehört, schaute er hoch zu ihrem Fenster. Doch bevor sie lächeln oder ihm zuwinken konnte, war er schon mit finsterer Miene im Haus verschwunden.

Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Oder war er immer so eigenartig? Sie konnte doch nicht der Grund seines Ärgers sein. Er war schon zornig gewesen, bevor er sie kennenlernte. Hatte das etwa mit der bevorstehenden Hochzeit zu tun?

Sie erinnerte sich an Margaritas Bemerkung, dass Juan Carlos, anders als der verstorbene Vater, kein Freund englischer Lebensweise sei. Merkwürdig! Er sprach viel besser Englisch als seine Mutter und seine Schwester. Ashley bezweifelte, dass er es hier in Spanien gelernt hatte. Er musste sich wiederholt in England aufgehalten haben. Was konnte er also dagegen haben, dass Margarita einen Engländer heiratete?

Ashley wandte dem Fenster den Rücken zu. Es war Zeit, sich für das Abendessen umzuziehen. Ob Juan Carlos auch dabei sein würde?

Sie schlüpfte in ein langärmeliges gelbes Seidenkleid. Öffnete ihren Zopf, um das Haar zu kämmen und nach hinten zu stecken, sodass es in glänzenden Wellen auf den Rücken fiel. Mit offenem Haar sah sie weniger streng aus, aber am Abend konnte weibliches Aussehen sicher nicht schaden.

Pünktlich auf die Minute verließ sie ihr Zimmer und trat auf den Flur. Sie wollte ihre Gastgeber nicht warten lassen.

Juan Carlos kam ihr auf der Treppe entgegen. Wieder betrachtete er sie von unten bis oben. Als sein Blick auf ihrem offenen Haar liegen blieb, hob er eine Augenbraue. Wieder durchrieselte sie ein warmer Schauer.

„Guten Abend, Señorita Bennett. Sind Sie mit allem gut versorgt?“ Er stand nun neben ihr auf den Stufen.

Ashley musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht schauen zu können. Das passierte ihr selten, denn sie war hochgewachsen. Aber dieser Spanier überragte sie um Haupteslänge. Das war beunruhigend, aber nicht unangenehm. Sie mochte seine männliche Ausstrahlung. Sie lächelte. „Vielen Dank. Mein Zimmer ist sehr schön.“

„Gefällt Ihnen der Ausblick?“ Er schaute ihr in die Augen und sprach mit samtweicher Stimme.

Wieder lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. „Ja, sehr. Ich genieße ihn.“

Si, ich auch.“ Er betrachtete ihr Gesicht, dann schaute er langsam hinunter bis zu ihrer schmalen Taille. „Wunderschön“, murmelte er.

Ihr blieb der Atem weg. „Ich will Sie nicht aufhalten. Sie wollen sicher auf Ihr Zimmer“, stieß sie hervor und wich seinem Blick aus. Warum machte er sie so nervös? Er war nicht der erste gut aussehende Mann, den sie kennenlernte. Mit einigen war sie sogar schon ausgegangen. Doch keiner hatte sie je in Verlegenheit gebracht. Bei keinem hatte sie sich gleichzeitig schüchtern und ungeschickt, aber auch weiblich gefühlt. Irritierten sie seine Blicke, weil sie ihr verrieten, dass Juan Carlos von ihr fasziniert war?

„In ein paar Minuten bin ich unten. Fragen Sie meine Schwester, wenn Sie etwas brauchen.“

Sie sah ihm nach, als er nach oben ging. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich um, und lächelte boshaft, als sich ihre Blicke trafen. Verlegen schaute sie zu Boden und lief die Stufen hinab. Ihre Wangen glühten vor Scham.

Das Dinner fand in sehr stilvollem Ambiente statt. Der Tisch war mit einem feinen Leintuch gedeckt, altes schweres Silberbesteck und kostbare Kristallgläser rundeten das Bild ab. Zuerst wurde eine leichte Suppe mit Meeresfrüchten serviert, dann ein Salat, danach in Olivenöl gebratene Seezunge. Der dazu gereichte Wein schmeckte erfrischend.

Während der Mahlzeit sprach Ashley wenig und hörte zu. Aus Höflichkeit gegenüber dem Gast redete die Familie bei Tisch nur Englisch. Das Gespräch kreiste um die Gästeliste für die Hochzeit, um Sehenswürdigkeiten, die sie in Granada unbedingt besuchen müsse, und um Chad Devon.

Auch Juan Carlos hielt sich zurück und mischte sich nur ein, um die gute Laune seiner Schwester zu dämpfen. Jedenfalls kam es Ashley so vor. Als Margarita in den höchsten Tönen von ihrem Verlobten sprach, funkelten seine Augen vor Angriffslust.

„Genug, Schwesterherz. Es ist ermüdend, den Lobeshymnen auf deinen Engländer zu lauschen.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Erwartest du etwa, dass ich aufhöre, ihn zu lieben, nur weil du ihn nicht magst?“

Ashley sah Juan Carlos erschrocken an. Er mochte Chad nicht? Gab es tatsächlich jemanden, der Chad nicht leiden konnte? Was für Gründe mochte er haben?

„Ich habe nie gesagt, dass ich ihn nicht mag. Ich vertraue ihm nicht.“ Juan Carlos’ Stimme klang gefährlich. Er schaute abwechselnd seine Schwester und Ashley an.

„Aber warum?“, platzte Ashley heraus. Sie hatte nicht nachgedacht, sondern ihrem Entsetzen darüber Ausdruck gegeben, dass Chad in diesem Hause nicht bei allen willkommen war.

„Margarita ist sehr wohlhabend. Chad Devon ist es nicht, habe ich herausfinden lassen. Das ist Grund genug, misstrauisch zu sein.“

„Sie haben Nachforschungen angestellt? Du liebe Zeit! Das war reine Geldverschwendung. Jeder, der Chad kennt, merkt sofort, wie verrückt er nach Margarita ist. Er will sie, nicht ihr Geld“, platzte Ashley heraus.

„Das lässt sich leicht behaupten.“

„Er liebt mich! Du versuchst, mein Glück zu zerstören, nur weil er Engländer ist. Aber wir lieben uns.“ Margarita schrie das ihrem Bruder entgegen, sprang auf und rannte aus dem Zimmer.

„Ich bin auch sicher, dass Chad Ihre Schwester liebt.“ Ashley sah Juan Carlos fest in die Augen. Er biss die Zähne zusammen, und seine Augen verdunkelten sich. Aber sie hielt seinem Blick stand. Niemals würde sie glauben, dass Chad ein Mitgiftjäger war. Es verletzte sie, dass Juan Carlos so schlecht über ihren besten Freund dachte.

„Wir werden es erst herausfinden, wenn es zu spät ist. Sobald Margarita verheiratet ist, werde ich ihr die Hälfte unseres Vermögens überschreiben. Wenn Geld sein Heiratsmotiv ist, wird er damit durchbrennen, bevor wir reagieren können.“

Ashley war wie vom Donner gerührt. Kannte dieser Mann denn Chad nicht? Und wenn, wie konnte er solch einen Verdacht hegen?

„Dann tun Sie es doch einfach nicht“, sagte sie. „Überschreiben Sie Ihrer Schwester das Vermögen nicht. Dann werden Sie sehen, ob Chads Gefühle echt sind oder nicht.“

Sie wusste selbst nicht, woher sie die Courage nahm, sich diesem Mann entgegenzustellen. Sie war nicht einmal ein wirklicher Gast des Hauses, sondern eine Auftragnehmerin. Und es war bestimmt nicht ihre Sache, ihm Ratschläge zu erteilen. Außerdem war es unklug, sich in die Angelegenheiten ihrer Klienten einzumischen.

Hochmütig zog er eine Augenbraue hoch und starrte sie weiterhin unverwandt an. Ashley fiel das Atmen immer schwerer. Ihr Busen bebte, und sie fühlte sich beengt in ihrer Haut. Wenn er nicht bald wegschaute, würde sie nachgeben. Dann musste sie den Augenkontakt unterbrechen, um sich zu retten. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie das fertigbrachte. Denn ihr Innerstes war in Aufruhr geraten. Sehnsüchte und erregende Gefühle plagten sie. Es war schockierend. Was geschah mit ihr?

„Juan Carlos, das ist keine schlechte Idee.“ Señora Alvarez’ Stimme erlöste Ashley.

Juan Carlos’ Augen gaben sie frei. Er schaute seine Mutter an.

„Ich glaube, dass die beiden sich lieben. Sonst würde ich der Heirat nicht zustimmen. Aber, wenn du es nicht glaubst und dies die Sicherheitsbasis ist, die du mit Chad Devon brauchst, dann halte meinetwegen das Geld zurück. Warte ein paar Jahre mit der Überschreibung. Du bist das Familienoberhaupt. Es ist deine Entscheidung, wann du ihr das Vermögen zukommen lässt.“

Autor

Barbara McMahon
Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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