Amore e bambini – Liebesglück auf italienisch (4-teilige Serie)

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Die 4-teilige Serie von Rebecca Winters lässt die Herzen höher schlagen: ganz viel Amore und Familienglück garantiert!
Das eBook enthält folgende Romane:

AMORE FÜR IMMER
Auf dem eleganten Anwesen am Comer See kümmert Julie sich um Massimo di Rocches kleinen Neffen – und glaubt sich im siebten Himmel, als der Italiener sie überraschend heiß küsst. Aber seine intrigante Familie setzt alles daran, dass sie so schnell wie möglich ihre Sachen packt …

LIEBESREISE NACH MONACO
Warum nur hat sie mir verschwiegen, dass ich einen Sohn habe? Vor fünf Jahren haben sich der erfolgreiche Formel-1-Pilot Cesar und seine große Liebe Sarah getrennt. Jetzt, da er nach einem Unfall schwer verletzt ist, taucht sie mit seinem Kind wieder auf. Cesar besteht darauf, dass beide mit ihm in seiner Villa an der malerischen Amalfiküste leben, doch verzeihen kann er Sarah nicht. Erst auf einer Reise nach Monaco versteht er, dass sie aus Liebe gehandelt hat. Er will eine gemeinsame Zukunft mit Sarah, doch vorher muss er die schwerste Entscheidung seines Lebens treffen …

IM BANN DES STOLZEN GRIECHEN
Unwillkürlich hält Gabi den Atem an, als sie Andreas Simonides gegenübersteht. Eine Aura von Macht und Reichtum umgibt den attraktiven Geschäftsmann. Außerdem ist seine Ähnlichkeit mit den Zwillingen ihrer verstorbenen Schwester verblüffend. Gabi ist sicher, den Vater ihrer Neffen gefunden zu haben. Und verliert ihr Herz an den Mann, der unerreichbar für sie ist …

VERLOCKUNG UNTER ITALIENS SONNE
Perlender Wein, vor ihren Augen das azurblaue Mittelmeer und neben ihr ein attraktiver und charmanter Italiener – träumt sie oder schmecken Vincenzos Lippen wirklich so süß und berauschend wie der Wein in ihrem Glas? Irena ist nach Riomaggiore gereist, um eine Reportage zu schreiben. Als sie den reichen Geschäftsmann Vincenzo trifft, ist es um sie geschehen: Vor der malerischen Kulisse der wildromantischen Steilküste erlebt sie mit ihm unvergessliche Stunden in seinen Armen. Bis es Zeit wird, nach Hause zu fahren. Dorthin, wo der Mann wartet, dem sie die Ehe versprochen hat …


  • Erscheinungstag 05.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514538
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Rebecca Winters

Amore e bambini - Liebesglück auf italienisch (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

Amore für immer erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2008 by Rebecca Winters
Originaltitel: „The Italian Tycoon and the Nanny“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 60 - 2017 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Victoria Werner

Umschlagsmotive: View Apart / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2022.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751514682

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Das Handy klingelte erneut. Massimo ignorierte es. Welchen Teil von Nein verstand Gillian Pittman nicht? Sie war die einzige Frau in der Gruppe der Professoren und hätte die Auswahl unter einem Dutzend Männer haben können. Aber sie wollte ihn. Ein Verlangen, das unerwidert blieb.

Wenn er weibliche Gesellschaft wollte, verbrachte er das eine oder andere Wochenende in Mexico City oder Positano mit seinem Cousin Cesar, der ganz vorn in der Formel 1 mitfuhr. Cesars Leidenschaft für den Motorsport sicherte ihm das Interesse der Frauen – und es waren immer genug für sie beide.

Nach einem anstrengenden Arbeitstag bei den Ausgrabungen der Ruinen von Cancuén sehnte er sich nur nach einem großen Glas Eiswasser, gefolgt von einer langen, abwechselnd heißen und kalten Dusche. Bedauerlicherweise erwarteten ihn keine solchen Annehmlichkeiten in dem Zelt, das seit zwei Jahren sein Zuhause war.

Es befand sich im Herzen des Petén-Regenwalds von Guatemala und war nicht viel größer als ein Schrank – gerade genug Platz zum Essen, Schlafen und zum Registrieren seiner Funde.

Die professionellen Archäologenteams lebten in einem Lager auf der anderen Seite des Palastes der Maya, den sie Stück für Stück freilegten. Dort gab es etwas mehr Annehmlichkeiten. Massimo war aus eigenem Antrieb hier. Sich abends mit den anderen zu treffen, hätte bedeutet, seine Privatsphäre aufgeben zu müssen, und das widerstrebte ihm.

Als er die Wasserflasche aufschraubte, meldete sich das Handy erneut. Er trank erst einmal, bevor er nachsah, wieso Dr. Pittman ihm nun schon eine SMS schickte. Aber nicht sie war es, die ihn zu erreichen versuchte, sondern Sansone.

Ein unbehagliches Vorgefühl befiel ihn.

In den letzten zwei Jahren hatte er nicht einen einzigen Anruf seines ältesten Cousins erhalten, geschweige denn eine SMS. Mit einem stummen Seufzer drückte er die Taste und las: Tragische Nachricht. Ruf mich an.

Das Wort tragisch ließ sich nicht ignorieren. War sein Onkel krank? Oder schlimmer?

Während er wählte, spürte er förmlich, wie der Schweiß an ihm hinunterlief – schlimmer, als wenn er der prallen Sonne ausgesetzt war.

„Was ist passiert?“, fragte er, sobald Sansone sich gemeldet hatte.

„Papa hat eine schlimme Nachricht erhalten. Er ist zusammengebrochen. Der Arzt ist gerade bei ihm. Er hat mich gebeten, dich anzurufen.“

Es hätte Massimo nicht überrascht, wenn Aldo seine Schwäche nur vortäuschte, um sein Mitgefühl zu erregen. Oder um ihn nach Hause zu locken. Aber es müsste schon etwas wirklich Schwerwiegendes passieren, um ihn dazu zu bringen.

„Was für eine Nachricht war das?“

Sansone zögerte einen Moment. „Es geht um Pietra.“

Massimo hatte das Gefühl, als schnüre sich ihm das Herz zusammen. „Was ist mit ihr?“

„Ihr Schwiegervater hat angerufen. Sein Sohn und Pietra sind heute bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

Ums Leben gekommen …

Seine Schwester Pietra?

Massimo schwamm es für einen Moment vor den Augen. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn.

„Und das Baby?“ Er musste sich räuspern, bevor die Stimme ihm gehorchte.

„Davon weiß ich nichts. Papa hat nichts …“

Er beendete die Verbindung. Sansone sollte nicht wissen, wie sehr ihn die Nachricht traf.

„Ich muss zu dieser mehrtägigen Konferenz, Julie. Lass mich wissen, wann die Beisetzung ist. Ich werde versuchen, von Portland aus zu kommen.“

Wenn Brent so abwesend klang, hieß das, er saß vor seinem Computer und arbeitete. Irgendwie hatte Julie mehr Beistand von dem Mann erwartet, der behauptete, sie zu lieben.

Der Schmerz war einfach zu überwältigend, als dass sie noch hätte klar denken können. Shawns Tod war unvorstellbar. Sie trauerte um den Bruder, während ihr Herz für ihren hilflosen kleinen Neffen blutete. Sie konnte nicht glauben, dass Pietra, ihre lebhafte Schwägerin, nicht mehr da sein sollte. Ein schrecklicher Unfall hatte zwei Leben einfach ausgelöscht.

„Wir warten darauf, dass Pietras Onkel zurückruft. Bis dahin kann nichts entschieden werden.“ Ihre Stimme bebte leicht. „Wenn ich an Nicky denke …“

„Der Junge wird sich an nichts erinnern. Zum Glück hat er ja deine Mutter.“

Julie biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. „Wie ich dir schon gestern gesagt habe, hat Nicky mich, Brent. Meine Mutter ist zu alt für ein Baby.“

„Du arbeitest in San Francisco. Wie willst du dich gleichzeitig um ein Baby kümmern?“

Es tat weh, dass er fragen musste. Ihre Hoffnung erstarb, dass er wirklich an einem gemeinsamen Leben mit ihr interessiert war.

„Ich werde nach Sonoma ziehen.“ Diese Idee hatte in den letzten Stunden immer festere Formen angenommen. Sie wollte noch heute ihren Chef anrufen und kündigen.

„Du willst den Superjob aufgeben, den ich dir verschafft habe? Und nur, um dich um ein Kind zu kümmern, das nicht einmal dein eigenes ist?“

„Oh, Brent …“

Was war er doch für ein Egoist! Wieso brauchte es eine Tragödie dieser Art, um sie das erkennen zu lassen? Ihre Beziehung hätte niemals gehalten. Weder war er reif für eine Ehe noch war er daran interessiert, gemeinsam mit ihr Shawns Sohn aufzuziehen.

„Was stimmt denn jetzt schon wieder nicht?“

Jetzt?

„Wieso sagst du nichts? Julie?“

Er verstand wirklich gar nichts.

„Mein Neffe hat gerade seine Eltern verloren. Das ist alles, woran ich im Moment denken kann.“

„Und warum solltest du diejenige sein, die jetzt alles opfert?“

„Weil ich es so will!“

Ihr emotionaler Aufschrei schien zu ihm durchgedrungen zu sein, denn es folgte ein langes Schweigen. „Was heißt das für uns?“, fragte er schließlich.

Sie atmete tief durch. „Unsere Wege trennen sich. Wir haben schöne Zeiten gehabt, Brent, aber es ist vorbei.“ Sie beendete die Verbindung.

Mit den Gedanken war Julie schon bei Nicky, als sie in das Kinderzimmer ging, wo sie die vergangene Nacht geschlafen hatte. Der Kleine hatte sich nicht gerührt, seit sie ihm sein letztes Fläschchen gegeben hatte. Kein Wunder, nachdem er sich zunächst so sehr dagegen gesträubt hatte.

Vier Wochenendbesuche in fünf Monaten waren nicht genug gewesen für ihn, um sie wiederzuerkennen. Sie war nicht seine Mommy, das war alles, was letztlich zählte.

Am vergangenen Abend und in der Nacht hatte er sich mit Händen und Füßen gegen die Fertigmilch gesträubt, die sie im Kühlschrank gefunden hatte. Heute hatte er seinen Widerstand aufgegeben und das Fläschchen angenommen. Fast schien es, als würde er begreifen, dass sein Leben sich geändert hatte, und fand sich in sein Schicksal ein.

Es brach Julie fast das Herz.

Sie musterte ihn versonnen. Das feine blonde Haar und die Gesichtszüge hatte er von Shawn. Pietra hatte ihm den dunklen Teint und die braunen Augen vererbt. Der kräftige Körper schien zu keinem seiner Eltern zu passen. Er war schon bei der Geburt ungewöhnlich groß gewesen für seine zierliche Mutter. Julie hatte das Gefühl, dass er wesentlich größer werden würde als ihr Bruder.

„Und woher hast du diese Lippen?“, flüsterte sie und ließ ihren Finger leicht darüber gleiten. Nur ein einziges Mal war es ihr bei ihrem letzten Besuch gelungen, ihm ein flüchtiges Lächeln zu entlocken. Es war breiter als das seiner Eltern. Er würde eines Tages ein richtiger Herzensbrecher werden.

Ihres hatte er bereits gebrochen, aber das konnte er nicht wissen. Wie lange würde er noch versuchen, sie von sich zu stoßen, während er darauf wartete, dass seine Eltern zurückkamen?

Sie zweifelte nicht daran, dass Nicky den Duft der Haut seiner Mutter vermisste, die Art, wie sie ihn gehalten und ihn liebkost hatte, die rührende Art, wie sie ihn Niccolo nannte. Ihre Stimme hatte er schon wahrgenommen, noch bevor er das Licht der Welt erblickte.

Julie spürte erneut Tränen in sich aufsteigen.

Wer würde ihn trösten können, wenn er das Lachen seines Vaters vermisste – oder die Art, wie er ihm seinen warmen Atem auf den Bauch blies, nachdem er ihm die Windeln gewechselt hatte? Nie wieder würden diese starken Arme ihn mit väterlichem Stolz halten. Arme, die ihn Minuten nach seiner Geburt getragen und ihm gezeigt hatten, dass er erwünscht und geliebt war.

Innerhalb von Sekunden war die Sicherheit dieses liebevollen Zuhauses für immer ausgelöscht durch einen Mann, der sich betrunken ans Steuer gesetzt hatte. Nun herrschte nur noch das Chaos.

Julie hauchte dem Kleinen einen Kuss auf die Stirn und verließ das Kinderzimmer, um nach unten zu gehen. Laute Stimmen ließen sie auf dem Treppenabsatz Halt machen.

„Lem hat einen wichtigen Prozess vor sich und muss so schnell wie möglich zurück nach Honolulu. Wir arrangieren eine Beisetzungsfeier in kleinem Kreis. Pater Meersman hat sich bereit erklärt, ein paar Worte zu sagen.“

„Wir müssen warten, bis Pietras Onkel uns zurückruft, Margaret. Trotz aller Probleme – er hat sie und ihren Bruder Massimo nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen. Er hat ein Recht, sich an allen Entscheidungen zu beteiligen.“

„Der Mann hat sie verstoßen, weil sie meinen Sohn geheiratet hat. Damit hat er dieses Recht verloren.“

„Shawn war auch mein Sohn“, erinnerte er sie leise. „Er würde erwarten, dass wir uns gegen Pietras Familie korrekt verhalten. Im Namen unserer Schwiegertochter muss ich darauf bestehen, dass wir auf ihn warten, Margaret.“

„Komm mir nicht mit diesem herablassenden Ton, Frank.“

„Zweifellos steht ihr Onkel noch unter Schock. Deswegen ist jetzt der Arzt bei ihm. Falls diese Nachricht ihn milder stimmt, haben sie vielleicht im Tod etwas erreicht, das ihnen im Leben nicht gelungen ist.“

„Amen.“

Julie wand sich, als sie die Bitterkeit im Ton ihrer Mutter hörte. Ihre Eltern waren seit zehn Jahren geschieden. Beide hatten irgendwann zum zweiten Mal geheiratet und Sonoma verlassen, aber sie verhielten sich so, als sei die Trennung gerade erst erfolgt und als seien noch alle Wunden frisch. Ihre Mutter war immer schwierig gewesen. Bestimmt nicht ohne Grund war im Moment keiner der neuen Ehepartner hier.

„Margaret – wir müssen unsere persönlichen Differenzen für den Moment vergessen und überlegen, was das Beste ist für Nicky.“

„Merkwürdig, dass du dir solche Gedanken nicht um Julie und Shawn gemacht hast, als du damals gegangen bist. Sonst wäre Shawn …“

„Hör auf, Mom! Dad hat recht“, erklärte Julie mit Nachdruck, als sie das Wohnzimmer betrat.

Die beiden drehten sich zu ihr herum. Sie waren in den letzten vierundzwanzig Stunden sichtlich gealtert. So wie sie.

„Wir müssen uns jetzt alle um Nicky kümmern. Er ist ganz allein. Von seiner Babysitterin abgesehen, sind wir Fremde für ihn.“

„Das ist doch genau mein Punkt!“ Margarets Wangen hatten sich vor Zorn gerötet. „Wir müssen auf diesen Tyrannen keine Rücksicht mehr nehmen! Er hat Pietra so gequält, dass sie unseren Sohn geheiratet hat, um endlich von ihm wegzukommen.“

„Er ist dennoch ihre Familie. Sie hat ihn nie als Tyrannen bezeichnet. Vielleicht etwas autoritär …“

„Macht das einen Unterschied?“, fauchte ihre Mutter.

„Wir wollen nicht vergessen, Margaret, unser Sohn und Pietra haben sich geliebt.“

„Ich bin doch nicht von gestern! Pietra hat dafür gesorgt, dass sie schwanger wurde. Sie hat alles sehr sorgfältig geplant, damit Shawn sie heiratet und in die Staaten holt. Und was haben wir jetzt davon?!“

Du hast es ihr nie verziehen.

Pietra war tatsächlich zwischen Shawn und seine besitzergreifende Mutter getreten, aber Schuld war allein die Liebe gewesen, nichts anderes.

Ihre Mutter hob den Kopf. „Julie? Du musst mit uns nach Hawaii kommen. Ich komme mit einem so kleinen Kind nicht mehr allein zurecht. Lem wird dir einen Teilzeitjob geben.“

Julie hörte den Rest nicht mehr, weil das Telefon klingelte. Sie erwartete einen Rückruf vom Kinderarzt. Sie eilte in die Küche, um ungestört zu sein. „Hallo?“

„Ms. Marchant?“

„Ja?“

„Hier ist Katy aus der Praxis von Dr. Barlow. Er hat eine Creme für das Baby verschrieben. Sie sollten das Kind beim Windelwechseln immer gut damit einreiben. Ich rufe gleich in der Apotheke an, damit sie fertig gemacht wird. Falls die Rötung der Haut dann nicht bald abnimmt, melden Sie sich wieder bei uns.“

Julie kehrte ins Wohnzimmer zurück. „Dad? Das war die Arztpraxis. Würdest du bitte zur Apotheke fahren? Dr. Barlow hat eine Spezialcreme für Nicky anfertigen lassen.“

„Ich fahre sofort los.“

Sie war froh, dass sie jetzt ein offenes Wort mit ihrer Mutter sprechen konnte. Die Liebe zu Nicky gab ihr den Mut dazu.

„Ich komme nicht mit nach Hawaii, Mom“, sagte sie, als sie allein waren. „Ich werde das Geld aus Shawns Lebensversicherung nehmen und hier im Haus bleiben, um mich um Nicky zu kümmern.“

„Falls du glaubst, du könntest hier mit deinem Freund einziehen, dann …“

„Nein“, unterbrach Julie sie. „Wir haben uns getrennt.“

„Wann denn?“

„Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur: ich möchte mich um Nicky kümmern.“

„Das machen wir zusammen, Julie.“

Ihr ganzes Leben lang hatte ihre Mutter erwartet, dass sich alles nur um sie drehte. Über die Jahre hatte ihr Verhalten die Familie immer weiter auseinanderdriften lassen. Zuerst war ihr Vater gegangen. Dann Shawn, der es wagte, ohne ihr Einverständnis zu heiraten. Und schließlich war Julie nach San Francisco gezogen, um dort das College zu besuchen.

Ihr Blick wanderte durch das Wohnzimmer des kleinen Hauses, das ganz im spanischen Stil gehalten war. Shawn hatte für ein Weingut gearbeitet. Er und Pietra hatten sich hier in Sonoma ein glückliches Zuhause geschaffen. Wohin auch immer sie blickte: Fotos und Babyspielzeug. Alles zeugte davon, dass der kleine Nicky der Mittelpunkt der Familie war.

„Abgesehen davon, dass es nicht fair wäre gegenüber Lem – dies hier ist Nickys Zuhause“, erinnerte Julie ihre Mutter.

„Nicht mehr.“

Ihre Mutter schien keiner Vernunft mehr zugänglich, aber Julie versuchte es dennoch. „Pietra hat Sonoma geliebt, weil es sie an Italien erinnerte, wo sie Shawn kennengelernt hat und sie sich ineinander verliebt haben. Sie haben geplant, ihr Leben mit Nicky hier zu verbringen. Das können wir ihm nicht nehmen. Er hat schon alles andere verloren.“

„Was auch immer an Lebensversicherungen da ist, wird auf ein Konto für Nickys Studium gelegt. Darin stimmen dein Vater und ich überein.“

„In diesem Fall werde ich mir eine Arbeit suchen, die ich von Zuhause aus machen kann, damit ich Zeit habe, mich um Nicky zu kümmern.“

„Hast du vergessen, dass ich seine Großmutter bin?“

„Du hast gerade selbst zugegeben, dass du es allein nicht schaffst. Ich bin seine Tante, und ich bin im richtigen Alter, um für ihn sorgen zu können.“

Ihre Mutter machte eine ungeduldige Handbewegung. „Du bist gerade einmal vierundzwanzig. Du hast doch überhaupt keine Ahnung von Kindern!“

Da musste Julie ihr recht geben. Sie hatte eine panische Angst davor, alles falsch zu machen oder noch schlimmer: Nicht zu wissen, was sie tun sollte. Aber das spielte im Moment keine Rolle.

„Habt ihr gewusst, was auf euch zukommt, als ihr damals mit Shawn aus dem Krankenhaus gekommen seid?“

Ihre Mutter war für einen Moment sprachlos.

„Ich werde alles lernen“, erklärte Julie. „Andere Frauen schaffen es doch auch.“

„Dazu wird es nicht kommen, Julie. Es ist wohl am besten, du erfährst jetzt die Wahrheit.“

„Welche Wahrheit?“ Ihre Beklemmungen wuchsen.

„Lem will bei Gericht das Sorgerecht für mich beantragen. Deshalb wollte ich die Beisetzung für übermorgen ansetzen und dann gleich mit Nicky nach Hawaii fliegen. Ich möchte dich dabei haben. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, falls Pietras Onkel irgendwelche komischen Ideen haben sollte.“

Julie runzelte die Stirn. „In welcher Hinsicht?“

„Er könnte versuchen, den Jungen für sich zu fordern, nachdem Shawn nun nicht mehr lebt. Du weißt ja, wie dominant italienische Männer sein können.“

„Nicht wirklich.“

Die Italiener hatten kein Monopol auf diesen Charakterzug, Julies Mutter war der Beweis dafür. Dies war einfach nur ein weiterer Versuch, Julie in ihrem Sinne zu manipulieren, aber sie würde nicht darauf eingehen. Diesmal nicht!

„Du siehst müde aus, Mom. Wieso legst du dich nicht hin, während ich nach Nicky sehe?“

Gedankenverloren ging Julie nach oben. Sie hatte Fotos von Pietras Familie gesehen, hatte aber niemanden von ihnen je kennengelernt. Nach allem, was sie gehört hatte, war es eine sehr beeindruckende Familie. Laut Shawn waren die Di Rocches eine der vermögendsten und einflussreichsten Familien Mailands.

Bis zu seinem frühen Tod hatte Pietras Vater, Ernesto, mit seinem älteren Bruder Aldo zusammengearbeitet. Aldo hatte sie und ihren Bruder nach dem Tod Ernestos bei sich aufgenommen und sie gemeinsam mit seinen drei Söhnen erzogen. Heute stand Aldo Di Rocche einem großen Firmenimperium vor, zu dem Anteile an diversen Bankhäusern und großen Handelsunternehmen gehörten.

Shawn hatte Pietra durch Zufall auf einem der Weingüter der Familie kennengelernt. Eins kam zum anderen, und sie verliebten sich. Shawn und Pietra heirateten heimlich und weihten erst danach ihre Familien ein. Es war ein kluger Schachzug. Weder ihr Onkel noch seine Mutter konnten mehr etwas dagegen ausrichten.

Julie hatte ihre Entscheidung gutgeheißen, besonders nachdem sie erfuhr, dass Pietra nicht sehr glücklich gewesen war in der Familie ihres Onkels. Der einzige Mensch, dem Pietra sich verbunden gefühlt hatte, war ihr älterer Bruder gewesen, den sie sehr liebte. Aber er lebte in einem anderen Teil der Welt.

Sie betrachtete das Baby. Konnte es sein, dass ihre Mutter recht hatte und Pietras Onkel versuchte, das Sorgerecht zu bekommen? Er hatte das Geld und damit die Macht. Julie konnte den Gedanken nicht ertragen.

„Ich möchte, dass du bei mir bleibst“, flüsterte sie. „Ich liebe dich so sehr.“

Der Kleine schlief auf dem Rücken, die Arme zu beiden Seiten des Kopfes ausgestreckt, die Hände zu Fäusten geballt. Während sie ihn betrachtete, kam ihr Vater herein mit der Tüte aus der Apotheke.

Rasch wechselte sie Nickys Windel und rieb seinen kleinen roten Po liebevoll mit der Creme ein.

„Du wirst eines Tages eine wunderbare Mutter abgeben“, bemerkte ihr Vater.

„Danke, Dad.“ Wenn ihre Mutter wieder im Hotel war, wollte Julie mit ihrem Vater über ihre Pläne sprechen. Er würde auf ihrer Seite sein, das wusste sie.

Sie spürte instinktiv, dass ihm etwas auf der Seele lag. Und richtig: „Ich muss dir etwas sagen“, bekannte er. „Es wird deine Mutter umbringen.“

„Hast du … hast du etwas von Pietras Onkel gehört?“

„Nein, er ist zu geschwächt, um kommen zu können, aber ihr Bruder, Massimo, ist eingetroffen. Er ist im MacArthur-Hotel abgestiegen. Ich habe vom Handy aus mit ihm telefoniert.“ Er räusperte sich. „Wusstest du, dass Shawn und Pietra ein Testament gemacht haben?“

„Nein, aber ich nehme an, die meisten Paare haben eins.“

„Das ist richtig. Offensichtlich haben sie ihren Bruder zu Nickys Vormund ernannt, falls etwas passieren sollte.“

Was?

Julie hatte das Gefühl, als werde ihr der Boden unter den Füßen fortgezogen. Fassungslos sah sie ihren Vater an. „Ich verstehe nicht … Er ist Junggeselle und arbeitet irgendwo im Regenwald. Er hat Nicky noch nicht einmal gesehen!“

„Wie dem auch sei, sie haben sich vor Nickys Geburt getroffen. Dabei wurde diese Entscheidung gefällt.“

Julie wusste nicht, wann irgendetwas sie jemals so verletzt hatte.

„Er hat mir den Namen von Shawns Anwalt gegeben. Ich habe ihn auf dem Rückweg von der Apotheke angerufen. Das Haus und das Geld der Versicherung fällt an deine Mutter und mich, und Nicky kommt zu Pietras Bruder. Das Testament ist wasserdicht. Dagegen kann auch Lem nichts ausrichten.“

Julie drückte das Baby an sich. „Was … was hat Pietras Bruder vor? Hat er etwas gesagt?“

Ihr Vater seufzte schwer. „Er kommt später zu uns, um Nicky zu sehen und mit uns zu sprechen. Was die Beisetzung angeht, akzeptiert er alles so, wie wir es geplant haben. Aber danach wird er das Kind mitnehmen.“

„Wohin?“ Ihre Stimme bebte. „Der Mann lebt im Regenwald!“

„Ich bin darüber genauso schockiert wie du.“

Nach der Nachricht vom Tod ihres Bruders hatte Julie das Gefühl gehabt, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Nun wusste sie, dass das Grauen noch steigerungsfähig war. Sie musste etwas unternehmen, bevor es zu spät war.

„Dad, sag Mom noch nichts von dem Testament. Ich fahre kurz in den Supermarkt.“ Die Notlüge war sicher verzeihlich. „Wenn ich zurück bin, reden wir mit ihr.“

„Das ist eine gute Idee. Ich brauche sowieso ein bisschen Zeit, um meine Gedanken zu sammeln. Komm zu deinem Grandpa!“ Er griff nach dem Baby, das zu weinen begonnen hatte. „Wir wärmen dir jetzt dein Fläschchen auf.“

Kurze Zeit später war Julie auf dem Weg in das Luxushotel am Sonoma-Plaza. Im Geiste ging sie durch, was sie Pietras Bruder sagen wollte. Es klang alles nicht richtig. Als sie endlich an der Rezeption stand, war sie nur noch ein reines Nervenbündel.

„Ich würde gern Mr. Massimo Di Rocche sprechen. Würden Sie bitte auf seinem Zimmer anfragen, ob er Zeit hat?“

„Natürlich. Ihr Name?“

„Julie Marchant.“

Der Angestellte ließ es eine ganze Minute klingeln, bevor er bedauernd die Schultern zuckte. „Er scheint nicht da zu sein. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?“

„Ja. Bitten Sie ihn, mich auf dem Handy zurückzurufen, sobald er Zeit hat.“ Sie hinterließ ihre Nummer, bevor sie in die Bar ging, um ein Mineralwasser zu trinken. Falls sie in den nächsten zwanzig Minuten nichts von dem Mann hörte, wollte sie zurückfahren.

Es vergingen keine fünf Minuten, und ihr Handy klingelte. Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Was auch immer sie zu Pietras Bruder sagte, in Nickys Interesse musste sie vorsichtig sein. Diplomatisch.

„Hallo?“

„Julie Marchant?“

Die Art, wie er ihren Namen sagte – mit einem leicht fremdländischen Akzent –, hatte etwas Intimes. Es ließ ihr aus unerfindlichen Gründen einen Schauer über den Körper laufen.

„Ja. Vielen Dank, dass Sie zurückrufen.“

„Ich war unter der Dusche, deswegen habe ich Sie nicht gehört.“ Nach kurzem Schweigen setzte er leise hinzu: „Wir teilen einen Verlust, den kein Außenstehender nachempfinden kann, nicht wahr?“

Die Trauer, die in seiner tiefen Stimme mitschwang, war ein Echo ihrer eigenen Gefühle. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. „Das stimmt.“ Sie schluchzte leise. „Es tut mir leid“, flüsterte sie.

„Seit ich die Nachricht gehört habe, stehe ich auch neben mir“, bekannte er. „Wo sind Sie jetzt?“

„Hier im Hotel. In der Bar.“

„Kommen Sie doch in meine Suite. Hier können wir uns ungestört unterhalten.“ Er gab ihr die Nummer.

„Danke. Ich bin gleich da.“

Sie wischte sich die Tränen fort und fuhr mit dem Fahrstuhl auf die angegebene Etage. Auf dem Gang sah sie einen Mann in einem weißen Polohemd und einer dunklen Khakihose, der sich zu ihr herumdrehte.

Die Kleidung hätten tausend andere Männer auch tragen können, aber die unbewusste Eleganz seiner Körperhaltung und die Art, wie sich das Material an seine breiten Schultern und den großen schlanken Körper schmiegte, ließen ihren Mund trocken werden.

Ihr Blick registrierte pechschwarzes Haar mit einem gebräunten Teint. Schwarze Brauen unterstrichen seine männlichen Züge, die von einer markanten Nase und einem scharf geschnittenen Kinn dominiert wurden. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf seinen breiten, sinnlichen Mund. Nickys Mund! Der Körperbau des Babys war nicht mehr länger ein Rätsel. Es hatte die Statur seines Onkels geerbt.

„Was für Schlüsse ziehen Sie?“

2. KAPITEL

Julie spürte, wie sie vor Verlegenheit rot anlief. Sich so dabei ertappen zu lassen, dass sie den Mann eingehend musterte!

„Entschuldigen Sie. Ich war so damit beschäftigt, die Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und Nicky zu sehen, dass mir nicht klar war, wie unhöflich es ist …“

„Ich finde, auch wenn wir uns heute zum ersten Mal sehen, sollten wir auf das Du übergehen. Ich bin Massimo. Schließlich sind wir durch Nicky irgendwie verwandt.“ Als sie zustimmend nickte, fuhr er fort: „Und um ehrlich zu sein: ich habe dasselbe getan. Pietra hat mir Fotos von dem Baby geschickt. Ihr habt das gleiche blonde Haar. Deins ist viel heller als das deines Bruders.“

„Nickys wird mit der Zeit sicher noch nachdunkeln.“

„Deins erinnert mich an einen Sonnenstrahl, der sich einen Weg durch das dichte Laub des Regenwaldes auf den Boden bahnt.“

Sie atmete tief durch. „Wie poetisch! Ist das gut oder schlecht?“

„Gut. Sehr gut sogar, wenn das Licht langsam von der Welt des üppigen Grüns verschlungen wird.“

Der Bild ließ sie erschauern.

„Komm herein!“

„Danke.“ Als sie an ihm vorüberging, streifte ihr Ellenbogen seinen Arm und löste einen Schauer ganz anderer Art aus. Ihre Gefühle schienen durch die Trauer völlig außer Kontrolle zu sein.

Sie setzten sich. Julie strich sich das schulterlange Haar hinter die Ohren. „Du fragst dich sicher, wieso ich hierhergekommen bin, statt darauf zu warten, dich heute Abend bei uns zu treffen.“

„Du kannst nur durch deinen Vater erfahren haben, dass ich hier bin. Ich nehme an, er hat dir von dem Testament erzählt. Falls du gekommen bist, um mich zu bitten, Nicky hier bei euch zu lassen – ich fürchte, das steht nicht in meiner Macht.“

„Das ist mir klar.“

Er rieb sich den Nacken. „Als ich mich mit ihrem Vorschlag einverstanden erklärte, konnte ich nicht ahnen, dass es zu dieser Tragödie kommen würde.“

„Das konnte niemand.“

„Ich habe vor, Nicky oft herzubringen. Und natürlich könnt ihr ihn jederzeit bei mir besuchen.“

Erwartete er, dass sie sich mit der Machete den Weg durch den Regenwald zu ihm und Nicky bahnten? Julie hielt die Frage zurück, denn sie wollte ihn nicht provozieren.

„Das bedeutet uns viel“, sagte sie stattdessen. „Aber ich bin eigentlich aus einem anderen Grund hier.“

Sie spürte förmlich, wie sein durchdringender Blick sie durchbohrte. Es kostete sie ihre ganze Willenskraft, ihn zu erwidern.

„Ich will gleich zum Punkt kommen. Falls du nicht inzwischen geheiratet hast, könntest du noch eine Weile Hilfe mit Nicky gebrauchen.“

Naturalmente. Ich habe schon alles arrangiert.“

„So schnell?“

„Ich habe keine Zeit zu verlieren.“

„Es muss ja sehr lästig sein, deine Ausgrabungen zu verlassen, um dich um einen Neffen zu kümmern, den du bisher kein einziges Mal gesehen hast.“

Seine Züge verhärteten sich kaum merklich. Julie begriff, dass sie zu weit gegangen war, aber es ließ sich nicht ändern. Ihr Schmerz war zu groß.

„Was willst du eigentlich?“

„Nichts.“ Sie wollte gehen, bevor sie irgendetwas Unverzeihliches sagte.

Fast hatte sie die Tür erreicht, als Massimo sich ihr in den Weg stellte.

„Du bist nicht ohne Grund hierhergekommen. Ich möchte wissen, was es ist.“ Sein höflicher Ton konnte sie nicht hinters Licht führen. Sie spürte den eisernen Willen, der dahinterstand. Der Mann würde sie nicht eher gehen lassen, als bis er ihre Erklärung gehört hatte. Falls alle Männer der Di Rocches so arrogant waren, war es kein Wunder, dass Pietra sich in der Familie nicht wohlgefühlt hatte.

„Würde es irgendetwas ändern?“, fauchte sie.

„Versuchs doch mal!“ Sein herablassender Ton war unerträglich.

„Ich wollte dich bitten, mich als Nickys Nanny einzustellen. Bis er sich eingewöhnt hat, ganz gleich, wie lange es dauert. Auf die Weise hätte ich nicht das Gefühl, ihn vollständig verloren zu haben.“

„Soweit ich weiß, hast du einen Job in San Francisco.“

„Das stimmt. Aber ich hatte ohnehin vor, ihn aufzugeben, um mich um Nicky kümmern zu können.“

„Ich habe gehört, du bist mit jemandem liiert, der in derselben Firma arbeitet.“

Es hätte sie nicht überraschen sollen, dass Pietra das alles ihrem Bruder anvertraut hatte. Offenbar war ihre Beziehung enger gewesen, als sie vermutet hatte.

„Wir haben uns getrennt“, bekannte sie. „Niemand bedeutet mir mehr als Nicky. Er braucht eine beständige Liebe und Geborgenheit. Er vermisst seine Eltern sehr.“

„Natürlich.“

„Du kannst nicht einfach irgendeine Angestellte für ihn nehmen“, sagte sie nachdrücklich.

„Die Frau, die ich im Sinn habe, hat selbst Kinder gehabt.“

„Das heißt, sie ist schon älter. Wie will sie denn im Regenwald zurechtkommen?“, entfuhr es Julie. „Ich bin jung und bereit zu leben wo auch immer du willst. Nicky und ich würden uns anpassen. Durch meinen Job habe ich einen gültigen Reisepass. Ich müsste mir nur noch die nötigen Schutzimpfungen holen.“

Er musterte sie aufmerksam. „Was für einen Job hast du gehabt?“

„Es war bei einer Software-Firma. Ich habe Präsentationen für die ausländischen Vertriebspartner gemacht. Aber um auf Nicky zurückzukommen: Er vermisst seine Eltern. Wenn er sich jetzt wieder auf einen fremden Menschen einstellen muss, wird ihn das noch weiter verstören. Keine andere Frau wird ihn je so lieben wie ich. Ich gewinne allmählich sein Vertrauen, seit ich die Babysitterin nach Hause geschickt habe und mich allein um ihn kümmere. Bald wird er mich akzeptieren.“

Sie musste Tränen hinunterschlucken. „Auch wenn Shawn und Pietra mir ihren Sohn nicht anvertraut haben – ich würde alles für ihn tun. Ich liebe ihn, er ist der Sohn meines Bruders.“

Damit war alles gesagt. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Reaktion. Als nichts kam, stand sie kurz davor zu explodieren.

Das wollte ich sagen! Deswegen bin ich gekommen. Aber das interessiert dich alles nicht, oder? Mutter hatte Angst, Pietras Onkel könnte versuchen, uns Nicky zu nehmen. Ich dachte, sie sei hysterisch, aber sie hatte recht! Du bist genauso schrecklich wie der Rest dieses Di-Rocche-Clans.“

„Bist du fertig?“ Sein Ton hätte nicht eisiger sein können.

Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Nein, ich habe noch nicht einmal richtig angefangen. Die ganze Zeit, wo du in Mittelamerika gesteckt hast, war Pietra dir egal, genau wie Nicky. Ich bin überzeugt, du lieferst ihn bei deinem Onkel ab, und dann wird irgendein Hausmädchen sich um ihn kümmern. Er wird darauf gedrillt werden, wie alle Di Rocches zu sein, und du kannst weiter deiner Leidenschaft in Guatemala frönen. Und weißt du was? Du bist der Schlimmste von allen, weil Pietra dir vertraut hat.“

Julies Stimme klang jetzt ein bisschen hysterisch, aber das war ihr egal. „Deine Schwester hat viel von dir gehalten, auch nachdem du sie allein gelassen hast und in den Regenwald gegangen bist. Sie hat mir erzählt, dass du sie nur ein einziges Mal besucht hast, bevor das Baby geboren wurde. So sehr hat dich ihr Leben interessiert! Und jetzt tauchst du hier auf, um die schmutzige Arbeit für deinen Onkel zu erledigen. Ich finde es einfach nur erbärmlich.“

„War’s das jetzt?“ Seine Augen blitzten.

„Was ist los? Verträgst du die Wahrheit nicht? Falls ich dich schockiert haben sollte – das war Absicht.“ Sie ging zur Tür, hielt aber noch einmal kurz inne. „Meine Eltern wissen nicht, dass ich hier bin. Und ich habe nicht vor, es ihnen zu sagen. Sie leiden ohnehin schon entsetzlich. Wenn sie wüssten, wie hartherzig du bist, würde es sie umbringen.“

Massimo machte keinen Versuch, Julie aufzuhalten. Diese Entwicklung hatte er nicht vorhergesehen. Er musste alles sorgfältig erwägen, bevor er etwas unternahm. Ein Gespräch mit Pietra ging ihm durch den Sinn. Er erinnerte sich deutlich an jedes Detail.

Wir haben alles besprochen, Bruderherz. Falls uns etwas passieren sollte, bevor Niccolo achtzehn ist, möchten wir, dass du sein Vormund wirst. Bist du einverstanden?

Margaret meint es gut, aber Shawn fürchtet, sie ist zu dominant.

Shawns Vater können wir nicht bitten, ohne seine Mutter zu verletzen. Abgesehen davon haben er und seine zweite Frau genug mit ihrem autistischen Enkel zu tun.

Julie wäre die perfekte Wahl, aber sie ist kurz davor zu heiraten. Irgendwann wird sie eigene Kinder haben. Shawn möchte sie nicht zusätzlich belasten. Er fürchtet, Margaret könnte sich in Julies Leben einmischen und ihre Ehe zerstören.

Du bist der Einzige, dem wir diese Verantwortung übertragen können. Nur du kannst mit Nickys Großmutter fertig werden und trotzdem fair gegenüber Shawns Familie sein. Gleichzeitig bist du der Einzige, den Onkel Aldo nicht unter seiner Fuchtel hat. Dadurch sind wir sicher, dass er unseren Sohn nicht unter seinen Einfluss bringen kann, solange du sein Vormund bist.

Es wäre uns eine große Beruhigung zu wissen, dass du dich um unseren kleinen Niccolo kümmerst. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber wenn jemand weiß, wie es ist, ohne Eltern zu leben, dann wir beide.

Vergiss nicht, dies ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Nicky ist noch nicht geboren, und Shawn und mir wird nichts passieren. Wir werden ein langes, glückliches Leben miteinander führen und eine große Familie haben.

Dies nur für den Fall der Fälle …

Massimo griff nach seinem Handy. Er hatte versprochen, seinen Onkel anzurufen. Pietras Tod hatte den Mann sehr getroffen. Vielleicht hatte er Gewissensbisse, weil es nicht mehr zu einer Aussöhnung mit seiner Nichte gekommen war. Nur er hätte den ersten Schritt tun können. Pietra war zu verletzt gewesen von den Vorgängen in der Familie ihres Onkels. Und jetzt war es zu spät.

Der Arzt hatte Aldo geraten, nicht zur Beisetzung zu fliegen. Es wäre eine zu große Belastung für sein Herz. Massimo atmete tief durch.

Wie sollte sich jemand von diesem Albtraum erholen? Und im Gegensatz zu Julie hatte er das Baby, um das es ging, noch nicht einmal gesehen.

Keine andere Frau wird ihn je so lieben wie ich.

Er braucht eine beständige Liebe und Geborgenheit.

Er vermisst seine Eltern sehr.

Wenn er sich jetzt wieder auf einen fremden Menschen einstellen muss, wird ihn das noch weiter verstören.

Trotz ihrer leidenschaftlichen Vorwürfe, die ihn sehr getroffen hatten, hatte die Qual, die aus ihren blauen Augen sprach, ihn tief berührt.

„Onkel?“

Figlio mio.“ Aldos Stimme bebte. „Hast du sie gesehen?“

Er schloss die Augen, aber nichts konnte die Bilder, die er vor sich sah, vertreiben. „Ja, ich komme gerade vom Bestatter.“

Sein Onkel musste sich mehrmals räuspern. „Ich hatte so gehofft, dort zu sein und ihren Jungen zu sehen.“

„Du wirst die Gelegenheit dazu bekommen.“

„Dr. Zampoli sagt, es wird noch eine Weile dauern.“

„Der gute Doktor weiß nicht alles.“

„Was meinst du damit?“

„Ich komme zurück nach Italien, Onkel.“

„Für wie lange?“

„Lange genug.“

„Erzähl mir keine Märchen, Massimo.“ Die Erregung in seiner Stimme war unverkennbar. „Von jedem könnte ich sie ertragen, aber nicht von dir.“

„Falls du mir nicht glaubst, frag Guido. Er und Lia sind dabei, die Villa in Bellagio vorzubereiten.“

„Wieso nicht mein Haus?“

Massimo presste die Lippen zusammen. Keine zwei Minuten, und sein Onkel versuchte schon wieder ihm seinen Willen aufzuzwingen. „Ich möchte, dass Nicky im Haus seiner Großeltern aufwächst.“

Es folgte ein kurzes Schweigen, bevor sein Onkel reagierte: „Du hast das Sorgerecht für den Jungen?“

Der Schock in seiner Stimme war Massimo eine Genugtuung. „So ist es“, bestätigte er.

Aldo wollte, dass sein Neffe nach Hause kam, um das Unternehmen zu leiten. Aber ein Baby im Haus vereitelte die Pläne, die er bereits vor Jahren für Massimo geschmiedet hatte.

„Ich kenne eine Frau, die perfekt wäre, sich um ihn zu kümmern.“

Natürlich. Und Massimo wusste auch, an wen er dabei dachte. Sein Onkel war so durchschaubar wie die Katze, die an der Sahne gewesen war.

„Ich auch, Onkel.“ Für Pietra wäre ihre Schwägerin die allerbeste Wahl gewesen. Und Massimo hatte soeben selbst erlebt, dass Julie Marchant bereit war, für den Jungen zu kämpfen. Kein anderer Mensch – von ihm selbst abgesehen – würde Nickys Wohlergehen über alles andere stellen. Das zeigte, dass er ihr den Jungen anvertrauen konnte.

Shawns goldblonde Schwester im Haus war eine neue Unbekannte in einer alten Gleichung. Das Ergebnis war offen, und er würde nicht zulassen, dass sein Onkel es manipulierte.

„Du weißt nicht, wie lange ich auf diesen Tag gewartet habe, Massimo.“

Hätte es nicht diese schreckliche Tragödie gegeben, hätte sein Onkel für immer warten müssen.

„Ich lasse es dich wissen, wenn ich in Mailand bin.“

„Wann ist die Beisetzung?“

„Übermorgen.“

„Gut. Dann können Dante und Lazio rechtzeitig da sein.“

Massimo war froh, dass seine Cousins die Familie repräsentierten, wenngleich auch nur auf Anweisung ihres Vaters. Noch froher war er darüber, dass Sansone nicht dabei war. Wenn er nicht da war, gab es weniger Spannungen.

„Ich lasse Zimmer für sie reservieren.“

„Danke. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen den Firmenjet nehmen. Wenn du mit dem Baby nach Hause kommst, wird er dir nützlich sein.“

Ausnahmsweise musste Massimo seinem Onkel einmal recht geben. Mit einem fünf Monate alten Baby per Linienflug um die halbe Welt zu fliegen, war sicher kein ungetrübtes Vergnügen.

„Tu, was der Doktor sagt, Onkel. Ciao.“

Der egoistische Teil von Massimo plädierte dafür, zu seinem Lieblingshobby zurückzukehren und seinen Neffen mitzunehmen, aber er hatte Shawn und Pietra ein Versprechen gegeben. Der Regenwald war sicher nicht der richtige Ort für ein Baby. Vielleicht, wenn Nicky ein Teenager war …

Julie hatte recht gehabt. Sein Hobby war seine große Leidenschaft.

Aber im Moment brauchte sein Neffe alles, was er ihm geben konnte, in erster Linie Liebe. Als seine Tante würde sie ihm die immer geben können, auch wenn Massimo ihre Hilfe nicht mehr brauchte. Bis zu dem Tag – wann auch immer der sein mochte – konnten sie die anfallenden Probleme gemeinsam lösen. Er mochte zwar um einiges älter sein als Julie, aber sie wusste wesentlich mehr über Babys als er.

Eine Viertelstunde später stand er vor der kleinen Stadtvilla und klingelte. Hinter der Tür hörte er ein Baby weinen.

Niccolo …

Das Geräusch zerrte an seinem Herzen.

Mr. Marchant öffnete. Hinter seiner Schulter sah Massimo Julies Mutter. Er erkannte die beiden anhand der Fotos, die er gesehen hatte. Beide waren dunkelblond, in ihren Genen offensichtlich beeinflusst von schwedischen Vorfahren, die Pietra einmal erwähnt hatte. Mrs. Marchant ging mit dem Baby auf dem Arm herum, um den Kleinen zu beruhigen. Von Julie war nichts zu sehen.

„Nun lernen wir uns endlich kennen, Massimo. Komm herein!“

„Kendra? Hier ist noch einmal Julie.“

„Oh, hi!“

Julie war erleichtert, dass Nickys Babysitterin zu Hause war. „Nicky weint die ganze Zeit. Kennst du vielleicht einen Trick, der uns helfen könnte? Nicht mal meine Mutter kann ihn beruhigen. Bevor ich noch einmal den Arzt anrufe, dachte ich, ich frage dich, was du in einem solchen Fall machst.“

„Probier es mit dem kleinen musikalischen Schaukelkorb, den mag er.“

Julie wusste, dass sie den Korb nirgendwo im Haus gesehen hatte. Vielleicht auf der hinteren Veranda?

Sie eilte die Treppe hinunter. Ihr Herz machte einen Satz, als sie Massimo im Wohnzimmer mit ihren Eltern sah. Die Atmosphäre war spannungsgeladen. Wann war er gekommen? Nach allem, was im Hotel vorgefallen war, hatte sie diesen Moment gefürchtet.

Ihr Vater machte sie miteinander bekannt, während Massimo den brüllenden Nicky auf dem Arm hielt. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Sie erwartete Zorn in seinem Ausdruck, aber seine Miene war vollkommen verschlossen und verunsicherte sie. Alles wurde noch komplizierter dadurch, dass seine italienischen Züge sie irgendwie faszinierten. Irritiert eilte sie durch die Küche zur hinteren Veranda.

Richtig, der Korb stand neben dem schmiedeeisernen Tisch. Sie trug ihn ins Wohnzimmer. „Lasst uns das ausprobieren.“

Massimo setzte den Kleinen in den Korb und schnallte ihn fest. Währenddessen betätigte Julie die verschiedenen Knöpfe.

„Kendra sagt, du magst das …“

Die Musik begann zu spielen, aber Nickys Weinen wurde nur noch lauter.

„Der Korb bewegt sich nicht. Vielleicht ist er kaputt.“

„Ich mache es von Hand“, murmelte Massimo und ging neben ihr in die Hocke. Ihre Arme und Schenkel berührten sich. Julie tat so, als merke sie es nicht, obwohl ihr bei dem Kontakt ein heißer Schauer den Rücken herunterlief.

Nicky beruhigte sich allmählich.

Kendra sei Dank!

„Ich glaube, jetzt läuft es“, bemerkte ihr Vater.

Massimo ließ den Korb los, und tatsächlich, er schaukelte jetzt eigenständig.

Julie richtete sich erleichtert auf.

„Mission erfüllt.“ Massimo grinste.

„Ich weiß wirklich nicht, wie Shawn und Pietra dich zum Vormund für unseren Enkel machen konnten“, bemerkte Julies Mutter spitz. „Der Regenwald ist ja nun wirklich kein Ort für ein kleines Kind. Außerdem hast du keinerlei Erfahrung mit Babys.“

Julie musste ihrer Mutter zugestehen, sofort die kritischsten Punkte angesprochen zu haben. Dabei war ihre feindselige Haltung dem Gespräch sicher nicht förderlich.

„Das stimmt“, sagte Massimo ruhig. „Deswegen bringe ich den Kleinen nach Italien.“

„Und du selbst verschwindest dann wieder im Regenwald und überlässt ihn irgendwelchen Fremden, denen er völlig einerlei ist?“

„Margaret!“

„Das ist schon in Ordnung“, unterbrach Massimo Julies Vater. „Wäre mein Leben anders verlaufen, wäre die Archäologie mein Beruf und nicht mein Hobby. Unter den Umständen werde ich in das Familienunternehmen zurückkehren.“

Was? Julie traute ihren Ohren nicht. Pietra hatte durchblicken lassen, dass ihr Bruder niemals in die Firma zurückkehren würde.

„Nicky wird mit mir in dem Haus leben, in dem Pietra und ich geboren wurden“, fuhr er fort. „Unsere Eltern waren in Bellagio am Comer See zu Hause. Von dort ist es nicht weit nach Mailand zum Hauptsitz unseres Familienunternehmens. Die Villa gehört jetzt mir. Meine Angestellten werden sich um Nicky kümmern. Sie sind im Moment dabei, das Haus vorzubereiten.“

„Aber die Menschen, die ihn lieben, sind hier“, empörte sich Margaret. „Er wird nur von Fremden umgeben sein.“

Sie sprach aus, was Julie dachte.

„Ich hoffe, das Problem lösen zu können, indem ich eure Tochter für eine Weile einstelle.“ Er sah zu Julie hinüber. „Das heißt, falls du dazu bereit bist und du dich so lange von deiner Arbeit beurlauben lassen kannst. Pietra hat mir erzählt, dass du einige Wochenende mit Nicky verbracht hast, du bist ihm also nicht so fremd wie ich.“

Julie vergaß für einen Moment vor Überraschung, den Mund zu schließen. Auch ihren Eltern verschlug es sichtlich die Sprache.

Massimo ließ sie nicht aus den Augen. „Wie wäre es, wenn du mir mit unserem Neffen hilfst, bis er sich an sein neues Zuhause gewöhnt hat? Deine Mutter hat recht: Ich habe keinerlei Erfahrung mit Babys.“

Er verschwieg, dass sie vorher bei ihm im Hotel gewesen war, und dass sie bereits über alles gesprochen hatten. Seine Diskretion wurde nur noch von seiner Gerissenheit übertroffen.

Wenn sie jetzt Nein sagte, bewies sie ihm, dass sie es vorher nicht ernst gemeint hatte. Sagte sie Ja, gab sie ihm die Möglichkeit, sich irgendwann für alles zu rächen, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte. Zum ersten Mal im Leben verspürte Julie wirklich so etwas wie Angst.

„Ich liebe Nicky“, sagte sie ruhig. „Es gibt nichts, was ich nicht für ihn tun würde. Meinen Job habe ich schon gekündigt. Ich hatte bereits beschlossen, mich um ihn zu kümmern, bevor ich von dem Testament wusste.“

„Ich finde, das ist eine sehr gute Idee“, lautete der erleichterte Kommentar ihres Vaters. „Findest du nicht auch, Margaret?“

„Ich … ja, wahrscheinlich. Es fällt mir nur schwer, das alles zu begreifen.“

„Natürlich könnt ihr Nicky gern jederzeit besuchen und bleiben, solange ihr wollt“. Setzte Massimo hinzu. „Zu den Festtagen bringe ich ihn nach Kalifornien oder nach Hawaii. Nicky braucht seine Großeltern. In seinem Interesse – wir schaffen das!“

Die magischen Worte.

Julies Mutter schluchzte. Ihr Vater klopfte ihm auf die Schulter.

Massimo wandte sich noch einmal an Julie. „Pietra hat einen Freund erwähnt. Er ist natürlich auch in der Villa willkommen.“

Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich getrennt hatten, aber er hatte es erwähnt, um noch überzeugender zu wirken. Ihm entging offenbar nichts. Innerhalb weniger Minuten hatte er erreicht, was Julie unmöglich erschienen war.

Er hatte ihre Mutter verstummen lassen und ihren Eltern klargemacht, dass sie Nicky nicht verlieren würden. Gleichzeitig hatte er Julie aufgefangen, bevor ihr Leben in Scherben ging. Aber sie ahnte, dass er einen Preis fordern würde.

Einen Preis für die Anschuldigungen, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte.

3. KAPITEL

In dem Jet der Di Rocches hatten vierzehn Passagiere Platz und die Crew. Nachdem die Lichter von San Francisco unter ihnen verschwunden waren, nahm Julie Massimos ziemlich wortkarge Cousins kaum noch wahr. Sie hielten sich im Konferenzbereich auf und schienen sich um Geschäftliches zu kümmern.

Aus dem Wenigen, das Massimo ihr erzählt hatte, wusste sie, dass Dante neununddreißig war und Lazio zweiundvierzig. Beide waren verheiratet und hatten Kinder, ebenso wie Sansone, der Cousin, der nicht mitgekommen war. Alle bekleideten wichtige Positionen innerhalb des Familienunternehmens.

Gelegentlich sprach Massimo mit seinen Cousins, aber meist hielt er sich bei Julie und Nicky auf, die einen abgetrennten Bereich für sich hatten, mit einem Schlafplatz. Es irritierte sie, weil sie nie wusste, wann er die Glacé-Handschuhe abstreifen würde. Die Anspannung machte sie nervös.

Nicky hatte sich bisher sehr gut gehalten. Erst seit dem Zwischenstopp in New York, wo sie noch einmal für die letzte Strecke über den Atlantik tanken mussten, war er quengelig.

Julie glaubte nicht, dass er schon wieder Hunger haben konnte. Seine wunden Stellen verheilten dank der Salbe rasch und würden in wenigen Tagen ganz verschwunden sein.

Es war das erste Mal, dass sie und Massimo mit ihm allein waren. Bis zum Abflug hatten sich Julies Eltern um den Kleinen bemüht. Sie wusste, dass es ihnen wehtat, ihn fortzulassen. Der Abschied auf dem Flughafen bedeutete das Ende der Familie Marchant, wie sie sie bisher gekannt hatten. Nichts würde je wieder so sein wie zuvor.

Doch dasselbe galt auch für Massimo, das musste sie zugeben.

Er hatte mit seiner Schwester den wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren. Nun hatte er auch noch seine geliebte Arbeit aufgegeben, um an einen Ort zurückzukehren, an dem er nicht sein wollte – um sich um ein Baby zu kümmern, das er nicht kannte.

Auch wenn er Nickys Onkel war, war die Übernahme der Vormundschaft doch ein großer Schritt. Er hatte diese Verantwortung ohne zu zögern übernommen.

Pietra hatte ihren Bruder vergöttert, und Julie erkannte bald den Grund dafür. Während andere Menschen in der Krise die Hände rangen, sah Massimo, was getan werden musste, und erledigte es mit einer souveränen Gelassenheit, um die ihn jeder andere nur beneiden konnte. Sie versuchte, sich Brent in derselben Situation vorzustellen, und scheiterte.

Massimo war einfach ein Mann.

Als Shawn für das Weingut in Italien unterwegs gewesen war, hatte er das Logo der Di Rocches überall gesehen, wie er Julie berichtete. Der Name bedeutete Felsen – er stand für etwas sehr Festes, Unerschütterliches. Massimo erschien Julie wie die Verkörperung seines Namens: wie ein Felsen, dem man instinktiv vertrauen konnte.

So hatte Pietra ihm vertraut und offensichtlich auch Shawn, denn hätte er Zweifel an der Integrität seines Schwagers gehabt, hätte er ihm sicher nicht die Vormundschaft für seinen Sohn übertragen.

Nun war das Unvorstellbare eingetreten: Nicky würde seine Eltern nie kennenlernen. Das Leben konnte so unfair sein. Julie unterdrückte ein Schluchzen.

Vielleicht spürte der Kleine ihre Trauer, denn jetzt begann er richtig zu weinen.

„Was mag er haben?“ Massimo musterte seinen Neffen besorgt.

Sie war versucht zu sagen, das Baby sehne sich nach seinen Eltern, verkniff es sich aber, weil er es selbst wusste. Stattdessen bemerkte sie: „Vielleicht muss er ein Bäuerchen machen. Und bestimmt vermisst er sein eigenes Bett.“

„Tun wir das nicht alle?“

„Ein Mann deiner Größe braucht sicher eine extra lange Hängematte“, entfuhr es ihr.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Du hast zu viele Indiana-Jones-Filme gesehen. Heutzutage hat man Feldbetten.“ Er erhob sich und streckte die Hände nach Nicky aus. „Du brauchst eine Pause. Ich gehe ein bisschen mit ihm auf und ab. Vielleicht beruhigt ihn das.“

Das Baby sah so winzig aus in den Armen des großen starken Mannes. Fasziniert betrachtete Julie die breite Brust, die sich unter dem hellgrauen Sweater abzeichnete. Am Halsausschnitt war eine Spur dunklen Haars zu erkennen. Er hatte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, sodass seine muskulösen Arme zu sehen waren.

Julie musste tief durchatmen. Jetzt war vielleicht der richtige Zeitpunkt, sich kurz frisch zu machen. Als sie Minuten später zurückkehrte, sah sie überrascht, dass Massimo wieder an seinem Platz saß. Er hatte Nicky bäuchlings über seinen Schoß gelegt und massierte ihm leicht den Rücken. Der Kleine hatte sich tatsächlich beruhigt.

„Daran hätte ich auch denken können“, sagte sie verblüfft. „Du machst mich ganz neidisch!“

„Wir können uns bei Dante bedanken. Der Tipp ist von ihm.“

„Wie alt sind seine Kinder?“

„Vierzehn und siebzehn. Ich nehme an, so etwas verlernt man nicht, wie das Radfahren.“

„Haben alle deine Cousins so jung geheiratet?“

„Mein Onkel hat darauf bestanden. Ihre Frauen waren handverlesen.“

„Deinem Junggesellenstatus nach zu urteilen, warst du der Einzige, der sich ihm widersetzt hat.“

„Er war ja nicht mein Vater. Seine Regeln waren sehr strikt, aber bis zu einem gewissen Grad kam ich damit durch, mich nicht daran zu halten. Sehr zum Ärger meiner Cousins“, setzte er trocken hinzu.

„Was waren das für Regeln?“

„Er ist zum Beispiel fest davon überzeugt, dass ein Mann, der mit einundzwanzig nicht verheiratet ist, eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.“

„Oh. Hatte deine Tante auch etwas dazu zu sagen?“

„Nein, gar nichts. Sie kränkelte während der ganzen Jahre ihrer Ehe und musste gepflegt werden. Sie ist ein Jahr, nachdem Pietra und ich zu ihnen gezogen sind, gestorben.“

Julie musste daran denken, wie ganz anders es in ihrer Familie gewesen war. Hier hatte sich die Mutter durchgesetzt und letztlich ihren Vater in die Flucht getrieben.

„Hat Pietra auch rebelliert?“

„Ja, sie nahm sich ein Beispiel an mir“, bekannte er. „Sie ließ sich nichts vorschreiben. Es hat mich nicht überrascht, als sie mir sagte, sie hätte sich in Shawn verliebt.“

„Pietra war das Beste, was meinem Bruder passiert ist“, sagte Julie leise. „Ihre Zeit zusammen war nicht sehr lang, aber sie waren das glücklichste Paar, das ich je gesehen habe. Sie ließ sich von unserer Mutter nicht einschüchtern.“

„Durch unseren Onkel war sie gut im Training.“

„Lebt er auch in Bellagio?“

„Nein.“

Die eindeutige Antwort ließ Julie erleichtert aufatmen. „Und deine Cousins?“

„Keine Angst. Die Familie Di Rocche kommt aus Mailand und lebt dort. Es war meine Mutter, die aus Bellagio stammte.“

„Pietra hat mir Fotos eurer Eltern gezeigt, als sie noch sehr jung waren. Deine Mutter war eine große Schönheit. Waren das ihre Hochzeitsfotos?“

Kaum war ihre Frage heraus, hielt seine Hand in ihrer massierenden Bewegung inne und es kam ein knappes „Nein.“

Es war klar, dass das Gespräch beendet war. Die plötzliche Anspannung, die er ausstrahlte, ließ Julies Mund trocken werden. Wenn Massimo das Thema nicht vertiefen wollte, war das sein gutes Recht.

Behutsam legte sie Nicky in seine Tragetasche. Nachdem sie ihm eine leichte Decke übergelegt hatte, setzte sie sich wieder. „Bitte entschuldige, falls ich dir mit meiner Frage zu nah gekommen bin. Als Tochter geschiedener Eltern weiß ich, wie es ist, wenn man bestimmte Themen meiden möchte.“

Kaum waren die Worte heraus, begriff sie, wie lächerlich das klingen musste nach allem, was sie Massimo bei ihrer ersten Begegnung an den Kopf geworfen hatte. Dafür war auch noch eine Entschuldigung fällig.

Er musterte sie nachdenklich. „Du hast mir vorgeworfen, genauso schrecklich zu sein wie der Di-Rocche-Clan. Wenn du meine Welt betrittst, tust du es auf eigenes Risiko.“

„Willst du damit sagen, du hast auch noch andere Aufgaben für mich? Soll ich deinen Tee probieren, bevor du ihn trinkst?“

Er entspannte sich ein wenig. „Ganz so finster waren meine Absichten nicht. Aber in einem Punkt möchte ich, dass du tust, worum ich dich bitte. Ich erwarte, dass du zu mir kommst, falls dir etwas nicht richtig zu sein scheint, oder falls du dich wegen irgendetwas oder irgendjemandem unbehaglich fühlst.“

Es war ihm anscheinend sehr ernst damit.

„Mit irgendjemandem meinst du …“

„Irgendjemanden aus der Familie“, ergänzte er. „Solange du in Italien bist, lebst du unter meinem Dach. Dort gelten meine Regeln, und nur meine. Verstanden?“ Die Frage klang eher nach einem Befehl.

„Ja, natürlich.“

„Guido und Lia kannst du vertrauen. Sie besorgen den Haushalt.“

„Wenn alles voller Intrigen ist, wieso bringst du Nicky dann dorthin?“

„Hier sind seine italienischen Wurzeln. Er sollte sie ebenso kennenlernen wie später seine amerikanischen. Das war offensichtlich der Wunsch seiner Eltern, sonst hätten sie nicht mich zu seinem Vormund gemacht.“

Shawn und Pietra hätten sich nicht mehr für ihren Sohn wünschen können!

Je besser Julie Massimo kennenlernte, desto mehr verunsicherte er sie. Dabei gestand sie es sich nur ungern ein, aber es ließ sich nicht leugnen: Er war der faszinierendste Mann, den sie je kennengelernt hatte.

Doch sie machte sich auch keine Illusionen: Er war ein gebildeter, vermögender und erfahrener Mann von Welt, zehn Jahre älter als sie. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass er sich auch nur im Geringsten für sie interessieren konnte.

Die Richtung ihrer Gedanken erschreckte sie. Rasch zwang sie sich zurück in die Gegenwart und betrachtete Nicky. „Er hat sich bisher wirklich gut gehalten.“

„Vielleicht haben wir einiges richtig gemacht.“

„Mag sein, aber noch sind wir nicht gelandet.“

„Wir sind schon im Anflug auf Mailand-Linate. Es wurde gerade angezeigt.“

Julie konnte es nicht fassen: Sie und Nicky sollten die Welt der Di Rocches betreten.

Minuten später landete die Maschine. Massimo sammelte Nickys Sachen ein. Seine Cousins verließen die Maschine zuerst. Julie folgte mit dem schlafenden Nicky auf ihren Armen.

Im nächsten Moment passierten zwei Dinge gleichzeitig. Ein Chauffeur nahm Massimo die Taschen ab, während eine üppige Frau mit langem rotem Haar laut Massimos Namen rief. Sie eilte an seinen Cousins vorbei und warf ihm die Arme um den Nacken. Die Art, wie ihre Lippen und Körper sich fanden, sprach davon, dass sie sich sehr gut kannten.

Es ging alles so schnell, dass Julie sich nicht abwenden konnte. Sie hatte das Gefühl, als habe sich der Anblick dieser Umarmung für immer in ihr Gedächtnis eingegraben.

Dante warf einen Blick zu ihr herüber, die auch die letzte Stufe noch nahm, ohne zu stolpern. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie unscheinbar sie im Vergleich zu dieser atemberaubenden Frau mit ihrem Pferdeschwanz, den Jeans und dem Baumwoll-Top wirken musste, an das Nicky sich während des Flugs geschmiegt hatte.

Die Vorstellung, Dante könnte ihre Gedanken erraten, entsetzte sie. Daher schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „Vielen Dank für deinen Tipp. Die Rückenmassage hat geholfen, um Nicky zu beruhigen.“

Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Komm, ich helfe dir, solange Massimo mit Seraphina beschäftigt ist.“

Damit wollte er zweifellos sagen, dass es eine Weile dauern konnte. Das hatte sie sich schon gedacht.

Er öffnete die Tür der Limousine und schnallte Nickys Babytasche fest. Julie ließ sich neben dem Kleinen auf den Rücksitz sinken. Bestimmt war sie nach der langen Reise erschöpft, aber ihre momentane Schwäche hatte eine andere Ursache, das wusste sie.

„Danke“, murmelte sie und versuchte verzweifelt, nicht an das zu denken, was sich hinter der Limousine abspielte.

Er zuckte die Schultern. „Pietra gehörte zur Familie. Hab Spaß in deinem Urlaub!“ Damit warf er die Tür zu.

Urlaub? War es das, was Massimo seinen Cousins gesagt hatte? Dass sie nur für einen kurzen Besuch hier war?

Bisher hatten die Di Rocches sich in jeder Hinsicht korrekt verhalten, auch wenn ihre kühle Art Julie das Gefühl gab, hier überflüssig zu sein. Besonders jetzt. Ihr in diesem Moment, wo sie noch trauerte, Spaß zu wünschen, erschien irgendwie taktlos.

Wenn Dante und Lazio immer so gewesen waren, konnte Julie gut nachvollziehen, dass Pietra sich an ihren Bruder gehalten hatte. Und als er dann nach Mittelamerika gegangen war, hatte sie sich die Wärme bei Shawn geholt.

Während sie im Wagen saß und auf Massimo wartete, musste sie daran denken, dass Pietra offensichtlich nicht die einzige Frau gewesen war, die unter Massimos Weggang nach Guatemala gelitten hatte.

Der Gedanke zog einen weiteren deprimierenden Gedanken nach sich: Bestimmt hatte er auch eine Frau – oder vielleicht gar mehrere – in Mittelamerika zurückgelassen. Ein vierunddreißigjähriger Junggeselle lebte nicht wie ein Mönch. Sie weigerte sich, den Gedanken weiter zu verfolgen und zu analysieren, wieso ihr momentaner Zustand dem der Eifersucht sehr nahekam. Es war zu absurd!

Wenn sie bleiben wollte, tat sie gut daran, sich auf die Rolle der Nanny zu konzentrieren. Sie nutzte den Augenblick, um Nickys Windeln zu wechseln. „Lass uns doch mal sehen, ob die Creme dir noch hilft“, sagte sie liebevoll.

In diesem Moment stieg Massimo auf der anderen Seite ein. Er brachte den Duft von Seraphinas Parfum mit. „Tut mir leid, dass du warten musstest.“

Er gab keine Erklärung ab, und sie hatte keine erwartet.

„Wir haben es ja nicht eilig“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Sie cremte Nicky ein.

Massimo beugte sich vor. „Seine Haut scheint besser zu werden.“

„Ich glaube auch. Ist das nicht schön?“ Sie gab Nicky einen Kuss auf den Bauch. Er strahlte sie an.

Mit wenigen Griffen hatte sie die Windel geschlossen und ihm den Strampler übergezogen. Darin war sie inzwischen sehr geübt.

„Nur noch ein kurzer Flug mit dem Helikopter, und wir sind zu Hause.“

Massimos sachlicher Ton verriet nichts von dem, was in ihm vorgehen mochte. Wenn sie an die Frau dachte, die ihn gerade so stürmisch begrüßt hatte, konnten seine Erinnerungen nicht nur schlecht sein.

Julie setzte den Kleinen wieder in den Kindersitz. Bis sie alles verstaut hatte, hatte die Limousine den Hubschrauberlandeplatz erreicht.

Der Flug über den Comer See war atemberaubend. Sie hatte das Gefühl zu träumen, als sie die kleinen Orte am Ufer des tiefblauen Sees sah. Bewaldete Berghänge stiegen auf zu schneebedeckten Gipfeln.

Auf Massimos Bitte hin flog der Pilot niedriger, sodass sie Olivenbäume und Palmen erkennen konnte, Bougainvillea, Rhododendren und sogar Azaleen, die ihre ganze Farbenpracht entfalteten. Bald steuerten sie eine malerische Stadt mit bunten Häusern und engen Gassen auf einer grünen Halbinsel an, die in den See hinausragte. Luxuriöse Villen an der Uferpromenade waren umgeben von herrlich angelegten Gärten mit hohen Zypressen.

Julie seufzte begeistert.

„Bellagio ist eine der schönsten Städte Europas“, sagte Massimo versonnen.

„Wie muss Pietra Shawn geliebt haben, wenn sie seinetwegen dies alles verlassen hat!“

„Die Weinberge in Sonoma haben auch ihren Charme.“

„Das stimmt, aber dies hier ist unvergleichlich.“

Der Hubschrauber steuerte eine große Villa mit einem sonnendurchfluteten Garten direkt am Hang an.

„Das ist dein Zuhause?“

Massimo nickte. Der Heli setzte sie auf einem kleinen Landeplatz neben der Villa ab.

Julie war fasziniert von der Schönheit dieses Paradieses. Aber sie wusste auch: Jedes Paradies hatte seine Schlange. Wann würde diese sie beißen?

Guido und Lia hatten die Villa perfekt auf Nicky vorbereitet. Nach Massimos Anweisung war Pietras Schlafzimmer zum Kinderzimmer geworden, und Julie hatte die Suite daneben. Massimo schlief unten. So konnten sie beide problemlos zu Nicky gelangen, ohne dass er durch Julies Zimmer gehen musste.

Er sah Lia mit einem Tablett aus der Suite kommen. Zufrieden registrierte er, dass Julie fast alles aufgegessen hatte.

Während der vergangenen Woche hatte sie kaum Appetit gezeigt. Er hatte sich mehr Sorgen um sie als um Nicky gemacht, der sein Fläschchen inzwischen problemlos annahm. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen hatte Massimo gelernt, dass er nur energisch genug auftreten und den Sauger in Nickys Mund schieben musste. Plötzlich hörte der Kleine auf, sich gegen ihn zu sträuben, und sie waren im Geschäft. Massimo wusste nicht, wer von ihnen beiden überraschter war.

„Glückwunsch“, sagte Julie, „du hast den Trick jetzt auch heraus.“

Ihr leises Lachen lenkte seine Aufmerksamkeit unwillkürlich auf ihre Lippen. Er empfand ein unerklärliches Erfolgsgefühl, wie er es seit Jahren nicht mehr gehabt hatte.

Er nahm sich eine übriggebliebene Traube von dem Tablett und schob sie sich in den Mund. „Hat Julie gesagt, ob sie im Moment noch etwas braucht?“

„Nein. Die Signorina hat das Baby in seinem Korb neben ihr Bett gestellt. Beide schlafen. Sie liebt ihn, als wäre es ihr eigenes bambino.“ Lias Augen wurden vor Rührung feucht. „Pietra hat einen wunderschönen Sohn. Dass sie nun nicht mehr bei ihm sein kann …“

Massimo atmete scharf ein. Er wollte nicht an den Albtraum denken, den sie gerade erlebt hatten. Er umgab ihn immer noch wie eine dunkle Wolke.

„Ich lege mich auch hin. Gina soll ihn zu mir bringen, wenn er wach wird, ganz gleich, wie spät. Julie braucht ihren Schlaf. Ich werde ihn füttern.“

Sie nickte.

Bene. Grazie, Lia.“

Momento, Massimo. Cesar bittet Sie, ihn zurückzurufen. Er und Luca haben Blumen geschickt. Ich habe sie in Ihr Arbeitszimmer gestellt.“

„Ich melde mich bei ihm.“ Cesar und sein älterer Bruder Luca würden schockiert sein, wenn sie erfuhren, dass Nicky in Italien bei Massimo leben würde. Das betraf insbesondere Cesar, weil es bedeutete, dass Massimos Junggesellenzeiten vorüber waren. Die Nachwirkungen von Pietras tödlichem Unfall waren noch nicht abzusehen.

„Sie haben noch viele weitere Anrufe gehabt – Ihr Onkel, Signor Vercelli, Signor Ricci, Seraphina Ricci, Dottor Pittman, Dottor Reese und Signor Walton.“

Er sah sie fragend an. „Walton?“

„Das ist der Verlobte von Signorina Marchant. Er scheint sie dringend sprechen zu wollen. Es ging um eine Hochzeit, aber ich konnte ihn schlecht verstehen, die Leitung war gestört.“

Massimo runzelte die Stirn. Es war also nicht vorbei. Was auch immer sie für einen Streit gehabt haben mochten – der arme Teufel verfluchte sich wohl inzwischen.

„Ich sage es ihr. Die anderen müssen warten.“

Besonders sein Onkel, der schon seinen ersten Trumpf ausgespielt hatte, allerdings ohne Erfolg. Es war keine Überraschung gewesen, dass Seraphina ihn auf dem Flughafen begrüßt hatte.

Sein Onkel und ihr Vater wollten die Verbindung zwischen ihnen bereits seit vier Jahren, aber Massimo liebte sie nicht. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte er sie nicht geheiratet. Sie war ein Großstadtmensch, war verwöhnt von ihrem Papa und seinem Geld. Das machte sie ungeeignet für ein Leben in einem Dritte-Welt-Land.

Ganz anders als Julie, zum Beispiel.

Es irritierte ihn, dass seine Gedanken immer wieder zu ihr wanderten. Als er sein Zimmer erreichte, fühlte sich sein ganzer Körper an, als sei er aus Blei. Seit dem Anruf von Sansone, der nun schon hundert Jahre her zu sein schien, hatte er nicht mehr richtig geschlafen.

Er duschte, war aber zu müde, sich auch noch zu rasieren. Aber als er wieder in seinem alten Bett lag, wollten die Gedanken nicht aufhören zu kreisen. Wie Blasen tauchten sie auf und führten von einem zum anderen. Die Frau, die dort jetzt mit dem Baby schlief, war ihm wirklich unter die Haut gegangen.

Im Geiste sah Massimo immer noch vor sich, wie sie ihn im Hotel aufgesucht und auf seine Familie geschimpft hatte. In einem Moment hatte sie ihn angegriffen, im nächsten hatte sie darum gefleht, ein Teil von Nickys Leben sein zu dürfen. Sie war sogar bereit gewesen, mit in den Regenwald zu kommen. Wahrscheinlich hätte sie alles versprochen, nur um bei dem Kind bleiben zu können.

Nachdem er Julie nun ein wenig besser kennengelernt hatte, war er überzeugt, dass sie tun würde, was getan werden musste, ohne sich je darüber zu beklagen. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, als er sich vorstellte, wie die Einheimischen reagieren würden, wenn er mit einer blonden Frau und einem blonden Baby im Boot durch den Regenwald fuhr.

Er sehnte sich zurück nach der Intimität der Situation während des Fluges. In dieser Zeit hatte er kaum an seine Cousins gedacht. Er und Julie waren vollauf mit Nicky beschäftigt gewesen. Es war fast so, als seien sie eine kleine Familie.

In der Enge der Maschine hatte er keine Entschuldigung gebraucht, sie anzusehen, wann auch immer ihm danach war. Schon im Hotel hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt, und dieses Verlangen war nicht weniger geworden.

Er dachte an die langen Wimpern, die etwas dunkler waren als ihr Haar. Dachte an die großen blauen Augen. Das ovale Gesicht. Die weichen Lippen. Den wohlgeformten Körper. Im Geiste sah er Nicky vor sich, der sich an ihre Brust schmiegte, während ihr blondes Haar sich über die Lehne ergoss.

Hätte er Julie nicht mitgebracht, hätten sich Lia und die Mädchen um Nicky gekümmert. Aber mit Sicherheit hätten sie es nicht so liebevoll getan wie sie.

Irgendwann würde Julie ihn verlassen, denn ihre Beziehung zu Walton war eindeutig nicht so beendet, wie sie es dargestellt hatte. Er hatte bisher nicht weiter darüber nachgedacht, aber die Aussicht auf diese Möglichkeit alarmierte ihn. Wenn das Baby sie verlor, war es, als verlöre es die Mutter zum zweiten Mal.

Sie waren erst zehn Tage zusammen, aber Massimo hatte sich bereits daran gewöhnt, sie mit Nicky zu sehen. Und Nicky schien sie zu lieben. War es ein Fehler gewesen, sie mit nach Italien kommen zu lassen?

Rückwirkend betrachtet, hätte er sich vielleicht nicht von dem Schmerz beeinflussen lassen sollen, den er in ihrem Blick gesehen hatte. Davon und von ihrer offenkundigen Liebe zu dem Kind.

Massimo klopfte sein Kissen auf, doch ganz gleich, wie er es auch hin und her drückte, er fand keine Ruhe. Es ließ sich nicht leugnen: nicht nur Nicky hatte eine Beziehung zu Julie entwickelt. Es musste etwas geschehen, bevor das Ganze zu weit ging.

Julies Uhr zeigte vier. Nicky und sie hatten mehrere Stunden geschlafen. Sie hatte vorher geduscht, aber er brauchte noch ein Bad. Während sie es einließ, dachte sie, dass wohl nur wenige Kinder ein so luxuriöses Umfeld hatten. Sobald Nicky sein Fläschchen getrunken hatte, wollte sie mit ihm einen Bummel durch die Stadt machen. Sie konnte es kaum erwarten. Später wollte sie dann ihre Sachen auspacken und sich einrichten.

Zehn Minuten später zog sie ihm einen süßen kleinen Strampler an, mit einem Superhelden auf dem Lätzchen. Nun war sie froh, vor ihrer Abreise noch die Babytrage gekauft zu haben, die sie sich einfach umschnallen konnte. Bis Massimo einen Kinderwagen gekauft hatte, war dies die ideale Lösung.

Im Erdgeschoss traf sie eines der Hausmädchen, das sie bereits kennengelernt hatte.

„Gina? Ich mache einen Spaziergang mit dem Kleinen. Bitte, richten Sie es Lia aus.“

„Haben Sie es dem Signore schon gesagt?“

„Nein, ich habe ihn nicht gesehen. Ist das ein Problem?“

Massimo sollte nicht das Gefühl haben, sich ständig um sie kümmern zu müssen. Sie hatte um diesen Job gebeten. Obwohl er sie daraufhin als Nickys Nanny eingestellt hatte, war sie nie entspannt in seiner Nähe.

Je weniger sie von ihm sah, desto besser war es wohl für ihren Seelenfrieden. Es wäre doch eine Katastrophe, wenn er von ihrer geheimen Angst vor ihm wüsste. Oder noch schlimmer: davon, dass sie sich so zu ihm hingezogen fühlte.

Gina schien besorgt. „Er hat darum gebeten, dass ich ihm Niccolo bringe.“

„Dann mache ich das. Wo ist er?“

„Nein, nein … Der Signore schläft gerade.“

Das überraschte Julie nicht. Sie war sicher, dass er auf dem Flug keine Minute geschlafen hatte. „Dann sollten wir ihn nicht stören. Ich bin in einer Stunde zurück. Er wird gar nicht merken, dass wir fort waren.“

Gina schien nicht angetan von der Idee, aber Julie hatte nicht die Absicht, hier herumzusitzen, bis Massimo aufwachte. Warten bedeutete auch Zeit zum Nachdenken. Und das hatte sie im Flugzeug schon zur Genüge getan – immer wenn sie ihn betrachtet hatte.

Hier in Italien wollte sie sich und Nicky so beschäftigt halten, dass Massimos Ärger allmählich verflog. Sie war sicher, sich außer der Szene im Hotel keinen weiteren Faux Pas geleistet zu haben, mit dem sie seinen Zorn erregt haben könnte.

Nicky musste jetzt ihre allerhöchste Priorität sein.

4. KAPITEL

Julie atmete den Duft der Blüten tief ein. Sie kam sich vor wie im Paradies. Sie konnte von oben auf den Comer See herabsehen und auf die wunderschöne alte Stadt Bellagio. Wohin zuerst? Der Garten lockte sie, aber da sie hier wohnte, konnte sie ihn jederzeit erkunden. Nach dem langen Flug lag ihr daran, sich zu bewegen.

Sie hatte das Tor, das auf die Straße führte, fast erreicht, als ein offener Sportwagen auf die Auffahrt einbog. Rasch trat sie beiseite.

Der Fahrer hielt und stieg aus. Er trug Shorts und ein eng geschnittenes Hemd. Er mochte die Größe ihres Bruders haben und schien in etwa in ihrem Alter zu sein. Die braunen Augen erinnerten sie an Lazio. Der Blick enthielt unverkennbare männliche Bewunderung.

„Guten Tag, Signorina. Sie müssen Pietras Schwägerin Julie sein.“ Sein Englisch war ausgezeichnet. „Ich wusste nicht, dass Sie so bellissima sind.“

„Ich fürchte, ich kenne Sie nicht …“ Seine Art zu flirten erinnerte sie an Brent, was nicht unbedingt für ihn sprach.

„Da ich nicht zur Beisetzung kommen konnte, wollte ich mein Beileid so schnell wie möglich hier ausdrücken. Ich bin Vigo.“

„Vigo wer?“

Er seufzte dramatisch. „Ich sehe, Massimo hat nichts von mir erzählt.“

Sie musste unwillkürlich lachen. „Tut mir leid.“

„Sagen Sie ihm nicht, dass ich es gesagt habe, aber ich bin mit Abstand der netteste Di Rocche, den die Familie zu bieten hat.“

„Sind Sie vielleicht der Sohn von Sansone?“

Seine Miene erhellte sich. „Sì.

„Ich habe ihn noch nicht kennengelernt.“

„Ich bin Ihrem Bruder nie begegnet, aber wenn ich Sie so ansehe, verstehe ich, wieso Pietra mit ihm durchgebrannt ist.“

Sie hätte auf seine Schmeicheleien verzichten können, zumal wenn die Erwähnung von Shawn die übliche Reaktion hervorrief. Diesmal konnte sie ihre Tränen jedoch zurückhalten. „Die beiden haben sich sehr geliebt.“

„Ich habe sie beneidet.“

Die Bemerkung wärmte ihr das Herz.

Sein Blick fiel auf die Babytrage, die sie sich umgeschnallt hatte. Seinem Ausdruck nach zu urteilen, hatte er so etwas bisher nicht gesehen.

„Es sieht merkwürdig aus, aber Nicky mag es“, erklärte Julie. „So hat er immer Körperkontakt mit mir.“

Er trat an ihre Seite, um das Baby besser sehen zu können. „Von den Augen abgesehen würde ich sagen, Niccolo könnte auch dein bambino sein.“ Er war unwillkürlich zum Du übergegangen, und Julie akzeptierte es stillschweigend. Immerhin waren sie verwandt. „Die dunklen Augen hat er von Pietra.“

„Ich wollte gerade mit ihm in die Stadt gehen.“

„Darf ich mitkommen?“

Sie zögerte.

„Möchtest du lieber allein sein? Ich bin extra von Mailand hierhergekommen, um dir mein Beileid auszudrücken.“

Sie gab nach. „Ja, wenn du meinst … Ich möchte Touristin spielen. Es ist mein erster Besuch in Europa. Alles ist neu für mich.“

Er lächelte. „Ich bin seit drei Jahren nicht mehr in Bellagio gewesen. Wir erkunden die Stadt gemeinsam.“

Vigo erwies sich als sehr unterhaltsamer Begleiter ohne die nüchterne Ernsthaftigkeit, die seine Onkel an den Tag legten. Er kaufte ihnen ein Eis, ein gelato, wie er es nannte. Julie verfiel dem Geschmack auf Anhieb.

Gemächlich schlenderten sie durch die engen Gassen mit dem Kopfsteinpflaster und den alten Häusern, die der Stadt ihren Charme verliehen. Da sie die Hügel von San Francisco gewohnt war, waren ihr die Stufen zwischen den Geschäften nichts Neues. Ein Kinderwagen wäre hier nur hinderlich gewesen.

Nicky liebte es, an der frischen Luft zu sein. Irgendwann blieb Julie an einer Bank am Ufer stehen, um ihm Wasser zu geben. Er versuchte die Flasche selbst zu halten und trank gierig.

Vigo sah ihm amüsiert zu. „Wie wäre es, wenn wir eine Kleinigkeit essen gehen?“

Ehe sie darauf antworten konnte, fragte eine kühle männliche Stimme: „Solltest du dich nicht um dein Studium kümmern, Vigo?“

Vigo sah sich entgeistert um. „Buonasera, Massimo. Lange nicht gesehen.“ Und nach einer kurzen Pause. „Das mit Pietra tut mir leid. Ich habe es schon Julie gesagt.“

„Ach, wirklich.“ Der abweisende Ton sprach Bände.

Vigo räusperte sich nervös. „Zu dir wollte ich auch, aber da Julie gerade mit Niccolo einen Spaziergang durch die Stadt machen wollte, habe ich mich ihr angeschlossen. Äh … Ich glaube, ich gehe dann besser.“

Julie wollte die Situation irgendwie retten. „Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Vigo. Vielen Dank für das gelato.“

„Es war mir ein Vergnügen.“

„Du solltest dich bei deinem Vater melden“, informierte Massimo ihn knapp. „Er hat vor einer Weile angerufen und sucht dich offenbar.“

Vigo nickte kurz und hatte es plötzlich sehr eilig, sich zu verabschieden.

Julie senkte den Kopf. Diese Seite von Massimo hatte sie seit ihrer ersten Begegnung im Hotel nicht mehr gesehen, und genau vor ihr hatte sie sich gefürchtet. Sein Ton, seine Körperhaltung – alles war eisig. Nicky musste die Spannung gespürt haben, denn er hörte auf zu trinken.

„Ich lasse ihn sein Bäuerchen machen.“ Ehe Julie es sich versah, hatte Massimo ihr das Baby abgenommen und legte sich den Kleinen an die Schulter. Sekunden später hatte Nicky das Wasser wieder ausgespuckt, einschließlich etwas von der Milch, die er davor getrunken hatte.

„Oh, nein!“ Entsetzt sah sie, wie alles über Massimos blaues Sporthemd lief. Nicky hatte sich offensichtlich erschreckt, denn er begann so laut zu weinen, dass die Leute schon vorwurfsvoll zu ihnen herübersahen, als hätten sie dem Kind etwas angetan.

„Hier!“ Julie zog ein Tuch aus der Tasche und hätte Massimos Schulter abgewischt, aber er wies sie zurück. „Wir sollten ihn schnell in die Villa bringen. Er ist ganz heiß.“

Sie legte ihre Hand auf die Stirn des Kleinen. Nicky schien tatsächlich Fieber zu haben. „Die Sonne scheint ihm nicht bekommen zu sein.“

Ohne sein Tempo zu verlangsamen, zog Massimo sein Handy aus der Tasche. „Ich werde Lia bitten, Pietras Ärztin kommen zu lassen. Sie wird die Nummer haben.“

Nach kürzester Zeit hatten sie die Villa erreicht. Nicky weinte immer noch. Vigos Wagen war fort. Julie registrierte es erleichtert.

Massimo eilte die Treppe mit langen Sätzen hinauf. Nachdem er Nickys Windel gewechselt hatte, ging er mit ihm auf dem Arm hin und her und flüsterte ihm beruhigende Worte zu, wie es jeder besorgte Vater getan hätte. Julie beobachtete es fasziniert. Er mochte nichts von Babys verstehen, aber er tat instinktiv das Richtige.

Minuten später legte Nicky das Köpfchen an Massimos Hals. Sein Weinen war zu einem gelegentlichen Schluchzen verstummt. Julie hatte plötzlich einen Kloß im Hals, als sie sah, wie sich der kleine Körper an den großen schmiegte. Sie glaubte förmlich sehen zu können, wie sich ein Band zwischen ihnen formte.

Kurze Zeit später trat Lia ein, gefolgt von einer kleinen Frau mittleren Alters, die eine Arzttasche dabei hatte und sich als Dr. Brazzi vorstellte. Voller Anspannungen verfolgte Julie, wie die Ärztin den Kleinen untersuchte. Auch Massimo ließ sie nicht aus den Augen.

„Es könnte mehrere Ursachen für sein plötzliches Fieber geben“, erklärte die Ärztin schließlich. „Entweder fängt er schon an zu zahnen, oder es könnte sich um eine Sommergrippe handeln. Die dritte Möglichkeit scheint die Wahrscheinlichste zu sein, weil das Fieber so plötzlich aufgetreten ist. Es gehört zu den typischen Roseola-Symptomen, die bei Kindern dieses Alters öfters auftreten. Sie sind dann unruhig und haben ein oder zwei Tage lang keinen Appetit. Es kann auch ein Ausschlag am Körper und im Gesicht auftreten. Aber wie auch immer, es ist nichts Ernstes.“

„Gott sei Dank“, entfuhr es Julie spontan, und auch Massimo war sichtlich erleichtert.

„In allen drei Fällen ist die Behandlung gleich: Geben Sie ihm das flüssige Ibuprofen für Babys.“

„Pietra hatte so etwas in ihrer Apotheke. Ich habe es mitgebracht.“

„Gut. Halten Sie sich an die Anweisungen. Lassen Sie ihn viel trinken. Wenn er seine Milch nicht will, geben Sie ihm Zuckerwasser. Es ist ein alter Trick, aber er funktioniert immer noch.“ Sie schloss die Tasche. „Rufen Sie mich an, falls Sie Fragen haben.“

„Das werden wir“, versicherte Massimo ihr.

Julie schüttelte der Ärztin die Hand. „Vielen Dank, dass Sie gleich gekommen sind.“

„Das ist doch selbstverständlich. Pietra war eine wunderbare Frau. Und ihr Sohn ist ein wunderbares Baby. Was für eine Tragödie, dass seine Eltern nicht mehr da sind. Er wird alle Liebe brauchen, die Sie ihm geben können. Das wird ihm helfen, schnell wieder gesund zu werden.“

Drei Tage später kam der Ausschlag – das Zeichen dafür, dass Nicky das Schlimmste überstanden hatte. Massimo hatte sich mit Julie abgewechselt, nachts aufzustehen und sich um den Kleinen zu kümmern.

Julie hatte erwartet, dass er nach Mailand fahren würde, um seine Arbeit aufzunehmen, aber er blieb zu Hause. Man hätte ihn für den Vater des Babys halten können.

Erfreulicherweise trank Nicky jetzt wieder sein Fläschchen. Am fünften Tag kam sie morgens gerade in sein Zimmer, als er anfing, sich bemerkbar zu machen.

„Hallo, Kleiner.“ Sie legte ihn auf den Wickeltisch. „Du weißt ja nicht, wie süß du bist. Deine Tante liebt dich sehr.“ Als sie ihn hochnahm, um ihn in seine Wanne zu setzen, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihm einen schallenden Kuss auf die Wange zu geben.

„Kann hier jeder mitmachen?“

Massimo! Julies Herz machte einen Satz. Er musste gerade geduscht haben. Sie roch noch seine Seife. Wie sie trug er Shorts und ein T-Shirt.

„Wie wäre es, wenn du ihn badest?“, schlug sie spontan vor. „Das würde ihm sicher gefallen. Nicht wahr, Nicky?“

„Wenn du mir das zutraust … Das wäre wieder einmal eine Premiere für mich.“

„Ich habe herausgefunden, dass man dabei nicht viel falsch machen kann. Er liebt sein Bad. Setz ihn einfach nur vorsichtig ins Wasser.“

Massimo befolgte ihren Rat. Bald war lautes Gelächter zu hören, während Nicky begeistert strampelte und mit dem Wasser spritzte, bis sie beide nass waren. Julie goss ihm ein wenig Babyshampoo auf den Kopf. Massimo verteilte es und ließ es schäumen, bevor er es wieder ausspülte. Sie harmonierten auch ohne viele Worte wie ein perfekt eingespieltes Team.

„Unser großer Junge!“, erklärte sie zufrieden, als sie Nicky sein Strampelhöschen übergezogen hatte.

Massimo trug ihn ins Bett. Dabei küsste er dem Baby den Bauch, wie Shawn es immer getan hatte. Der Kleine gluckste vergnügt. Ganz eindeutig liebte er die Aufmerksamkeiten seines Onkels.

Julie musste sich räuspern, bevor der Kloß verschwand, den sie plötzlich im Hals hatte. „Ich hole sein Fläschchen.“

„Ich habe Gina gebeten, es zusammen mit unserem Frühstück zu bringen“, erklärte Massimo.

Er dachte wirklich an alles. Es war fast, als seien sie eine Familie. Was sie ja gewissermaßen auch waren. Aber eben nicht ganz!

Das bestätigte sich, als das Mädchen mit dem Tablett und einem Fläschchen kam. Julie bemerkte sehr wohl, wie der Blick der jungen Frau neugierig zwischen ihr und Massimo hin- und herwanderte. Eine junge Nanny im Haus mit einem Ehepaar war akzeptiert, aber eine junge Nanny im Haushalt eines Junggesellen?

Schon vor langer Zeit hatte Pietra erzählt, ihr Bruder werde niemals heiraten. Sie hatte keinen Grund genannt, und Julie hatte nicht gefragt. Zu dem Zeitpunkt kannte sie Massimo nicht und war daher nicht neugierig. Das hatte sich geändert. Was auch immer er gegen die Ehe an sich haben mochte, es war sicher mehr als eine Aversion gegen die Wünsche seines Onkels.

Julie wollte die Harmonie nicht zerstören. „Es ist wohl am besten, du fütterst ihn. Nicky ist bei dir so glücklich, dass ich wieder eifersüchtig werden könnte.“ Sie sagte es mit einem Lächeln.

„Falls das ein Wettkampf wäre, wäre ich längst ausgeschieden“, erklärte Massimo trocken. „Niemand würde glauben, dass du nicht seine Mutter bist.“

Aus seinem Mund war es das höchste Kompliment. „Es ist leicht, Nicky zu lieben“, sagte sie leise. „Siehst du viel von Pietra in ihm?“

„Einiges. Aber offen gestanden, erinnert er mich mehr an dich.“

„Das liegt sicher an dem blonden Haar.“

„Nein, es ist mehr. Zum Beispiel sein Ausdruck, wenn er etwas will. Dasselbe habe ich auch schon bei dir beobachtet.“

„Du meinst, wenn ich Hunger habe?“

Er lachte laut auf und war in diesem Moment in ihren Augen der attraktivste Mann, den sie je kennengelernt hatte. Die Gefühle, die sie für ihn entwickelte, machten ihr Angst. Rasch griff sie nach dem Thermometer, um Nickys Temperatur zu messen.

„Es ist immer noch normal.“

„Und sein Ausschlag ist auch weg. Meiner hat viel länger gedauert, bis er endlich weg war.“

Sie sah ihn fragend an. „Ich verstehe nicht.“

„Ungefähr zum Zeitpunkt von Nickys Geburt wurde ich von einem Moskito gestochen und bekam das berühmte Denguefieber.“

Julie sah ihn entsetzt an. „Wie ist es verlaufen?“

„Ich lag ein paar Monate flach mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und mit einem Ausschlag. Glücklicherweise sind keine unkontrollierbaren Blutungen aufgetreten.“

Sie stöhnte. „Warst du die ganze Zeit im Krankenhaus?“

„Fast.“

Entsetzt dachte sie daran, was sie ihm für Vorwürfe gemacht hatte, weil er seinen Neffen nicht ein einziges Mal besucht hatte.

„Warum hast du es Pietra nicht gesagt?“

„Weil sie mit ihrem Baby so glücklich war. Ich wusste, dass sie sich nur überflüssige Sorgen um mich machen würde. Deswegen habe ich behauptet, ich sei bei der Arbeit im Moment unabkömmlich. Ich habe ihr versprochen, den ganzen September bei ihr zu sein, um meinen Neffen kennenzulernen.“

Ein Versprechen, das er nicht mehr hatte halten können.

„Ist Denguefieber wie Malaria?“

„Du meinst, ob es zurückkommt?“

Sie nickte.

„In meinem Fall nicht.“

Gott sei Dank!

„Glücklicherweise hat sich Nicky von seiner Roseola ja wesentlich schneller erholt. Eine Krise weniger.“

Eine?

Julie beobachtete, wie er sich den Nacken massierte. Irgendetwas sagte ihr, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. Und richtig. „Wir müssen reden“, erklärte er.

Sie ahnte schon, was kommen würde. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. „Falls du dich gefragt hast … Vigo hat sich selbst zu dem Stadtbummel eingeladen.“

„Es hätte mich schockiert, wäre es anders gewesen“, antwortete er.

Julie wusste nicht so recht, wie sie das verstehen sollte. „Er schien mir harmlos“, erklärte sie nervös. „Ich dachte, es wäre unhöflich, ihn abzuweisen.“

Unvermittelt fragte Massimo: „Hast du seine Gesellschaft genossen?“

„Er war unterhaltsam.“

„Worüber habt ihr gesprochen?“

Sie musterte ihn forschend. „Er hat von seinem Leben an der Universität erzählt. Was ist los, Massimo?“

„Als ich euch zusammen sah, musste ich daran denken, dass deine Entscheidung, dich um Nicky zu kümmern, dich um ein erfülltes Leben bringt.“

„Mein Leben mit Nicky ist erfüllt“, erwiderte sie.

„Im Moment, ja. Aber in einer weiteren Woche wird er sich hier eingewöhnt haben. Dann bist du frei zu gehen.“

Gehen?

Also hatte er Dante tatsächlich gesagt, dass sie nur für einen Urlaub hier war.

Julie stieg das Blut in die Wangen. Sie war zu zornig, um zu weinen. War das seine Rache für ihre Anschuldigungen?

„Mir ist klar, dass wir nicht über eine endlose Zeit gesprochen haben, als es um unsere Vereinbarung ging, aber ich dachte, dass ich wenigstens ein Jahr …“

„Ausgeschlossen“, unterbrach er sie schroff.

„Zwei oder drei Wochen mit ihm, das ist so gut wie nichts!“

„Genug, um ihn die erste Hürde nehmen zu lassen. Eine längere Zeit macht die Trennung nur umso schwerer … für alle Beteiligten.“

Julie glaubte zu wissen, wer hinter dem Ultimatum stand: Die Frau, die Massimo am Flughafen so überschwänglich begrüßt hatte. Bestimmt hatte Seraphina ihm gesagt, dass er keine Nanny für Nicky brauchte. Nicht, wenn er sie hatte.

Der Gedanke an ihre innige Umarmung tat ihr jetzt noch weh. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. „Du hast recht“, räumte sie widerstrebend ein. Wie sollte sie es über sich bringen, Nicky zu verlassen? „Wenn es dir so wichtig ist, werde ich am Wochenende abreisen.“

„Die Entscheidung liegt bei dir.“

Vielen Dank!

Der Schmerz erstickte sie fast. „Mir ist klar, dass ich nicht zu dir ins Hotel hätte kommen sollen“, stieß sie mit einiger Mühe hervor. „Ich habe dir alles Mögliche an den Kopf geworfen und dich in eine unmögliche Lage gebracht.“

Seine Züge verhärteten sich. „Bis jetzt hat Nicky uns beide gebraucht.“

Bis jetzt …

„Er braucht ein stabiles Zuhause. Das kannst du ihm hier bieten, Massimo.“ Was blieb ihr übrig? „Vielen Dank, dass ich mitkommen durfte, bis er sich eingewöhnt hat.“

Sie war schon fast zur Tür hinaus, als sie ihn sagen hörte: „Ich bin hier derjenige, der sich bedanken muss, dafür, dass du deine Hochzeitspläne verschoben hast, um mir mit Niccolo zu helfen.“

Hochzeitspläne?

Julie fuhr herum. „Wovon redest du?“

„Ich habe dich neulich in der Stadt gesucht, weil dein Verlobter in der Villa angerufen hat. Aber als Nicky dann krank wurde, habe ich vergessen, es dir zu sagen.“

Sie schluckte. „Brent hat mit dir gesprochen?“

„Mit Lia. Sie hat es mir ausgerichtet. Ich ging davon aus, dass er dich inzwischen über Handy erreicht hat.“

„Lass mich eines klarstellen.“ Sie hob den Kopf. „Aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehen will, habe ich mein Handy nicht mitgebracht.“ Auf diese Art und Weise konnte sie die Gespräche mit ihrer Mutter in Grenzen halten. „Und zweitens: Es gibt keine Hochzeitspläne. Wir waren nicht einmal offiziell verlobt.“

„Das scheint er anders zu sehen.“

„Er hat gelogen. Brent hatte ein paar charakterliche Schwächen. Als ich es gemerkt habe, habe ich mich von ihm getrennt. Dabei mag sein Stolz gelitten haben, sonst sicher nichts. Zweifellos hat er die Nummer der Villa von meinem Vater bekommen. Mit etwas Glück hat er inzwischen begriffen, dass ich ihn nicht zurückrufen werde.“

„Ist das die Wahrheit?“

„Ich nehme an, ich würde dir auch nicht glauben, wenn du mir erzählen würdest, Seraphina ist nicht deine Verlobte“, entfuhr es ihr.

„Touché.“

Sie seufzte frustriert. „Zu der Zeit, als Pietra dir gesagt hat, ich sei mit Brent liiert, dachte ich, es könne tatsächlich eine gemeinsame Zukunft für uns beide geben. Aber während der vergangenen Monate habe ich festgestellt, dass er ein großer Egoist ist. Es kam zum Knall, als ich ihm verkündet habe, dass ich meinen Job aufgeben wollte, um mich um Nicky zu kümmern.“

Massimo trat zu ihr. „Ich nehme an, er wollte dich nicht teilen.“

„Ein Mann, der nur darauf fixiert ist, Karriere zu machen, begreift nicht, was wichtiger ist.“ Brent war nicht wie Massimo. Kein Mann war wie er.

„Falls du jetzt sagen willst, ich könnte immer noch in meinen alten Job zurückkehren, kannst du dir die Worte sparen. Hätte mir etwas an dem Job gelegen, hätte ich dich nicht angesprochen. Alle scheinen zu wissen, was das Beste ist für mich: meine Mutter, mein Bruder, mein Boss, Brent. Sogar du scheinst dir Gedanken über meine Zukunft gemacht zu haben. Ich habe Neuigkeiten für euch alle: Lasst es sein! Das Beste für mich ist Nicky. Und ich bin das Beste für ihn. Er ist genauso mein Neffe wie deiner. Ganz gleich, was passiert, ich werde nie aufhören, ihn zu lieben. Du hast gesagt, unsere Familie kann Nicky so oft und so lange besuchen wie sie will. Ich bleibe, und wenn Dante mir noch so oft einen schönen Urlaub wünscht!“

Massimos Miene verfinsterte sich. „Wann hat Dante mit dir gesprochen?“

Sie senkte den Kopf und wünschte sich wieder einmal, den Mund gehalten zu haben.

„Sag es mir, oder ich werde die Wahrheit von ihm selbst hören!“

„Nein, Massimo! Es war einfach etwas, was er gesagt hat, als wir die Maschine in Mailand verließen.“

„Und?“

„Er hat mir viel Spaß für meinen Urlaub gewünscht.“

Ihm kamen ein paar italienische Brocken über die Lippen, die nicht sehr freundlich klangen. Seine Reaktion zeigte ihr, dass Dantes Bemerkung ihn mehr ärgerte, als sie vermutet hätte. Eigentlich hätte ihr das ein Trost sein müssen. Aber Tatsache war: Massimo wollte, dass sie abreiste.

Julie schaffte es bis in den Korridor, als starke männliche Hände sie zurückhielten. Massimo zog sie an seine Brust.

„Ich wollte dir nicht wehtun“, sagte er leise. „Ich habe nur an dein Glück mit Brent gedacht, als ich vorschlug, dass du abreist. Nicky braucht dich. Das kann jeder sehen.“

In ihr herrschte ein Chaos der Gefühle. Die Mischung aus Massimos Duft und dem Geruch von Nickys Babypuder nahm ihr jede Möglichkeit, klar zu denken. Seine Nähe, das Gefühl seiner Lippen an ihrem Haar, war ein Anschlag auf ihre Sinne, dem sie sich nicht gewachsen fühlte.

„Ich brauche ihn auch.“

„Glaubst du, ich wüsste das nicht?“ Massimo drehte sie zu sich herum. „Ganz gleich, was auch immer passiert, wir tragen gemeinsam die Verantwortung.“

Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. „Eine Frau, die dir viel bedeutet, könnte nicht sehr glücklich sein damit, auch wenn wir beide über Nicky miteinander verwandt sind.“

Er atmete scharf ein. „Du sprichst von Seraphina.“

„Wenn sie dir viel bedeutet …“

„Wir hatten einmal eine Beziehung.“

Julie hatte es geahnt.

„Aber das war vor drei Jahren vorbei, lange bevor ich nach Guatemala gegangen bin.“

„Allem Anschein nach will sie dich noch immer. Ich dachte, sie hätte vielleicht etwas über mich gesagt und du wolltest deswegen, dass ich abreise.“

Ihre Blicke trafen sich. „Sieht ganz so aus, als hätten wir beide die falschen Schlüsse gezogen. Aber wenn du jetzt hier wohnst, begreift sie vielleicht, dass es aus ist.“

Julie strich sich das Haar zurück. „Ist das jetzt meine neue Funktion? Ein Puffer zu sein zwischen dir und ihr?“

Seine Züge verhärteten sich. „Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört.“

„Tut mir leid“, flüsterte sie, bevor sie den Blick abwandte.

„Es ist meine Schuld, weil ich dir Angst gemacht habe mit meinem Gerede über die Intrigen der Di Rocches.“

„Fällt Vigo auch darunter? Er wirkte ziemlich eingeschüchtert, als er dich in der Stadt gesehen hat. Ist er wie die anderen?“

„Wahrscheinlich. Es würde mich nicht wundern, wenn Sansone ihn geschickt hätte, um zu spionieren.“

„Was hätte er spionieren sollen?“

„Vielleicht interessiert ihn, was ich vorhabe. Dann kann er eine Offensive starten, noch bevor ich einen Fuß ins Büro gesetzt habe.“

„Ist er denn so ehrgeizig?“

„Sansone möchte eines Tages Chef von Di Rocche sein.“

„Wieso fürchtet er dich? Er ist doch der Erstgeborene.“

„Er konkurriert seit seiner Geburt mit mir. Als Pietra und ich nach Mailand zu unserem Onkel kamen, ertrug Sansone es nicht, wenn sein Vater uns auch nur einen Hauch von Aufmerksamkeit schenkte.“

„Aber er ist doch zehn Jahre älter als du“

„Das gab ihm einen Vorteil, und er hat dafür gesorgt, dass seine Brüder oder Pietra und ich es nie vergessen haben.“

„Wieso fühlte er sich bedroht?“

Massimo zuckte die Schultern.

Julie schauderte es. Sie ahnte, dass er ihr einiges vorenthielt. „Einfach nur, um das klarzustellen: Vigo hat mit keiner Silbe nach dir gefragt.“

Er lachte freudlos. „Er hat Augen im Kopf. Wie jeder normale Mann reagiert er auf eine schöne Frau.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Du glaubst mir nicht?“

Julie wagte nicht, zu viel in seine Worte hineinzudeuten.

„Vigo war witzig.“

„Ich gebe zu, er ist noch feucht hinter den Ohren. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für ihn.“

Doch sie hörte an seinem Ton, dass er nicht davon überzeugt war.

Sie und Vigo waren fast gleichaltrig. Das bedeutete wahrscheinlich, dass Massimo auch sie noch nicht für wirklich erwachsen ansah. Sie tat gut daran, das nicht zu vergessen, damit sie sich nicht noch einmal lächerlich machte. Bisher hatte sich jeder Vorwurf, den sie ihm gemacht hatte, als unberechtigt erwiesen.

„Da ich nun wieder in deinen Diensten stehe, sollte ich nach Nicky sehen.“

„Es gefällt mir nicht, dass du dich als Angestellte siehst.“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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