Baccara Exklusiv Band 186

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FEURIGES VERLANGEN - UNERFÜLLTE SEHNSUCHT? von BARBARA DUNLOP
Heiß lodert das Verlangen zwischen dem attraktiven Rancher Reed und der grazilen Ballerina Katrina - und stellt Reed vor eine schwere Entscheidung: Soll er mit Katrina nach New York gehen? Oder ihre Liebe nur als leidenschaftlichen Tanz eines Sommers in Erinnerung behalten?

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  • Erscheinungstag 18.10.2019
  • Bandnummer 186
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725808
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara Dunlop, Maureen Child, Emily McKay

BACCARA EXKLUSIV BAND 186

1. KAPITEL

Staub wirbelte auf, als der Lastwagen vor dem Ranchhaus zum Stehen kam. Katrina Jacobs verzog leicht den Mund, als sie das alte Gebäude betrachtete. Gerade angekommen, sehnte sie sich bereits nach New York City zurück. Als ihr Bruder Travis aus dem Wagen ausstieg, tat sie es ihm gleich und achtete darauf, mit dem rechten Fuß zuerst aufzutreten, um den linken mit dem verletzten Knöchel nicht zu sehr zu belasten.

Eine Woche, dachte sie. Höchstens zwei. Dann habe ich meine Pflicht als Tochter und Schwester getan. Dann ist auch mein Knöchel wieder in Ordnung. Und ich kann zu meiner Balletttruppe in Manhattan zurück.

Katrina hasste Colorado.

Travis hob ihren Koffer von der offenen Ladefläche des Lastwagens. Katrina brauchte gar nicht hinzusehen, sie wusste es auch so: Der Koffer war jetzt von diesem unangenehmen feinen Staub bedeckt, der hier überall in der Luft lag. Man konnte putzen, waschen, saugen, er war immer da. Überall.

Unsicher ging sie den unebenen Kiesweg entlang. Für diese Gegend war sie eigentlich viel zu fein angezogen. Aber sie hatte es nicht über sich bringen können, schon in Jeans und Baumwollhemd anzureisen und auf dem Flughafen wie eine Hinterwäldlerin dazustehen. Zwar war sie nicht so berühmt, dass sie überall erkannt wurde, aber ab und zu geschah es doch. Und dann machten die Leute unweigerlich ein Foto. Heutzutage hatte ja jeder ein Fotohandy dabei und war damit ein potenzieller Paparazzo.

Travis holte sie ein. Er trug die hier übliche Kleidung – ein Flanellhemd, verwaschene Jeans und abgewetzte Cowboystiefel. „Willst du ins Zimmer von Mom und Dad ziehen?“

„Nein“, wehrte sie hastig ab. „Ich quartiere mich lieber bei Mandy ein.“

Schon mit zehn Jahren hatte Katrina ihr Zuhause verlassen. Ihre Tante hatte dafür gesorgt, dass sie auf die Upper Cavendar Dramatic Arts Academy in New York kam, eine Internatsschule für darstellende Künste. Vielleicht lag es daran, dass sie ihr Zuhause so jung verlassen hatte – auf jeden Fall schüchterte ihr strenger, energischer Vater sie bis zum heutigen Tag ein. Seine donnernde Stimme machte ihr Angst, und wenn er in ihrer Nähe war, befürchtete sie ständig, er würde ihr unangenehme Fragen stellen, sich über ihre berufliche Karriere lustig machen oder anmerken, wie ungeschickt sie sich als Ranchhelferin anstellte.

Doch im Moment war ihr Vater nicht auf der Ranch. Er hatte einen Schlaganfall erlitten und befand sich in einer Reha-Klinik in Houston. Zum Glück machte er schon wieder gute Fortschritte. Aber in seinem Schlafzimmer zu übernachten – nein, das wollte Katrina auf keinen Fall.

„Er liebt dich“, beeilte sich Travis zu versichern. „Wir alle lieben dich.“

„Und ich liebe euch auch“, erwiderte sie und betrat das Ranchhaus. Es war geräumig, größer als die meisten Häuser in der Gegend, mit einem gemütlichen Wohnzimmer, das genug Platz für fünf Kinder und zahlreiche Gäste bot. Im oberen Stockwerk befanden sich sechs Schlafzimmer, von denen eines zu einem Büro umgestaltet worden war, nachdem Katrina endgültig ausgezogen war.

Natürlich liebte sie ihre Familie, und ihre Familie liebte sie, obwohl sie mit ihr so wenig gemein hatte. Für die anderen war sie eine Außenseiterin – verweichlicht und aus der Art geschlagen, nicht imstande zu reiten oder bei der Rancharbeit kräftig mit anzupacken.

Für ihre Verwandten zählte es nicht, dass sie Solotänzerin in einer Balletttruppe war, die regelmäßig vor ausverkauften Häusern auftrat, selbst im berühmten Emperor’s Theater in New York City. Es spielte auch keine Rolle, dass sie schon auf den Titelbildern der Zeitschriften Dance America und Paris Arts Review abgebildet gewesen war. In Colorado war sie einfach das Mädchen, das nicht mal zur Ranchhelferin taugte.

„Hallo, Kitty-Kat.“

Es war ihr ältester Bruder Seth, der sie so begrüßte und in seine starken Arme nahm.

„Hallo, Seth“, erwiderte sie süß-säuerlich. Sie mochte den Spitznamen nicht besonders, den ihr ihre Brüder schon in der Kindheit verpasst hatten.

Als Seth sie wieder losließ, bemerkte sie, dass hinter ihm noch jemand stand. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, der verkniffen dreinblickte. Sie hatte ihn zwar ein paar Jahre nicht gesehen, erkannte ihn aber sofort wieder. Ihr Nachbar Reed Terrell.

Er nickte fast unmerklich. „Hallo, Katrina.“

„Hallo, Reed“, gab sie zurück und wunderte sich, dass ihr Herz ein ganz klein wenig schneller zu schlagen begann. Wahrscheinlich nur, weil sie mit seinem Auftauchen nicht gerechnet hatte.

In diesem Moment kam ihre Schwester Mandy die Verandatreppe herunter. „Katrina“, rief sie freudig aus, stieß Seth beiseite und nahm sie in die Arme.

Katrina erwiderte die Umarmung. Mandy war jünger als sie und die Einzige aus der Familie, die ein wenig Verständnis für Katrinas Tanzleidenschaft aufbrachte.

Mandy ließ sie wieder los und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. „Du siehst einfach umwerfend aus.“

Katrina wusste, dass das ein Kompliment war. Allerdings war in ihrer Familie gutes Aussehen auch gleichbedeutend mit nutzlos. Ein hübsches Gesicht brachte einen in Lyndon Valley nicht weit.

„Danke“, erwiderte sie verlegen. Vielleicht hätte ich mir doch lieber Jeans anziehen und aufs Schminken verzichten sollen, schoss es ihr durch den Kopf. Ich merke meiner lieben Familie an, dass sie meine Aufmachung unpassend findet.

„Kannst du dich noch an Reed erinnern?“, fragte Mandy und wies mit einem Kopfnicken auf den großen Mann, der schweigend im Hintergrund stand.

„Natürlich“, antwortete Katrina.

Als sie ihn ansah, begannen ihre Knie zu zittern, und sie fragte sich, warum eigentlich. Was war nur mit ihr los? Sie wollte den Blick abwenden, aber es gelang ihr nicht.

„Ich freue mich schon darauf, dass du Caleb endlich wiedersiehst“, redete Mandy aufgeregt weiter. „Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr gut an ihn erinnern. Du hast Lyndon Valley ja früh verlassen – und er auch.“

„Ich weiß, dass er Reeds Zwillingsbruder ist“, merkte Katrina an.

Reed verzog etwas den Mund, als sie seinen Namen aussprach. Die beiden Männer waren zwar Zwillinge, aber keine eineiigen. Sie erinnerte sich an Caleb als eine kleinere, weniger einschüchternde Version seines Bruders.

Das war auch besser so.

Für Mandy.

Mandy strahlte übers ganze Gesicht. „Ach ja, herzlichen Glückwunsch noch“, sagte Katrina etwas verspätet und nahm ihre Schwester noch einmal in den Arm.

„Die Hochzeit soll wahrscheinlich im Spätherbst sein“, verkündete Mandy begeistert. „Bis dahin ist Dad ja hoffentlich wieder topfit. Du sollst natürlich eine der Brautjungfern sein.“

„Ja, natürlich“, gab Katrina zurück und zwang sich zu einem Lächeln. Familienzusammenkünfte, große Feiern – sie mochte das nicht so besonders. Aber wenn es Mandy wichtig war, würde sie ihrer Schwester bestimmt nicht ihren großen Tag verderben.

„Im Brautjungfernkleid wirst du bestimmt richtig gut aussehen.“

„Das ist meine Spezialität“, scherzte Katrina und lächelte verkrampft weiter. Als sie einen Blick auf Reed warf, sah sie, dass er die Augen verdrehte.

Bestimmt hielt er sie für eitel. Aber was wusste er schon? Er kam aus einer anderen Welt, der Welt hier im Lyndon Valley. Ihn hatte bestimmt noch nie jemand nutzlos genannt. Hier wurde er geschätzt, weil er kräftig war und hart arbeitete. Er musste nicht mit dem Attribut „hübsch“ leben.

Was nicht heißen sollte, dass er schlecht aussah. Gut, vielleicht war sein Kinn eine Spur zu breit, aber er hatte ein markantes, ausdrucksstarkes Gesicht, einen attraktiven Mund und …

He, jetzt aber mal langsam, mahnte sie sich. Mach ihn nicht besser, als er ist. Er ist ein Cowboy, ein rauer Bursche. Er hat etwas Vierschrötiges und ist bestimmt der größte Macho im ganzen Lyndon Valley. Und das ist nun wirklich nicht besonders anziehend!

Seit Reed Terrell den Kinderschuhen entwachsen war, war er – man konnte es nicht anders sagen – scharf auf Mandys Schwester Katrina gewesen. Allerdings hatte er nie versucht, bei ihr zu landen, und es wäre auch mehr als zweifelhaft gewesen, ob er Erfolg gehabt hätte. Sie spielte einfach in einer anderen Liga.

Sie ist so ganz anders als die Leute hier, dachte er, als er wieder das Ranchhaus seiner Familie betrat. Sie passt gar nicht auf die Jacobs-Ranch. Irgendwie hat sie wie eine Prinzessin gewirkt, die beim einfachen Volk nach dem Rechten schaut. Jemand, den man aus der Ferne bewundert oder anhimmelt, aber dem man nicht zu nahe kommt. Und genau so werde ich es auch halten.

Er schloss die Tür und hängte seinen Hut an den dritten Haken von links, so wie er es immer tat. Viele Jahre lang hatte Reed zusammen mit seinem extrem ordnungsliebenden Vater in dem geräumigen Haus gewohnt. Inzwischen war der alte Herr verstorben, doch seine penible Ordnung wurde beibehalten.

„Danielle möchte mit dir sprechen“, verkündete sein Bruder Caleb und kam auf ihn zu, den Telefonhörer in der Hand.

„Ich habe ihr aber nichts Neues zu sagen.“

Caleb runzelte die Stirn. „Aber du kannst doch fünfzehn Millionen Dollar nicht einfach auf deinem Girokonto liegen lassen.“

„Du kannst das Geld gerne zurückkriegen“, erwiderte Reed. Er fand es immer noch lächerlich, dass sein Bruder ihm den Betrag für die Hälfte der Familienranch ausgezahlt hatte.

„Würdest du es etwa annehmen, wenn ich dir einfach so die Hälfte meiner Firma Active Equipment schenken würde?“, fragte Caleb. Er hatte das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren im Raum Chicago aufgebaut.

„Natürlich nicht.“

„Na siehst du.“ Caleb hielt Reed den Telefonhörer entgegen. „Rede einfach mit ihr. Sie hat ein paar Ideen entwickelt.“

Danielle Marin war Calebs Anwältin. Nach dem Debakel mit dem Testament des verstorbenen Vaters hatte sie die Papiere aufgesetzt, die den Besitz der Terrell-Ranch von Caleb auf Reed überschrieben. Dann hatte sie die Finanztransaktion ausgearbeitet, mit der Caleb die Hälfte der Ranch zurückkaufte.

Eher widerwillig nahm Reed den Hörer. „Hallo?“

„Hallo, Reed“, ertönte Danielles Stimme. „Hatten Sie schon Gelegenheit, sich die Unterlagen anzusehen, die ich Ihnen gestern gemailt habe?“

„Noch nicht“, murmelte Reed. Er schaute höchstens einmal pro Woche nach seinen E-Mails. Die meisten Leute, die er kannte, hatten mit moderner Technik nicht viel am Hut. Wer etwas von ihm wollte, rief ihn an oder kam einfach persönlich auf der Ranch vorbei.

Danielle seufzte. „Aber Sie wissen schon, dass jeder Tag, an dem Sie den Riesenbetrag einfach auf dem Girokonto lassen, Sie bares Geld kostet?“

„Ja, ja, das haben Sie mir letztes Mal schon gesagt.“

„Haben Sie denn wenigstens schon irgendeine Idee, was Sie mit dem Geld machen wollen? Möchten Sie lieber innerhalb der Vereinigten Staaten investieren oder weltweit? Blue Chips oder Schwellenmärkte?“

„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir einen Sportwagen zu kaufen“, antwortete Reed gedehnt. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich um dieses lästige Geld zu kümmern. Ihm reichten schon die Probleme auf der Ranch. Handfeste Probleme, die handfeste Lösungen erforderten.

„Ah, verstehe“, gab Danielle zurück. „Ich soll also auf jeden Fall einen gewissen Betrag für persönliche Bedürfnisse liquide halten.“

„Das mit dem Sportwagen war nur ein Witz, Danielle. Wir haben hier im Lyndon Valley ja nicht mal gepflasterte Straßen.“

„Aber Sie könnten ja auf dem Highway damit fahren. Welche Marke liegt Ihnen denn am ehesten? Lamborghini? Ferrari?“

„Ehrlich, Danielle, es war nur ein Witz.“

„Hm. Dann wäre es mir lieber, wenn Sie in Zukunft keine Witze mehr machen.“

Reed seufzte. „Na gut. Also, eines weiß ich schon mal: Ich möchte lieber innerhalb der USA investieren.“

„Das ist doch schon mal eine klare Auskunft. Also, wie wäre es mit Blue Chips? Oder möchten Sie sich an einem Start-up-Unternehmen beteiligen? Ich könnte Ihnen da einige vielversprechende Projekte empfehlen …“

Reed wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Eigentlich wollte er nur seine staubigen Sachen ablegen, heiß duschen und sich ein Steak auf den Grill hauen. Und dann wollte er noch ein wenig an Katrina denken und mit diesem Gedanken einschlafen.

„Ich überleg’s mir und gebe Ihnen dann Bescheid“, sagte er zu Danielle.

„Aber bitte bald, ja?“

„Ja, ja, sicher. Bald. Demnächst. Bis dann.“ Kopfschüttelnd gab er seinem Bruder den Telefonhörer zurück.

Als Nächstes verzog sich Reed unter die Dusche. Während er sich die Haare einschäumte, stellte er fest, dass sie schon wieder recht lang geworden waren. Bei nächster Gelegenheit, wenn es mal wieder genug Gründe gab, nach Lyndon reinzufahren, würde er zum Friseur gehen. Natürlich konnte er die Sache mit seinem elektrischen Haarschneider auch selbst erledigen, aber als er das das letzte Mal gemacht hatte, hatte Mandy ihn tagelang amüsiert gemustert.

Kaum musste er an Mandy denken, kam ihm auch wieder Katrina in den Sinn. Er beendete seine Dusche mit einem Schauer eiskalten Wassers.

Anschließend zog er sich frische Jeans und ein graues T-Shirt an. Barfuß ging er hinunter in die Küche. Der große Grill befand sich auf der hinteren Veranda, von der aus man einen schönen Ausblick auf den Lyndon River hatte. Es war warm; Schuhe würde er nicht brauchen.

Schon stieg ihm der verführerische Duft brutzelnder Steaks in die Nase. Sein Bruder hatte wohl schon mal angefangen; Steaks waren das Einzige, was Caleb genießbar zustande brachte. Bei dem Gedanken an seinen Bruder wurde Reed warm ums Herz.

Es war erst ein paar Wochen her, dass er sich mit seinem Zwillingsbruder wieder versöhnt hatte. Seit dem Tod ihrer Mutter zehn Jahre zuvor waren sie zerstritten gewesen. Beide hatten ihren harten, herrschsüchtigen Vater für ihren frühen Tod – sie war an einer unbehandelten Lungenentzündung gestorben – verantwortlich gemacht, nur hatten sie daraus völlig gegensätzliche Konsequenzen gezogen. Caleb hatte das Ranchhaus der Familie im Zorn verlassen. Reed war geblieben, um das Erbe seiner Mutter zu hüten und zu bewahren.

Plötzlich hörte Reed eine weibliche Stimme.

Sicher Mandy.

Als Caleb zur Ranch heimgekehrt war, um die Probleme mit dem Testament zu klären, hatten er und Mandy, die sich ja schon von früher kannten, sich unsterblich ineinander verliebt. Reed lächelte versonnen. Für ihn war Mandy immer so etwas wie eine kleine Schwester gewesen. Es wäre schön, wenn sie bald offiziell zur Familie gehörte.

Er holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und machte sich auf den Weg nach draußen zur Veranda. Als er Katrina am Tisch sitzen sah, blieb er überrascht stehen. Mit ihrer Anwesenheit hatte er nicht gerechnet.

Sie hielt ein Glas Rotwein in den zierlichen Händen und lachte gerade über etwas, das Mandy gesagt hatte. Das Abendlicht umschmeichelte ihre Figur und ließ sie wie eine Elfe wirken. Als Berufstänzerin war sie natürlich in bester körperlicher Verfassung – schlank und elegant –, und das gefiel ihm mehr, als ihm lieb war.

„Hallo, Reed“, begrüßte sie ihn. Sein verdutzter Gesichtsausdruck war ihr nicht entgangen. „Stimmt was nicht?“

Natürlich stimmt was nicht, dachte er. Sie ist Mandys Schwester. Ich sollte nicht so viel an sie denken. Wahrscheinlich bleibt sie sowieso nicht lange im Lyndon Valley, aber solange sie hier ist, muss ich irgendwie damit klarkommen.

„Alles in Ordnung“, versicherte er. „Ich habe nur einen Bärenhunger.“ Er blickte zu Caleb hinüber, der am Grill stand.

„Dauert noch ungefähr zehn Minuten“, informierte ihn Caleb.

Teller, Salate und Brot standen bereits auf dem Tisch, daher ließ Reed sich ohne weitere Umschweife in einen Gartenstuhl sinken und nahm einen Schluck von seinem Bier.

Mandy gesellte sich zu Caleb an den Grill, legte ihm die Hand auf die Schulter und unterhielt sich lachend mit ihm.

„Hattest du einen guten Flug?“, fragte Reed verlegen. Er wollte keine peinliche Stille aufkommen lassen.

„Ja, war alles bestens. Sehr angenehm, sehr bequem.“ Katrina saß ihm genau gegenüber.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Mandy seinem Bruder einen Kuss auf die Wange gab und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

„Bist du erster Klasse geflogen?“, fragte er Katrina.

„Warum?“, erwiderte sie spitz.

„Ach, nur so.“

„Hältst du mich für ein verwöhntes Prinzesschen?“

„Um Himmels willen. Ich dachte nur. Weil du sagtest, der Flug wäre so bequem gewesen.“

Einen Augenblick lang sahen sie sich schweigend an.

„Bleibst du lange?“, fragte er vorsichtig. Hoffentlich fasste sie das nicht auch schon wieder als Angriff auf!

„Eine Woche“, gab sie zurück. „Vielleicht auch zwei.“

„Und? Tanzt du immer noch?“ Er wusste so gut wie nichts über das Leben, das sie in New York City führte. Nur dass sie eine Art Ballerina war, eine sehr bekannte offenbar, und Mandy sie gern einmal auf der Bühne erlebt hätte.

„Ja, ich tanze immer noch“, bestätigte sie lächelnd. „Und du? Bist du immer noch Rancher?“

Er nickte. „Ja, immer noch. Willst du hier Urlaub machen?“

„Urlaub, na klar“, gab sie sarkastisch zurück.

„Also kein Urlaub?“

Ganz kurz blickte sie zu ihrer Schwester hinüber. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Na ja, irgendwie ist es doch so eine Art Urlaub. Natürlich ohne Palmen, ohne Swimmingpool …“

„Also doch ein Prinzesschen“, murmelte er lächelnd.

„Man muss doch sehen, dass man genug Sonnenbräune bekommt.“

„Das ist bei uns hier kein Problem“, sagte er mit einem Blick auf seine Unterarme.

„Du hast bestimmt diese typische Bauernbräune“, scherzte sie. „Sonnenbräune auf Armen und Nacken.“

„Und du hast bestimmt Prinzessinenbräune“, gab er zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. „Mit weißen Stellen, wo der Bikini sitzt.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht“, erwiderte sie augenzwinkernd. „Sieht aber bestimmt besser aus als Bauernbräune.“

Er prostete ihr mit seiner Bierflasche zu. „Das will ich nicht bestreiten.“

Zu seiner Überraschung beugte sie sich zu ihm hin und flüsterte: „Die Wahrheit ist … Ich habe mir den Knöchel verletzt.“

„Ist das ein Geheimnis?“, fragte er verschwörerisch zurück.

Sie schüttelte den Kopf. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur nicht, dass …“

Wie gebannt blickte er auf ihre Lippen. Am liebsten hätte er sie geküsst.

Errötete sie leicht? Dachte sie vielleicht sogar daran, ihn auch zu küssen?

Nein, das war ein völlig absurder Gedanke!

„Ist es dir vielleicht peinlich, dass du als Profitänzerin dir den Fuß verletzt hast?“

„Ja, es war ein dummer Unfall“, gab sie zu. „Normalerweise bin ich mit meinen Ballettschuhen sehr vorsichtig, aber …“

„Blutig, medium oder gut durch?“, rief Mandy plötzlich dazwischen.

Reed wandte den Blick nicht einmal von Katrina ab. „Für mich blutig.“

„Für mich medium“, sagte Katrina. „Und bitte kein so großes Steak.“

„Du willst kein Steak in Cowboygröße?“, fragte Reed lächelnd.

Selbstkritisch legte sie sich die Hand auf den flachen Bauch. „Mein Tanzpartner muss mich ja noch hochheben können.“

„Vielleicht brauchst du einen stärkeren Partner.“

„Nein, ich sollte eher ein, zwei Pfund abnehmen.“

„Ich finde, du bist perfekt, so wie du bist“, platzte er heraus, ohne darüber nachzudenken.

Kurz blickte sie zu Boden, ohne ein Wort zu sagen, dann biss sie sich auf die Unterlippe und blickte hinüber zu Caleb, der gerade das Tablett mit den Steaks an den Tisch brachte.

Ich muss irgendwas Falsches gesagt haben, schoss es Reed durch den Kopf. Ich weiß zwar nicht, was, aber sie ist plötzlich so anders.

Am nächsten Morgen bereute Katrina, dass sie Reed die Sache mit ihrem Knöchel erzählt hatte. Es war ihr einfach so herausgerutscht. Dabei hatte sie sich eigentlich geschworen, ihre Welt in New York völlig von der hier im Lyndon Valley getrennt zu halten. Ab jetzt würde sie besser darauf achtgeben.

Ihr Leben war ein ganz anderes, seit ihre großzügige Tante Coco sie unter ihre Fittiche genommen und ihre Eltern überredet hatte, sie mit ihr nach New York City gehen zu lassen. In New York, auf der Ballett-Akademie, hatte Katrina sich wohlgefühlt. Im Umfeld ihrer Tante, die eine renommierte Malerin war, fühlte sie sich angenommen, respektiert. In Colorado hingegen, bei ihrer übrigen Familie, war sie immer eine Außenseiterin gewesen. Das schwarze Schaf.

Oft hatte sie sich gefragt, wie ihre Tante auf den Gedanken gekommen war, sie aus der Cowboywelt von Lyndon Valley herauszuziehen, zu retten gewissermaßen. Hatte sie in der erst zehnjährigen Katrina schon die Seelenverwandte erkannt? Katrina hatte sie das immer fragen wollen, es aber stets aufs Neue hinausgeschoben. Und dann, vor zwei Jahren, war Tante Coco plötzlich an einem Aneurisma gestorben. Und nun war es zu spät.

Als Katrina das Esszimmer betrat, saßen ihre beiden Brüder und ihre beiden Schwestern bereits am Frühstückstisch und verzehrten mit großem Appetit Pfannkuchen und Rührei mit Schinken. Es verblüffte sie immer wieder, dass Mandy und Abigail so viele Kalorien vertilgen konnten, ohne anzusetzen.

Sie bemühte sich, nicht zu hinken, damit die anderen ihr die Verletzung nicht anmerkten. Andererseits würde Reed es sicher Caleb erzählen, Caleb würde es Mandy weitersagen – und schon wäre Katrina wieder das bemitleidenswerte Weichei in einer Familie, die ansonsten hart im Nehmen war.

Alle begrüßten sie freundlich, und sie setzte sich auf den leeren Platz neben Mandy. Vergeblich hielt sie auf dem Tisch nach etwas Obst oder vielleicht einem Vollkornbrötchen Ausschau. Stattdessen stellte Abigail ihr nacheinander einen Teller mit Pfannkuchen, eine Flasche Ahornsirup und ein Tablett mit Rührei vor die Nase.

„Oh, vielen Dank“, bedankte Katrina sich höflich. „Aber hättet Ihr vielleicht, äh, einen Apfel oder so was im Kühlschrank?“

Vier Augenpaare sahen sie entgeistert an.

„Ich bin kein großer Frühstücker“, erklärte sie und versuchte, die leckeren Gerüche zu ignorieren.

Abigail erhob sich.

„Nein, nein, lass nur“, wehrte Katrina ab und stand selbst auf. Sofort durchzuckte ein brennender Schmerz ihren Knöchel, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich hole ihn mir schon selber.“ Schnell machte sie sich auf den Weg in die Küche.

„Abigail und ich können noch ein paar Tage auf der Ranch bleiben“, hörte sie die Stimme von Seth aus dem Esszimmer herübertönen. „Aber anschließend werden wir wegen der Wahlkampagne in Lyndon gebraucht.“

In der Speisekammer neben der Küche füllte die Familienköchin Henrietta gerade die Regale auf. Katrina begrüßte sie lächelnd und wollte die Kühlschranktür öffnen, als plötzlich das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Sie zog es heraus und sah auf dem Display eine Nummer aus New York City, die ihr unbekannt vorkam.

„Hallo?“, fragte sie und verzog sich in die Ecke hinter dem Kühlschrank, von wo aus man die Gespräche ihrer Geschwister nicht so hörte.

„Hallo, Katrina.“

Verärgert biss sie die Zähne zusammen, als sie die Stimme von Quentin Foster erkannte. Er gehörte zum Vorstand des Liberty Ballet und hatte sie bei ihrem letzten Gespräch auf schamlose Weise angebaggert.

„Ich wollte mich mal erkundigen, wie es Ihnen geht“, fragte er beflissen.

„Gut“, antwortete sie kurz angebunden. Am liebsten hätte sie das Gespräch damit beendet. Als Vorstandsmitglied war er ein wichtiger Mann in dem Ballettunternehmen, aber wie er sie angemacht hatte – das ging gar nicht!

„Wir machen uns alle Sorgen um Sie.“

„Wie gesagt, mir geht es gut. Ich bin bald zurück.“

„Zurück? Sind Sie nicht in New York?“

„Nein, ich besuche meine Familie. Ich, äh, muss dann auch mal wieder. Vielen Dank für den Anruf.“

„Einen Moment noch, Katrina.“

„Ja …?“

„Haben Sie noch mal über meinen Vorschlag nachgedacht?“

Über seinen Vorschlag, seine Geliebte zu werden? „Ich habe meine Meinung nicht geändert.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihr Bruder Seth sie neugierig musterte. „Ich muss jetzt wirklich los. Aber danke, dass Sie sich nach mir erkundigt haben.“ Schnell schaltete sie ihr Handy aus und wandte sich wieder der Familie zu.

„Mandy reitet heute zur Herde am Blue Lake, um sie zu inspizieren“, erklärte Travis. „Und ich muss nachsehen, wie viele Rinder durch den Canyon gezogen sind.“

Katrina wusste: Es war eine Wissenschaft für sich, wie man die Rinderherden auf dem riesigen Weideland verteilte – man musste Jahreszeiten, Bewuchs und Wetterlage berücksichtigen. Sie hatte keine Ahnung davon. Es beschlich sie das ungute Gefühl, dass sie im neunzehnten Jahrhundert, der Zeit der Cowboys, nicht lange überlebt hätte.

„Wann kommt der Tierarzt?“, fragte Abigail und schenkte sich Kaffee nach.

„Gegen elf, hat er gesagt“, antwortete Mandy. „Aber du weißt ja, bei dem kann immer was dazwischenkommen.“

„Als Allererstes nach dem Frühstück muss ich mich mit dem Wahlkampfbüro in Verbindung setzen“, verkündete Abigail. Ihr ältester Bruder kandidierte nämlich für den Bürgermeisterposten in Lyndon.

Katrina holte sich einen Apfel aus dem Gemüsefach, spülte ihn unter dem Wasserhahn ab und setzte sich wieder zu den anderen.

„Und was ist mit dir?“, fragte Travis sie.

„Mit mir …?“, fragte Katrina verdutzt. Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht.

„Du könntest ja zusammen mit mir zum Blue Lake reiten“, schlug Mandy vor.

Katrina blickte in die erwartungsvolle Runde. Hatten sie es denn wirklich alle vergessen, dass sie nie richtig reiten gelernt hatte? Sie hatte immer noch Angst vor Pferden, und bei der Vorstellung, stundenlang auf dem Rücken eines dieser Tiere zu sitzen, wurde ihr ganz anders.

„Eigentlich muss ich trainieren, wie jeden Tag“, sagte sie in die Runde.

Seth machte eine wegwerfende Handbewegung. „Einen Tag kannst du damit ja wohl mal aussetzen.“

„Ich …“

„Die frische Luft wird dir guttun“, verkündete Travis.

Nur Mandy mischte sich nicht ein.

„Ich wünschte wirklich, ich könnte das Training einfach mal so ausfallen lassen“, beteuerte Katrina. „Aber ich muss in Form bleiben.“

„Reiten ist auch ein gutes Training“, beharrte Travis.

„Hättet Ihr vielleicht ein Fahrrad für mich?“, versuchte sie das Thema zu wechseln. Wenn es hier schon kein Fitnessstudio gab, wäre Joggen eigentlich das beste Training, aber damit würde sie ihren Knöchel zu sehr belasten, vor allem auf unebenem Gelände.

Überrascht sahen ihre Geschwister sie an.

„Ein Fahrrad?“, fragte Seth.

„Ich fahre gerne Fahrrad“, erwiderte Katrina. „Das ist gut für meine Oberschenkelmuskulatur.“

„Richtige Arbeit wäre für deine Oberschenkelmuskeln vielleicht auch nicht schlecht“, höhnte Travis.

„Travis“, ermahnte Abigail ihn.

„Ich glaube, im Schuppen steht noch ein altes Rad“, sagte Mandy. „Nach dem Frühstück können wir mal nachsehen.“ Sie betrachtete den Apfel, den Katrina in der Hand hielt. „Möchtest du nicht doch lieber etwas Warmes?“

Katrina schüttelte den Kopf. „Nein, nein, ist schon in Ordnung.“ Zaghaft biss sie vom Apfel ab. Schließlich wandten sich alle wieder ihrem Essen zu.

Nach ein paar Minuten erhob sich Mandy, brachte ihre Teller in die Küche und setzte sich dann wieder an den Tisch. „Wir können los, wenn du so weit bist“, sagte sie zu Katrina.

„Ich bin so weit“, erwiderte Katrina und stand auf. Nur schnell weg von hier, bevor noch mehr unangenehme Fragen und Vorschläge kamen!

An diesem Tag hatte sie sich passend fürs Ranchleben angezogen. Sie trug eine weiße Bluse, Jeans und Turnschuhe.

Mandy setzte sich einen abgenutzten Stetson auf, bevor sie das Haus verließ, und Katrina folgte ihr. Sie wünschte, sie hätte sich auch einen Hut mitgebracht – oder wenigstens ihre alte Baseballkappe, die noch gut in ihren Koffer gepasst hätte.

„Du hast mir noch gar nicht gesagt, was du von Caleb hältst“, sagte Mandy, als sie den Schuppen betraten.

„Ich glaube, er ist ein wirklich netter Kerl.“

„Was, ist das alles?“, fragte Mandy gespielt empört. „Ist das alles, was du über meinen Verlobten sagen kannst? Dass er ein netter Kerl ist? Er ist großartig!“

„Ich habe ihn ja gestern erst nach langen Jahren zum ersten Mal wiedergesehen“, warf Katrina ein. Caleb war sechs Jahre älter als sie, und aus ihrer Kinderzeit hatte sie kaum noch Erinnerungen an ihn. „Aber ich bin mir sicher, er ist fantastisch. Und obendrein ungeheuer verliebt in dich.“

„Das ist er wirklich.“ Mandy lächelte versonnen. „Und was ist mit dir? Hast du auch jemanden? In New York, meine ich?“

„Im Moment nicht, nein.“

„Ich dachte, die Kerle stehen bei dir Schlange. Richtig reiche Typen und so.“

„Kann man nicht sagen.“ In letzter Zeit hatte sich eigentlich niemand um sie bemüht – wenn man von Quentin Foster absah. Schon bei dem Gedanken an den widerlichen Kerl musste Katrina sich schütteln. Er hatte sie nicht höflich um ein Date gebeten, er hatte sie geradezu nötigen wollen, mit ihm ins Bett zu gehen.

„Scheinbar wissen die Kerle in New York eine wirklich gute Frau nicht zu schätzen“, kommentierte Mandy. „Ah, da ist ja das Rad.“

Gemeinsam wuchteten sie es aus dem Schuppen. „Wie weit willst du denn fahren?“, fragte Mandy.

Katrina zuckte mit den Schultern. „Mal sehen. Fünfzehn Meilen, vielleicht auch zwanzig.“

„Ich fahre nachher noch zu Caleb“, sagte Mandy. „Wenn du nicht zu früh losfährst und den Weg am Fluss entlang nimmst, können wir uns bei den Terrells treffen, und ich nehme dich nach dem Abendessen mit dem Auto zurück.“

Katrina zögerte. Sie war nicht unbedingt wild darauf, noch mehr Zeit mit Reed zu verbringen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich unsicher und nervös. Andererseits war Mandy für sie so etwas wie ein Schutzschild gegen ihre anderen Geschwister. Wenn Mandy nicht dabei war, würden ihre Brüder sie noch zu unangenehmeren Dingen überreden wollen. Wie zum Beispiel zum Reiten.

„Gute Idee“, erwiderte sie, ohne groß nachzudenken. „Wir treffen uns dann bei den Terrells.“

2. KAPITEL

Reed kam gerade aus der Scheune, als sich ein Lastwagen mit dem Logo der Jacobs-Ranch näherte. Sofort begann sein Herz schneller zu schlagen, aber dann sah er, dass nur Mandy in der Fahrerkabine saß und nicht Katrina.

Als der Wagen zum Stehen gekommen war, öffnete Reed Mandy die Autotür. „Hallo, Mandy.“

Bevor sie ausstieg, nahm sie noch eine Blechdose vom Beifahrersitz. „Brownies.“ Lächelnd wedelte sie mit der Dose vor seiner Nase herum.

„Hört sich gut an. Caleb ist wahrscheinlich drinnen.“

„Zusammen mit Katrina?“

Sein Herz machte einen Satz. „Ach, Katrina ist auch hier?“

„Sollte sie eigentlich. Wir wollten uns hier treffen.“

„Ich war eine ganze Zeit in der Scheune. Vielleicht habe ich ihre Ankunft verpasst. Allerdings sehe ich hier keinen anderen Wagen von euch.“

„Sie wollte ja auch mit dem Rad kommen. Als Training.“

Das fand Reed zwar mehr als merkwürdig, aber jeder, wie er wollte, dachte er. Gemeinsam gingen sie ins Haus.

Als sie das Wohnzimmer betraten, sahen sie Caleb, der mit dem Telefonhörer in der Hand unruhig auf und ab ging. „Ich glaube kaum, dass Danielle dafür extra nach Brasilien fliegen will.“ Kurz nickte er den beiden zu, dann vertiefte er sich wieder ins Gespräch. „Will sie? Tatsächlich? Bewundernswerter Einsatz. Die Frau hat sich wirklich eine Prämie verdient. Wiederhören.“

„Ist Katrina gar nicht hier?“, fragte Mandy beunruhigt.

„Nein, wieso?“

„Sie wollte hierherkommen, damit wir uns hier treffen. Den Fluss entlang, auf dem Fahrrad.“

„Hoffentlich ist ihr nichts passiert“, sagte Caleb.

„Ich mache mich auf die Suche nach ihr“, verkündete Reed. „Bleibt ihr ruhig hier.“

Reed war in seinem offenen Geländewagen ungefähr vier Meilen den Fluss entlanggefahren, als er Katrina entdeckte. Sie stand am Wegesrand, mit ölverschmierten Händen, und hatte das Fahrrad auf den Kopf gestellt. Schnell hielt er an und stieg aus.

„Na, gibt es ein Problem?“

„Kann man wohl sagen“, bestätigte sie. „Aber hallo erst mal. Ich bin über einen Stein gefahren, und da ist die blöde Kette abgesprungen.“

„Und du hast sie nicht wieder draufgekriegt?“

„Sehe ich wie eine Mechanikerin aus? Aber versucht habe ich es immerhin.“

Er ergriff das Rad, hievte es auf den Wagen und schnallte es fest. „Ich repariere es lieber bei uns zu Hause“, kommentierte er. „Es sei denn, du möchtest den Rest der Strecke gerne noch radeln.“

„Kein Bedarf. Es wird sowieso gleich dunkel.“

„Hauptsache, du hast dich nicht verletzt.“

„Nein, ich bin ja nicht mal gestürzt. Nur die Kette ist abgesprungen. Vielen Dank übrigens für deine Hilfe.“

„Mandy hat gesagt, dass du längst bei uns sein wolltest, da habe ich mich auf die Suche gemacht.“

„Momentan scheine ich das Unglück magisch anzuziehen“, kommentierte Katrina.

„Wieso? Was ist denn noch passiert?“

„Ach, die blöde Sache mit meinem Knöchel. Erst ist mir der Ballettschuh kaputtgegangen, und dann bin ich noch über Kabel gestolpert, die neben der Bühne lagen. Wo sie nicht hingehörten. Und der Witz bei dieser Panne heute ist – eigentlich hatte ich mich zum Fahrradfahren entschlossen, um einem größeren Risiko aus dem Weg zu gehen. Mandy wollte nämlich mit mir ausreiten. Wer weiß, was dann passiert wäre …“

Als Reed und Katrina bei der Terrell-Ranch angekommen waren, ging Katrina, ölverschmiert, wie sie war, erst einmal im Gästebadezimmer im ersten Stock duschen. Mandy hatte ihren Koffer mit der Kleidung zum Wechseln mitgebracht und ihr vorgeschlagen, dass sie beide bei der befreundeten Familie übernachten könnten. So konnte Mandy mit Caleb zusammen sein, und Katrina war es auch ganz recht. Zu viel gemeinsame Zeit mit ihrer Familie tat ihr nämlich gar nicht gut, wie sie festgestellt hatte. Caleb war von dem Plan natürlich begeistert gewesen, und Reed hatte mehr oder weniger neutral darauf reagiert.

Als Katrina aus der Dusche stieg und sich abtrocknete, ging ihr auf, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Ihr Koffer mit den frischen Sachen lag im Gästezimmer. Sie würde also halb nackt, nur in ein Handtuch gehüllt, über den Flur gehen müssen.

Vorsichtig öffnete sie die Badezimmertür, schaute sich um, ob auch niemand in der Nähe war, und ging dann den Flur entlang zum Gästezimmer. Als sie drin war, schloss sie erleichtert die Tür. Alles gut gegangen.

„Katrina?“, ertönte plötzlich Reeds Stimme hinter ihr.

Erschrocken fuhr sie herum, wobei ihr das Handtuch verrutschte, sodass kurz ihre Brüste zu sehen waren. „Was, zum …“

„Tut mir leid.“ Schuldbewusst wandte er den Blick ab. „Ich wollte dir nur frisches Bettzeug bringen.“

„Ich …“ Sie errötete. Die Situation war ihr unendlich peinlich, aber im tiefsten Inneren fand sie es irgendwie auch erregend, so halb nackt vor ihm zu stehen.

„Ich … ich gehe dann mal besser“, murmelte Reed und blickte zu Boden.

Genau in diesem Moment klopfte es an der Tür.

„Katrina?“, rief Mandy. „Bist du da drin?“

„Äh, ja“, rief Katrina durch die geschlossene Tür. „Aber ich bin halb nackt. Und Reed bezieht gerade das Bett.“

Auf der anderen Seite herrschte Schweigen.

„Musstest du das jetzt sagen?“, fragte Reed erbost. „Was soll sie denn jetzt denken? Lass mich raus.“

Er öffnete die Tür. Wortlos stand Mandy da.

„Deine Schwester hat einen kleinen Scherz gemacht“, sagte er verlegen.

„Er … er hat hier im Zimmer auf mich gewartet, als ich reinkam“, verteidigte sich Katrina.

„Ich wusste ja nicht, dass du so schnell mit dem Duschen fertig bist“, erwiderte Reed. „Auf jeden Fall hast du jetzt frisches Bettzeug.“

„Vielen Dank“, sagte Katrina. Es war nicht nur die Situation – irgendwie machte dieser Mann sie nervös. Löste irgendetwas in ihr aus. Na, es würde sich schon wieder geben.

„Caleb hat unten schon den Wein aufgemacht“, brachte Mandy etwas ratlos hervor.

„Dann ziehe ich mich schnell an und komme nach“, verkündete Katrina. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Was sollte sie, gerade sie, an Reed finden – diesem Cowboy vom Lande? Eigentlich stand sie doch auf einen ganz anderen Typ Mann. Sie mochte kultivierte, weltgewandte Männer, mit denen man sich über Literatur, gute Küche und Weltpolitik unterhalten konnte.

„Es war wirklich nur ein blöder Zufall“, sagte Reed zu Mandy.

„Schon klar“, versicherte sie. „Das hätte jedem passieren können.“

Bevor er mit Mandy die Treppe hinunterging, wandte Reed sich noch einmal zu Katrina rum. „Das war überhaupt nicht komisch“, sagte er und musterte sie von Kopf bis Fuß.

Als die beiden gegangen waren, musste Katrina erst einmal kräftig schlucken. Wie er sie angesehen hatte! Wenn das mal nichts zu bedeuten hatte …

Früh am nächsten Morgen – es war noch dunkel – erwachte Katrina in ihrem Gästezimmer. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht wieder einschlafen, was sicher auch damit zu tun hatte, dass Reeds Schlafzimmer Wand an Wand zu ihrem lag.

Schnell holte sie einen Gymnastikanzug aus ihrem Koffer hervor, zog ihn an und schlich durch das geräumige Haus, um sich einen Raum zu suchen, in dem sie ihre Übungen machen konnte. Im Keller wurde sie fündig.

Nachdem sie sich die Ohrstöpsel ihres MP3-Players eingesteckt hatte, legte sie los. Strecken, beugen …

Nach ein paar Minuten hatte sie plötzlich das Gefühl, jemand würde sie beobachten. Als sie sich umwandte, sah sie Reed in der Tür stehen.

„Ich habe das Licht bemerkt“, erklärte er und betrat den Kellerraum. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt, das sich über seinem breiten, muskulösen Brustkorb spannte.

„Ich konnte nicht mehr schlafen“, erklärte Katrina. „Colorado liegt ja in einer anderen Zeitzone als New York City.“

„Ich konnte auch nicht mehr schlafen. Ich mache mir jetzt Eier mit Schinken. Willst du auch was haben?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht so der Frühstückstyp.“

„Du scheinst überhaupt kein großer Esser zu sein.“

„Als Tänzerin muss man auf sein Gewicht achten. Nicht nur, damit man auf der Bühne gut aussieht, sondern auch aus Rücksicht auf den Partner.“

„Wie viel wiegst du denn?“

Ungläubig sah sie ihn an. „Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?“

Er zuckte mit den Schultern und kam näher. „Warum nicht? Ich wiege bestimmt doppelt oder dreimal so viel wie du.“

„Trotzdem. Man fragt eine Dame nicht nach ihrem Gewicht.“

Einen Moment lang sah er sie wortlos an. Dann sagte er: „Ich habe eine Überraschung für dich.“

Warum sollte er mich mit etwas überraschen wollen? schoss es ihr durch den Kopf. Sie fühlte sich geschmeichelt. „Was ist es denn?“

„Schau es dir lieber selber an. Es steht im Schuppen. Aber vorher … solltest du dir lieber etwas Vernünftiges anziehen. Vielleicht laufen draußen schon ein paar von unseren Arbeitern herum.“

Sie blickte an sich herunter und fand den Gymnastikanzug völlig ausreichend. „Ach Reed. Auf der Bühne trage ich manchmal weniger.“

„Aber nicht in Colorado“, gab er zurück. „Hier draußen macht so etwas die Männer nervös. Mich zum Beispiel.“

Sie lächelte. Flirtete er etwa mit ihr?

Schnell ging sie nach oben, um sich anzuziehen, während er im Flur auf sie wartete. Dann begaben sie sich gemeinsam in die Scheune.

Katrina konnte kaum glauben, was sie dort in einer Ecke stehen sah. Reed hatte ihr Fahrrad auf ein Gestell geschraubt und zu einem Hometrainer umgebaut.

„Ich fasse es nicht“, stieß sie hervor. „Wann hast du denn das gemacht?“

„Ganz früh heute Morgen. Ich habe doch gesagt, ich konnte nicht schlafen.“

„Das … das hätten wir aber vorher absprechen müssen“, gab sie zurück. Einerseits fand sie es ganz süß von ihm, andererseits fühlte sie sich bevormundet.

„Dir geht es ja nur ums Training, und hier in der Wildnis herumzufahren ist viel zu gefährlich für dich“, erläuterte er.

„Reed, ich bin schon erwachsen.“

„Und?“

„Deshalb lasse ich mir nicht gerne vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.“

„Ach ja. Aber um dich gestern aus deiner misslichen Situation zu retten – dafür war ich gut genug.“

„Niemand hat dich darum gebeten.“

„Doch, Mandy hat mich darum gebeten.“

„Aber ich nicht.“

„Hätte ich dich einfach dalassen sollen? Mitten in der Wildnis?“

„Du hättest mich fragen sollen, bevor du das Rad umbaust.“

Eigentlich hatte er ihr tatsächlich einen Gefallen getan, aber aus irgendeinem Grund mochte sie das nicht zugeben.

„Soll ich das Ganze rückgängig machen?“

Als sie sah, wie enttäuscht und verletzt er war, bedauerte sie ihr Verhalten. „Nein, lass es nur so. Es war ja gut gemeint.“

„Okay“, grummelte er. Dann wandte er sich abrupt um und ging.

3. KAPITEL

Als Reed in der Küche die Eier mit Schinken zubereitete, ärgerte er sich über sich selbst. Er hatte sich so viel Mühe mit dem Umbau des Rads gegeben, und jetzt das! Aber eigentlich war er so etwas gewöhnt. Von seinem Vater. Der hatte immer nur gefordert, gefordert, gefordert – und dann am Ergebnis herumgemäkelt.

„Hm, riecht das gut“, schwärmte Caleb, als er die Küche betrat. „Ich kann immer noch nicht glauben, wie gut du kochen kannst.“

„Und ich kann immer noch nicht glauben, wie schlecht du kochst“, gab Reed ungerührt zurück.

Sein Bruder hatte die vergangenen zehn Jahre in Chicago verbracht, wo er seine Firma Active Equipment aufgebaut hatte. Dort wäre er wahrscheinlich verhungert, wenn es keine Restaurants und Schnellimbisse gegeben hätte.

„Was ist, mein Alter? Hast du schlechte Laune?“

„Ach Quatsch“, erwiderte Reed und wechselte das Thema. „Gestern sind die Rohre für das Bewässerungssystem der Haferfelder eingetroffen. Da werde ich mich nachher mal dranmachen.“

„Das können doch ein paar von unseren Leuten erledigen.“

„Ich kann’s aber auch ebenso gut selbst machen.“ Reed verspürte keine Lust, den allmächtigen Rancher zu spielen, der nur Befehle gab und niemals selbst mit anpackte.

Caleb nippte an seinem Kaffee. „Hast du dir schon die Bewerbungen für die Stelle des Geschäftsführers der Ranch angesehen?“

„Noch nicht.“

„Machst du’s vielleicht irgendwann noch mal?“

„Ja, ja, sicher.“ Caleb wollte unbedingt einen Geschäftsführer für die Ranch einstellen, obwohl Reed auch nichts dagegen gehabt hätte, sich um alles selbst zu kümmern.

„Guten Morgen, Caleb“, ertönte plötzlich Katrinas Stimme.

„Oh, hallo, Katrina“, begrüßte Caleb sie. „Hast du gut geschlafen?“

„Ja, danke.“

„Möchtest du auch Eier?“, fragte Reed unvermittelt.

„Nein danke“, erwiderte sie etwas verwirrt. Das hatte er sie doch vorhin schon gefragt! Offenbar sollte sein Bruder nicht mitbekommen, dass sie sich an diesem Morgen schon gesehen hatten.

„Dann vielleicht etwas Obst?“, fragte er weiter.

„Gerne.“

„Orangen stehen schon auf dem Tisch. Im Kühlschrank haben wir noch Weintrauben und Pflaumen. Such dir was aus.“

„Ich hole dir was“, bot Caleb an.

„Sie kann bestimmt schon selber eine Kühlschranktür öffnen“, fuhr Reed seinem Bruder über den Mund.

„Mann, was ist heute Morgen nur los mit dir?“, fragte Caleb verärgert.

„Ist schon gut“, mischte sich Katrina ein und ging zum Kühlschrank. „Er ist nur der Meinung, dass ich hier auf dem Land zu nichts nütze bin.“

„Sie ist unser Gast“, wetterte Caleb.

„Wer ist euer Gast?“, fragte Mandy, als sie die Küche betrat. „Ich?“

Sofort ging sie auf Caleb zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Nein, ich“, ertönte Katrinas Stimme hinter der geöffneten Kühlschranktür.

Im Geiste verglich Reed die beiden Schwestern. Mandy war eine junge Frau vom Lande – lebhaft, unkompliziert – und kleidete sich auch so. Eine wie sie wäre die Richtige für ihn. Katrina hingegen trug schon am frühen Morgen dieses modische Zeugs. So konnte man vielleicht in New York in einen Nachtclub gehen, aber doch nicht in Colorado herumlaufen!

„Um mich nützlich zu machen, kann ich nachher den Abwasch erledigen“, bot Katrina an und biss in eine der Pflaumen, die sie aus dem Kühlschrank geholt hatte.

„Lass nur“, erwiderte Reed barsch. „Ihr beiden müsst doch bestimmt so schnell wie möglich zurück nach Hause.“

Caleb legte Mandy den Arm um die Schultern. „So schnell lasse ich die Kleine hier noch nicht weg.“

„Ich habe zu Hause aber jede Menge zu tun“, widersprach Mandy und sah ihn herausfordernd an.

„Dann stell einfach noch eine Hilfskraft mehr ein. Ich bezahle sie. Du bist meine Verlobte, und ich habe viel Geld.“

Als Reed Katrinas Blick sah, tat es ihm fast ein bisschen leid, wie er sich ihr gegenüber benommen hatte. Aber er hatte ihr in bester Absicht einen Gefallen getan, und sie hatte sich absolut undankbar verhalten. Damit kam sie vielleicht in New York City durch, aber nicht hier!

„Wie lange soll ich denn deiner Meinung nach bleiben?“, fragte Mandy Caleb schmunzelnd.

„Am besten für immer.“

„Na, das finde ich aber süß.“ Mandy küsste Caleb die Wange.

„Hm, aber auf jeden Fall sollte ich zurückfahren“, warf Katrina ein.

„Ach nein, bleib doch auch noch“, widersprach Mandy.

„Ich weiß nicht recht, warum.“

Zum Beispiel um deinen neuen Hometrainer zu benutzen, dachte Reed verärgert. Du könntest es wenigstens mal ausprobieren.

„Wir haben doch noch gar nicht viel Zeit zum Reden gehabt“, beharrte Mandy. „Hier haben wir Gelegenheit dazu. Caleb lässt mich bestimmt noch nicht so schnell weg. Und Reed hat sicher auch nichts dagegen.“

„Ich möchte aber nicht stören.“

„Wir sind hier nicht im Country Club“, fuhr Reed Katrina plötzlich an. Als er ihren erschrockenen und verletzten Gesichtsausdruck sah, tat ihm sein Ausbruch sofort wieder leid.

„Reed!“, schimpfte Caleb. „Jetzt reicht es aber wirklich. Was fällt dir eigentlich ein?“

„Schon gut“, beschwichtigte Katrina. „Ich sollte jetzt wirklich lieber …“

„Nein, solltest du nicht“, sagte Mandy und warf Reed einen bösen Blick zu. „Er hat heute Morgen schlechte Laune, das ist alles. So sind die Männer aus der Familie Terrell manchmal.“

„Wie bitte?“, sagte Caleb. Offenbar gefiel es ihm nicht, mit seinem manchmal so ruppigen Bruder in einen Topf geworfen zu werden.

Reed fühlte sich plötzlich wie ein Unhold. Am liebsten hätte er die zarte, zerbrechliche, verängstigte Katrina in die Arme geschlossen und sich tausendfach für alles entschuldigt, was er ihr angetan hatte und vielleicht unabsichtlich noch antun würde.

Doch sofort verwarf er diesen Gedanken wieder. Erst hatte sie sich undankbar verhalten, und jetzt spielte sie das verletzte, scheue Reh. Na, darauf würde er nicht hereinfallen!

„Natürlich kannst du gerne bleiben“, versicherte Caleb ihr.

Katrina blickte zu Reed hinüber, und sein Widerstand schmolz dahin wie Butter in der Sonne.

„Ja, selbstverständlich kannst du bleiben“, murmelte er.

Dann wandte er sich wieder der Pfanne mit den Eiern zu. Fast wären sie ihm über all dem Gerede angebrannt. Was war nur mit ihm los?

Eher widerwillig folgte Katrina ihrer Schwester zum Stall der Terrells, in dem die Pferde standen.

„Die Wiese beim Flash Lake ist um diese Jahreszeit wirklich schön“, schwärmte Mandy. „Was da alles wächst! Es ist wirklich nur ein kurzer Ritt. Solange du hier bist, solltest du auch noch was anderes sehen als nur den Hof der Ranch.“

„Weißt du es denn gar nicht mehr?“, fragte Katrina.

„Was denn?“

„Dass ich nicht reiten kann.“

Mandy wandte sich zu ihr um. „Das ist doch ein Witz.“

„Ist es nicht.“

„Natürlich kannst du reiten.“

Katrina schüttelte den Kopf. „Ihr habt mich ja früher oft genug aufs Pferd gesetzt“, sagte sie. „Aber ehrlich, ich habe mich nur mit Müh und Not im Sattel gehalten. Kontrolle über das Tier habe ich nie gehabt. Es ist einfach hinter euren Pferden hergetrottet. Wenn es das nicht getan hätte, wäre ich für immer in der Wildnis verloren gegangen.“

„Ich kann es dir beibringen“, bot Mandy an.

Katrina lachte auf. „Na schön, dann muss ich wohl mit der Wahrheit rausrücken. Ich habe Angst vor Pferden, Mandy.“

„Wie bitte?“

„Sie jagen mir eine Heidenangst ein.“

„Warum das denn?“

„Weil sie so groß und stark sind. Obendrein sind sie unberechenbar. Eines hat mich mal gebissen.“

Mandy schüttelte den Kopf. „Und dabei willst du es bewenden lassen? Du musst ihnen zeigen, wer der Boss ist.“

„Hört sich das nach mir an?“

Mandy musterte ihre Schwester von oben bis unten. „Nein, nicht so recht.“

„Ich schaffe es ja nicht mal, Balletttänzer mit einer Größe von einem Meter sechzig herumzukommandieren.“

Mandy musste lachen. „Ich bringe es dir bei.“

„Balletttänzer herumzukommandieren?“

„Nein, das Reiten.“

„Nein, nein, lass mal lieber.“

„Es ist wirklich ganz einfach, glaub mir.“

„Lieb gemeint, aber … nein danke. Außerdem bin ich ja nur eine Woche hier, und in New York City gibt’s nicht so viele Pferde.“

„Aber du kommst doch wieder. Zum Beispiel wenn Dad nach Hause kommt.“

Katrina fühlte sich plötzlich unwohl. Vielleicht lag es daran, dass sie in so jungen Jahren von zu Hause fortgegangen war und ihren Vater gar nicht richtig kannte. Oder daran, dass er ihr stets das Gefühl gegeben hatte, enttäuscht von ihr zu sein. Auf jeden Fall fühlte sie sich in seiner Gegenwart immer unwohl.

„Katrina?“, bohrte Mandy nach.

„Hm … Ich bin immer ziemlich eingespannt.“

„Aber du musst doch auch mal freihaben.“

„Schon, aber ich muss ja auch ständig üben. Und zusätzlich gebe ich noch Unterricht.“ Katrina ging in Richtung Wiese. Sie wollte ihrer Schwester nicht ins Gesicht sehen.

Mandy folgte ihr. „Du findest es hier draußen furchtbar, stimmt’s?“

„Na ja, ich …“ Katrina suchte nach den richtigen Worten. „Es … es macht mir irgendwie Angst.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Wie solltest du auch? Du bist ja Mrs. Super-Rancher.“

Mandy lachte und zog Katrina mit zu dem Bereich der Wiese, auf dem mehrere Pferde standen. „Du machst immer alles komplizierter, als es ist.“

„Mache ich gar nicht.“ Je näher sie den Pferden kamen, desto mehr verlangsamte sie ihre Schritte.

„Jetzt komm schon, du Hasenfuß“, forderte ihre Schwester sie auf. „Ich passe schon auf, dass sie dir nichts tun.“

„Aber verlang nicht von mir, dass ich sie anfasse oder so was.“ Eigentlich war Katrina ohnehin nur hier, um – auf Drängen ihrer Mutter hin – mal wieder etwas Kontakt zu ihrer Familie zu haben. Aber sie würde sich bestimmt nicht therapieren lassen, was Pferde anging!

„Keine Sorge. Und wenn sie dich angreifen, werfe ich mich ihnen in den Weg.“

„Sehr witzig.“

„Was ist das eigentlich mit dir und Reed?“, fragte Mandy, während sie weitergingen.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Gestern Abend war noch alles in Ordnung. Und heute Morgen …“

„Heute Morgen war auch alles in Ordnung.“

„Nein, Katrina. Ich kenne Reed wirklich gut. Wir sind fast wie Bruder und Schwester geworden in den zehn Jahren, in denen Caleb weg war. Reed ist sauer auf dich, und ich würde gerne wissen, warum.“

Katrina zuckte mit den Schultern. „Das musst du ihn fragen.“

„Der sagt mir bestimmt nichts.“

„Dann werden wir es wohl nie erfahren.“

Bedauernd schüttelte Mandy den Kopf. „Ach Katrina. Manchmal kommt es mir so vor, als ob ich dich überhaupt nicht kenne.“

Katrina wusste: Am einfachsten wäre es jetzt, mit einer launigen Bemerkung darüber hinwegzugehen und das Thema zu wechseln. Aber irgendwie wollte sie das nicht. „Vielleicht kennst du mich ja wirklich nicht.“

Überrascht blieb Mandy stehen. „Was?“

Jetzt war es zu spät, jetzt musste es heraus. „Travis hat gesagt, dass ihr alle mich liebt.“

„Tun wir auch. Wirklich.“

„Ach, ihr wisst doch so gut wie nichts von mir. Du weißt nicht, dass ich Angst vor Pferden habe. Sogar vor Hühnern. Und auch … vor Dad.“

„Was? Vor Dad?“

„Und du weißt erst recht nicht, was für eine Angst ich habe, dass mein Knöchel nicht richtig verheilt. Und dass damit meine Tanzkarriere beendet ist.“

Mitfühlend ergriff Mandy Katrinas Hand. „Um Himmels willen, was ist denn los, meine Süße? Was ist mit deinem Knöchel?“

„Ach, nichts.“

„Doch. Jetzt raus mit der Sprache.“

Katrina machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe ihn mir beim Tanzen verletzt.“

„Hoffentlich nichts Schlimmes.“

„Nein, nein. Sag den andern lieber erst gar nichts, sie können mir ja doch nicht helfen. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe, damit alles heilen kann.“

In diesem Moment tat es Katrina schon wieder leid, dass sie ihrer Schwester ihre Ängste gestanden hatte. Das mit dem Knöchel würde schon wieder in Ordnung kommen. „Mandy, dieser Ausbruch tut mir leid. Ich hätte das alles nicht sagen sollen und …“

Beruhigend streichelte Mandy ihr den Arm. „Nein, das war gut so. Ich wollte doch mehr von dir wissen, Katrina. Und egal, was in deinem Kopf vorgeht – wir lieben dich wirklich alle.“

„Was in meinem Kopf vorgeht? Das hört sich ja an, als ob ich verrückt wäre.“

„So war das nicht gemeint.“

Plötzlich fühlte Katrina sich unglaublich müde und erschöpft. Sie hatte keine Lust mehr auf weitere Diskussionen. Schlimm genug, dass Quentin es auf sie abgesehen hatte und ihre Karriere gefährdet war – da wollte sie nicht auch noch das Verhältnis zu ihrer Familie aufarbeiten.

„Was meinst du, ob mich jemand zurück zu unserer Ranch fahren würde?“, fragte Katrina. Dann würde sie sich einen Vorwand ausdenken, um gleich den nächsten Flug am folgenden Morgen nehmen zu können.

Mandy schüttelte den Kopf. „Kommt nicht infrage. Wir sind doch gerade erst miteinander warm geworden. Jetzt wird weitergetratscht.“ Sie hakte sich bei Katrina unter und setzte sich in Bewegung.

„Ach, ich weiß nicht recht …“, murmelte Katrina.

„Also, was ist das jetzt mit Reed?“, bohrte Mandy nach.

„Nichts. Gar nichts.“

„Ich glaube, er mag dich.“

„Ich glaube, er hasst mich.“

„Du hast Angst vor Hühnern. Deshalb gebe ich nicht viel auf dein Urteilsvermögen.“

„Ich möchte jetzt nach Hause“, seufzte Katrina.

„Wenn du mit ‚nach Hause‘ das Ranchhaus von Caleb und Reed meinst, wo wir jetzt gemütlich ein paar Margaritas schlürfen, liegst du richtig.“

„Ich darf keine Margaritas trinken. Die machen dick.“

„Darfst du wohl. Du kannst dir die Kalorien ja anschließend wieder abtrainieren. Aber was du jetzt brauchst, sind ein paar Drinks und eine kleine Schwester.“

„Deine Schwester behauptet, ich hätte dich ganz durcheinandergebracht.“ Katrina zuckte zusammen, als sie Reeds Stimme hörte. Sie saß seit geraumer Zeit auf dem Hometrainer Marke Eigenbau, um die vier großen Margaritas vom Nachmittag wieder abzutrainieren. Sie waren sich in dem Gespräch so nahegekommen wie lange nicht mehr.

Inzwischen ging die Sonne allmählich unter, aber Katrina fühlte sich immer noch ein wenig beschwipst.

„Durcheinander? Ich bin nicht durcheinander.“

„Gut zu wissen.“

Eine Zeit lang stand Reed nur schweigend da, mit dem Rücken gegen einen Holzpfeiler gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Schon weit geradelt?“, fragte er dann.

„So um die vierzehn Meilen, schätze ich“, gab sie zurück.

Wieder herrschte Schweigen.

Fünf Minuten waren vergangen, als sie endlich innehielt und ihn fragte: „Was machst du eigentlich hier?“

„Warten.“

„Worauf?“

„Mandy hat gesagt, du machst dir Sorgen wegen deines Knöchels.“

„Mandy sollte aufhören, meine Privatangelegenheiten im ganzen Tal herumzuposaunen.“

„Ich wusste das mit deinem Knöchel doch schon.“

„Aber sie wusste nicht, dass du es schon wusstest.“

„Jetzt schon.“

Katrina stemmte die Hände in die Hüften. „Wie wär’s, kommst du vielleicht jetzt endlich mal zur Sache?“

„Bin ich längst. Dein Knöchel.“

„Was ist damit?“

Er kam näher. „Darf ich ihn mir mal ansehen?“

„Bist du Arzt?“

„Nein.“

„Oder Physiotherapeut?“

„Auch nicht.“

„Oder stehst du aus irgendwelchen abartigen sexuellen Gründen auf Knöchel?“

Reed musste lachen. „Gott bewahre. Aber ich hatte schon oft mit Pferden zu tun, deren Sehnen gezerrt waren.“

Leicht hysterisch lachte sie auf. „Schön für dich.“

„Ich habe ein Hausrezept für einen Kräuterwickel, der die Durchblutung anregt. Besser als jeder Kram aus der Apotheke.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Ist das ein Witz? Hat Mandy dich dazu angestiftet?“

„Das ist total ernst gemeint.“

„Ich bin doch kein Pferd.“

„Nein, wohl kaum. Aber trotzdem ist es im Prinzip dasselbe.“

„Warum willst du mir überhaupt helfen? Ich dachte, du wärst sauer auf mich.“

„Bin ich auch.“

„Also – warum dann die Hilfsbereitschaft?“

„Weil du sie nötig hast.“

„Und weil Mandy dich darum gebeten hat?“

„Hm, hm.“

Forschend sah Katrina ihn an. „Warst du mal in meine Schwester verliebt?“

„Nein.“ Er hob ihr Bein an und betrachtete ihren Knöchel.

„Lügst du mich an?“

„Nein.“

„Zwischen dir und Mandy ist also nichts?“

„Sie heiratet meinen Bruder. Das ist zwischen uns.“ Er öffnete die Schnürsenkel von Katrinas Turnschuh.

„Daraus werde ich irgendwie nicht schlau.“ Deutete er damit etwa an, dass Caleb ihm und Mandy in die Quere gekommen war?

Behutsam zog Reed Katrina den Turnschuh vom Fuß und stellte ihn ab. „Da gibt es nichts reinzudeuten.“

„Trotzdem sprichst du irgendwie in Rätseln.“

Reed schüttelte den Kopf und zog ihr auch noch die Socke aus. „Wie kommst du nur darauf, dass ich scharf auf Mandy bin?“

„Weil du ihr einen Gefallen tust. Indem du mir hilfst. Welchen anderen Grund könntest du haben …“

Als er mit seinen großen warmen Händen ihren Knöchel umfasste, zuckte sie zusammen.

„Das hat mit Mandy nichts zu tun.“ Vorsichtig bewegte er ihren Knöchel. „Tut das weh?“

Katrina verzog den Mund und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

„Stillhalten.“

„Ja, es tut weh.“

„Tut mir leid.“ Mit dem Daumen drückte er auf die Stelle unterhalb ihres Knöchels. „Und das? Tut das weh?“

„Autsch. Ja.“

„Beweg mal deinen Zeh.“

„Aua.“

„Ah ja, ich sehe schon“, murmelte er und begann ihren Knöchel vorsichtig mit dem Daumen zu massieren. Der Druck war zwar etwas unangenehm, tat aber nicht weh.

„Entspann dich“, wies er sie an. Allmählich ließ er die Hände höher gleiten.

Das tat jetzt überhaupt nicht weh. Im Gegenteil, es fühlte sich gut an. Sehr gut sogar. Genießerisch schloss sie die Augen.

„Nicht erschrecken“, ertönte plötzlich seine Stimme, sanft, warm und fast zärtlich. „Ich trage dich jetzt mal rüber zu den Heuballen. Wenn du liegst, kann ich dich besser massieren.“

Schnell legte er noch eine Pferdedecke auf die Heuballen, dann bettete er Katrina darauf.

Gefühlvoll fuhr er mit der Massage fort. „Tut das weh?“

„Nein.“

„Gut. Entspann dich. Versuch an nichts zu denken.“

Sie wunderte sich wirklich, dass ein so starker, direkter, vielleicht sogar ein wenig ungehobelter Mann derart zärtliche Hände hatte. Ja, er verwöhnte sie, und sie fühlte sich tatsächlich unendlich entspannt …

„Katrina?“, hörte sie plötzlich seine Stimme. Erschrocken fuhr sie hoch.

„Na, muss ich die Prinzessin küssen, um sie aufzuwecken?“, scherzte er.

„Ich … ich bin doch nicht etwa eingeschlafen?“

„Doch. Du hast sogar geschnarcht.“

„Unglaublich. Du musst magische Hände haben.“

„Habe ich auch“, bestätigte er schmunzelnd.

Im Halbdunkel der Scheune wirkte er plötzlich ungeheuer verführerisch auf sie. Ein Mann voller Kraft, voller Urgewalt, der doch so sanft und zärtlich sein konnte. Hatte er nicht gerade etwas vom Küssen gesagt? Wie gern hätte sie seine Wange berührt, seine Lippen auf ihren gespürt. Er sollte sie ins Heu drücken, mit seinen magischen Händen ihre Hüfte umfassen. Sie wusste, er würde sie ins Paradies führen, wenn …

„Zeit für den Kräuterwickel“, unterbrach er ihre Gedanken.

„Was?“

„Ich muss ihn dir jetzt anlegen. Solange deine Muskeln noch schön angewärmt und entspannt sind.“

„Aber …“ Das hatte sie sich alles etwas anders vorgestellt!

„Lass dich überraschen, das hilft wirklich“, versicherte er ihr.

„Reed?“

Er sah sie nicht einmal an. „Ja, ja, ich weiß, du bist kein Pferd. Aber du wirst sehen, wie gut das tut.“

Daran zweifelte sie nicht. Ihr Problem war ein ganz anderes. Dass sie sich nämlich gegen alle Vernunft ungeheuer von Reed Terrell angezogen fühlte. Und sie hatte das Gefühl, dass sich daran so schnell auch nichts ändern würde.

4. KAPITEL

Kraftvoll ließ Reed den Vorschlaghammer auf den Holzpfahl niederkrachen. Hier, auf dieser grünen Wiese, sollte einmal sein Haus entstehen. Der ideale Platz. Dafür lag noch viel Arbeit vor ihm, aber er konnte sich alles schon bildlich vorstellen: das komplette Holzhaus, die Brücke über den Bach, den Garten. Sogar die sechs Kinder, die hier herumtollen würden. Und seine Frau, wie sie gerade dem Jüngsten hinterherlief. Schön sah sie aus in ihren Cowboystiefeln und Bluejeans, mit dem Flanellhemd und dem Stetson auf dem Kopf. Dann drehte sie sich plötzlich herum, lächelte ihn glücklich an … und hatte Katrinas Gesicht.

Reed stand da wie vom Donner gerührt.

Entsetzt schüttelte er den Kopf. Da lief etwas schief. Da lief etwas mächtig schief. Er war doch extra hierhergekommen, um ihr aus dem Weg zu gehen. Die Tatsache, dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte, hatte ihn daran erinnert, dass es an der Zeit war, mit seiner Lebensplanung voranzukommen. Aber eines schloss diese Lebensplanung ganz bestimmt nicht mit ein: eine kleine blonde Ballerina mit blauen Augen.

„Reed?“

Überrascht fuhr er herum. Es war Katrina, die auf ihn zukam.

Sie trug ihr Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre Diamantohrringe funkelten im Sonnenlicht. Sie trug Designerjeans und ein knappes T-Shirt.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie.

„Und du? Was machst du?“

„Einen Spaziergang“, gab sie zurück. „Für die Fitness.“

„Ich dachte, dafür hast du deinen schönen neuen Hometrainer.“

„Der Mensch braucht Abwechslung“, erwiderte sie lächelnd.

Nur mühsam widerstand er dem Impuls, ihr Gesicht mit beiden Händen zu umfassen und ihr einen Kuss zu geben. Nein, das ging gar nicht! Das wäre ja, als ob er seine zukünftige Frau betrügen würde!

Neugierig sah Katrina sich um. „Soll hier was gebaut werden?“

„Ja, ich stecke schon mal den Grundriss ab. Für mein Haus.“

„Ehrlich? Du willst dir ein Haus bauen?“

„Den Eiffelturm jedenfalls nicht.“

Neugierig musterte sie das abgesteckte Gelände. „Soll ganz schön groß werden, was?“

Er nickte stolz. „Vier Schlafzimmer.“

„Wo soll die Eingangstür sein?“

„Du stehst direkt davor.“

„Darf ich reinkommen?“

„Aber gerne doch.“ Obwohl das Haus erst in seiner Fantasie existierte, führte Reed Katrina herum, zeigte ihr, wo welches Zimmer entstehen sollte. „Vom Wohnzimmer aus wird man einen prächtigen Blick auf den Fluss haben.“

„Sehr schön“, kommentierte sie. „Aber eins verstehe ich nicht. Ihr habt doch schon ein Haus.“

Die Pläne für das neue Haus hatte er schon gehabt, als sein Vater noch lebte, und er hatte einfach daran festgehalten. „Im alten Haus können Caleb und Mandy wohnen.“

„Aber die werden höchstens zeitweise mal im Lyndon Valley sein, oder?“

„Wahrscheinlich, aber trotzdem werden sie dann ihr eigenes Reich haben wollen. Und ich meins. Zusammen mit meiner Frau.“

Ungläubig sah sie ihn an. „Du willst heiraten?“

„Genau.“

„Hast du eine heimliche Verlobte?“

„Noch nicht.“

„Wer ist es?“

„Ich habe doch gesagt – noch nicht.“

„Ja, aber wer ist es?“

„Das weiß ich doch jetzt noch nicht.“

Verständnislos neigte Katrina den Kopf zur Seite. „Du baust ein Haus für eine Verlobte und weißt noch nicht einmal, wer sie ist?“

„Was dagegen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich finde es irgendwie süß.“

„Ich würde eher sagen: vorausschauend.“

„Ich würde eher süß sagen.“

Er lachte auf. „Ich bin nicht süß.“

Lächelnd zeigte sie auf ihren Fuß. „Dein Kräuterumschlag hat übrigens geholfen.“

„Habe ich doch gesagt.“

Sie musste an die Situation in der Scheune denken, als er sie so gefühlvoll massiert hatte. Plötzlich ertönte ein Geräusch wie fernes Donnergrollen. Es schien näher zu kommen.

„Was ist das denn?“, fragte sie angespannt.

„Pferde.“ Er lauschte einen Moment. „Eine kleine Herde.“

„Wo?“ Sie blickte in die Richtung, in die auch er sah.

„Sie sind noch hinter der Anhöhe. Aber sie kommen auf uns zu.“

Irgendetwas musste sie aufgeschreckt haben.

„Aber … da ist doch noch ein Zaun, oder?“, erkundigte sich Katrina nervös.

„Was meinst du?“

„Na – ein Zaun. Zwischen uns und ihnen. Oder …?“

„Nein.“

Sie wurde ganz blass. „Nein?“

Er schüttelte den Kopf, und verängstigt schmiegte sie sich an ihn.

Das donnernde Geräusch kam immer näher.

„Sie laufen auf den See zu“, versicherte Reed ihr.

„Werden sie uns tottrampeln?“ Zitternd barg sie ihren Kopf an seinem Brustkorb.

Er versuchte nicht zu lachen und legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter. „Nein, sie werden uns nicht tottrampeln. Sie werden die Kurve Richtung See nehmen.“

„Das kannst du doch gar nicht wissen.“

„Und selbst wenn nicht, werden sie uns sehen und einen Bogen um uns machen.“

„Sagst du das nur, um mir das Sterben zu erleichtern?“

Er sah ihr tief in die Augen und hielt sie ganz fest. „Beruhig dich, Katrina. Dir wird nichts passieren.“

„Aber wenn sie … wenn sie wütend sind?“

„Sie haben nur Durst“, versicherte er ihr.

Der Boden bebte. Dann, inmitten einer riesigen Staubwolke, tauchte die Herde hinter der Anhöhe auf. Panisch presste Katrina sich an Reed.

„Siehst du?“, fragte er. „Sie ändern schon die Richtung.“

Wie er vorausgesagt hatte, nahmen die Pferde – es mussten etwa ein Dutzend sein – Kurs auf den See. Das donnernde Geräusch wurde immer leiser.

Katrina zitterte immer noch. Beruhigend strich Reed ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „He, Prinzessin, es ist vorbei. Und wie du siehst, ist nichts passiert.“

„Es tut mir leid“, murmelte sie.

„Es braucht dir nicht leidzutun.“

„Trotzdem. Irgendwie ist mir das peinlich.“

„Na ja, das verstehe ich.“

Spielerisch boxte sie ihn gegen den Arm. „He, pass auf, was du sagst! Ich bin eben den Umgang mit Pferden nicht gewöhnt.“

„Ach, tatsächlich?“, erwiderte er ironisch. Jetzt, wo sie sich langsam beruhigte, begann er es zu genießen, sie in den Armen zu halten. Kleine, schutzbedürftige Prinzessin. Ganz sanft streichelte er ihr den Rücken, und prompt stieg unerwartetes Verlangen in ihm auf.

Sie sahen sich in die Augen, und einen Moment lang stand die Welt still. Der Wind erstarb, die Vögel hörten auf zu zwitschern. Zärtlich strich er ihr über die Wange und beugte den Kopf zu ihr hinunter. Sein Mund kam ihrem ganz nah.

„Sag mir, wenn ich das lassen soll“, flüsterte er rau. Nur ihr Nein konnte ihn jetzt noch davon abhalten, sie zu küssen.

Doch sie schwieg, stand nur da, dicht an ihn gedrängt, und öffnete erwartungsvoll die Lippen.

Dann berührte sein Mund ihren. Ihre Lippen waren voll, zart und heiß und schmeckten wie süßer Honig.

Schon drang er mit der Zunge in ihren Mund ein und hielt Katrina ganz fest, so fest, dass sie seine Erregung spüren musste.

Das geht alles viel zu schnell, schoss es ihm durch den Kopf. Ich halte sie zu fest, ich küsse sie zu heftig, und ich muss mich zusammennehmen. Muss sie loslassen.

Doch ihr schien es zu gefallen. Leise stöhnte sie auf, immer noch fest an ihn geklammert, sodass ihre Brüste seinen Brustkorb berührten.

In der Ferne wieherte ein Pferd, die Vögel begannen wieder zu zwitschern, und ein Windhauch kühlte seine überhitzte Haut.

Mit äußerster Willenskraft löste er den Mund von ihrem. „Es tut mir leid“, keuchte er.

„Mir nicht“, erwiderte sie schwer atmend.

„Sag so etwas nicht“, murmelte er, und seine Stimme zitterte leicht.

„Gut.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich sag’s nicht.“

Er atmete tief durch und ließ sie los. „Ich … ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“

„Du brauchst dir wirklich keine Vorwürfe zu machen“, erwiderte sie. Ihr Atem ging immer noch schwer. „Zu so etwas gehören schließlich zwei.“

„Ich … ich versuche nur, mich wie ein Gentleman zu benehmen.“

Ihre Wangen waren gerötet, ihr Blick die pure Verlockung. „Es gibt Situationen, in denen gentlemanlikes Verhalten völlig überbewertet ist.“

Reed stöhnte auf. „Lass solche Sprüche, bitte! Du bringst mich um!“

„Das hatte ich eigentlich nicht vor.“

„Willst du, dass ich dich noch einmal küsse?“, fragte er. Sie machte ihn eindeutig an, und lange würde er ihr nicht mehr widerstehen können!

„Willst du mich denn noch einmal küssen, Cowboy?“

„Mehr als alles auf der Welt.“

Schweigend sahen sie sich an.

„Aber ich werde es trotzdem nicht tun“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Denn er wusste: Wenn er sie jetzt noch einmal küsste, gäbe es kein Halten mehr. Dann wäre es auch völlig egal, dass das Schlafzimmer seines zukünftigen Hauses bisher nur aus ein paar abgesteckten Pfählen bestand. Dann würde er sie einfach nehmen, hier und jetzt, auf dem saftigen Gras der Wiese. Und dann würde er ein anderes Haus bauen müssen, anderswo, weil er dazu verdammt wäre, an dieser Stelle immer nur an sie zu denken.

Es ist ja nicht so, dass ich überhaupt keine Erfahrung mit Männern habe, dachte Katrina.

Na schön, eigentlich doch fast keine. Aber das ist nicht meine Schuld. Die Schule, auf die ich gegangen bin, bis ich achtzehn war, war nur für Mädchen. Anschließend bin ich direkt zur Liberty Ballet Company gegangen. Und da gab’s auch beinah nur Mädchen. Die paar männlichen Tänzer waren zwar alle ganz nett, aber als Männer haben sie mich nicht interessiert.

Zwar hatte sie im vergangenen Jahr ein paar Dates mit Männern gehabt, meist mit Personen, die auf die eine oder andere Weise mit dem Ballett zu tun hatten, aber daraus hatte sich nichts Festes entwickelt.

Und dann gab es da natürlich noch Quentin. Der zählte allerdings überhaupt nicht – ganz im Gegensatz zu dem Kuss von Reed. Der zählte sehr wohl. Quentin war Mitglied des Verwaltungsrats beim Liberty Ballet. Er war fast zwanzig Jahre älter als Katrina und hatte es auf sie abgesehen, seit sie Solotänzerin geworden war. Immer wieder hatte er sie angebaggert, und immer wieder hatte sie ihn zurückgewiesen. Dann schließlich, zwei Wochen zuvor, hatte er sie in seinem Büro in die Ecke gedrängt und ihr einen Kuss aufgedrückt. Sie hatte sich von ihm losgerissen und ihm klar und deutlich gesagt, dass sie kein Interesse hatte. Daraufhin war er wütend geworden und hatte ihr gedroht, ihre Karriere zu zerstören.

Zwar wusste sie nicht, ob er dazu wirklich in der Lage war. Aber auf jeden Fall hatte er in der Welt des Balletts gute Verbindungen.

Sie bürstete ihr feuchtes Haar und blickte in den Kommodenspiegel im Gästezimmer der Terrells. Komisch, wie unterschiedlich Quentin und Reed waren. Zwischen ihnen lagen Welten! Quentin war weltgewandt, gebildet, konnte sehr charmant sein. Reed dagegen war rau, leidenschaftlich, durchsetzungsfähig und ungestüm. Aber keine Frage, wem sie im Zweifelsfall eher vertrauen würde.

Unwillkürlich fuhr sie sich über die Lippen. Noch immer spürte sie Reeds Kuss vom Nachmittag, auf jeden Fall kam es ihr so vor. Er hatte der Sache im letzten Moment Einhalt geboten, sodass sie beide zur Besinnung gekommen waren. Hätte er das nicht getan – sie war sich ziemlich sicher, dass sie dann an diesem Nachmittag ihre Unschuld an einen raubeinigen Cowboy verloren hätte, und zwar direkt auf der Wiese, auf der sie gestanden hatten.

Versonnen lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wie wohl jede Frau ohne Erfahrung hatte sie sich schon oft ihr erstes Mal bildlich vorgestellt. In ihren Fantasien war es immer in einer luxuriösen Hotelsuite passiert, mit einem Mann, der seine Krawatte und seinen feinen Anzug sorgfältig über einen Sessel legte, bis er näher kam, um ihr in einem spitzenbesetzten Himmelbett Gesellschaft zu leisten. Nein, Lyndon Valley, Jeans und einen Mann mit Bartstoppeln hatte sie in ihren Träumen nie auf dem Radar gehabt.

„Katrina?“ Mandy klopfte von außen vorsichtig an die Tür.

„Komm ruhig rein“, rief Katrina.

„Wie geht’s?“, fragte Mandy. „Was macht der Knöchel?“

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

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