Cora Collection Band 41

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ICH WERDE DICH BESCHÜTZEN, LARA von EMMA DARCY
Keinen Tag länger will der erfolgreiche Fotograf Ric Donato mit ansehen müssen, wie die unwiderstehliche Lara unter ihrem Ehemann leidet. Egal, wie riskant es auch sein mag: Er will sie da rausholen, um ihr all die Liebe geben zu können, die er seit langem für sie empfindet …

MIT DIR ANS ZIEL MEINER TRÄUME von AMY ANDREWS
Sadie hat nur einen Traum: Sie will eine erfolgreiche Reporterin werden. Ihr Ziel scheint zum Greifen nah, als sie ihren ersten großen Auftrag erhält. Aber dazu muss sie mit dem berühmten Fotografen Kent Nelson zusammenarbeiten. Er ist zwar unverschämt, aber sie befürchtet trotzdem, ihr Herz an ihn zu verlieren!

CARINS GEHEIMNIS von ANNE MCALLISTER
Nathan Wolfe kehrt nur aus einem einzigen Grund auf die Bahamas zurück: Der Fotograf will versuchen, das Herz von Carin zu erobern. Einst hat er eine unvergessliche Nacht mit ihr verbracht und ahnt nicht, dass sie jetzt etwas vor ihm verbirgt …


  • Erscheinungstag 02.07.2021
  • Bandnummer 41
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502184
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Emma Darcy, Amy Andrews, Anne McAllister

CORA COLLECTION BAND 41

PROLOG

Erster Tag auf Gundamurra …

Das Flugzeug setzte zur Landung auf dem Flugfeld aus rotem Lehm an. Außer den flachen Gebäuden, die zur Schafstation in Gundamurra gehörten, war nichts zu sehen, nur der endlose Horizont, der sich über eine flache Landschaft spannte, ab und zu unterbrochen von einem einzelnen Busch.

Ric wünschte, er hätte noch die Kamera, die er gestohlen hatte. Damit könnte er hier unglaubliche Fotos schießen.

„Mitten im Nirgendwo“, murmelte Mitch Tyler. „Langsam glaube ich, ich habe die falsche Wahl getroffen.“

„Kaum“, ließ Johnny Ellis sich vernehmen. „Alles ist besser, als eingesperrt zu sein. Hier draußen kann man wenigstens frei atmen.“

„Klar, Staub“, spottete Mitch.

Das Fahrgestell der Maschine berührte die Erde und wirbelte eine Wolke eben dieses Staubes auf.

„Willkommen im australischen Outback.“ Der Cop, der sie eskortierte, grinste gehässig. „Und nicht vergessen: Wenn ihr Stadtklugscheißer hier draußen überleben wollt, solltet ihr es euch zwei Mal überlegen, ob ihr abhaut. Hier gibt es nämlich nichts, wo ihr hin könntet.“

Die drei achteten nicht auf den Mann. Sie waren sechzehn. Ganz gleich, was das Leben ihnen vor die Füße schleuderte – sie würden überleben. Und Johnny hat recht, dachte Ric. Sechs Monate Arbeit auf einer Schafstation waren besser als ein Jahr im Jugendknast. Wenn Ric etwas nicht ertragen konnte, dann Autorität, die alles erstickte. Hoffentlich war der Typ, dem diese Station gehörte, nicht so ein Zuchtmeister, dem es Spaß machte, drei neue Sklaven herumzukommandieren.

Was hatte der Richter bei der Urteilsverkündung noch gesagt? Irgendwas von „zurück zu grundlegenden Werten“. Ein Programm, bei dem sie etwas über das wahre Leben lernen sollten. Mit anderen Worten: Man verdient seinen Lebensunterhalt mit Arbeit, nicht mit Stehlen und Betrügereien. Der Mann hatte leicht reden, er saß schließlich auf seinem bequemen Sessel und bezog monatlich ein sicheres Gehalt vom Staat.

In Rics Welt gab es keine Sicherheit. Hatte es nie gegeben.

Wenn man etwas haben wollte, dann besorgte man es sich. Das war die einzige Möglichkeit, es überhaupt zu bekommen. Und es gab vieles, was Ric haben wollte. Obwohl – den Porsche zu klauen, um Lara Seymour zu beeindrucken, war einfach blöd gewesen. Ein Mädchen wie sie, aus der Schicht der Reichen und Privilegierten, würde sich nie mit einem Vorbestraften einlassen.

Das Flugzeug rollte jetzt aus, bis zu einer Stelle, wo ein Mann neben einem großen Cherokee wartete. Ein Kerl wie ein Schrank, breite Schultern, wettergegerbtes Gesicht, stahlgraues Haar. Musste über fünfzig sein, war aber in Topform. Den zieht so schnell keiner über den Tisch, lautete Rics impulsives Urteil, auch wenn Größe allein ihm normalerweise keinen Respekt abverlangte.

„John Wayne, wie er leibt und lebt“, bemerkte Mitch in dem säuerlichen Ton, den er stets und für alles benutzte. Sauer, das war Mitch auf den Rest der Welt. Könnte anstrengend werden, auf Dauer mit Mitch zusammen sein zu müssen.

„Er hat kein Pferd“, entgegnete Johnny grinsend.

Johnny wird sich da schon leichter ertragen lassen, dachte Ric.

Johnny Ellis legte Wert auf ein angenehmes Wesen als Markenzeichen. Dabei war er groß und kräftig genug, um es mit jedem aufzunehmen. Er hatte freundliche braungrüne Augen, braunes Haar, in das die Sonne helle Strähnen gebleicht hatte und das ihm ständig in die Stirn fiel, und ein warmes Lächeln, das er bei jeder Gelegenheit zeigte. Ihn hatte man geschnappt, als er Marihuana dealte. Wobei er schwor, dass er es nur an Musiker verkaufte, die es sich, wenn nicht von ihm, eben von jemand anderem besorgen würden.

Mitch Tyler war da eine ganz andere Kategorie. Er war wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Mitch behauptete, der Typ, den er zusammengeschlagen hatte, habe seine Schwester vergewaltigen wollen. Das hatte er vor Gericht allerdings nicht angegeben. Weil er seine Schwester da nicht mit hineinziehen wollte. Er war schlank und sah ziemlich gefährlich aus. Dunkles Haar, stechende blaue Augen, und Ric hatte den Eindruck, dass unter der Oberfläche ständige Gewaltbereitschaft schwelte.

Ric selbst war ein noch dunklerer Typ. Das war sein italienisches Erbe. Schwarze Locken, fast schwarze Augen, olivfarbene Haut, eben das typische Latinlover-Aussehen, auf das alle Mädels flogen. Er hätte sie alle haben können. Selbst Lara. Aber auf Dauer reichte Aussehen eben nicht. Man brauchte auch Geld. Und all die Dinge, die man mit Geld kaufen konnte. Nur so ließ sich der Klassenunterschied wettmachen.

Das Flugzeug stoppte. Der Cop befahl ihnen, sich ihre Taschen zu holen. Wenige Minuten später führte er sie die Gangway hinunter in ein Leben, das mit dem, das sie bisher gekannt hatten, absolut nichts zu tun hatte.

„Hier sind Ihre Jungs, Mr. Maguire. Frisch von den Straßen der Stadt, damit Sie sie gehörig an die Kandare nehmen können.“

Der große alte Mann – aus der Nähe wirkte er noch riesiger – bedachte den Cop mit einem durchdringenden Blick. „Hier draußen handhaben wir die Dinge etwas anders.“ Die Worte waren leise gesprochen, aber in ihnen war eine Autorität zu vernehmen, die auf körperliche Gewalt gänzlich verzichten konnte. Er nickte den drei Jungen zu. „Ich bin Patrick Maguire. Willkommen auf Gundamurra. In der Eingeborenensprache heißt das ‚Guten Tag‘. Ich hoffe, irgendwann werdet ihr zu der Überzeugung gelangen, dass es ein guter Tag war, an dem ihr zum ersten Mal mein Land betreten habt.“

Und Ric spürte die Bereitschaft in sich, es zumindest auf einen Versuch ankommen zu lassen.

„Und du bist …?“ Patrick Maguire hielt Mitch seine massige Hand entgegen, der misstrauisch darauf starrte, als sei diese Hand ein Knochenbrecher.

„Mitch Tyler.“ Argwöhnisch und trotzig streckte er die eigene aus.

Ein ganz normaler Handschlag, nicht einmal die Andeutung, Dominanz zeigen zu wollen.

„Freut mich, Mitch.“

Johnny bot seine Hand sofort und ohne Zögern an. „Johnny Ellis. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Maguire.“ Ein strahlendes Lächeln für den alten Mann. Johnny wusste eben, wie man Leute für sich einnahm.

Ein abwägender Blick aus den grauen Augen, mit einer Spur von Amüsiertheit. Der lässt sich von niemandem so leicht einseifen, dachte Ric, und dann lagen diese Augen, die wahrscheinlich durch jede aufgesetzte Fassade blickten, schon auf ihm.

„Ric Donato“, sagte er und nahm die angebotene Hand. Spürte die Wärme und Stärke darin mit einem seltsam fremden Gefühl, das ihm bis ins Mark drang.

„Bereit?“, fragte der alte Mann.

„Allerdings, ich bin bereit.“ Es klang viel aggressiver, als es hätte klingen sollen. Ja, Ric war bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.

Und am Ende als Sieger dazustehen. Vielleicht sogar mit Lara an seiner Seite.

Er konnte sie immer noch nicht aus seinem Kopf herausbekommen. Wahrscheinlich würde ihm das nie gelingen. Klasse … das war es, was sie besaß.

Unerreichbar für ihn. Aber eines Tages würde er ankommen. Auf die eine oder andere Art, er würde sein Ziel erreichen.

1. KAPITEL

Achtzehn Jahre später …

Ric Donato saß mit seiner Assistentin Kathryn Ledger in seiner Bildagentur in Sydney. Gemeinsam werteten sie die angebotenen Fotos aus: Freischaffende Fotografen, manche mit etabliertem Ruf, andere Paparazzi, sandten ihre Schnappschüsse von Stars und Sternchen per Internet an die Agentur. Die Angestellten der Agentur wiederum sichteten alle Fotos und wählten diejenigen aus, die sich an Zeitschriften und Magazine weltweit verkaufen ließen.

Immer wieder Klasse, dachte Ric ironisch. Das war es, was seine Agenturkette verkaufte. Hier in Australien, in Los Angeles, in New York, in London. Sein Netzwerk, seine Legionen. Und jeder Einzelne dabei eifrig darauf bedacht, auf den Zug aufzuspringen.

Die düsteren Realitäten, die er als Fotojournalist in Kriegsgebieten auf Celluloid festgehalten hatte, hatten Preise und Auszeichnungen errungen, doch es waren die hübschen Bilder, die sich überall verkaufen ließen. Er hatte es auf die harte Tour erfahren müssen. Die Leute wollten Klasse sehen, kein Leiden.

Sich auf Klasse zu spezialisieren hatte sich doppelt ausgezahlt. Die Schönen und Reichen konnten sichergehen, dass von seiner Agentur nichts Negatives veröffentlicht wurde. Oft informierten sie seine Leute sogar über neue Fotos, bestrebt, der Öffentlichkeit zu liefern, wonach die Öffentlichkeit verlangte. Solange es positive Publicity garantierte. Die Zeitschriftenverlage wiederum nahmen alles, was er liefern konnte, und zahlten harte Dollars für Exklusivverträge.

Jeder war glücklich.

Die magische Formel für den unfehlbaren Erfolg.

Klasse.

Das Passwort zum Paradies, in die höchsten Sphären der Gesellschaft. Mit sechzehn hatte er das instinktiv gewusst. Mit zwanzig hatte er es vergessen, weil er anderen Dingen nachjagte, und später hatte er es rechtzeitig wieder erkannt, um das aufbauen zu können, was heute ein Multimillionendollarunternehmen war.

Kathryn lud das nächste Foto herunter. Vom Flughafen, wahrscheinlich mehr Hollywood-Stars beim Abflug, dachte Ric. Bis eines der Gesichter seine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangte.

Lara?

Sie hielt den Kopf geneigt. Trug eine Sonnenbrille. Diese Verfärbung da auf ihrer linken Wange … war das der Ausläufer eines blauen Auges? Auch ihre Lippen waren geschwollen, so als hätte sie dort einen Schlag abbekommen.

Rics Blick glitt zu dem Mann an ihrer Seite. Eindeutig, das war Gary Chappel, der Kerl, den sie geheiratet hatte. Erbe und Vorstandsvorsitzender des Pflegeheim-Imperiums, aufgebaut von seinem Vater. In unermesslichen Reichtum hineingeboren und mit einem Aussehen, das ihm eine Modelkarriere sichern würde, wenn er es denn darauf angelegt hätte.

Auf diesem Foto jedoch sah er nicht sonderlich attraktiv aus. Dünner Mund, mit zusammengepressten Lippen, die Lider halb geschlossen über wütend glitzernden Augen. Einen Arm fest um Laras Schulter geschlungen, hielt er mit der Hand des anderen Laras Oberarm mit eisernem Griff.

„Wow! Ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse“, entfuhr es Kathryn.

Gary und Lara Chappel, eines der Paare der australischen High Society. Meist fotografiert als zwei schöne Menschen. Ric hatte unzählige solcher Fotos von ihnen gesehen. So eines wie das hier noch nie.

„Löschen?“ Kathryn sah abwartend zu ihm hin.

„Nein!“ Es kam viel zu brüsk heraus.

Kathryn war die Verwunderung anzusehen. „Das ist nicht gerade ein sehr geglückter Schnappschuss, Ric.“

„Druck’s für mich aus und kaufe das Copyright.“

„Aber …“

„Wenn wir es nicht kaufen, tut es jemand anders. Und wie du schon richtig bemerktest, wird die Klatschpresse sich freudig die Hände reiben. Ich will nicht, dass es veröffentlicht wird.“ Er handelte aus dem Bauch heraus, aber sein Instinkt drängte ihn zu stark, als dass er das ignorieren könnte.

„Es ist nicht unser Job, die Leute zu schützen, Ric“, erinnerte Kathryn ihn.

Er hatte sie angelernt. Sie führte das Geschäft, wenn er nicht in Sydney war. Er vertraute ihrem Urteil. Aber das hier war eine persönliche Angelegenheit. Sehr persönlich. Er konnte nicht anders.

Schon seltsam, nach all den Jahren. Seit er nach Gundamurra geschickt worden war, hatte er keinen Kontakt mehr zu Lara Seymour gehabt. Doch ihr Bild, das noch dazu eheliche Gewalt vermuten ließ, setzte Ric zu.

Und da saß Kathryn und sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren – mit großen grünen Augen, dunkelrotem Haar, zu einer schicken Kurzhaarfrisur geschnitten, einem hübschen Gesicht und einer fantastischen Figur. Alles in allem eine beeindruckende Erscheinung, die zusätzlich über eine messerscharfe Intelligenz verfügte. Er mochte Kathryn und wünschte ihr alles Gute für die geplante Heirat mit ihrem Freund, irgend so ein erfolgreicher Überflieger bei einer der großen Handelsbanken.

Um genau zu sein, er mochte sie so sehr, dass er bezweifelte, ob ihr Verlobter auch wirklich gut genug für sie war. Und doch hatte er Kathryn nie gewollt. Nicht so, wie er Lara Seymour gewollt hatte.

Für ihn war Lara die Verkörperung der Weiblichkeit schlechthin. Schlank, wundervoll proportioniert, ein seidiger Vorhang glänzenden blonden Haars. Feine, sanfte Gesichtszüge, Augen von der Farbe des Sommerhimmels, ein Lächeln, sowohl schüchtern als auch einladend zugleich. Makellose Haut, deren Schimmern in ihm die quälende Sehnsucht erweckt hatte, sie zu berühren, zu streicheln. Damals war ihm auch der Sinn des Ausdrucks „Schwanenhals“ klar geworden, wenn sie ihren Kopf drehte. Und sie hatte den geschmeidigen, graziösen Gang einer Tänzerin.

Alles an ihr hatte ihn fasziniert, und gleichzeitig war sie das real gewordene Sinnbild der Unerreichbarkeit für ihn … Aber das alles lag lange zurück.

„Lara und ich kennen uns von früher, Kathryn“, sagte er leise. „Es wäre ihr unangenehm, das veröffentlicht zu sehen.“

„Du und Lara Chappel?“ Sie sah ihn erstaunt an.

„Lara Seymour.“

„Ist sie der Grund, warum …“ Verlegene Röte schoss ihr in die Wangen. Hastig wandte sie den Blick wieder auf den Bildschirm. „Ich drucke es für dich aus“, murmelte sie.

„Warum … was?“ Ric war neugierig, was sie denken mochte.

Kathryn lächelte schief. „Das geht mich nichts an, Ric.“

„Sag’s trotzdem.“

Ihr Schulterzucken verneinte persönliches Interesse. „Die Leute reden über dich. Mal ehrlich: Du musst einer der begehrtesten Junggesellen der Welt sein. Du kannst unter den schönsten Frauen wählen, und doch …“

„Ja?“

Endlich sah sie ihn direkt an. „Du hast keine feste Beziehung.“

Jetzt lächelte er schief. „Ich führe ein sehr beschäftigtes Leben, Kathryn.“

„Natürlich.“ Sie nickte und widmete sich dem Ausdruck.

Ric dachte über das Thema nach, das sie aufgebracht hatte. Stimmt, es war einfach für ihn, Verabredungen mit Frauen zu bekommen, die er attraktiv fand. Aber dieser Reiz hielt für gewöhnlich nicht lange an. Es endete meist dann, wenn ihm überdeutlich bewusst wurde, wie sehr den Frauen gefiel, was er zu bieten hatte. Nicht er interessierte sie, sondern der Erfolg und der Reichtum, den er verkörperte.

Sein Ziel, bis an die Spitze zu kommen, hatte er jedenfalls verwirklicht. Die Welt war zu seinem Spielplatz geworden. Er besaß Apartments in London und New York – in den nobelsten Gegenden – und in Sydney, mit Blick auf den Hafen. In jeder Stadt standen die besten Autos für ihn bereit – ein Jaguar in London, ein Lamborghini in New York, ein Ferrari hier in Sydney.

Der Porsche, den er damals wegen Lara gestohlen hatte, fiel ihm ein. Heute hätte er sich problemlos einen kaufen können. Er wollte es nicht. Warum sich selbst an eine Niederlage erinnern?

Aber konnte man der eigenen Vergangenheit überhaupt entkommen?

Kathryn reichte ihm das ausgedruckte Hochglanzfoto, und er betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt, ihn zurückgeführt in jene Zeit, als Lara Seymour ihm wichtiger gewesen war als alles andere auf der Welt.

„Hast du einen Umschlag?“ Noch während er die Frage stellte, wusste er, dass er etwas unternehmen würde.

Kathryn zog eine Schublade auf.

„Drucke fünf weitere Kopien und schließe sie in den Safe.“ Sein Instinkt riet ihm auch, vorsichtig zu sein. „Dann lösch es aus dem Speicher.“

Sie nickte, auch wenn die ungewöhnlichen Anordnungen sie irritierten. „Was soll ich denen für das Copyright anbieten?“

„Ist mir gleich.“ Er ließ das Foto in den Umschlag gleiten. „Handle den besten Preis aus.“ Auf dem Weg zur Tür warf er einen Blick zurück. „Um es deutlich zu machen: Mir ist egal, wie viel es kostet. Tu’s einfach.“

„Fein.“ Sie stellte keine weiteren Fragen, auch wenn die in ihren Augen zu lesen waren.

Ric kümmerte es nicht. Er konnte sich diese alberne Schwäche leisten, wenn es das denn war. Es sah aus, als stecke Lara mit ihrem Gary Chappel in Schwierigkeiten. Das Foto war am Flughafen aufgenommen worden. Hatte sie versucht, ihrem Mann davonzurennen?

Gewalt in der Ehe kam in den besten Familien vor und wurde oft genug aus Scham vertuscht. Und aus Angst vor weiterer Gewalt. Seine Mutter hatte es am eigenen Leib erfahren. Sie war gestorben, als Ric noch ein Kind gewesen war. An einer geplatzten Niere. Damals war er zu klein gewesen, um seine Mutter zu beschützen. Sein Vater war dafür ins Gefängnis gegangen, aber nie würde Ric die Angst vergessen, als er vor Gericht gegen seinen Vater ausgesagt hatte.

Wenn Lara mit dieser Art Angst leben musste …

Ric ballte unbewusst die Hände zu Fäusten, während der Lift ihn in die Tiefgarage brachte. Es war nicht seine Schlacht. Er hatte gar nicht das Recht, sich einzumischen. Und doch konnte er es nicht ignorieren. In ihm brannte die Notwendigkeit, etwas zu tun. So wie das nahezu euphorische Bewusstsein, die Macht dazu zu haben. Die Macht, alles zu tun, was er wollte.

Er war kein Straßenjunge mehr. Sondern ein reicher Mann.

Mit mehr Klasse als die meisten anderen. Und mehr Geld. Das er ganz nach eigenem Belieben ausgeben konnte.

In dieser Hinsicht konnte er Gary Chappel mehr als nur das Wasser reichen.

Er war froh, dass er heute Morgen den Armani-Anzug angezogen hatte. Eigentlich eher für das Lunchtreffen mit Mitch Tyler gedacht als für den Geschäftstag. Anwälte trugen nun mal ständig Anzüge, und Mitch war einer der Top-Anwälte des Landes. Mitch hatte erreicht, was er hatte erreichen wollen. Johnny Ellis auch. Mehrere von Johnnys Country-&-Western-Songs hatten Platinum eingeheimst. Selbst nach all den Jahren hielten die drei seit ihrer Zeit auf Gundamurra Kontakt und trafen sich, wenn sie am gleichen Ort waren.

Keiner von ihnen war verheiratet.

Als Ric in seinen Ferrari stieg, fragte er sich, ob die beiden wohl das gleiche Problem mit Frauen hatten wie er. Wahrscheinlich verstanden die drei sich gegenseitig besser, als sie es je mit einer Frau schaffen könnten. Es war gut möglich, dass er Mitch brauchen würde, um die Sache mit Gary Chappel zu bereinigen. Wenn es das war, was Lara wollte.

Ric verließ den Parkplatz und schlug die Richtung zu den Eastern Suburbs ein. Der Umschlag mit dem Foto lag neben ihm auf dem Beifahrersitz – eine mächtige Waffe, die er einsetzen konnte, wenn Lara ihre Freiheit zurückhaben wollte.

Er wusste, wo sie lebte. Nicht, dass er Nachforschungen angestellt hätte. Die Presse war voll gewesen mit Berichten, als Gary Chappel die Fünfzehn-Millionen-Dollar-Villa in Vaucluse erstanden hatte. Eine ganze Fotoserie hatte Lara gezeigt, wie sie stolz die Veränderungen präsentierte, die sie auf dem Anwesen vorgenommen hatten.

Die perfekte Gastgeberin, hatte Ric damals gedacht. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass ihr Leben im privaten Bereich miserabel sein könnte. Ihm war es erschienen, als sei sie mit allem gesegnet … und immer noch genauso unerreichbar für ihn. Unsinnig, ein Treffen mit ihr zu arrangieren. Man sollte Vergangenheit Vergangenheit sein lassen. So etwas konnte nur Frust und Enttäuschung bringen.

Und warum mischte er sich dann jetzt ein?

Weil das Bild, das er sich von ihrem ach so wunderbaren Leben gemacht hatte, zerbrochen war.

Was erhoffte er sich von seiner Intervention? Für wen hielt er sich? Superman, der zu ihrer Rettung kam?

Nun, vielleicht würde sich die ganze Geschichte als peinlicher Witz für ihn entpuppen, aber Ric wusste, er würde keine Ruhe mehr finden, bis er die Wahrheit, die sich hinter diesem Foto verbarg, herausgefunden hatte.

Es war diese Entschlossenheit, die ihn bis nach Vaucluse brachte. Entschlossenheit, die ihn die breiten Stufen bis zur Säulenveranda emporsteigen und den Klingelknopf drücken, die ihn die lange Wartezeit durchhalten ließ, bis die Haustür endlich geöffnet wurde. Nicht von Lara, sondern von einer Frau mittleren Alters mit grauen Haaren. Das strenge dunkelblaue Hemdblusenkleid wies sie sofort als Angestellte aus. Wahrscheinlich die Hausdame, vermutete Ric.

„Mein Name ist Ric Donato. Ich möchte Mrs. Chappel meine Aufwartung machen“, sagte er mit noch mehr Entschlossenheit.

„Es tut mir leid, Mr. Donato, aber Mrs. Chappel empfängt heute keine Besucher“, kam es unnachgiebig zurück. Immerhin verriet es, dass Lara zu Hause war.

„Mich wird sie empfangen“, erwiderte er grimmig und hielt der Haushälterin den Umschlag hin. „Bitte geben Sie ihr das und richten Sie ihr aus, dass Ric Donato hier sei, um über den Inhalt zu sprechen. Ich warte auf die Antwort.“

„Sehr wohl, Sir.“

Die Frau nahm den Umschlag und schloss die Tür.

Er wartete.

In gewisser Hinsicht war es Erpressung. Lara würde wissen, dass das nicht die einzige Kopie war. Sie würde Angst haben, wozu er das Foto benutzen wollte. Diese Angst würde ihm die Tür öffnen. Und er würde wieder in ihr Leben treten.

Für wie lange, das wusste er nicht zu sagen.

Für ihn war es einfach etwas, dem er nicht den Rücken kehren konnte.

2. KAPITEL

Lara saß im Kinderzimmer. Mit der Fußspitze hielt sie den Schaukelstuhl in Gang. Die Bewegung sollte beruhigen, trösten, auch wenn sie wusste, dass nichts gegen die Niedergeschlagenheit helfen würde, die sie hier in diesem goldenen Käfig, gefangen gehalten von Gary, empfand. Sie musste weg. Musste einfach. Aber wie?

Mit leerem Blick starrte sie auf die leere Wiege, den leeren Kinderwagen, all das Leere, das sie für ihr Baby gekauft hatte. Sie wünschte, sie wäre mit dem Baby gestorben. Die ultimative, unumkehrbare Flucht. Wahrscheinlich die einzige Möglichkeit. Garys Überwachung funktionierte lückenlos, sie würde nie von ihm wegkommen. Überall wachsame Augen.

Wie auch immer: Sie musste gehen, bevor er sie noch einmal schwängerte. Sie hoffte mit aller Kraft, dass es gestern nicht passiert war. Das wäre unerträglich. Sie hatte sich vor ein paar Tagen heimlich eine Schachtel mit Antibabypillen aus einer Apotheke in Kings Cross besorgt. Hatte vorgegeben, das Rezept zu Hause vergessen zu haben, und fest versprochen, es am nächsten Tag vorbeizubringen. Eigentlich hieß es, dass der Schutz gleich mit der ersten Pille einsetzen würde, aber sie hatte irgendetwas Falsches gegessen und sich übergeben müssen, sodass sie nicht sicher war, ob der Empfängnisschutz überhaupt noch gewährleistet war.

Mit einem Kind wäre sie auf ewig in dieser Beziehung gefangen. Gary würde ihr mit dem Gesetz zu Leibe rücken und mit Sicherheit das Sorgerecht bekommen. Allein bei dem Gedanken, ein Kind seiner Obhut zu überlassen, zog sich alles in ihr zusammen. Das durfte nie passieren.

Marian Keith erschien im Türrahmen, einen weißen Umschlag in der Hand. Gary hatte sie eingestellt, sie entsprach seiner Vorstellung einer Hausdame. Als Witwe und Mitte fünfzig zeigte sie sich sehr dankbar für das großzügige Gehalt. Schließlich hatte sie fast erwachsene Söhne, die durchs Studium gebracht werden wollten.

Alle Hausangestellten waren von Gary ausgesucht worden, sie waren ihm gegenüber verantwortlich, nicht seiner Frau. Doch ab und zu erhaschte Lara einen mitfühlenden Ausdruck in den Augen der Haushälterin. Marian Keith sah mehr als jeder andere in diesem Haus, wenn auch lange nicht alles. Gary achtete darauf, seine Spielart der Tyrannei hinter geschlossenen Türen auszuleben.

„Entschuldigen Sie, Mrs. Chappel, aber da ist ein Gentleman an der Haustür …“

„Sie wissen doch, dass ich heute niemanden sehen kann, Mrs. Keith.“ Lara schaukelte weiter. Ihr Blick glitt zu den Walt-Disney-Motiven auf der Wand. Schneewittchen. Lara schnitt eine Grimasse. Ja, sie hatte mit Sicherheit in den vergifteten Apfel gebissen, als sie Gary Chappel geheiratet hatte. Nur bei ihr gab es niemanden, der zu ihrer Rettung kommen würde. Niemanden.

„Er war sehr hartnäckig. Ein gewisser Ric Donato …“

Der Schock traf sie mit voller Wucht. Ihr Herzschlag schien auszusetzen. Ruckartig wandte sie der Haushälterin das Gesicht zu. „Wer?“ Sie war nicht bereit, zu akzeptieren, was sie gehört hatte.

„Er sagte, sein Name sei Ric Donato.“

Nach all diesen Jahren! Laras Gedanken wanderten in die Vergangenheit zurück. Wie oft hatte sie nach ihm gesucht? Hatte darauf gehofft, er möge auftauchen. Sie hatte sich so nach ihm gesehnt. Ihr war es gleich, wer er war oder was er nicht besaß. Ric Donato. Ricardo …

Ein verlorener Traum.

Einer, den sie vor langer Zeit begraben hatte, als die Jahre ohne ein Lebenszeichen von ihm vergingen. Jetzt war es zu spät. Er durfte sie unmöglich so sehen.

„Er bat mich, Ihnen das hier zu geben.“ Marian Keith kam mit ausgestrecktem Arm, in der Hand den Umschlag, ins Zimmer. „Er wartet unten vor der Tür. Er sagte, Sie würden den Inhalt mit ihm besprechen wollen.“

Lara schüttelte den Kopf, nahm aber den Umschlag entgegen und öffnete ihn automatisch, neugierig, was darin stecken mochte. Sie hatte das Hochglanzpapier nur zum Teil herausgezogen, als der nächste Schock sie traf.

Instinktiv schob sie das Foto zurück, um die Gesichter zu verdecken. Mehrere Sekunden lang schien sie wie erstarrt, als sie sich ausmalte, welche Reaktionen eine Veröffentlichung dieses Fotos in den Medien heraufbeschwören würde.

„Was soll ich dem Herrn ausrichten, Mrs. Chappel?“

Dem Herrn … Ric Donato wartete unten an der Tür … bereit, über den Inhalt zu reden …

Sie hatte gar keine andere Wahl. Entweder ihn empfangen, oder …

Ihr Herz begann unruhig zu klopfen, die Brust wurde ihr eng. Sie sog scharf die Luft ein und traf die einzige Entscheidung, die sie vielleicht vor Garys Wut bewahren würde.

„Führen Sie Mr. Donato auf die Terrasse, Mrs. Keith. Ich werde hinunterkommen.“

Zögern. Besorgtheit. „Sind Sie sicher, Mrs. Chappel?“

Gary würde herausfinden, dass sie einen Besucher gehabt hatte, so oder so. Sie würde ihm den Grund gestehen müssen. Großer Gott! Es gab keinen Ausweg. Aber es war immer noch besser, das Foto von einer Veröffentlichung zurückzuhalten und die Bestrafung für die Szene hinzunehmen, die sie verursacht und die ein Unbekannter mit der Kamera festgehalten hatte.

„Ja, ich bin sicher, Mrs. Keith“, antwortete sie mit sehr viel mehr Selbstvertrauen, als sie verspürte.

„Sehr wohl.“ Ein knappes Nicken und ein brüsker Abgang.

Lara rührte sich nicht. Der Umschlag, den sie verkrampft in der Hand hielt, war Dynamit. Die Lunte war längst entzündet, und nichts konnte sie löschen. Die schreckliche Explosion würde unweigerlich folgen. Selbst wenn es Lara gelang, eine Veröffentlichung zu verhindern, Gary würde es nicht ertragen können, dass jemand davon wusste. Und Ric Donato wusste davon. Schon jetzt zuckte sie unwillkürlich vor dem Blick aus Rics wissenden Augen zurück … Dunkle Augen, wie brauner Samt, hatte sie einst gedacht. Augen, die sie streichelten, sie liebkosten …

Sie erschauerte und bemühte sich, die Erinnerung abzuschütteln. Vergeblich. Seit damals war viel Zeit vergangen. Sie war fünfzehn gewesen, Ric sechzehn. Eine wilde Teenagerliebe … ein verrückter Traum … Romeo und Julia. In der realen Welt hätte ihre Romanze nie überlebt.

Und ums Überleben drehte sich schließlich alles.

Lara erhob sich aus dem Schaukelstuhl und stellte sich auf die unvermeidliche Begegnung mit Ric Donato ein. Sie eilte nach unten in ihren Ankleideraum und überprüfte ihre Erscheinung. Das Make-up verdeckte fast die Verfärbungen um ihr Auge. Sorgfältig aufgetragener Lippenstift ließ ihren Mund weniger geschwollen erscheinen. Ihr langes blondes Haar fiel ihr wie immer seidig und glänzend über die Schultern. Selbst wenn sie im Haus blieb, erwartete Gary ein makelloses Aussehen von ihr.

Sie trug eine stahlgraue Designer-Jeans und eine braun-weiß gestreifte Hemdbluse. Die Aufschläge verdeckten den Bluterguss an ihrem Handgelenk. Nichts war zu sehen, außer … Sie setzte eine große Sonnenbrille auf. Völlig legitim, wenn man sich auf die sonnige Terrasse beim Swimmingpool setzte.

Dummer Stolz, machte sie sich über sich selbst lustig. Ric Donato würde sich nicht täuschen lassen. Und er war auch nicht gekommen, um sich abwimmeln zu lassen. Aber warum war er dann hier aufgetaucht?

Lara atmete tief durch, in dem verzweifelten Versuch, die innere Unruhe zu dämmen. Sie musste sich ihm stellen, ganz gleich, was seine Absichten sein mochten.

Mit dem Umschlag in der Hand ging sie zur Terrasse, versuchte ruhig durchzuatmen. Er war bereits da, stand unter der ausladenden Markise, die den Essbereich vor der Sonne schützte, den Blick auf die blauen Wasser des Hafens von Sydney gerichtet.

Es überraschte sie, dass er einen Anzug trug. Stoff und Schnitt erinnerten sie daran, was für ein Mann Ric Donato heute war. Ein Mann, der sich so viele extravagante Anzüge leisten konnte, wie er nur wollte. Der Mann, der die Macht besaß, ihre privaten Geheimnisse einer sensationslüsternen Öffentlichkeit preiszugeben. Über die Jahre hatte sie so manchen Artikel über ihn gelesen – über den preisgekrönten Fotojournalisten, der ein Unternehmen gegründet hatte, dessen Netzwerk sich über die ganze Welt spannte.

Und doch ertappte sie sich dabei, wie sie auf die schwarzen Locken starrte, immer noch lang genug, um sich über dem Hemdkragen zu kringeln. Erinnerungen daran, wie sie damals mit den Fingern in diesen seidigen Locken gespielt hatte, tauchten auf …

Ein Kuss.

Das war alles, was sie jemals gehabt hatten.

Nur ein einziger Kuss …

Er drehte sich abrupt um, so als hätte er ihre Anwesenheit gespürt. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Augen, die wussten, wo sie jetzt in ihrem Leben stand. Scham bemächtigte sich ihrer, umklammerte ihr Herz mit unnachgiebigem Griff. Wie hatte aus ihrem Leben dieses Gefängnis aus Angst und Hoffnungslosigkeit werden können? Es war wie eine unaufhaltsame Abschussfahrt gewesen. Ein Mal aufs rutschige Eis getreten, gab es kein Zurück mehr.

„Hallo, Lara.“

Die tiefe sanfte Stimme brachte ihren Puls zum Flattern. Noch immer konnte sie sich nicht überwinden, ihn direkt anzuschauen. Sie konzentrierte sich auf seinen Mund – eine volle Unterlippe, die geschwungene Oberlippe mit scharfen Konturen. Sexy und sinnlich. Ein seltsam faszinierender Kontrast zu dem markanten Kinn und der sehr männlichen römischen Nase.

Sie erinnerte sich daran, wie er sie geküsst hatte. Langsam, vorsichtig, verführerisch, so verlockend für die romantische Seele, die sie damals gehabt hatte. Wenn sie doch nur die Zeit zurückdrehen könnte, andere Entscheidungen treffen, andere Wege beschreiten könnte …

„Ric …“ Sie zwang sich zu dem einen Wort und zu einem knappen Begrüßungsnicken.

Er zeigte auf den Umschlag. „Das Foto ist heute Morgen in meiner Agentur eingegangen. Zu kaufen für jeden, der Interesse hat.“

„Das heißt, du hast es noch nicht verkauft?“, fragte sie hastig, unfähig, die aufsteigende Panik zurückzudrängen.

„Nein. Ich werde es auch nicht verkaufen, Lara“, versicherte er ihr. „Ich habe gerade mit meiner Assistentin telefoniert, die mir sagte, dass sie die Rechte erstanden hat.“

„Ich erstatte dir den Preis, den du bezahlt hast.“

Er schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht.“

Lara machte eine hilflose Geste. „Ich verstehe nicht. Warum bist du dann gekommen, wenn nicht …?“

„Um meine Investition wieder herauszuholen?“ Seine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. „Es mag erstaunen, aber ich bin wegen dir hier.“

„Wegen mir?“ Es klang mehr wie ein Krächzen. Mit Anstrengung hob sie den Blick zu seinen Augen. War das Anteilnahme, was sie da erkannte? Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus.

„Nimm die Sonnenbrille ab, Lara. Vor mir brauchst du dich nicht zu verstecken.“

„Aber ich verstecke …“ Sie schluckte die Lüge hinunter, aber ihr demoliertes Gesicht zu zeigen … das war einfach zu erniedrigend. „Kannst du mir nicht den letzten Rest meines Stolzes lassen, Ric?“

„Hier geht es auch nicht um Stolz, sondern um die Wahrheit. Es bleibt zwischen uns“, sagte er leise und gab damit ein Versprechen, von dem sie wusste, dass er es einhalten würde.

Außerdem hatte er das Foto. Das er zurückgehalten hatte. Bewies das nicht, dass er ihr Geheimnis hüten würde?

Mit einem resignierten Schulterzucken setzte sie die Sonnenbrille ab. Sichtbar wurde eine Schwellung, die ihr Auge zu einem schmalen, blutunterlaufenen Schlitz zusammendrückte. „Die blaue Wahrheit“, meinte sie selbstironisch und musste Tränen zurückhalten.

Er nickte. „Ich habe dir nie erzählt, dass meine Mutter auch zu den verprügelten Ehefrauen gehörte.“

Bei seiner schonungslosen Beschreibung zuckte Lara zusammen.

„Sie starb an den Verletzungen, die mein Vater ihr zufügte, da war ich acht“, fuhr er fort. Er wollte, dass sie verstand, was passieren konnte. „So oft ich mich ihm auch in den Weg warf, um sie zu schützen, es lenkte ihn ab, aber es konnte ihn nicht aufhalten. Ich konnte sie nicht retten.“

„Das tut mir leid. Ich …“ Sie schüttelte den Kopf und schluckte hart. „Nein, das hast du mir nie gesagt“, brachte sie hervor, verzweifelt bemüht, den Rest ihrer Würde zu wahren.

„Aber dich kann ich retten, Lara. Wenn du das möchtest.“

„Oh Gott!“ Blind vor Tränen stolperte sie zum nächsten Stuhl und brach darauf zusammen. Sie schlug beide Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos über die angebotene Chance, vor einem Ehemann gerettet zu werden, der sie niemals gehen lassen würde.

Sie war sich verlegen darüber bewusst, dass Ric sie nicht aus den Augen ließ. Zumindest versuchte er nicht, sie zu berühren, stammelte auch keine tröstenden Worte. Er blieb auf der anderen Seite des Tisches stehen, reglos wie eine Statue, sagte nichts, bewegte sich nicht. Ließ ihr einfach Zeit, sich wieder zu fangen. Was sie irgendwann tat. Ihr Stolz lag in Scherben da, aber wie Ric gesagt hatte, hier ging es nicht um Stolz.

„Danke, aber es gibt nichts, was du tun könntest.“ Sie sah ihn an, damit er in ihren Augen lesen konnte, dass sie die Wahrheit sprach. „Außer dem natürlich, was du bereits getan hast … mit dem Foto. Ich bin dir sehr dankbar dafür, Ric.“

Immer noch brannte das Feuer in seinen dunklen Augen. „Da am Flughafen … bist du vor ihm davongelaufen?“

„Es ist mir nicht gelungen“, gestand sie. „Jeder hier … sie sagen ihm alles. Ich kann nirgendwohin gehen, ohne dass er davon erfährt.“

„Was ist mit deiner Familie, Lara? Kann die dir nicht helfen?“

„Mein Vater hat einen Schlaganfall erlitten. Er wird in einem der Chappel-Pflegeheime versorgt. Und meine Mutter … sie will nichts Negatives über Gary hören. Es ist zu gefährlich.“

Sie sprach nicht weiter. Ric wusste, es gab keine Geschwister, Lara war ein Einzelkind. Und Freunde – die hatte Gary ausgesucht. Zu den Freundinnen aus den Jahren ihrer Laufbahn als Model war der Kontakt abgebrochen.

„Aber du willst ihn verlassen?“, hakte er nach.

„Oh ja.“ Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ich bin keine Masochistin, Ric.“

„Wie sehr, Lara?“, forderte er sie heraus. „Wie weit wärst du wirklich bereit zu gehen, um Gary Chappel ein für alle Mal loszuwerden?“

Sie schüttelte geschlagen den Kopf. „Das ist unmöglich.“

„Doch, es ist machbar“, sagte er mit solcher Arroganz und Selbstsicherheit, dass sie die gefauchte Bemerkung, entstanden aus Elend und Frustration, nicht zurückhalten konnte.

„Glaubst du nicht, ich hätte bereits ausgelotet, was machbar ist und was nicht?“

„Wärst du bereit, ein Jahr auf einer Schafstation im Outback zu leben, weit ab von allem, das du kennst?“

Im Outback? Daran hatte sie nie gedacht. Sie war noch nie dort gewesen, kannte niemanden dort. Hatte auch nicht die geringste Vorstellung davon, wie die Menschen dort lebten. Aber sie lebten. Und sie wäre endlich frei von der Angst. Die Angst, die ihr ständiger Begleiter war, die ihr ständig im Nacken saß.

„Ja.“ Jede andere Antwort, basierend auf ihren Erfahrungen in der reichen und privilegierten Gesellschaft, in der sie immer gelebt hatte, war unwichtig. Verzweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnahmen.

„Bist du bereit, alles zurückzulassen und jetzt mit mir zu kommen? Kein Koffer, nur du, so, wie du bist.“

„Mit … dir?“

Ihr Verstand arbeitete sich hektisch durch den nächsten Schock. Ric Donato redete nicht über eine theoretische Situation, er fragte sie, jetzt und hier … Und sie kannte den Mann nicht, zu dem er geworden war. Wie konnte sie einer solch drastischen Aktion zustimmen, wenn ihre einzige Erfahrung mit ihm aus einer romantischen Teenagererinnerung bestand? Und das war immerhin … achtzehn Jahre her!

„Ich bin deine Fluchtmöglichkeit, Lara.“ Er zuckte nicht mal mit der Wimper. „Ich kann dich nach Gundamurra bringen, wo du vor möglichen Nachstellungen deines Mannes absolut sicher bist. Für das eine Jahr, das es dauert, um die Scheidung durchzukriegen, wirst du dort Schutz finden.“

Gundamurra … Das hörte sich nach dem Ende der Welt an. Primitiv … karg …

„Du solltest dich besser schnell entscheiden“, fuhr er ungerührt fort. „Wenn es stimmt, was du sagst, und ihm wirklich jeder alles sofort zuträgt, weiß er vielleicht schon, dass ich hier bin, und wird misstrauisch.“

„Wie kann ich dir vertrauen, dass du auch tust, was du sagst?“, rief sie aus. Die Angst vor den Konsequenzen lähmte sie und machte eine Entscheidungsfindung fast unmöglich.

„Ich bin hier. Ich biete dir Hilfe an. Was hast du zu verlieren, wenn du mir vertraust?“

„Wenn es dir nicht gelingt, wird alles nur noch viel, viel schlimmer.“

„Es wird mir gelingen.“

„Gary hat gesagt, dass einer seiner Männer das Haus beobachtet. Mich beobachtet.“

„Mein Wagen steht vor der Haustür. Sollte uns jemand verfolgen, so habe ich die Möglichkeiten, jeden abzuhängen.“

Er sprach mit solcher Ruhe, mit solcher Überzeugung. Die Panik, die Lara erfasst hatte, schwellte ab, machte einer wilden Hoffnung Platz. Konnte er es schaffen? Konnte Ric sie wirklich von Gary wegbringen, an einen Ort, wo sie sicher war, wo Gary sie nicht finden würde?

Eine Schafstation im Outback.

Warum nicht?

Überall ging es zivilisierter zu als hier in diesem Haus.

„Du hast die Wahl, Lara. Das Leben dort ist anders, aber zumindest wirst du frei atmen können.“

Sie holte tief Luft. „Dieses Gundamurra … Gehört es dir?“

„Nein. Aber ich habe dort gelebt. Dort kann man einen klaren Kopf bekommen – wenn man es will.“

Freiheit war das Einzige, an das sie denken konnte. Aber vielleicht hing an dieser Freiheit ein Preisschild …

„Wenn wir es tun … und es uns gelingt … dann bin ich dir eine Menge schuldig, Ric.“

Seine Lippen wurden weich, als er schief lächelte. „Das hat mit Geld nichts zu tun.“

Geld? An Geld hatte sie überhaupt nicht gedacht. Sie betrachtete den Mann, zu dem er geworden war – mächtig genug, um Gary herauszufordern. Was wollte er von ihr? War es wirklich nur Mitgefühl, das ihn veranlasste, ihr Hilfe anzubieten? Was, wenn er genauso war wie Gary und sich rücksichtslos nahm, wonach ihn gelüstete? Nein, so konnte er nicht sein, sonst hätte er nicht von seiner Mutter erzählt. Sie ließ ihren Instinkt von ihrer Angst beeinflussen.

„Du kannst mir ja zurückzahlen, was du mir schuldig zu sein glaubst, wenn die Scheidung rechtskräftig ist“, warf er in ihr Schweigen ein.

„Und wie soll ich mich um eine Scheidung kümmern, wenn ich da draußen …“

„Ich kenne jemanden, der das für dich übernehmen wird. Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Lara. Mitch wird Gary so fest in den Boden rammen, dass dein zukünftiger Exehemann sich nie wieder davon erholen wird.“

Sie konnte es kaum fassen. Alles passierte so schnell – ein Versprechen war ausgesprochen worden, an das sie sich mit aller Macht klammern wollte. „Bist du sicher?“

„Absolut.“ Seine dunklen Augen blitzten entschlossen, als er vortrat und den Umschlag vom Tisch nahm. „Das hier ist deine Garantie für eine angemessene Entschädigung für das, was du durch Gary Chappel hast erleiden müssen.“

Sie starrte ihn an, und der Eindruck, den sie schon als Teenager von Ric Donato gehabt hatte, kam zurück – eine entschlossene, nicht aufzuhaltende Kraft. Aber damals war er aufgehalten worden – von der Polizei. Weil er einen Wagen gestohlen hatte.

Jetzt hatte er Diebstahl nicht mehr nötig. Er verfügte über den Reichtum und die Macht, die ihn unaufhaltbar machten, bei allem, was er sich vornahm. Und mit dieser Erkenntnis wuchs die Hoffnung in Lara. Ob richtig oder falsch, sie würde ihm vertrauen. Welches Risiko sie damit auch eingehen mochte, sein Angebot war die Sache wert. Zumindest würde sie es versuchen.

Sie schob den Stuhl zurück. Adrenalin pulste durch ihre Adern, verlieh ihr neue Energie. „Ich gehe mich schnell fertig machen.“

Die Entscheidung war gefallen.

Er nickte zustimmend. „Bring nur deine Handtasche mit, Lara. Portemonnaie, Führerschein, Ausweis, nicht mehr, als du sonst auch mitnimmst, wenn du ausgehst.“

Sie erkannte den Sinn hinter dieser Anordnung – nichts, was auf eine endgültige Abreise hinweisen würde. „Ich brauche nur ein paar Minuten, Ric. Wartest du hier auf mich?“

„Ja. Und du kannst deine Sonnenbrille wieder aufsetzen.“

Zu ihrem eigenen Erstaunen stellte sie fest, dass sie lächelte. Die Aussicht auf die Freiheit ließ ihr Herz schneller schlagen. „Danke, Ric.“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich wollte schon immer den Ritter in der goldenen Rüstung spielen, der die holde Maid aus höchster Not errettet. Es ist ein gutes Gefühl, dir zu Diensten zu sein, Lara. Das reicht mir völlig.“

Es war die Zusicherung, dass sie bei ihm sicher war. Er würde nichts von ihr verlangen.

Vielleicht werden Märchen ja doch wahr, dachte Lara. Ihr war schwindlig vor Aufregung und Erleichterung, als sie davoneilte, um ihre Tasche zu holen. Obwohl sie Ric Donato nicht als Ritter in goldener Rüstung sah. Eher als dunklen Prinzen.

Aber im Dunklen konnte man sich gut versteckt halten. Und wenn er sie vor Gary beschützen konnte, dann war er wahrhaftig ein Prinz.

3. KAPITEL

Die Minuten dehnten sich. Endlos. Jede Sekunde eine kleine Ewigkeit.

Unruhig lief Ric auf der Veranda auf und ab, konzentrierte sich in Gedanken darauf, dass Lara nicht im letzten Moment ihre Meinung änderte, dass ihre Angst nicht Oberhand gewann. Zeit war der kritische Faktor. Wenn jemand Gary Bescheid gesagt hatte … Wenn er herkam, bevor sie verschwunden waren … Eine direkte Konfrontation würde alles vereiteln.

Schritte näherten sich. Ric eilte in die Richtung, aus der sie kamen, sein ganzer Körper war angespannt.

Lara. Eine braune Ledertasche über der Schulter, einen Hut in der Hand. „Fertig“, sagte sie, atemlos vor Aufregung.

„Dann lass uns gehen.“ Zu seiner Erleichterung war nicht das geringste Zögern bei ihr zu bemerken.

In der Halle kam ihnen die Haushälterin entgegen. Beunruhigt schaute sie den beiden entgegen. „Mrs. Chappel?“

„Ich gehe eine Weile aus.“ Lara ging auf die Haustür zu. „Wir bleiben nicht lange, Mrs. Keith.“

Die Haushälterin war vor ihr bei der Tür. „Mrs. Chappel …“ Es war ein unausgesprochenes Flehen, es sich noch einmal zu überlegen.

Die Frau weiß genau, was hier los ist, dachte Ric. Es gefiel ihm nicht. Er legte der Haushälterin eine Hand auf die Schulter. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde auf sie aufpassen.“

Mrs. Keith schüttelte unmerklich den Kopf, trat aber beiseite, ohne weiter zu protestieren.

„Das Auto ist viel zu auffällig, Ric“, sagte Lara ängstlich, sobald sie den Ferrari erblickte.

„Wir werden ihn nicht lange benutzen.“

Es war ein beruhigendes Gefühl, hinters Steuer zu gleiten und den Motor zu starten. Jetzt stand Lara unter seiner Obhut, und nichts würde ihn davon abhalten können, sie nach Gundamurra zu bringen. Die Versuchung, das Gaspedal durchzutreten und davonzupreschen, war groß, aber er hielt sich zurück. Es war besser, nach Verfolgern Ausschau zu halten.

Er hatte gerade das Grundstück der Chappel-Villa verlassen, als ein grauer Sedan, der am Straßenrand geparkt stand, ihnen folgte. Ein männlicher Fahrer, mit Sonnenbrille und Baseballkappe.

Ric hatte nicht die Absicht, ihn abzuhängen. So etwas machte man, wenn der Verfolger es am wenigsten erwartete.

An der nächsten roten Ampel benutzte er sein Autotelefon und rief Kathryn an.

„Kathryn, ich bin auf dem Weg zurück in die Agentur. Lara Chappel ist bei mir, und ich brauche deine Hilfe. Sag für die nächsten zwei Stunden alles ab, nimm deine Tasche und deine Autoschlüssel und erwartete mich unten in der Tiefgarage. Wir sollten in ungefähr zehn Minuten dort sein. Alles verstanden?“

„Ich werde dort sein, Ric.“

„Danke.“

„Wer ist Kathryn?“, fragte Lara sofort. Sie wrang die Hände im Schoß, offensichtlich nervös, wer sonst noch von dem Plan erfahren würde.

„Kathryn Ledger. Meine rechte Hand. Sie leitet das Büro in Sydney. Ich vertraue ihr völlig.“

„War sie es, die das Foto gekauft hat?“

„Ja.“

Lara atmete tief durch. „Ich nehme an, wir werden die Autos wechseln.“

„Unbedingt. Dreh dich jetzt nicht um. Wir werden von einer grauen Limousine verfolgt.“

Laras Fingerknöchel traten weiß hervor. Ric fragte sich, wie viele Fluchtversuche wohl schon verhindert worden waren. Und bestraft. Unwichtig, sagte er sich. Das ist die Vergangenheit. Er musste Laras Zukunft sichern.

An der nächsten roten Ampel wählte er die Nummer des Banktown Airport und sprach mit dem Mann, der für Johnnys Cessna zuständig war.

„Ric Donato hier. Ich brauche Johnnys Flugzeug für einen Flug nach Bourke. Könnten Sie bitte so schnell wie möglich alles vorbereiten? Ich brauche die Maschine in ungefähr einer Stunde.“

„Geht klar, Mr. Donato. Möchten Sie ein paar Erfrischungen an Bord?“

„Ja. Wir sind zu zweit.“

„Wird erledigt.“

Ric hörte, wie Lara neben ihm noch einmal tief Luft holte. „Ein Privatflugzeug?“, erkundigte sie sich leise.

Er nickte. „Gehört einem Freund von mir. Ich kann die Maschine benutzen, wann immer ich möchte. Johnny ist im Moment in den Staaten. Er braucht sie eine Weile nicht.“

„Du hast einen Flugschein?“, fragte sie verwundert.

Er lächelte ihr zuversichtlich zu. „Keine Sorge. Ich habe den Pilotenschein, ja, und ich kann mehrere tausend Flugstunden nachweisen.“

„Bourke …?“

„Der erste Zwischenstopp. Wir werden ein paar Sachen für dich einkaufen, bevor wir weiterfliegen.“

„Ich habe nicht viel Geld dabei. Aber meine Kreditkarten. Wenn Gary …“

„Nein, keine Kreditkarten. Dadurch kann man deinen Weg nachvollziehen. Ich gebe dir das Geld. Betrachte es als Darlehen.“

Sie protestierte nicht.

Ric war froh darüber, dass sie verständig genug war, keinen Widerspruch zu leisten gegen den Plan, der noch lange nicht in seinem Kopf ausgereift war. Aber er spürte die Aufregung, wie damals in den Kriegsgebieten, als schnelles Handeln und Planen nur für den nächsten Schritt notwendig für das Überleben waren. Damals schoss reichlich Adrenalin durch seine Adern. Das hier war ein anderer Kampf, aber es war ein Kampf. Hier ging es um Laras Leben.

Denn daran zweifelte er keine Sekunde. Das blaue Auge, dieser Ausdruck der absoluten Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit … Das war mehr als ausreichend, um Ric in den Kampfmodus zu versetzen. Den Beweis, dass Lara die Wahrheit gesagt hatte, lieferte der Typ in dem Wagen, der sie verfolgte. Die Villa in Vaucluse war ein Gefängnis. Gary Chappel hatte es verdient, seine Frau zu verlieren.

Ob dieser Bastard bei Lara bleibenden Schaden angerichtet hatte, blieb abzuwarten. Ric war entschlossen, ihr die notwendige Zeit zu lassen. Schon seltsam, nach all den Jahren fühlte er noch immer eine starke Verbundenheit mit ihr. Seine erste Liebe. Seine einzige Liebe, wenn man es so nennen wollte. Eigentlich mehr eine Fantasie, und Gary Chappel hatte in diese Fantasie gepasst. Nur dass die Wirklichkeit in dieser Ehe ganz anders ausgesehen hatte. Ric verspürte eiskalte Wut auf den Mann, der Lara so gedemütigt hatte.

Er sah auf ihre verkrampften Hände, bemerkte, dass sie ihre Ringe abgelegt hatte. Eine mutige Tat, angesichts ihrer Angst. Auch ein Beweis ihres Vertrauens in ihn, dass es ihm gelingen würde, sein Versprechen wahr zu machen. Was wohl bedeuten musste, dass sie irgendetwas Positives mit ihm verband. Vielleicht ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, eine Erinnerung an die unschuldige Beziehung zwischen ihnen.

Was auch immer … Sie war mit ihm gekommen, und Ric hatte nicht vor, ihr Vertrauen auf irgendeine Art zu missbrauchen. Zuallererst brauchte sie ein Gefühl von Sicherheit. Dann ein sauberer, glatter Schnitt, der ihre Ehe beendete. Was ihn an seine Verabredung erinnerte.

Er rief in Mitchs Kanzlei an und ließ eine Nachricht bei der Sekretärin zurück: Das gemeinsame Essen müsse ausfallen, dafür würde er sich abends bei Mitch melden.

„Das ist der Anwalt, den ich erwähnte“, klärte Ric Lara auf. „Mitch wird sich um deine Scheidung kümmern.“

„Ein Anwalt …“ Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Du hast sehr interessante und praktische Freunde, Ric.“

Viele sogar, aber nur wenige, auf die er sich in einer solchen Situation absolut verlassen konnte. „Johnny und Mitch waren zusammen mit mir auf Gundamurra“, meinte er sachlich. „Der Mann, dem die Station gehört, Patrick Maguire, war wie ein Vater zu uns, in einer Zeit, die schwierig für uns war. Jeder einzelne dieser Männer wird alles in seiner Macht Stehende tun, um dich zu schützen, Lara.“

„Weil du sie darum bittest?“

Er schüttelte den Kopf. „Weil sie es nicht mögen, wenn Leute verletzt werden. Und nichts, was dein Ehemann tut, könnte sie einschüchtern.“

Sie seufzte schwer auf. „Das könnte eine große Aufgabe werden.“

Er grinste kühn, fast übermütig. „Es sind alles große Männer.“

Immerhin entlockte es ihr ein kleines Lächeln. „Du bist auch groß.“ Dann, mit einem sorgenvollen Stirnrunzeln: „Ich will nicht, dass Gary dir etwas antut. Er ist es gewohnt, immer seinen Willen durchzusetzen. Es wird … Folgen haben, Ric. Weil ihr mir helft.“

Erstaunlich, dass sie sich um ihn und seine Freunde Gedanken machte, wenn ihr eigenes Leben auf dem Spiel stand. „Es gibt Zeiten, da muss man einfach etwas unternehmen, Lara“, sagte er leise. „Wir berauben uns unseres Selbstwertgefühls, wenn wir es nicht tun.“

Es gab so viel Unrecht auf der Welt. Jahrelang hatte er es mit seiner Kamera gezeigt, und es hatte nichts geändert. Seine Bilder waren nicht mehr und nicht weniger als eine Bestandsaufnahme von Unmenschlichkeiten, die der Mensch gegen seine Mitmenschen verübte. Vielleicht war das Teil dessen, was ihn heute antrieb – das Bedürfnis, etwas zu verändern. Und wenn es nur etwas in Laras Leben änderte.

Er fuhr in die Tiefgarage, benutzte seinen Firmenausweis, um die Schranke hochfahren zu lassen. „Garys Handlanger kann uns mit seinem Wagen nicht bis hierher folgen. Das gibt uns Zeit, die Autos zu tauschen. In Kathryns Auto werden wir uns ducken müssen, damit er uns nicht sieht, wenn wir rausfahren. In Ordnung?“

„Ja.“

Kathryn wartete bereits.

Die Flucht verlief reibungslos, keine Stolpersteine, keine unvorhergesehenen Überraschungen. Am frühen Nachmittag landeten Ric und Lara in Bourke. Ric eröffnete bei einer Bank ein Konto für Lara und hob mehrere tausend Dollar von seinem ab, damit Lara für sich Kleidung kaufen konnte. Er gab ihr auch den Schlüssel für den Mietwagen, den er am Flughafen ins Stadtzentrum zur Oxford Street bestellt hatte. So konnte sie ihre Einkäufe direkt einladen.

„Was brauche ich, Ric?“, fragte sie unsicher. „Das ist völliges Neuland für mich. Ich will nicht unangenehm herausstechen, sondern mich anpassen.“

Eine gute Einstellung. Sie schien die Herausforderung, ein Jahr im Outback zu leben, akzeptiert zu haben, ohne Anzeichen der verwöhnten reichen Ehefrau zu zeigen, die sich nach ihrem früheren Leben zurücksehnte. Er fragte sich, wie sie wohl mit der Isolation dort draußen fertig werden würde. Würde sie sie willkommen heißen oder verfluchen? Das würde die Zeit zeigen.

„Shorts, Jeans, Sweat- und T-Shirts, festes Schuhwerk, Sandalen“, zählte er auf. „Du wirst eine warme Jacke brauchen, ein paar dicke Pullover. Nachts kann es empfindlich kühl werden. Wähle lässige Sachen aus, nichts Edles.“ Er zuckte die Schultern. „Sieh dich um, was die Leute tragen.“

Dabei würde sie in den nächsten zwei Monaten sowieso nicht viele Menschen zu Gesicht bekommen. Es war Ende Februar, Regenzeit. Die Straße nach Gundamurra würde ausgewaschen sein, unbefahrbar. Der einzige Weg rein oder raus war per Flugzeug. Selbst wenn Gary Chappel Laras Aufenthaltsort herausfinden sollte, er würde nie zu ihr gelangen. Dafür würde Patrick Maguire schon sorgen.

„Du musst dich beeilen, Lara“, warnte er. „Wir sollten gegen fünf von hier abfliegen, um vor Sonnenuntergang auf Gundamurra zu sein.“

„Ich werde schnell machen“, versprach sie, und dann grinste sie plötzlich. „Es wird niemanden kümmern, wie ich aussehe, oder?“

Es war das erste Mal, dass sie wirklich unbeschwert wirkte. Ric spürte, wie ihm selbst leichter ums Herz wurde. „Keinen Deut. Im Outback wird man nicht nach seinem Aussehen eingeschätzt. Dort ist nur wichtig, was für ein Mensch man ist.“

„Der Mensch …“ Sie verzog das Gesicht. „Das Mädchen, das du einst gekannt hast, Ric, ist unterwegs in meinem Leben verloren gegangen.“

Er nickte. Es gab keine Umkehr. Sie waren beide keine Teenager mehr, hatten hinter sich gelassen, was sie einst gewesen waren. „Du wirst die Chance haben, herauszufinden, wer du heute bist, Lara.“ Damit scheuchte er sie fort, damit sie ihre Einkäufe erledigte. „Wir treffen uns um fünf beim Wagen.“

Ric sah ihr nach, wie sie mit schnellen Schritten die Straße entlangging, und wusste, dass sie das erste Gefühl von Freiheit auskostete. Es war gut, sie ohne Angst zu sehen. Den Unterschied zu sehen. Das allein war Belohnung genug für ihn.

Der nächste Schritt würde sein, Patrick über ihre bevorstehende Ankunft zu informieren. Ric machte sich auf den Weg zur Post, um eine öffentliche Telefonzelle zu benutzen. Er wollte die Möglichkeit ausschließen, dass man ihn vielleicht über sein Handy aufspüren konnte. Glücklicherweise war Patrick zu Hause in seinem Arbeitszimmer und nicht draußen auf den Weiden.

„Ric hier“, meldete er sich. „Ich bin in Bourke. Noch vor Sonnenuntergang werde ich mit dem Flugzeug nach Gundamurra kommen.“

„Großartig!“ Freudige Überraschung lag in Patricks Stimme. „Ich hole dich von der Landebahn ab.“

„Patrick, ich bringe jemanden mit. Ich habe ihr versprochen, dass sie für ein Jahr Gast in deinem Haus sein kann.“

„Ein ganzes Jahr?“ Die Länge des Aufenthalts erstaunte ihn.

Hastig erklärte Ric die Umstände, und Patrick hörte zu, ohne einen Kommentar abzugeben oder zu unterbrechen.

„Handelt es sich dabei um deine Lara, Ric?“, fragte er schließlich, als Ric geendet hatte. „Das Mädchen, dessentwegen du damals das Auto gestohlen hast?“

Seine Lara. Sie war nie die seine gewesen. War sie jetzt auch nicht. Und doch … „Ich musste ihr helfen, Patrick. Wirst du für mich auf sie aufpassen, dass sie in Sicherheit ist? Sie braucht die Zeit, um ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.“

„Vielleicht wird es nicht so ablaufen, wie du dir das vorstellst, Junge“, kam die ernste Warnung. „Was nützt es, wenn sie von dem einen Gefängnis in das nächste marschiert, wenn sie das in Gundamurra sieht? Aber sie ist hier willkommen, so lange sie bleiben will.“

„Mehr wollte ich nicht.“ Die Entscheidung lag bei Lara. Er konnte, wollte sie nicht zu etwas zwingen.

„Also dann, einverstanden.“

„Danke, Patrick.“

Vielleicht wird es nicht so ablaufen, wie du dir das vorstellst … Die Worte hallten in Rics Kopf nach, während er die Straße zum Gecko Café hinunterging, um sich einen Kaffee zu genehmigen, während er auf Lara wartete.

Was erhoffte er sich eigentlich von der ganzen Sache?

Er wusste nur, was er nicht wollte – Lara als misshandelte Ehefrau.

Aber was noch, außer ihr zu helfen, sich von Gary Chappel zu befreien? Er wollte Lebensfreude in ihren Augen sehen. Etwas von dem Mädchen in ihr wiedererkennen, das früher einmal jede Sekunde ihres Zusammenseins zu etwas Besonderem gemacht hatte.

Magie.

Oder war das nur ein unreifer Traum? Das Greifen nach den Sternen, die doch unerreichbar waren?

Wieder hörte er Patricks warnende Worte. Doch auch sie konnten die heimliche Hoffnung, die er im Herzen trug, nicht ausmerzen.

4. KAPITEL

Ric lehnte an der Motorhaube, die Arme locker über der Brust verschränkt. Jackett und Krawatte hatte er im Flugzeug gelassen, den Hemdskragen geöffnet und die Ärmel aufgerollt.

Als Lara auf den Wagen zugeeilt kam, fiel ihr auf, dass Ric muskulöser gebaut war als Gary. Auch seine Schultern waren breiter. Er würde nie einen maßgeschneiderten Anzug brauchen, um seine Statur zu betonen. Der Junge aus ihrer Erinnerung war lange nicht so beeindruckend gewesen.

Sie hätte nie gedacht, dass ein Fotograf bei seiner Arbeit solche Muskeln bekommen würde, aber Reportagen aus Kriegsgebieten glichen wohl auch kaum einem Sonntagsspaziergang. Und wenn Ric noch dazu auf einer Schaffarm im Outback gearbeitet hatte …

Wie war er überhaupt nach Gundamurra gekommen? Eine eigenwillige Wahl für einen Jungen aus der Stadt.

Er mochte jetzt reich sein, aber er war ein ganz anderer Typ Mann als die reichen Männer, die sie kannte. Das hatte sich an Ric Donato also nicht verändert. Er war anders, und diese Art von Anderssein gefiel ihr. Sie hatte keine Angst davor. Im Gegenteil, es war aufregend, anziehend. Doch viel mehr als das – instinktiv wusste sie, dass er sie nie bewusst verletzen würde.

Weil er hatte miterleben müssen, wie seine Mutter verletzt worden war, und es gehasst hatte?

Selbst als Teenager hatte er sie behandelt, als sei sie jemand Wertvolles, jemand, mit dem man behutsam umgehen musste. Wie eine Prinzessin …

Nun, jetzt war sie nicht viel mehr als eine Bettlerin. Und sie wollte auch nie wieder für eine Prinzessin gehalten werden.

Beschwingt ging sie auf den Wagen zu. Sie freute sich über die Sachen, die sie eingekauft hatte. Da war nichts Aufgesetztes an ihnen, keine übertriebene Eleganz. Jetzt, da sie von Gary befreit war, würde sie ein Mensch sein, keine Kleiderpuppe. Der Besitz eines Mannes.

Ric erblickte sie und richtete sich auf, bereit, sich in Bewegung zu setzen. Action Man, dachte sie fast übermütig, immer noch verwundert darüber, dass er so schnell ihre Flucht arrangiert hatte. Aber wir sind noch nicht am Bestimmungsort angekommen, erinnerte sie sich. Es war ihr gleich, wo es war und was es war. Ric hatte gesagt, dort würde sie in Sicherheit sein, und sie glaubte ihm.

Als sie zum Landeanflug auf Gundamurra ansetzten, glaubte Lara ihm nicht nur, sie war überzeugt. Nichts als endloses flaches Land, meilenweit entfernt von jeglicher Zivilisation.

„Wie groß ist Gundamurra?“, fragte sie.

„Hundertsechzigtausend Morgen“, lautete die schwer fassbare Antwort. „Patrick hat vierzigtausend Schafe auf seinem Land.“

„Wie verwaltet man ein so großes Terrain?“

„Mit Lastwagen, Motorrad, zu Pferde und per Flugzeug. Kommt darauf an, was erledigt werden muss.“

„Die Gebäude dort unten … Das sieht aus wie eine kleine Stadt.“

„Unterkünfte für den Verwalter und die Zeitarbeiter, die Kantine und das Haus des Kochs, Scherstationen, Ställe, Bürogebäude, Schule. Fest angestellt sind normalerweise zwölf Leute, zusammen mit ihren Familien macht das ungefähr dreißig Personen. Du wirst also Gesellschaft haben, auch wenn es nicht das sein wird, was du gewohnt bist. Man lebt hier sehr isoliert. Die Post wird ein Mal in der Woche gebracht und abgeholt. Per Flugzeug.“

Wie eine Insel, dachte Lara, völlig unabhängig. „Was hat dich nach Gundamurra verschlagen, Ric?“ Wie hatte er überhaupt davon gehört?

Er zuckte mit einer Schulter. „Als ich damals wegen des gestohlenen Porsche verurteilt wurde, ließ der Richter mir die Wahl – entweder Zeit in der Jugendstrafanstalt absitzen oder auf einer Station im Outback arbeiten.“

Deshalb also war er verschwunden!

„Patrick bot dieses Programm als Alternative für Jugendliche an, die es versuchen wollten. Am ersten Tag hier erklärte er uns, dass Gundamurra in der Sprache der Aborigines ‚Guten Tag‘ heißt und dass er hoffe, wir würden später den Tag unserer Ankunft als einen guten Tag in unserem Leben bezeichnen.“

„Und? War er das für dich?“

„Oh ja.“

Sie seufzte, als sie sich an jene Nacht erinnerte, als die Polizei sie in dem Porsche gestellt hatte. Ric hatte jedwede Komplizenschaft ihrerseits bestritten, und ihr Vater … „Meine Eltern haben mich damals gleich am nächsten Tag auf ein Internat geschickt und jeden meiner Schritte mit Adleraugen beobachtet.“

Er warf ihr einen ironischen Seitenblick zu. „Keine unschicklichen Kontakte mehr, was?“

„Auf jeden Fall keine mehr ohne die richtigen Beziehungen“, gab sie ebenso spöttisch zurück. „Während der Ferien wurde ich in die besten Urlaubsorte geschickt, damit ich dir nie wieder zufällig begegnen würde. Oder jemandem wie dir.“

„Ich habe dir von Gundamurra aus geschrieben. Mehrere Male.“

Seine Stimme klang tonlos, kein Vorwurf, nichts. Und doch hörte sie die tiefe Enttäuschung, weil er nie eine Antwort von ihr erhalten hatte. „Ich habe die Briefe nie gesehen, Ric.“

„Nein, wahrscheinlich nicht.“

„Es tut mir leid. Ich nehme an, meine Eltern haben sie abgefangen.“

„Du warst fünfzehn, Lara“, meinte er trocken. „Ich konnte unmöglich gut für dich sein.“

„Doch, das warst du.“ Sie sprach die Worte mit solcher Inbrunst aus, dass er ihr einen fragenden Blick zuwarf. „Ich meine nicht wegen des Autos“, fügte sie hastig hinzu, verlegen über ihren Ausbruch. „Ich war wirklich gern mit dir zusammen, Ric.“

Sein Mund verzog sich zu einem warmen Lächeln. „Ich war auch gern mit dir zusammen“, murmelte er. Dann konzentrierte er sich darauf, das Flugzeug zu landen.

Lara verfiel in nachdenkliches Schweigen, erschüttert von den mächtigen Gefühlen, die sie mit einem Mal ergriffen hatten. Wie war es möglich, dass sie nach ihrer Erfahrung mit Gary einen Mann wollte? Blanker Wahnsinn! Ric verkörperte die Möglichkeit, ihrer zerstörerischen Ehe zu entfliehen. Dankbarkeit, ja. Bewunderung für sein Organisationstalent und seine Großzügigkeit, ja. Aber Verlangen …?

Nein. Sie war einfach gefühlsmäßig aufgewühlt und völlig aus dem Gleichgewicht. Wahrscheinlich war es nur das Bedürfnis nach Geborgenheit, weil er ihr Schutz bot. Aber Gundamurra war jetzt ihr sicherer Hafen, nicht Ric Donato.

Garys oberflächlicher Charme hatte sie sich in die Ehe stürzen lassen. Der wohlmeinende Segen ihrer Eltern und die Garantie für ein Leben in finanzieller Sorglosigkeit und Luxus hatten ihr Übriges beigetragen. Doch all diese grandiosen Versprechen waren nur Blendwerk gewesen, und sie hatte sie geschluckt. Was sagte das über sie aus?

Zeit, Bilanz zu ziehen.

Nun, an diesem Ort hier würde sie genügend Zeit dafür finden.

Halte dich an Patrick Maguire, ermahnte sie sich still. Er war jetzt die Konstante, um die sich ihr Leben in Gundamurra drehen würde. Eine Vaterfigur für Ric. Vielleicht würde Patrick auch für sie zur Vaterfigur werden.

Er wartete schon auf sie, als Ric mit dem Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte. Ein großer Mann, ein wahrer Hüne, der neben einem Land Rover stand.

„Weiß er von mir?“ Mit einem Schlag wurde Lara bewusst, dass sie wirklich hier war. „Hast du ihm von mir erzählt?“ Die Nervosität holte sie ein.

„Ja. Als du einkaufen warst.“ Ric lächelte ihr aufmunternd zu. „Es ist alles in Ordnung, Lara. Du bist willkommen.“

Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ric hatte sich bisher um alles gekümmert, hatte sie von Gary weggebracht. Jetzt war es an ihr, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und sie wollte damit anfangen, indem sie einen guten ersten Eindruck auf den Mann machte, der ihr Schutz auf seinem Besitz offerierte, bis sie sich endgültig aus ihrer Ehe lösen konnte. Das war ein Geschenk, das sie eigentlich mit nichts verdient hatte. Vielleicht konnte sie sich hier nützlich machen und es sich auf diese Art verdienen.

Gedanken wirbelten in ihrem Kopf, sie war schrecklich aufgeregt, als sie und Ric aus dem Flugzeug stiegen, beladen mit Laras Einkaufstüten. Hatte sie zu viel gekauft? War sie zu extravagant gewesen? Plötzlich wurde sie sich auch ihrer Designer-Kleidung bewusst und wünschte, sie hätte daran gedacht, sich etwas Passenderes von den neuen Sachen anzuziehen.

Patrick Maguire öffnete die Ladeklappe des Land Rovers, damit sie die Taschen hineinstellen konnten.

„Lara musste alles zurücklassen. Diese Sachen haben wir in Bourke gekauft“, erklärte Ric, und Patrick Maguire nickte nur kommentarlos.

Er musste mindestens sechzig, wenn nicht siebzig sein, aber er wirkte nicht alt. Das weiße Haar war immer noch dicht. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht eingegraben, besonders seitlich der Augen. Kräftige Wangenknochen, markantes Kinn. Nichts an diesem Mann wirkte schwach. Seine stahlgrauen Augen musterten sie nachsichtig, und innerlich krümmte Lara sich unter dem geduldigen Blick.

Ric übernahm die formelle Vorstellung. Und Patrick hielt Lara die große Hand hin.

„Willkommen bei uns, Lara.“

„Danke, dass Sie mich aufnehmen.“

Ein leichtes Stirnrunzeln machte Lara darauf aufmerksam, dass ihre Sonnenbrille Augenkontakt verhinderte. Besorgt, Patrick könnte sie für unhöflich halten, zog sie die Brille herunter.

„Entschuldigung, ich wollte nicht …“ Heiße Röte schoss an ihrem Nacken hinauf und zog in ihre Wangen, als er mit zusammengekniffenen Augen auf die Verletzung sah, die die Brille verdeckt hatte. Sie schnitt eine verlegene Grimasse. „Ich sehe ziemlich ramponiert aus. Deshalb die Brille.“ Hastig setzte sie sie wieder auf.

Er nickte, sein Händedruck strahlte beruhigende Wärme aus. „Das heilt wieder, Lara“, sagte er nur.

„Ich will nichts umsonst haben, Patrick“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich werde alles tun, um meinen Aufenthalt hier zu entgelten.“

Wieder nickte er, bedeutete ihr seine Zustimmung. „Dafür ist Zeit. Erst sollen Sie wieder auf die Beine kommen. Es muss Ihnen nicht peinlich sein.“

„Ich meine nur … es wird gut sein, sich zu beschäftigen.“

„Darüber reden wir, wenn Sie sich eingewöhnt haben, okay?“

„Ja, natürlich.“ Sie wollte nicht aufdringlich erscheinen. Das hier war unbekanntes Territorium, sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte.

Patrick gab ihre Hand frei, aber er machte keine Anstalten, sie in den Wagen zu bitten. Ernst betrachtete er die beiden stumm, dann setzte er an: „Ihr solltet wissen, dass es bereits aggressive Versuche gegeben hat, euch aufzuspüren.“

Aggressiv … Lara versteifte sich augenblicklich, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Die Angst griff mit eiskalter Hand nach ihrem Herzen.

„Woher weißt du das?“, fragte Ric.

„Mitch rief an und fragte, ob ich von dir gehört habe. Da ich noch nichts wusste, verneinte ich.“

„Warum sollte Mitch hier anrufen?“, fragte Ric scharf.

„Er wollte dich kontaktieren und dachte sich wohl, dass du auf dem Weg nach Gundamurra bist. Als du dann aus Bourke anriefst, war mir klar, dass es Ärger gegeben haben muss, möglicherweise in deinem Sydneyer Büro. Also habe ich Mitch zurückgerufen und ihm die Situation erklärt.“

„Oh Gott!“ Mit einem Stöhnen richtete Lara angstvolle Augen auf den Mann, der sich wegen ihr einem solchen Risiko aussetzte. „Ich habe es gesagt, Ric, Gary lässt mich nicht gehen. Er ist … er ist …“

„Ich weiß, was er ist“, knurrte er und wandte sich wieder an Patrick. „Was für Ärger?“

„Nein, das weißt du nicht.“ Nahezu hysterisch zog sie an seinem Arm. „Du hast nicht mit ihm gelebt. Es wird nie aufhören, Ric. Wenn er mich nicht bekommt, wird er dich ins Visier nehmen, und das darf ich nicht zulassen.“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf, als ihr klar wurde, dass sie in ihrer Hoffnung auf eine realisierbar gewordene Flucht die Konsequenzen für Ric nie wirklich bedacht hatte. „Ich muss zurückgehen.“

„Nein!“

Wie gerne hätte sie sich dieser Anordnung gefügt, hätte sich so lange wie möglich hinter Ric versteckt, aber es war nicht fair. „Ich will nicht, dass du wegen mir in Schwierigkeiten gerätst“, gab sie ebenso heftig zurück. „Ich bin selbst schuld … Ich war dumm genug, Gary zu heiraten.“

In seinen dunklen Augen brannte die Entschlossenheit, die sie vorher schon darin gesehen hatte. „Ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal sein Opfer wirst.“

„Du verstehst nicht. Dann wird er dich und deine Freunde zu Opfern machen. Er ist doch schon in deinem Büro gewesen …“

„Kathryn muss zu Mitch gegangen sein.“ Ric sah fragend zu Patrick.

„Sie hat die Situation fürs Erste unter Kontrolle gebracht. Das wird möglicherweise bis morgen anhalten. Aber um Laras Sicherheit hier zu garantieren, musst du abfliegen, Ric. Lege eine falsche Spur, mache dich zum Ziel für die Verfolger.“

„Nein … nein!“, protestierte Lara gequält.

Patrick ließ sich nicht unterbrechen. „Dann hat Kathryn auch etwas, womit sie den Ärger vom Büro abwenden kann. Mitch meldet sich heute Abend. Er will mit euch beiden reden. Ich sage euch das jetzt, damit ihr euch auf das einstellen könnt, was ihr zu erwarten habt.“

„Das ist nicht richtig“, wandte Lara sich flehentlich an Patrick. Er musste doch sehen, wie falsch das alles war. „Ich bin doch selbst für alles verantwortlich.“

„Lara.“ Die stahlgrauen Augen hielten ihren Blick gefangen. Und während sie das Mitgefühl darin sah, erkannte sie auch die gleiche unnachgiebige Entschlossenheit wie in Rics Augen. „Es gibt jetzt kein Zurück mehr“, sagte er ruhig. „Ric hat seine Wahl getroffen. Und ich stimme ihm zu.“

„Aber … ich wollte nie, dass …“

Er lächelte ihr zu, und die Wärme seines Lächelns hüllte sie ein, holte sie in seine Welt. „Sie sind eine Frau, die sich um andere sorgt. Das ist richtig und gut. Aber es gibt Zeiten, da muss ein Mann entscheiden, was richtig und gut für ihn ist. Letztendlich müssen wir alle mit uns selbst leben.“

Sie erkannte die Wahrheit in seinen Worten. Die Entscheidung war gefallen.

Es gab kein Zurück.

5. KAPITEL

Nachdem Ric Lara in eines der vier Gästezimmer in dem großen Haus geführt hatte, ließ er sie allein, damit sie sich vor dem Abendessen frisch machen konnte.

Patrick hatte ihr angeboten, sich aus der Garderobe seiner Töchter auszusuchen, was ihr fehlen sollte. Sie würden nichts dagegen haben, so versicherte er ihr. Alle drei hatten sich ein Leben woanders aufgebaut, doch von Zeit zu Zeit besuchten sie ihren Vater, um nach ihm zu sehen. Ihre Mutter war vor einigen Jahren an Krebs gestorben.

All dies, einschließlich eines kurzen Abrisses zur Geschichte Gundamurras, erfuhr Lara, als sie auf dem Weg zum Haus eine kleine Rundfahrt gemacht hatten. Es war wohl dazu gedacht, ihr Unbehagen zu mindern, weil sie die Gastfreundschaft eines Fremden in Anspruch nahm. Doch es gab andere Ängste, mit denen umzugehen war, und Ric kam direkt auf den Punkt zu sprechen, als er sich zu Patrick in den Wohnraum gesellte.

„Du wolltest sie testen.“

Es war eine Feststellung, keine Frage, und Ric suchte in den Augen des alten Mannes nach einem Hinweis, warum er ihnen auf dem Flugfeld diese Informationen eröffnet hatte, anstatt zu warten, bis die beiden Männer allein waren.

„Es liegt achtzehn Jahre zurück. Ich wollte wissen, ob Nostalgie für deine jugendliche Verliebtheit den Ausschlag gegeben hat oder ob sie den Preis wert ist, den es dich kosten wird, weil du sie hergebracht hast.“

„Mir ist gleich, was es mich kostet.“

„Das ist mir klar, Ric. Aber du bist nicht der Einzige, der jetzt in diese Sache verwickelt ist. Ich musste es einfach wissen.“

„Und? Weißt du es?“

„Ja. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie dich für ihre eigenen Zwecke benutzt. Ich entsinne mich, dass du nie eine Antwort auf deine Briefe erhalten hast.“

„Sie hat sie nie bekommen. Ihre Eltern …“ Er winkte ab. Das war Vergangenheit. Hier ging es um die Zukunft. „Erzähle mir lieber, was Mitch gesagt hat.“

„Anscheinend muss Gary Chappel in dein Büro gestürmt sein und verlangte von Kathryn zu wissen, wo du seist. Sie sagte ihm, du habest eine Lunchverabredung mit einem alten Freund und sie wisse nicht, wann du zurück sein würdest. Er wollte den Namen des Restaurants wissen, und sie sah wohl kein Problem darin, ihn ihm zu nennen. Kaum dass er wieder hinausgerannt war, rief sie Mitch an und erwischte ihn bei Gericht, informierte ihn, was vorgefallen war, und er schickte ihr zwei Gerichtsdiener, die sie zum Gericht eskortierten, weil er bei einer bevorstehenden Verhandlung anwesend sein musste. Als ich zuletzt mit ihm sprach, war er in seinem Büro im Gerichtsgebäude, Kathryn war bei ihm.“

„Dann sollte ich wohl besser jetzt gleich mit ihm reden.“

Autor

Emma Darcy
Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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Amy Andrews
Amy war ein Kind, das immer eine Geschichte im Kopf hat. Ihr Lieblingsfach war English und sie liebte es Geschichten zu schreiben. Sollte sie einen Aufsatz mit nur 100 Worten schreiben – schrieb Amy 1.000 Worte. Anstatt nur eine Seite bei dem Thema „ Beschreibt auf einer Seite eure Sommerferien“...
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