Bianca Extra Band 15

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IM SANFTEN SCHEIN DES MONDES von WILKINS, GINA
"Ich glaube nicht an Romantik”, flüstert Kinley - da spürt sie schon Dans Lippen auf ihrem Mund! Der sanfte Mondschein über Bride Mountain muss schuld daran sein, dass sie - sonst immer vernünftig - den süßen Kuss dieses charmanten Abenteurers erwidert …

TRAUST DU DICH, NOCH MAL ZU LIEBEN? von WINTERS, REBECCA
Travis traut seinen Augen nicht: Die hübsche Physiotherapeutin Melissa Dalton gleicht seiner verstorbenen Frau verblüffend! Kein Wunder, dass er sich magisch zu ihr hingezogen fühlt. Aber ist es fair, Melissa zu lieben - und an ein verlorenes Glück zu denken?

EIN LIEBESLIED FÜR MR WINTERSET von FERRARELLA, MARIE
Die schöne Violinistin Elizabeth lebt für die Musik. Nur manchmal, in einsamen Nächten, sehnt sie sich nach einem Mann, der sie Noten und Engagements vergessen lässt - einem Mann wie dem umwerfenden Jared Winterset! Der leider nicht an die große Liebe zu glauben scheint …

KIRSCHKUCHEN UND SÜßE KÜSSE von MILES, OLIVIA
Es ist Scott! Um ein Haar lässt Bäckerin Emily den leckeren Kirschkuchen fallen. Denn vor ihr steht der Mann, der vor zwölf Jahren gegangen und ihr Teenager-Herz in winzigen Krümeln zurückgelassen hat. Warum ist Scott jetzt wieder hier - bei ihr?


  • Erscheinungstag 17.02.2015
  • Bandnummer 0015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732424
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gina Wilkins, Rebecca Winters, Marie Ferrarella, Olivia Miles

ROMANA EXTRA BAND 15

GINA WILKINS

Im sanften Schein des Mondes

Aufregende Orte entdecken, darüber schreiben, weiterziehen – so lebt Reiseschriftsteller Dan. Doch seine Wanderlust gerät in Gefahr, als er sein Herz an die schöne, aber sehr sesshafte Kinley verliert …

REBECCA WINTERS

Traust du dich, noch mal zu lieben

Wenn Travis sie küsst, dann ist es für Melissa, als ob sich ihre Seelen zärtlich berühren. Trotzdem zweifelt sie: Begehrt Travis sie nur, weil sie seiner verstorbenen Frau so ähnelt?

MARIE FERRARELLA

Ein Liebeslied für Mr Winterset

Seine Eltern führen die beste Ehe der Welt! Für ihn unerreichbar, glaubt Jared und weicht großen Gefühlen lieber aus. Bis die schöne Geigerin Elizabeth am 35. Hochzeitstag seiner Eltern die ersten Töne anstimmt …

OLIVIA MILES

Kirschkuchen und süße Küsse

Alles würde Scott tun, um Emily wieder in seine Arme zu nehmen, wie vor zwölf Jahren. Aber ein düsteres Familiengeheimnis hält ihn davon ab. Soll er es ihr gestehen – und auf eine zweite Chance hoffen?

1. KAPITEL

Draußen vor dem Erkerfenster tanzte der Frühnebel in zarten Schleiern und ließ die liebliche Landschaft von Südwest-Virginia wie ein verträumtes Aquarell erscheinen.

Kinley Carmichael stand an den Fensterrahmen gelehnt und trank ihren Kaffee mit Zimtaroma, während ihr Blick über den grau-rosa gefärbten Morgenhimmel schweifte. Ihre romantische jüngere Schwester Bonnie würde bei diesem zauberhaften Anblick einen Seufzer des Entzückens ausstoßen. Die pragmatische Kinley sah darin sofort das wunderbare Motiv für die Website des Bride Mountain Inn.

Morgen früh würde sie ganz früh mit ihrer Kamera losziehen und hoffen, genau diese Stimmung auf ein Foto zu bannen. Damit könnte sie garantiert jede Menge Gäste anlocken. Beinahe musste sie lachen, als sie hinter sich einen entzückten Seufzer hörte, gefolgt von einem gehauchten „Ist das nicht wunderschön?“

Bonnie trat neben sie. „Selbst nachdem wir hier schon zwei Jahre wohnen, kann ich von diesen Sonnenaufgängen nicht genug bekommen.“

„Ein super Motiv für unsere Werbung. Morgen gehe ich ganz früh raus und mache Fotos.“

Bonnie warf ihr einen missbilligenden Blick zu. „Magische Momente kann man nicht mit der Kamera festhalten, Kinley.“

„Man kann’s zumindest versuchen“, erwiderte Kinley gut gelaunt.

Bonnies zweiter Seufzer klang eher resigniert. Es hatte keinen Zweck, ihre Schwester und sie waren einfach zu verschieden.

Mit ihrem blonden Haar, den blauen Augen und der makellosen Haut ähnelte Bonnie einer Porzellanpuppe. Dazu passte auch ihre Kleidung. Heute trug sie ein spitzenbesetztes Top und einen weiten, gerüschten Rock. Ihre romantische Art, sich zu kleiden, und ihre offen zur Schau getragene Neigung zur Schwärmerei verleitete manche Menschen dazu, sie für unbedarft zu halten. Doch hinter ihrem niedlichen Gesicht verbargen sich scharfer Verstand und eine grimmige Entschlossenheit, von der ihre beiden Geschwister ein Lied singen konnten. Zwar war sie die Jüngste, doch ihrer Beharrlichkeit war es zu verdanken, dass die drei Geschwister nun gemeinsam eine Frühstückspension führten.

Im Gegensatz zu Bonnies verspieltem Stil liebte Kinley es eher lässig-elegant. An diesem Morgen trug sie eine schmal geschnittene graue Hose, ein grau-weiß-gestreiftes T-Shirt und darüber eine perlgraue Strickjacke mit dreiviertellangen Ärmeln. Sie fühlte sich wohl in dieser Art von Kleidung, auch wenn Bonnie manchmal frotzelte, sie sähe immer aus, als sei sie auf dem Weg zu einer Konferenz.

„Sieh mal, wie der Nebel da drüben wabert.“ Bonnie deutete auf eine Ecke im Garten. „Wenn du ein Stativ benutzt und eine hohe Lichtempfindlichkeit einstellst, kriegst du vielleicht ein Foto, das aussieht, als ob sich eine Braut im Nebel versteckt.“

Unwillkürlich blickte Kinley zur offenen Küchentür, um sich zu vergewissern, dass keiner ihrer Gäste die abstruse Bemerkung ihrer Schwester mitbekommen hatte. „So was darfst du nicht mal im Spaß sagen. Du weißt, was ich von solchen Ammenmärchen halte.“

Die Legende um die weiße Braut hielt sich hartnäckig, und es wurde vermutet, dass daher der Name Bride Mountain stammte. Angeblich erschien sie Paaren, die füreinander bestimmt waren, und verhieß ihnen lebenslanges Glück.

Als sie das Inn vor zwei Jahren übernommen hatten, schlug Bonnie vor, die Legende für ihre Werbung zu nutzen. Doch Kinley und ihr älterer Bruder Logan hatten sich vehement gegen diese Idee ausgesprochen. Sie wollten keine Gäste, die sich von Gespenstergeschichten anlocken ließen.

Bonnie zuckte die Achseln. „Glaub, was du willst. Mir gefällt die Vorstellung, dass Onkel Leo und Tante Helen in der Nacht ihrer Verlobung die Nebelbraut gesehen haben.“

Kinley schüttelte nachsichtig den Kopf. „Onkel Leo wollte doch nur deine Reaktion sehen, wenn er dir die Geschichte erzählt.“

Bereits als Kind hatte Bonnie sich in das Inn verliebt. Damals hatten die Kinder mit ihrer Mutter regelmäßig die Ferien hier verbracht. Großonkel Leo Finley hatte das Hotel bis zum Tod seiner geliebten Frau Helen betrieben. Danach blieb er zwar noch weitere achtzehn Jahre, bis zu seinem Tod, dort wohnen, doch mit zunehmendem Alter vernachlässigte er das Gebäude immer mehr. Da er keine direkten Nachkommen hatte, vermachte er das Anwesen in seinem Testament den Kindern seiner verstorbenen Nichte.

Schon früh hatte Bonnie davon geträumt, irgendwann die Frühstückspension zu übernehmen, und vorsorglich eine Ausbildung an einer Hotelfachschule absolviert. Als Onkel Leo starb, bekniete sie ihre beiden Geschwister so lange, bis diese einwilligten, bei dem Vorhaben mitzumachen. Da sowohl Kinley als auch Logan sich gerade an einem Wendepunkt in ihrem Leben befanden, hatten sie sich überreden lassen.

Als notorisch leistungsorientierter Mensch war Kinley entschlossen, das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Schließlich hatte sie Betriebs- und Immobilienwirtschaft studiert. Außerdem war es für sie die Chance, nach ihrer Scheidung ein neues Leben anzufangen und ihr angekratztes Selbstwertgefühl wieder aufzupolieren.

Für Logan war es die Möglichkeit, sein eigener Herr zu sein.

Bonnie öffnete die Backofentür an einem der beiden großen Herde in der topmodernen Küche und zog ein köstlich duftendes Blech mit Muffins heraus. Andere Gerichte hatte sie bereits gestern Abend zubereitet und brauchte sie jetzt nur noch aufzuwärmen. Bonnie liebte es, ihre Gäste zu verwöhnen.

Kinley sah auf die Uhr. In ein paar Minuten würden die ersten Frühstücksgäste erscheinen. „Kann ich dir noch was helfen?“, bot sie an, obwohl es normalerweise nicht zu ihren Aufgaben gehörte, beim Frühstück zu helfen.

„Ja, gern“, rief Bonnie über die Schulter, während sie die Muffins in den Speiseraum trug. „Rhoda ist wieder mal zu spät dran.“

Beide mochten sie ihre Haushälterin Rhoda Foley sehr gern. Rhoda konnte zupacken und war für alles zu gebrauchen, vom Kochen und Servieren bis zum Putzen und Dekorieren. Doch leider war sie etwas schusselig und kam öfters zu spät, weil sie verschlafen hatte.

„Du musst wieder mal mit ihr reden, Bonnie. An diesem Wochenende steht die Sossaman-Thompson-Hochzeit an, und da muss alles wie am Schnürchen laufen. Und morgen kommt dieser Reisejournalist Dan Phelan. Da muss alles perfekt aussehen. Sein Artikel könnte uns eine Flut von Reservierungen einbringen. Sofern wir dafür sorgen, dass er den Aufenthalt hier genießt.“

Bonnie kicherte. „Klar doch. Nichts leichter als das.“

Kinley stellte die warmen Gerichte auf silberne Wärmeplatten. Zufrieden betrachtete sie das reich gedeckte Frühstücksbüfett auf der antiken Anrichte und ließ den Blick durch den hellen, luftigen Speiseraum schweifen, der mit schönen alten Möbeln eingerichtet war. Sechs Stühle waren um jeden der vier runden Tische platziert, die mit silbernen Kerzenleuchtern und frischen Blumen dekoriert waren. Der Kronleuchter an der Decke stammte noch aus der Zeit ihres Urgroßvaters, der das Haus gebaut hatte.

Bevor sie das Inn eröffneten, hatten die Geschwister das gesamte Anwesen mit viel Liebe und Sorgfalt restauriert und ein wahres Schmuckstück daraus gemacht. „Sein Artikel kann nur positiv ausfallen.“ Kinley lächelte ihre Schwester liebevoll an. „Alles ist perfekt, die Einrichtung, der Service, die schöne Umgebung. Ich werde den alten Knaben mit meinen Geschäftszahlen beeindrucken, und du wirst ihn mit deinem Charme bezirzen. Logan soll sich lieber im Hintergrund halten“, fügte sie mit spöttischem Lachen hinzu.

„Wie kommst du darauf, dass der Reporter alt ist und sich leicht bezirzen lässt?“

„Nur so. Keine Ahnung, wie er aussieht.“ Kinley trat beiseite, um den ersten vier Gästen Platz zu machen. Ein junges Paar mit zwei Familienangehörigen, die sich das Bride Mountain Inn im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit ansehen wollten. Sie hatte bereits einen Besprechungstermin mit den Leuten vereinbart. Kurz darauf erschienen Lon und Jan Mayberry, ein Paar im fortgeschrittenen Alter auf Hochzeitsreise, und Travis Cross und Gordon Monroe, die sich ein paar Tage Auszeit von ihren stressigen Jobs in Richmond gönnten. Eine nette Gruppe, dachte Kinley. Es gefiel ihr, wenn sie mit den Gästen plaudern konnte, obwohl Bonnie normalerweise mehr Kontakt zu ihnen hatte.

Nachdem alle Gäste ihr Frühstück beendet hatten, half Kinley ihrer Schwester beim Abräumen und Saubermachen. Rhoda war noch immer nicht aufgetaucht und ging auch nicht ans Telefon. Bonnie hatte sich vorgenommen, zu ihr nach Hause zu fahren, falls sie um zehn noch nicht aufgekreuzt war.

Ein paar der Gäste saßen noch mit ihren Kaffeetassen an den Tischen und unterhielten sich über ihre Tagespläne oder genossen den Blick durch die raumhohen Fenster in den Garten hinaus. Für das Wochenende war das Inn voll ausgebucht, vor allem durch die Hochzeit am Samstagnachmittag. Die Brautleute hatten zugestimmt, dass der Reporter Fotos von der Feier machte.

Es war klares, sonniges Wetter vorhergesagt, und im Garten standen Flieder, Iris, Phlox und Rosen bereits jetzt, Mitte Mai, in voller Blüte. Das frische Grün der Bäume um den Hochzeitspavillon bildete einen wunderbaren Kontrast zu der Blütenpracht. Alles war perfekt. Der Reisejournalist würde begeistert sein und einen enthusiastischen Bericht schreiben.

Sie goss sich noch einen Kaffee ein und atmete beruhigt durch. Im selben Moment hörte sie einen lauten Knall von der Einfahrt her. Einige Gäste schrien erschrocken auf, und Kinley verschüttete vor Schreck ihren Kaffee.

Leise fluchend stellte sie ihre Tasse ab und rieb sich die verbrannte Hand. Dann lief sie nach draußen, um zu sehen, was los war. Hinter ihr stöhnte Bonnie verzweifelt auf.

Rhoda hatte mit ihrem Pick-up den Eingang gerammt. Einer der Holzpfosten war in der Mitte durchgebrochen und brachte den Rest des Vorbaus bedenklich ins Wanken.

Mit zerknirschtem Gesicht kletterte Rhoda aus ihrem Wagen. Zum Glück war sie unverletzt, wie Kinley erleichtert feststellte.

„Tut mir schrecklich leid“, rief die Haushälterin. „Ich hab total verschlafen, und mein Handy war nicht aufgeladen, deshalb konnte ich nicht anrufen. Blöderweise hab ich in dem Moment auf die Uhr geguckt, als ich vors Haus gefahren bin.“ Sie fuhr sich verzweifelt durch das graugesprenkelte dunkle Haar. „Tut mir so leid. Natürlich komme ich für den Schaden auf. Ich hab eine Haftpflichtversicherung.“

Mit besorgtem Blick lief Kinley zu der älteren Frau hin. „Bist du sicher, dass du nicht verletzt bist? Sollen wir dich nicht lieber zum Arzt fahren?“ Sie nahm Rhodas nervös flatternde Hände in ihre.

Vehement schüttelte Rhoda den Kopf. „Nein, mir ist wirklich nichts passiert. Ich bin doch nicht schnell gefahren, und außerdem war ich angeschnallt.“

„Du hast Glück, dass nicht der ganze Vorbau auf dein Auto gestürzt ist.“

„Hey, geht mal alle da weg.“ Logan kam wild gestikulierend um die Ecke gelaufen. „Niemand darf sich unter dem Vorbau aufhalten, bis ich ihn abgestützt habe. Bonnie, schließ die Haustür ab und lass die Gäste den Seiteneingang benutzen.“

„Es tut mir so leid, Logan.“ Rhoda rang verzweifelt die Hände. „Ich fahr gleich mein Auto weg.“

Logan fuhr sich mit der Hand durch das leicht zerzauste braune Haar, während er sich den Schaden ansah, und Kinley blickte seufzend auf den beschädigten Eingangsbereich. Doch dann beruhigte sie sich damit, dass es noch schlimmer hätte kommen können.

„Am Samstag haben wir die Hochzeit“, erinnerte sie ihren Bruder. „Und morgen soll schon die Probe dafür stattfinden.“

Er nickte. „Ich rufe sofort Hank an. Bestimmt hat er einen Ersatzpfosten gemacht für den Fall, dass mal einer kaputtgeht. Dann können wir es gleich reparieren.“

Plötzlich griff Kinley sich an die Stirn. „Der Reisereporter hat sich schon für morgen früh angesagt, damit er noch vor der Hochzeit Fotos machen kann. Das werden wir wohl nicht schaffen.“

Rhoda stöhnte. „Ach, Kleine, es tut mir so leid.“

Logan rieb sich über das stoppelige Kinn, dann nickte er. „Ich tue, was ich kann.“

In diesem Moment kam ein schwarzer Wagen die Einfahrt hochgefahren und hielt auf dem Gästeparkplatz. Kinley fragte sich, was jemand wohl so früh an einem Donnerstag hier wollte. Sie kannte den dunkelhaarigen jungen Mann nicht, der gerade aus dem Wagen stieg. Gute Figur, stellte sie unwillkürlich fest. Mit seinen leicht zerknitterten Kakihosen und dem olivgrünen Baumwollhemd mit aufgerollten Ärmeln wirkte er sehr lässig. Wie ein Vertreter sah er jedenfalls nicht aus, und auch nicht wie jemand, der hier übernachten wollte.

Als der Mann lächelnd auf sie zukam, bemerkte Kinley erschrocken, wie ihr Puls sich beschleunigte, obwohl sie doch noch in Gedanken bei Rhodas Unfall war. Ihr zweiter Gedanke war Erleichterung darüber, dass ihre vermeintlich begrabenen weiblichen Instinkte noch einwandfrei funktionierten.

Schnell schob sie ihre unangebrachten Überlegungen beiseite und setzte ihr professionelles Lächeln auf. „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

Als der Mann ihr in die Augen sah, war sie frappiert von dem intensiven Blau, das einen lebhaften Kontrast zu seinem dunklen Haar und seiner gebräunten Haut bildete. Wow!

„Sind Sie Kinley Carmichael?“, fragte der Mann mit angenehm sonorer Stimme, die seine Attraktivität noch erhöhte. Selbst die Art, wie er ihren Namen aussprach, versetzte ihr einen kleinen Stromschlag.

„Ja, die bin ich.“

Es entging ihr nicht, dass sein Blick unauffällig ihren Körper taxierte. Aber das war ihr keineswegs unangenehm. Im Gegenteil, sie fühlte ihr Ego durch das bewundernde Aufblitzen seiner blauen Augen angenehm geschmeichelt.

Sein Lächeln wurde breiter und offenbarte charmante Grübchen in seinen gebräunten Wangen. „Ich bin Dan Phelan. Ich weiß, Sie haben mich erst morgen erwartet, aber da ein anderer Termin ausgefallen ist … Hoffentlich komme ich nicht ungelegen.“

Doch, in der Tat, so könnte man es nennen. Kinleys Stimmung wechselte abrupt. Der Reporter hatte ihr gerade noch gefehlt. Es sollte doch alles perfekt sein, wenn er kommt. Was für ein Tag! Dabei war es erst neun Uhr morgens.

Obwohl Kinley Carmichael sofort wieder ihr verbindliches Lächeln aufsetzte, war es Dan klar, dass sie von seiner verfrühten Ankunft nicht gerade begeistert war. Da er aber offensichtlich mitten in eine turbulente Situation hineingeraten war, konnte er es ihr nicht verdenken. Allerdings war sein Stolz schon ein bisschen verletzt. Es passierte ihm selten, dass eine attraktive Frau so wenig begeistert war, ihn zu sehen.

Sie war keine klassische Schönheit, aber sie gefiel ihm. Ihr ovales Gesicht wurde von einem dunkelblonden Bob mit hellen Strähnchen eingerahmt, und ihr Mund mit der vollen Unterlippe war wie zum Küssen gemacht. Ihre graublauen Augen begegneten seinen mit einer erfrischenden Direktheit. Sie war groß und schlank und man würde ihre Figur eher sportlich als üppig nennen. Genau sein Typ.

Eine Frau um die fünfzig mit einer wilden graumelierten Lockenmähne kam mit erschrockener Miene auf ihn zu. „Sie sind doch nicht etwa der Reisereporter? Der wollte doch erst morgen kommen.“

„Ich habe meine Pläne kurzfristig geändert. Falls Sie kein Zimmer mehr freihaben, gehe ich in ein anderes Hotel und komme morgen früh wieder.“

„Natürlich haben wir ein Zimmer für Sie, Mr Phelan“, mischte Kinley sich ein. „Wir heißen Sie herzlich willkommen.“

„Bitte nennen Sie mich Dan.“ Er blickte auf den demolierten Eingangsbereich. „Was ist denn hier passiert?“

„Daran bin ich schuld“, erklärte die ältere Frau. „Ich bin gegen den Pfosten gefahren. Schreiben Sie bloß keinen vernichtenden Artikel! Das Hotel der Carmichaels ist einsame Spitze.“

Wie sie mit drohend erhobenem Zeigefinger dastand, erinnerte sie ihn an sein früheres Kindermädchen Adele. Von allen Kindermädchen, die seine ständig beschäftigten Eltern engagierten, war sie ihm als Einzige in Erinnerung geblieben. Unwillkürlich musste er lächeln. „Das würde mir nicht im Traum einfallen.“

Kinley legte der Frau die Hand auf die Schulter. „So was kann doch jedem passieren, Rhoda. Niemand macht dir einen Vorwurf. Wir sind alle froh, dass du nicht verletzt bist. Dan, das ist Rhoda Foley, unser Mädchen für alles.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs Foley.“

Kinley räusperte sich. „Geh doch schon mal rein, Rhoda, und mach dir eine schöne Tasse Tee. Logan kümmert sich um dein Auto.“

Logan, der gerade den Schaden am Eingang begutachtete, nickte.

„Darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen? Logan Carmichael.“

Obwohl die Familienähnlichkeit nicht zu verleugnen war, wirkte Logan viel verschlossener als seine Schwester. Seine braunen Augen blickten sorgenvoll, und seine markanten Gesichtszüge unter dem Dreitagebart sahen irgendwie verhärtet aus. Während Dan sich fragte, ob dieser Mann wohl auch lachen konnte, kam aus dem Seiteneingang eine kleine blonde Frau mit süßem Gesicht und engelsgleichem Lächeln. „Logan, soll ich die Handwerker für dich anrufen?“

Logan zuckte die Achseln. „Nein, die wissen schon Bescheid. Aber du kannst die Sache mit der Versicherung klären.“

„Dan, das ist unsere Schwester Bonnie“, sagte Kinley. „Bonnie, darf ich dir Dan Phelan vorstellen, den Reporter von der Zeitschrift Modern South? Er ist einen Tag früher gekommen.“

„Rhoda hat mir schon erzählt, dass Sie hier sind. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr Phelan. Willkommen in unserem Inn.“

„Danke, und bitte nennen Sie mich Dan.“

Anerkennend ließ er den Blick über das im altenglischen Stil erbaute Haus schweifen. Neben dem Eingangsbereich befand sich eine große Veranda, deren weiß lasierte Holzverkleidung den hellgrauen Anstrich des Hauses perfekt ergänzte. Die Eingangstür mit den Bleiglaseinlassungen war weinrot gestrichen. Sein Blick ging nach oben zu dem spitz zulaufenden, mit grauen Schindeln bedeckten Dach, das sich gegen den strahlend blauen Himmel abhob. Den spektakulären Hintergrund bildete die ferne Gebirgskette der Blue Ridge Mountains.

Mit zerknirschtem Blick deutete Bonnie auf den beschädigten Pfosten. „Wie Sie sehen, hatten wir heute Morgen ein kleines Malheur, aber das wird hoffentlich heute noch repariert. Bitte kommen Sie mit durch den Seiteneingang. Das Frühstück ist zwar schon abgeräumt, aber wir finden sicher noch was für Sie.“

„Danke, ich habe schon gefrühstückt.“

„Darf ich Ihnen wenigstens einen Kaffee anbieten?“

„Sehr gern. Ich hole nur eben mein Gepäck.“

„Soll ich Ihnen helfen?“, fragte Logan etwas widerwillig.

Dan musste sich ein Grinsen verkneifen, als er den strafenden Blick sah, den Kinley ihrem Bruder zuwarf. „Nein, danke, Sie haben mit der Reparatur genug zu tun.“

„Ich helfe Ihnen, die Sachen reinzubringen“, sagte Kinley schnell. „Zuerst zeige ich Ihnen Ihr Zimmer, und später machen wir dann die große Runde.“

„Ich freue mich schon darauf“, erwiderte Dan und sah ihr lächelnd in die Augen.

Einen Moment lang wirkte sie verlegen, doch dann nahm sie wieder ihre gewohnte Haltung an. „Kommen Sie, wir holen Ihr Gepäck.“

Während er Kinley durch den Seiteneingang ins Haus folgte, wurde Dans Blick sofort von den raumhohen Fenstern im Speisezimmer angezogen, die zum Garten hinausgingen. Er konnte sich gut vorstellen, an einem der runden Tische gemütlich einen Kaffee zu trinken und dabei in die Blumenpracht zu schauen.

Kinley führte ihn durch die Eingangshalle, die man normalerweise zuerst betrat, wenn der Haupteingang frei war. Durch die Bleiverglasung der Eingangstür strömte das Sonnenlicht und warf bunte Ornamente auf den Holzfußboden. Ein weiterer Blickfang war das zauberhafte Blumenarrangement auf dem antiken Empfangstresen. Daneben führte eine hölzerne Wendeltreppe nach oben.

„Sehr hübsch“, bemerkte er.

Er sah, dass Kinley ihn leicht amüsiert von der Seite anlächelte. In diesem Moment wirkte sie ganz natürlich, und er fand sie umso bezaubernder. Rasch rief er sich in Erinnerung, dass er nicht zum Vergnügen hier war, sondern eine Fotoreportage abzuliefern hatte. Vielleicht sollte er eine Runde joggen, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.

Kinley griff nach einem der Schlüssel am Brett hinter der Rezeption und steuerte die Treppe an. „Die Zimmer sind oben“, sagte sie und hängte sich seine Laptoptasche über die Schulter.

Er folgte ihr mit seinem kleinen Koffer und der Tasche mit der Fotoausrüstung. Sein Blick blieb unwillkürlich an ihren sanft schwingenden Hüften hängen, obwohl er sich die größte Mühe gab, nicht hinzusehen. Aber er hatte nun mal eine Schwäche für schmale Hüften und lange Beine …

Vielleicht sollte er nicht nur eine, sondern gleich mehrere Runden joggen. Er konnte förmlich die Stimme seiner Redakteurin hören, die zufällig seine Cousine war: Der Gastgeberin schöne Augen machen … kein guter Anfang für einen Auftrag.

Oben wandte Kinley sich nach rechts und schloss das Zimmer am Ende des Gangs auf. Sie öffnete die Tür weit und ließ ihn eintreten. Das Zimmer war blitzsauber und genauso geschmackvoll eingerichtet, wie er es erwartet hatte: Möbel aus dunklem Holz im Kolonialstil, zartgelbe Bettwäsche, ein antiker Sekretär und ein bequemer Ohrensessel. Auf dem Nachttisch stand eine Schale mit Obst und auf der breiten Fensterbank eine Vase mit frischen Blumen. Der Blick in den üppig blühenden Garten mit dem großen Springbrunnen war grandios.

Nachdem er sein Gepäck abgestellt hatte, zeigte Kinley ihm das angrenzende Badezimmer, das zwar klein, aber mit allem Komfort ausgestattet war.

„Ich muss sagen, es ist wirklich alles sehr schön.“

Mit dieser Bemerkung erntete er ein weiteres bezauberndes Lächeln. „Danke“, sagte Kinley. „Meine Schwester dekoriert wahnsinnig gerne und hat auch einen Großteil der Renovierungsarbeiten übernommen, bevor wir vor einem Jahr eröffnet haben.“

„Und Sie, was machen Sie gerne?“, fragte er und nahm ihr die Laptoptasche ab.

Ohne zu zögern antwortete sie: „Mir macht alles Geschäftliche Spaß. Marketing, Kundenkontakt, das Organisieren von Veranstaltungen. Das bedeutet immer wieder neue Herausforderungen, und das gefällt mir.“

„Das kann ich gut verstehen, mir geht es genauso“, erwiderte er und hielt ihren Blick fest. Ihre Augen funkelten derart vor Begeisterung, dass er sich fragte, was für andere Passionen wohl noch in ihr steckten. Schließlich war er ein gesunder, alleinstehender Mann.

Als ob sie ahnte, in welche Richtung seine Gedanken abschweiften, hob sie kaum merklich ihre linke Augenbraue.

Er räusperte sich. „Hatte Ihre Schwester nicht etwas von Kaffee gesagt?“

Für etwas Stärkeres war es leider noch zu früh.

Kinley nickte und wandte sich zur Tür. „Kommen Sie einfach runter ins Esszimmer, wenn Sie fertig sind. Dann trinken wir Kaffee und machen anschließend den versprochenen Rundgang.“

„Ich bin sofort unten.“ Vielleicht sollte er sich vorher noch kaltes Wasser über den Kopf laufen lassen.

„Wo ist er?“, flüsterte Bonnie aufgeregt, als Kinley die Treppe herunterkam. Von den übrigen Gästen war gerade niemand im Haus.

Kinley antwortete ebenso leise. „Er kommt gleich runter zum Kaffee, und dann mache ich mit ihm die Führung. Haben wir frischen Kaffee?“

Bonnie nickte. „Ich hab auch noch was vom Frühstück aufgewärmt, falls er Hunger hat.“

Kinley nickte ihr anerkennend zu.

Bonnie seufzte. „Er hätte sich ruhig einen etwas passenderen Termin aussuchen können.“

„Das kann man wohl sagen. Zudem bringt er meinen ganzen Zeitplan durcheinander.“

„Logan meinte, dass er mit der Reparatur vielleicht heute noch fertig wird.“

„Sehr gut“, murmelte Kinley etwas abwesend, während sie auf ihrem Smartphone herumtippte.

„Wie ein alter Knabe sieht er übrigens nicht aus.“ Bonnie kicherte.

„Ja, das ist mir auch aufgefallen.“ Kinley lachte etwas verlegen, ohne von ihrem Smartphone hochzublicken.

„Dachte ich mir.“ Bonnie grinste. „Auf jeden Fall bist du ihm aufgefallen.“

Kinley hüstelte und musste daran denken, wie er sie oben im Zimmer angesehen hatte.

Bevor sie auf die Anspielung ihrer Schwester eingehen konnte, waren von oben Schritte zu hören. Schnell warf sie Bonnie einen warnenden Blick zu, bevor sie sich mit strahlendem Lächeln zu Dan umwandte.

Von Neuem stockte ihr der Atem. Irgendetwas hatte dieser gut aussehende Typ an sich, das sie faszinierte wie seit … Sie konnte sich gar nicht mehr entsinnen, wann sie sich zuletzt für einen Mann interessiert hatte.

Doch die schwarze Kameratasche über seiner Schulter erinnerte sie daran, weshalb er hier war. Sie schob ihr Smartphone in die Hosentasche und wies ihm den Weg in den Speiseraum. „Bonnie hat frischen Kaffee gemacht und ein bisschen Gebäck aufgewärmt.“

„Klingt gut.“

Kinley lächelte vielsagend, denn Bonnies Backkunst war weithin berühmt. Gemeinsam würden sie es schon schaffen, Dan davon zu überzeugen, dass das Bride Mountain Inn einen enthusiastischen Artikel verdiente.

2. KAPITEL

Gerade als Kinley sich mit Dan am Kaffeetisch niedergelassen hatte, kam eine große, kräftig gebaute Frau durch die Seitentür hereingerauscht, gefolgt von einer kleineren, jüngeren Frau und einem Jungen im Vorschulalter.

Kinley unterdrückte einen Seufzer. Eva Sossaman hatte ihr gerade noch gefehlt. Am Wochenende würde die Hochzeitsfeier ihrer Tochter Serena hier stattfinden, und ständig fiel der Mutter etwas Neues ein.

„Da sind Sie ja!“, rief Eva aufgebracht und streckte drohend den Zeigefinger in Kinleys Richtung. „Ich muss mich über den Zustand des Inns beschweren.“

Kinley sammelte all ihre professionelle Kompetenz zusammen, stand auf und begrüßte die Kundin mit charmantem Lächeln. „Guten Morgen, Eva. Hallo Serena. Was können wir für Sie tun?“

„Wir wollten Fotos für Serenas Hochzeitsbuch machen“, erwiderte Eva. „Aber jetzt haben wir den Eingang gesehen. Sie wollen doch hoffentlich nicht unsere Gäste mit diesem Chaos da draußen konfrontieren?“ In all den Monaten, die sie wegen der Hochzeitsplanung zusammengesessen hatten, war es fast immer Eva gewesen, die alles bestimmte, während Serena sich den Wünschen ihrer Mutter unterordnete.

„Wir hatten heute Morgen einen kleinen Unfall, aber wir sind schon beim Reparieren. Wenn Ihre Gäste am Samstag hier eintreffen, wird wieder alles aussehen, als wäre nichts passiert.“

„Ich hoffe, Sie haben recht“, erwiderte Eva schnippisch. „Wir haben allen erzählt, dass Serenas Hochzeitsfeier in einem würdigen Rahmen stattfinden wird, und ich will auf keinen Fall, dass die Leute sich über uns lustig machen.“

„Das werden sie nicht“, mischte Bonnie sich ein und stellte sich neben ihre Schwester. „Alles ist perfekt für die Hochzeit vorbereitet, und der Wetterbericht sagt strahlendes Wetter voraus. Bestimmt wird es eine unvergessliche Feier.“

Bevor Eva wieder etwas einwenden konnte, sagte Kinley schnell: „Meine Damen, darf ich Sie mit Dan Phelan bekannt machen? Er ist Reporter beim Modern South und wird auf Ihrer Hochzeit Fotos für seine Reportage machen. Dan, das ist die Braut, Serena Sossaman, und ihre Mutter Eva.“

Evas grimmige Miene heiterte sich schlagartig auf. Ohne ihrer Tochter Gelegenheit zu geben, Dan zu begrüßen, streckte sie die Hand aus. „Schön, Sie kennenzulernen, Mr Phelan. Wir sind entzückt, Sie als Hochzeitsgast begrüßen zu können. Ich bin sicher, Sie werden eine wunderbare Reportage machen. Wir haben ein Jahr lang alles genauestens vorbereitet.“

Dan schüttelte ihr nur kurz die Hand und sagte in höflichem Ton: „Ich bin sicher, es wird eine wunderschöne Feier. Aber Sie müssen verstehen, dass ich vor allem eine Reportage über das Inn mache und über die lokalen Sehenswürdigkeiten. Die Hochzeit Ihrer Tochter wird nur ein Beispiel für den Service sein, der hier geboten wird.“

Ein schepperndes Geräusch ließ alle herumfahren. Evas kleiner Enkel hatte sich lautstark den Teller mit dem Gebäck herangezogen und stopfte sich genüsslich mehrere Kekse auf einmal in den Mund. „Grayson“, schimpfte Eva, „du sollst doch Oma fragen, bevor du etwas anfasst.“

Der Kleine hatte den Mund so voll, dass er nicht reden konnte. „Grayson ist mein Enkel, das Kind meines Sohnes“, sagte Eva zu Dan gewandt. „Er wird die Ringe tragen, nicht wahr, Liebling?“

Grayson grummelte etwas, das sich anhörte wie: „Hab Durst.“

„Ich hol dir ein Glas Milch“, bot Bonnie an, stellte ihm einen Stuhl hin und gab ihm eine Serviette. „Möchten Sie beide vielleicht einen Kaffee trinken? Oder einen Eistee? Und nehmen Sie sich ruhig von dem Gebäck.“

Froh über die Ablenkung, wandte Kinley sich an Dan. „Wollen wir inzwischen unsere Besichtigungstour machen? Wenn die Damen uns entschuldigen wollen.“

Sie fasste Dan am Arm, ohne Eva Gelegenheit zur Antwort zu geben, und schob ihn hinaus in die Eingangshalle.

Als sie allein waren, lächelte er sie vielsagend an. „Eine anspruchsvolle Kundin, was?“

Da Kinley niemals über einen Kunden lästerte, lächelte sie nur kaum merklich. „Wir tun unser Bestes, alle Kunden zufriedenzustellen. Ich bin sicher, Serena und ihre Mutter werden mit unserem Service sehr zufrieden sein.“ Sie machte eine ausholende Geste. „Ich dachte, wir beginnen drinnen und gehen dann in den Garten.“

Sofort ging Dan auf den Themawechsel ein und nahm die Kamera aus seiner Schultertasche. „Möchten Sie sich neben die Rezeption stellen? Dann mache ich gleich ein paar Fotos. Dieser Kronleuchter ist übrigens wunderschön.“

Kinley strich unwillkürlich ihre Strickjacke glatt, während sie sich vor dem Empfangstresen aufstellte. Zum Glück war ihre Garderobe immer für ein Zeitungsfoto geeignet, auch wenn sie nicht speziell darauf vorbereitet war. Allenfalls hätte sie sich noch etwas mehr geschminkt.

„Ja, der stammt noch aus dem alten Inn.“

„Ich habe die Geschichte gelesen, die Sie mir zugemailt hatten“, erwiderte er, während er sie mit der Kamera ins Visier nahm. „Ihr Urgroßvater hat das Haus in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut und ihn mit seiner Frau geführt, bis sein Sohn, Leo Finley, ihn übernahm. Leo hat ihn nach dem Tod seiner Frau vor zwanzig Jahren aufgegeben, und Sie haben ihn mit Ihren beiden Geschwistern vor eineinhalb Jahren neu eröffnet.“

Sie lächelte zustimmend. „Richtig.“

Nachdem er ein paar Fotos gemacht hatte, sah er sie an. „Ich versuche immer, mich vorzubereiten.“

Sie nickte. „Das ist auch mein Motto.“

Er lachte leise. „Was mich kein bisschen überrascht.“

Sie lächelten sich offen an. Es war ein Moment des gegenseitigen Einverständnisses, als ob sie sich schon lange kennen würden. Leicht verlegen wandte Kinley sich der Treppe zu. „Wir haben oben acht Zimmer, alle ähnlich wie Ihres. Hier im Erdgeschoss gibt es zwei barrierefreie Zimmer. Auf kleine Kinder sind wir nicht eingestellt, deshalb vermieten wir nur an Gäste mit Kindern ab zwölf Jahren. Familien mit kleinen Kindern verweisen wir an andere Hotels am Ort.“

„Ein zusätzlicher Anreiz für Leute, die ihre Ruhe haben wollen.“

Sie nickte. „Bonnie hat eine Wohnung im Souterrain mit Extraeingang.“

„Und Sie wohnen nicht hier?“

Sie schüttelte den Kopf und führte ihn durch den Salon. „Manchmal schlafe ich unten bei Bonnie, besonders wenn es morgens früh losgehen soll, aber ich habe in der Nähe ein Haus gemietet.“

„Und Ihr Bruder?“

„Logan wohnt in dem Cottage des früheren Verwalters ganz am Ende des Grundstücks, am Fuß des Hügels.“

Dan nickte nachdenklich. „Sie arbeiten zusammen, haben aber privat getrennte Bereiche. Gute Idee.“

Sie lächelte leise. „Wir sind uns alle bewusst, dass man Freiraum braucht, um sich nahebleiben zu können.“

„Ich habe keine Geschwister, aber mir scheint, das ist eine vernünftige Philosophie.“

Kinley grüßte die beiden Männer, die auf einem der kleinen Sofas im Salon saß. Sie waren mit einem Tablet beschäftigt, das einer von beiden in der Hand hielt. Jetzt blickten sie hoch.

„Dan, das sind Travis Cross und Gordon Monroe, die für ein paar Tage hier Ferien machen. Meine Herren, darf ich Ihnen Dan Phelan vorstellen? Er ist Reisejournalist.“

Nachdem ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht worden waren, erklärte Gordon: „Travis und ich haben gerade nachgesehen, welche Sehenswürdigkeiten es hier gibt. Wir werden runter nach Wytheville fahren und ein Museum besichtigen.“

„Gute Idee“, versicherte Kinley. „Wytheville ist ein sehr hübsches Städtchen mit historischem Stadtkern.“ Sie würde Dan ermutigen, es in seinem Artikel zu erwähnen.

Travis und Gordon ließen sich bereitwillig fotografieren, während Kinley sich mit ihnen unterhielt.

Am Ende des Raums befanden sich zwei Spieltische, und in dem Regal daneben war ein Sortiment verschiedener Gesellschaftsspiele ausgelegt. Kinley erzählte Dan, dass viele Gäste sich abends an den Tischen versammelten, um zu spielen und sich zu unterhalten. „Die Gäste lieben es, die alten Spiele aus ihrer Kindheit wieder zu entdecken.“

„Ich würde gern die Gäste beim Spielen fotografieren, falls niemand was dagegen hat. Ich spiele selbst für mein Leben gern.“

Das überraschte Kinley nicht. Sie hatte den Eindruck, dass Dan ein geselliger Mensch war. Sicher kam ihm das bei seinen vielen Reisen zugute, wenn er Interviews für seine Reportagen machen musste.

„Wollen wir draußen weitermachen?“

„Gern.“ Sein Lächeln war so umwerfend, dass ihr jedes Mal von Neuem ein Schauer durch den Körper lief.

Eigentlich war sie nur an dem Artikel interessiert gewesen. Dass der Reporter sie derart beeindruckte, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Von seinen blauen Augen war sie so verwirrt, dass sie kaum noch klar denken konnte. Und als er ihr die Hintertür aufhielt und sie dabei leicht an der Schulter berührte, rieselte es ihr heiß und kalt den Rücken hinunter.

Dan hörte mit gebührender Aufmerksamkeit zu, während Kinley ihm die Gartenanlagen erklärte. Sie wies auf die einladend platzierten Bänke und Sitzgruppen und den lauschigen Winkel, den sie Meditationsgarten nennen wollten. Ein kleiner Fischteich, von Skulpturen gesäumt, sollte dort noch entstehen. Dahinter war der Ausgangspunkt für einen Wanderweg, der durch den Wald über den Bride Mountain Hill und wieder zurück zum Inn führte.

Dan machte ein Foto von dem Wegweiser. „Ich nehme an, Sie sind selbst schon mal da gewandert?“

Sie lachte. „Ja, den Weg könnte ich blind gehen. Als Kinder haben meine Geschwister und ich es geliebt, dort herumzustromern.“

Während sie sprach, lehnte er sich an eine Eiche und betrachtete ihr Gesicht. „Das Hotel muss dann aber bald geschlossen worden sein, oder? Erinnern Sie sich noch daran, dass Gäste hier wohnten?“

Sie blickte zum Haus zurück. Auf der Terrasse waren Schaukelstühle aufgereiht, so wie damals. Sie sah sich noch als Kind mit ihrer verstorbenen Mutter dort sitzen und Limonade trinken, um sie herum die beruhigenden Geräusche eines trägen Sommernachmittags. Ein Bild voll süßer Melancholie. Noch immer tat es weh, wenn sie an ihre Mutter dachte.

„Ja, ich kann mich noch ganz gut erinnern. Ich war elf, als mein Großonkel Leo das Inn aufgab. Er hat den Tod von Tante Helen nie ganz verwunden. Sie war eine bezaubernde Frau, und er hat sie vergöttert. Er hat sich immer sehr gefreut, wenn wir ihn besuchten. Seine Ehe war kinderlos geblieben, und wir waren für ihn seine Familie.“

„Kommt Ihre Mutter noch oft zu Besuch?“

„Sie ist vor drei Jahren gestorben, ein Jahr vor Onkel Leo. Sie war erst achtundfünfzig.“ Obwohl Kinley versuchte, neutral zu sprechen, war die Trauer in ihrer Stimme offenbar nicht zu überhören, denn Dan sah sie mitfühlend an und legte ihr spontan die Hand auf die Schulter. „Das tut mir sehr leid, Kinley.“

Sie spürte seine Berührung warm und wohltuend durch den dünnen Stoff ihrer Kleidung. „Danke“, sagte sie und schluckte schwer. Dann bückte sie sich, um einen Grashüpfer von ihrem Schuh zu stupsen.

„Und Ihr Vater, lebt er noch?“

Sie nickte und straffte die Schultern. „Dad ist ein ruheloser Geist. Er und Mom haben sich scheiden lassen, als ich sieben war. Seitdem ist er viel in der Welt herumgereist. Wir sehen ihn meistens einmal im Jahr, und ab und zu ruft er an.“

Die Geschwister hatten sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass ihr Vater sich nie ändern würde, und dass sie ihn so nehmen mussten, wie er ist. Liebenswürdig, aber distanziert. Für Logan war es nicht leicht gewesen, ohne Vater aufzuwachsen. Obwohl er das nie zugeben würde. Und Bonnie hatte sich vielleicht so eng an Großonkel Leo angeschlossen, weil ihr der Vater fehlte. Was Kinley selbst anging, so fragte sie sich manchmal, ob ihre unbefriedigende Vaterbeziehung etwas mit dem Scheitern ihrer Ehe zu tun hatte.

„Und keins der Kinder hat die Abenteuerlust des Vaters geerbt?“

„Ich vermute nein. Von Tennessee nach Virginia zu ziehen, um das Inn zu übernehmen, war bereits ein großes Abenteuer für uns.“ Sie lachte trocken.

„Dann habe ich mit Ihrem Vater wohl etwas gemeinsam, denn ich werde auch unruhig, wenn ich zu lange am selben Ort bin.“

Wieso versetzte ihr diese Bemerkung einen Stich? „Sind Sie deshalb Reisejournalist geworden?“

Er lächelte breit. „Ja, aber auch, weil mein Cousine Chefredakteurin bei der Zeitung ist, für die ich arbeite. Ich habe also meine Karriere der Familienbeziehung zu verdanken. So wie Sie und Ihre Geschwister.“

Sie sah ihn aus schmalen Augen an. Seine Bemerkung war scherzhaft gemeint, reizte sie aber dennoch zum Widerspruch. „Vielleicht haben wir den Job unserem Erbe zu verdanken, aber den Erfolg haben wir uns selbst erarbeitet.“ Ihre Stimme klang nicht ganz so lässig wie beabsichtigt.

„Es ist offensichtlich, dass Sie alle drei hier extrem hart arbeiten. So war das auch gar nicht gemeint.“

Er wirkte so zerknirscht, dass sie wieder weich wurde. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt, wo die Hochzeiten abgehalten werden.“

Er schien erleichtert. „Ja, gern.“

Sie erklärte ihm, dass die Hochzeitsgäste über die Terrasse hinter dem Haus in den Garten kämen und dann über den Kiesweg zum Pavillon defilierten. Rundum wäre alles mit Girlanden, Blumen und Lichterketten geschmückt, je nach dem individuellen Geschmack der Brautleute.

Dan nickte. „Ich stelle mir das sehr schön vor.“

„Ja, das ist es. Wir haben schon einige wunderbare Hochzeiten hier abgehalten, und für die nächsten Monate sind wir praktisch ausgebucht.“ Sie versuchte, nicht allzu prahlerisch zu klingen, konnte jedoch nicht verhindern, dass ein wenig Stolz in ihrer Stimme mitschwang. „Wir bieten verschiedene Hochzeitsarrangements an. Das volle Programm mit Trauung oder auch nur die Feier danach, je nachdem, was die Kunden möchten. Auf der großen Wiese da drüben können wir ein Zelt für bis zu hundertfünfzig Gäste aufstellen, sogar mit Bühne für eine Musikkapelle.“

Dan blickte in die angedeutete Richtung und sah eine gepflegte Rasenfläche, zu der drei Steinstufen hochführten, daneben war eine Rampe für Rollstuhlfahrer. „Sah es bei Ihrem Onkel auch schon so aus?“, fragte er.

Sie lächelte. „Es sah ein bisschen anders aus, aber auch sehr schön. Tante Helen war eine begnadete Gärtnerin.“

„Was haben Sie drei eigentlich vorher gemacht? Hatten Sie jemals damit gerechnet, das Inn wieder zu eröffnen?“

Sie bückte sich, um einen abgebrochenen Rosenzweig aufzuheben. War da jemand unachtsam vorbeigestreift? Oder war es wieder der Hund ihres Bruders gewesen – ihr Albtraum? Logan hatte versprochen, den Hund übers Wochenende einzusperren, aber Ninja schaffte es, selbst die sichersten Absperrungen zu überwinden.

Sie riss sich zusammen und beantwortete Dans Frage. „Bonnie zumindest hat schon als Kind davon geträumt, irgendwann die Frühstückspension zu führen. Sie hat extra die Hotelfachschule absolviert und ein paar Jahre in einem angesehenen Hotel in Knoxville gearbeitet, um sich vorzubereiten.“

Dan deutete mit dem Kopf zu dem Cottage des Verwalters, das vom Pavillon aus zu sehen war. „Und Ihr Bruder, hat der auch davon geträumt?“

„Logan ist Programmierer und hatte eine eigene Internetfirma, war aber bereit, etwas Neues anzufangen. Von Zeit zu Zeit nimmt er noch kleinere Beratungsaufträge an. Er hat die Pläne für das Haus gezeichnet und den Umbau überwacht. Den Garten hat er ebenfalls konzipiert und angelegt.“

„Scheint mir sehr vielseitig zu sein, Ihr Bruder. Ihn würde ich gern ebenfalls interviewen.“

„Oh, ich glaube nicht, dass er dazu bereit ist. Er hält sich lieber im Hintergrund.“

„Sie sagten vorhin, dass es Ihnen großen Spaß macht, alles Geschäftliche zu regeln. Was sind Sie denn von Beruf?“

„Ich habe Betriebswirtschaft studiert und nach dem Studium als Immobilienmaklerin gearbeitet. Hin und wieder übernehme ich noch immer Aufträge für einen Makler.“

„Sie und Ihr Bruder arbeiten also beide noch nebenher.“

„Im Moment ja. Wir mögen es beide, verschiedene Sachen zu machen.“

Noch waren sie auf das zusätzliche Einkommen angewiesen, und ob das Inn irgendwann alle drei ernähren würde, stand in den Sternen. Aber das brauchte Dan nicht zu wissen.

Inzwischen waren sie am Springbrunnen angekommen, dessen Wasser von einem zwei Meter hohen Becken stufenförmig in kleinere Bassins plätscherte. „Das hört sich nach mehr als einem Achtstundentag an.“

„Ja, wir arbeiten eigentlich rund um die Uhr“, erwiderte sie lächelnd.

„Und was tun Sie, um sich zu entspannen?“

„Mir macht die Arbeit so viel Spaß, dass ich gar keine anderen Tätigkeiten brauche.“

Dan schüttelte leise lachend den Kopf. „Das habe ich nicht gemeint.“

Geistesabwesend fischte Kinley ein Blatt aus einem der Bassins, während sie überlegte, womit sie ihren Gast weiter unterhalten sollte. Alles Wesentliche hatte sie ihm erklärt und gezeigt, und sie musste vor dem Mittagessen noch ein paar Dinge erledigen. Von der Vorderfront des Inns waren Klopfgeräusche zu hören, die darauf hindeuteten, dass die Reparatur im Gange war.

Ihr Smartphone piepte diskret und erinnerte sie an einen Termin. Schnell drückte sie den Ton weg.

„Bitte lassen Sie sich Ihren Tagesablauf von mir nicht durcheinanderbringen. Schließlich haben Sie mich erst morgen erwartet. Ich kann mich für den Rest des Tages selbst beschäftigen.“

„Hu-hu, Kinley, da sind Sie ja!“, gellte Eva Sossamans durchdringende Stimme durch den friedlichen Garten. „Haben Sie auch daran gedacht, die Blumengirlanden für die Terrasse zu bestellen? Für den Cocktail nach der Probe?“, rief sie, während sie mit Tochter und Enkel im Schlepptau anmarschiert kam.

Nur mühsam unterdrückte Kinley ein genervtes Stöhnen. „Selbstverständlich, Eva“, sagte sie betont höflich. „Alles ist für die Hochzeit bereit. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen wollen, Mr Phelan und ich haben noch einen Termin. Falls Sie noch etwas brauchen, sagen Sie es bitte Bonnie oder Rhoda.“

„Ja, natürlich.“ Eva machte ein enttäuschtes Gesicht. Vielleicht hatte sie gehofft, noch ein wenig mit dem gut aussehenden Reporter plaudern zu können.

Kinley nickte Dan unauffällig zu, ihr zu folgen, als hinter ihr plötzlich ein Platschen zu hören war. Alle Köpfe drehten sich in Richtung Springbrunnen, wo Grayson im untersten Becken stand und im Wasser herumstapfte, um eine der Münzen zu ergattern, die Leute manchmal in den Brunnen warfen.

Eva schrie auf. „Grayson, was machst du da? Das darf doch nicht wahr sein! Serena, hol ihn sofort da raus.“

Aber Dan hatte den Kleinen schon mit einem geschickten Handgriff gepackt und auf den Boden gestellt. Über den Kopf des triefenden Jungen hinweg lächelte er Kinley an, die verlegen den Blick abwandte und schnell ihr Smartphone zur Hand nahm. „Eva, ich sage Rhoda Bescheid, dass sie Handtücher holt und Ihnen hilft, Grayson abzutrocknen.“

Serena schnappte den Kleinen, der kein bisschen zerknirscht aussah, und zog ihn in Richtung Haus.

Kinley atmete tief durch, erleichtert, dass die beiden Frauen wohl nun mit dem Kind nach Hause fahren würden.

„Wir haben also einen Termin?“, fragte Dan mit amüsiertem Lächeln.

„Was anderes ist mir so schnell nicht eingefallen, um Eva loszuwerden.“

Er lachte leise, ein tiefes, warmes Lachen, das in ihrem Bauch ein seltsames Kribbeln auslöste.

Vom Haus her waren Stimmen zu hören, und Kinley ging auf die Vierergruppe zu, die gerade aus dem Seiteneingang kam. Zu Dan sagte sie halblaut: „Das ist der Termin, von dem ich gesprochen habe.“

Lächelnd begrüßte sie die Gäste und stellte sie dann Dan vor. „Stephanie Engel und ihr Verlobter Richard Molaro, Stephanies Mutter Faye Engel und ihre Schwester Jennifer Vines.“ Sie deutete auf Dan: „Und das ist Dan Phelan, Reisejournalist beim Modern South. Stephanie und Richard überlegen, ob sie ihre Hochzeit im Bride Mountain Inn feiern möchten.“

„Es ist wirklich ein wunderbarer Ort für eine Hochzeit“, sagte Dan mit gewinnendem Lächeln.

„Oh ja, das finden wir auch“, entgegnete Richard mit verliebtem Blick auf seine Verlobte. „Wir würden heute gern das Datum festlegen und das Organisatorische mit Ihnen besprechen.“

Erfreut, dass die Kunden sich offensichtlich bereits entschieden hatten, sagte Kinley lächelnd: „Wollen wir gleich in mein Büro gehen? Dan …“

„Wir sehen uns später. Ich muss noch ein paar Notizen machen“, sagte er und verabschiedete sich mit charmantem Lächeln von den Gästen. „Bestimmt wird es eine zauberhafte Hochzeit, so bezaubernd wie die Braut.“ Er zwinkerte der jungen Frau zu, die daraufhin glühend rot wurde und schnell durch die Tür ging, die Kinley ihr aufhielt.

Kinley blieb noch kurz stehen und fragte Dan: „Haben Sie Lust, mit mir zu Mittag zu essen?“

„Ja, gern.“

„Dann treffen wir uns um zwölf hier in der Halle, und ich lade Sie ins Bride Mountain Café ein.“

Eine Stunde würde wohl für die Besprechung mit den Kunden genügen. Zum Café ihrer Freundin Liza Miller waren es nur zwanzig Minuten Fußweg, ein schöner Spaziergang zurück zum Inn, wenn die Gäste satt und zufrieden das Lokal verließen. Dan würde Lizas Café bestimmt lobend in seinem Artikel erwähnen.

„Prima. Bis dann.“ Leichtfüßig lief er die Treppe hoch in sein Zimmer.

Kinley ertappte sich dabei, dass sie ihm gedankenverloren nachblickte, bevor sie sich erschrocken zusammenriss. Hier ging es doch um eine rein geschäftliche Angelegenheit, oder? Aber wieso freute sie sich dann so sehr auf den Lunch?

Die Besprechung mit den neuen Kunden verlief außerordentlich befriedigend. Als die Gruppe nach einer Stunde das Hotel verließ, lächelten sich Kinley und Bonnie zufrieden an. „Das wird ein Riesenauftrag“, jubelte Kinley. „Und diesmal scheinen es ziemlich pflegeleichte Kunden zu sein.“

Noch ein paar solcher Buchungen, und sie wären aus dem Gröbsten raus. In einem Jahr könnten sie vielleicht schon über einen Ausbau nachdenken. Ein paar Cottages für Flitterwöchner wären schön.

„Na, so fröhlich?“, fragte Dan, der gerade die Treppe herunterkam.

Bonnie kicherte, während Kinley sofort ihre geschäftsmäßige Miene aufsetzte. „Dan und ich gehen zum Lunch ins Café. Willst du mitkommen?“

„Danke, aber ich hab noch einiges zu tun. Dan, falls Sie noch etwas brauchen oder fragen wollen, ich bin den ganzen Nachmittag hier.“

„Danke. Mein Zimmer ist übrigens sehr komfortabel. Sie haben alles fantastisch eingerichtet.“

Bonnie wurde rot vor Stolz, und Kinley dachte bei sich, dass dieser Dan ganz genau wusste, wie man Frauen um den Finger wickelt.

Sie räusperte sich. „So, dann gehen wir mal. Bis später, Bonnie.“

„Viel Spaß euch beiden.“

War da nicht ein anzüglicher Unterton in Bonnies Stimme? Kinley warf ihrer Schwester einen argwöhnischen Blick zu, aber Bonnie lächelte ganz unschuldig.

Inzwischen war es angenehm warm geworden, und eine sanfte Brise blies Kinley durchs Haar. „Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang, oder wollen wir lieber fahren? Wir haben auch Fahrräder.“

„Das überlasse ich ganz Ihnen“, erwiderte Dan galant.

„Dann gehen wir zu Fuß. Es ist ein so schöner Tag.“ Die Bewegung und die frische Luft würden ihr guttun. Wenn er sie allerdings weiter mit seinen strahlend blauen Augen ansah, konnte von Entspannung keine Rede mehr sein.

3. KAPITEL

Entlang des Wegs standen die Bäume in voller Blüte, und darüber strahlte ein tiefblauer, wolkenloser Himmel. Dan hätte sich keinen schöneren Tag für einen Spaziergang mit der attraktiven Kinley Carmichael vorstellen können.

Das Bride Mountain Café war ihm bereits bei der Herfahrt aufgefallen. Es wirkte sehr einladend, und die vielen Autos davor deuteten darauf hin, dass man hier gut essen konnte. Dass das nächste Lokal fünf Kilometer entfernt lag, trug sicher auch zur Beliebtheit des Cafés bei.

An diesem Donnerstagmittag war das Lokal gut besucht, aber nicht überfüllt, und sie fanden gleich einen Platz. Kinley schien alle zu kennen, die hier arbeiteten, und auch einige der Gäste, denn viele grüßten und winkten. Eine Frau in den Dreißigern mit aufwendig gestyltem Haar und warmen braunen Augen reichte ihnen die Speisekarte.

„Mary, ist Liza auch da? Ich möchte sie gerne mit Dan Phelan bekannt machen.“

„Nein, sie hat eine Verabredung in der Stadt“, erwiderte Mary, bevor sie zum Nachbartisch weiterging, um eine Bestellung aufzunehmen.

Kinley sah Dan über den Tisch hinweg an. „Liza Miller, die Besitzerin, ist eine gute Freundin von mir. Ich hoffe, Sie haben noch Gelegenheit, sie kennenzulernen.“

„Sicher komme ich in den nächsten Tagen nochmal her. Dann kann ich mich selbst vorstellen. Falls Sie nicht auch dabei sind“, fügte er lächelnd hinzu. „Auf jeden Fall werde ich das Café in meinem Artikel erwähnen.“

Kinley erklärte ihm, dass sämtliche Gerichte frisch zubereitet würden und sogar das Brot eigenhändig gebacken würde. „Das Café ist von Montag bis Samstag zum Mittag- und Abendessen geöffnet, und die Gäste aus dem Inn nehmen meistens hier ihre Mahlzeiten ein. Sonntags können sie sich bei uns im Inn verköstigen. Wir bieten ein großes Brunch-Büfett und ein leichtes Abendessen.“

„Ich sehe, Sie haben alles perfekt organisiert.“

Sie ignorierte den ironischen Unterton. „Zumindest versuchen wir es.“

Er studierte die Speisekarte. „Was können Sie denn empfehlen?“

„Ich nehme das Tagesgericht: den Hühnereintopf mit der gefüllten Teigtasche. Mein Bruder mag die überbackene Kartoffelsuppe mit Schinken. Bonnie die Minestrone mit frittierten Auberginen. Es ist alles lecker, Sie können nichts falsch machen.“

Nachdem sie bestellt hatten, fragte Kinley: „Wieso sind Sie eigentlich einen Tag früher gekommen?“

Er lachte leise. „Das ist eine längere Geschichte. Die Kurzversion ist: Ich bin gestern von Atlanta nach Charlotte gefahren, weil ich eine Museumskuratorin interviewen wollte. Die hat aber heute Morgen kurzfristig abgesagt, also bin ich kurzerhand gleich hierher gefahren. Sonst hätte ich noch eine Nacht in dem ungemütlichen Motel in Charlotte verbringen müssen. Ich dachte, vielleicht finde ich ein Zimmer hier in der Gegend, aber zum Glück hatten Sie ja was frei. Bei Ihnen werde ich garantiert besser schlafen.“

„Das hoffe ich.“ Sie schob ihre Ärmel hoch, weil ihr plötzlich heiß wurde.

„Übrigens herzlichen Glückwunsch zu dem neuen Auftrag“, bemerkte Dan. Das unverstellte, freudige Lächeln, das Kinley mit ihrer Schwester getauscht hatte, stand ihm noch deutlich vor Augen. Gern würde er diese unbefangene Seite von ihr besser kennenlernen.

„Danke“, erwiderte Kinley. Das Essen kam, und sie fing an, ihren Eintopf zu löffeln. „Gibt es noch etwas, das Sie gerne wissen möchten?“

„Ja, schon.“

Sie nickte ihm aufmunternd zu.

„Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“, fragte er und aß genüsslich von seinem Kartoffelauflauf.

Zwischen Kinleys perfekt geschwungenen Augenbrauen erschien eine zarte Falte. „Moosgrün. Das ist die Farbe, die wir für den oberen Flur gewählt haben.“

„Und Ihre Lieblingssüßigkeit?“

„Das selbstgemachte Erdnusskrokant meiner Schwester. Die Gäste sind süchtig danach.“

„Ihre Lieblingsmusik?“

„Hm“, sie räusperte sich. Diese Frage hatte mit dem Inn nun gar nichts zu tun. „Das ist doch eher eine …“

„Was mögen Sie lieber, Football oder Fußball?“

Sie lachte leise. „Ich bin in Tennessee aufgewachsen, also Football.“

Er lächelte sie breit an. „Sie haben also tatsächlich Interessen abseits Ihrer Arbeit.“

„Natürlich.“ Sie tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. „Aber Sie wollen doch nicht über mich schreiben. Meine Geschwister und ich sind gleichberechtigte Partner.“

„Nur noch eine persönliche Frage: Gibt es einen Mr Kinley?“

Diese Antwort interessierte ihn besonders, denn er wollte wissen, ob er weiter mit ihr flirten durfte.

„Nicht mehr“, versetzte sie so knapp, dass er es vorzog, nicht weiter in sie zu dringen.

„Erzählen Sie mir mehr über die Geschichte des Inns. Sie haben erzählt, dass der Onkel Ihrer Mutter ihn von seinem Vater geerbt hat.“

Erleichtert, wieder auf neutralem Terrain zu sein, nickte Kinley. „Ja, mein Urgroßvater hatte zwei Söhne, Leo und Stuart, den Vater meiner Mutter. Stuart starb, als meine Mutter ein Baby war. Meine Großmutter wollte nicht in Virginia bleiben und ist mit ihrer kleinen Tochter zu ihrer Familie nach Tennessee zurückgezogen. Dort hat sie wieder geheiratet und zwei weitere Kinder bekommen. Zum Inn ist sie nie mehr zurückgekommen. Aber meine Mutter hat als Kind und Jugendliche sämtliche Ferien hier bei ihren Großeltern und Onkel Leo und Tante Helen verbracht. Später ist sie dann häufig mit uns Kindern hierher gefahren. Da waren meine Urgroßeltern schon tot, und Onkel Leo hatte das Inn übernommen.“

„Ich finde es toll, dass Sie die Familientradition weiterführen. Bestimmt wäre Ihre Mutter stolz darauf, was Sie und Ihre Geschwister in den letzten zwei Jahren hier geleistet haben.“

„Ja, das glaube ich auch“, erwiderte Kinley ruhig. „Und Onkel Leo wäre auch stolz.“ Sie musterte ihn prüfend. „Leben Ihre Eltern noch?“

„Ja.“ Er sah keine Notwendigkeit, von dem angespannten Verhältnis zu seinen Eltern zu erzählen.

„Sie sind doch sicher auch stolz auf sie. Nachdem Sie mich kontaktiert hatten, habe ich etliche Ihrer Artikel gelesen. Sie schreiben wirklich sehr gut und schildern Ihre Reiseerlebnisse auf so lebendige Art, dass man sich regelrecht in die Orte hineinversetzt fühlt.“

Ihr Kompliment schmeichelte ihm. Für seine ehrgeizigen Eltern war das, was er tat, allerdings nur unnützes Geschreibsel.

Mary räumte den Tisch ab und enthob ihn fürs Erste einer Antwort. „Haben Sie noch Platz für ein Dessert?“, fragte Mary. „Wir backen die besten Torten in ganz Virginia.“

„Das kann ich nur bestätigen“, sagte Kinley.

„Heute schaffe ich nichts mehr. Aber ich probiere die Torten gern ein andermal.“

„Das müssen Sie unbedingt.“

„Ich verspreche, mindestens zwei Sorten zu probieren, bevor ich abreise.“

„Kinley, hast du deinem Freund eigentlich schon von unserer Geisterbraut erzählt?“

Dan hob fragend eine Augenbraue.

Kinley gab einen Laut von sich, der wie ein unterdrückter Protest klang. „Nein, wir haben noch nicht über die alten Legenden gesprochen, und ich glaube auch nicht, dass Dan an so was Interesse hat.“

Mary zwinkerte Dan zu. „Wenn Kinley Ihnen nichts erzählen will, kommen Sie morgen zu mir. Dann können Sie gleich unsere Torten probieren.“

„Ich werd’s ihm schon noch erzählen.“ Kinley stand auf. „Es ist eine abstruse Geschichte, nicht sonderlich aufregend.“

Er stand ebenfalls auf. „Ich würde sie trotzdem gern hören.“ Beim Hinausgehen sagte er zu Mary. „Das Essen war übrigens köstlich. Ich komme auf jeden Fall nochmal her.“

„Liza würde Sie sicher auch gern kennenlernen. Wiedersehen, und einen schönen Tag noch.“

Auf dem Rückweg fragte Dan: „Was ist denn nun dran an dieser Gespenstergeschichte?“

Kinley zog die Nase kraus. „Ach, wahrscheinlich hat irgendjemand sich mal gefragt, was der Bride Mountain Hill mit einer Braut zu tun hat, und dann die Geschichte erfunden. Und daraufhin haben Leute, die empfänglich für solche Gruselgeschichten sind, in dem Morgennebel einen Brautschleier gesehen. Nach meiner Theorie geht der Name auf den früheren Landbesitzer zurück. Es gibt hier etliche Familien mit dem Namen McBride.“

„Kennen Sie Leute, die die Geisterbraut gesehen haben wollen?“

Er hörte, wie sie sich räusperte, bevor sie antwortete: „Ja, mein Onkel Leo. Er hat fest behauptet, er und Tante Helen hätten die Braut im Rosengarten gesehen, als er ihr einen Heiratsantrag gemacht hat.“

„Tatsächlich?“

„Schon als Kind habe ich geargwöhnt, dass er uns nur ein Märchen erzählt. Aber Bonnie wollte die Geschichte immer wieder hören, und er hat sie jedes Mal ein bisschen mehr ausgeschmückt.“

Er blieb stehen und sah ihr ins Gesicht. „Wieso ist es Ihnen so unangenehm, darüber zu reden?“

Sie strich sich das vom Wind zerzauste Haar aus dem Gesicht. „Der Hauptgrund ist, dass ich nicht an Gespenster glaube.“

„Mögen Sie auch keine Märchen?“

„Nicht sonderlich“, gab sie zu.

Interessant, fand Dan. Hatte der frühere Mr Kinley sie derart desillusioniert? Was ihn anging, glaubte er die Geschichte sofort, denn über diesem Ort musste ein geheimer Zauber liegen. Wie sonst war es zu erklären, dass diese Kinley Carmichael ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte?

„Aber Sie könnten die Geschichte doch gut für Ihr Geschäft nutzen. Bestimmt würden dann noch mehr Brautleute ihre Hochzeit hier feiern wollen.“

Sie schüttelte vehement den Kopf. „In den neunzehnhundertsechziger Jahren hat eine Frau mit angeblich übersinnlichen Fähigkeiten behauptet, sie hätte mit der Geisterbraut gesprochen. Die Story wurde von einem obskuren Magazin aufgegriffen und veröffentlicht, und das hat eine Menge Probleme nach sich gezogen.“

„Welcher Art denn?“

Sie zuckte die Achseln. „Na ja, das war damals die Hippiezeit, und viele Freaks sind hergekommen und haben wild auf dem Gelände gecampt in der Hoffnung, die Geisterbraut zu sehen. Und dann gab es Leute, die sich interessant machen wollten, und die behaupteten, sie hätten die Braut gesehen. Oder Brautleute, die ganz bestürzt waren, weil sie den Geist nicht gesehen haben. Als sei das ein schlechtes Omen für ihre Ehe. Deshalb versuche ich, die Legende herunterzuspielen, wenn jemand mich danach fragt. Ich kann Sie natürlich nicht daran hindern, in Ihrem Artikel darüber zu schreiben, aber ich hoffe, Sie machen keinen Aufhänger daraus.“

„Ich habe schon Serien über Orte geschrieben, an denen es spukt, und werde das sicher noch öfters machen. Aber in der jetzigen Serie geht es um schöne Orte zum Heiraten. Falls ich denke, dass eine kleine Anspielung auf die Legende meinen Artikel interessanter macht, werde ich das natürlich nutzen.“

Er merkte, dass sie nicht ganz zufrieden mit seiner Antwort war. „Mir wäre es lieber, das Inn wäre für seine Annehmlichkeiten bekannt und nicht wegen alter Gespenstergeschichten.“

Er lächelte ein wenig spöttisch. „Sie wollen auch immer alles genauso haben, wie es Ihnen gefällt, stimmt’s?“

Einen Moment lang wirkte sie betroffen, dann lächelte sie. „Tut das nicht jeder?“

„Doch, wahrscheinlich schon. Eigentlich mache ich es genauso.“ Spontan blieb er stehen und streichelte ihre Wange.

Sie betrachtete aufmerksam sein Gesicht, als überlege sie, was sie dazu sagen sollte. „Lassen Sie uns zurückgehen. Ich habe noch viel zu tun.“

Er nickte, drehte sich aber aus einem Impuls heraus um, und was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Es war zwar kein Gespenst, das da mit bedrohlichem Knurren auf ihn zukam, aber eine Kreatur, die einem Höllenhund ähnelte. Unwillkürlich stellte er sich schützend vor Kinley.

Kinley stöhnte auf. „Keine Angst, der tut nichts. Zufällig kenne ich diese hässliche Bestie.“

Leise knurrend lief der Hund auf Kinley zu. Anscheinend war das Knurren seine Art, jemanden zu begrüßen, den er kannte. Als er ihr etwas zu Füßen legte, stöhnte Kinley erneut auf. Es war einer von Bonnies besten Gartenhandschuhen. „Das wird Bonnie nicht gefallen, dass du ihren Handschuh zerkaust.“ Sie bückte sich und hob das vollgesabberte Ding auf.

„Ist das Ihr Hund?“ Dan fühlte sich etwas beschämt wegen seiner ängstlichen Reaktion.

Sie schüttelte vehement den Kopf, während der Hund seinen schweren Körper an ihre Oberschenkel lehnte und sie beinahe aus der Balance brachte. „Logan nennt ihn Ninja, weil er fast schwarz ist und um die Augen herum aussieht, als hätte er eine Maske auf.“

„Er gehört also Ihrem Bruder.“

„Ja. An einem kalten Wintertag stand er vor unserer Tür, halb erfroren und abgemagert. Logan hat ihm zu essen gegeben, woraufhin er immer wiederkam. Eines Tages ist er dageblieben. Logan hat ihm eine große Hütte neben seinem Cottage gebaut, aber der blöde Hund schafft es immer, abzuhauen, und dann stellt er jede Menge Unfug an. Vor allem erschrickt er unsere Gäste, obwohl er nie aggressiv geworden ist.“

Dan hielt dem Hund die Hand hin, und der Hund fing an, daran zu schnüffeln und sie abzuschlecken. Schließlich legte er seinen großen Kopf hinein, als Aufforderung zum Kraulen. „Wieso knurrt der eigentlich immer?“

„Das macht er, wenn er sich wohlfühlt. Bonnie findet, dass er wie eine Katze schnurrt. Bellen tut er eigentlich nie. Verrücktes Vieh.“

Dan kraulte dem Hund den Kopf. „Was für eine Rasse ist er denn?“

„Logan meint, halb Rottweiler, halb Labrador. Ich finde, er ist eine Mischung aus Drache und Teufel.“

Dan lachte. „Mir kommt er ganz nett vor.“

„Ist er ja auch irgendwie. Wenn er bloß da bleiben würde, wo er soll. Es nervt, wenn er ständig hochkommt und die Gäste erschrickt. Und dass wir die Leute beim Einchecken schon darauf hinweisen müssen, dass mein Bruder einen Hund hat, der zwar gefährlich aussieht, aber ganz zahm ist. Am Anfang habe ich Logan öfters gebeten, einen anderen Besitzer für ihn zu finden, aber niemand wollte ihn, und jetzt hängen die beiden aneinander wie die Kletten.“

Während sie zum Inn spazierten, trottete Ninja neben ihnen her. Kinley hoffte inständig, dass der Hund zu den Dingen gehören würde, die Dan nicht in seinem Artikel erwähnte.

Neben dem Vordereingang lag der neue Holzpfosten, wie Kinley erleichtert feststellte. Dann würde ab morgen hoffentlich alles nach Plan laufen, und sie musste es nur noch schaffen, mit der verwirrenden Anwesenheit von Dan klarzukommen.

Logan und die beiden Handwerker saßen auf der Veranda, tranken Eistee und aßen Sandwiches. Als Logan die Dreiergruppe ankommen sah, zog er eine Grimasse, stellte sein Glas ab und stand auf. „Wo habt ihr ihn aufgegabelt?“

„Auf halbem Weg zum Café. Du hast anscheinend nicht gewusst, dass er draußen ist, oder?“

„Natürlich nicht, ich würde ihn doch nicht frei herumlaufen lassen.“ Er steckte zwei Finger in das Halsband des Hundes. „Ich bringe ihn mal eben zurück“, sagte er zu den beiden Männern. „Esst ihr in Ruhe eure Sandwichs auf. Wir machen weiter, wenn ich zurück bin.“

„Ich hoffe, du findest heraus, wie er es diesmal geschafft hat“, sagte Kinley zu ihrem Bruder. „Wir können nicht riskieren, dass er in die Hochzeitsfeier platzt.“

Logan winkte nur kurz zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er kannte die Vorhaltungen seiner Schwester schon zur Genüge.

Dan sah ihm nach, während er den Hund wegführte. „Ihr Bruder hinkt“, sagte er zu Kinley. „Hat er sich verletzt?“

„Nein, das hat er schon ein paar Jahre lang.“ Sie deutete in Richtung Veranda. „Sollen wir reingehen?“

Dan nickte. „Ich glaube, ich fahre gleich mal ein bisschen herum und erkunde die Gegend. Vielleicht gehe ich in eins der Museen.“

„Wir würden uns freuen, wenn Sie heute mit uns zu Abend essen“, sagte Bonnie, die dazu kam. „Wir treffen uns um sechs unten in meiner Wohnung. Es gibt nichts Besonderes, aber genug für alle.“

„Sehr gerne, vorausgesetzt, Ihr Bruder ist einverstanden.“

„Natürlich ist er das.“ Bonnie lächelte ihn an, und Dan lächelte zurück. „Na dann, bis heute Abend, Miss Bonnie.“

Bonnie kicherte verlegen.

Gut, dass ich seine Annäherungsversuche nicht ernst nehme, sagte sich Kinley, während sie rasch in ihr Büro ging. Sonst wäre sie bei dem Lächeln, das er ihrer Schwester gerade zugeworfen hatte, glatt eifersüchtig geworden.

Etwas temperamentvoller als üblich schloss sie die Bürotür hinter sich.

Kurz vor sechs klopfte Dan an Bonnies Wohnungstür. Bonnie öffnete ihm mit einem warmherzigen Lächeln und der Bemerkung, dass ihre Geschwister auch gleich kämen. Sie bat ihn, in einem der bequemen Sessel in dem großen Wohn-Essbereich Platz zu nehmen. Alles wirkte freundlich und einladend, so wie er es vom Inn kannte. An zwei Wänden befanden sich raumhohe Fenster, und die Ecken waren mit sanftem Licht ausgeleuchtet.

Logan kam unmittelbar nach ihm und schien nicht überrascht, Dan zu sehen. Aber wer wusste schon, was in Logan Carmichaels Kopf vor sich ging?

„Nehmt euch schon mal was zu trinken“, sagte Bonnie. „Ich muss noch kurz nach dem Essen sehen.“

Während Logan mit seinem Weinglas zum Sofa ging, fiel Dan erneut auf, dass er das linke Bein nachzog. Vielleicht eine Sportverletzung? Bei seinem athletischen Körper wäre das nicht verwunderlich.

„Sie haben heute viel gearbeitet“, begann Dan die Konversation.

Logan nickte. „Zum Glück war der Schaden nicht allzu groß. Das Schwierigste war, die Holzverzierung wieder zusammenzufügen, ohne sie noch mehr kaputtzumachen.“

„Kinley hat mir erzählt, dass Sie nebenher noch als Programmierer tätig sind. Welche Art von Programmen schreiben Sie denn?“

Logan zuckte die Achseln. „Eigentlich verstehe ich mich mehr als Berater. Ich passe vorhandene Software den Bedürfnissen der Kunden an.“

„Klingt interessant.“

In diesem Moment steckte Kinley den Kopf herein. Sie hatte ihr Handy am Ohr und winkte Dan und Logan nur kurz zu, bevor sie im Flur weitertelefonierte.

„Haben Sie denn herausgefunden, wie Ihr Hund es geschafft hat, aus dem Hof zu kommen?“

„Ich vermute, jemand hat ihn herausgelassen“, erwiderte Logan und schüttelte missmutig den Kopf. „Ich bin den Zaun zweimal abgelaufen und habe keine Lücke entdeckt.“

„Glauben Sie, es war jemand von den Gästen?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, mischte Kinley sich ein und steckte ihr Handy in die Tasche. „Jedenfalls musst du ein Schloss am Tor anbringen, Logan.“

„Der Geräteschuppen ist im Hinterhof. Wir wollen nicht jedes Mal erst den Schlüssel suchen, wenn wir einen Hammer oder eine Astschere brauchen“, murrte er. „Der Riegel geht ziemlich schwer auf, und ich habe ein Schild angebracht, dass das Tor wegen des Hundes geschlossen bleiben muss. Das sollte eigentlich genügen.“

Kinley genügte es nicht, das war ihr deutlich anzumerken. Sie wandte sich lächelnd an Dan. „Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Ich habe vorhin einen Auftrag für einen Hausverkauf bekommen und bin dabei, Termine mit interessierten Käufern auszumachen. Also entschuldigen Sie bitte, wenn ich heute Abend noch ein-, zweimal telefonieren muss.“

„Kein Problem“, sagte Dan.

„Bonnie, kann ich dir noch was helfen?“, rief Kinley in die Küche.

„Ja, du kannst die Tomaten aufschneiden.“

„Ich komme.“ Auf dem Weg in die Küche fragte sie Dan: „Hatten Sie denn einen schönen Nachmittag?“

„Ja, ich war in dem Verkehrsmuseum in der ehemaligen Tankstelle. War interessant zu sehen, wie man sich vor hundert Jahren fortbewegt hat.“

„Interessieren Sie sich für Geschichte?“, fragte Bonnie, die gerade aus der Küche kam.

„Ja, ich habe etliche Seminare am College belegt. Das ist mir bei meinen Artikeln immer wieder nützlich.“

„Schreiben Sie nur Reportagen oder auch andere Sachen?“

Er zögerte einen Moment mit der Antwort. Der Romanstoff, der seit Langem in seiner Vorstellung gärte, drängte immer stärker nach Umsetzung. Er begriff selbst nicht, wieso er nicht davon erzählen wollte, vielleicht weil es für ihn eine Privatangelegenheit war. Oder aus Angst, er würde das Buch nie fertigbekommen, und die Leute würden ihn für einen Versager halten.

„Irgendwann möchte ich gern einen Roman schreiben.“ Er war selbst überrascht über seine Offenheit. Vielleicht lag es an Bonnies netter Art zu fragen.

„Wie interessant“, sagte Bonnie und zündete zwei Kerzen auf dem Esstisch an. „Wo haben Sie denn studiert?“

„In Alabama.“

„Und leben Sie noch immer in Alabama?“

„Ich habe dort ein kleines Apartment, das benutze ich aber nur selten.“

„Wohnt Ihre Familie auch …“

Bonnies Frage wurde von einem Schmerzensschrei aus der Küche unterbrochen.

Sofort schoss Dan hoch und war noch vor ihren Geschwistern bei Kinley, die sich gerade ein Stück Küchenpapier um den blutenden Zeigefinger wickelte.

„Logan, kannst du mir ein Pflaster holen? Hoffentlich ist kein Blut in den Salat gekommen.“

„Setzen Sie sich, ich hole Ihnen ein Glas Wasser“, bot Dan an, der sah, dass sie ganz blass geworden war.

„Danke. Tut mir leid, dass ich so viel Umstände mache.“

Während Logan seiner Schwester den Finger verband, wischte Dan den Küchentresen ab, auf dem ein paar Blutstropfen lagen.

„So“, sagte Kinley. „Falls euch nicht der Appetit vergangen ist, können wir jetzt essen.“

„Da muss schon viel passieren, bevor mir der Appetit vergeht, besonders wenn es so köstlich riecht“, bemerkte Dan.

Bonnie lächelte geschmeichelt. „Ein einfacher Schmorbraten mit Gemüse. Und zum Nachtisch gibt’s Pfirsichauflauf.“

„Bonnie ist wirklich eine tolle Köchin“, lobte Kinley, während alle sich um den Tisch versammelten.

Bonnie eröffnete das Gespräch: „Ich möchte vorschlagen, dass wir uns alle duzen – ja?“ Die anderen nickten, und sie ging zu Smalltalk über, während sie die Schüsseln herumreichte: „Und? Hat dir dein erster Tag bei uns gefallen, Dan?“

„Sehr, ich habe viel erfahren und viel gesehen, und der Lunch im Café war ausgezeichnet.“

„Wahrscheinlich hat Mary dir die Ohren vollgeplappert.“

„Ich fand sie sehr nett. Sie hat mir von dem Geist von Bride Mountain erzählt.“

Augenblicklich erschien zwischen Kinleys Augenbrauen eine kleine Falte, und Logan gab ein verächtliches Schnauben von sich. Nur Bonnie lächelte. „Ja, es ist eine seltsame Geschichte. Wir kennen sie von Onkel Leo und Tante Helen, die angeblich die weiße Braut gesehen haben.“

„Glaubt ihr denn an die Geschichte?“

Bonnie warf ihren Geschwistern einen vielsagenden Blick zu, bevor sie antwortete: „Ja, obwohl ich sonst nicht abergläubisch bin. Aber ich glaube nicht, dass die beiden gelogen haben. Sie scheinen wirklich eine lächelnde Frau in Weiß gesehen zu haben. Jedenfalls war ihre Ehe sehr glücklich.“

„Wo könnte ich denn mehr über die alte Legende erfahren?“, fragte Dan. „Gibt es noch andere Leute, die behaupten, die Braut gesehen zu haben?“

Kinley knallte ihre Gabel hin. „Vorhin hast du mir noch erzählt, du würdest nichts davon in deinem Artikel erwähnen.“

Er lächelte entschuldigend. „Ich will die Geschichte ja nur als Teil der Historie des Inns erwähnen. Und natürlich bin ich neugierig; das gehört zu meinem Beruf.“

Eine Weile herrschte Schweigen am Tisch, dann sagte Bonnie: „Ich kenne jemanden, den du fragen kannst.“ Sie warf ihren Geschwistern einen trotzigen Blick zu, bevor sie fortfuhr: „Ihr Name ist Mamie Sawyer. Die alte Frau behauptet, sie und ihr verstorbener Mann hätten die weiße Frau gesehen. Und Mamie ist wirklich eine glaubwürdige Person, das können sogar Logan und Kinley bestätigen.“

Kinley räusperte sich. „Trotzdem kann es sein, dass ihr die Fantasie einen Streich gespielt hat. Wer weiß, ob sie sich nach so vielen Jahren überhaupt noch erinnern kann.“

„Ich bin sicher, sie würde gern mit dir reden, Dan. Wenn du willst, mache ich dich mit ihr bekannt.“

„Das wäre sehr nett.“ Dan lächelte ihr zu.

„So, wer möchte Pfirsichauflauf?“

Nach dem Essen verabschiedete sich Logan mit der Bemerkung, er habe noch am Computer zu tun.

Dan bestand darauf, die Küche mit aufzuräumen.

„Danke fürs Helfen“, sagte Bonnie anschließend. „Sehen wir uns später noch im Salon?“

„Ich komme gern“, sagte Dan. „Aber zuerst mache ich noch einen kleinen Spaziergang durch den Garten.“

„Ich muss heute Abend leider passen, weil ich noch ein paar Termine vereinbaren muss“, sagte Kinley. „Bis morgen, Schwesterlein. Danke für das tolle Essen.“

Zusammen mit Dan ging sie nach draußen. Inzwischen war es kühler geworden, und sie zog fröstelnd ihre Jacke um sich.

„Ist dir kalt?“, fragte Dan.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich finde es sehr schön draußen.“

„Willst du nicht doch ein paar Schritte mit mir gehen?“

„Na gut, aber wirklich nur kurz.“

Offensichtlich erfreut schlug er den Weg zum Garten ein.

Am dunkelblauen Abendhimmel leuchtete der fast volle Mond, und die ersten Sterne waren zu sehen. Die Laternen im Garten verbreiteten ein warmes, gedämpftes Licht.

Kinley ging oft am Abend hier spazieren, lauschte dem Quaken der Frösche und dem Zirpen der Grillen. Gelegentlich rief eine Eule aus dem nahen Wald.

Als ob er die friedliche Atmosphäre nicht stören wolle, sprach Dan leise. „Habt ihr auch schon Hochzeitsfeiern am Abend veranstaltet?“

„Oh ja, besonders im Herbst, wenn es früher dunkel wird, aber noch warm genug ist, um draußen zu feiern. Wir hängen dann Lichterketten und Laternen auf und stellen Fackeln zwischen die Beete. Das waren immer die schönsten Feste.“

„Wessen Idee war es eigentlich, sich auf Hochzeiten zu spezialisieren? Früher war das Inn doch eher ein Feriendomizil, oder?“

„Das stimmt, aber es wurden auch damals schon Hochzeiten ausgerichtet. Eigentlich war es meine Idee, mich mit anderen Geschäften am Ort zusammenzutun und komplette Arrangements anzubieten. Und das läuft bis jetzt ganz gut.“

„Sicher erfordert es viel Organisationstalent, alles zu koordinieren.“

Sie nickte. „Es ist immer wieder eine Herausforderung. Aber das gefällt mir gerade.“

„Kann ich gut verstehen.“

„Hast du schon Pläne für morgen?“

„Ich lasse alles offen, sehe mich um und mache ein paar Fotos. Eigentlich habe ich jetzt schon genug Stoff, um den Artikel fertig zu schreiben.“

Klang das nicht ein bisschen gelangweilt? Hatte er vielleicht die Nase voll davon, ständig über irgendwelche Reiseziele und Lokalitäten zu schreiben?

„Wie lange schreibst du denn schon für das Magazin?“ Eigentlich sollte er die Fragen stellen, aber sie wurde zunehmend neugierig, mehr über diesen Mann zu erfahren.

„Seit über zwei Jahren. Es macht Spaß, überall herumreisen zu können, und man hat nebenbei noch Gelegenheit, seine eigenen Ziele zu verfolgen.“

Sie war ziemlich sicher, dass Letzteres für ihn wichtiger war. Vielleicht dachte er schon über einen Jobwechsel nach. „Was hast du denn in Alabama außer Geschichte noch studiert?“

„Journalismus.“

„Und seitdem schreibst du?“

„Mehr oder weniger. Vier Jahre war ich bei der Marine, dann ein paar Jahre als Auslandskorrespondent im Nahen Osten, und danach habe ich einige Zeit in London und New York gelebt, wo ich bei einer Zeitung gearbeitet habe. Bis mich meine Cousine gefragt hat, ob ich für ihre Zeitschrift schreiben wollte. Sie hat damals nach einem neuen Konzept gesucht und hatte die Idee mit den Reiseberichten, was sich für uns beide als ziemlich erfolgreich herausgestellt hat.“

„Du warst tatsächlich bei der Marine?“, fragte Kinley verblüfft.

Er nickte. „Die meiste Zeit habe ich am Schreibtisch gesessen und irgendwelche offiziellen Mitteilungen und Pressetexte verfasst. Die Zeit als Auslandskorrespondent fand ich viel interessanter.“

Im Laufe des Tages hatte sie ihr Bild von diesem Mann immer wieder revidieren müssen. Er verwirrte sie zunehmend. „Du hast wirklich einen bunten Lebenslauf.“

„Ja, ich liebe die Veränderung.“

Damit meinte er doch sicher nicht nur die berufliche Veränderung. Wahrscheinlich wechselte er auch die Frauen wie die Hemden.

„Aber vom Auslandskorrespondenten bis zum Reisereporter ist ein ziemlicher Sprung, oder?“

„Du meinst, ein ziemlicher Abstieg?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Nein, nein“, erwiderte sie schnell. „Du hattest sicher Gründe, das Angebot deiner Cousine anzunehmen.“

„Ja“, sagte er ohne weitere Erklärung.

„Als Nächstes gibst du vielleicht selbst eine Zeitschrift heraus. Oder schreibst ein Buch.“

„Das Verlegergeschäft interessiert mich nicht. Es gibt verschiedene Optionen, aber noch nichts Konkretes. Auf jeden Fall werde ich weiterhin schreiben. Das ist nun mal meine Leidenschaft.“

Interessant. Zu gern hätte sie noch mehr über Dans Leidenschaften erfahren. „Wohnt deine Familie auch in Alabama?“

„Ja, in Hoover, nicht weit von meiner Wohnung.“

Sie dachte an seine Andeutung, dass seine Eltern nicht sonderlich stolz auf ihn seien. Wie traurig für ihn, keine mentale Unterstützung von den Eltern zu bekommen. In ihrer Familie war das ganz anders gewesen. Egal, was sie und ihre Geschwister machten, ihre Mutter hatte immer voll hinter ihnen gestanden und sie nach Kräften unterstützt. Ihr Vater allerdings hatte sich weitgehend aus der Erziehung herausgehalten.

„Was sagen deine Eltern denn dazu, dass du so viel herumreist?“

„Sie sagen das, was ich mir anhören muss, seit ich zehn bin. Egal, was ich tue, ich kann’s ihnen nicht recht machen.“ Er seufzte. „Das Grundproblem ist, dass sie nie Kinder haben wollten. Kaum war ich auf der Welt, haben sie ein Kindermädchen engagiert und so weitergelebt wie vorher.“ Er sah sie an. „Ich weiß gar nicht, wieso ich dir das alles erzähle. Vielleicht hat mich der Tag mit dir und deinen Geschwistern daran erinnert, wie schwierig es mit meiner eigenen Familie ist.“

Kinley biss sich auf die Lippen, unschlüssig, was sie dazu sagen sollte.

Plötzlich sah sie, wie Dan große Augen machte und auf etwas starrte, das offenbar hinter ihrem Rücken vor sich ging. „Zwischen den Bäumen da drüben ist gerade etwas Weißes weggehuscht.“

Sofort schoss ihr Kopf herum, und er fing an zu lachen. „Jetzt hab ich dich reingelegt. Irgendwie glaubst du doch an die alte Geschichte, stimmt’s?“

„Sehr lustig“, sagte sie ein wenig beleidigt.

Er lächelte sie entschuldigend an und deutete auf eine schmiedeeiserne Bank neben dem Springbrunnen. Nach kurzem Zögern setzte sie sich an den äußersten Rand.

Er setzte sich neben sie und sah sie an, dann strich er ihr eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. Sofort durchrieselte sie ein erregendes Kribbeln. Plötzlich fühlte sie sich mit ihm wie in einem behaglichen Kokon eingeschlossen, umgeben von den zarten Düften und Geräuschen der Nacht. Kaum vorstellbar, dass sie diesen Mann erst seit ein paar Stunden kannte.

Seine Stimme drang einschmeichelnd in ihr Ohr. „Hast du wirklich gar keinen Sinn für Träumereien, Kinley?“

Sie räusperte sich verlegen. „So sagt man.“

Ganz sachte fuhr er mit dem Zeigefinger an ihren Gesichtskonturen entlang, zeichnete ihre Lippen nach. Seltsamerweise kam ihr diese vertrauliche Geste gar nicht übergriffig vor. Im Gegenteil, sie genoss es.

„Und bist du mit dieser Beurteilung einverstanden?“

„Ja, weil es stimmt. Ich glaube an das, was ich sehen und anfassen kann – und an die Zahlen in meinem Kontobuch“, fügte sie scherzhaft hinzu, obwohl ihr Herz plötzlich wie wild zu hämmern anfing.

„Nicht sehr romantisch“, sagte Dan lächelnd, und seine Augen funkelten im Halbdunkel.

„Nein“, flüsterte sie.

Sein lächelnder Mund war so dicht vor ihrem, dass ihre Lippen sich wie von selbst öffneten. Wann hatte sie zuletzt solche Sehnsucht nach einem Kuss empfunden?

Sie legte beide Hände auf seine Brust. „Dan, ich muss zurück, sonst schaffe ich meine Arbeit nicht mehr.“

„Tja, das Geschäft geht vor.“

Obwohl sie merkte, dass es spöttisch gemeint war, nickte sie. „Genau.“

„Ich wäre da nicht so sicher“, sagte er und näherte sich ihr von Neuem. „Wie wäre es mit einem kleinen Test?“

Ein wohliger Seufzer entschlüpfte ihr, als sie seine Lippen auf ihren spürte. Diesmal machte sie keinen Rückzieher. Warum sollte sie sich nicht einen kleinen schwachen Moment gönnen? Der Kuss war genauso sensationell, wie sie es erwartet hatte. Zart und sinnlich zugleich. Trotz der kühlen Nachtluft waren seinen Lippen warm, und sie spürte die Wärme seines Körpers. Ihr wurde ganz schwindlig, dabei hatte sie doch nur Limonade zum Abendessen getrunken …

Schnell löste sie sich von ihm. Lieber gleich gehen, ehe sie es noch bereute. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“

Seufzend ließ er sie los. „Schade.“

Mit zitternden Knien stand sie auf, und Dan erhob sich ebenfalls. „Das hatte nichts mit unserer Arbeit zu tun“, erinnerte sie ihn. „Daran ist nur der schöne Abend schuld.“

„Ich käme nie auf die Idee, deine Professionalität anzuzweifeln.“ Er lächelte leise, und in seinen Augen glühte noch die Leidenschaft.

„Geh ruhig noch in den Salon, das ist immer sehr unterhaltsam“, schlug sie vor. „Sicher hat auch niemand was dagegen, wenn du ein paar Fotos machst.“

„Vorsichtshalber frage ich aber.“

Sie wandte sich zum Gehen. „Frühstück gibt’s von sieben bis neun. Falls du einen besonderen Wunsch hast, sag es Bonnie.“

Er folgte ihr zum Haus, und als sie die Treppe hochgehen wollte, hielt er sie am Arm fest. „Darf ich dich was fragen, Kinley? Wenn ich meinen Artikel fertig habe, vorausgesetzt du bist damit einverstanden, besteht dann die Möglichkeit, dass wir mal zusammen ausgehen? Die echte Kinley, nicht die Managerin.“

„Bleibst du denn in der Gegend?“

„Ich kann mir durchaus noch ein wenig Zeit nehmen.“

„Vielleicht wirst du enttäuscht, weil es keine andere, echte Kinley gibt. Abgesehen von dem kurzen Ausrutscher eben hast du mich so kennengelernt, wie ich bin. Immer kontrolliert, wie mal jemand gesagt hat.“

„Jemand, der dich verletzt hat?“

„Jemand, der mich kannte.“

„Ich glaube nicht, dass er dich gekannt hat.“

„Ich habe nicht gesagt, dass es ein Mann war.“

„Das war auch nicht notwendig.“

Sie sahen sich in die Augen, und sie war wie gebannt von seinem Blick.

Er sah zuerst weg. „Gute Nacht, Kinley, bis morgen.“

Sie nickte und lief schnell die Treppe hoch.

4. KAPITEL

Obwohl sie hundemüde war, schlief Kinley sehr unruhig. Sie schrieb es den vielen Dingen zu, die sie in den kommenden Tagen zu erledigen hatte, und die ihr im Kopf herumschwirrten. Doch insgeheim war ihr klar, dass es Dan Phelan war, der ihr den Schlaf raubte. Immer wieder ging ihr der magische Moment im Garten durch den Sinn, die Gespräche mit ihm, sein Lächeln. Wie er sich instinktiv schützend vor sie gestellt hatte, als Ninja auftauchte. Wie er ihr Gesicht gestreichelt und sie angesehen hatte, als könne er tief in ihrem Innern Dinge sehen, die sie längst begraben hatte.

Während sie sich sorgfältig schminkte, um die Schatten unter ihren Augen zu verdecken, dachte sie, dass ihr eine Pause guttun würde. Bisher hatte sie nur ihren Geschwistern eine Auszeit empfohlen. Jetzt, wo das Inn allmählich Gewinn abwarf, könnten sie sich alle ein bisschen entspannen. Auch wenn ihr das Entspannen schwerfiel, sie musste es versuchen. Es gab ihr zu denken, dass sie einen Mann so kurz nach dem Kennenlernen geküsst hatte. Das war doch ein Zeichen, dass sie ihre emotionale Seite zu sehr vernachlässigt hatte.

Bereits kurz vor sieben traf sie im Inn ein. Wie üblich war sie lässig-elegant gekleidet. Ein hellrotes, ärmelloses Etuikleid mit schmalem cremefarbenem Gürtel, darüber eine cremefarbene Strickjacke mit dreiviertellangen Ärmeln und bequeme beigefarbene Schuhe. Den Schnitt an ihrem Zeigefinger hatte sie unter einem hautfarbenen Pflaster versteckt.

Auf der kurzen Fahrt von ihrem Haus zum Hotel hatte sie sich innerlich darauf eingestellt, Dan beim Frühstück wiederzusehen, und sie nahm sich vor, konsequent Abstand zu wahren. Noch hatte sie ihm keine Antwort auf seine Einladung gegeben, und sicher wäre es besser, abzuwarten, bis das Wochenende vorbei war. Wer weiß, vielleicht würde die anfängliche Faszination sich bis dahin gelegt haben.

Erleichtert stellte Kinley fest, dass Rhoda pünktlich und ohne Schaden anzurichten angekommen war. Der verlockende Duft von Kaffee und Zimtschnecken empfing sie, als sie den Speiseraum betrat, wo Bonnie und Rhoda alles für das Frühstück herrichteten.

„Sieht wie immer perfekt aus“, sagte sie zu Bonnie, während sie sich Kaffee einschenkte.

Bonnie zündete gerade die Kerzen auf den Tischen an. „Danke.“ Wenn Bonnie lächelte, zeigten sich zwei reizende Grübchen in ihren Wangen. „Ich habe auch schon was für Serena und ihre Gäste beiseite gestellt.“

Kinley nahm sich eine große Erdbeere und steckte sie in den Mund. „Gleich nach dem Frühstück fange ich an, die Zulieferfirmen anzurufen, um sicherzugehen, dass auch nichts vergessen worden ist.“

Bonnie nickte abwesend, während ihr Blick ein letztes Mal prüfend durch den Raum schweifte. „Würde mich nicht wundern, wenn Eva schon alle angerufen hätte.“

Kinley stöhnte. Eva hatte bereits den Fotografen gefeuert und etliche Ladenbesitzer vergrault. Wenn diese Hochzeit bloß bald vorbei wäre!

„Wie war’s gestern Abend? Waren viele im Salon?“

„Oh ja, fast alle“, erwiderte Bonnie und ging in die Küche. Kinley folgte ihr. „Die Mayberrys haben mit Travis und Gordon Scrabble gespielt, und Dan und ich haben mit dem netten Paar, das gestern angekommen ist, Karten gespielt.“

„Ach ja?“

„Dan hat natürlich gewonnen.“

Hatte er vielleicht auch mit Bonnie geflirtet? Oder sie womöglich ebenfalls eingeladen, mit ihm auszugehen?

„Ich fand es interessant, wie er jede Gelegenheit genutzt hat, um von dir zu reden.“ Bonnie grinste ihre Schwester an. „Ich glaube, du hast eine Eroberung gemacht.“

Kinley lachte etwas gezwungen. „Er ist doch nur fürs Wochenende hier. Und ich habe überhaupt keinen Kopf für was anderes. Heute Mittag ist erst der Termin mit den neuen Kunden, dann die Hochzeitsprobe und das Abendessen mit den Sossamans. Nachher muss ich zu einer Hausbesichtigung, und morgen ist schon die Hochzeit.“

„Du denkst aber auch nur an die Arbeit“, schimpfte Bonnie.

Kinley zog spöttisch die Augenbraue hoch. „Wer wohnt und arbeitet denn hier rund um die Uhr, hm?“

Bonnie lachte. „Jedenfalls hätte ich nichts dagegen, wenn ein gut aussehender Typ mich einladen würde, aber es fragt mich ja keiner. Der gut aussehende Typ, der in Frage käme, ist hinter dir her.“

„Wie willst du jemanden kennenlernen, wenn du immer hier hockst?“, konterte Kinley. „Du solltest mehr ausgehen, Bon.“

Überraschenderweise nickte Bonnie. „Du hast recht. Ich möchte die zwei Jahre Arbeit für das Inn nicht missen, aber vielleicht ist es an der Zeit, meinen Aktionsradius etwas zu erweitern.“

Autor

Gina Wilkins

Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden!

Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt...

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