Baccara Collection Band 436

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SEXY DEAL MIT DEM MILLIARDÄR von NADINE GONZALEZ
Sandro Cardenas ist ein gefeierter Filmstar – jetzt wird er Angelines Kunde. Denn er möchte ein Gemälde aus ihrer exklusiven Galerie in Miami kaufen. Nie hätte Angeline gedacht, dass Verhandlungen so verführerisch sein können! Sie ahnt nicht, was Sandro wirklich will …

HEISSKALTE VERSUCHUNG von DEBORAH FLETCHER MELLO
Rechtsanwältin London Jacobs kämpft engagiert für die Rechte der Armen – davon hat Collin Stallion, ihr neuer Kollege und Sohn einer reichen Familie, garantiert keine Ahnung! Doch immer verlockender erscheinen ihr Collins sinnliche Qualitäten jenseits aller Paragrafen …

PRICKELNDES ABENTEUER IN MANHATTAN von DEBBI RAWLINS
Sie muss mal raus! Spontan macht Emily eine Woche Urlaub in Manhattan. Shoppen, Sightseeing – und vielleicht sogar heißer Sex? Ihr heimlicher Wunsch scheint sich zu erfüllen, als sie mit einem breitschultrigen Fremden das Taxi teilt – direkt zu seinem Penthouse …


  • Erscheinungstag 07.09.2021
  • Bandnummer 436
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501040
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nadine Gonzalez, Deborah Fletcher Mello, Debbi Rawlins

BACCARA COLLECTION BAND 436

NADINE GONZALEZ

Sexy Deal mit dem Milliardär

Wer hätte gedacht, dass Angeline Louis so aufregend schön ist! Sandro hat die Galeristin aus Miami auf sein Anwesen gebeten, um mit ihr den Kauf eines Bildes zu verhandeln. Sein Verdacht: Es ist eine Fälschung aus seinem Familienbesitz. Doch schnell werden seine Nachforschungen schwierig. Denn eine Frau, die man heiß begehrt, sollte man nicht belügen …

DEBORAH FLETCHER MELLO

Heißkalte Versuchung

Seine attraktive Kollegin London Jacobs macht es Anwalt Collin Stallion wirklich nicht leicht. Ständig wirft sie ihm vor, dass er aus einer privilegierten Familie kommt. Doch er gibt nicht auf, und endlich ist es so weit: Sie gibt ihm eine Chance! Im Office, vor Gericht – und im Bett. Warum muss ausgerechnet jetzt ihr Ex auftauchen, um sie zurückzuerobern?

DEBBI RAWLINS

Prickelndes Abenteuer in Manhattan

Die junge Schönheit, mit der er sich ein Taxi in Manhattan teilt, erkennt ihn nicht? Eine neue Erfahrung für Baseball-Superstar Nick Corrigan. Dass sie aussteigt – schade. Dass sie ein Buch vergisst – großartig! Er bringt es ihr, und so wird aus ihrer flüchtigen Begegnung ein sinnliches Abenteuer für sieben heiße Nächte; denn so lange bleibt Emily in New York …

BASELICIOUS

Der Verlorene Sohn ist wieder da! Alessandro Cardenas („Sandro“ für seine Stans) wurde letzte Nacht am Flughafen von Miami gesichtet. Der Oscar-Preisträger und passionierte Kunstsammler ist zur Art Basel Miami Beach in die Magic City zurückgekehrt. Der Wochenend-Event bietet eine nur in Miami mögliche Mischung aus Glamour, Kultur und Partystimmung! A-Promis bevölkern unsere Stadt, um wie die Könige zu prassen und zu feiern. Doch anders als die anderen Promis in der Stadt interessiert Cardenas sich tatsächlich für Kunst. Der Schauspieler will Samstag bei einer Wohltätigkeitsauktion sogar ein Werk aus seiner Privatsammlung versteigern lassen, um Geld für die beim Wirbelsturm letzten Sommer zerstörten Karibikinseln zu sammeln.

Die internationale Kunstmesse beginnt morgen Abend mit einer von Stars nur so wimmelnden Eröffnungsparty. Hoffentlich müssen wir nicht zu lange auf Cardenas’ Anblick warten. Wir rechnen fest damit, ihn irgendwann zwischen vier und sechs in seinem Lieblingsclub TENTEN zu sehen. #SandroFever

1. KAPITEL

Eigentlich war es ja nicht Angels Art, mitten in der Woche spontan eine Bootstour zu machen, aber hier stand sie nun an einem Mittwochabend auf dem Sonnendeck einer Schnellfähre mit im Wind flatterndem Haar, Tuch und Kleid, während der Sonnenuntergang Himmel und Meer in leuchtende Rot- und Goldtöne tauchte.

Sie war unterwegs nach Fisher Island – einer Privat-Enklave für die Stinkreichen. Die Insel vor der Küste von Miami Beach war nur mit dem Boot oder Flugzeug zu erreichen, sodass alles, was die erlauchten Bewohner brauchten, auf dem Wasser- oder Luftweg transportiert werden musste. Für sie machte genau das den Reiz aus. Für Leute vom Festland hingegen, die nach einem langen Arbeitstag Waren oder Dienstleistungen auf die Insel liefern mussten, war das eine unzumutbare Belastung, ein Affront, Freizeitberaubung und …

Autsch!

Das Boot machte einen Satz auf den Wellen und brachte Angel aus dem Gleichgewicht. Der Steuermann rief ihr zu, sich zu setzen. Sie nahm auf einer Holzbank Platz und hielt sich an der Reling fest.

Eigentlich sollte ich mich freuen, sagte sie sich. Der Auftrag war nur das Resultat der Verkettung unglückseliger Umstände. Eigentlich wäre jetzt nämlich Justine Carr, die Verkaufsleiterin der Kunstgalerie, für die Angel arbeitete, an ihrer Stelle, aber vorhin war sie beim Überqueren der Lincoln Road von einem Mini Cooper angefahren worden. Sie hatte zwar nur einen gebrochenen Knöchel und ein angeknackstes Ego, aber trotzdem waren in der Galerie Panik und Chaos ausgebrochen.

Es war nämlich Art-Basel-Woche, Alle-müssen-mit-anpacken-Woche, Keine-Zeit-Mist-zu-bauen-und-von-einem-Auto-angefahren-zu-werden-Woche. Als Justines Aufgaben in letzter Sekunde umverteilt worden waren, war auch für Angel, das jüngste Mitglied von Gallery Six, eine abgefallen.

Nachdem die Fähre im Jachthafen angelegt hatte, eilte ein Mann auf sie zu, um ihr beim Aussteigen zu helfen, doch sie reichte ihm nur wortlos ihren Metallkoffer, streifte ihre Louboutins ab und sprang ohne seine Hilfe vom Boot.

Mit einem Golfwagen brachte er sie nach Villa Paraiso – einer Apartmentanlage am Strand, die aussah wie den Hügeln Capris entsprungen. Sie passierten das Eingangstor und fuhren einen von Palmen gesäumten Weg entlang. Nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Sicherheitschef durfte Angel das Hauptgebäude betreten. Ein Fahrstuhl brachte sie zum Penthouse im neunten Stock.

Eine Haushälterin empfing sie an der Tür, fragte nach ihrem Namen und führte sie in ein großes Wohnzimmer. „Bitte warten Sie hier.“

Angel versuchte, erstmal tief durchzuatmen, während sie den in orangerotes Abendlicht getauchten Panoramablick auf die Bucht und die Skyline Miamis betrachtete. Das ist ja das reinste Paradies hier, dachte sie. Und nur einen Katzensprung vom Festland entfernt. Wer hätte das gedacht?

Sie legte den Koffer mit dem Gemälde auf einem Konsoltisch ab und betrachtete ihr Spiegelbild darüber. Sie war völlig zerzaust. Ihr knielanges Leinenkleid war zerknittert, und ihr Haar … Oh Gott, mein Haar! Doch als sie versuchte, ihre kastanienbraunen Wellen mit den Fingern zu ordnen, musste sie zugeben, dass die Bootsfahrt ihr ansonsten gutgetan hatte. Sie strahlte geradezu. Ihre hellbraune Haut leuchtete genauso wie ihre Augen. Erstaunlich, was ein bisschen frische Luft alles bewirken konnte.

Vielleicht sollte sie öfter ins Freie gehen.

Aber es gab eine Menge, das sie öfter machen sollte: sich mit Männern treffen zum Beispiel, Sexting, unter Leute gehen, vielleicht sogar tauchen. Immer nur zu arbeiten, war einfach nicht gesund. Eines Tages, nahm sie sich vor. Eines Tages …

Von draußen hörte sie gedämpfte Musik und Gelächter. Es duftete köstlich. Hatte ihr Kunde etwa Gäste? Hoffentlich kam er gleich. Je schneller sie das Gemälde verkaufte, desto schneller konnte sie nach Hause, auch wenn dort nur eine Packung Cracker und die nächste YouTube-Folge von Mein Ex kommt wunderbar ohne mich zurecht auf sie warteten.

Eigentlich hatte sie mit einer schnellen, diskreten Übergabe in einem Arbeitszimmer gerechnet – dem Standardprozedere bei den meisten Sammlern, soweit sie wusste. Andererseits war dieser Kunde alles andere als Standard.

Zu ihrer Irritation beschleunigte sich ihr Herzschlag bei der Aussicht auf die Begegnung mit ihm. Eigentlich sollte sie nicht so nervös sein, ganz egal, wie reich, attraktiv und berühmt der Typ war. Wenn das so weiterging, würde sie ihn noch atemlos um ein Autogramm bitten, und dann konnte sie ihre Karriere gleich vergessen. Professionell mit den Reichen und Berühmten umzugehen, war für Galeristen nämlich unerlässlich. Sie konnte es sich nicht leisten zu versagen.

Nach der letzten Steuerzahlung war Angel zu dem Schluss gekommen, dass sie ihren Lebensstil als hungerleidende Künstlerin nicht länger aufrechterhalten konnte und es Zeit wurde, sich der Tatsache zu stellen, dass ihr Künstlertraum geplatzt war. Warum also nicht die Werke anderer Künstler verkaufen? Binnen einer Woche hatte sie einen Job in einer renommierten Galerie in Miami Beach gefunden und verdiente seitdem genug Geld, um auch ohne ihren Ex über die Runden zu kommen.

Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Schon fünf Minuten waren seit ihrer Ankunft vergangen. Vielleicht sollte sie die Gelegenheit nutzen, sich in dem an eine Galerie erinnernden Zimmer umzusehen. Berühmte Menschen ließen Normalsterbliche ständig warten.

Sie ging zu zwei gerahmten Gemälden. Auf einem hing ein roter Apfel an einem Ast, auf dem anderen schlief eine Frau in einem Garten. Abgesehen von einem an strategischer Stelle platzierten Feigenblatt war sie nackt. Angel versuchte gerade, die Signatur des Künstlers zu entziffern, als sie das Geräusch nackter Füße auf den Fliesen hörte und sich umdrehte.

Und da stand er, direkt neben der Terrassentür. Seine breiten Schultern schimmerten golden im Licht des Sonnenuntergangs. Er war praktisch nackt … abgesehen von einer nassen Badehose … und hatte den kraftvollen Körper eines Schwimmers. Seine muskulöse Brust und seine bronzefarbenen Gliedmaßen glitzerten, als wäre er direkt dem Meer entstiegen, genauso wie sein kurzgeschnittenes welliges schwarzes Haar.

Für eine Weile sah er sie nur ausdruckslos an, bevor sich ein schiefes Lächeln über sein Gesicht breitete. „Sorry, ich habe mit einem …“ Rasch streifte er sich ein zerknittertes weißes Hemd über. „Man hat mir gesagt, Ihr Name sei Angel, und ich dachte …“

Anscheinend hatte er einen Mann erwartet. Es war nicht das erste Mal, dass ihr das passierte. Sie ging auf ihn zu und reichte ihm ihre Visitenkarte. „Angeline Louis, Mitarbeiterin bei Gallery Six“, stellte sie sich vor. „Auch Angel genannt.“

Er griff nach der Karte und ließ den Daumen über das geprägte Logo der Galerie gleiten. „Angel“, murmelte er. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, auch wenn sie selbst nicht wusste, warum. „Ich bin Alessandro Cardenas.“

Angel wusste, wer er war. Dank der Medien wusste sie sogar noch viel mehr.

Er war zweiunddreißig und Amerikaner kubanischer Abstammung. Sie hatte fast alle seine Filme gesehen, darunter auch einen, für den er einen Independent Spirit Award, einen Golden Globe und einen Oscar gewonnen hatte, und war mit den Marken vertraut, für die er warb. Sie konnte sogar ein paar seiner berühmten Ex-Freundinnen aufzählen. Er war Sexsymbol, Star in den Sozialen Medien und Kritikerliebling.

Und Kunstsammler.

Eine Menge Informationen über jemanden, dem man noch nie begegnet war.

„Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. Cardenas.“

Er schüttelte den Kopf. „Nennen Sie mich Sandro.“ Er legte ihre Karte auf einen niedrigen Marmortisch.

Es fiel ihr verdammt schwer, den Blick von seinem tollen Körper loszureißen. Schade, dass er sich aus Rücksicht auf sie ein Hemd übergestreift hatte, auch wenn die weiße Farbe seine Sonnenbräune betonte. Schluss damit!

Sie versuchte, sich wieder auf den Zweck ihres Besuchs zu konzentrieren, doch er gab ihr keine Chance. „Temptation“, sagte er, während er ihr direkt in die Augen sah.

„Wie bitte? Was?“ War sie plötzlich am Set eines Calvin-Klein-Werbespots aus den Neunzigern gelandet?

„Das Diptychon.“ Er zeigte auf die beiden Gemälde, die sie gerade betrachtet hatte. „Auf dem ersten Bild ist Eva im Paradies zu sehen und auf dem zweiten der verbotene Apfel.“

„Temptation“, wiederholte sie langsam. Man brauchte kein Theologiestudium, um die Symbolik der Versuchung zu begreifen, aber ein paar funktionierende Gehirnzellen wären trotzdem ganz hilfreich.

Sie beschloss, zur Sache zu kommen, bevor sie sich noch komplett zur Idiotin machte. Zielstrebig ging sie zum Konsoltisch und nahm den Koffer. „Hier habe ich das von Ihnen gewünschte …“

„Haben Sie schon etwas gegessen?“, fiel er ihr ins Wort.

Sie blinzelte verwirrt. „Wie bitte?“

„Ich habe ein paar Freunde zum Essen hier. Wollen Sie uns vielleicht Gesellschaft leisten?“

Schon allein beim Wort „Essen“ begann ihr Magen zu knurren. Was auch immer draußen auf dem Grill lag, duftete himmlisch. Aber sie hatte einen Auftrag zu erledigen und durfte ihren Kunden währenddessen weder anstarren noch mit ihm plaudern. Und sich schon gar nicht unter seine Freunde mischen und mit ihnen essen. Das waren nun mal die Regeln. Oder?

„Sorry, ich muss gleich die Fähre kriegen.“

„Wir können Sie jederzeit zurückbringen – es sei denn natürlich, Sie haben noch einen Termin. Dann will ich Sie nicht länger aufhalten.“

Morgen Abend war die Eröffnungsparty für Art Basel. Der morgige Tag versprach daher lang und anstrengend zu werden, denn Angel musste noch den Ausstellungsraum der Galerie für den VIP-Event vorbereiten. Und heute Abend wollte sie sich noch die Accessoires für das Outfit zurechtlegen, das sie morgen tragen würde.

„Eigentlich habe ich keine Zeit“, sagte sie zögernd.

„Die sollten Sie sich vielleicht nehmen. Der Koch vom Diablo steht nämlich gerade am Grill und bereitet seine Klassiker zu. Wollen Sie sich das wirklich entgehen lassen?“

Ihr rutschte fast der Koffer aus der Hand. Hatte sie richtig gehört? Myles V. Paquin, auch als MVP bekannt, war ein Meister der Fusionsküche und Miamis neueste kulinarische Sensation. Sein Restaurant im Künstlerviertel Design District war total angesagt. Das Diablo hatte zwar keinen Michelin-Stern, war aber trotzdem ständig ausgebucht. Als sie dort ihren dreißigsten Geburtstag hatte feiern wollen, hatte sie keinen Tisch bekommen.

„Sie sind von so weit hergekommen, da lassen Sie mich Ihnen zumindest etwas zu essen anbieten.“

Angel spürte, wie ihr letztes Restchen Widerstand sich in Luft auflöste. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie nicht nur zum Abendessen bleiben, sondern ihm womöglich noch aus der Hand fressen!

Hier sah es nicht nur aus wie im Paradies, sondern fühlte sich auch so an. Angel fühlte sich pudelwohl.

MVP grillte Fleischspieße, Grammy-Gewinner DJ Jordan amüsierte die Tischgesellschaft mit Geschichten von weinseligen Nächten auf Ibiza, und die Models Jenny Xi und Rose Rachid – ein außergewöhnlich attraktives Paar – tauschten mit den anderen Kochrezepte und Immobilieninvestment-Tipps aus.

Alessandro (sie weigerte sich, ihn Sandro zu nennen) war ein auffallend aufmerksamer Gastgeber. Er probierte bereitwillig Myles‘ würzigen gegrillten Mais, lachte über Jordans alberne Witze, stellte Rose interessierte Fragen und nannte Jenny den Namen und die Telefonnummer seines Immobilienmaklers. Währenddessen sorgte er dafür, dass Angels Weinglas immer gefüllt blieb, und ermunterte sie bei jedem neuen Gericht, es zu probieren. Und all das auf einer Terrasse unter dem Sternenhimmel.

Während des Desserts setzte er sich neben sie. Seine Badehose war inzwischen getrocknet. Mit seinem immer noch offen stehenden Hemd wirkte er so sexy wie ein Unterwäschemodel. „Arbeiten Sie gern für Gallery Six?“

Wahrscheinlich wollte er nur Konversation machen, doch mit seiner Frage hatte er ihren wunden Punkt getroffen. Ehrlich gesagt war ihre Arbeitsstätte ihr etwas zu prätentiös, aber sie wollte sich nicht beklagen. Nicht jeder hatte das Glück, seiner Berufung folgen und davon leben zu können. „Es ist ziemlich aufregend, dort zu arbeiten“, antwortete sie vage. Das stimmte zumindest halbwegs.

„Arbeiten Sie schon lange dort?“

„Erst ein knappes Jahr.“ Angel trank einen Schluck Wein. Ihr wurde bewusst, dass das Gespräch etwas einseitig war, und beschloss, ihm auch eine Frage zu stellen. Zu seiner Arbeit vielleicht? „In Shadows Need Light haben Sie mir gut gefallen“, sagte sie, womit sie den Independent-Film meinte, in dem er die männliche Hauptrolle gespielt hatte.

Myles brachte zwei Dessertschalen mit Kokosnussflan. Alessandro reichte ihr eine. „Gefalle ich Ihnen auch persönlich?“

Auf der Leinwand war er vielleicht attraktiver, aber in Wirklichkeit viel interessanter. So oder so gefiel er ihr ausgezeichnet. Trotzdem beschloss sie, ihn etwas zu foppen. „Sie wissen ja, was man über Helden sagt, denen man leibhaftig begegnet.“

Er musterte sie amüsiert. „Soll ich mich geschmeichelt fühlen, dass Sie mich als Helden betrachten, oder enttäuscht sein, weil ich Ihre Erwartungen nicht erfülle?“

Angel war alles andere als enttäuscht. Sie war angenehm satt und amüsierte sich prächtig. „Sie enttäuschen meine Erwartungen keineswegs. Danke übrigens für die Einladung. Es war ein schöner Abend.“

„Er ist noch nicht vorbei. Probieren Sie erstmal den Flan.“

Dieser Rat sollte sich als goldrichtig erweisen. Der Flan war locker, sahnig und einfach köstlich. „Ich weiß, Sie sind ein Filmstar, aber wie haben Sie Myles Paquin dazu überredet, für Sie zu kochen? Ich schaffe noch nicht mal, einen Tisch in seinem Restaurant zu kriegen.“

„Myles?“, fragte Alessandro achselzuckend. „Er ist mein Cousin.“

„Ach.“ Angel betrachtete den Koch überrascht, konnte jedoch keinerlei Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern erkennen. „Sind Sie etwa eine Familie von Wunderkindern?“

Sandro leckte seine Gabel ab. „Nein, wir sind nur im selben Block aufgewachsen. Seine Mutter ist meine ‚Tante‘, wenn auch nicht blutsverwandt.“

„Und nach all den Jahren stehen Sie sich immer noch nahe?“

„Ich werde ihn eben nicht los“, sagte er lächelnd.

Angel wurde ganz neidisch. Sie hatte keine Freunde aus ihrer Kindheit mehr, die für sie kochten. Aber selbst schuld, wenn man die meiste Freizeit im Atelier verbrachte … falls man ihr Schlafzimmer so nennen konnte.

DJ Jordan war der Erste, der aufbrach, nachdem der Tisch abgeräumt worden war. „Peace, Bro!“, rief er Alessandro zum Abschied zu.

Kurz darauf nahm Rose ihr winziges Handtäschchen und erklärte, dass sie und Jenny jetzt auch gehen würden. „Cool, disch kennengelernt zu ’aben“, sagte sie sie mit ihrem unverkennbar französischen Akzent zu Angel. „Isch mag deinen Namen. Ist er Abkürzung für Angela, Angelica, Angelina …?“

„Angeline.“ Der Name war schon seit Jahren in ihrer Familie gebräuchlich.

„Das ist ja Französisch!“, rief Rose. „Tu parles Français?“

Angel versuchte, ihre Französischkenntnisse zusammenzukratzen. „Un peu … Je suis Haïtienne … mais Américaine.“

„Je suis Marocaine“, antwortete Rose lachend. „Keine Sorge, ich werde dich nicht weiter mit meiner Sprache quälen.“ Sie küsste Alessandro auf die Stirn. „Dann also bis morgen?“

Alessandro verschränkte die Hände hinterm Kopf. „Mal sehen.“

„Komm uns bloß nicht so!“, schimpfte Jenny und schlang einen Arm um die Taille ihrer Freundin. „Gigi kommt morgen auch. Sie wird dich schon noch überreden.“

Rose winkte Myles zu sich, der gerade geistesabwesend durch sein Handy scrollte. „Hey, du! Lass uns dieselbe Fähre nehmen.“

Myles nickte, und die drei verschwanden im Penthouse.

Angel sah ihnen verwirrt hinterher. Es war offensichtlich, dass Alessandros Freunde sich bewusst zurückzogen, um sie beide allein zu lassen. „Aber wozu?“

„Meine Freunde finden allein raus“, sagte Alessandro trocken, als ihm ihr verwirrter Gesichtsausdruck auffiel. „Sie brauchen nicht so besorgt dreinzusehen.“

Sie machte sich tatsächlich Sorgen, aber nicht um die anderen.

„Lassen Sie uns ein Spiel spielen“, schlug er vor. „Haben Sie Lust?“

Das einzige Spiel, das sie jetzt spielen sollte, war, ihm das Gemälde zu übergeben und das Geld zu kassieren, aber … sie hatte tatsächlich Lust. Wahrscheinlich lag es am Wein und am Essen und an den ganzen Dolce-Vita-Vibes.

„Sie verraten mir ein Geheimnis oder etwas Peinliches über sich selbst, und dann bin ich dran. Es braucht nichts Tiefgründiges zu sein. Sie brauchen mir kein Kindheitstrauma zu erzählen oder so. Einfach irgendetwas, okay?“

Sie griff wieder nach ihrem Weinglas. Besonders lustig klang dieses Spiel nicht gerade. „Okay, aber Sie fangen an.“

Er nickte. „Also, mit fünfzehn habe ich einen Wagen geklaut, die Autoreifen entfernt und in weniger als einer Stunde verkauft. Mit dem Geld habe ich mir dann eine PlayStation gekauft.“ Er lachte schallend über ihren entgeisterten Gesichtsausdruck. „Himmel, haben Sie das etwa geglaubt?“

„Dann stimmt es also nicht?“

„Nein“

„Bei dem Spiel geht es also darum, geschickt zu bluffen?“

Er nickte. „Ich habe noch nie ein Auto gestohlen. Ich war in meiner Jugend auf einer Highschool für Darstellende Künste und habe meine Freizeit in einem Laientheater verbracht.“

„Warum haben Sie mir diese Geschichte dann aufgetischt?“

Er zuckte die Achseln. „Ich weiß, wie ich aussehe und was die Leute bei meinem Anblick denken.“

Seine Sichtweise musste ziemlich gestört sein, denn für sie sah er nach Temptation pur aus. „Laientheater?“, fragte sie betont locker. „Und das soll ich Ihnen jetzt abnehmen.“

„Wieso nicht.“ Er wurde plötzlich ernst. „Sie haben nichts von mir zu befürchten, falls Sie sich das gerade fragen.“

Wie sollte sie ihm nur erklären, wo ihr Problem mit ihm lag? Klar war das Penthouse eines Mannes nicht gerade der sicherste Ort für eine Frau, aber ihr Unbehagen hatte nichts mit Angst zu tun. Sie brauchte nur dringend klare Regeln und möglichst die Aufsicht eines verantwortungsbewussten Erwachsenen. „Das ist nicht das Problem.“

„Was denn dann?“

„Sein oder nicht sein?“

Er lachte. „Was?“

„Sie sind nicht der Einzige, der Theater gespielt hat.“

„Dann haben wir ja schon mal etwas gemeinsam.“ Seine Stimme klang weich und sexy.

Angel betrachtete ihn nervös. Er hatte ihr Glas nachgefüllt, ihr tolles Essen serviert und ihr sogar eine saubere Gabel geholt, als sie ihre fallen gelassen hatte. Anfangs hatte sie noch gedacht, dass er nur vor seinen Freunden die Rolle des aufmerksamen Gastgebers spielte, aber sein Publikum war inzwischen weg. Sie waren allein, und er flirtete immer noch mit ihr. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.

„Na gut. Ich werde Ihnen etwas ganz Schlimmes gestehen.“

Seine Augen leuchteten belustigt auf. „Sie? Angel? No me digas.

„Mit vierzehn habe ich in einem Dollarshop blauen Nagellack gestohlen.“

„Moment mal! Ich habe gerade einen Autodiebstahl gestanden. Das ist in manchen Staaten ein Verbrechen, und Sie kommen mir mit so einer Lappalie?“

„Sie haben gar nichts gemacht. Außerdem kann mich ein bisschen Jugendkriminalität nicht schockieren.“

Er legte den Kopf schief und sah sie durch lange, volle Wimpern an. „Nicht?“

„Nein. Ich war nur nicht darauf gefasst, das war alles. Immerhin hatten Sie gesagt, keine Kindheitstraumata.“

Als er sich zurücklehnte, klaffte sein Hemd auf und entblößte seine dunkle behaarte Brust. Sie war nur eine Armlänge von Angel entfernt. „Das habe ich nur gesagt, um Sie zu beruhigen. Sie wirkten etwas verängstigt.“

„Wenn ich verängstigt gewirkt habe, dann nur, weil ich mich gerade ziemlich unprofessionell verhalte. Ich bin immer noch bei der Arbeit. Und trotzdem sitze ich hier und spiele Spielchen mit Ihnen.“

So etwas war in der Galerie ein Kündigungsgrund. Wenn Promis kamen, durfte man ihnen nicht zu nahekommen, sondern musste sich professionell und distanziert geben.

„Und trotzdem sitzen Sie jetzt hier und spielen Spielchen mit mir“, wiederholte Alessandro dramatisch und betrachtete eingehend ihr Gesicht.

Erst jetzt hörte Angel das Wellenrauschen, das bis eben noch von Stimmgewirr und Gelächter übertönt worden war. Sie beschloss, ihn etwas zu fragen, das sie schon seit einer ganzen Weile beschäftigte: „Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie wollen nicht, dass ich gehe. Stimmt das?“

Wieder blitzten seine Augen belustigt auf. „Ja, das stimmt.“

Angel atmete erleichtert auf. Dann hatte sie sich das also nicht nur eingebildet.

Abrupt stand er auf und hielt ihr eine Hand hin. „Kommen Sie, ich kaufe Ihnen Ihr Gemälde ab.“

Erschrocken blinzelte sie zu ihm hoch. Anscheinend hatte er es sich gerade anders überlegt. Warum? Fand er sie zu provinziell, zu verkrampft, zu verängstigt, um in seiner Liga mitzuspielen?

Seine Hand ignorierend erhob sie sich ebenfalls. Spaß und Spiele waren anscheinend vorbei. „Sie sind nicht verpflichtet, das Gemälde zu kaufen“, sagte sie. „Sie haben es sich bisher noch nicht mal angesehen.“

„Ich kenne es bereits.“

Der Koffer lag, wo Angel ihn vorhin abgelegt hatte. Gut, dass Paloma nicht wusste, dass sie ihn unbeaufsichtigt gelassen hatte. Sie würde einen Herzinfarkt bekommen.

Alessandro setzte sich auf eine Sofalehne. Unter seinem aufmerksamen Blick öffnete Angel das Sicherheitsschloss und nahm das gerahmte Ölgemälde heraus. „Hier ist es: El Jardín Secreto von Juan David Valero.“

Das kleine Gemälde war längst nicht so auffällig wie Temptation. Ob es überhaupt den persönlichen Bringdienst wert war? Juan David Valero war ein anerkannter, aber nicht gerade berühmter bereits verstorbener Künstler aus Kuba. Die Sammler rissen sich nicht gerade um seine Gemälde.

Paloma hatte ihr einen Lexikontext zu dem Maler gemailt. Angel griff nach ihrem Handy, um ihn vorzulesen. „Der kubanische Maler ist vor allem für seine Darstellung des Alltagslebens im Havanna der Fünfzigerjahre bekannt.“ Sie hob den Blick zu Alessandro, der missbilligend die Lippen zusammengepresst hatte. Sie beschloss, einfach zu improvisieren, und steckte ihr Handy wieder ein. „Das hier ist zwar kein Diptychon, aber mir gefällt der persönliche Blick des Malers auf seine Umgebung.“

Alessandros Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. Ermutigt fuhr sie fort: „Mir sind vor allem die gedämpften Farben aufgefallen, die bei Malern aus der Karibik sehr ungewöhnlich sind. Normalerweise sind diese Werke immer sehr bunt. Aber Valero lebte im Exil. Ich nehme an, er benutzte gedämpfte Farben, um seinem Heimweh Ausdruck zu verleihen.“

„Er war depressiv“, sagte Alessandro tonlos.

Als Angel den Blick wieder auf das kleine Gemälde richtete, sah sie es plötzlich mit neuen Augen. Im Garten waren blühende Bougainvilleen zu sehen, doch sie wirkten wie im Schatten. Es war, als würde ein Grauschleier auf den an sich leuchtenden roten Blüten liegen. „Echt? Ich muss gestehen, dass ich mit dem Werk des Künstlers nicht besonders gut vertraut bin.“

„Macht nichts.“

Angel sah das anders. Normalerweise hätte sie sich besser vorbereitet, aber dazu hatte sie vorhin keine Zeit mehr gehabt. „Ich musste Justine Carr ganz kurzfristig vertreten. Es ging alles sehr schnell und …“

„Angel, es macht wirklich nichts. Glauben Sie mir.“

„Na gut.“ Sie reichte ihm das Gemälde, doch zu ihrer Enttäuschung legte er es einfach achtlos auf den Couchtisch. „Warum wollen Sie es überhaupt kaufen?“ Im Vergleich zu den anderen Kunstwerken in seiner Wohnung wirkte es geradezu unscheinbar.

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Sein Blick wurde glühend. „Wir wollen eben, was wir wollen.“

„Und ich will eine ehrliche Antwort.“

„Sie haben gerade eine bekommen.“

Angel holte tief Luft. Es war nicht ihre Aufgabe, einem Kunden einen Kauf auszureden. „Der Preis beträgt fünfundvierzigtausend.“

„Und die werden Sie bekommen.“

Ihrer Meinung nach zahlte er für das Gemälde zehntausend zu viel, aber er hatte sie nicht nach ihrer Meinung gefragt. Er griff nach seinem Handy und erledigte die Transaktion. Kurz darauf kam die Bestätigung des Zahlungseingangs, und ihre Chefin schickte einen Emoji in Gestalt eines erhobenen Daumens. Der Umschlag mitsamt Kaufbeleg und dem Echtheitszertifikat landete ebenfalls auf dem Couchtisch.

Allmählich hatte Angel den Eindruck, dass an dem Gerücht über sein angebliches Kunstinteresse nicht viel dran war. Wahrscheinlich kaufte er wahllos irgendwelche Kunstgegenstände, um Steuern zu sparen, so wie viele reiche Menschen es machten. El Jardín Secreto würde vermutlich in irgendeinem Lager in Delaware landen.

„So, wir sind fertig“, sagte sie.

„Sieht so aus. Was ist? Sie wirken gerade etwas unzufrieden.“

Sie klappte den Koffer zu. „Ich bin überglücklich.“

„Aber Sie sehen nicht so aus.“

„Es ist nur …“ Sie stockte. „Kunst ist mir nun mal sehr wichtig, auch wenn ich weiß, dass sie für manche Menschen nur eine Investition ist.“

Er legte die Fingerspitzen zusammen. „Fahren Sie fort.“

„Ich würde Ihnen lieber etwas verkaufen, das …“ Sie rang nach dem passenden Wort.

„Mein Herz erfreut?“, half er ihr auf die Sprünge.

Sein spöttischer Tonfall ärgerte sie. „Klar! Bunte Herzchen. Wieso nicht?“

Er grinste. „Bei der Vorstellung kriege ich jedenfalls sofort gute Laune.“

Dieses Lächeln … Es kam immer dann, wenn man es am wenigsten erwartete – wie ein Sonnenstrahl während eines Gewitters.

Sie sollte allmählich mal das Thema wechseln. Was spielte es schon für eine Rolle, ob er das Gemälde mochte oder nicht? Es ging sie schließlich nichts an, ob er es bei eBay verscherbelte oder in seinem Bad aufhängte.

Das Pingen ihres Handys bot eine willkommene Ablenkung. Sie starrte Alessandro Carderas schon viel zu lange an. Außerdem war die Nachricht vielleicht von ihrer Chefin.

Aber sie war nicht von Paloma.

YOUTUBE ALERT! @CHRIS_UNDERWATER hat ein neues Video gepostet: TIEFTAUCHEN, EINE SÜSSWASSEREXPEDITION

Mit brennenden Augen starrte Angel auf das Display. Sich über sich selbst ärgernd wischte sie die Benachrichtigung weg. Ihr Ex-Freund führte ein tolles Leben als Taucher, und sie war bei einem Mann, der keinen Hehl daraus machte, am liebsten in ihren Körper tauchen zu wollen. Und ihr fiel nichts Besseres ein, als nach einem guten Vorwand zu suchen, um Nein zu sagen.

Wollte sie wirklich so leben? Die restlichen Abende ihres Lebens damit verbringen, allein zu Hause Popcorn zu essen, Wein aus dem Tetrapack zu trinken und YouTube-Videos von ihrem Ex-Freund zu gucken? Sie sah förmlich vor sich, wie sie in ferner Zukunft ihrem Nähkränzchen von der Nacht erzählte, in der sie einem attraktiven Filmstar begegnet war, aber zu feige gewesen war, sich auf ihn einzulassen.

Alessandro nahm einen Schlüsselbund aus einer Kupferschale auf dem Couchtisch. „So, ich bringe Sie jetzt nach Hause.“

„Nein.“

Er erstarrte mitten in der Bewegung. „Nein?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich habe es nicht eilig.“

Sie hatte es schließlich nur einer Aneinanderreihung sehr ungewöhnlicher Umstände zu verdanken, dass sie jetzt hier war. Wer weiß, was noch alles passieren würde? Die Nacht war noch jung. Morgen früh konnte sie immer noch verschwinden, aber jetzt wollte sie zumindest so tun, als wäre sie eine Frau, die sich bietende Gelegenheiten beim Schopf packte.

2. KAPITEL

Würde Sandro an göttliche Fügung oder Ähnliches glauben, hätte er den Verdacht, dass sein Großvater ihm einen Engel geschickt hatte. Bei ihrem ersten Anblick vorhin war er wie angewurzelt stehen geblieben. In ihrem weißen Kleid hatte sie in der Abendsonne fast unwirklich ausgesehen. Ihre honiggoldene Haut hatte förmlich geleuchtet, und ihr dunkles, windzerzaustes welliges Haar hatte ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmt.

Und ihr Blick aus klaren hellbraunen Augen hatte ihn bis ins Mark getroffen.

Angel … Kurzform für Angeline. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als seine bisherige Einstellung zu göttlicher Vorsehung infrage zu stellen.

Sie hatte direkt zur Sache kommen wollen, doch er hatte nicht gewollt, dass sie den Koffer schon öffnete, dessen Inhalt wie eine tickende Zeitbombe die Macht hatte, alles zu zerstören. Stattdessen hatte er Angel dazu aufgefordert, zum Abendessen zu bleiben.

Sandro lebte nach der Devise „man lebt nur einmal“. In Hollywood machten das alle so. Vielleicht hatte er deshalb vergessen, wie anders normale Menschen waren. Menschen, die nicht mit dem Erstbesten ins Bett gingen, den sie attraktiv fanden. Aber leider hatten Angel und er nicht die Zeit, einander besser kennenzulernen. Er war nämlich nur für ein paar Tage in Miami. Schon Montag musste er nach Kalifornien zurück – Probeaufnahmen für seinen nächsten Film.

Außerdem war er eigentlich nur in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um sich ein bisschen zu entspannen und seine Freunde zu treffen, nicht, um eine neue Bettgenossin zu finden. Aber seit seiner Begegnung mit Angel war plötzlich alles anders.

Und jetzt wollte sie sogar von sich aus bleiben. Eigentlich hatte er sich genau das gewünscht, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund zögerte er plötzlich. Vermutlich hing das mit seinem ersten Eindruck von ihr zusammen. Sie wirkte so normal, und außerdem war sie beruflich hier. Sollte er sie nicht lieber in Ruhe lassen?

Andererseits war sein Motto nun mal, Gelegenheiten zu nutzen, wenn sie sich boten, und er hatte schon den ganzen Abend Lust, Angel zu berühren und ihre schimmernde braune Haut zu streicheln. Wenn sie schon auf die Entfernung eine so elektrisierende Wirkung auf ihn hatte, wie explosiv würde dann erst der Sex mit ihr sein? Er wollte alle Sinne befriedigen – Geruch, Geschmack, Tastsinn. Ja, er wollte ihren Duft an den Händen.

Er zeigte auf ihr Handy. „Was war das gerade eben?“

„Was war was?“, fragte sie mit gespielter Unschuld.

„Die Nachricht hat Sie verstört, das habe ich Ihnen angemerkt.“

Sie steckte ihr Handy so hastig in die Tasche ihres Kleides, als wollte sie ein Beweismittel unterschlagen. „Das war nur mein Wecker. Er hat mich an etwas Wichtiges erinnert.“

Dieser Engel war anscheinend eine kleine Lügnerin. „Sorry, ich hätte Sie fragen müssen, ob zu Hause jemand auf Sie wartet.“

„Auf mich wartet niemand. Nirgendwo.“

„Wenn das so ist ...“, er ließ den Schlüssel zurück in die Schale fallen und führte Angel wieder ins Freie – nicht auf die Terrasse, auf der sie gegessen hatten, sondern auf die Dachterrasse mit Bar, Pool, Whirlpool, Außendusche und endloser Aussicht. Er nahm eine Flasche Wein aus dem Weinkühler unter dem Tresen und füllte zwei große Gläser. Danach gingen sie zum Geländer und sahen in die Nacht hinaus.

„Sie haben wirklich eine tolle Aussicht“, bemerkte sie.

Sandro drehte der Stadt und dem Meer zu seinen Füßen den Rücken zu und betrachtete stattdessen Angel. Zerzaustes Haar, Augen wie Topase, vom Wein feuchte Lippen … ja, dieser Anblick gefiel ihm viel besser.

„Ich hatte diese Wohnung schon länger im Blick“, erzählte er. „Ich habe sie gekauft, nachdem ich meinen ersten großen Werbevertrag unterschrieben hatte. Aber die traurige Wahrheit ist, dass ich hier nicht mehr als zwei Wochen im Jahr verbringe. Ich bin entweder in LA oder am Set. Meistens schläft meine Nichte hier.“

„Ich würde Sie deswegen ja gern bemitleiden“, antwortete sie lächelnd. „Aber das fällt mir verdammt schwer.“

„Ich bin nicht auf Ihr Mitleid aus. Ich versuche nur, Ihnen etwas mitzuteilen.“

Sie trank einen Schluck Wein. „Und das wäre?“

Vorübergehend lenkte ihn der Anblick der zarten Goldkette ab in der Vertiefung ihres Schlüsselbeins. Er unterdrückte den Impuls, sich vorzubeugen und die Stelle zu küssen. Wahrscheinlich hätte sie auch nichts dagegen. Doch bevor er die Initiative ergriff, musste er erst ein paar Dinge klären.

„Diesmal fällt mein Aufenthalt sogar noch kürzer aus als sonst. In ein paar Tagen muss ich wieder weg.“

Sie musterte ihn aufmerksam. „Warum sagen Sie mir das?“

„Weil ich will, dass Sie wissen, was Sie erwartet.“ Sandro wollte sie aus ihrem Schneckenhaus locken, damit sie mit ihm spielte, aber nur, wenn das auch okay für sie war. „Einen Vorteil hat das Ganze: Nichts, das Sie heute tun oder sagen, hat irgendwelche Konsequenzen. Sie können total über die Stränge schlagen.“

„Erstens hat alles Konsequenzen. Und zweitens – was glauben Sie, was ich hier mache?“ Sie legte eine Hand auf die Brust, wie um ihm zu zeigen, dass schon ihre bloße Gegenwart auf seiner Dachterrasse gewagt war.

Er konnte sich nicht länger zurückhalten. „Darf ich dich küssen?“

Sie sah ihn so eindringlich an, dass er halb und halb damit rechnete, den Inhalt ihres Glases ins Gesicht zu bekommen, doch zu seiner Erleichterung nickte sie schließlich.

Er beugte sich vor und presste sanft die Lippen auf ihr Schlüsselbein. Sie entzog sich ihm nicht. Stattdessen legte sie ihm eine Hand auf eine Wange, um ihn zu halten.

„Sag mir, was dich bedrückt, Angel“, flüsterte er an ihrer warmen Haut. „Ich werde es auch niemandem verraten.“

„Aber du wirst mich dafür verurteilen“, sagte sie zitternd.

Sandro presste die Nase in ihre Halsbeuge. „Du kennst mich nicht. Ich verurteile andere Menschen nicht.“

„Ich werde dich auch nie kennenlernen. Ist es nicht das, worauf du hinauswillst? In ein paar Tagen bist du wieder weg.“

„In ein paar Tagen wirst du mich sowieso vergessen haben.“

„Vergisst man denn den großen Alessandro Cardenas?“

Er richtete sich wieder auf und lehnte sich gegen das Geländer. „Außerhalb der Leinwand schon.“

„Ah!“, rief sie, als hätte sie gerade eine Erleuchtung.

„Was?“

„Jetzt verstehe ich! Ich kann heute Nacht sein, wer immer ich will, und du darfst du selbst sein. Win-win.“

Ganz schön clever von ihr. So hatte er das noch nie gesehen. „Klingt gut.“

Sie seufzte zittrig. „Mein Ex-Freund folgt seiner Bestimmung um die halbe Welt. Inzwischen postet er seine Abenteuer auf YouTube.“ Ihre Stimme klang so spröde wie Glas.

„Hast du ihn geliebt?“, hörte Alessandro sich zu seiner Überraschung fragen.

Sie zuckte die Achseln. „Früher schon.“

„Was ist seine Bestimmung?“

„Meeresbiologie. Vor allem der Schutz der Korallenriffe.“

Sandro konnte dem Typen das nicht übelnehmen. Die Riffe waren in Gefahr, und er unternahm etwas dagegen.

„Ich bin ihm von Orlando nach Miami gefolgt, damit er seine Forschungsarbeit für seinen Doktor fertig schreibt. Aber kaum hatte er den Titel in der Tasche, hat er seine Sachen gepackt und ist für eine Postdoktorandenstelle nach Australien gegangen.“

„Und hat dich zurückgelassen?“

„So in etwa.“

Sandro wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören, fragte aber trotzdem: „War das gerade eine Nachricht von ihm?“

Sie wich ein paar Schritte vor ihm zurück. „Würde ich nur seine Nachrichten ignorieren, wäre es nicht so peinlich.“

Alessandro folgte ihr. „Peinlich? Jetzt will ich mehr wissen.“

„Also gut.“ Sie trank noch einen Schluck Wein. „Ich habe doch erwähnt, dass er Videos auf YouTube postet. Ich bekomme bei jedem neuen von ihm eine Benachrichtigung.“

Sandro lachte schallend. „Du kleine Stalkerin!“

„Ich stalke ihn doch nicht!“, protestierte sie.

„Oh ja, genau das tust du.“

„Quatsch!“

„Doch, mein Engel. Du stalkst deinen Ex im Internet.“

Stöhnend presste sie ihr Weinglas gegen die Stirn.

Er nahm es ihr ab und hob mit dem Rand ihr Kinn. „Sich ein Problem einzugestehen, ist der erste Schritt zur Besserung.“

„Halt die Klappe!“ Sie schlug seine Hand weg. „Es ist nur … er erforscht Unterwasserwelten und trinkt Bier und … Ich weiß nicht … sein Leben klingt so interessant. Vielleicht wollte ich deshalb mehr darüber erfahren.“

„Hey, wir haben alle schon mal so etwas gemacht.“

„Echt? Wen hast du denn in letzter Zeit gestalkt?“

Sandro schüttelte den Kopf. „Aus Gründen der Diskretion werde ich keine Namen nennen.“

Fasziniert riss sie die Augen auf. „Interessant.“

Er zuckte die Achseln. „Eher weniger.“

Geistesabwesend streifte sie ihre Pumps ab und war sofort ein paar Zentimeter kleiner. „Da du anscheinend ein Experte auf dem Gebiet bist – was ist der nächste Schritt? Abgesehen davon, ihn zu blockieren, ihm nicht mehr zu folgen und die App zu löschen, meine ich?“

„Alles gute Vorsichtsmaßnahmen. Was hältst du von Trostsex mit einem anderen Mann?“

Sie hüstelte nervös. „Dazu habe ich keine Meinung.“

„Das bringt eine Menge, glaub mir“, sagte er grinsend. „Denk mal darüber nach.“ Er ging zum Tresen zurück und stellte ihre Gläser in die Spüle. Angel hing offensichtlich noch an ihrem Ex-Freund. Sollte er nicht besser die Finger von ihr lassen? Andererseits … was konnte schon passieren? In ein paar Tagen würde sowieso alles vorbei sein.

Alles hat Konsequenzen …

Angel schob nervös die Hände in die Taschen ihres Kleides. „Bietest du mir etwa deine … Dienste an?“

Er ging zu ihr zurück und senkte den Kopf. Diesmal küsste er sie auf einen Mundwinkel. „Wenn du das so formulierst, klingt es genau so verrucht, wie es sollte.“ Als er den blumigen Duft ihres Parfums einatmete, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er das hier unbedingt wollte. Er wollte sie.

„Ich würde nicht Nein sagen.“

„Ich will aber, dass du Ja sagst.“

Sie ging einen Schritt auf ihn zu und stellte sich auf die Zehenspitzen. „Ja“, flüsterte sie.

Wenn Alessandro Cardenas einem Sex bot, sagte man einfach Ja und kümmerte sich später um die Konsequenzen. Oder?

Doch auf der Toilette kamen Angel plötzlich Zweifel. Sie riskierte damit ihren Job. Wenn sich herumsprach, dass sie mit Kunden schlief, würde keine Galerie, die etwas auf sich hielt, sie je einstellen. Ihr Ruf wäre ruiniert, bevor sie ihn sich aufgebaut hatte.

Nervös kühlte sie sich Gesicht und Hals mit Leitungswasser und tupfte beides mit einem Handtuch trocken. Als sie die Finger auf die Stelle legte, die Alessandro geküsst hatte, stand sie sofort wieder in Flammen.

Sie konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Außerdem war es nicht so, dass sie nicht schon mit dem Gedanken gespielt hatte, wieder mit einem Mann zu schlafen. Das war Punkt fünf ihres Plans, um über Chris hinwegzukommen. Wieder aufs Pferd steigen. Allerdings hatte sie es bisher noch nicht mal bis zu Punkt zwei geschafft, Alte Freunde treffen. Das hier war daher vielleicht etwas voreilig. Andererseits war Punkt eins, zu tun, was ihr Spaß machte, und das traf hier irgendwie zu.

Himmel, so, wie Alessandro sie gerade geküsst hatte … wie er ihren Namen ausgesprochen hatte … wie sollte sie da noch Nein sagen?

Aber jetzt gingen sie sowieso erstmal schwimmen.

Angel steckte sich das Haar hoch und zog sich aus. Im Spiegel betrachtete sie ihren vom regelmäßigen Joggen gestählten Körper, bevor sie sich zum Rattankorb umdrehte, in dem sich eine Auswahl Badeanzüge und Bikinis befand – alle noch mit Etiketten versehen. Von Alessandro wusste sie, dass seine Nichte Reisebloggerin/Influencerin war und jede Menge Kleidungsstücke zugeschickt bekam, von denen sie einige den Gästen zur Verfügung stellte.

Angel griff nach einem schwarzen Bikini in Einheitsgröße, der mit Bändern geschlossen wurde, streifte ihn über und verließ das Badezimmer, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Alessandro war nirgendwo auf der Terrasse zu sehen. Wahrscheinlich war er schon im Pool.

Als sie ins Wasser stieg, weckte ein Plätschern ihre Aufmerksamkeit. Sie folgte dem Geräusch zu einem künstlichen Wasserfall in einer Nische. Und da war er – nackt – die Hände gegen die steinerne Mauer gepresst, während ihm das Wasser über den muskulösen Rücken strömte. Bei dem Anblick stockte ihr der Atem.

Er schien ihre Gegenwart zu spüren, denn er drehte sich zu ihr um. „Na? Alles gefunden?“

Sie nickte stumm. Kurz darauf spürte sie eine warme Hand an einer Hüfte. Erst zu spät merkte sie, dass er die Schleife ihres Bikinihöschens löste.

„Dachtest du wirklich, dass du das hier brauchst?“ Ein Ruck, und das Stoffdreieck glitt nach unten. Anschließend löste er die Schleife auf ihrem Rücken und streifte ihr das Bikinioberteil über den Kopf. „Das hier brauchst du auch nicht.“

Ihr Herz hämmerte, als er sie zu sich unter den Wasserstrahl zog und ihre Taille umfasste. Wasser strömte ihr über den Rücken und zwischen ihren Brüsten hindurch. Er zog sie an sich und küsste sie hungrig, während er ihr das nasse Haar aus dem Gesicht strich. Angel musste blinzeln, um besser zu sehen. Sein Gesicht befand sich direkt vor ihrem. Wasserstropfen funkelten wie Glasperlen in seinen Wimpern. Sie hatte keine Ahnung, was andere Menschen wahrnahmen, wenn sie ihn sahen, aber sie fand ihn unglaublich schön.

Der Wasserfall schien ihre Hemmungen gründlich wegzuspülen, denn sie nahm eine seiner Hände und legte sie zwischen ihre Schenkel, um ihm zu zeigen wie nass sie dort war. Als er sie zu streicheln begann, war das so erregend, dass sie stöhnend die Augen schloss und zurücktaumelte, doch er hielt sie fest und streichelte sie weiter. „Was brauchst du?“, fragte er mit rauer Stimme.

Mehr! Alles! Warmes Wasser, kühle Brise, Mondlicht, seine Berührungen, alles! Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie brachte keins heraus.

Er griff ihr mit der freien Hand ins Haar und bog ihren Kopf sanft zurück. „Sprich mit mir.“

„Ich brauche dich.“ Großer Gott … was war das denn?

Aber sie hatte keine Zeit mehr, ihre Worte zu bereuen, denn er erstickte sie bereits mit einem Kuss.

3. KAPITEL

Angel war doch tatsächlich mit einem bekannten Hollywood-Frauenschwarm im Bett gewesen! Ihre innere Stimme, die sie letzte Nacht dazu ermutigt hatte, verlor am nächsten Morgen keine Zeit, sie dafür zu verurteilen, kaum dass sie die Augen aufschlug.

Sie musste den Verstand verloren haben, ihren Job wegen eines One-Night-Stands mit einem süßholzraspelnden Promi aufs Spiel gesetzt zu haben! Der Mann war extra übers Wochenende aus Kalifornien gekommen, um es krachen zu lassen, und sie hatte sich ihm quasi als Bonus angeboten!

Es war sechs Uhr morgen, das wusste sie, ohne auf die Uhr zu sehen. Sie wachte jeden Morgen um diese Zeit auf und ging dann entweder laufen oder bereitete schon mal eine Leinwand für den Abend vor. Es war zwar schon Monate her, dass sie das eine oder das andere getan hatte, aber trotzdem wachte sie immer noch um die gleiche Zeit auf.

Alessandro lag neben ihr und atmete ruhig und gleichmäßig. Für einen Moment lauschte sie seinen Atemzügen, aber das war gefährlich. Das Geräusch seines Atems, seine Körperwärme, sein über ihrem liegendes Bein, der Duft seiner Bettwäsche – alles zusammen übte eine gefährlich verführerische Wirkung auf sie aus. Am liebsten würde sie sich an ihn kuscheln und wieder einschlafen. Vielleicht würde er sie dann irgendwann mit einem Kuss wecken.

Schon allein bei der Vorstellung wurde sie wieder feucht. Und genau deshalb sollte sie hier verschwinden!

Eigentlich hatte sie heute Morgen joggen gehen wollen, aber daraus würde jetzt wohl nichts werden. Warum hatte sie bloß hier übernachtet? Nachdem Alessandro und sie sich letzte Nacht wild auf seinem Schlafzimmerfußboden geliebt hatten, hatte er sie ins Bett gelegt, und sie waren sofort eingeschlafen.

Dank der lichtundurchlässigen Vorhänge war es im Zimmer fast komplett dunkel. Angel schlüpfte aus dem Bett, ohne einen Blick auf ihren Bettgenossen zu riskieren. Wo war eigentlich ihr Kleid? Und wo waren ihre Schuhe? Alles, was sie fand, war das große weiße Handtuch, in das Alessandro sie letzte Nacht auf der Dachterrasse eingewickelt hatte, bevor sie in sein Schlafzimmer gelaufen waren, wo die Kondome waren.

Es lag zerknüllt auf dem Holzfußboden – eine grausame Erinnerung daran, wie viel Spaß sie letzte Nacht gehabt hatten. Und wahrscheinlich auch jetzt wieder haben könnten, wenn sie blieb. Sie hob das Handtuch auf, schlang es um den Körper und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Nachdem sie die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, blieb sie kurz stehen, eine Hand auf dem Türgriff und die Stirn gegen das Holz gelehnt. Sie bedankte sich stumm bei Alessandro und wünschte ihm alles Gute.

Es war besser so, und mit „besser“ meinte sie „leichter“.

Sie wandte sich von der Tür ab, pragmatischeren Dingen zu. Es würde nicht einfach werden, ihre Sachen zusammenzusammeln. Ausgezogen hatte sie sich im Bad oben bei der Dachterrasse, aber ihre Pumps hatte sie woanders abgestreift. Wo nur?

Zögernd ging sie den Flur entlang zum Wohnzimmer. Wo ging es noch mal zum Dach? Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr an den Weg erinnern. Und wie sollte sie nur von dieser verdammten Insel runterkommen? Sie konnte sich schließlich nicht einfach ein Uber bestellen.

Ein paar Schritte weiter stieß sie auf die Haushälterin, die summend eine Strelizie in einem großen weißen Übertopf goss. Den Blick, mit dem sie Angel musterte, konnte man nur als mitleidsvoll bezeichnen.

„Guten Morgen“, sagte Angel verlegen. Sie kam sich schrecklich würdelos vor.

„Kommen Sie“, antwortete die Frau. „Ich habe alles, was Sie brauchen.“

Sie hieß Maritza und hatte sich offensichtlich die Mühe gemacht, Angels Sachen einzusammeln – sogar den Metallkoffer, den Angel schon ganz vergessen hatte. Er hatte weit über zweihundert Dollar gekostet. Die Galerie hätte den Wert bestimmt von ihrem Gehalt abgezogen.

Brennend vor Dankbarkeit und Scham zog Angel sich auf der Toilette im Foyer um. Als sie wieder rauskam, fragte sie Maritza, wie sie zur Fähre kam.

„Ich kann den Chauffeur bitten, Sie in der Lobby abzuholen. Wäre das okay?“

Angel war den Tränen gefährlich nahe. „Das wäre lieb. Vielen Dank. Für alles.“

Maritza begleitete Angel zum Fahrstuhl und entließ sie mit einem tröstenden Schulterklopfen.

Eine Golfwagenfahrt zum Jachthafen, ein Sprint zur bereits ablegenden Fähre, ein rascher Sprung an Bord, und Angel hatte es aus dem Paradies geschafft. Noch ganz außer Atem setzte sie sich auf eine Holzbank und betrachtete die näher kommende Skyline von Miami. Ihre Mitreisenden waren alle anständig gekleidet. Wahrscheinlich kamen sie gerade von ihren Nachtschichten als Nannys und Wachpersonal. Nur aus Respekt auf sie verzichtete Angel darauf, in hysterisches Gelächter auszubrechen.

Es war eine Nacht voller erster Male gewesen. Ihr erster One-Night-Stand … zumindest mit einem Promi. Ihr erstes Mal, dass sie hinterher abgehauen war, ohne sich zu verabschieden. Ihr erster Orgasmus unter einer Außendusche. Ihr erstes Mal durchschlafen seit Chris’ Auszug. Das erste Mal, dass sie mit jemandem über Chris geredet hatte.

Bisher hatte sie noch mit niemandem richtig über ihre Trennung gesprochen. Zu ihren früheren Freunden in Orlando hatte sie kaum noch Kontakt, und bei ihrer Familie waren solche Gespräche eher heikel.

Ihre ältere Schwester Bernadette zum Beispiel war überkritisch. Selbst frisch verheiratet hatte sie Angel von Anfang an davon abgeraten, Chris nach Miami zu folgen. Er wird dich nie heiraten, hatte sie prophezeit, als wäre die Ehe das ultimative Lebensziel. Und kaum hatte sie von Angels Trennung erfahren, hatte sie keine Zeit damit verloren, ihr eine Hab-ich’s-dir-nicht-gleich-gesagt?-Nachricht zu schicken.

Obwohl sie auch Alessandro keine Einzelheiten erzählt hatte, hatte es gutgetan, mit ihm über Chris Moyer zu reden, Ureinwohner aus Nebraska mit einer großen Liebe zum Meer, die ihn nach Florida zum Meeresbiologiestudium geführt hatte.

Sie und Chris hatten sich an der Uni kennengelernt. Er hatte dort seinen Doktor gemacht und sie ihren Master of Fine Arts. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können. Chris – pragmatisch und zielstrebig, wie er war – hatte überhaupt nicht zu Angel gepasst, die die Dinge lieber auf sich zukommen ließ. Doch letztlich hatte ihr diese Einstellung nichts genützt, weshalb sie inzwischen daran arbeitete, sich zu verändern.

Kaum war sie dreißig geworden, hatte sie nämlich gleich mehrere Niederlagen einstecken müssen: Erst hatte sie keinen Tisch im Diablo bekommen, und dann hatte eine Galerie ihre Bewerbung für eine Gruppenausstellung abgelehnt.

Chris hatte rücksichtsvollerweise bis zum nächsten Morgen gewartet, um ihr mitzuteilen, dass er eine Postdoktorandenstelle in Australien angenommen hatte und sie besser nicht mitkam. Mit einem „es hat Spaß gemacht“, hatte er ihre Beziehung beendet. Einfach so. Vier bloße Worte für drei Jahre Beziehung!

Spaß war ein Abendessen unterm Sternenhimmel, ein Bluffspiel zu spielen, bis man sich verriet, sich anschließend weigerte, mehr zu erzählen, um dann schließlich doch alles zu verraten. Spaß war ein erster Kuss unter einem künstlichen Wasserfall und anschließend barfuß ins Schlafzimmer zu laufen.

Stöhnend vergrub Angel das Gesicht in den Händen. Spaß war leider auch das Letzte, das sie gerade gebrauchen konnte. Ihr Spaßberuf als Künstlerin war gefloppt. Ihre spaßige Beziehung war gescheitert. Sie sollte den Spaß von letzter Nacht daher schleunigst vergessen, wenn sie bei Verstand bleiben wollte.

In ein paar Tagen wirst du mich sowieso vergessen haben …

Ach, hätte Alessandro doch nur recht damit!

Angel war fort, das spürte Sandro schon beim Aufwachen. Er sprang aus dem Bett, stürzte zum Fenster und riss die Vorhänge auf. Von seinem Schlafzimmerfenster aus konnte er bis zum Jachthafen sehen und sah Angels zierliche Gestalt barfuß den Kai entlanglaufen, Schuhe in einer Hand, das Haar im Wind wehend.

Dieser kleine Engel ist ganz schön böse.

Er seufzte, als er die Fähre mit ihr an Bord immer kleiner werden sah. Wahrscheinlich war es das Beste so. Sein ausgeprägter Sinn für Schönheit führte ihn manchmal auf Abwege, und im Moment konnte er keine Zerstreuungen gebrauchen. Er hatte nämlich etwas in Miami zu erledigen – etwas sehr Unangenehmes, für das er einen klaren Kopf brauchte.

Trotzdem bereute er die Nacht mit ihr nicht. Obwohl sie ihm das Gemälde mitsamt Echtheitszertifikat gebracht hatte, das noch nicht mal das Papier wert war, auf dem es gedruckt war. Es überraschte ihn, dass sie trotz ihrer Scharfsinnigkeit so ahnungslos war. Sie hatte keinerlei Verbindung zwischen ihm und dem Maler Juan David Valero gezogen. Aber deshalb gefiel sie ihm nur umso mehr.

Alessandro David Gardenas war nämlich der Enkel von Juan David Valero – sein Lieblingsenkel genau genommen. Nach seinem Tod hatte Sandro sämtliche Gemälde geerbt, und nachdem ein Feuer im Malerschuppen die Hälfte vernichtet hatte, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, den Rest zu erhalten. Er kaufte alles, was auf dem Markt war, was nicht viel war. Sein Großvater war alles andere als kommerziell erfolgreich gewesen.

Doch in letzter Zeit tauchten immer mal wieder neue Stücke auf. Erst als ein Freund ihm stolz ein während eines Angeltrips in Miami erstandenes Valero-Original gezeigt hatte, hatte Sandro Verdacht geschöpft, dass Fälschungen im Umlauf waren. Das Gemälde vom Hafen von Havanna im Morgengrauen hatte mit dem von Angel so gut beschriebenen Pinselstrich und der gedämpften Farbpalette zwar wie von JD ausgesehen, aber irgendetwas hatte nicht damit gestimmt, auch wenn Sandro nicht genau hätte sagen können, was es war.

Aber da Sandros Freund, ein kubanischer Anwalt aus New Jersey, in bester Absicht gehandelt hatte und Sandro ihn nicht in Verlegenheit hatte bringen wollen, hatte er seinen Verdacht für sich behalten. Er hatte sich jedoch nach dem Namen der Kunstgalerie an der Lincoln Road erkundigt, wo sein Freund das Gemälde erstanden hatte, und ein paar Nachforschungen angestellt. Welche Rolle wohl Angeline Louis bei alldem spielte? Vermutlich gar keine, aber was wusste er schon?

Er ging zu dem alten Schreibtisch, der seinem Großvater gehört hatte, klappte einen Notizblock auf und zeichnete ihr Gesicht mit einem Tintenschreiber, um sie nicht zu vergessen. Ihr kantiges Gesicht, ihre mandelförmigen Augen, ihre gerade Nase, ihren herzförmigen Mund … Prompt fiel ihm ein, was sie letzte Nacht alles mit diesem Mund angestellt hatte.

Er legte den Stift wieder hin, als die Erinnerungen zurückkehrten. Sie hatten sich von Anfang an stark zueinander hingezogen gefühlt. Nicht nur ihre Schönheit hatte ihn fasziniert, sondern auch die Art, wie sie das Gemälde seines Großvaters beschrieben hatte.

Nur der andere Text hatte ihn irritiert. Er hatte die Hände gehalten, die die Farben gemischt hatten, und brauchte daher keinen Vortrag. Er war froh gewesen, dass Angel seinen abuelo als Menschen betrachtete, nicht nur als Signatur auf einer Leinwand. Sie hatte ein gutes Gespür für die Nuancen und die dahinterliegende Bedeutung. Für einen Moment hätte er fast vergessen, dass das, was sie so poetisch beschrieb, höchstwahrscheinlich nur eine billige Fälschung war.

Sie war wirklich erstaunlich einfühlsam. Sie hatte ihm zum Beispiel sofort angemerkt, dass etwas nicht stimmte, und sich darauf eingestellt. Auch das gefiel ihm an ihr.

Sie gefiel ihm insgesamt.

Anders als sie dachte, war sein Großvater jedoch keine romantische Figur – ein sich nach seiner verlorenen Heimat verzehrender Exilant. Natürlich hatte Juan David, innerhalb seiner Familie JD genannt, seine Heimat vermisst. Er war in den Siebzigern aus Kuba geflohen und hatte sein Land, seine Familie und seine Verlobte zurücklassen müssen. So etwas steckte niemand so einfach weg.

Doch Sandro zweifelte inzwischen nicht mehr daran, dass sein Großvater schlicht und ergreifend depressiv gewesen war. Eine Therapie und Medikamente hätten ihm vielleicht helfen können, wenn sein verdammter Machismo ihn nicht davon abgehalten hätte, sich Hilfe zu holen. Erschwerend hinzugekommen war, dass er sich als Versager gefühlt hatte. Als Maler hatte er nie einen Penny verdient. Deshalb wollte Sandro auch verhindern, dass andere Menschen aus dem Werk seines Großvaters nach seinem Tod Profit schlugen. Er würde JDs Vermächtnis schützen, koste es, was es wolle.

Sandro streifte sich ein Paar Shorts über, nahm sein Handy und ging in die Küche, wo Maritza ihm wortlos einen Kaffee hinstellte, als habe sie gespürt, dass er kommen würde. Manchmal war ihm diese Gabe fast unheimlich.

„Ihre Freundin ist schon weg.“

„Aha?“

„Sie ist ein sehr nettes Mädchen – sehr hübsch, sehr höflich.“ In Maritzas Stimme schwang ein kaum verhüllter Vorwurf mit.

„Und ich bin nicht nett?“

„Sie sind ein Hollywood-Playboy.“

Dachte Maritza etwa, dass er das sehr hübsche, sehr höfliche Mädchen aus dem Bett geworfen hatte? „Sie hat mich verlassen!“, versuchte er klarzustellen. „Sie ist einfach gegangen, als ich noch geschlafen habe.“

Maritza verschränkte die Hände vor der Brust. „Ich will Ihnen ja keine Vorhaltungen machen. Ich habe nur gesagt, sie ist ein nettes Mädchen.“

„Wer ist ein nettes Mädchen?“, fragte Sandros Nichte Sabina, die in diesem Augenblick die Küche betrat. „Habe ich etwas verpasst? Hatte Tío etwa ein Mädchen hier?“

„Guten Morgen“, sagte Sandro trocken.

Maritza goss Sabina ebenfalls eine Tasse Kaffee ein und zog sich diskret aus der Küche zurück. Er hatte schon länger den Verdacht, dass seine Haushälterin seine Nichte nicht „nett“ fand.

Sabina gab einen Löffel Zucker in ihren Kaffee und rührte ihn um. „Was liegt da eigentlich auf dem Couchtisch?“

„Was meinst du?“

Sie strich sich eine kastanienbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das Gemälde von JD. Wo hast du es her?“

Sabina war die Tochter seines Halbbruders Eddy, wurde ihrer Mutter jedoch immer ähnlicher. Sie war tragischerweise ums Leben gekommen, als Sabina erst zwölf gewesen war. Eddy hatte wieder geheiratet und war nach Tampa gezogen. Da Sabina sich nicht mit ihrer Stiefmutter verstand, wohnte sie lieber auf Fisher Island, wenn sie in Miami war.

Sandro stellte seine Tasse ab. „Warum willst du das wissen?“

„Warum hast du es gekauft?“, setzte Sabina ihr Verhör unbeirrt fort. „Was hast du damit vor? Es zusammen mit den anderen wegzuschließen?“

Die „anderen“ befanden sich in seinem Haus in LA in einem Lager. „Was kümmert dich das?“

„Kunst sollte gezeigt werden, damit Menschen sie bewundern können. JD würde nicht wollen, dass du seine Werke wegschließt.“

Was wusste sie schon? Sein Großvater war zwei Jahre nach ihrer Geburt gestorben, sodass sie keine Erinnerungen mehr an ihn hatte. „Wenn du so allwissend bist, warum malst du dann nicht selbst und stellst deine Gemälde aus? Als Jugendliche hast du ständig gemalt.“

„Als Jugendliche habe ich auch an der Stange getanzt“, schoss sie zurück. „Zu Trainingszwecken.“

Sandro trank einen Schluck Kaffee. Dieses Gespräch nahm gerade eine etwas seltsame Wendung.

„Daddy findet es selbstsüchtig von dir, JDs Gemälde zu verstecken, und ich sehe das genauso.“

Dann war Eddy also auf einmal wieder Daddy für sie? So hatte sie ihren Vater schon länger nicht mehr genannt. „Dann bin ich eben selbstsüchtig“, sagte er achselzuckend. „Damit kann ich leben.“

Genervt knallte sie ihren Löffel auf den Tisch. „Du bist inzwischen berühmt! Warum kannst du deine Popularität nicht dafür nutzen, sein Werk bekanntzumachen? Zeig es den Leuten. Du wärst überrascht, wie viel sie dafür bez…“

„Nein.“

„Okay. Dann lass es mich wenigstens versuchen, wenn du kein Interesse hast. Ich werde zwar nie so berühmt sein wie du, aber …“

„Nein.“

Als ältestes Enkelkind hatte Eddy das Fischerboot ihres Großvaters geerbt und Sandro die wertlosen Gemälde. Es hatte zwar keine formelle Testamentseröffnung gegeben, aber diese Aufteilung hatte schon immer festgestanden. Das Boot war vor ein paar Jahren für fast nichts verkauft worden. Die Gemälde würden sie alle überdauern.

„Warum nicht?“, fragte Sabina verärgert. „Deinen Freunden hilfst du doch auch. Warum nicht deiner Familie?“

„Wovon redest du eigentlich?“

„Ich rede von Myles’ Restaurant! Von Jordans DJ-Gigs! Du hast die beiden bekanntgemacht, und jetzt sind sie total erfolgreich!“

Es lag ihm auf der Zunge, auch ihre Reisebloggerinnen-Karriere zur Liste hinzufügen, aber er wollte nicht kleinlich sein. „Ich habe sie nicht bekanntgemacht. Was kann ich dafür, dass meine Freunde so talentiert sind?“

„Wie nennst du es dann, wenn du auf Instagram bei der Eröffnung des Diablo zu sehen bist oder im Club TENTEN, wenn Jordan dort auflegt?“

„Das nenne ich leben.“ Wozu sollte er die Gemälde seines Großvaters bekanntmachen? Er hatte sowieso nicht die Absicht, sie zu verkaufen. Seine Hoffnung war, sie eines Tages seinen Kindern zu vererben … und seiner Nichte. Aber es war noch zu früh, um ihr das zu sagen. „Sabina, du gehst gerade zu weit.“

„Keine Sorge, ich verschwinde gleich wieder. Ich bin nur gekommen, um ein paar Sachen zu packen.“

Eigentlich hatte er sich darauf gefreut, etwas Zeit mit ihr zu verbringen. „Geh nicht“, bat er. „Du bist doch gerade erst gekommen.“

„Nimm es nicht persönlich. Es ist wegen meiner Arbeit. Soho House organisiert dieses Wochenende eine Party für Influencer. Und erspar mir diesen Hundeblick. So wie es sich anhört, wirst du nicht lange allein bleiben.“ Sie nahm eine Banane aus der Obstschüssel, die Maritza immer gefüllt hielt, und schoss aus der Küche. „Bis später, Tío!“

Als Sandro ihr hinterhersah, verspürte er einen Anflug von Sodbrennen. Eigentlich hatte er den Tag nicht damit beginnen wollen, sich mit seiner Nichte zu streiten, sondern mit Angel im Bett. Aber darum war er leider betrogen worden, was ihn maßlos ärgerte.

Kurz darauf hörte er, wie Sabina ihre Zimmertür zuknallte. Was sollte er nur gegen die immer größer werdende Kluft zwischen ihm und seinen Familienmitgliedern machen? Seit er zwei Oscars gewonnen hatte, waren seine letzten familiären Beziehungen am Bröckeln. Sein Bruder meldete sich so gut wie nie, und jetzt machte er ihn anscheinend auch noch bei Sabina schlecht. Sandro fand das sehr traurig. Sein Vater war schon lange tot, und zwei Drittel seiner Familie lebten noch auf Kuba. Familie war für ihn daher nichts Selbstverständliches.

Sein Handy klingelte. Dankbar für die Ablenkung ging er ran. Es war seine Agentin Leslie Chapman mit der üblichen schlechten und guten Nachricht. Die schlechte war ein Disput zwischen dem Regisseur seines nächsten Films und der Produktionsfirma. „Was ist das Problem?“

„Geld ist das Problem“, antwortete Leslie. „Wie immer.“

„Und was ist die gute Nachricht?“

„Die Proben werden verschoben. Du hast jetzt also erstmal Urlaub. Juhuu!“

„Komm schon, Leslie! Was soll ich mit Urlaub anfangen?“

Sandro war bewusst, dass die meisten Menschen anders reagieren würden. Andererseits war er nicht wie die meisten Menschen. Er arbeitete rund um die Uhr, und wenn er mal Pause machte, so wie jetzt, traf er sich mit seinen Freunden und feierte. Ihm gefiel dieses aktive Leben.

„Großer Gott, Mann, du wohnst auf einer Privatinsel in Miami! Ich würde sofort mit dir tauschen, wenn ich könnte. Außerdem haben wir schon Dezember. Bevor du weißt, wie dir geschieht, kommt die Verleihung des Golden Globe. Ich habe ein ganz gutes Gefühl. Nutz die Zeit bis dahin, dich zu entspannen, denn bald geht’s wieder rund.“

Es war Leslies Job, große Träume für ihn zu haben. Sandro selbst machte sich keine allzu großen Hoffnungen auf einen Golden Globe für seine Rolle in der Serie einer neuen Streaming Plattform. Nur in einem Punkt gab er Leslie recht: Er sollte die Gelegenheit nutzen, sich zu erholen. Ein bisschen Ruhe würde ihn schon nicht umbringen. Er hatte schließlich den Pool und den Strand.

Und Angel … Vergiss Angel nicht …

„Okay, du hast recht. Ich werde deinen Rat befolgen.“

Sie lachte ungläubig. „Ich höre wohl nicht recht! Träume ich oder was?“

„Es wird mir nicht schaden, mich mal ein bisschen zu erholen.“

„Du sagst es, Baby! Wir wollen ja schließlich vermeiden, dass du einen Burnout bekommst, oder?“

Als Person of Color in Hollywood kannte Leslie sich besser mit den Schwierigkeiten des Filmbusiness aus als die meisten. Sie wusste, wie schwer es war, Stereotypen loszuwerden und die Art Rollen zu bekommen, die einem Schauspieler Anerkennung brachte. Sandro würde wahrscheinlich immer noch auf die Rolle des gewalttätigen Freunds oder des „Latino“festgelegt sein, wenn er nicht zu Leslie gewechselt wäre.

Er ging auf die Dachterrasse, holte ein Netz und fischte ein paar Blätter aus dem Wasser seines Pools, allerdings nicht, um den Pool zu säubern, sondern um eine Erinnerungshilfe für die letzte Nacht zu haben.

Darf ich dich küssen?

Er streckte sich mit seinem Handy auf einer Liege aus und schrieb seiner Freundin Gigi, dass er heute Abend zur Eröffnungsparty von Art Basel mitkommen würde. Wer weiß, wer ihm da so alles über den Weg lief?

4. KAPITEL

Art Basel, Eröffnungsparty

Jedes Jahr im Dezember war Miami Beach vier Tage lang das Epizentrum der Kunstwelt. Art Basel zog Menschen an, die genug Geld hatten, um es für Moderne Kunst zum Fenster rauszuwerfen oder geschickt anzulegen, je nachdem, wie man das betrachtete.

Für die Messe war ein Kongresszentrum in unterschiedliche Ausstellungsräume unterteilt worden, deren Betreiber sich mit ihren Exponaten gegenseitig zu überbieten versuchten. Sie alle hatten beeindruckende Sammlungen aus aller Welt zusammengetragen. Ein Picasso, ein Warhol, ein Lichtenstein, ein Buddha, eine Miniatur-Porzellantoilette oder eine aus Kaugummi gefertigte Büste von Columbus – alles zählte hier als Kunst.

Und Angel war mittendrin im Geschehen. Zu dumm nur, dass sie zu beschäftigt war, um den Event richtig genießen zu können. Ständig musste sie an das Paradies denken und wie sie Alessandro Cardenas unter dem Wasserfall geküsst hatte. Ihre Erinnerungen daran waren so lebendig, dass sie das kalte Wasser und seinen warmen, harten Körper förmlich spüren konnte.

Stöhnend rieb sie sich die Schläfen. Bitte, lieber Gott, lass mich ihn endlich vergessen!

Ihr Geisteszustand blieb ihrer Chefin nicht lange verborgen. „Angel! Du zitterst ja wie ein Chihuahua! Jetzt beruhige dich doch endlich!“

Na toll, der Abend hatte kaum angefangen, und sie hatte Paloma schon jetzt verärgert! Eigentlich wäre sie als neuestes Mitglied des Gallery-Six-Teams gar nicht hier. Ursprünglich hatte sie in der Galerie zurückbleiben sollen wie Aschenputtel, während sich die anderen imRampenlicht vergnügten. Doch Justines Unfall hatte diesen Plan vereitelt.

Paloma (in Wirklichkeit hieß sie Paula) war deswegen so gereizt, dass man denken könnte, Angel hätte jemanden damit beauftragt, Justine anzufahren. Es war so unfair! Angel gab sich doch solche Mühe. Sie hatte Justines letzten Deal erfolgreich abgeschlossen und sogar den Höchstpreis für das Juan-David-Valero-Gemälde bekommen. Dass sie gestern Abend direkt nach dem Verkauf des Gemäldes mit dem Kunden ins Bett gegangen war, brauchte ja niemand zu wissen.

Paloma klatschte ungeduldig in die Hände, um Angel aus ihren erotischen Erinnerungen zu reißen. Ganz in Schwarz bekleidet, mit massenhaft Goldschmuck behängt und das rote Haar zu einem strengen Haarknoten frisiert, sah sie aus wie die Galeristin par excellence. „Wir haben Konkurrenz aus aller Welt, und Promis können Nervosität schon aus drei Meter Entfernung riechen. Darauf stehen sie gar nicht.“

„Ich weiß.“

„Hör mal, ich weiß, dass du noch ein bisschen ungeschliffen bist. Ein Abschluss in Bildender Kunst bereitet einen nun mal nicht richtig auf die Kunstwelt vor. Aber ich kriege noch ein Magengeschwür, wenn du dich nicht allmählich zusammenreißt.“

Angel war gekränkt. Sie war keineswegs ungeschliffen! Außerdem war das hier nicht ihre erste Basel-Messe, sondern ihre zweite. Beim ersten Mal war sie zwar noch als Studentin hier gewesen, aber immerhin.

„Geh und hol dir etwas zu trinken, bevor die A-Promis aufkreuzen.“ Für Paloma war die Welt schwarz-weiß. In ihren Augen gab es Europa und erst lange danach den Rest der Welt. Und es gab A-Promis und das gewöhnliche Fußvolk, mit dem sie ihre kostbare Zeit nicht verschwendete.

Angel war fast in der Lounge angekommen, als ihr plötzlich einfiel, dass Alessandro womöglich auch zu den von Paloma so sehnsüchtig erwarteten A-Promis gehörte. Eigentlich rechnete sie zwar nicht mit ihm, nachdem er sich das Gemälde gestern nach Hause hatte liefern lassen, aber immerhin war heute die Eröffnungsparty. Vielleicht ging er ja mit seinen schillernden Freunden hin.

Sie eilte zur Bar, um sich den inzwischen tatsächlich dringend benötigten Drink zu holen. Sie entschied sich für einen Rosé – stark genug, um sich zu beruhigen, aber leicht genug, um nicht den Verstand zu benebeln. Schließlich musste sie heute glänzen. Sie wollte ihre Chefin beeindrucken und sich eine Kommission verdienen. Die konnte sie nämlich gut gebrauchen, bevor sie nach Orlando zurückzog.

Immer, wenn Angel daran dachte, verkrampfte sich ihr Magen. Warum wurde ihr nur jedes Mal ganz elend zumute, wenn sie an ihre Rückkehr nach Hause dachte? Miami war eine teure Stadt, und die Konkurrenz war so groß, dass sie hier wahrscheinlich nie vorankommen würde. Und die Galerie würde sie sowieso nicht vermissen. Fehlen würde ihr höchstens die lebendige Kunstszene. Diese Stadt war nicht ihr Zuhause und war auch nie ihr Traum gewesen. Sie war nur wegen Chris hergezogen und wollte daher einen Neuanfang. Sie brauchte einen!

Ein Mann näherte sich der Bar und bestellte einen Rum, was an sich nichts Weltbewegendes war … bis auf seine tiefe, volltönende Stimme. Angel erstarrte. Das konnte doch nicht sein! Als sie einen verstohlenen Seitenblick riskierte und direkt in zwei dunkle Augen in einem markanten Gesicht sah, wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

„Hallo, Angel“, sagte Alessandro.

Bei seinem Anblick schmolz sie wieder förmlich dahin. Das letzte Mal, dass sie ihn so schick gesehen hatte, hatte er mit einer Rolex von einer Reklametafel auf sie herabgelächelt. Gestern in Badehose und zerknittertem Hemd hatte er so normal gewirkt, dass sie seinen Promistatus fast vergessen hätte. Doch heute, in dunkelgrauem Anzug und frisch rasiert, begann sie geradezu zu hyperventilieren. Kein Wunder, dass sie prompt das Weinglas umstieß, das der Barkeeper ihr hinstellte. „Mist!“

Alessandro trat besorgt einen Schritt näher. „Alles okay?“

Sie dachte in erster Linie an ihr Kleid, das sie von einem Verleih für Designerklamotten hatte. „Ja, klar“, stammelte sie, während sie hastig die Tropfen vom Seidenmieder fegte. „Alles okay … yepp.“ Oje! Ein Blick in seine Augen, und sie bekam fast einen Herzinfarkt. Paloma hatte völlig recht – sie war das reinste Nervenbündel. Absolut ungeeignet für diese Szene.

Er reichte ihr eine Serviette. „Bitte.“

„Was macht du hier?“, platzte sie heraus, anstatt sich bei ihm zu bedanken.

Seine Mundwinkel zuckten etwas. „Meinen Schmerz in Tequila ertränken.“

Das bezweifelte sie. „Die VIP-Lounge ist da drüben.“

Sein Lächeln vertiefte sich. „Darf ich mich hier nicht auch aufhalten? Ich verspreche auch, keinen Ärger zu machen.“

Dieses Lächeln …

Angel starrte seine Lippen geradezu verzückt an. Erst letzte Nacht hatte sie sie geküsst … und noch sehr viel mehr getan als das, aber daran wollte sie gerade nicht denken.

„Ich kann dich nicht davon abhalten.“

„Stimmt. Aber du könntest flüchten. Zum zweiten Mal“, fügte er pointiert hinzu.

„Ich bin keineswegs …“ Angel klappte den Mund wieder zu, so fremd klang ihre Stimme in ihren Ohren.

Der Barkeeper, der sich bis jetzt um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hatte, schaltete sich ein. „Mr. Cardenas! Sie sind hier jederzeit herzlich willkommen, Sir!“

Alessandro legte einen Finger auf die Lippen. „Pst, ich bin inkognito hier.“

Autor

Debbi Rawlins

Endlich daheim – so fühlt Debbi Rawlins sich, seit sie mit ihrem Mann in Las Vegas, Nevada, lebt. Nach viel zu vielen Umzügen beabsichtigt sie nicht, noch ein einziges Mal den Wohnort zu wechseln. Debbie Rawlins stammt ursprünglich aus Hawaii, heiratete in Maui und lebte danach u.a. in Cincinnati, Chicago,...

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