Baccara Exklusiv Band 203

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VORSICHT - UNWIDERSTEHLICH! von ANDREA LAURENCE
Heißer Sex im Fahrstuhl mit Francesca?! Dabei sind Liam und sie doch sonst nie einer Meinung. Aber nun erwidert Francesca seine Zärtlichkeiten voller Leidenschaft. Und als Liam heiraten muss, um sein Medienimperium nicht zu verlieren, kann er nur an eine denken: Francesca!

SANFT BERÜHRT - UND SCHON VERFÜHRT? von JANICE MAYNARD
Sechs Jahre ist es her, seit Olivia mit dem Mann, der vor ihr steht, heiße Nächte verbracht hat. Dann verschwand er spurlos, und Olivia machte zwei Entdeckungen: Sein Name war falsch, und sie war schwanger! Was will er jetzt von ihr? Und warum verspürt sie diese verräterische Sehnsucht?

WIE VERNASCHT MAN EINEN MILLIONÄR? von MAUREEN CHILD
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  • Erscheinungstag 05.02.2021
  • Bandnummer 203
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501743
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Andrea Laurence, Janice Maynard, Maureen Child

BACCARA EXKLUSIV BAND 203

1. KAPITEL

Figlio di un allevatore di maiali.

Liam Crowe konnte kein Italienisch. Der neue Besitzer des American News Service Network, abgekürzt ANS, war gerade mal in der Lage, sich italienisches Essen zu bestellen. Wohingegen die Chefin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Francesca Orr, damit kein Problem haben dürfte.

Immerhin war sie es gewesen, die diese Worte während der Krisensitzung geflüstert hatte. Schnell hatte er sie sich in seinem Notebook notiert, um später nachzuschlagen, was sie bedeuteten. Bei ihr hatten die Worte unendlich verführerisch geklungen! Überhaupt war Italienisch eine ausdrucksstarke Sprache, insbesondere dann, wenn sie aus dem Mund der dunkelhaarigen, exotischen Schönheit kamen.

Trotzdem hatte er das unbestimmte Gefühl, dass ihm nicht gefallen würde, was sie gesagt hatte.

Dass die Übernahme der Firma von Graham Boyle kein Kinderspiel werden würde, war ihm von Anfang an klar gewesen. Der frühere Eigentümer saß mit etlichen seiner Mitarbeiter im Gefängnis – wegen eines Abhörskandals, der sogar auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten abgezielt hatte!

Beim ersten Sitzungspunkt ging es um die geplante Entlassung der ANS-Reporterin Angelica Pierce wegen der gegen sie vorliegenden Verdachtsmomente. Im Rahmen seiner Nachforschungen im Umfeld des Kongresses hatte Hayden Black sie immer mehr belastet. Doch für eine Vorstandsentscheidung reichten die Beweise im Moment noch nicht aus.

Liam wusste, dass die Vorgänge weitreichende Folgen für Unternehmen und Politik haben konnten. Und doch waren sie der Grund dafür, dass er es sich hatte leisten können, Hauptanteilseigner von ANS, einem echten Big Player in der Medienbranche, zu werden.

Schon lange hatte er ein Auge darauf geworfen. Die Auswirkungen des Abhörskandals hatten den Inhaber Graham Boyle in die Knie gezwungen und Liam die Möglichkeit eröffnet, den Sender zu erwerben.

Jetzt galt es, den Skandal zu überwinden und den guten Ruf des Unternehmens wiederherzustellen. Herausforderungen wie diese liebte er. Und er durfte hoffen, dass sich die Beschäftigten und der Vorstand als kooperativ erweisen würden. Alle, mit denen er bisher gesprochen hatte – vom Nachtportier bis zum Finanzdirektor –, schienen schwer in Ordnung zu sein und freuten sich über ihn als neuen Chef.

Nur Francesca seltsamerweise nicht. Ihr Vater war ein schwerreicher Filmproduzent, und sie war bekannt für ihr soziales Engagement. Mit Sicherheit lagen ihr die Beschäftigten des Senders ebenso sehr am Herzen wie Waisenkinder und Krebspatienten.

Doch im Augenblick war davon nichts zu merken. In einem figurbetonten feuerroten Kostüm saß sie am Konferenztisch und wirkte regelrecht teuflisch.

Man hatte ihn vorgewarnt, wie leidenschaftlich und unbelehrbar sie war, aber trotzdem hatte ihn ihr Temperamt überrascht. Schon der bloße Vorschlag einer Ausgabenkürzung hatte bei ihr einen Wutanfall ausgelöst. Aber in der augenblicklich angespannten Situation konnten sie es sich nicht leisten, Millionen für wohltätige Zwecke auszugeben.

Überflüssig festzustellen, dass sie diese Meinung ganz und gar nicht teilte.

Liam seufzte, klappte seinen Aktenkoffer zu und verließ den Konferenzraum, um sich etwas zu essen zu besorgen. Eigentlich hatte er einige der Vorstandsmitglieder einladen wollen, aber nach dieser katastrophalen Sitzung liefen verständlicherweise alle auseinander.

Wenigstens hatte er nicht die Kontrolle über das Geschehen verloren, sondern wie geplant alle Tagesordnungspunkte angesprochen. Eigenartigerweise hatte ihm dabei ausgerechnet Francesca die aufreibenden Umstände einigermaßen erträglich gemacht. Unter den überwiegend älteren männlichen und weiblichen Vorstandsmitgliedern, die alle in gedeckten Farben gekleidet waren, war sie ihm als Einzige lebhaft und farbig erschienen. Ständig hatte er sie ansehen müssen.

Ihr ebenholzfarbenes Haar fiel ihr bis auf die Schultern, und ihre mandelförmigen dunkelbraunen Augen wurden von langen dichten Wimpern eingerahmt.

Selbst wenn sie ihn irritiert betrachtete, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Und wenn sie sich ereiferte, schien sie unter der schön gebräunten Gesichtshaut regelrecht zu glühen.

Er hatte schon immer eine Schwäche für exotische Frauen gehabt. Während der Zeit auf der Privatschule war er auch mit blonden Mitschülerinnen befreundet gewesen. Doch spätestens auf dem College hatte sich seine Vorliebe für dunkelhaarige Frauen bestätigt. Francesca – hätte sie sich soeben nicht alle Mühe gegeben, ihm das Leben schwer zu machen – verkörperte genau diesen Typ Frau. Aber die augenblicklich ohnehin schon schwierige Situation mit einem leidenschaftlichen Liebesabenteuer zu verkomplizieren, konnte er sich absolut nicht leisten.

Jetzt brauchte er erst einmal einen Drink und ein ordentliches Steak. Zum Glück befand sich der Hauptsitz von ANS in New York. Obwohl er sich im District of Columbia, wo er wohnte, wohlfühlte, kam er immer wieder gern in seine Heimatstadt. Hier gab es die weltbesten Restaurants, hier spielte sein Lieblingsbaseballteam … In Manhattan herrschte eben eine einzigartige Atmosphäre.

Doch um nahe am politischen Geschehen zu sein – dem Schwerpunkt von ANS’ Berichterstattung –, musste er sich in erster Linie in Washington, D. C. aufhalten. Also hatte er sich ebenso wie Boyle ein Büro dort eingerichtet.

Allerdings hatte er sowohl sein Apartment in New York behalten wie auch das Haus in Georgetown, einem Stadtteil von Washington, das er während seines Studiums gekauft hatte.

Vor dem Lunch ging Liam noch einmal kurz in sein Büro, wo er den Aktenkoffer auf den Schreibtisch legte und Francescas Worte vom Notebook abschrieb. Den Zettel nahm er mit.

Im Vorzimmer sagte er zu seiner Sekretärin: „So, Jessica, die Sitzung ist erst mal geschafft. Mrs. Banks bringt Ihnen die Unterlagen von Ms. Pierce. Die Personalabteilung legt Wert auf absolut korrektes Vorgehen. Und ich gehe jetzt essen.“ Er gab ihr den Zettel. „Können Sie inzwischen rausfinden, was das heißt? Es ist italienisch.“

Jessica lächelte. Offensichtlich hatte sie ähnliche Recherchen bereits für Graham Boyle gemacht. „Kein Problem, Sir. Ich gehe dazu immer auf eine bestimmte Website.“ Kopfschüttelnd betrachtete sie die Notiz. „Wie ich sehe, hat Ms. Orr Sie auf ihre typische Weise begrüßt. Hm, diese Worte hat sie allerdings bisher noch nicht gebraucht.“

„Dann darf ich mich also geehrt fühlen?“

„Ich weiß nicht recht, Sir. Ich schau lieber erst mal nach.“

Liam lächelte und wandte sich zum Gehen. Dann blieb er nochmals stehen. „Rein aus Neugier – was hat sie denn zu Graham gesagt?“

„Ihr Lieblingsausdruck für ihn war stronzo.“

„Und was heißt das?“

„Dazu gibt es mehrere Übersetzungen, aber keine davon möchte ich laut aussprechen.“ Stattdessen schrieb sie die Bedeutung auf die Rückseite des Zettels und gab ihn ihm.

„Wow“, stieß er aus und holte tief Luft. „Nicht gerade schmeichelhaft. Ich muss bei Gelegenheit mit Ms. Orr reden, bevor sie es übertreibt.“

In diesem Moment nahm er aus den Augenwinkeln etwas Rotes wahr. „Oh, wie ich sehe, ergibt sich die Gelegenheit eher als gedacht.“

„Na dann viel Glück, Sir“, sagte Jessica, während er Francesca in Richtung der Fahrstühle folgte.

Sie hatte eben eine Kabine betreten und sah ihn an. Einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann drückte sie den Knopf, um die Türen zu schließen.

Sehr nett!

Geistesgegenwärtig steckte er die Hand zwischen die Türen, die sofort wieder auseinanderglitten, und betrat die Kabine. Francesca war alles andere als erbaut über seine Gesellschaft. Unter ihren dichten Wimpern musterte sie ihn kritisch von oben bis unten und zog die schön geformte Nase kraus, als würde er nach Fisch stinken.

Als die Türen sich schlossen, zog sie sich in die hinterste Ecke zurück.

„Wir müssen reden“, erklärte er, während sie nach unten fuhren.

Erstaunt riss Francesca die Augen auf und presste die schön geschwungenen Lippen aufeinander. „Und worüber?“, erkundigte sie sich unschuldig.

„Über Ihre Einstellung. Ich verstehe ja Ihr Engagement für Ihre Arbeit. Aber ob es Ihnen passt oder nicht – der Chef bin ich. Ich werde tun, was auch immer nötig ist, um das Unternehmen zu retten. Und ich lasse nicht zu, dass Sie mich vor dem versammelten Vorstand zum Affen machen …“

Abrupt verstummte er, denn plötzlich stoppte der Aufzug, und das Licht ging aus. Eingehüllt in völlige Dunkelheit, standen sie da.

Das darf doch nicht wahr sein! schoss es Francesca durch den Kopf. Steckte sie tatsächlich mit Liam Crowe im Aufzug fest? Mit ihrem sturen und gut aussehenden Chef!?

Dabei hätte sie sich denken können, dass so etwas passieren würde! Im Konferenzsaal waren sie dreizehn Personen gewesen – kein gutes Omen.

Nervös fasste sie nach ihrem italienischen Horn, einem Amulett aus Gold, das sie um den Hals trug. Dazu schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel. „Was ist denn los?“, fragte sie ungewollt zaghaft. Das gefiel ihr nicht, vor allem wenn man bedachte, dass ihr neuer Boss ihr gerade eine Standpauke hatte halten wollen.

„Keine Ahnung.“ Betroffen schwiegen sie, dann schaltete sich die Notbeleuchtung an und tauchte sie beide in dämmrig-rotes Licht.

Kopfschüttelnd ging Liam zu den Bedienknöpfen hinüber und drückte die Sprechtaste, doch nichts geschah. Dann den Notfallknopf. Wieder nichts. Alle Knöpfe blieben dunkel.

„Und?“, fragte Francesca.

„Anscheinend ist der Strom ausgefallen.“ Er nahm sein Handy heraus und betrachtete das Display. „Funktioniert vielleicht Ihr Telefon?“, fragte er. „Meins nämlich nicht.“

Sie kramte in ihrer Tasche, fand das Handy und schüttelte den Kopf. Keine Verbindung, wie meistens in Aufzügen.

Leise fluchend steckte Liam sein Telefon wieder ein. „Ich kann es nicht glauben.“

„Was machen wir denn jetzt?“

Liam ließ sich gegen die Wand sinken. „Sicher ein großflächiger Stromausfall. Wir können nur warten.“

„Wie bitte? Wir sollen einfach tatenlos hier rumsitzen?“

„Haben Sie einen besseren Vorschlag? Immerhin haben Sie während der Sitzung vor Ideen nur so gesprüht!“

Francesca zog es vor, diese Spitze zu ignorieren. Mit verschränkten Armen wandte sie sich ab. Sie betrachtete die Notausstiegsklappe an der Decke. Hier konnten sie hochklettern – aber wo genau befanden sie sich? Sie waren in der zweiundfünfzigsten Etage losgefahren und nicht sehr weit gekommen. Vermutlich hingen sie zwischen zwei Stockwerken fest. Und was, wenn der Strom wiederkam, während sie sich im Aufzugsschacht befanden?

Nein, das war zu gefährlich. Und sicher würde es nicht allzu lange dauern, bis Hilfe kam.

„Abwarten ist das Beste“, räumte sie widerstrebend ein.

„Nach dieser Sitzung hätte ich nicht gedacht, dass wir beide uns noch mal auf irgendetwas einigen können.“

Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. „Es geht mir nicht darum, mich mit Ihnen zu streiten. Ich will nur nicht brav dazu nicken, wenn Sie falsche Entscheidungen treffen. Die anderen waren zu entsetzt, um sich kritisch zu äußern.“

„Entsetzt über den Skandal. Und geschwiegen haben sie, weil sie wissen, dass ich recht habe. Wir tragen eine finanzielle Verantwortung …“

„Finanzielle Verantwortung? Höre ich recht? Und was ist mit unserer sozialen Verantwortung? Seit sieben Jahren sponsort ANS die Gala zugunsten von Jugend in der Krise. Das können wir nicht einfach so aufgeben! Der diesjährige Termin ist in zwei Wochen. Die Organisation verlässt sich auf die Einnahmen für ihre Arbeit. Dadurch werden Jugendliche von der Straße weggeholt. Sie bekommen Freizeit- und Bildungsangebote. Ohne Geld läuft da gar nichts.“

Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Dabei fiel ihr auf, wie fest er die Kiefer zusammenpresste. „Glauben Sie denn, die Kinder sind mir egal?“, fragte er.

Francesca zuckte die Achseln. „Ich kenne Sie nicht gut genug, um das beurteilen zu können.“

„Dann sage ich es Ihnen“, brauste er auf. „In den beiden letzten Jahren habe ich die Gala besucht und jedes Mal einen dicken Scheck ausgeschrieben. Aber darum geht es nicht. Sondern darum, dass wir unsere Ausgaben verringern müssen, damit das Unternehmen überlebt, bis unser guter Ruf wiederhergestellt ist.“

„Oh nein“, widersprach sie. „Es ist genau umgekehrt. Erst brauchen wir wieder ein positives Bild in der Öffentlichkeit, dadurch steigen die Aktien, und ANS bleibt liquide. Und besser als durch Wohltätigkeit kann ein Unternehmen sich nicht darstellen. In unserem Fall wird die Meinungsbildung dahin gehen, dass es in unseren Reihen zwar schwarze Schafe gab, die für den Abhörskandal verantwortlich sind, den Übrigen aber nichts vorzuwerfen ist – ganz im Gegenteil. Dann bekommen wir auch wieder Werbeverträge.“

Einen Moment sah Liam sie an, und sie hatte das Gefühl, seinen Verstand arbeiten zu hören. „Ihre Argumentation würde sich weitaus besser machen, wenn Sie mich nicht auf Italienisch beschimpft hätten.“

Nun war es an ihr, die Stirn zu runzeln. Da war wohl wieder einmal ihr Temperament mit ihr durchgegangen. Von ihrer Mutter hatte sie die schnelle italienische Zunge geerbt und vom Vater das hitzige Naturell. „Manchmal hapert es etwas mit meiner Selbstbeherrschung. Das habe ich von meinem Vater.“

Wer jemals Victor Orr, den dunkelhaarigen, groß gewachsenen Iren, während einer Filmproduktion erlebt hatte, wusste, was passierte, wenn die Dinge nicht wie vorgesehen liefen. Wenn er außer Fassung geriet, konnte ihn niemand beruhigen, nur seine Frau.

„Flucht er auch auf Italienisch?“

„Nein, er spricht kein Italienisch, und meine Mutter findet es gut so. Sie ist in Sizilien aufgewachsen und hat meinen Vater dort bei Dreharbeiten kennengelernt. Ihre italienischen Wurzeln bedeuten ihr viel, und ich habe als Kind viele Sommer bei meiner Nonna verbracht.“

„Nonna?“

„Meine Großmutter mütterlicherseits. Dort habe ich sprachlich so einiges aufgeschnappt, auch Ausdrücke, die ich besser nicht kennen sollte. Als Teenager ist mir klar geworden, dass mein Vater sie nicht versteht, weil er Ire ist. So sind sie mir zur schlechten Gewohnheit geworden, fürchte ich. Tut mir leid, dass ich laut geworden bin“, fügte sie hinzu. „Ich engagiere mich eben zu sehr. Das war schon immer so.“

Auch wenn sie in vielen Dingen ihrer Mutter glich, hatte auch ihr Vater ihre Persönlichkeit geprägt. Victor Orr stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte seine beiden Töchter in dem Bewusstsein sozialer Verantwortung großgezogen. Das bedeutete, denen zu helfen, die es weniger gut hatten.

Während ihrer Zeit auf der Highschool hatte sie samstags regelmäßig in einer Suppenküche mitgeholfen. Sie hatte Lebensmittelsammlungen und Blutspendetermine an ihrer Schule organisiert.

Nach dem College hatte ihr Vater ihr geholfen, einen Job bei ANS zu bekommen, weil er der größte Minderheitsaktionär des Unternehmens war. Schon nach kurzer Zeit hatte sie sich hochgearbeitet und war Chefin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit geworden. Und diesen Job hatte sie gut gemacht, geradezu brillant. Graham war mehr als zufrieden mit ihr gewesen.

Einsparmaßnahmen hatte es schon immer gegeben. Sobald es eng wurde, sollte ihr Budget stets als Erstes gekürzt werden. Warum nicht die eine oder andere Vergünstigung der Vorstandsmitglieder streichen? Oder das teure Haargel, das der Chefnachrichtensprecher jeden Abend mehr als reichlich auftrug?

„Ich will mich ja gar nicht auf Ihre Abteilung festlegen“, versicherte Liam. „Die Arbeit ist sehr wichtig für ANS und für die Allgemeinheit. Wir müssen den Gürtel alle enger schnallen, nicht nur Sie. Ich bin darauf angewiesen, dass Sie mit mir an einem Strang ziehen. Schon unter normalen Umständen ist es nicht ganz leicht, eine Firma zu übernehmen – auch wenn sie sich in keiner so prekären Lage befindet wie ANS zurzeit. Ich tue alles, um dem Sender zu neuem Glanz zu verhelfen, aber dabei müssen mich alle unterstützen.“

Es war ihm ernst, ohne Zweifel. Der Sender und die Beschäftigten lagen ihm wirklich am Herzen. Nur sah er die Dinge ein wenig anders als sie. Doch sicher würde sie es nach und nach schaffen, ihn auf den richtigen Weg zu bringen. Es würde etwas dauern und mehr Fingerspitzengefühl erfordern als bei Graham. Aber vernünftig erschien Liam durchaus, das brachte ihm in ihren Augen Pluspunkte.

„Okay“, sagte sie.

Erst sah Liam sie ungläubig an, dann nickte er. Schweigend standen sie einander gegenüber, bis Liam schulterzuckend seine schwarze Anzugsjacke abstreifte und achtlos auf den Boden der Fahrstuhlkabine gleiten ließ.

Er nahm die Krawatte ab, öffnete den Hemdkragen und atmete tief durch. „Ich bin froh, dass wir Waffenstillstand geschlossen haben“, bekannte er, „denn zum Weiterkämpfen ist es hier drin viel zu warm. Ausgerechnet an einem so heißen Tag muss das passieren!“

Wie wahr! Die Klimaanlage ging natürlich auch nicht, und das bei über dreißig Grad! Was für Anfang Mai ungewöhnlich heiß war. Und je länger sie hier festsaßen, desto unerträglicher wurde es.

Sie beschloss, seinem Beispiel zu folgen, und schlüpfte aus ihrem Blazer. Jetzt hatte sie nur noch ihr Spaghettiträgertop aus schwarzer Seide und Spitze an und ihren Bleistiftrock. Zum Glück trug sie keine Nylonstrümpfe.

Seufzend streifte sie ihre High Heels ab, breitete die Jacke auf dem Boden aus und setzte sich. Stehen konnte sie auf diesen hohen Schuhen nicht mehr, und die Hoffnung auf eine schnelle Rettung hatte sie inzwischen aufgegeben. Und wenn sie schon eine Weile hierbleiben mussten, würde sie es sich wenigstens etwas bequem machen.

„Ich wünschte, das wäre nicht vor dem Lunch passiert“, sagte Liam. „Die Bagels im Konferenzsaal haben nicht lange vorgehalten.“

Sie wusste, was er meinte, denn sie hatte zuletzt am Morgen im Hotel etwas gegessen. Ihr Frühstück hatte aus einem Cappuccino und einem Hörnchen bestanden. Da sie üblicherweise spät zu Mittag aß, nahm sie sich immer etwas mit.

Mithilfe des schwachen Lichts ihres Handydisplays kramte sie in ihrer Tasche herum. Sie fand einen Körnerriegel, eine Packung italienische Frühstückskekse, Gocciole genannte, und eine Flasche Wasser. „Ich habe ein paar Snacks dabei. Sollen wir sie gleich essen und hoffen, dass wir bald befreit werden, oder heben wir sie auf? Wer weiß, wann wir hier wieder rauskommen!“

Liam setzte sich zu ihr auf den Boden. „Keine Frage, wir essen sie jetzt.“

„Bei Realityshows würden Sie keine fünf Minuten überstehen.“

„Deswegen produziere ich sie, statt in ihnen aufzutreten … Was haben Sie denn da Gutes?“

„Einen Körnerriegel mit Erdnussbutter und ein paar italienische Kekse. Das Wasser können wir uns teilen.“

„Was ist Ihnen lieber?“

„Die Kekse. Solche habe ich bei meiner Großmutter immer zum Frühstück gegessen.“

Als Liam lächelte, fiel ihr auf, dass sie ihn zum ersten Mal mit einem freundlichen Gesichtsausdruck sah. Eigentlich eine Schande, denn sein charmantes Lächeln hellte seine sonst so ernste Miene förmlich auf.

Der Druck, ANS zu kaufen, musste ihm sehr zugesetzt haben. Den gesamten Vormittag über war er ganz der harte Geschäftsmann gewesen, und ihr eigenes Verhalten hatte die Sache nicht besser gemacht.

Jetzt war er hungrig und gestresst. Daher freute es sie besonders, dass sie ihm ein Lächeln entlockt hatte. Vielleicht glich das ihr Betragen bei der Konferenz etwas aus. Sie nahm sich vor, künftig etwas freundlicher zu ihm zu sein. Wirklich, er war ganz vernünftig! Und warum die Dinge unnötig verkomplizieren?

„Kuchen zum Frühstück … nicht meine Welt! Genauso wenig wie die Sommer in Italien. Nach der Highschool war ich eine Woche in Rom, aber viel mehr als das Kolosseum und das Pantheon habe ich nicht gesehen.“ Er betrachtete die beiden Päckchen in ihrer Hand. „Dann nehme ich den Riegel. Danke fürs Teilen.“

„Keine Ursache.“ Sie warf ihm den Riegel zu und trank einen Schluck Wasser.

Liam riss die Verpackung auf, und noch ehe Francesca sich den ersten Keks in den Mund gesteckt hatte, war der Riegel auch schon verschwunden.

Sie lächelte und aß ein paar von den Keksen. Aber sie bemerkte Liams hungrigen Blick. „Hier“, sagte sie und gab sie ihm, „ich kann es nicht ertragen, wenn Sie mich so ansehen.“

„Sicher?“, fragte er mit einem Blick auf die Kekse in seiner Hand.

„Sicher“, bestätigte sie. „Aber wenn wir hier rauskommen, schulden Sie mir was.“

„Abgemacht“, erwiderte er und schob sich den ersten Keks in den Mund.

Sie konnte sich gut vorstellen, wie schwer es war, einen Mann wie ihn sattzubekommen. Ihr Nonno war ein ebenso großer Mann gewesen. Er war gestorben, als sie noch klein gewesen war, aber ihre Nonna hatte oft erzählt, wie viel er nach einer langen Schicht gegessen hatte.

Auch Liam war über einen Meter achtzig und muskulös, aber schlank. Wie ein Läufer. Viele Menschen joggten die National Mall entlang, die bekannte Promenade in Washington, das hatte sie zumindest gehört. Im Geiste sah sie Liam mit den anderen laufen, nur in Jogginghosen, mit freiem Oberkörper und feinen Schweißperlen auf der durchtrainierten Brust …

Vielleicht sollte sie ab und zu hingehen. Um zuzusehen.

Sie selbst schwitzte nicht gern. Während der schwülwarmen Sommer in Virginia zu joggen kam nicht infrage. Während der kalten Winter auch nicht. Also ließ sie es ganz. Sie passte auf, was sie aß, und schlug ab und zu bewusst über die Stränge. Im Übrigen ging sie so viel wie möglich zu Fuß. So blieb sie schlank, ohne ihre weibliche Figur zu verlieren, die ihr gut gefiel.

Apropos Schwitzen … Sie spürte, wie sich feine Perlen auf ihrem Rücken bildeten. Die Haut fühlte sich klebrig an. Aber ausziehen konnte sie nichts mehr, ohne dass eine verfängliche Situation entstand. Wobei ihr Liams Nähe keineswegs unangenehm war …

Was Männer betraf, hielt sie trotz der vielen Arbeit durchaus die Augen offen. Doch schon lange war ihr niemand Vielversprechendes mehr aufgefallen.

Natürlich war Liam kein Typ für die Ehe. Aber bestimmt für ein Abenteuer! Normalerweise ließ sie sich nicht leichtfertig auf kurze Affären ein. Aber beim Anblick von Liams breiten Schultern und seinem attraktiven Gesicht mit dem markanten Kinn bekam sie mehr und mehr das Gefühl, dass er verkörperte, was sie gerade brauchte.

Zur Entspannung und um die Zeit zu überbrücken, bis ihr der Richtige begegnete.

Sie nahm eine Spange aus der Tasche und steckte ihr dichtes dunkles Haar zu einem losen Knoten hoch. Doch die Erleichterung hielt nur kurz vor. Bleistiftrock und Top klebten inzwischen an ihr.

Lange würde das sicher nicht mehr gut gehen. Wenn sie nicht bald aus dieser Kabine rauskämen, würde etwas passieren, das spürte sie genau. Schnell trank sie noch einen Schluck Wasser und lehnte sich an die Wand. Den Gedanken, dass sie an diesem Morgen ihre schönste Unterwäsche angezogen hatte, empfand sie als ausgesprochen tröstlich. Jede Wette, dass sie auch Liam gefallen würde …

2. KAPITEL

„Grundgütiger, ist das eine Hitze!“ Liam erhob sich. In seinem gestärkten Businesshemd kam er beinahe um! Als er es aufgeknöpft und abgestreift hatte, atmete er erleichtert auf. „Tut mir leid, wenn dir das peinlich ist, aber ich kann nicht anders.“

Francesca saß ruhig in der Ecke und achtete kaum auf ihn. Obwohl ihm nicht entging, dass sie kurz die Augen öffnete, um ihn zu betrachten. Zwar sah sie sofort wieder weg, aber jetzt wusste er, dass sie neugierig war. Sehr interessant …

In den vergangenen beiden Stunden hatte er seine Meinung über die widerspenstige Chefin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit geändert. Er verstand sie jetzt besser und wusste, was ihr wichtig war. Wenn sie jemals wieder aus diesem Aufzug herauskämen, würden sie beide hoffentlich etwas freundlicher miteinander umgehen. Und wer weiß, vielleicht konnten sie sogar etwas mehr als nur freundlich zueinander sein. Immerhin waren sie bereits dazu übergegangen, sich zu duzen.

Ja, er mochte sie. Womöglich sogar ein wenig zu sehr, wenn man bedachte, dass sie für ihn arbeitete.

„Francesca, zieh doch etwas von deinen Sachen aus. Du kommst sonst noch um!“

Obwohl er sah, wie ihr die Schweißperlen das Dekolleté herabrannen, schüttelte sie unnachgiebig den Kopf. „Nein danke, es geht schon.“

„Eben nicht. Du fühlst dich auch nicht besser als ich. Dein Top reicht zur Wahrung deiner Ehre völlig aus. Den Rock kannst du ruhig ausziehen. Ehrlich. Ich bin kurz davor, meine Hose abzulegen. Kein Grund also für übertriebene Sittsamkeit.“

Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. „Deine Hose?“, fragte sie und schluckte, während sie den Blick über seine nackte Brust, den Gürtel und … tiefer gleiten ließ.

„Ja, ganz recht. Hier sind mindestens fünfunddreißig Grad. Du brauchst mich ja dabei nicht anzuschauen. Mich stört es aber auch nicht, wenn du es tust.“

Seufzend gab sie nach, stand auf und versuchte, den Reißverschluss an der Rückseite ihres Rocks zu öffnen. „Geht nicht auf. Klemmt manchmal.“

„Warte, ich helfe dir“, erbot er sich.

Sie wandte ihm den Rücken zu, und er kniete sich hin, um den Zipper im schwachen Licht besser zu sehen. Als er ihr so nah war, konnte er den Duft ihrer warmen Haut wahrnehmen, der sich mit dem sanften Aroma von Rosen mischte. Es war kein aufdringlicher Geruch, sondern erinnerte vielmehr an einen Spaziergang durch einen sommerlichen Rosengarten.

Er atmete tief ein und hielt den Atem an. Beim Weiteratmen fühlte er sich wie berauscht. Während er sich bemühte, das Prickeln in seinen Fingerkuppen zu ignorieren, fasste er die beiden Seiten des Reißverschlusses.

Dass er dabei Francescas nackte Haut berührte, ließ sich nicht verhindern. Er ruckelte ein paarmal an dem Zipper herum, und schließlich gelang es ihm, den Reißverschluss hinunterzuziehen. Dabei erhaschte er einen Blick auf Francescas rotes Satinhöschen.

„Geht wieder“, erklärte er mit zusammengebissenen Zähnen. Schnell erhob er sich und trat zurück, bevor er womöglich eine Dummheit beging.

Sie zum Beispiel mehr zu berühren als nötig … Es war eine Sache, wenn er nur in Unterwäsche im Aufzug saß. Dabei aber eine überdeutliche Erektion zu haben, eine ganz andere. Es wäre unmöglich, sie vor Francesca zu verbergen …

„Danke“, sagte sie sanft und ging, ohne ihn aus den Augen zu lassen, zurück in ihre Ecke der Kabine.

Als sie sich den Rock über die Hüften streifte, fiel es ihm ausgesprochen schwer wegzuschauen. Denn Francesca verkörperte alles, was er an Frauen mochte. Sie war temperamentvoll, üppig gebaut und überaus exotisch. Und vor allem besaß sie ein großes Herz. Sie war nicht wie manche reiche Frauen, die sich hauptsächlich deshalb für wohltätige Zwecke engagierten, weil sie nichts Besseres zu tu hatten. Nein, Francesca lag wirklich etwas am Wohl anderer Menschen. Und das gefiel ihm, auch wenn es ihm in Zukunft manches Kopfzerbrechen bereiten würde.

„Grazie“, bedankte sie sich und seufzte. „Jetzt geht es mir gleich besser.“

Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie sich wieder setzte. „Wirklich?“

„Ja, ich fühle mich so gut, wie es unter diesen Umständen nur möglich ist.“

Liam sah sie an. Sie hatte das Top so weit wie möglich nach unten gezogen – dafür sah er jetzt oben etwas von ihrem roten BH hervorblitzen. Der Satinstoff verhüllte ihre Brüste gerade so eben – bei Francescas üppigen Formen konnte das gar nicht anders sein.

„Von mir aus kannst du jetzt deine Hose ausziehen.“

Lächelnd schüttelte Liam den Kopf. Das ging nicht. Nicht mit ihren vollen Brüsten in knappem roten Satin vor Augen. Er brauchte Francesca nicht einmal anzufassen … „Das dürfte im Moment keine so gute Idee sein.“

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Warum n…?“ Dann verstummte sie. „Oh.“

Liam schloss die Augen und versuchte sich auf etwas anderes als die verführerische Frau vor seinen Augen zu konzentrieren, jedoch ohne Erfolg. Im Gegenteil, er musste an Francescas rotes Höschen denken. „Es ist schon eine Herausforderung, auf so engem Raum mit einer so schönen und noch dazu halbnackten Frau eingesperrt zu sein.“

„Du hältst mich für schön?“, fragte sie zögerlich.

Liam stützte die Arme in die Seiten. „Ja. Sehr sogar.“

„Das erstaunt mich.“

Er wandte sich ihr zu. „Warum denn das? Wer dich nicht begehrenswert findet, ist kein richtiger Mann.“

„Ich bin in Beverly Hills aufgewachsen“, sagte sie schulterzuckend. „Zwar habe ich mich schon hin und wieder verabredet, aber das Schönheitsideal bestimmten eindeutig die vielen Malibu-Barbies.“

„Die was?“

„Du weißt schon, die blonden, braun gebrannten Mädchen mit gepierctem Nabel und einer Figur wie zwölfjährige Jungen. Und mit achtzehn lassen sie sich dann künstliche Brüste machen.“

„Die Menschen in Hollywood müssen verrückt sein“, erklärte er. „Als ich zwölf war, war rein gar nichts an mir erotisch. Du dagegen …“ Er schüttelte den Kopf, wurde aber den Gedanken an ihre atemberaubenden Rundungen nicht los. „Wenn ich dich hier so sitzen sehe, kostet es mich all meine Selbstbeherrschung, dich nicht zu berühren.“

Sie schwieg lange, dann fragte sie: „Warum tust du es nicht?“

Mit fest zusammengebissenen Zähnen versuchte er, die jähe Sehnsucht zu bekämpfen, die von ihm Besitz ergriff. „Keine gute Idee. Ich bin dein Chef. Wir arbeiten zusammen. Das wäre keine schöne Situation und würde alles unnötig verkomplizieren. Oder nicht?“

Inständig hoffte er, dass sie darauf mit Nein antworten würde.

Und tatsächlich sagte sie: „Glaube ich nicht.“ Sie veränderte ihre Position, bis sie auf dem Boden kniete. „Wir sind erwachsen und wissen, was wir tun.“ Langsam krabbelte sie auf ihn zu. Während sie unter ihren dichten dunklen Wimpern zu ihm aufsah, öffnete sie seine Gürtelschnalle. „Was hier im Aufzug passiert, bleibt unter uns, okay?“

Liam wusste nicht, was er sagen sollte. Es hatte ihm tatsächlich die Sprache verschlagen! Aber er hielt Francesca nicht zurück. Hoffentlich kam sie nicht von sich aus zur Vernunft!

Als seine Anzughose zu Boden geglitten war, beeilte er sich, sie und die Schuhe wegzukicken. Er kniete sich zu Francesca auf den Boden und zog ihr das Top über den Kopf.

Sie löste ihre Spange, und das ebenholzfarbene Haar fiel ihr über die Schultern wie schwarze Seide.

Ihr Anblick in den roten Dessous traf ihn wie ein Blitzschlag. Kein Zweifel, sie gehörte zu den schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Und sie kniete fast nackt vor ihm! Womit hatte er ein solches Glück verdient?

Keine Sekunde länger konnte er sich nun mehr zurückhalten! Schnell beugte er sich zu ihr und küsste sie.

Francesca schlang die Arme um ihn und zog ihn fester zu sich heran, sodass er ihre wundervollen Brüste spürte. Kein Zweifel, sie begehrte ihn ebenso sehr wie er sie. Die Art, wie sie sich ihm entgegendrängte, verriet es ihm deutlich.

Die überraschende Nähe zu ihr versetzte sein gesamtes Nervensystem in Aufruhr. Er wurde fast verrückt vor Verlangen. Mit Haut und Haar wollte er Francesca verschlingen, wollte ganz und gar in ihr aufgehen. Die Vehemenz, mit der er sie küsste, forderte alles von ihr.

Sie wich keinen Zoll zurück, sondern erwiderte das Spiel seiner Zunge mit einer höchst erregenden Hingabe. Dabei grub sie ihm vor lauter Leidenschaft die Fingernägel in den Rücken, dass es schmerzte.

Stöhnend legte er den Arm um sie und drückte sie langsam zu Boden. Wie von selbst fand er sich zwischen ihren Schenkeln wieder. Geschickt streifte er ihr den BH ab und begann, sie mit Lippen und Händen zu verwöhnen. Die aufgerichteten Brustspitzen ließen keinen Zweifel daran, wie sehr Francesca die Liebkosungen genoss.

Er hörte sie laut seufzen, und dann griff sie ihm in die Haare, damit er den Kopf hob und den Kuss fortsetzte.

Weder die Hitze noch der defekte Lift spielten jetzt noch eine Rolle. Nur noch sie beide zählten. Und ihre gegenseitige Begierde.

Als sie die Finger tiefer gleiten ließ, hielt er gebannt den Atem an. Gleich darauf spürte er, wie sie ihn umfasste, und vergaß einen Moment lang völlig, wo sie sich befanden.

Gott sei Dank gab es Stromausfälle!

Was war nur über sie gekommen! Francesca wusste es nicht, aber sie genoss jede Sekunde, die sie einander berührten. Vielleicht war sie ja verrückt geworden, aber egal …

An diesem Liam war irgendetwas Besonderes. Klar, er war reich und gut aussehend, aber in Washington, D. C., gab es das öfter. Nein, es lag an der Art, wie er die Dinge anging. An seinem Verhalten als Chef. Und ihr gegenüber.

Vergeblich hatte sie gegen die Anziehungskraft gekämpft. Dann lag plötzlich sein Hemd auf dem Boden, und sie konnte nicht anders, als seine breite Brust zu bewundern. Für jedwede Zurückhaltung war es damit zu spät.

Als er ihr sagte, dass er sie schön fand, fühlte sie sich tief im Inneren zu ihm hingezogen. Und plötzlich wollte sie die unerwartete Chance dieses verrückten Nachmittags nutzen und ihren Gefühlen nachgeben, auch wenn es unpassend sein mochte.

Nach wie vor wünschte sie sich eine feste Beziehung. So wie ihre Eltern sie hatten, die seit über dreißig Jahren miteinander glücklich waren. Dabei hatten sie in einer Stadt geheiratet, wo die Hochzeitsfeier oft länger dauerte als die Ehe selbst.

Ein Abenteuer in einem Aufzug fiel in eine völlig andere Kategorie. Liam war kein Typ für etwas Ernstes. Sie wusste es, aber es störte sie nicht. Es ging um eine Art Befreiung, eine angenehme Ablenkung, bis der Strom wieder da war.

Sie intensivierte ihre Liebkosungen, bis er laut aufstöhnte. „Francesca, ich bin so scharf auf dich.“ Dann umfasste er ihre Hand. „Wenn du so weitermachst, habe ich kaum noch die Chance, das mit dir zu tun, was mir vorschwebt.“

Plötzlich kam ihr ein ungewöhnlicher Einfall. Schnell griff sie nach der noch halbvollen Flasche. „Warte, ich kühle dich ab“, sagte sie und goss ihm etwas daraus über den Kopf. Das Wasser lief ihm über Haare, Nacken und Gesicht und von da angenehm kühl über ihre Haut. Eine erfrischende und spielerische Idee, von der sie beide eine Gänsehaut bekamen.

„Wow, das hat gutgetan.“ Liam fuhr sich durch die Haare. „Aber verschwenden will ich das Wasser nicht“, sagte er und leckte ihr die Tropfen von Brust, Bauch und aus dem Nabel. Francescas erwartungsvolle Anspannung wuchs ins Unerträgliche.

Langsam ließ er die Hände unter ihren Slip gleiten und fand ihren sensibelsten Punkt.

Kaum hatte er begonnen, sie vorsichtig zu streicheln, als sie lustvoll aufschrie. Diese süße Folter würde sie nicht lange ertragen können, ohne zum Höhepunkt zu kommen.

„Liam“, flüsterte sie, aber er machte weiter, steigerte den Rhythmus immer mehr. Gleich würde geschehen, was kommen musste.

Sie schrie auf und stöhnte. Die lustvollen Laute hallten von den Wänden des schmalen Aufzugs wider, und sie bebte am ganzen Körper.

Während sie noch nach Atem rang, ertönte plötzlich ein lautes Rattern. Das Wiedereinsetzen der Motoren und Klimageräte zerriss die Stille. Gleichzeitig ging das Licht an.

Liam stöhnte auf. „Das soll wohl ein Witz sein?“

Und dann – er hatte die Hand noch nicht zurückgezogen, und die Kleidung lag nach wie vor verstreut umher – setzte sich der Aufzug in Bewegung. Francesca sah auf die Anzeigetafel. Sie befanden sich auf Höhe der dreiunddreißigsten Etage, und es ging rasend schnell abwärts. „Ich fürchte, nein“, gab sie zurück und schob ihn von sich.

Sie sprang auf und beeilte sich, Rock und BH anzuziehen. Ohne sich mit dem Top aufzuhalten, streifte sie sich die Jacke über.

Auch Liam zog Hose und Hemd an, so schnell es ging. Die Krawatte steckte er in die Hosentasche, die Jacke warf er sich über den Arm.

„Du hast überall Lippenstift von mir“, sagte sie, während sie am zehnten Stock vorbeiglitten.

Eher beiläufig rieb er sich das Gesicht. Offenbar sorgte er sich weniger als sie um den Eindruck, den sie machen würden.

Beide waren sie vollständig angezogen, als sich im Erdgeschoss die Türen öffneten. Ein wenig nachlässig vielleicht, mit falsch geschlossen Knöpfen und zerknittert, aber angezogen.

Im Foyer warteten der Sicherheitsdienst und das Team, das den Fahrstuhl repariert hatte. „Sind Sie beide …“, fragte einer von ihnen und stutzte, als er sah, in welch derangiertem Zustand sie sich befanden, „… okay?“

Liam sah Francesca an, und sie spürte, wie sie rot wurde. Er hatte noch immer etwas von ihrem Lippenstift im Gesicht, aber anscheinend störte ihn das nicht. „Danke, uns geht es gut“, sagte er. „Uns ist nur heiß, wir haben Hunger und sind heilfroh, wieder raus zu sein. Was war denn los?“

„Wissen wir nicht genau, Sir. Die ganze Insel hatte Stromausfall. Bei dieser Hitze schaltet natürlich jeder seine Klimaanlage ein. Vielleicht kam es dadurch zu einer Netzüberlastung. Sicher, dass wir nichts für Sie beide tun können? Es muss doch furchtbar sein, drei Stunden im Lift festzusitzen.“

„Mir fehlt nichts“, beharrte Francesca. Die Leidenschaft musste ihr den Verstand vernebelt haben. Um Haaresbreite hätte sie mit ihrem Chef geschlafen! Mit ihrem neuen Chef, an seinem ersten Tag. Und das, nachdem sie aneinandergeraten waren wie Hund und Katz!

Zum Glück waren sie gerade noch rechtzeitig unterbrochen worden. Nun wollte sie nur noch ins Hotel, um sich auszuziehen, zu duschen und Liams Duft loszuwerden. „Wenn Sie nur so gut sind und mir ein Taxi rufen?“

„Selbstverständlich, wird gemacht. Könnte aber etwas dauern, denn die Ampeln waren auch ausgefallen, und jetzt herrscht natürlich Verkehrschaos.“

Ohne Liam noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie das Hotelfoyer, um draußen zu warten.

Liam folgte ihr. „Mit dem Timing hatten wir leider Pech.“

„Wer weiß, vielleicht sollte es so sein.“

Jetzt stand er neben ihr. Aber sie sah ihn trotzdem nicht an. Davon würde sie nur weiche Knie bekommen.

„Das glaube ich nicht. Ich stelle es mir mehr als kurze Unterbrechung vor, die die Spannung erhöht. Wohin fährst du?“

„Wohin ich schon wollte, ehe der Tag diesen eigenartigen Verlauf nahm: in mein Hotel. Um zu duschen und noch ein wenig zu arbeiten. Und zwar allein“, fügte sie vorsichtshalber hinzu.

„Und fürs Abendessen – hast du da schon Pläne?“, fragte er.

„Ja“, log sie. Mit Liam auszugehen würde sie nur erneut in Versuchung führen, selbst ohne Stromausfall. Einmal hatte sie ihrer Sehnsucht nachgegeben und war ungeschoren davongekommen. Noch einmal würde ihr das nicht gelingen, dazu war er einfach zu attraktiv.

Liam betrachtete sie lange. Sie spürte seinen forschenden Blick, konzentrierte sich aber auf die vorbeifahrenden Autos.

„Du hast selbst gesagt, dass wir erwachsen sind und wissen, was wir tun. Und dass alles, was im Aufzug geschieht, unter uns bleibt“, erinnerte er sie.

Jetzt wandte sie sich ihm doch zu. Dabei gab sie sich alle Mühe, nicht in seine saphirblauen Augen zu gucken, mit denen er sie unverwandt ansah. Auch den Anblick seiner noch nassen Haare vermied sie, um nicht an das erinnert zu werden, was sie beinahe getan hätten. „Das stimmt. Und so soll es auch bleiben. Deshalb will ich auch nicht mit dir essen gehen. Ich will nichts mit dir trinken und schon gar nicht zu dir nach Hause kommen. Weil wir nur dort weitermachen würden, wo wir aufgehört haben. Den Aufzug haben wir hinter uns. Die Gelegenheit war da, und jetzt ist sie vorbei. Behalten wir diesen Moment so, wie er war, in Erinnerung.“

„Aber er war unvollendet“, beharrte Liam, „und das würde ich gerne ändern.“

„Nicht all Wünsche gehen in Erfüllung.“ Zum Glück fuhr in diesem Augenblick das Taxi vor.

„Jetzt komm schon, Francesca. Geh doch heute Abend mit mir essen. Ich möchte dich einladen, schon um mich für den Körnerriegel zu bedanken. Wir können Freunde sein! Du weißt doch: Ich schulde dir was.“

Francesca glaubte nicht ein Wort von diesem Freundschaftsquatsch. Sie wusste genau, es würde ein sehr gepflegtes Dinner werden, mit Kerzenlicht und teurem Wein … Und dann würde sie sich mir nichts, dir nichts nackt in Liams Armen wiederfinden.

Und sosehr sie ihn mochte, er war der neue Chef von ANS. Sie hatten einen Waffenstillstand geschlossen, aber was ihr Budget und die Zukunft des Senders betraf, hatten sie keineswegs eine Einigung erzielt. Einem charmanten und attraktiven Mann wie Liam war es durchaus zuzutrauen, dass er seine Möglichkeiten zu seinem Vorteil einsetzte.

Entschlossen steuerte sie auf das Taxi zu.

„Warte“, rief Liam, der neben ihr ging. „Wenn du mich schon sitzen lässt, dann möchte ich wenigstens wissen, wie du mich heute Vormittag genannt hast.“

Sie lächelte. Wenn ihn das nicht in die Flucht schlug! „Also gut“, sagte sie, während sie ins Taxi stieg. Als er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, kurbelte sie die Scheibe herunter und rief ihm zu: „Ich habe dich figlio di un allevatore di maiali genannt, was so viel bedeutet wie ‚Sohn eines Schweinezüchters‘. Auf Italienisch ist die Wirkung natürlich stärker.“

Stirnrunzelnd wich Liam zurück, was Francesca einen Stich ins Herz versetzte. „Na danke, mir ist sie auch so stark genug.“

Sie bemühte sich, den leicht verletzten Tonfall zu überhören. Liam würde ihr kein schlechtes Gewissen machen. In der Konferenz hatte er diese Bezeichnung wirklich verdient. „Einen schönen Abend noch, Mr. Crowe.“

Und damit fuhr das Taxi los.

3. KAPITEL

Liam kam gerade aus der Dusche, als sein Handy klingelte. Die Melodie „God save the Queen“ ließ ihn aufhorchen. Hatte er seiner Großtante Beatrice erzählt, dass er in Manhattan war? Wohl kaum. Irgendwie musste sie es selbst herausgefunden haben.

Er band sich ein Handtuch um und ging ins Schlafzimmer, wo das Handy auf der Kommode lag. Auf dem Display erschien ein Krönchen, darunter las er „Queen Bee“, die Bienenkönigin. Zum Glück wusste Beatrice nicht, welchen Spitznamen die Familie ihr gegeben hatte.

Seufzend nahm er das Gespräch entgegen. „Hallo?“

„Hallo, Liam“, meldete sich seine Großtante in ihrem leicht anmaßend und nach Upper East Side klingendem Tonfall. „Wie geht es dir? Ich habe das mit dem Aufzug gehört.“

„Danke, mir geht es gut. Ich habe nur Hunger, aber ich bin gerade auf …“

„Ausgezeichnet“, unterbrach sie ihn. „Dann können wir ja zusammen zu Abend essen. Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“

Er atmete tief ein. Essen bei Tante Beatrice hasste er. Vor allem weil sie sich dabei pausenlos über die einzelnen Familienmitglieder beklagte. Dabei mochte sie sie alle lieber als ihn, weil sie sie – gelinde ausgedrückt – hofierten.

Und das rührte daher, dass sie zwei Milliarden Dollar schwer und kinderlos war. Da versuchte jeder, seinen Schnitt zu machen.

Bis auf ihn selbst. Er verhielt sich stets höflich und distanziert, denn er brauchte ihr Geld nicht. Zumindest war es so gewesen, bevor es um den Kauf von ANS gegangen war. Um Hauptanteilseigner zu werden, hatte er auf die Schnelle nicht genug Mittel auftreiben können. Es hatte auch andere Interessenten gegeben, darunter einen Blutsauger wie Ron Wheeler, dessen moralisch zweifelhaftes Interesse darin bestand, Unternehmen zu zerschlagen und gewinnbringend zu veräußern.

Um adäquat handeln zu können, war Liam über seinen Schatten gesprungen und hatte seine Tante gebeten, die Teile von ANS aufzukaufen, die er selbst sich nicht leisten konnte. Gemeinsam hielten sie jetzt die Anteilsmehrheit, und Tante Beatrice hatte ihm ihre Stimmrechte übertragen.

Liam hatte vor, ihr nach und nach ihre Anteile abzukaufen. Das bedeutete, dass Tante Beatrice noch eine ziemliche Zeit lang ein Wörtchen mitzureden hatte. Und wenn sie rief, musste er – zum ersten Mal in seinem Leben – springen.

„Dinner ist um sechs“, verkündete sie, ohne sein Schweigen zu beachten.

„Ja, Tante Beatrice. Bis dann“, beendete er das Gespräch. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Es war nervig, während der Rushhour zur Upper East Side zu fahren. Laufen war besser, also musste er bald los.

Eigentlich traf es sich ganz gut, dass Francesca ihm einen Korb gegeben hatte. Denn ihr hätte er nur ausgesprochen ungern abgesagt. Und das, obwohl er jetzt wusste, wie sie ihn genannt hatte!

„Sohn eines Schweinezüchters“, murmelte er, während er sich anzog.

Er wählte einen grauen Anzug und ein helllila Hemd. Krawatten mochte er nicht und trug sie nur, wenn es unbedingt nötig war. Zum Beispiel an diesem Vormittag bei der Sitzung, denn die Vorstandsmitglieder hatten nicht denken sollen, dass sie es mit einem Träumer zu tun hatten. Sobald er bei ANS Fuß gefasst hatte, würde er sich diesem Zwang nicht mehr beugen.

Das Fehlen der Krawatte würde Tante Beatrice, die auf formelle Kleidung Wert legte, ein bisschen ärgern. Aber das war okay. Schließlich sollte sie nicht denken, dass er nun völlig unter ihrer Fuchtel stand.

Erst als Liam an ihrer Tür klingelte, fiel ihm ein, dass sie etwas Wichtiges mit ihm besprechen wollte. Hoffentlich ging es nicht wieder darum, dass er eine reiche Erbin heiraten sollte!

„Guten Abend, Mr. Crowe“, begrüßte ihn Henry, der alte Butler.

„Guten Abend, Henry. Wie ist sie denn heute so drauf?“

Der Butler räusperte sich. „Ich fürchte, sie hat schon den ganzen Nachmittag irgendeine fixe Idee. Als der Strom wieder da war, hat sie ziemlich viel telefoniert.“

„Hm. Worum könnte es gehen?“

„Vermutlich um Sie, Sir, denn Sie sind heute Abend der einzige Gast.“

Das war ungewöhnlich. Normalerweise lud seine Großtante mindestens zwei Familienmitglieder ein, um ihr Konkurrenzverhalten zu beobachten, denn alle wollten sich stets ins rechte Licht rücken.

Sein Großvater, Tante Beatrice’ Bruder, hatte nie viel mit ihr zu tun gehabt, und das hatte auch für seinen Zweig der Familie gegolten. Erst nachdem die Mitglieder ihrer Generation gestorben waren, hatte sich Beatrice zu dem Familienoberhaupt entwickelt, das sie jetzt war.

Liam schwieg, während Henry ihn durch das Empfangszimmer, wo Beatrice größere Gesellschaften zu begrüßen pflegte, direkt in den Speisesaal geleitete.

Sie saß am Kopf der Tafel aus Eichenholz und sah würdevoll aus wie immer. Ihr graues Haar war in akkurate Locken gelegt, und ihr Chiffonkleid passte im Ton genau zu den Ohrringen und dem Halsschmuck aus rosa Saphiren. Zu einem Lächeln ließ sie sich nicht herab. Stattdessen musterte sie ihn eingehend von Kopf bis Fuß und verzog missbilligend den Mund, als sie bemerkte, dass er keine Krawatte trug.

„Guten Abend, Tante Beatrice“, begrüßte er sie betont freundlich. Er ging zu ihr und küsste sie auf die Wange, bevor er rechts von ihr Platz nahm.

„Liam“, sagte sie nur. So kannte er sie: steif, förmlich – königlich eben. Gut, dass sie unverheiratet geblieben war und niemals Kinder gehabt hatte, denn Lärm und Schmutz hatten in diesem Haushalt nichts verloren.

Henry schenkte ihnen Wein ein und zog sich dann in die Küche zurück, um den ersten Gang vorzubereiten. Liam hasste es, dass der inzwischen über siebzigjährige Mann noch immer auftragen musste!

„Wann lässt du Henry endlich in Pension gehen?“, fragte er. „Er hat seinen Ruhestand wahrlich verdient. Oder willst du warten, bis er eines Tages tot im Foyer umfällt?“

„Er ist gerne hier. Und denkt nicht einmal daran, mich zu verlassen. Außerdem würde er niemals im Foyer sterben. Er weiß ja, wie wertvoll der Orientteppich ist.“

Liam seufzte und schwieg. Nachdem Henry die Suppe serviert hatte, verschwand er wieder. „Worüber willst du eigentlich mit mir reden?“ Am besten, die Sache gleich hinter sich bringen …

„Heute hat mich ein Mann namens Ron Wheeler angerufen.“

Liam erstarrte. Ausgerechnet! Wheeler lebte davon, kriselnde Unternehmen aufzukaufen und durch Entlassungen zu „sanieren“. Dafür strich er auch noch Fördergelder ein. Danach zerschlug er die Firmen in mehrere kleine und verkaufte sie teuer. „Und was wollte er?“

„Er hat gehört, dass ich einen großen Anteil von Graham Boyles ANS gekauft habe, und hat mir ein sehr großzügiges Angebot gemacht.“

Liam ließ den Löffel fallen, sodass die Suppe auf das Tischtuch aus weißem Leinen spritzte. Sofort erschien Henry, um sauber zu machen.

„Tante Beatrice, dein Anteil ist größer als meiner. Wenn du verkaufst, hat er die Aktienmehrheit. Das gefährdet den gesamten Sender.“

Sie nickte und legte ihren Löffel weg. „Das ist mir klar. Und ich weiß, was ANS dir bedeutet. Aber du sollst auch wissen, dass mir die Familie am Herzen liegt. Ich lebe nicht ewig, Liam. Die Familie braucht ein starkes und kluges Oberhaupt. Unnötig, zu erwähnen, dass die meisten unserer Verwandten nicht eben die Hellsten sind. Meine beiden Schwestern waren ziemlich unvernünftig – und ihre Kinder auch. Mein Vater wusste das, darum hat er mir und deinem Großvater das meiste Geld vermacht. Alles andere wäre nicht gut gegangen.“

Allmählich ahnte Liam, worauf diese Unterhaltung hinauslief. „Warum erzählst du mir das? Was hat das mit Ron Wheeler zu tun?“

„Weil du der richtige Nachfolger für mich als Familienoberhaupt bist.“

„Rede doch nicht so.“ Beatrice schien viel zu hartgesotten und zäh, um zu sterben. „Du hast noch viele Jahre vor dir.“

Mit ihren scharfen blauen Augen sah sie ihn an – und einen Moment lang schien etwas wie Sympathie darin aufzublitzen. „Wir müssen alle sterben, Liam. Es ist besser, darauf vorbereitet zu sein. Ich will, dass du einmal meinen Platz einnimmst. In diesem Fall erbst du natürlich all meinen Besitz. Und du wirst Verwalter des Familienvermögens.“

Liam spürte, wie er blass wurde. Nur nicht diese Verantwortung! Zwei Milliarden Dollar und die gierigen Verwandten um sich? „Ich will dein Geld nicht, Tante Beatrice, das weißt du doch.“

„Ja. Aber ich weiß auch, was du willst: ANS. Solange ich meine Anteile besitze, gehört dir der Sender nicht wirklich. Ich kann jederzeit verkaufen, an Ron Wheeler oder an wen auch immer.“

Um sich zu beruhigen, trank Liam schnell einen Schluck Wein. So, wie die Dinge lagen, hatte Queen Bee ihn in der Hand. „Warum solltest du das tun? Du weißt doch, dass ich dir deine Anteile nach und nach abkaufen will, natürlich mit Gewinn für dich.“

„Ich will, dass du heiratest. Wie solltest du dieser Familie vorstehen, wenn du gleichzeitig hinter jedem Rock herjagst?“

„Aber ich bin doch erst achtundzwanzig.“

„Das ist ideal! In dem Alter haben auch dein Vater und dein Großvater geheiratet. Du bist mit dem Studium fertig, hast Erfolg und keine finanziellen Probleme. Die junge Frau, die dich bekommt, kann sich glücklich schätzen.“

„Tante Beatrice, ich bin wirklich noch nicht so weit …“

„Du heiratest spätestens in einem Jahr“, bestimmte sie, und es klang wie ein königliches Dekret. „An deinem ersten Hochzeitstag schenke ich dir meine Anteile an ANS und ernenne dich offiziell zu meinem Alleinbegünstigten. Dann ist das mit deinem Sender in trockenen Tüchern, und ich kann mich darauf verlassen, dass es der Familie auch nach meinem Tod gut geht.“

Das konnte nicht ihr Ernst sein! „Du willst mich zwingen zu heiraten?“

„Natürlich nicht. Du bist erwachsen und entscheidest selbst. Du hast die Wahl. Wenn du heiratest, ist dir dein Sender sicher, und du bekommst mehr Geld, als du ausgeben kannst. Wenn nicht, verkaufe ich meine Anteile an Ron Wheeler. Was meinst du dazu?“

Liam hatte es die Sprache verschlagen. Er war nicht daran gewöhnt, dass andere sich in sein Leben einmischten. Unglücklicherweise hatte er sich auch noch selbst in diese Abhängigkeit begeben. Hatte Beatrice von Anfang an geplant, die Situation auszunützen? Er stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen.

„Ich schlage dir gerne ein paar infrage kommende Ladies vor“, erbot sie sich großzügig.

Das könnte dir so passen! dachte er und sagte: „Nein danke, nicht nötig. Ich treffe mich seit einiger Zeit mit einer Freundin.“ Letzteres war frei erfunden – zum Glück fragte Beatrice nicht nach.

„Wenn es so ist, dann solltet ihr beide Nägel mit Köpfen machen. An deiner Stelle würde ich nicht trödeln. Je früher du heiratest, desto eher gehört dir ANS.“

Zurück im District of Columbia, ging Francesca Liam absichtlich aus dem Weg. Bis es sich nicht mehr länger vermeiden ließ, dass sie mit ihm sprach. Sie musste wissen, ob die Gala zugunsten von Jugend in der Krise in anderthalb Wochen stattfinden würde oder nicht. Die Vorbereitungen liefen bereits auf Hochtouren. Trotzdem – der Chef hatte das letzte Wort.

„Hallo, Jessica.“

„Ich würde da lieber nicht reingehen“, warnte seine Sekretärin.

Francesca runzelte die Stirn. „Warum denn nicht?“

„Seit wir aus New York zurück sind, ist er so komisch. Keine Ahnung, was los ist. Vermutlich irgendetwas mit seiner Familie.“

„Hoffentlich geht es allen gut.“

Jessica nickte. „Ja, glaube ich schon. Jedenfalls hat er mich nicht gebeten, Blumen zu verschicken. Aber er geht nicht ans Telefon. Ständig blättert er in seinem Adressbuch herum und murmelt unverständliches Zeug.“

Interessant. „Hm. Ich fürchte aber, ich muss mit ihm sprechen.“

„Wie du willst“, sagte Jessica und drückte die Taste der Gegensprechanlage. „Mr. Crowe, Ms. Orr möchte zu Ihnen.“

„Jetzt nicht“, blaffte er. Nach kurzer Pause fügte er in gemäßigterem Ton hinzu: „Na gut, schicken Sie sie rein.“

Bevor sie die Tür öffnete, atmete Francesca tief durch. Sie trug ihren eindrucksvollsten Anzug – mit Seidenkrawatte – und war überzeugt, alles zu erreichen, was immer sie wollte. Der smaragdgrüne Hosenanzug saß sehr gut. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt. Sie wirkte geschäftsmäßig und strahlte Selbstsicherheit aus. Liam hatte schon zu viel von ihrem Körper gesehen. Von jetzt an würde sie sich bedeckt halten, und zwar im wörtlichen Sinn.

Liam saß an seinem Schreibtisch und blätterte in seinem Adressbuch, genau wie Jessica gesagt hatte. Ab und zu notierte er sich etwas auf einem Block.

Als er ihr Kommen bemerkte, sah er auf und klappte das Buch zu.

„Guten Morgen, Francesca.“ Sein Tonfall klang förmlicher als beim Mal zuvor. Kein Wunder, damals waren sie ja fast nackt gewesen.

„Liam, ich muss dich sprechen. Es geht um die Galavorstellung …“

„Setz dich doch, Francesca.“

Irritiert über die Unterbrechung, sah sie sich unschlüssig um. Als sie auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch Platz nehmen wollte, sprang Liam auf und wies auf die Sitzgruppe am anderen Ende des Raumes.

„Hier rüber bitte. Ich unterhalte mich nicht gern über den Schreibtisch hinweg. Ist ein komisches Gefühl.“

Sie setzte sich in einen der weichen grauen Ledersessel und sah zu, wie Liam einen Einbaukühlschrank öffnete.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Ich trinke nicht während der Arbeit.“

„Gar nichts? Ich habe Wasser, Rootbier – mein Lieblingsgetränk – und Zitronenlimonade. Ich trinke auch nicht, wenn ich arbeite. Obwohl ich im Moment allen Grund dazu hätte.“ Er gab ihr eine Flasche Wasser. „Hier … als Ausgleich für die, die wir im Aufzug, ähm, verbraucht haben.“

Jäh erinnerte sie sich daran, wie sie Wasser über seinen Kopf und ihre Brust gegossen hatte. Klar, das hatte er mit Absicht gesagt, um sie aus dem Konzept zu bringen. Sie riss sich zusammen, nahm die Flasche und stellte sie ungeöffnet vor sich auf den Couchtisch.

Liam setzte sich mit einem Rootbier aufs Sofa. „Ich muss dir etwas vorschlagen.“

„Du weißt, dass ich nicht mit dir essen gehe.“

Mit seinen edelsteinklaren Augen sah er sie durchdringend an. „Darum geht es mir nicht. Ich will dich fragen, ob du mich heiratest.“

Francesca schoss förmlich im Sessel hoch. „Dich heiraten? Bist du verrückt geworden?“

„Pst“, beschwichtigte er sie und stellte die Flasche ab. „Dieses Gespräch braucht niemand mitzubekommen. Es ist sehr wichtig. Du sollst meine Verlobte sein, zumindest ein paar Monate lang.“

„Ich? Was ist denn los?“

Liam seufzte. „Ich befinde mich in einer prekären Position. Weil ich mir nicht die volle Anteilsmehrheit von ANS leisten konnte, habe ich meine Tante um Hilfe gebeten. Ihr gehören die meisten Anteile. Und jetzt droht sie damit, an Ron Wheeler zu verkaufen, wenn ich nicht innerhalb eines Jahres heirate.“

Ron Wheeler. Der Mann war ein rotes Tuch für sie! Wohltätigkeit gab es in seiner Welt nicht. Für ihn zählte nur Profit.

Er würde Francesca und ihre gesamte Abteilung entlassen, noch ehe die Tinte seiner Unterschrift auf dem Kaufvertrag getrocknet war. Und mit Sicherheit würden noch viele andere ihren Arbeitsplatz verlieren. „Aber warum tut sie das?“

„Sie will, dass ich heirate, damit ich nach ihrem Tod der Familie als seriöses Oberhaupt vorstehen kann. Irgendwie glaube ich, dass sie blufft. Vielleicht gibt sie sich ja damit zufrieden, dass ich mich verlobe. Dann habe ich Zeit, mit meinen Beratern eine Zwischenfinanzierung auszuarbeiten, damit ich ihr die Anteile abkaufen kann. Kurzum: Ich glaube nicht, dass wir tatsächlich heiraten müssen.“

„Das will ich hoffen.“ Sie hatte eigene Vorstellungen von einer guten Ehe, und Erpressung gehörte definitiv nicht dazu. „Fällt dir niemand anderes ein? Wir kennen uns ja nicht mal eine Woche.“

Kopfschüttelnd ließ er den Blick zu seinem Adressbuch auf dem Schreibtisch schweifen. „Ich bin alle Frauen durchgegangen, aber keine kommt infrage. Sie wünschen sich alle eine romantische Beziehung, kein geschäftliches Arrangement. Darum bist du mir eingefallen. Weil du locker bleibst.“

Ein geschäftliches Arrangement? Das war nicht gerade das, was das Herz einer Frau höherschlagen ließ. „Bedeutet das, du hast nicht die Absicht, mit mir ins Bett zu gehen?“

Liam grinste. „Das habe ich nicht gesagt, aber ehrlich, in erster Linie geht es um etwas anderes. Ich frage dich aus verschiedenen Gründen. Erstens mag ich dich. Zeit mit dir zu verbringen dürfte kein Problem darstellen. Für meine Tante soll ja alles echt aussehen. Unser Erlebnis im Aufzug beweist außerdem, dass wir uns zueinander hingezogen fühlen. Und zweitens weiß ich, dass ich mich auf dich verlassen kann, weil du etwas von mir willst.“

Francesca öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber sogleich wieder. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, worauf er hinauswollte: auf die Gala. „Eine Hand wäscht die andere. Meinst du das?“

Er nickte. „Wenn Ron Wheeler den Sender bekommt, ist es aus und vorbei mit deiner Arbeit. Solange ich Chef bin, werde ich alles in meiner Macht Stehende für das Unternehmen und die Beschäftigten tun. Aber dazu muss ich verlobt sein, es ist nun einmal so. Wenn du mir hilfst, verspreche ich dir, die Kosten für die Gala voll zu übernehmen. Außerdem werde ich dir einen Betrag zur Verfügung stellen, der die höchste private Spende übertrifft. Ich sehe es als Investition in die Zukunft. Und du brauchst nichts weiter zu tun, als meinen Ring zu tragen und meine Gegenwart auszuhalten, bis meine Tante nachgibt.“

Das klang verdächtig nach einem Teufelspakt. Und der Haken …? „Du hast gesagt, alles soll echt aussehen. Wie stellst du dir das vor?“

Liam lehnte sich zurück und legte den Knöchel des einen auf das Knie des anderen Beins. „Niemand verfolgt uns bis ins Schlafzimmer, Francesca, und ich werde nichts tun, was du nicht auch willst. Aber alles, was uns wie ein richtig verliebtes Paar wirken lässt, ist gut.“

Sie schüttelte den Kopf und senkte den Blick. Das kam alles so plötzlich. Liams Verlobte zu sein – wenn auch nur vorübergehend, erschien ihr gar nicht so übel. Jeden Abend allein im Bett hatte sie an das Erlebnis mit ihm im Aufzug denken müssen. Nur was sollte sie ihren Eltern und Freunden erzählen? Sie konnte ihnen unmöglich die Wahrheit sagen. Aber ohne zu lügen, würde es nicht gehen …

Wenn sie jedoch vermeiden wollte, dass ANS in die Hände von Ron Wheeler fiel, blieb ihr keine andere Wahl. Liams Plan würde den Sender retten. Und die Gala, die ihr so sehr am Herzen lag. Wenn das Arrangement nicht mehr länger nötig war, würde sie eben verkünden, dass sie doch nicht zueinanderpassten. Damit konnte sie leben. Es war ja nicht so, dass sie tatsächlich heiraten mussten.

Sie blickte auf und sah Liam von der Couch auf die Knie gleiten. In diesem dunkelblauen Anzug sah er ganz besonders gut aus. Und wie er sie anschaute!

Er nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen liebevoll über den Handrücken.

Sie schmolz dahin …

„Francesca Orr“, sagte er und lächelte charmant. „Auch wenn ich nur der einfache Sohn eines Schweinezüchters bin – aber würdest du mir die Ehre erweisen, meine Verlobte zu werden?“

4. KAPITEL

Liam entging Francescas erschrockene Miene nicht. Man sah ihr förmlich an, dass sich ihre Gedanken überschlugen, und er verstand.

Opfer für den Sender zu bringen, war unumgänglich. Dass er sie mit in diese Sache hineingezogen hatte, tat ihm jedoch leid.

Aber sie eignete sich einfach wundervoll. So, wie sie den Aufzug verlassen hatte, als ob nichts geschehen wäre, würde sie auch diese für sie beide vorteilhafte Verlobung schließlich hinter sich lassen. Im Endeffekt würden sie beide wieder getrennte Wege gehen.

Einen Augenblick sah sie ihm in die Augen – dann auf seine Schulter.

Als er ihrem Blick folgte, entdeckte er einen Marienkäfer auf dem dunkelblauen Stoff seines Anzugs sitzen. Das Tier musste am Morgen beim Lüften hereingekommen sein.

Francesca entzog ihm die Hand und nahm den Käfer vorsichtig ab. Dann stand sie auf und ging zum Fenster. Sie öffnete es weit, hielt ihre Hand hoch in die Sonne und sah zu, wie das Tierchen in Richtung des Gartens vor den Firmengebäuden davonflog.

Lange stand sie da, während Liam noch immer vor dem Sessel kniete. Schließlich sagte sie: „Ja, ich mach’s.“

Er sprang auf und war mit drei großen Schritten bei ihr. „Wirklich?“

Langsam wandte sie sich zu ihm um und sah ihn ruhig und entschlossen an. In diesem Moment empfand er sie als umwerfend, ja strahlend schön. Das Grün ihres Anzugs wirkte im Kontrast zu ihrer gebräunten Haut leuchtend wie ein Edelstein.

Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt und ihr die Haarnadeln entfernt, damit ihr die Haare lose über die Schultern fielen.

„Ja“, bestätigte sie. „Es ist die richtige Antwort.“

Trotz seiner Erleichterung wunderte sich Liam. Er war sich schon beinahe sicher gewesen, dass sie Nein sagen würde. In diesem Falle wäre er nicht davor zurückgeschreckt, ihr eine horrende Geldsumme zu bieten. „Hast du einen besonderen Grund für deine Entscheidung?“, wollte er wissen.

„Den Marienkäfer! Er bringt Glück. Dass er sich auf deine Schulter gesetzt hat, war ein Zeichen. Damit war klar, dass ich deinen Antrag annehmen muss.“

Liam verzichtete darauf, diese abergläubische Vorstellung infrage zu stellen, denn immerhin hatte sie ihm zu seinem Willen verholfen. „Sehr gut! Erinnere mich daran, dass ich mich beim nächsten Marienkäfer dafür bedanke.“

Sie lächelte. „Ich finde, du bist der insektenkundlichen Abteilung der Universität Georgetown etwas schuldig.“

„Das stimmt. Ich werde einen großzügigen Betrag spenden. Aber zuerst esse ich mit meiner Verlobten zu Mittag. Und dann darf sie sich einen Ring aussuchen.“

Erschrocken sah sie ihn an. „So schnell?“

„Aber ja!“, beharrte er. „Je eher meine Tante davon erfährt, desto besser. Das bedeutet Ringkauf, Zeitungsanzeigen hier und in New York und dass wir uns als frisch verliebtes Paar in der Öffentlichkeit sehen lassen. Außerdem ändere ich gleich heute meinen Beziehungsstatus auf Facebook.“

Francescas Augen wurden immer größer. Sehr begeistert schien sie von alldem nicht, Marienkäfer hin oder her. Zögernd sagte sie: „Bevor die Sache offiziell wird, muss ich telefonieren. Ich möchte nicht, dass meine Familie von anderen erfährt, dass ich verlobt bin. Das alles kommt schon ziemlich unerwartet.“

Er nickte. Verständlich, dass sie so reagierte. Er selbst musste auch anrufen: seine Mutter und seine jüngere Schwester, die in Manhattan lebten.

Normalerweise hatten sie nicht viel Kontakt; sie waren schon immer wie Schiffe gewesen, die nachts aneinander vorbeiglitten und sich gegenseitig eine gute Fahrt wünschten.

Seine Eltern waren viel gereist – bis zum Tod seines Vaters drei Jahre zuvor. Auf dem Nachhauseweg von einer Konferenz, die bis in die späten Abendstunden gedauert hatte, war er mit dem Wagen auf eine Eisplatte geraten und tödlich verunglückt. Seitdem war seine Mutter in Manhattan geblieben und hatte sich immer mehr abgeschottet. Als ihre seltenen Anrufe ganz aufgehört hatten, war ihm klar geworden, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Dass seine Schwester zu ihr gezogen war, änderte nicht wirklich etwas daran.

Auch wenn es ihm gefiel, ihr bezüglich der Verlobung etwas vorzumachen – vielleicht würde sie sich freuen und sogar ihr Apartment verlassen.

Er hatte sich oft gefragt, wie es ihnen allen wohl gehen würde, wenn sein Vater noch lebte. Dann wäre Tante Beatrice wohl kaum auf den Gedanken gekommen, ihm selbst die Leitung der Familie zu übertragen.

Natürlich führten solche Was-wäre-wenn-Gedanken zu nichts. Aber immerhin war ihm dabei die Tante eingefallen: Sie sollte er als Nächstes anrufen. Ansonsten gab es nicht viele Leute, denen er die glückliche Nachricht überbringen musste.

Francesca hingegen schien eine große Familie zu haben, deren Mitglieder in engem Kontakt zueinander standen. Die Nachricht von ihrer Verlobung würde einschlagen wie eine Bombe.

„Ich weiß, das ist keine Kleinigkeit“, sagte er. „Und es kommt sehr überraschend für dich. Aber du wirst sehen, alles wird gut.“ Er ging zu ihr und legte den Arm um sie.

Zögernd gab sie der Umarmung nach. Sie legte die Hände auf seine Jackenaufschläge und sah ihm in die Augen.

„Das verspreche ich dir“, fügte er hinzu.

Wirklich überzeugt wirkte sie nicht. Irgendwie musste er sie beruhigen, damit sie sich in der neuen Situation wohlfühlte. Am besten bewies er ihr, dass sie beide gut genug harmonierten, um die Sache durchzuziehen. Allerdings kannte er nur einen einzigen Weg, einer Frau Sicherheit zu geben …

Langsam näherte er sich ihren Lippen. Dabei gab er ihr Zeit, sich zu entziehen, doch sie tat es nicht. Er küsste sie, und Francesca schmiegte sich an ihn!

Der Kuss unterschied sich sehr von dem im Aufzug. In dem beengten Raum und der Hitze hatten Leidenschaft und Verzweiflung sie getrieben.

Dieser Kuss aber war sanft, weich und beinahe tröstend. Francescas Lippen waren weich wie Seide und schmeckten leicht nach Kaffee und Zimt.

Sie gab einen leisen Laut von sich, der sein Herz erwärmte. Es entstand ein Moment der Vertrautheit, der am besten nie aufhören sollte. Dennoch hielt Liam sich zurück. Denn wenn er es jetzt übertrieb und Francesca es sich anders überlegte, war alles verloren. Klappte es aber mit der Verlobung, würde er sie noch oft küssen dürfen. Nur mit dieser Möglichkeit vor Augen schaffte er es schließlich, sie loszulassen.

Sie sah ihn an – mit geröteten Wangen und leicht verschleierten Augen –, atmete tief durch und trat einen Schritt zurück. „Na gut“, sagte sie lachend. „Dass es echt aussieht, dürfte kein Problem darstellen.“

Auch er lachte. „Stimmt. Bist du hungrig?“

Francesca strich ihren Anzug glatt. „Ein bisschen.“

„Okay. Da du noch nicht vor Hunger stirbst, schlage ich vor, wir kaufen zuerst den Ring. Wenn wir danach beim Mittagessen jemandem begegnen, können wir gleich die frohe Kunde verbreiten.“

„Ich muss noch meine Tasche aus dem Büro holen. Dann treffen wir uns …“ Sie verstummte.

„Vor dem Aufzug?“, fragte er und grinste.

Francesca wurde rot. „Ja“, sagte sie. „Treffen wir uns vor dem Aufzug.“

Als sie und Liam zwei Stunden später aus dem exklusiven Juwelierladen Pampillonia kamen, fühlte sich Francesca doch reichlich erschöpft. Fast wünschte sie, Liam hätte die Frage der Fragen bereits mit dem Ring in der Hand gestellt, wie viele Männer es taten. Dann wäre ihr die Qual der Wahl erspart geblieben.

Nur schwer hatten sie sich einigen können. Sie hatte Angst gehabt, dass er zu viel Geld ausgab, vor allem weil es nur eine Scheinverlobung war. Aber Schein oder nicht – nach Liams Ansicht musste ein Verlobungsring vor allem Eindruck machen.

Schließlich waren sie zu einem Kompromiss gekommen, wonach sie ausschließlich nach ihrem eigenen Geschmack entscheiden sollte.

Nachdem sie die Geduld des Juweliers doch ziemlich strapaziert hatten, war sie jetzt stolze Besitzerin eines zweikarätigen, klassisch rechteckig geschliffenen Diamanten, der von einem mit winzigen Diamanten besetzten Platinband eingefasst war.

Auf dem Weg zum Restaurant, wo sie einen Tisch bestellt hatten, konnte sie noch immer nicht glauben, dass dieser atemberaubend schöne Ring ihr gehörte. Allein sein Gewicht sorgte dafür, dass sie immer wieder ihre Hand betrachtete.

Ihr Leben lang hatte sie davon geträumt, eines Tages von einem Mann einen solchen Ring zu bekommen. Der Ring war, wie er sein sollte – alles andere nicht. Seit sie an diesem Morgen aufgewacht war, hatte ihr Leben eine wahrhaft seltsame Wendung genommen.

„Hast du jetzt Hunger?“, vergewisserte sich Liam, als sie das Restaurant erreicht hatten. Im Freien zu sitzen war um diese Jahreszeit – Anfang Mai – einfach herrlich. Die für Manhattan typische Hitzewelle hatte den District of Columbia noch nicht erreicht. Es ging eine frische Brise, und das Thermometer zeigte nicht mehr als fünfundzwanzig Grad.

Richtig hungrig war sie noch immer nicht. Offenbar hatte ihr Magen Schwierigkeiten, mit den Ereignissen klarzukommen. Aber sie wusste, dass sie etwas essen musste, um nicht den ganzen Nachmittag im Sender Kekse zu naschen. „Ich könnte schon etwas essen.“

Sie folgten der Bedienung zu ihrem auf der Terrasse reservierten Tisch.

Francesca sah sich um. Irgendwie hatte sie Angst, gesehen zu werden. Liam und sie kannten wirklich eine Menge Leute, und auf der Straße herrschte reger Verkehr. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Rolle der frisch Verlobten überzeugend spielen konnte.

Galant rückte Liam ihr den Stuhl zurecht und wartete, bis sie bequem saß. Dann erst setzte er sich ebenfalls. „Ich sterbe vor Hunger“, sagte er und nahm die Speisekarte.

Francesca lächelte. Hungrig schien er wirklich immer zu sein! „Hast du nicht gefrühstückt?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Seit dem Dinner im Haus meiner Tante habe ich kaum was gegessen. Mir ist der Appetit vergangen. Kannst du dir das vorstellen?“

„Durchaus.“ Da sie nichts auf der Karte besonders ansprach, entschied sie sich für Salat mit Hühnchen und Spinat – zumindest eine kalorienbewusste Wahl.

Schließlich musste sie in ihr Brautkleid passen.

Erschrocken setzte sie sich kerzengerade hin. Woher war dieser Gedanke gekommen?

„Alles in Ordnung?“, fragte Liam.

„Ja. Mir ist nur etwas eingefallen … was ich im Büro erledigen muss.“

Liam nickte und vertiefte sich wieder in die Karte.

Francesca schloss die Augen. Eine Hochzeit würde es nicht geben. Und damit auch kein Brautkleid. Es spielte keine Rolle, wie echt sich die Küsse anfühlten. Und auch, dass sie so prompt auf Liams Berührungen reagierte, war ohne Bedeutung. Selbst der Ring im Wert eines Luxusapartments änderte nichts. Weil es sich nur um eine Scheinverlobung handelte. Es war nichts weiter als eine geschäftliche Vereinbarung – egal, was sie ihren Freunden und ihrer Familie erzählen würde.

Als der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte, ging er wieder. Unbehaglich saß Francesca da, nippte an ihrem Wasser und betrachtete den Ring.

„Da das mit der Verlobung jetzt geklärt ist, muss ich dich etwas fragen.“

Skeptisch sah sie ihn an. „Nein, Liam, ich will kein Baby von dir, nur um deine Tante glücklich zu machen“, sagte sie scherzhaft.

Er lachte. „Okay, keine Kinder, versprochen. Nein, es geht rein um die Arbeit. Die Idee ist mir vor ein paar Tagen gekommen, aber durch meine Tante war ich etwas abgelenkt. Ich wollte … Du bist doch mit Ariella Winthrop befreundet, oder?“

Francesca seufzte. Seit Januar stand ihre Freundin ständig im Mittelpunkt des Medieninteresses, nachdem bei einem Eröffnungsball enthüllt worden war, dass die erfolgreiche Eventmanagerin die Tochter des frisch gewählten Präsidenten war.

Zu ihrem Leidwesen war Francesca seitdem von unzähligen Journalisten und sonstigen Neugierigen nach Ariella gefragt worden.

Ja, sie waren seit etlichen Jahren befreundet. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie der Presse etwas sagen konnte oder wollte. Ariella war adoptiert. Erst einen Monat zuvor hatte ein DNS-Test geklärt, wer ihr leiblicher Vater war.

„Ja …“

„Würdest du vielleicht mal mit ihr reden? Ich habe mir etwas überlegt, das sie interessieren könnte. Ich weiß, dass ANS-Reporter und das alte Management für die Sache mit ihr und Präsident Morrow verantwortlich waren. Und da habe ich gedacht, vielleicht können wir das wiedergutmachen. Mit einer freundlichen Geste …“

„Einem Früchtekorb?“, schlug sie vor.

„Einer Fernsehsendung mit ihr und dem Präsidenten.“

Francesca atmete hörbar aus. Was für eine haarsträubende Idee! „Ich bin für den Früchtekorb. Ernsthaft.“

„Warte doch erst mal“, beschwichtigte Liam sie. „Ich weiß doch, welche Fehlinformationen und Gerüchte bei den anderen Sendern kursieren, hauptsächlich weil keiner der Betroffenen an die Öffentlichkeit geht. Aber ANS hat sich herausgehalten, nachdem all das passiert war. Ich möchte Ariella und ihrem Vater die Chance geben, die Dinge in ihrem Sinn zu klären. Ohne irgendwelche Verdrehungen oder Dramatisierungen.“

„Das klingt aber ziemlich eigennützig.“

„Darum möchte ich, dass du für die Sendung verantwortlich bist. Dir vertraut sie. Du könntest direkt mit der Pressestelle im Weißen Haus zusammenarbeiten und darauf achten, dass niemand sich auch nur im Entferntesten unbehaglich fühlt. Das kann kein anderer Sender bieten, das garantiere ich dir.“

Aber Francesca zögerte noch immer. Das alles gefiel ihr gar nicht. Wenn etwas schiefging und der Ruf von ANS litt, würde es kein Zurück mehr geben. Und Ariella würde ihr möglicherweise nie verzeihen. „Ich weiß nicht recht, Liam.“

„Alle Beteiligten können dabei nur gewinnen. Ariella und der Präsident können ihre Geschichte erzählen, und zwar aus ihrer eigenen Sicht. ANS bekommt die Exklusivrechte an dem Interview, und gleichzeitig machen wir wieder gut, was der Abhörskandal angerichtet hat. Du passt auf, dass kein Zirkus daraus wird, und jedem ist gedient.“

Hm … vor allem der Einstufung des Senders in den Ratinglisten! Ariella und ihr berühmter leiblicher Vater erlebten gerade etwas sehr Wichtiges und ausgesprochen Privates. Für beide bedeutete die neue Situation eine große Umstellung – das Fernsehen war dafür kaum der richtige Rahmen.

„Versprich mir einfach nur, dass du sie fragst. Wenn sie nicht will, lasse ich es.“

Der Kellner brachte das Essen und zog sich wieder zurück.

„Also gut, ich rede mit ihr“, gab Francesca nach. „Aber ich kann dir nichts versprechen. Sie hat bisher eine kurze Presseerklärung abgegeben, aber das war es auch schon.“

„Vielen Dank, dass du es probieren willst.“

Francesca aß von ihrem Salat. „Jetzt kommt die ganze Wahrheit ans Tageslicht“, scherzte sie. „Du heiratest mich nur, um Verbindung zur Politik zu haben.“

„Eine völlig unbegründete Behauptung“, entgegnete er und grinste. „Ich heirate dich wegen deiner atemberaubenden Figur.“

Sie sah ihm in die Augen, doch zu ihrer Überraschung wirkten sie nicht heiter, sondern funkelten vor Bewunderung. Genauso hatte er sie im Aufzug betrachtet, als sie nur ihr Top angehabt hatte.

An diesem Tag dagegen war sie vollkommen korrekt gekleidet, aber Liam verfügte offenbar über ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Ein ungewöhnliches Wärmegefühl breitete sich in ihr aus, und sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Beim Gedanken an den Tag des Stromausfalls musste sie sich eingestehen, dass sie Liam heftig begehrt hatte. Und das tat sie noch! Nur war alles so kompliziert. War es gut oder schlecht, dass sie verlobt waren, wenn sie ihrer Sehnsucht nachgab …?

Insgeheim wünschte sie, den Seidenschal zu Hause gelassen zu haben, an dem sie nervös herumzupfte. „Ich … äh …“

In diesem Moment erklang eine Stimme vom Gehsteig neben ihnen aus. „Hallo, Francesca! Was glitzert denn da an deiner Hand?“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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