Wehrlos in den Armen des Wikingers

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Zur Hölle mit den Nordmännern! Hass brennt in Aisly, seit die Wikinger ihren Mann getötet haben. Die schöne junge Witwe hat sich geschworen, fortan allein zu bleiben. Doch eines Tages rettet sie ein breitschultriger Fremder vor einem Wegelagerer, bevor er selbst zusammenbricht. Er ist schwer verletzt, hat sein Gedächtnis verloren, und in ihrer Hütte umsorgt Aisly ihn zärtlich. Das heiße Begehren in seinem Blick ist wie eine süße Belohnung! Doch da kommt ihr ein entsetzlicher Gedanke: Hochgewachsen, muskulös und mit hellem Haar sieht der Mann auf ihrer Bettstatt wie ein Nordmann aus. Verliert sie gerade ihr Herz an den Todfeind?


  • Erscheinungstag 26.03.2019
  • Bandnummer 349
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736910
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Stechender Rauch drang in seine Lungen und drohte ihn zu ersticken. Keuchend und hustend kam er wieder zu sich, ihm schwindelte. Luft, er brauchte Luft. Trotz des Rauchs öffnete er seinen Mund und atmete gierig ein. Sofort folgte ein Hustenanfall, der ihn beinahe zerriss. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt und er spürte, dass er seine Arme nicht bewegen konnte. Irgendetwas schien ihn festzuhalten. Was war das? Unendlich langsam gelang es ihm, die Augen zu öffnen.

Alles, was er in der Dunkelheit sah, war ein grelles orangenes Flackern, das sich anfühlte, als würde ihm der Schädel gespalten. Sofort kniff er die Augen wieder zusammen. Jetzt spürte er auch die verzehrende Hitze. Unmittelbar neben ihm loderte ein gewaltiges Feuer. Mühsam drehte er den Kopf zur Seite, zwang sich abermals, die Augen zu öffnen und blickte in zwei unnatürlich weit aufgerissene Augen, deren Iris von einem trüben Schleier überzogen waren. Es waren tote Augen. Er kannte diesen starren Blick toter Augen. Eine undeutliche Erinnerung an leblose Männer tauchte in seinem Gedächtnis auf. Um das Gesicht des Toten sehen zu können, wich er mit dem Kopf so weit zurück, wie er es in seiner eingezwängten Lage konnte. Der Mund des Toten war aufgerissen, wie zu einem stummen Schrei geöffnet.

Er musste jemanden auf sich aufmerksam machen, doch sein Rufen war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. Sein Blick fiel erneut auf die starren Augen, und in dem Moment begriff er, was das alles zu bedeuten hatte und weshalb er sich nicht von der Stelle rühren konnte.

Er lag eingekeilt zwischen Leichen, um ihn herum niedergemetzelte Krieger, denen man die Kleider genommen hatte, damit niemand erkennen konnte, wer sie waren. Einfach übereinandergeworfen hatte man die Toten, um sie zu verbrennen. Sie zu begraben wäre viel zu mühsam gewesen.

Er hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war. Er konnte sich weder an eine Schlacht erinnern, noch kam ihm einer der Toten bekannt vor. Das Einzige, was er wusste, war, dass er noch nicht tot war. Doch wenn es ihm nicht bald gelang, sich zu befreien, würde auch er nicht mehr lange zu leben haben. Er versuchte seinen Arm unter dem Mann hervorzuzerren, der ihn unverändert aus seinen toten Augen anstarrte. Endlich gelang es ihm, dabei wurde er vom eigenen Schwung mitgerissen und rollte abwärts. Als er auf dem Boden ankam, verharrte er kurz und versuchte sich zu orientieren, während er versuchsweise Arme und Beine bewegte. Sein ganzer Körper schmerzte, doch anscheinend hatte er sich nichts gebrochen.

Auch ihm hatte man seine Kleider genommen, aber darum würde er sich später kümmern müssen. Am wichtigsten war jetzt, dass er endlich wieder Luft bekam. Jeder Atemzug schien ihm die Lunge zu zerreißen. Mühsam richtete er sich so weit auf, dass er sich hinknien konnte. Sein Kopf schmerzte, als wollte er zerspringen. Er stöhnte und presste sich eine Hand an die Stirn, genau auf eine verkrustete Wunde. Vorsichtig tastete er sie ab. Sie reichte von der Augenbraue bis zum Haaransatz, und er spürte, dass seine Haare blutverklebt waren.

Als er seine Hand wegzog, wurde ihm schwarz vor Augen. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Er stütze sich mit einer Hand auf den Boden ab und versuchte, die Übelkeit zu bekämpfen, die ihn überfiel. Würgend kippte er zur Seite und erbrach bittere Galle.

Die Arme schützend um seinen Oberkörper geschlungen lag er still und wartete, dass die Übelkeit nachließ. Er spürte seine nackte Haut, sie fühlte sich eigentümlich rau an. Er rieb die Fingerspitzen aneinander und führte sie zur Nase. Sie rochen nach kalter Asche. Wie lange er wohl bewusstlos gewesen war? Wie kam es, dass er halb tot hier lag? Er konnte sich an keine Schlacht erinnern und dennoch musste es eine gegeben haben. Doch je angestrengter er nachdachte, desto undurchdringlicher schien der Schleier in seinem Kopf zu werden, sodass er schließlich aufgab. Mühsam hob er den Kopf und sah sich um. Was er sah, war eine kleine Lichtung. Außer ihm und den Toten konnte er niemanden entdecken. Ihm war klar, dass er in Gefahr war und sich in Sicherheit bringen musste. Wer auch immer für diesen Berg von Leichen verantwortlich war, würde auf einen Überlebenden nicht gerade erfreut reagieren.

Ein kleiner Pfad führte vom Feuer weg zu den Bäumen. Er beschloss, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen, und erhob sich schwerfällig. In gebeugter Haltung schlich er um die Toten herum. An die zwanzig Männer lagen hier. Sollte er mit ihnen Seite an Seite gekämpft haben, müsste ihm doch zumindest eines der Gesichter bekannt vorkommen. Hier und da stieß er einen der Toten an, in der Hoffnung, dass zumindest einer von ihnen sich noch regen würde. Aber ihre Körper waren bereits starr und es war keiner dabei, den er wiedererkannt hätte.

Noch einmal ließ er seinen Blick über die Lichtung schweifen, ohne allerdings etwas zu sehen, was ihm von Nutzen hätte sein können. Seine Hoffnung, irgendwo eine Waffe finden zu können, wurde enttäuscht. Nicht einmal ein einziges Kleidungsstück konnte er entdecken. Entweder war alles verbrannt worden oder jemand hatte die Sachen mitgenommen. Er schaute noch ein letztes Mal zum Feuer, dessen grelle Flammen ihm in den Augen brannten.

Schließlich wandte er sich ab und wankte mit unsicheren Schritten in den Wald. Immer wieder musste er sich an einem Baum abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er hatte keine Kraft in den Beinen und ihm schwindelte. Vermutlich die Kopfwunde. Als Erstes galt es, einen sicheren Zufluchtsort zu finden, an dem er ein paar Tage bleiben und sich erholen konnte. Und er brauchte dringend Wasser. Seine Kehle fühlte sich an, als atme er noch immer Feuer ein.

Der Nachthimmel war bedeckt, Wolken hatten sich vor die Sterne geschoben. Aber er hätte sich ohnehin nicht an ihnen orientieren können, denn er hatte keine Ahnung, woher er gekommen war und wohin er gehen sollte. Verflucht, er wusste noch nicht einmal, wie er hieß. Wenn er sich zu erinnern versuchte, war da nur finstere Leere. Er schob diese Gedanken beiseite, denn bei der geringsten Anstrengung wurde das Hämmern in seinem Kopf heftiger. Er musste einen sicheren Platz finden, um sich zu erholen, dann würde sich der Rest schon ergeben. Hoffentlich.

Irgendwann meinte er das Rauschen von Wasser hören. Es schien direkt vor ihm zu sein. Allein die Vorstellung von kühlem, klaren Wasser gab ihm neue Kraft und seine Beine trugen ihn wieder leichter voran. Er kam an einen Fluss, an dessen Ufer sich eine mächtige Eiche erhob. Er hielt sich am Stamm fest und tastete sich ins eisige Wasser. Seine Füße suchten auf den schlüpfrigen Kieseln am Flussgrund Halt. Dann, endlich, konnte er sein Gesicht ins Wasser tauchen und trinken. Ihm war klar, dass er langsam trinken sollte, aber er konnte nicht. Gierig schluckte er.

Das Wasser war kalt und frisch, dennoch brannte es in seiner Kehle und schmeckte nach Rauch. Und dann drehte sich sein Magen um, und alles kam wieder hoch. Ihm wurde schwarz vor Augen, er presste sich die Hände an den Kopf. Noch halb im Wasser liegend sank er nieder und verharrte regungslos. Die Kälte drang ihm bis auf die Knochen, doch wer weiß, vielleicht hielt nur sie ihn noch bei Bewusstsein, daher würde er das eisige Wasser nicht verlassen. Als er spürte, wie ihm die Sinne schwanden, raffte er sich mühsam auf, um auf die Knie zu kommen. Er schöpfte mit den Händen vorsichtig ein wenig Wasser und trank in kleinen Schlucken, gerade so viel, dass der Magen es bei sich behielt und es seinen Durst und seine Schmerzen ein wenig linderte.

„Besser, du bewegst dich nicht!“

Die Stimme kam wie aus dem Nichts und war so donnernd laut, dass sein Schädel vor Schmerz zu zerspringen drohte. Er hob den Kopf und entdeckte im Mondlicht einen Mann in dunkler Tunika, der hinter der mächtigen Eiche hervor auf ihn zukam. Der Fremde sagte noch etwas, doch er verstand ihn nicht. Der Mann musste ihm von der Lichtung aus gefolgt sein. Er hielt sein Schwert wie zum Angriff bereit in beiden Händen.

Ihm fiel ein, dass er unbekleidet war, aber es würde ihm wohl keine andere Möglichkeit bleiben, als sich dem Angreifer zu stellen. Er biss die Zähne zusammen, erhob sich schwankend und ging ein paar Schritte rückwärts, tiefer in das Wasser hinein, in der Hoffnung, der Mann würde ihm folgen. So geschwächt, wie er war, würde er am Ufer niemals eine Chance gegen einen Gegner mit Schwert haben. Das eisige Wasser reichte ihm bis zu den Oberschenkeln, als er stehen blieb, um den Angreifer zu erwarten.

Der Fremde blieb am Rand des Wassers stehen, das Schwert hielt er hoch über den Kopf, als wolle er zum Schlag ausholen. Noch war er zu weit entfernt, um ihn mit einem Hieb treffen zu können. Wieder rief der Fremde ihn an, doch dieses Mal sprach er langsamer, seine Stimme klang verächtlich. Es dauerte einen Augenblick, bis er die Worte mit einem Sinn füllen konnte. Es klang, als würde der Mann mit einem ihm fremden Akzent sprechen. Doch schließlich verstand er, was der Fremde sagte: „Heute wirst du sterben, Magnus. Noch einmal wirst du dem Tod nicht entkommen.“

Magnus. Hieß er tatsächlich so? Der Name sagte ihm nichts. Nicht das Geringste. Seine Verletzung am Kopf war nicht ohne Folgen für seinen Verstand geblieben, so viel stand fest.

„Wer bist du?“, fragte er stockend und mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam. Diese wenigen Worte zu finden und auszusprechen, hatte ihm Mühe bereitet.

Der Mann lachte abfällig. Seine Augen schimmerten im Mondlicht. „Es scheint, als hätte dein Hirn was abbekommen, Magnus. Aber was soll’s, da ich dein Leben jetzt sowieso beende.“

Magnus wich noch weiter in den Fluss zurück, damit auch sein Gegner sich weiter vorwagen musste. Der Fremde machte einen Schritt nach vorne und verzog das Gesicht, als er das eisige Wasser spürte. Um nicht noch tiefer in den Fluss gehen zu müssen, versuchte er, Magnus aus der Entfernung mit einem Schwerthieb zu erreichen. Magnus wich zur Seite aus, und sofort fühlte er, wie ihm wieder schwindlig wurde. Ohne nachzudenken, packte er das Einzige, was greifbar war. Ausgerechnet den Arm, in dessen Hand sein Gegenüber das Schwert hielt.

Der Fremde rutschte auf den Steinen aus und stolperte weiter ins Wasser, ohne allerdings sein Schwert loszulassen. Nur einen Augenblick später fand er mit seinen Stiefeln wieder Halt. Doch dieser Moment hatte gereicht. Mit einem gezielten Beinschwung traf Magnus den Mann in der Kniekehle. Magnus konnte den Schwung nicht abfangen und stürzte ins Wasser. Doch er hatte sein Ziel erreicht, auch der Fremde verlor den Halt und fiel mit einem Schrei in den Fluss. Magnus gelang es als Erstem, sich wieder aufzurappeln. Er umklammerte das Handgelenk des Fremden und versuchte, ihm das Schwert zu entwinden. Zugleich rammte er dem Mann ein Knie in den Magen.

Der Fremde ballte seine freie Hand zur Faust und schlug Magnus gegen die Schläfe, direkt unterhalb der Wunde. Sofort sprang die Verletzung wieder auf. Das Blut rann ihm ins Auge und nahm ihm die Sicht. Und, verflucht, der Schlag musste sein Ohr getroffen haben, denn er hörte nichts außer einem schrillen Pfeifen. Doch er durfte nicht aufgeben. Entweder es gelang ihm, den Mann zu besiegen, oder sein Leben war zu Ende. Und er hatte ganz gewiss nicht vor, wieder bei all den Toten auf der Lichtung zu landen.

Magnus ließ das Handgelenk des anderen los, aber nur, um ihn an der Tunika zu packen, zu sich heranzuziehen und ihm mit der Faust einen Schlag ins Gesicht zu verpassen. Das Nasenbein des Mannes brach mit einem knirschenden Geräusch. Der Fremde schrie vor Schmerz auf und ließ sein Schwert los. Magnus nutzte diesen Vorteil aus, sprang nach vorne und drückte den Mann unter Wasser. Er hätte den Kampf viel lieber ehrbar mit der Faust oder der Waffe für sich entschieden, aber was sollte er machen? Er fühlte, wie seine Kraft schwand. Viel Zeit würde ihm nicht mehr bleiben, um seinen Gegner zu überwältigen. Der Fremde schlug um sich und Magnus hörte, wie er unter Wasser schrie. Doch dadurch kam immer mehr Wasser in die Lungen. Mit all seiner verbleibenden Kraft drückte Magnus den Mann unter Wasser. Und endlich erschlaffte er.

Mit zitternden Armen zog Magnus den leblosen Körper ans Ufer. Wenigstens konnte er nun das Problem mit der Kleidung lösen. Er wusch sich das Blut aus dem Gesicht, dann zog er dem Mann Tunika und Hosen aus. An der Tunika war ein Emblem aufgenäht, irgendein Wappen. Müsste er es nicht kennen? Ratlos und missmutig verzog Magnus das Gesicht. Er barg das Schwert aus dem Fluss, dann zog er die Kleider an. Sie waren ein wenig zu eng. Die Tunika spannte ihm über der Brust und die Hosen waren ein wenig kurz. Immerhin, die Stiefel passten wie angegossen. Allerdings waren sie vollkommen durchnässt.

Schließlich packte er den Mann und zerrte ihn zurück in den Fluss. Am Oberarm zog er ihn auf dem Wasser treibend hinter sich her. Er musste den Toten irgendwo verstecken, vermutlich waren noch mehr Feinde in der Nähe. Früher oder später würden sie den Mann vermissen und ihn suchen. Doch wenn er sich im Fluss weiterbewegte, würden sie Mühe haben, ihn aufzuspüren. Er musste nur dem kalten Wasser trotzen.

Unablässig tastete sich Magnus auf den rutschigen Steinen im Fluss vorwärts. Sein Arm schmerzte von dem Gewicht des Toten, den er hinter sich herzog. Irgendwann zitterte er vor Kälte und Erschöpfung. Als er zwei tote Bäume am Flussufer sah, manövrierte er den Leichnam dorthin und verbargt ihn zwischen den Ästen, die auf den Fluss hinausragten. Magnus musterte den Mann. Sein Blick blieb an dem kahl rasierten Schädel hängen. Unwillkürlich berührte er sein eigenes Gesicht, fühlte seinen Bart und die schulterlangen Haare. Es war wohl besser, beides abzuschneiden. Wer auch immer dieser Mann war, was auch immer sein Stand, da er bereits die Kleider des Toten trug, würde Magnus sich auch dem Rest seines Äußeres anpassen müssen. Im Stiefel des Mannes hatte er einen Dolch entdeckt. Doch zunächst wollte er noch ein gutes Stück zwischen sich und diese Lichtung bringen.

Etwas weiter flussabwärts erkannte Magnus flaches Felsgestein am Ufer. Wenn er den Fluss irgendwo verlassen wollte, ohne verräterische Fußabdrücke zu hinterlassen, dann hier. Er nahm noch einen Schluck Wasser, dann kletterte er das Ufer hinauf und schlug sich in den Wald. In der nassen Kleidung kam ihm die Nachtluft eisig vor. Noch ein Grund, trotz seiner Erschöpfung weiterzugehen, denn wenn er sich jetzt hinlegte, wäre das sein Ende. Immer wieder verschwamm sein Blick. Er stolperte über Äste, rutschte auf feuchten Blättern aus. Und wenn er zu Boden stürzte, kam es ihm vor, als würde er immer wieder kurz das Bewusstsein verlieren. Doch dann rappelte er sich wieder auf und zwang sich dazu, weiterzugehen.

Die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt, als Magnus’ Körper nicht mehr konnte und er zu Boden stürzte. Er versuchte, sich an einem Baumstamm festzuhalten, doch die Erde kam ihm unweigerlich entgegen. Im nächsten Moment fiel sein Kopf hart auf den Boden. Höllische Schmerzen durchzuckten jede Faser seines Körpers. Magnus wurde klar, dass er sich ausruhen musste, doch er konnte nicht mitten auf dem Boden liegen bleiben. Mühsam hob er seinen Kopf so weit, dass er sich umsehen konnte. Nicht weit von sich entfernt entdeckte er die ausladenden Äste einer alten Fichte. Auf allen vieren schleppte er sich in den Schutz der Äste, die unmittelbar über dem Boden wuchsen. Er konnte nicht einmal mehr das Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken ziehen. Erschöpft fiel Magnus hin und sank in einen Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit glich.

Als er mehrere Stunden später hochschreckte, hatte Magnus sämtliches Zeitgefühl verloren. Die Sonne stand hoch am Himmel. Dennoch kam es ihm vor, als sei er gerade erst unter die Äste der Fichte gekrochen. Sein Herz klopfte wild. Dennoch blieb er ganz ruhig. Eine unbedachte Bewegung konnte möglicherweise seinen Tod bedeuten. Ein Flattern in einem Gebüsch direkt außerhalb seines Verstecks ließ ihn aufmerken. Magnus sah, wie sich zwei Spatzen kurz balgten. Als der eine davonflog, verließ auch der andere das Gebüsch.

Magnus seufzte und ließ sich wieder auf den Boden sinken. Jetzt lag er wieder genauso da, wie er in der Nacht unter den Tannenästen zusammengebrochen war. Tau glitzerte auf seiner noch immer feuchten Kleidung. Er sah, wie sein Atem in der kalten Luft kleine Nebelwolken bildete. Der erste Frost würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Es blieb ihm also nicht mehr viel Zeit, um herauszufinden, wer er war und zu wem er gehörte.

Magnus.

Der Name ging ihm durch den Kopf, ohne dass er irgendetwas damit verbinden konnte. Wenn das tatsächlich sein Name war, müsste er sich dann nicht an irgendetwas erinnern? Aber je mehr er sich um irgendeine Erinnerung bemühte, desto stärker wurde der pochende Schmerz in seinem Kopf. Langsam versuchte Magnus sich aufzurichten, bis er endlich aufrecht saß. Um den Schwindel zu bekämpfen, hielt er die Augen fest auf einen Punkt gerichtet. Dann tastete er mit einer Hand nach der Wunde an seiner Stirn. Sie war so empfindlich, dass er bei der ersten Berührung vor Schmerz zusammenzuckte. Auch am Hinterkopf spürte er eine Verletzung. Möglich, dass sie von dem Sturz auf der Lichtung stammte, als er inmitten all der Toten die Besinnung verloren hatte. Doch solange er damit rechnen musste, verfolgt zu werden, konnte er seinen Verletzungen nicht mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig schenken.

Magnus strich sich durch seine schulterlangen Haare. Die musste er dringend loswerden. Alle Toten auf der Lichtung hatten lange Haare und Bärte gehabt. Er zog den Dolch aus dem Riemen im Stiefel und machte sich daran, seine Haare abzuschneiden. Blonde, von Blut und Dreck verkrustete Strähnen fielen zu Boden. Als er mit den Haaren fertig war, widmete er sich seinem Bart. Allerdings musste er rasch einsehen, dass er mit dem Dolch keine glatte Rasur hinbekommen würde.

Durst trieb Magnus zum Fluss zurück. Der Weg bis dorthin kam ihm unendlich vor. Als er ihn endlich erreichte, nahm er einen großen Schluck Wasser. Dann tauchte er seinen Kopf ins kalte Wasser und versuchte vorsichtig, sich das Blut abzuwaschen.

Obgleich der Wald besseren Schutz bot, beschloss Magnus, seinen Weg im Fluss fortzusetzen. Falls jemand seine Spuren vom Fluss zu der Fichte entdecken sollte, würde dieser Jemand hoffentlich weiter der eingeschlagenen Richtung folgen und nicht etwa wieder zum Fluss zurückkehren.

Den Rest des Tages kämpfte er sich unermüdlich weiter durch das eiskalte Wasser und verließ den Fluss nur, wenn die Kälte unerträglich wurde. Erst bei Einbruch der Dunkelheit schlug er sich wieder in den Wald und suchte einen schützenden Baum. Erschöpft ließ Magnus sich niedersinken. Wollte er bei Kräften bleiben, brauchte er dringend etwas zu essen, doch darum würde er sich morgen kümmern.

2. KAPITEL

Tränen stiegen Aisly in die Augen, sie blinzelte und attackierte mit ihrem Spaten erneut den Boden, um die Heidelbeeren herauszureißen. Doch die störrischen Dinger widersetzten sich. Der Morgen neigte sich dem Ende zu, und da der Weg zurück lang war, wurde die Zeit langsam knapp. Sie hatte ihre Lehrmädchen mit dem Auftrag zurückgelassen, einige Kleider zu säumen, mit einem Stich, den sie ihnen bereits vor Monaten beigebracht hatte. Aber wenn sie nicht bald wieder zu Hause war, würden die Mädchen ihre Abwesenheit mit Sicherheit ausnutzen und lieber draußen in der Sonne faulenzen, statt ihrer Arbeit nachzugehen. Dann wäre kostbare Zeit verloren.

Und das konnte sie sich nicht leisten, wollte sie der Äbtissin die Sachen zum vereinbarten Termin liefern. Es war ihr gegenüber ohnehin schon mehr oder weniger offen angedeutet worden, dass der Lohn, den Aisly verlangte, an Sünde grenzte und dass eine fromme Frau es als Gunst ansehen solle, im Dienste Gottes für die Abtei zu arbeiten. Wenn Aisly ihr nun die Sachen zu spät lieferte, würde die Äbtissin keinerlei Skrupel verspüren, ihr den Lohn zu kürzen. Doch im Gegensatz zu den barmherzigen Dienerinnen Gottes sah Aisly ihre Stickarbeit keineswegs als ein Geschenk zur Ehre Gottes an. Vielmehr war diese Arbeit für sie die einzige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und diese Möglichkeit schien mit jedem Tag größerer Gefahr ausgesetzt.

Das war die eigentliche Ursache für ihre Tränen und der Grund, weshalb sie so heftig auf die Wurzeln der Heidelbeeren einhackte und an der Pflanze zerrte, bis diese schließlich nachgaben und Aisly rückwärts auf den Boden fiel. Deshalb war sie in den Wald geflohen, anstatt zu Hause die Fertigstellung des Auftrags zu überwachen. Sie hatte nicht gewollt, dass irgendjemand ihre Tränen sah. Am Morgen hatten ihre monatlichen Blutungen eingesetzt und ihr verraten, dass sie kein Kind in sich trug. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Ohne Kind würde nichts ihren Schwiegervater davon abhalten, sie aus dem Haus ihres verstorbenen Mannes zu werfen. Und das, obwohl es bei ihrer und Godrics Heirat ein Abkommen gegeben hatte, welches ihr ein Anrecht auf das gemeinsame Haus sicherte. Sie hatten es am Tag der Hochzeit in Lord Oswines Gegenwart unterzeichnet, doch nun war es nicht mehr auffindbar. Es hätte bei Godrics Sachen sein müssen. Aber sooft sie auch alles durchsuchte, es war und blieb verschwunden. Sie glaubte kaum, dass sich Godrics Vater Wulfric großzügig zeigen würde. Ein Kind hätte ihr Anrecht auf den Besitz gestärkt. Aber so? Wenn Wulfric sie aus dem Haus werfen würde, hätte sie auch keine Möglichkeit mehr, Aufträge für die Abtei anzunehmen. Wo sollten sie und die Mädchen die Arbeiten denn ausführen? Sie brauchte das Haus.

Aisly rang um Fassung und suchte am Boden zwischen den Blättern nach ihrem Beutel. Es war töricht zu weinen und half nicht im Geringsten, also wischte Aisly mit dem Handrücken ärgerlich die Tränen weg. Es brachte nichts, sich den Kopf über Godrics Vater zu zerbrechen und darüber, ob er seine Drohung tatsächlich wahrmachen würde. Zumindest brachte es jetzt noch nichts. Noch blieben ihr Monate, bevor er sie aus dem Haus weisen konnte, und es war keineswegs gesagt, dass der Ältestenrat ihm freie Hand lassen würde.

Und selbst wenn die Dorfältesten ihn unterstützen würde, müsste auch noch Lord Oswine einwilligen, der die Vormundschaft für Aisly und ihren Bruder übernommen hatte, nachdem deren Eltern am Fieber gestorben waren. Lord Oswine hatte sie in seinen Haushalt aufgenommen. Und auch wenn er sie mehr wie Diener denn wie Kinder behandelt hatte, so war er doch seiner Verantwortung als Vormund stets nachgekommen. Deshalb war er auch zu Aislys Heirat gekommen und hatte das Abkommen zwischen ihnen bezeugt.

Endlich fand Aisly ihren Beutel zwischen dem heruntergefallenen Laub, stopfte die Pflanzen hinein und zog das Band zu. Es war wahrscheinlich ein wenig unbedarft zu glauben, sie könnte die Heidelbeeren zu Hause einfach wieder einpflanzen. Aber sie wollte versuchen, mit dem Saft der Früchte ihr Garn selbst zu färben, statt das teure gefärbte Garn kaufen zu müssen.

Aisly befestigte den Spaten an ihrem Gürtel, nahm Godrics altes Schwert und machte sich auf den Weg zurück ins Dorf. Das kalte Metall in ihren Händen vermittelte ihr ein größeres Gefühl der Sicherheit, als ihr verstorbener Mann es je vermocht hatte. Auch wenn es nur das kleine Schwert war, mit dem Godric als Junge geübt hatte. Sein großes Schwert hatten ihm die Dänen abgenommen, als Godric versucht hatte, mit ihnen zu verhandeln. Ein Versuch, der ihm den Tod gebracht hatte. Und dann hatten die Dänen auch noch die Frechheit besessen, von Aisly eine Entschädigung für das Feuer zu verlangen, das Godric angeblich gelegt hatte. All ihre Ersparnisse hatte sie ihnen aushändigen müssen, sogar ihre Wandteppiche, ihren Wollvorrat und fast alle Schafe hatten die Dänen ihr weggenommen. Am wenigsten schmerzhaft war der Verlust der Schafe gewesen, denn es gab genug Schafe im Dorf. Aber der Verlust der Wolle hatte sie getroffen. Sie brauchte die Wolle, damit sie im Winter Stoff weben konnte, um ihn im Frühjahr zu verkaufen.

Noch mehr hatte es sie allerdings geschmerzt, dass die Dänen ihr die Wandteppiche ihrer Mutter genommen hatten. Über Heiraford hinaus war ihre Mutter als Stickerin bekannt gewesen, und die Teppiche hatten einen beträchtlichen Wert. Aber nicht deswegen vermisste Aisly die Stücke, sondern weil die Teppiche die einzige verbliebene Erinnerung an ihre geliebte Mutter waren. Aisly war erst acht Jahre alt gewesen, als ihre Mutter gestorben war, sodass ihre Erinnerungen manchmal ein wenig verschwommen waren. Ganz deutlich erinnerte sie sich allerdings daran, wie ihre Mutter ihr mit ruhiger Hand das Sticken beigebracht hatte. Nach ihrem Tod hatte Aisly immer wieder versucht, die Muster der Wandteppiche nachzumachen. Aisly erinnerte sich an den Morgen, an dem die Dänen an ihre Tür gehämmert, und wie sie ihren Mann beschuldigt hatten. Dafür habe er mit seinem Leben bezahlt, hatten sie ihr eröffnet. Und dann waren sie in ihr Haus eingedrungen und hatten ihr die Dinge genommen, die ihr am kostbarsten gewesen waren.

An manchen Tagen hatte sie beinahe Gewissensbisse, dass sie mehr über den Verlust der Teppiche trauerte als über den ihres Mannes. Doch ihr Leben als Witwe war weit angenehmer, als es ihr Leben an Godrics Seite gewesen war. Schon kurz nach seinem Tod hatte sie sich geschworen, nie wieder zu heiraten, sich nie wieder einem tyrannischen Mann zu beugen. Aisly wusste, dass sie mit dieser Entscheidung auch auf den Schutz eines Mannes würde verzichten müssen. Aber ihr Bruder Alstan war einer von Lord Oswines besten Kriegern, und sie hatte ihn überzeugen können, ihr die Grundzüge des Schwertkampfes beizubringen. Natürlich hatte sie noch sehr viel zu lernen, aber immerhin fühlte sich die Waffe mittlerweile schon nicht mehr ganz so fremd in ihren Händen an. Auch wenn das kleine Schwert lange nicht so gefährlich war wie ein richtiges und einem Angreifer vermutlich kaum schwerere Wunden zufügen konnte – um sich zur Wehr zu setzen, war es besser als nichts. Inzwischen zitterte sie auch nicht mehr so wie noch vor einigen Wochen, als sie das Schwert zum ersten Mal in die Hände genommen hatte.

Während Aisly durch den Wald nach Hause zurückkehrte, probierte sie einige Hiebe und Paraden aus. Zischend durchteilte die Klinge die Luft. Wer weiß, vielleicht würde sie es eines Tages tatsächlich mit einem echten Gegner aufnehmen können. Lächelnd musterte sie einen Ast, holte in einer halbkreisartigen Bewegung aus und durchtrennte das Holz mit einem Hieb. Ein großartiges Gefühl.

Nachdem sie einige Äste und Zweige mit wohl gesetzten Schwerthieben abgeschlagen hatte, fühlte sich Aisly wieder hoffnungsvoller. Immerhin tat sie überhaupt etwas für ihre Unabhängigkeit, so unzureichend es letztlich sein mochte. Wenn sie unter Beweis stellen konnte, dass sie in der Lage war, sich selbst zu versorgen und zu schützen, würden Cuthbert und die anderen Dorfältesten vielleicht darauf verzichten, ihr eine neue Ehe aufzuzwingen. Und wenn sie erst mal die Dorfältesten auf ihrer Seite hatte, würden ihr Bruder und ihr Vormund bestimmt einverstanden sein. Aisly selbst zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass sie auch alleine zurechtkommen würde.

Nur einen Wermutstropfen gab es: Sie würde nie Kinder haben. Unbewusst legte sie sich die Hand auf den flachen Bauch. Natürlich betrübte sie dieser Gedanke. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie Kinder und eine richtige Familie gewollt. Bei Lord Oswine hatten sie und ihr Bruder nie einen Ersatz für das gefunden, was ihnen das Schicksal mit dem Tod ihrer Eltern geraubt hatte. Und obgleich es eine Ewigkeit her zu sein schien, erinnerte sie sich noch genau an die Nächte am Ofen, in denen ihre Mutter ihr das Sticken beigebracht oder ihr Vater ihnen Geschichten erzählt hatte. Bei der Heirat mit Godric, den sie schon kannte, seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie gehofft, endlich wieder eine Familie zu bekommen. Doch irgendwann hatte sie einsehen müssen, dass sich diese Hoffnung nie erfüllen würde. Godrics Gedanken galten der Ernte, den Erlösen aus Aislys Stickereien oder den Dänen … einfach allem, aber nicht ihr. Es hatte nicht lange gedauert, und sie war froh gewesen, wenn er nachts nicht heimkam.

Aisly verzog das Gesicht. Sie wusste, dass es verwerflich war, von einem Toten schlecht zu denken. Godric war alles andere als ein guter Ehemann gewesen, aber es gab auch weitaus schlechtere und alles in allem hätte sie es schlimmer treffen können. Aisly schüttelte ihre Gedanken ab und kletterte vorsichtig den Abhang zum Fluss hinunter. Auf dem ausgetretenen Pfad entlang des Ufers würde sie schneller vorankommen als im Wald. Allerdings wäre sie dort unten auch leichter zu entdecken als im Schutz der Bäume. Doch seit dem Sommer hatte es keine weiteren Angriffe der Dänen mehr gegeben.

Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als Aisly am anderen Ufer einen Mann entdeckte, der in gebückter Haltung irgendetwas zu suchen schien. Aisly erkannte lange dunkelblonde Haare und einen ausgesprochen muskulösen Körperbau. Das Herz schlug ihr vor Schreck bis zur Kehle.

Ein Däne.

Ein Blick auf sein Kettenhemd räumte auch den letzten Zweifel an seiner Herkunft aus, denn so eine Rüstung hatten die Dänen auch an dem Tag getragen, an dem Godric ermordet worden war. Der Mann trug auch die gleichen goldenen Armreifen. In Aisly stieg Furcht auf. Es war dieselbe überwältigende Furcht wie an jenem Tag, als die Dänen einfach in ihr Haus eingedrungen waren und sie, Aisly, ihnen schutzlos ausgeliefert gewesen war. Gott allein weiß, was die Männer alles mit ihr hätten anstellen können, und niemand aus dem Dorf hätte eingegriffen. Denn jedem war klar, dass inzwischen die Dänen die wahren Herrscher waren. Godric hatte geschimpft, selbst der König sei sich nicht mehr zu schade, Abgaben für die Dänen einzutreiben. Nicht zuletzt deshalb hatte Godric ergebene Männer um sich versammelt, mit denen er die Nordmänner vertreiben wollte.

Noch hatte der Fremde Aisly nicht entdeckt, und als ihr Atem sich wieder beruhigte, schlich sie langsam vom Ufer weg. Sie musste es nur unbemerkt in den Wald schaffen. Vorsichtig setzte Aisly ihre Füße, um jedes Geräusch zu vermeiden. Doch das Glück, das ihr in letzter Zeit nicht gerade gewogen gewesen war, schien ihr auch heute nicht hold zu sein. Nach ein paar Schritten rutschte sie auf einem der losen Steine aus und geriet ins Straucheln.

Aisly sah, wie der Mann am anderen Flussufer hochfuhr und sich zu ihr umdrehte. Sein finsterer Blick war beängstigend. Für einen Moment war Aisly vor Furcht wie gelähmt, dann drehte sie sich um und rannte los. Dieser Mann war nicht nur irgendein Däne, nein, Aisly war sich sicher, dass er zu den Gesetzlosen gehörte, die seit einiger Zeit in der Gegend ihr Unwesen trieben. Viele von ihnen waren auch Dänen, aber diese hier wollten sich niemandem unterordnen, nicht einmal ihren eigenen Landsleuten, die sich hier niedergelassen hatten. Auf ihren Streifzügen raubten sie meistens Schafe, Getreide, Waffen und Schmuck. Aber im Spätsommer hatten sie aus ihrem Dorf zwei Mädchen mitgenommen. Es wäre die Pflicht der dänischen Neuankömmlinge gewesen, den Dorfbewohnern bei ihrer Suche zu helfen. Aber sie hatten sich geweigert.

Der Mann jenseits des Flusses gehörte zu diesen Geächteten, nicht zu den Dänen, die sich hier angesiedelt hatten, daran bestand für Aisly kein Zweifel. Als sie einmal Vertreter der dänischen Siedlung gesehen hatte, hatten diese auf sie zumindest äußerlich einen gepflegten und manierlichen Eindruck gemacht. Der Fremde am Fluss dagegen wirkte ungepflegt und barbarisch. Sie hatte in seinem Blick gesehen, dass er jeden, der ihm zu nahe kam, in Stücke reißen würde.

Aisly rang nach Luft und rutschte erneut auf den glatten und losen Steinen aus. Unwillkürlich griff sie mit der Hand, in der sie ihr Schwert hielt, nach Halt. Dabei entglitt ihr die Waffe. Sie sah, wie der Mann in den Fluss sprang und mit kräftigen Armbewegungen das Wasser durchpflügte. Aislys Herz raste. Sie wusste, dass es zwecklos war, weiterzulaufen. Ihre einzige Chance war es, sich dem Mann hier am Flussufer entgegenzustellen. Sie hob das Schwert auf, nahm es in beide Händen und suchte mit ihren Füßen nach einem sicheren Stand. Dann sah sie ihm entschlossen entgegen. Als der Mann sich dem Ufer näherte, wurden seine Bewegungen ruhiger. Er verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen und Aisly sah inmitten des dichten, an den Seiten zu Zöpfen geflochtenen Bartes weiße Zähne aufblitzen. Sie bemerkte dunkle waagerechte Linien in seinen Zähnen. Angeblich das Kennzeichen der Gesetzlosen, so hatte sie gehört.

Der Mann zog noch nicht einmal seine Waffe, als er näherkam. Allein das machte Aisly wütend. Und genau diese Wut verlieh ihr plötzlich eine ungeheure Kraft. Aisly hob ihr Schwert hoch über den Kopf. Noch zehn Schritte, schätze sie, dann würde er bei ihr sein. Still zählte sie mit. Sie musste den Moment abpassen, an dem sie ihn mit einem Schwerthieb treffen konnte, ohne Gefahr zu laufen, selber in seine Fänge zu geraten. Das bedeutete, sie durfte ihn nicht näher als eine Armeslänge an sich heranlassen. Sie musste genau diesen Moment abpassen, das war ihre einzige Chance.

Acht.

Ihre Hände schlossen sich fest um den Schwertgriff.

Sieben.

Sie fühlte, ob die Füße Halt hatten.

Sechs.

Noch drei Schritte, dann würde sie tief Luft holen … und erst wieder mit dem Hieb ausatmen. Wieder sah sie das verächtliche Grinsen in seinem Gesicht.

Fünf.

Plötzlich nahm Aisly aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahr. Kaum einen Atemzug später tauchte ein Mann aus dem Gebüsch auf, ein Schwert in beiden Händen wie zum Angriff haltend, und schlich vorsichtig hinter den Gesetzlosen. Sie zwang sich, ihren Blick auf die Gestalt vor ihr zu richten und weiterzuzählen.

Vier.

Für einen Augenblick wanderte ihr Blick abermals zu dem Mann hinter ihm. Gehörten die beiden zusammen? Wollte er seinem Freund nur zur Hilfe kommen? Mit einem angedeuteten Kopfschütteln bedeutete er ihr, still zu sein. Sein Schwert mit beiden Händen umfassend, holte er weit aus. Aisly blickte wieder auf den Gesetzlosen vor ihr, der inzwischen so nahe war, dass sie den dunklen Rand seiner blauen Iris erkennen konnte.

Drei.

Ein letztes Mal bewegte sie die Finger am Schwertgriff, um sie noch fester zu schließen, und betete, dass Gott ihr Kraft verleihen möge. Der Mann vor ihr riss seinen Mund auf und stieß einen Laut aus, der dem Heulen eines Wolfes glich.

Zwei.

Aisly holte zum Schlag aus, doch genau in diesem Moment drehte der Geächtete sich um und wehrte den Schwerthieb des Mannes ab, der hinter ihm war. Hatte ihm Aislys Blick verraten, dass jemand hinter ihm war? Entsetzt sah sie, wie der Gesetzlose sich auf den Fremden stürzte. Alles in ihr drängte danach, davonzurennen, so weit wie möglich weg von diesem Kampf auf Leben und Tod. Aber ihre Füße waren wie festgewachsen.

Beide Männer waren etwa gleich groß und kräftig. Ihre beeindruckenden Muskeln schwollen durch die Anstrengung noch weiter an. Doch während die Bewegungen des Gesetzlosen fast hölzern wirkten, bewegte sich der Fremde mit einer ungeheuren Geschmeidigkeit. Seine Füße schienen den Boden kaum zu berühren, als er sich in einem Halbkreis um seinen Gegner bewegte und sich zwischen ihn und Aisly brachte. Der Gesetzlose stieß abermals einen tierischen Schrei aus, doch genau in dem Moment versetzte der Fremde ihm einen Schlag mit seinem Schwert. Der Schrei erstarb gurgelnd, die Augen des Getroffenen weiteten sich zu einem erstaunten Blick, dann sank er zu Boden.

Aisly musterte den Unbekannten, ohne allerdings den Griff um ihr Schwert zu lockern. Noch wusste sie nicht, ob nicht auch er sich als Bedrohung erweisen würde. Er verharrte in seiner Bewegung, bis er sicher war, dass von dem Mann vor ihm keine Gefahr mehr ausging, dann hob er den Kopf und richtete seine dunkelbraunen Augen auf Aisly. Obwohl er sich ihr mit keinem Schritt näherte, blieb sie misstrauisch. Sein Blick war alles andere als drohend, aber ihre Erfahrung mit Godric hatte sie gelehrt, vorsichtig zu sein.

„Bleibt, wo Ihr seid“, rief sie aus, als er vorsichtig einen Schritt nach vorne tat.

Der Fremde legte seinen Kopf ein wenig schräg und zog die Brauen zusammen, den Blick unverwandt auf sie gerichtet. Noch immer ohne ein Wort zu sagen, deutete er auf den Mann zu seinen Füßen. Aisly wich einen Schritt zurück und nickte ihm zu. Er nahm dem Toten die Waffen ab. Nun, da der Mann unschädlich gemacht worden war, wurde Aisly plötzlich übel, alle Kraft schien aus ihr zu schwinden und sie konnte ihre Arme nicht mehr unter Kontrolle halten, sodass das Schwert in ihren Händen anfing zu zittern. Der Unbekannte warf ihr einen Blick zu, ließ Schwert und Dolch, die er dem Toten abgenommen hatte, fallen und streckte Aisly die nach oben gewandten Handflächen entgegen, um ihr zu zeigen, dass er unbewaffnet war.

Langsam beruhigte sich ihr Atem wieder, und sie senkte die Arme, hielt aber weiterhin den Griff ihres Schwerts umklammert, während sie den Blick nicht von dem Fremden wandte. Ein Däne war er nicht. Zumindest glaubte sie das. Er war von imposanter Statur, hatte ein sehr attraktives Gesicht, aber einen wirklich eigenartigen Haarschnitt. Seine dunkelblonden Haare standen in Büscheln vom Kopf ab. Und abgesehen von ein paar Stoppeln am Kinn war er ohne Bart. Über seine Stirn zog sich eine blutverkrustete Wunde bis zur linken Augenbraue. Sie schien bereits einige Tage alt zu sein und sah aus, als müsste sie dringend behandelt werden.

Er trug kein Kettenhemd, nur eine schlichte braune Tunika mit ein paar Stickereien am oberen Rand und einem Wappen an der Schulter, das einen stilisierten Vogel darzustellen schien. Das Wappen kam Aisly irgendwie bekannt vor. Es war keine dänische Tunika, vielmehr hatte sie eine ganz ähnliche Kleidung einmal bei einem fränkischen Söldner gesehen. Doch der Mann vor ihr sah nicht aus wie ein Franke. Doch natürlich konnte er auch von woanders stammen.

„Wer seid Ihr?“, fragte sie.

Er runzelte die Stirn und hielt den Blick auf ihren Mund gerichtet, als hätte er sie nicht verstanden. „Euer Name? Wie heißt Ihr? Ich heiße Aisly.“ Sie bemühte sich um eine feste Stimme.

Immer noch gab er ihr keine Antwort. Vielleicht hatte sie sich geirrt und er war gar kein Söldner? Ein Söldner musste Angelsächsisch sprechen, wenn er eine Anstellung finden wollte. Aber offenbar verstand dieser Mann sie nicht. Folglich musste er ein Fremder sein, der hier nichts zu suchen hatte. Sie vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, ob sich nicht noch andere im Wald versteckt hielten. Dabei schloss sie ihre Hände wieder fester um den Griff ihres Schwertes. Sollte er Böses im Sinn haben, würde er kaum alleine gekommen sein.

„Keine Sorge.“ Er streckte ihr eine Hand entgegen, ohne jedoch näherzukommen. „Ich werde Euch nichts tun.“ Seine Stimme war rau und stockend, als habe er sehr lange nicht gesprochen, und er sprach mit Akzent. „Ich weiß nicht, wer ich bin.“ Er deutete auf die Wunde an seinem Kopf.

Die Verletzung sah schlimm aus. Aber die Wunde und die Schwellung waren nicht alles, vielmehr sah Aisly nun auch, dass sein Gesicht unnatürlich blass war und ihm Schweißtropfen auf der Stirn standen. Sie hatte einmal gehört, dass ein Mann von einem Ochsen getreten worden war und danach nicht mehr sprechen konnte. Aber konnte eine Verletzung am Kopf auch dazu führen, dass jemand vergaß, wer er war?

„Ihr wisst Euren Namen nicht?“

Er schluckte, dann schüttelte er knapp den Kopf. Doch das schien ihm so heftige Schmerzen zu verursachen, dass er qualvoll das Gesicht verzog und die Augen schloss. Für einen Moment schien er das Gleichgewicht zu verlieren. Dann fasste er sich wieder, öffnete die Augen und sah sie durchdringend an. „Ich weiß nur, dass dieser Mann hinter mir her war und mich töten wollte. Ihr habt mir einen Vorteil verschafft. Danke.“

Langsam senkte sie ihr Schwert. „Ihr habt mich gerettet. Ich bin es, die Euch Dank schuldet.“

„Ihr wäret nie in Gefahr geraten, wenn ich ihn nicht hierhergeführt hätte.“ Seine Stimme war zwar heiser, aber alles andere als unangenehm. „Ich muss weiter. Vielleicht sind mir noch mehr Männer auf der Spur, und ich will Euch nicht weiteren Gefahren aussetzen.“

Er hob sein Schwert auf und trat vorsichtig zwei, drei Schritte zurück, bevor er ihr zunickte und sich umdrehte. Die Leichtfüßigkeit seiner Bewegungen von zuvor war verflogen. Seine Schritte waren schwer, als sei er erschöpft. Er stolperte sogar, fing sich aber sofort wieder. Es schien, als würde er seinen Weg einfach so fortsetzen wollen. Dabei hatte er ihr gerade das Leben gerettet. Sie sah das Spiel seiner Muskeln, als er sein Schwert in die Scheide zwischen seinen Schulterblättern gleiten ließ. Ein echter Krieger. Seine Hand am Schwertgriff war groß und kräftig und hatte einige Narben. Die Hand eines erfahrenen Kämpfers.

„Wartet!“

Er blieb stehen und wandte den Kopf in ihre Richtung, sodass sie sein Profil sah. Es war ein äußerst attraktives Profil. Und sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken, weshalb der Anblick dieser leicht zurückweichenden Stirn und der scharf geschnittenen Nase bei ihr ein derart heißes Gefühl im Bauch hervorrief.

„Ihr solltet Euch ausruhen, bevor Ihr weiterzieht.“

„Mit mir ist nichts. Ich wäre Euch allerdings sehr verbunden, wenn Ihr mir verraten würdet, wo ich hier bin.“

Wie konnte es sein, dass ein derart wehrhafter Krieger nicht wusste, wo er war? Die Sache war höchst merkwürdig. „Ein paar Stunden von hier mündet dieser Fluss in den Tyne. Und nicht weit von hier ist mein Dorf Heiraford.“ Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich weiter von ihrem Dorf entfernt als bis zu dem etwa einen halben Tagesmarsch entfernt gelegenen Besitz von Lord Oswine. Und gelegentlich führte ihr Weg sie nach Norden zur Abtei. Direkt südlich von der Abtei, an einer Gabelung des Tyne, hatten sich die Dänen niedergelassen, aber das musste sie dem Fremden gegenüber wahrscheinlich nicht erwähnen, da er ohnehin den Weg nach Norden eingeschlagen hatte. Der Mann nickte ihr zum Dank zu und sie fragte ihn: „Hat der Mann Euch diese Verletzungen zugefügt? Sie sehen schlimm aus.“

Ohne zu antworten, wandte er seinen Kopf wieder nach vorne und schien weitergehen zu wollen, doch er strauchelte. Erschrocken ließ Aisly ihr Schwert in die kurze Scheide an ihrem Gürtel gleiten und eilte zu ihm. Stützend legte sie einen Arm um ihn. Dabei spürte sie seine festen Muskeln.

„Wann habt Ihr zuletzt etwas gegessen?“

Er stieß den Atem aus. Oder lachte er? „Ich weiß es nicht“, erklärte er. „Vorgestern Abend bin ich wieder zu Bewusstsein gekommen. An das, was davor war, kann ich mich nicht mehr erinnern.“

„Und Ihr habt keine Ahnung, weshalb dieser Mann hinter euch her war und Euch töten wollte?“

Er grinste etwas schief. „Man sollte meinen, dass ich den Kerl kenne, aber ich kann mich beim besten Willen nicht an ihn erinnern.“

Sie holte tief Luft und überlegte, ob es wohl klug wäre, ihn zu sich nach Hause einzuladen. Er war verletzt und er hatte sie gerettet. Aber erst die Angriffe der Dänen, dann die Überfälle der Gesetzlosen … die Bewohner im Dorf fürchteten sich vor Fremden. So richtig es sein mochte, ihm helfen zu wollen, die Dorfältesten würden dagegen sein. Und sie konnte es sich nicht leisten, sie zu verärgern.

Aber sie konnte nicht anders. „Kommt mit mir. Ihr habt mich gerettet. Dafür schulde ich Euch zumindest etwas zu essen.“

Ganz unvermittelt und mit einem kleinen Lächeln berührte er sanft ihre Wange. Diese zarte Berührung löste ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Körper aus. „Meine kleine Waldfee. Ich werde Euch keiner weiteren Gefahr aussetzen.“

Dass diese große, schwielige und offenbar kampferfahrene Hand zu einer so zärtlichen Bewegung überhaupt fähig war, verwirrte sie. Und nur mit äußerster Willenskraft gelang es Aisly, den Kopf abzuwenden und sich seiner Berührung zu entziehen. Es dauerte einen Moment, bis sie die Sprache wiedergefunden hatte. „Mir droht keine Gefahr. Kommt mit. Mein Dorf und mein Haus sind nicht weit von hier.“ Sie deutete mit dem Kopf auf den Toten und stellte fest: „Dieses Pack macht uns schon seit Monaten das Leben schwer. Und dank Euch gibt es jetzt einen weniger.“

Er wirkte unentschlossen und Aisly legte erneut stützend einen Arm um ihn. „Bleibt zumindest so lange, bis Ihr wieder zu Kräften gekommen seid. Ihr werdet Eure Kraft noch brauchen.“

Sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihm machen sollte, wenn sie erst mal am Dorf angelangt waren. Wulfric und die anderen durften nichts von seiner Anwesenheit mitbekommen. Aber wie sollte sie ihn unbemerkt in ihr Haus bringen? Und falls ihn jemand entdeckte, wie sollte sie erklären, dass sie einen fremden Mann in ihrem Haus beherbergte? Das wäre für Wulfric die Gelegenheit, ihr das Haus wegzunehmen. Aber sie konnte ihn auch nicht hier zurücklassen.

„Ich könnte in der Tat etwas zu essen gebrauchen. Habt Dank.“ Zögernd legte er ihr einen Arm um die Schulter und zog sie etwas an sich, um sich abstützen zu können.

Sie gaben ein seltsames Paar ab, wie sie sich in schleppendem Tempo vom Fluss weg Richtung Dorf in den Wald hinein begaben. Aisly betete insgeheim, dass sie nicht einen gewaltigen Fehler beging.

3. KAPITEL

Magnus.

Der Name ging ihm durch den Kopf, als er den Arm um die Frau neben sich legte. In seinen Ohren klang er immer noch genauso fremd wie beim ersten Mal, da er ihn gehört hatte. Aber mittlerweile war er überzeugt, dass es sein Name sein musste. Sein Verfolger konnte keinen Grund gehabt haben, ihn bei einem falschen Namen zu rufen, insbesondere, da er nicht wissen konnte, dass Magnus sein Gedächtnis verloren hatte. Den Anflug von schlechtem Gewissen, die Frau angelogen zu haben, verdrängte er sofort wieder. Besser, er nannte ihr seinen Namen nicht, solange er nicht wusste, wo oder wer er war. Es war nicht klug, voreilig irgendetwas preisgeben, zumindest nicht, solange er nicht wusste, ob er der Frau neben sich vertrauen konnte.

Die Wunde auf seiner Stirn schien sich entzündet zu haben und er fühlte sich fiebrig. Die Alternative war einfach: Entweder würde er sich weiter durch den Wald schleppen, bis er irgendwo zusammenbrach und verreckte, oder er ging das Risiko ein, mit ihr in ihr Dorf zu kommen. Bei der zweiten Alternative bestand immerhin die Möglichkeit, dass er überlebte. Und falls er doch starb, dann wenigstens mit einer schönen Frau an seiner Seite. Er sah, wie sie sich vor Anstrengung auf die Unterlippe biss, während sie ihm einen kleinen Hügel hinaufhalf. Und als er sie unwillkürlich fester umfasste, spürte er ihren weichen und wohlgeformten Körper.

Oben auf dem Hügel hielt er einen Moment erschöpft inne. Sein Blick fiel auf ihr Gesicht. Er sah die sinnlichen Lippen, den Schwung ihrer Wangenknochen, ihre Augen, deren Farbe ihn an die Farbe von Moos nach einem Sommerregen erinnerte, die sanft geschwungenen rotgoldenen Wimpern. Sie musste gespürt haben, dass er sie ansah, denn sie hob den Kopf und begegnete seinem Blick. Doch nur für einen Moment. Dann wandte sie sich erschrocken ab. Magnus sah, dass sie errötete. Aber das hielt ihn nicht davon ab, sie weiter anzusehen. Sommersprossen überzogen ihr Gesicht auf Höhe der Wangen. Ihr üppiges kupferfarbenes Haar hatte sie mit einem Kopftuch zurückgebunden. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und umspielten ihr Gesicht. Ohne Frage, sie war eine Schönheit.

Sie wandte sich ihm erneut zu und sah ihm in die Augen. Und diesmal hielt sie seinem Blick stand. Nur mühsam gelang es ihm, seine Aufmerksamkeit endlich auf die Umgebung um ihn herum zu richten. Der Wald war ein ideales Versteck für Angreifer. Er konnte es sich nicht leisten unvorsichtig zu werden. Aber genau dazu verleitete ihn die Schönheit neben ihm.

Als sie ihren Weg fortsetzten, brauchte Magnus lange, bis ihm die richtigen Worte einfielen. Und das ärgerte ihn. Oder war dies gar nicht seine Sprache? „Wie weit ist es noch bis zu Eurem Dorf?“ Der Weg, den sie bis hierher zurückgelegt hatten, kam ihm lang vor.

„Ein Stückchen ist es schon. Aber wir können anhalten, wenn Ihr eine Rast braucht.“

Magnus unterdrückte ein Lachen und schüttelte den Kopf. Sofort durchzuckten ihn wieder höllische Schmerzen und zwangen ihn, den Kopf ruhig zu halten. Der Frau schien es nichts auszumachen, dass sie womöglich seinen Stolz verletzte. „Ich schaffe es schon, keine Sorge. Aber wie kommt es, dass Ihr Euch ohne Begleitung so weit von Eurem Dorf entfernt?“

„Ich bin vielleicht alleine, aber nicht ungeschützt. Ich habe mein Schwert.“

Er hätte ihr vorhalten können, wie wenig ihr das Schwert gegen den Gesetzlosen genützt hätte. Aber das verkniff er sich lieber.

Aisly sah ihn an. „Ihr glaubt also, dass ich nicht mit ihm fertiggeworden wäre.“ Sie sprach es nicht als Frage aus.

Autor

Harper St. George
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