Verwirrspiel aus Liebe

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Als sich Karla in die grauhaarige Jeanette verwandelt, geht es ihr nur um den Job bei Matthew Gramling, den sie auch prompt bekommt. Der überaus attraktive Unternehmer hat nämlich zwei goldene Regeln: keine Sekretärin unter 50 - keine Freundin über 25! Wochenlang gelingt Karla die Maskerade perfekt, doch eines Abends im Theater beginnt Matthew mit ihr heiß zu flirten. Jetzt fängt es an, kompliziert und aufregend zu werden …


  • Erscheinungstag 14.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758196
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Karla Jones griff zu ihrem Mineralwasser und trank einen Schluck. Sie tat, als wäre sie völlig in die Speisekarte vertieft, belauschte jedoch das Gespräch am Nachbartisch. In dem schicken Lokal in Vancouver, das einen herrlichen Blick auf den Pazifik bot, herrschte reges Treiben. Noch waren alle Tische besetzt, aber es herrschte schon Aufbruchsstimmung, denn es war kurz vor eins. Die ersten Gäste hatten bereits bezahlt und waren gegangen, da sie wieder an ihren Arbeitsplatz mussten.

Karla wusste, dass einige der Frauen am Nachbartisch bei Kinsinger Electronics angestellt waren, der Firma, bei der auch ihre Freundin Pat Carns beschäftigt war. Deshalb verfolgte sie das Gespräch äußerst interessiert.

Da sie überfüllte Lokale ungemütlich fand, ging Karla später als allgemein üblich zu Tisch. Sie freute sich auf die wohltuende Ruhe, die in wenigen Minuten herrschen würde. Auch die Frauen am Nebentisch haben bereits nach der Rechnung verlangt und würden gleich gehen.

„… schon nächsten Monat soll die Firma geschlossen werden“, vertraute eine von ihnen ihren Kolleginnen an.

„Das verstehe ich nicht! Warum hat er sie dann überhaupt erst gekauft?“

„Er will den Firmensitz nach Toronto verlegen und nach und nach alle Arbeitsplätze neu besetzen.“

„Ich habe gehört, dass Miss Evans deswegen fristlos gekündigt hat.“

Am Nachbartisch herrschte betroffenes Schweigen, und auch Karla traf diese Nachricht wie ein Schlag. Diesen Namen hatte sie in der Vergangenheit öfter von Pat gehört, und wenn sie sich richtig erinnerte, war Miss Evans die Assistentin des geschäftsführenden Direktors.

Karla arbeitete für David Daniels, Abteilungsleiter bei McCormick und Partner, hatte allerdings in der vergangenen Woche erfahren müssen, dass dieser vorzeitig in den Ruhestand gehen würde. Damit war sie ihren Job wahrscheinlich los, denn Mr. Daniels’ Nachfolger würde bestimmt seine eigene Assistentin mitbringen. Aus diesem Grund war Karla sehr daran interessiert, möglichst schnell etwas Neues zu finden.

„Und man kann Mr. Fünfundzwanzig-Fünfzig noch nicht einmal Diskriminierung vorwerfen, denn Miss Evans hätte genau in sein Schema gepasst.“

Jemand lachte. „Du brauchst doch noch keine Angst um deine Stelle zu haben, Suzanne. Du bist schließlich erst vierundzwanzig.“

Jetzt lachten alle. Nachdem sie sich den Rechnungsbetrag geteilt hatten, packten sie ihre Sachen und verließen den Tisch. Ohne Karla zu beachten, gingen sie an ihr vorbei und unterhielten sich immer noch über ihren geheimnisvollen neuen Boss.

Karla blickte ihnen nachdenklich nach und überlegte, was an den Gerüchten wohl wahr sein mochte und ob Miss Evans wirklich gekündigt hatte. War es ein Wink des Schicksals, dass sie gerade jetzt davon erfuhr, wo sie auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz war?

„Hallo, tut mir leid, dass ich zu spät komme!“ Pat, die sichtlich außer Atem war, sank auf den Stuhl neben ihr.

„Hoffentlich bricht er nicht zusammen“, neckte Karla ihre hochschwangere Freundin.

„Sehr lustig! Aber keine Angst, irgendwann wird es auch dich erwischen. Du wirst heiraten und kurz darauf wie eine Tonne aussehen. Was gibt es heute denn Leckeres zu essen?“

„Es klingt alles sehr verlockend. Ich habe mich für den Lachs entschieden.“

„Prima, dann schließe ich mich an.“

Nachdem sie bestellt hatten, sah Karla ihre Freundin bedeutungsvoll an. „Kannst du mir, ohne deine Schweigepflicht zu verletzen, verraten, ob Miss Evans ihren Posten wirklich aufgeben will?“

Pat blickte überrascht auf. „Woher weißt du schon davon? Sie hat doch gerade erst vor ein paar Stunden gekündigt!“

Pat arbeitete in der Personalabteilung von Kinsinger Electronics. Karla und sie hatten sich vor acht Jahren während der Ausbildung kennengelernt und waren seitdem eng befreundet. Da sie allerdings beide Vertrauensstellungen bekleideten, sprachen sie fast nie über betriebliche Angelegenheiten.

Karla zuckte die Schultern. „Ein allzu großes Geheimnis kann es nicht sein, denn eure Sekretärinnen haben sich ganz offen darüber unterhalten – und das so laut, dass jeder im Lokal es hören konnte.“

„Vertraulichkeit scheint für unsere Mitarbeiter anscheinend ein Fremdwort zu sein.“ Pat schüttelte den Kopf. „Da du es sowieso schon weißt, kann ich dir auch die ganze Wahrheit sagen: Miss Evans hat heute Morgen gekündigt, weil man auch ihrem Chef gekündigt hat.“

„Warum will sie nicht bleiben? Aus Solidarität mit Mr. Moore oder weil ihr der neue Boss nicht passt?“

„Schwer zu sagen. Vielleicht hat sie der Ruf abgeschreckt, der Matthew Gramling vorauseilt. Er soll der reinste Sklaventreiber sein. Wahrscheinlich will sie sich die letzten zwei Jahre ihres Arbeitslebens nach all der Zeit mit Mr. Moore nicht noch an einen jungen Boss gewöhnen müssen, der als überaus dynamisch und arbeitswütig gilt.“

„Mit anderen Worten, Miss Evans will mit Mr. Fünfundzwanzig-Fünfzig nichts zu tun haben.“

Pat lächelte. „Seinen Spitznamen hast du auch schon gehört?“

„Gehört, aber nicht verstanden.“

„Dann lass es dir erklären.“ Soweit es ihr Umfang zuließ, beugte sich Pat über den Tisch. Das war ihr allerdings nicht dicht genug, und deshalb winkte sie Karla noch näher zu sich heran. „Von ihm wird behauptet, dass er sich nicht mit Frauen einlässt, die über fünfundzwanzig sind, und keine Sekretärin oder Assistentin einstellt, die noch nicht fünfzig ist.“

„Und warum?“

„Wie es aussieht, möchte er unbedingt Junggeselle bleiben und unterstellt jeder Frau von über fünfundzwanzig, dass sie unter Torschlusspanik leidet und ihn heiraten und Kinder haben will.“

„Da scheint aber jemand sehr überzeugt von sich zu sein! Glaubt er denn wirklich, dass jede Frau, mit der er sich verabredet, ihn auch sofort heiraten würde? Und warum muss seine Assistentin fünfzig sein?“

„Weil sie ihren Posten sonst, gerade wenn sie richtig eingearbeitet ist, zu Gunsten von Ehemann und Kinder aufgeben könnte.“ Pat lachte, lehnte sich zurück und streichelte liebevoll ihren Bauch. „Anscheinend ist diese Theorie gar nicht so verkehrt – ich bin der beste Beweis dafür.“

Karla lächelte abwesend. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihr jetziger Boss würde die Firma bald verlassen, und was danach kam, wusste sie nicht. Gleichzeitig wurde bei Kinsinger Electronics eine Stelle frei, die geradezu dazu geschaffen schien, sie auf der Karriereleiter einen großen Schritt vorwärts zu bringen.

Ihr Entschluss stand fest. „Ich will Miss Evans’ Job!“, erklärte sie.

„Hast du mir denn nicht zugehört, Karla? Der neue Firmeninhaber stellt keine hübschen jungen Frauen als Assistentin ein. Ein Blick würde reichen, ihn davon zu überzeugen, dass auch für dich die Hochzeitsglocken bald läuten.“

„Aber ich will gar nicht heiraten! Ich habe nicht acht Jahre lang hart gearbeitet, um jetzt für einen Mann alles aufzugeben“, widersprach Karla energisch.

„Ja, ja, die Geschichte kenne ich. Plötzlich kommt der Richtige und du änderst deine Ansichten völlig.“

„Warum sollte ich das? Selbst wenn mir der Mann meiner Träume über den Weg laufen würde, bräuchte ich doch nicht meinen Beruf aufzugeben. Ich liebe meine Arbeit.“

„Das weiß ich, und das wird auch Mr. Daniels’ Nachfolger sehr schnell merken. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um deinen Arbeitsplatz zu machen, Karla.“

„Und wenn er seine eigene Sekretärin mitbringt?“

„Dann findest du eben einen anderen Job – aber nicht den von Miss Evans.“

„Hältst du mich nicht für qualifiziert genug?“ Karla interessierte Pats ehrliche Meinung.

„Du wärst die ideale Besetzung für diesen Posten, sowohl von deiner Persönlichkeit her als auch von deinen Qualifikationen. Du vergisst allerdings Mr. Fünfundzwanzig-Fünfzigs Maxime: keine Frau unter fünfzig als Assistentin.“

Der Ober brachte den Salat, und sie unterbrachen das Gespräch. Obwohl sie anschließend das Thema wechselten, ließ Karla der Gedanke an den vielversprechenden Job nicht los. Sie würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn sie eine solch einmalige Chance nicht nutzen würde. Ein Posten wie dieser war genau der Richtige, um sie auf der Karriereleiter ein gutes Stück voranzubringen.

Jetzt kam es nur darauf an, einen Weg finden, um diesen Matthew Gramling davon zu überzeugen, dass es auch an ihrem Alter nichts auszusetzen gab.

1. KAPITEL

Karla drückte den Knopf für das zwanzigste Stockwerk. Sie blickte weder nach rechts noch nach links, sondern sah wie gebannt auf die Tür, als der Aufzug lautlos nach oben fuhr. Einige der Leute kamen ihr bekannt vor, denn sie hatte Pat schon öfter in ihrem Büro abgeholt. Es war zwar unwahrscheinlich, dass man sie wieder erkennen würde, trotzdem wollte sie kein Risiko eingehen.

Ihre Nerven flatterten, und sie musste sich beherrschen, um nicht ständig zu überprüfen, ob ihre äußerst natürlich wirkende Perücke noch korrekt saß. Wenn sie lächelte, spannte ihre Haut. Doch Polly zufolge würde niemand merken, dass sie ihre Falten einem Bühnen-Make-up und nicht ihrem Alter verdankte.

Polly war Laienschauspielerin und hatte alles darangesetzt, sie um zwanzig Jahre altern zu lassen. Sie hatte Polly versprechen müssen, sofort nach dem Vorstellungsgespräch anzurufen und zu berichten, wie es gelaufen war.

Die leicht getönte Brille war störend und drückte, war allerdings unbedingt erforderlich. Ein konservatives, schlichtes Kostüm und Schuhe mit niedrigen Absätzen vervollständigten das Bild der soliden und absolut zuverlässigen Mitarbeiterin. Ihre Kopfhaut juckte unter der Perücke, aber Karla war alles egal, solange sie nur diesen Job bekam.

Nach und nach stiegen die anderen Fahrgäste aus, und als der Aufzug schließlich im zwanzigsten Stock hielt, betrat sie allein das elegante Foyer, das mit dicken Teppichen ausgelegt war und in dem gedämpfte Musik erklang. Was für ein Unterschied zu den Räumlichkeiten von McCormick und Partner! Von der wirtschaftlichen Flaute, die im Südostasienhandel deutlich zu spüren war, schien Kinsinger Electronics nicht betroffen zu sein.

Auf der Etage herrschte völlige Ruhe – keine Türen knallten, und keine Angestellten liefen geschäftig hin und her. Man hätte fast meinen können, die Büros wären verlassen, doch in einem Raum regte sich etwas.

Karla betrat das Zimmer, neben dem immer noch das Namensschild von Miss Evans angebracht war, obwohl diese, wie sie von Pat wusste, die vergangene Woche schon nicht mehr gearbeitet hatte. Sie erblickte einen riesigen und akkurat aufgeräumten Schreibtisch, der den Raum beherrschte.

Die Tür zum Chefzimmer war angelehnt, und Karla atmete erst einmal tief durch, bevor sie darauf zuging. In den nächsten Minuten würde sich entscheiden, ob alles nach Plan laufen würde. Sie klopfte nachdrücklich an und ging im Geiste noch einmal jeden Schritt durch. Sie war sich sicher, dass sie an alles gedacht hatte, und rechnete fest mit einem Erfolg.

„Herein.“

Die angenehm tiefe Männerstimme übte eine überwältigende Wirkung auf sie aus, was Karla sich jedoch nicht eingestehen wollte. Entschlossen öffnete sie die Tür und betrat ein lichtdurchflutetes Büro. Die beiden Außenwände waren vom Boden bis zur Decke verglast und boten eine atemberaubende Aussicht über die Stadt und den Hafen. Noch faszinierender als das Panorama allerdings war der Mann, der sich bei ihrem Eintritt erhob und sie anblickte.

Karla bekam Herzklopfen. Kein Wunder, dass Matt Gramling Frauen generell als heiratswütig abstempelte – vermutlich konnte er sich kaum vor ihnen retten.

Er sah einfach umwerfend aus und hätte einem Werbespot für rasante Sportwagen oder schnittige Jachten entstiegen sein können. Sein dunkles Haar war korrekt frisiert, wie es sich für einen Topmanager gehörte. Sie verspürte plötzlich den unsinnigen Wunsch, es durcheinander zu bringen und zwischen den Fingern zu spüren. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie Matt Gramling wohl mit vom Wind zerzaustem Haar aussehen würde.

Karla hielt den Atem an. War sie denn ganz und gar verrückt geworden? Sie war hier, um sich für einen Job zu bewerben. Sich wilden Fantasien hinzugeben würde ihrem Konzentrationsvermögen bestimmt nicht zuträglich sein.

Als er sie eingehend musterte, wurde sie noch unruhiger. Er hatte einen wachen, intelligenten Blick, und seine Augen waren so herrlich blau wie der Atlantik an einem sonnigen Tag. Karla schluckte. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, denn Mr. Daniels hatte sie nie so angesehen, und sie hatte stets angenommen, dass erfolgreiche Manager viel zu beschäftigt wären, um dem Aussehen ihrer Mitarbeiter besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Matt Gramling schien die große Ausnahme zu sein, denn ihm entging offensichtlich nichts – weder ihre biedere Frisur noch ihre soliden Schuhe, die keinerlei Konzession an die herrschende Mode machten.

Wieder musste sich Karla beherrschen, um nicht den Sitz ihrer Perücke zu überprüfen.

„Mr. Gramling? Ich bin Karla Jones. Wir waren für neun Uhr verabredet.“

„Treten Sie ein, Miss Jones. Sie sind äußerst pünktlich.“ Er lächelte. „Das gefällt mir.“

Karla nickte und musste schlucken. Matt Gramlings Lächeln war überhaupt nicht arrogant und ließ ihn plötzlich jungenhaft und viel zugänglicher wirken – und ausgesprochen sexy obendrein. Sie bekam weiche Knie und war froh, dass sie zufällig genau neben dem Besucherstuhl stand. Erleichtert setzte sie sich und gab sich die allergrößte Mühe, ihren inneren Aufruhr mit einer gelassenen Haltung zu überspielen. Mit unbewegter Miene schob sie ihm die Mappe mit ihren Bewerbungsunterlagen über den Tisch.

Bleib ruhig, es ist ein Pokerspiel und alles nur eine Frage der Nerven, sagte sie sich. Der einzige Punkt, in dem sie Matt Gramling gegenüber etwas zu verbergen hatte, war ihr Geburtsjahr. In allem anderen konnte sie jeder Kritik standhalten. Stundenlang hatte sie die vergangene Woche an ihrem Bewerbungsschreiben gefeilt, bis sie endlich mit den Formulierungen zufrieden gewesen war. Außerdem hatte Mr. Daniels ihr ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt, in dem ihr Alter nicht erwähnt wurde.

Matt Gramling überflog die Unterlagen flüchtig, lehnte sich dann in seinem Sessel zurück und betrachtete Karla nachdenklich. „Sie sind erst seit acht Jahren berufstätig“, stellte er fest.

„Nachdem ich mich schließlich für ein Berufsleben entschieden hatte, hielt ich es für vernünftiger, mir nicht gleich einen Job zu suchen, sondern erst ein Seminar für Sekretärinnen zu besuchen, um mir jüngeren Frauen gegenüber einen Vorteil zu verschaffen.“ Karla blickte ihm direkt in die Augen. Jetzt konnte sie nur darauf vertrauen, dass sie ihre Taktik klug gewählt hatte.

„Und Sie haben ausschließlich für McCormick und Partner gearbeitet?“

Sie nickte. „Ja, und darauf bin ich auch sehr stolz. Die vielen Beförderungen zeigen, wie zufrieden man mit mir war. Außerdem bin ich in all den Jahren zu einer richtigen Expertin im Handel mit Südostasien geworden, und Mr. Daniels hat mir auf diesem Gebiet völlig freie Hand gelassen. Wie ich gehört habe, wollen Sie Ihre Geschäftsbeziehungen ja gerade im asiatischen Raum ausbauen.“

„Das stimmt, ich möchte im Export neue Schwerpunkte setzen.“ Entspannt streckte er die Beine aus, doch Karla wusste, dass er sie mit dieser lässigen Pose nur täuschen wollte. In Wirklichkeit würde er jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen.

„Das scheint mir auch der einzige Erfolg versprechende Weg zu sein.“ Sie lächelte. „Wahrscheinlich haben Sie sich schon eine genaue Strategie zurechtgelegt, wie Sie Kinsinger Electronics erfolgreich in die schwarzen Zahlen bringen und ins einundzwanzigste Jahrhundert führen können.“

„Mr. Moore hat das Unternehmen wie einen traditionellen Familienbetrieb geführt, das möchte ich ändern. Erzählen Sie mir etwas über die Erfahrungen, die Sie bei McCormick sammeln konnten.“

Das Bewerbungsgespräch dauerte insgesamt fast eine Stunde, und Karla bemühte sich, alle Fragen ehrlich zu beantworten. Hätte Matt Gramling sie nach ihrem Alter gefragt, hätte sie ihm die Wahrheit gesagt. Doch er tat es nicht. Wenn er der Auffassung war, eine dicke, getönte Brille, eine graue Perücke und ein dickes Make-up würden ihm Auskunft über das wahre Alter einer Frau geben, so war das sein Problem.

Sicher konnte sie Matt Gramling davon überzeugen, dass sie eine kompetente Assistentin und keine Frau mit romantischen Schwächen war. Solange sie das allerdings noch nicht erreicht hatte, war sie durchaus zu einem kleinen optischen Betrugsmanöver bereit – vorausgesetzt, sie würde den Job überhaupt bekommen.

„Haben Sie noch Fragen?“, erkundigte er sich abschließend.

„Nein, Sie haben mir meinen Aufgabenbereich bestens beschrieben. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir die Gelegenheit geben würden, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.“

Er stand auf, um ihr die Hand zu schütteln. „Die Personalabteilung wird Sie spätestens Ende der Woche von meiner Entscheidung in Kenntnis setzen.“

Sein Händedruck war angenehm warm und fest. Wie es wohl sein musste, von diesem Mann gestreichelt zu werden …

Karla errötete und konnte nur hoffen, dass es unter all der Schminke nicht zu erkennen war.

Sie verabschiedete sich und ging betont langsam zur Tür, obwohl sie am liebsten aus dem Zimmer gerannt wäre. Noch nie war sie einem Mann gegenüber so verlegen gewesen, und das sollte er ihr keinesfalls anmerken.

Sie wollte diesen Job, denn er schien wie für sie geschaffen. Das Aufgabengebiet war interessant, und die Möglichkeit, weitgehend selbstständig arbeiten zu können, stellte genau die Herausforderung dar, die sie suchte. Sollte Matt Gramling sich für sie entscheiden, würde er seine Wahl nicht bereuen, davon war sie fest überzeugt.

Die Woche schien kein Ende nehmen zu wollen. Im Büro hatte Karla nicht mehr viel zu tun, da Mr. Daniels lediglich noch die letzten Vorgänge abschloss. Darüber, ob sie ihren Posten nach seinem Ausscheiden behalten konnte, hatte man noch nicht mit ihr gesprochen.

Nach Feierabend eilte sie stets nach Hause, um ihren Anrufbeantworter abzuhören, wurde allerdings jedes Mal enttäuscht, denn eine Nachricht von Kinsinger war nie dabei. Als sie am Freitag zur Arbeit ging, hatte sie die Hoffnung aufgegeben. Von Pat wusste sie, dass Matt Gramling mit einem guten Dutzend Bewerberinnen gesprochen hatte, viele von ihnen bestimmt mit langjähriger Erfahrung. Was zählten da schon ihre acht Jahre Berufstätigkeit?

Um drei Uhr klingelte dann das Telefon auf ihrem Schreibtisch.

„Der Job ist vergeben“, teilte Pat ihr lapidar mit.

Karla war grenzenlos enttäuscht. „Oh, da kann man eben nichts machen. Aber nett von dir, dass du mich angerufen hast.“

„An eine gewisse Miss Jones!“ Pat machte jetzt aus ihrer Begeisterung keinen Hehl mehr. „Ich fasse es nicht, aber seine Wahl ist ausgerechnet auf dich gefallen, Karla, und du sollst Montag schon anfangen. Wie hast du es nur geschafft, dass er seine Prinzipien verraten hat? Es ist wirklich unglaublich!“

Pats Worte drangen gar nicht richtig in ihr Bewusstsein, so benommen war Karla. Der Job gehörte ihr, sie hatte es geschafft! Doch allmählich kehrte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Pat, ich habe eine große Bitte. Verrate bloß mein Geburtsdatum nicht. Ich glaube nämlich, dass er mich für wesentlich älter hält, als ich bin.“

„So? Und auf was schätzt er dich?“

„Ich weiß es nicht. Beim Vorstellungsgespräch hatte allerdings ich eine graue Perücke auf, und mein Gesicht war ziemlich faltig.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte tiefes Schweigen.

„Pat, er hat mich nicht nach meinem Alter gefragt, und ich habe es ihm auch nicht auf die Nase gebunden.“ Unwillkürlich musste Karla daran denken, dass sie die unbequeme Verkleidung noch einige Zeit würde durchhalten müssen, und ihre Begeisterung schwand. Was wäre, wenn sie sich für die gesamte Dauer ihres Jobs würde verstellen müssen? Plötzlich stand das Schreckgespenst vor ihr, sich für die nächsten zwanzig Jahre älter machen zu müssen, als sie tatsächlich war.

Da blieb ihr nur eins: Sie würde diesen Matt Gramling schnellstens davon überzeugen müssen, dass achtundzwanzig genau das richtige Alter für eine Assistentin war!

Endlich fand Pat die Sprache wieder. „Spätestens wenn er deinen Personalbogen sieht, wird deine Täuschung auffliegen, denn dein Alter steht ganz oben.“

„Muss er meine Akte denn in die Hand bekommen?“ Karla überlegte fieberhaft. „Erzähl ihm doch, die Personalabteilung würde ihm den Papierkram abnehmen wollen und sich um die Formalitäten kümmern. Zeig ihm, wie tüchtig du bist, Pat!“

Pat musste lachen. „Wie gut, dass ich ab nächste Woche nur noch Ehefrau und Mutter sein werde! Passieren kann mir also nichts mehr, und eigentlich hast du recht. Man sollte diesen Matt Gramling in seinen Vorurteilen nicht noch bestärken. Ich werde mein Bestes versuchen und möchte dir noch einmal von ganzem Herzen gratulieren, Karla, denn meiner Meinung nach bist du wie geschaffen für diesen Posten. Obwohl es ein ganz und gar verrücktes Unternehmen ist, hast du meine volle Unterstützung. Ich drücke dir die Daumen, dass du den ersten Tag überstehst, denn dann hast du es geschafft.“

„Ich werde es schaffen, glaub mir!“, versprach Karla und legte auf.

Ihr Ziel, den Job zu bekommen, hatte sie erreicht. Jetzt kam es darauf an, ihn auch zu behalten.

Er, Matt Gramling, liebte Herausforderungen. Eine fast bankrotte Firma wie Kinsinger Electronics aus den roten Zahlen zu bringen und zu einem führenden Unternehmen im Handel mit Südostasien zu machen war ganz nach seinem Geschmack. Andere Männer waren hervorragende Sportler oder großartige Erfinder, er dagegen hatte die Begabung, heruntergewirtschaftete Betriebe wieder zum Florieren zu bringen.

Und da er auf diese Fähigkeit vertrauen konnte, sorgte er stets dafür, dass sich die Aktienmehrheit in seinem Privatbesitz befand, bevor er sein Talent ins Spiel brachte.

Es war Montag, die offizielle Arbeitszeit hatte noch längst nicht begonnen, doch Matt saß trotzdem schon in seinem Büro, weil er seine Ideen gar nicht schnell genug in die Praxis umsetzen konnte. Er beschäftigte sich gerade mit den Berichten, die ihm die Abteilungsleiter in der vergangenen Woche hatten vorlegen müssen. Diese verglich er dann mit den Gutachten, die seine Mitarbeiter in Toronto vor dem Aufkauf von Kinsinger Electronics erstellt hatten, denn eine gründliche Analyse der gegebenen Situation war Voraussetzung für seine Arbeit.

Ebenso wie ein gutes Team. Matt blickte auf die Uhr und stellte fest, dass es noch zu früh für Miss Jones war, die heute ihren Job bei ihm antreten würde. Er stieß sich an der Schreibtischkante ab und drehte seinen Sessel herum, sodass er aus dem Fenster sehen konnte, nahm aber nichts von dem atemberaubenden Panorama wahr.

Vergangene Woche hatte er mit einem guten Dutzend Bewerberinnen gesprochen, von denen alle erstklassige Referenzen vorweisen konnten. Aus irgendeinem Grund allerdings hatte ihm Miss Jones am besten gefallen. Vielleicht war es ihre Energie, die ihn so fasziniert hatte, und ihre Begeisterungsfähigkeit.

Es mangelte ihr jedoch an Erfahrung, weil sie ihr ganzes Berufsleben in einer einzigen Firma zugebracht hatte. Andererseits zeugte das von Durchhaltevermögen und Loyalität, denn sie hätte nicht gekündigt, wenn man ihren Boss nicht entlassen hätte.

Matt fragte sich flüchtig, was sie wohl getan hatte, bevor sie sich zu dem Besuch einer Fachschule für Sekretärinnen entschieden hatte. Wahrscheinlich erst die Kinder großgezogen, dachte er. Ob sie wohl geschieden ist?

Aber es spielte keine Rolle, denn sie war die ideale Besetzung für diesen Posten, umsichtig und klug. Sie hatte einen sehr zuverlässigen Eindruck gemacht und war zu alt, um mit ihm flirten zu wollen oder wegen eines Mannes den Kopf zu verlieren. Er würde sich auf sie verlassen können, wie Mr. Daniels es getan hatte. Dessen Zeugnis war zwar nicht so überschwänglich gewesen wie manch anderes, das er gesehen hatte, dafür allerdings aussagekräftig und präzise.

Er vertraute auf seinen Instinkt.

Matt hörte ein Geräusch im Nebenzimmer und stand auf, um nachzusehen. Miss Jones verstaute gerade ihre Tasche in der untersten Schreibtischschublade. Als er eintrat, richtete sie sich auf. „Guten Morgen“, sagte sie und lächelte. „Vielen Dank, dass Sie sich für mich entschieden haben. Ich werde alles tun, um Ihr Vertrauen zu rechtfertigen.“

„Dann werden wir bestens miteinander auskommen. Wenn Sie sich eingerichtet haben, kommen Sie bitte zu mir herüber, damit ich Ihnen Ihren Aufgabenbereich erklären kann.“

„Möchten Sie, dass ich Ihnen erst einen Kaffee bringe?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf, obwohl er sich über das Angebot freute. Jüngere Frauen lehnten solche Dienstleistungen meist ab. „Nein, danke, ich habe schon gefrühstückt. Aber Sie können gern erst eine Tasse trinken.“

„Das ist nicht nötig.“ Sie nahm sich ihren Schreibblock und zwei frisch gespitzte Bleistifte und folgte ihm in sein Büro.

Autor

Barbara Mc Mahon
<p>Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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