Wilde Küsse, weites Land

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Kate ist zurück in Australien! Jahre ist es her, dass Noah die schöne Engländerin zum letzten Mal sah – und zum ersten Mal küsste. Sofort sprühen wieder sinnliche Funken zwischen ihnen. Doch kann ausgerechnet eine Städterin wie sie ihm helfen, seine Farm im Outback zu retten?


  • Erscheinungstag 01.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520515
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kate stand da, den Koffer neben sich, und blickte über das sonnenverbrannte Gras auf den Schauplatz ihres ersten und schwersten Liebeskummers.

Sie hatte gehofft, ganz gelassen hierher in das australischen Outback zurückkommen zu können, aber ihr Herz pochte wie wild, als sie die weitläufige Farm nach neun Jahren zum ersten Mal wiedersah.

Sei nicht albern, Kate Brodie, du bist kein Teenager mehr, der peinlicherweise in den attraktiven Viehtreiber des Onkels verliebt ist! ermahnte sie sich.

Ja, von der Schwärmerei für Noah Carmody war sie seit Langem völlig geheilt.

Das niedrige Farmhaus mit dem weit über die Veranda gezogenen Dach schien im grellen Sonnenschein zu dösen.

Kate wurde die Kehle eng, als sie sich vorstellte, Onkel Angus würde auf der obersten Verandastufe stehen, die Arme weit ausgebreitet, ein strahlendes Lächeln auf dem wettergegerbten Gesicht unter den silbergrauen Haaren …

Unvorstellbar, dass es ihn nicht mehr gab! Er hatte zwar, aus ihrer Sicht, am anderen Ende der Welt beinah wie im Exil gelebt, aber er war ihr einziger Verwandter – außer ihrer Mutter –, und es hatte ihr genügt zu wissen, dass er existierte.

Langsam schaute sie sich um. Wie endlos weit das Land war, und wie überwältigend einsam das Outback! Der Touristenbus, der sie bis hierher mitgenommen hatte, war schon im flirrenden Hitzedunst verschwunden. Flach wie ein Brett erstreckte sich die rote Erde bis zum Horizont, nur hier und da mit Büscheln vertrockneten, graugelben Grases gesprenkelt.

Onkel Angus hatte zwar in seinen Briefen die ungewöhnlich lange Dürreperiode erwähnt, aber nun war Kate schockiert, als sie mit eigenen Augen sah, welche Veränderungen der ausbleibende Regen bewirkt hatte.

Vor neun Jahren waren die Viehweiden saftig grün gewesen, gepflegter Rasen und üppig bepflanzte Beete hatten das Haus eingerahmt. Jetzt wirkte es beinah ein bisschen verblasst unter der unbarmherzigen Sonne. Und traurig.

Nur vier Frangipanibäume hatten überlebt. Sie standen neben den Stufen zur Veranda, zwei rechts, zwei links, wie Brautjungfern neben der Braut. Einer war mit schneeweißen Blüten bedeckt, der andere mit zitronengelben, der dritte blühte rosa und der vierte apricotfarben.

Die Farbenpracht war ein Traum für Fotografen … aber jetzt war nicht die richtige Zeit, um an Bilder zu denken.

Ein heißer Windstoß blies Kate Staub ins Gesicht. Sie blinzelte heftig. Nach der langen Reise war sie todmüde, und Staub in den Augen war das Letzte, was sie gebrauchen konnte.

Vor allem, wenn ihr das Wiedersehen mit Noah Carmody bevorstand.

Das wird kein Problem, redete sie sich ein. Bestimmt konnte er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, dass sie vor neun Jahren für ihn geschwärmt hatte. Damals war sie schließlich erst siebzehn gewesen! Und er hatte sich ihrer sozusagen erbarmt und sie geküsst.

Leider hatte sie den Kuss hemmungslos erwidert und Noah damit spürbar schockiert. Das war das Peinliche an der ganzen Angelegenheit, das, woran er sich hoffentlich nicht mehr erinnerte.

Damals war sie eigenwillig und ziemlich wild gewesen. Und unsterblich in Noah verliebt. Den Kummer darüber, von ihm zurückgewiesen worden zu sein, überwand sie ziemlich schnell. Indem sie sich auf die Erinnerungen an den Kuss konzentrierte, hielt sie ihre Träume lebendig. Wieder zu Hause in England malte sie sich aus, wie sie die Schule möglichst schnell beenden würde, dann einen Job suchte und Geld sparte, um bald nach Australien zurückzukehren.

Dort wollte sie im Outback als Viehtreiberin arbeiten, Noah wiedersehen und – im Lauf der Zeit – sein Herz gewinnen und ihn heiraten.

Was war sie doch für eine Närrin gewesen!

Diesem Traum hatte sie – trotz des heftigen und verständlichen Widerstands ihrer Mutter – das Abitur und somit ein Studium geopfert. Und als sie schließlich genug Geld für das Ticket nach Australien beisammen hatte, kam Onkel Angus’ Brief mit der Information, dass Noah eine Australierin geheiratet habe.

Bei der Erinnerung daran spürte Kate noch immer einen Kloß im Hals. Zum Glück hatte sie sich inzwischen von der Enttäuschung völlig erholt, auch wenn es Jahre gedauert hatte. Ihr derzeitiger Freund Derek war ein aufstrebender Banker in der Londoner City, und sie trauerte Noah nicht mehr nach.

Kate atmete tief durch und ging über den staubigen Vorplatz aufs Haus zu. Ein schwarz-weiß gefleckter Hütehund, der im schmalen Schatten der Veranda geschlafen hatte, stand steifbeinig auf und kam ihr entgegen.

Vorsichtshalber blieb Kate stehen. Sie hatte nicht viel Erfahrung mit großen Hunden. Dieser bellte seltsamerweise nicht, sondern beobachtete sie nur eindringlich mit seinen goldbraunen Augen.

„Ist jemand zu Hause?“, fragte sie.

Er wedelte träge mit dem Schwanz und zog sich wieder in den Schatten zurück. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Schon nach der kurzen Zeit in der prallen Sonne brannte ihr der Nacken, und Schweiß lief ihr über den Rücken.

Rasch ging Kate die Stufen zur Veranda hoch … und blieb wie angewurzelt stehen. Auf einem Liegestuhl lag, lässig ausgestreckt und ohne Hemd, der Mann, der sie so viel Herzeleid gekostet hatte. Sein Gesicht wurde von der breiten Krempe seines Huts verdeckt, aber es war eindeutig Noah Carmody. Die schmalen Hüften und breiten Schultern waren unverwechselbar, auch die sonnengebräunte, muskulöse Brust, die sich regelmäßig hob und senkte.

Kate hingegen stockte kurz der Atem … vor Überraschung, wie sie sich einredete. Sie hatte nicht erwartet, Noah hier am helllichten Tag schlafend auf der Veranda zu finden. Bei ihren nächsten Schritten knarrten die Bodenbretter, aber er rührte sich nicht. Seine schmalen und zugleich kräftigen Hände lagen entspannt auf seinem flachen Bauch.

Leise setzte sie den Koffer ab und betrachtete Noah ausgiebig. Er sah noch immer umwerfend aus. Schlank, muskulös, mit langen Beinen … den einen Reitstiefel hatte er ausgezogen, und sie konnte einen blauen Socken erkennen, der an der Spitze ein Loch aufwies. Den anderen Stiefel trug Noah noch. Offensichtlich war er eingeschlafen, bevor er ihn ebenfalls hatte ausziehen können.

„Noah?“, flüsterte Kate, beinah unhörbar.

Er rührte sich weiterhin nicht, und auch drinnen blieb es völlig still. Neben der Tür, die einen Spaltbreit offen stand, hingen an hölzernen Haken ein alter Hut und ein Pferdehalfter.

Beim Gedanken, dass Onkel Angus das alles griffbereit aufgehängt hatte, aber nie mehr benutzen würde, spürte Kate wieder einen Kloß im Hals.

Sie machte vorsichtig einen weiteren Schritt zur Tür. Irgendwer musste doch da sein! Noahs Frau, oder wenigstens Onkel Angus’ Haushälterin.

Mit einem Mal war sie völlig verunsichert bei der Vorstellung, Noah könne aufwachen und sie eindringlich mit seinen kühlen grauen Augen mustern.

Besser, sie versuchte es an der Küchentür auf der Rückseite des Hauses, beschloss sie. Dort würde sie bestimmt die Haushälterin finden, und die konnte dann Noah wecken und ihm Bescheid sagen.

Langsam drehte Kate sich um und ging auf Zehenspitzen zur Treppe.

„Kate?“, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihr.

Sie wirbelte herum – und da stand Noah. Groß, muskulös und umwerfend attraktiv, trotz der Stoppeln am energischen Kinn. Die Augen hatte er wegen des grellen Lichts zusammengekniffen.

„Du bist doch Kate? Kate Brodie?“, hakte er nach.

„Ja.“ Ihre Stimme klang unnatürlich hoch, fast wie ein Piepsen. Kate schluckte trocken. „Hallo, Noah!“

Er lächelte strahlend. „Hallo, Kate. Meine Frage war eigentlich überflüssig. Ich kenne niemand sonst mit solchen Haaren.“

Rasch kam er auf sie zu, und einen Moment lang dachte sie, er würde sie umarmen. Mit wild pochendem Herzen stellte sie sich vor, wie warm und fest sich seine Brust anfühlen würde, wie glatt die sonnengebräunte Haut über den von harter Arbeit gestählten Muskeln, wie stark die Arme um ihre Schultern.

Und so tröstlich nach der langen, erschöpfenden Reise …

Aber er umarmte sie nicht. Natürlich nicht! In gebührendem Abstand blieb er vor ihr stehen und schüttelte ihr die Hand.

„Was für eine Überraschung, Kate! Eine nette Überraschung, selbstverständlich. Entschuldige, wenn ich ein bisschen durcheinander wirke. Seit Angus’ Tod weiß ich manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Aber ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen.“

„Und ich freue mich, dich wiederzusehen“, erwiderte sie höflich und bemerkte erst jetzt, dass er dunkle Ringe unter den Augen hatte und sein Gesicht etwas hagerer wirkte als früher. „Es war auch für mich ein Schock, zu erfahren, dass Onkel Angus gestorben ist.“

„Ja, das kam alles ganz plötzlich.“ Noah schob die Hände in die Hosentaschen.

Unter seinem forschenden Blick war sich Kate überdeutlich bewusst, dass sie kein überwältigendes Bild bot: die kupferroten Haare feucht und strähnig, die helle Haut noch blasser vor Müdigkeit, die Sachen von der langen Reise zerknittert.

Plötzlich schien auch er zu realisieren, dass er halb nackt war und lächelte entschuldigend. Rasch nahm er sein Hemd von der Lehne des Liegestuhls und zog es an. Dann setzte er sich und schlüpfte mit dem Fuß in den Stiefel.

„Wie du an meinem Zustand sehen kannst, habe ich dich nicht erwartet. Tut mir leid. Die Totenwache hat bis weit in die Nacht gedauert.“

„Totenwache?“, wiederholte sie verwundert.

„Ja, eine alte irische Sitte. Man trifft sich und trinkt ein, zwei Glas auf den Verstorbenen. Oder auch mehr“, füge er hinzu und lächelte reuig. „Wir waren im Pub in Jindabilla. Eine Menge Leute aus dem ganzen Bezirk sind gekommen, um Angus zu verabschieden. Es hätte ihm bestimmt gefallen.“

„Aber …“ Ihre Stimme zitterte. „Aber … soviel ich weiß, hält man die Totenwache doch erst nach dem Begräbnis ab, oder?“

„Ja, das ist so üblich“, bestätigte Noah und rieb sich den Nacken. „Ach, verdammt!“

„Was ist denn?“ Sie überlegte, ob er an einem heftigen Kater litt.

„Du bist zum Begräbnis gekommen, stimmt’s?“

„Ja, sicher. Weshalb sonst?“

„Es tut mir schrecklich leid, Kate, aber die Beerdigung war schon gestern Nachmittag.“

Ungläubig starrte sie ihn einen Moment lang an, dann wandte sie sich um und hielt sich am Verandageländer fest. Heiße Tränen brannten ihr in den Augen. Tränen, die sie nicht unterdrücken konnte. Wieso hatte man nicht auf sie gewartet, wo sie doch den ganzen weiten Weg extra gemacht hatte, um sich von Onkel Angus gebührend zu verabschieden?

„Warum …“, begann sie und presste drei Finger gegen die zitternden Lippen, während sie mit der anderen Hand die Tränen wegwischte, „… warum habt ihr nicht auf mich gewartet?“

„Das tut mir so leid“, sagte Noah ganz sanft. „Aber wir haben nicht gewusst, dass du kommst.“

„Aber ich habe mich doch angekündigt! Telefonisch. Ich habe mit einer Frau hier gesprochen und sie informiert, dass ich mich etwas verspäte, aber definitiv komme“, erklärte sie und biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu aufschluchzen.

Noah wusste offensichtlich nicht, wie sehr sie Onkel Angus gemocht hatte. Sie hatte sogar einen bedeutenden Auftrag als Fotografin kurzfristig rückgängig gemacht, um nach Australien zu kommen. Ihr war es eben nicht egal, obwohl ihre Mutter den Tod des einzigen Bruders erstaunlich gleichgültig hinnahm.

„Niemand wird dich dort erwarten“, hatte ihre Mutter sie sogar gewarnt.

Kate war bei ihrem Entschluss geblieben. Ihre Mutter hatte sich schon lange nicht mehr mit Angus verstanden, kein Wunder, dass sie nichts von der weiten Reise zum Begräbnis hielt.

Derek hingegen hatte ihr erstaunlich eifrig zugeredet. Beunruhigend eifrig, wenn Kate es genau überlegte. Und kein Wort, dass er sie vermissen würde – bis sie ihn direkt danach fragte.

Sie hatte sich für den Besuch entschieden, weil ihr daran lag, der fest verbundenen Gemeinschaft hier draußen im Outback zu demonstrieren, dass wenigstens eine von Angus Harringtons englischen Angehörigen aufrichtig trauerte.

Und um in den alten Ritualen und Gebeten Trost zu finden.

Nun war Kate am Ziel und musste feststellen, dass sie die kostspielige, lange, ermüdende Reise vergeblich gemacht hatte.

Es war zum Verzweifeln!

„Ich habe mit einer Frau hier gesprochen“, erklärte sie Noah nochmals, beinah anklagend. „Ich dachte, es wäre die Haushälterin. Warum hat sie dir nichts gesagt? Das verstehe ich nicht.“

Er schüttelte den Kopf, an seinem Kinn zuckte ein Nerv. „Ellen kann es nicht gewesen sein, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht hier ist. Sie hat sich Angus’ Tod so zu Herzen genommen, dass ich sie für ein paar Tage zu ihrer Schwester in die Stadt geschickt habe.“

„Wie auch immer!“ Nun war Kate wirklich aufgebracht. „Ich habe mit einer Frau gesprochen und ihr erklärt, dass sich der Abflug wegen eines Sturms über Europa um vierundzwanzig Stunden verzögert.“

Noah seufzte tief und blickte bedrückt auf die verdorrten Viehweiden. „Tut mir echt leid, Kate, ich habe deine Nachricht nicht bekommen. Wahrscheinlich hast du mit Liane gesprochen.“

„Mit deiner Frau?“

„Meiner Exfrau. Sie war zum Begräbnis hier. Wir sind seit Weihnachten geschieden“, erklärte er leise.

Kate atmete tief durch, während sie ein Gefühl hatte, als würde sie im Zeitlupentempo durch die Luft gewirbelt. Noah war nicht länger verheiratet!

Als das Schweigen peinlich zu werden drohte, wiederholte Noah: „Es tut mir wirklich leid, dass du das Begräbnis verpasst hast.“

Er klang so resigniert, als hätte er von seiner Exfrau nichts anderes erwartet, als dass sie ihm wichtige Informationen vorenthielt.

Wie auch immer, das Begräbnis war vorbei.

Noah nahm den Koffer und meinte lässig: „Und jetzt lass uns lieber hineingehen. Ich mach uns Tee.“

„O ja, eine Tasse Tee könnte ich wirklich gut gebrauchen.“ Kate rang sich ein tapferes Lächeln ab.

Sie folgte Noah ins Haus und den Flur entlang, der – wie sie sich erinnerte – direkt zur großen Küche auf der Rückseite führte.

„Ich stelle dein Gepäck ins Gästezimmer“, sagte Noah und öffnete eine Tür rechts.

„Bist du ganz allein hier?“, wollte Kate wissen.

„Im Moment ja, aber Ellen kommt bald zurück.“

„Ist es denn okay, wenn ich heute Nacht hierbleibe, Noah?“

„Aber sicher! Schau doch nicht so besorgt drein, Kate. Niemand erwartet, dass du das nächste Flugzeug nach England zurück nimmst.“

„Das könnte ich wirklich nicht ertragen“, gestand sie.

„Okay, dann ist das hier dein Zimmer, solange du es brauchst.“

„Danke, Noah!“

Sie sah sich um und wunderte sich, wie vertraut ihr alles noch vorkam. Das Messingbett mit der weißen Tagesdecke hatte auch vor neun Jahren schon hier gestanden, dieselben blassrosa Vorhänge hatten die Glastür zur seitlichen Veranda verdeckt. Auch an den alten Schrank aus glänzend polierter Eiche mit dem ovalen Spiegel in der Tür erinnerte sie sich.

Und da hing ja auch das Foto ihres Großvaters an der Wand! Mit seinem dichten weißen Haar, dem üppigen Schnurrbart und dem Hund zu seinen Füßen sah er aus wie der typische britische Kolonialherr.

Kate erinnerte sich noch genau an die stürmischen Gefühle, die sie hier mit siebzehn durchlebt hatte, an die himmelhoch jauchzenden und zu Tode betrübten Stimmungen, die man als junger Mensch erfuhr, wenn man liebte und diese Liebe nicht erwidert wurde.

Sie erschauerte beim Gedanken daran, was Noah hoffentlich nicht merkte.

Er stellte den Koffer ab und ging dann voraus zur Küche.

Die war auch noch genau so, wie Kate sie in Erinnerung hatte. In der Nische stand der große schwarze Herd, über dem an Haken Töpfe, Pfannen, Kochlöffel und sonstige Utensilien hingen. Der große Holztisch mit der blank geschrubbten Platte beherrschte die Mitte des Raums, und noch immer waren die Stühle drum herum ein buntes Sammelsurium.

Kate fühlte sich beinah so, als wäre sie in die Vergangenheit zurückversetzt worden – und das behagte ihr nicht ganz.

Noah füllte den Kessel mit Wasser, stellte ihn auf den Herd und zündete die Gasflamme an.

„Ich muss heute Nachmittag in die Stadt zur Eröffnung von Angus’ Testament“, erklärte er beiläufig.

„Das ist okay. Ich bin hier ja gut aufgehoben.“

„Du solltest vielleicht besser mitkommen“, meinte Noah zögernd.

Kate hatte sich noch keine Gedanken über Onkel Angus’ Testament gemacht. Bestimmt war es völlig eindeutig. Er war nie verheiratet gewesen und hatte, soviel sie wusste, schon immer geplant, die Farm Noah zu vermachen, den er wie einen eigenen Sohn liebte.

Noah war hier geboren. Sein Vater war Verwalter der Farm gewesen und, zusammen mit Noahs Mutter, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Onkel Angus hatte den Jungen aufgenommen und großgezogen, aber nie formell adoptiert.

Kate beobachtete Noah, sah, wie er hin und her ging, den Tisch deckte und Tee zubereitete, Ja. er gehörte hierher, er war hier zu Hause. Sie konnte ihn sich nirgendwo anders vorstellen.

„Ich wüsste nicht, was ich beim Notar soll“, meinte sie schließlich, als er Zucker und Milch auf den Tisch stellte.

„Du bist immerhin Angus’ Nichte, also mit ihm blutsverwandt.“

„Meine Mutter ist zwar Angus’ leibliche Schwester, aber das hat sie nicht davon abgehalten, ihn praktisch ihr ganzes Leben lang zu ignorieren.“

Er zuckte die Schultern, während er mit der Teekanne zum Herd ging und sie mit kochendem Wasser füllte.

„Wenn du möchtest, rufe ich den Notar Alan Davidson kurz an und frage, ob es nötig ist, dass du mitkommst“, bot Noah an und stellte die Kanne mit Tee auf den Küchentisch.

„Wenn du meinst.“ Kate lächelte gezwungen. „Hoffentlich werde ich nicht gebraucht. Ich bin todmüde.“

„Der Tee muntert dich bestimmt auf. Macht es dir was aus, dich selbst zu bedienen?“

„Überhaupt nicht“, versicherte sie, während er bereits die Küche verließ.

Kate nahm sich einen Becher und füllte ihn mit starkem, aromatischem Tee, zu dem sie nur einen Schuss Milch goss. Dann ging sie ans Fenster und blickte auf die Wirtschaftsgebäude und die braunen, ausgetrockneten Weiden.

Der Besitz wirkte nach der Dürreperiode nicht gerade wie ein Hauptgewinn. Aber sie erinnerte sich daran, dass ihr Onkel immer geschwärmt hatte, eine Periode mit ausreichendem Regen würde genügen, um den Bezirk innerhalb von wenigen Wochen in ein Paradies für Viehzüchter zu verwandeln.

Flüsse brachten dann Wasser aus dem Norden, das sich in das weit verzweigte Bachsystem ergoss und die trockene Erde zu neuem Leben erweckte. Die Menschen hier mussten Ausdauer an den Tag legen und darauf vertrauen, dass nach der Dürre irgendwann wieder Regen kam und das Land verwandelte. Kates Mutter hatte das, als typische Engländerin, nie verstanden.

Noah hingegen war von klein an mit diesem ewigen Wechsel von guten und schlechten Zeiten aufgewachsen.

Kate seufzte. Sie war so müde! Und so schrecklich enttäuscht, weil sie die Beerdigung verpasst hatte.

Da hörte sie Schritte im Flur. Kurz darauf betrat Noah die Küche.

„Alan Davidson besteht darauf, dass du zur Testamentseröffnung mitkommst“, informierte er sie sachlich.

Gereizt schüttelte sie den Kopf. Hatten die Leute hier noch nie von Jetlag gehört? Die Aussicht, auf der Piste voller Schlaglöcher durchgerüttelt zu werden, nur um in dieses Nest Jindabilla zu gelangen, war beinah unerträglich.

„Ich bin viel zu müde“, wehrte sie ab und gähnte prompt. „Wahrscheinlich schlafe ich nach fünf Minuten ein.“

„Trink noch eine Tasse Tee, und leg dich eine Stunde aufs Bett“, empfahl Noah ihr ruhig, aber in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Wenn du dich frisch machen willst: Das Bad ist immer noch gegenüber dem Gästezimmer. Sei jedenfalls um halb drei fertig zur Abfahrt.“

Kate nickte gehorsam. Sie wusste, wann sie sich geschlagen geben musste.

2. KAPITEL

Noah saß auf dem unbequemen Stuhl in der Notarskanzlei und blickte zur Decke, wo sich ein einsamer Ventilator träge drehte. Kühlung verschaffte er den Anwesenden nicht, die für die herrschenden Temperaturen viel zu warm angezogen waren.

Der Notar Alan Davidson und Noah hatten sogar Krawatten umgebunden, aus Respekt für ihren alten Freund Angus. James Calloway – der Anwalt, den Liane aus Sydney hergelotst hatte –, übertraf sie tatsächlich noch. Er trug einen eleganten Anzug mit Weste und einen Schlips, der ihn als Absolvent einer teuren Privatschule auswies. Sein Gesicht war vor Hitze schon ziemlich rot, wie Noah ein bisschen schadenfroh bemerkte.

Angus würde bestimmt schmunzeln, wenn er die Leute sehen könnte, die sich seinetwegen hier zusammengefunden haben! dachte Noah wehmütig.

Er selbst hatte wenig zu lachen nach dieser höllischen Woche seit Angus’ völlig unerwartetem Tod. Alle Bekannten zu benachrichtigen, das Begräbnis zu organisieren und zu überstehen war schlimm genug gewesen … und dann war zu allem Elend noch seine Exfrau mit diesem geschniegelten Anwalt aufgetaucht.

Liane hatte wirklich Nerven! Kam einfach ungebeten her, als hätte sie keine Ahnung, dass sie von Angus verachtet worden war, weil sie die Menschen, die er liebte, unglücklich gemacht hatte.

Und noch immer verursachte sie Ärger. Noah konnte ihr nicht verzeihen, dass sie Kate Brodies Nachricht nicht weitergeleitet hatte. Es war mehr als peinlich, dass Angus’ einzige Nichte extra die weite Reise gemacht und dann die Beerdigung verpasst hatte – die man leicht um ein, zwei Tage hätte verschieben können.

Was hat Liane überhaupt bei der Testamentseröffnung zu suchen? fragte Noah sich empört. Sie hatte ihm bei der Scheidung genug Geld abgeknöpft. Wollte sie etwa noch mehr absahnen?

Alan Davidson schob die Papiere auf seinem Schreibtisch hin und her, während er einen prüfenden Blick auf die Anwesenden warf. Kurz nickte er Noah zu und lächelte Kate bemüht freundlich an, die am Fenster saß und so wirkte, als wolle sie mit den anderen nichts zu tun haben. Was man ihr, wie Noah fand, nicht verdenken konnte.

Sie bot jedenfalls einen angenehmen Anblick. Zu einem schlichten braunen Leinenrock trug sie eine cremeweiße Bluse, im Sonnenlicht, das durch die Jalousien fiel, schimmerten auf ihrem kupferroten Haar goldene Reflexe. Ihr Teint war zart und glatt wie die Blütenblätter englischer Rosen, und wie man bei ihrer Haarfarbe erwarten konnte, hatte sie grüne Augen. Grün wie Jade, grün wie Weidenblätter im Frühling …

Als sie vorhin unerwartet auf der Farm aufgetaucht war, hatte sie völlig ausgelaugt gewirkt, wie ein blasser Schatten des lebhaften, immer zum Flirten aufgelegten Mädchens von vor neun Jahren. Nach der langen Reise war das allerdings kein Wunder.

Als Alan den Ordner öffnete, widmete Noah seine Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart. Plötzlich hatte er das Gefühl, jemand drücke ihm die Kehle zu, und am liebsten hätte er den Krawattenknoten gelockert.

Kein Grund zur Nervosität, redete Noah sich ein, aber das unangenehme Gefühl, dass etwas nicht stimmte, konnte er nicht abschütteln.

Autor

Barbara Hannay
Die Kreativität war immer schon ein Teil von Barbara Hannays Leben: Als Kind erzählte sie ihren jüngeren Schwestern Geschichten und dachte sich Filmhandlungen aus, als Teenager verfasste sie Gedichte und Kurzgeschichten.
Auch für ihre vier Kinder schrieb sie und ermutigte sie stets dazu, ihren kreativen Neigungen nachzugehen.
Doch erst als...
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