Das pikante Geheimnis der Zofe

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England, 1361. Mit dem hochgewachsenen Sir Nicholas Lovayne an ihrer Seite reitet Anne of Stamford nach Canterbury. In der heiligen Kathedrale will Nicholas etwas über Annes Herrin herausfinden. Das muss die treue Zofe um jeden Preis verhindern! Aber die Reise bringt Annes Herz in größte Gefahr. Denn der stürmische Kuss des verwegenen Ritters weckt in ihr die Sehnsucht nach Leidenschaft in Nicholas‘ Armen. Niemals darf ihre Herrin ihr pikantes Geheimnis herausfinden! Man würde sie für immer hinter die gewaltigen Mauern eines Klosters verbannen, und die Liebe ihres Lebens wäre verloren …


  • Erscheinungstag 29.03.2016
  • Bandnummer 322
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765217
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Windsor Castle – Ende März 1361

Kommt. Schnell.“ Ein eindringliches Flüstern störte ihre Träume.

Anne fühlte, wie eine Hand auf ihre Schulter drückte. Sie öffnete die Augen, blinzelte und erkannte die Countess, die sich in der Dunkelheit mit einem Leuchter in der Hand über sie beugte.

Anne drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Das konnte nur ein Traum sein. Nie würde Lady Joan mitten in der Nacht aufstehen. Solche Unannehmlichkeiten überließ sie ihr.

Schlanke Finger zwickten sie in die Wange. „Seid Ihr wach, Anne?“

Sie schreckte hoch, schlug das Bettzeug zurück und setzte sich auf. „Was gibt es?“ Hatte die Pest sie nach der großen Plage im Jahre 1348 erneut erreicht? Oder vielleicht waren die Franzosen eingefallen? „Wie spät ist es?“

Lady Joan machte eine ungeduldige Handbewegung. „Nach Mitternacht, Anne.“ Dann zog sie sie hoch. „Kommt. Ich brauche Euch.“

Unbeholfen versuchte Anne zu stehen. Das Gleichgewicht zu halten fiel ihr schwerer als sonst. Sie tastete die Laken nach ihrer Gehhilfe ab.

„Hier.“ Grob wurde sie ihr in die Hand gestoßen. Dann besann sich die Countess und unterdrückte ihre Ungeduld. Sie hielt ihr die Pantoffeln hin, legte ihr einen Umhang um und bot ihr die Schulter, damit sie sich stützen konnte.

Oft zeigte sich ihre Herrin genau dann von ihrer liebenswürdigen Seite, wenn Anne es am wenigsten erwartete oder wünschte.

Die Gehhilfe unter den linken Arm geklemmt, humpelte Anne nun durch die langen Gänge von Windsor Castle, dabei hatte sie immer Lady Joan im Blick, die einen Finger an die Lippen gelegt hatte, um sie zum Schweigen zu ermahnen, und ihr mit ungeduldigen Gesten zu verstehen gab, dass sie sich beeilen solle. Als ob dies in ihrer Macht lag. Wenn sie nicht stürzen und dabei ihr gesundes Bein in Gefahr bringen wollte, konnte sie mit der Gehhilfe unmöglich die Stufen hinuntereilen.

Lady Joan führte sie in den Teil von Windsor Castle, in dem sich die Gemächer der königlichen Familie befanden, und weiter in eine dunkle Kapelle, in der ihre Schritte widerhallten. Die einzige Lichtquelle lieferte eine Kerze, die von jemandem, der am Altar stand, gehalten wurde: von einem großen und starken Mann.

Edward of Woodstock, ältester Sohn des Königs, Prinz von England. Er lächelte, und sein Anblick ähnelte im Augenblick gar nicht dem des harten Kriegers, den sie, nein, den ganz England und Frankreich kannten.

Auch Lady Joan strahlte. Mit anmutigen Bewegungen trat sie auf ihn zu, um seine Hand zu ergreifen. „Jetzt und hier. Mit einem Zeugen.“

Nein. Das kann nicht ihre Absicht sein, dachte Anne. Aber natürlich wusste Lady Joan genau, was getan werden musste und wie wichtig dabei ein Zeuge sein würde. Der Prinz nahm ihr den Kerzenleuchter aus der Hand und stellte ihn zusammen mit seinem auf den Altar. Flackernde Flammen warfen Schatten auf ihre Gesichter, wodurch die markante Nase und die hohen Wangenknochen des Prinzen deutlich hervortraten und das siegesgewisse Lächeln ihrer Herrin sanfter erschien. Dann verschränkten beide ganz fest die Hände ineinander.

„Ich, Edward, nehme Euch, Joan, hier und heute zu meiner angetrauten Ehefrau.“

Anne schluckte, sie war völlig sprachlos. Sicher würde Gott wollen, dass sie jetzt etwas sagte, um diese Sünde zu verhindern?

„Ich werde Euch lieben und ehren wie ein Mann seine Angetraute lieben soll …“

Sie räusperte sich. „Ihr dürft nicht. Ihr könnt nicht! Der König, Ihr seid zu nahe …“

Der finstere Blick des Prinzen ließ sie verstummen. Prinz Edward und Lady Joan war die Wahrheit besser bekannt als ihr. Durch ihren gemeinsamen königlichen Großvater waren sie zu eng verwandt, dass die Kirche eine eheliche Verbindung gutheißen würde.

„Alles kommt, wie es kommen muss“, sagte Lady Joan. „Sobald wir die Gelübde gesprochen haben, werden wir dem Papst eine Petition vorlegen lassen, er uns eine Dispens gewähren, und dann können wir offiziell in der Kirche getraut werden.“

„Aber …“ Anne brach ab. Es war sinnlos, ihre Einwände auszusprechen. Die Countess glaubte, es würde so einfach sein. Logik, Vernunft, alles vergeblich. Lady Joan würde tun, wie es ihr beliebte, und die Welt würde ihr Verhalten akzeptieren.

So war es immer gewesen.

Der Blick des Prinzen wurde sanfter, als er sich wieder seiner Braut zuwandte. „… und dazu schwöre ich Euch ewige Treue.“

Anscheinen war ihm der genaue Wortlaut des Ehegelübdes bekannt.

Anne kannte ihn nicht so genau, aber ihre Herrin war damit vertraut. Lady Joan wusste genau, was zu tun war, damit eine solche Ehe Gültigkeit erhielt.

Jetzt hörte sie die Stimme ihrer Herrin, sie sprach in diesem zärtlichen, verführerischen Ton, den sie benutzte, wenn sie etwas erreichen wollte. „Ich, Joan, nehme Euch, Edward, zu meinem angetrauten Ehemann …“

Die Absicht war eindeutig. Für Einwände war es jetzt zu spät.

Die Mitternachtskälte in der Kapelle drang in ihre Knochen. Sie würde es sein. Sie würde diejenige sein, die die Wahrheit um die heimliche Eheschließung von Lady Joan kannte.

Ein weiteres Mal.

In Sichtweite der englischen Küste – vier Monate später

Die Wellen des Kanals wogten heute schwächer als gewöhnlich, wenn man seinem Magen Glauben schenken durfte. Die Gezeiten hatten sich diesmal nicht gegen sie verbündet. Um Mittag herum würde er an Land sein und noch vor Ende der Woche in Windsor Castle. Damit hätte er seine Pflicht erfüllt.

Sich jeder Verantwortung entledigt.

Er war seiner Aufgaben müde. Ein unachtsamer Augenblick genügte, und die Ersatzpferde lahmten, der Proviant ging verloren oder Hagel prasselte aus einem Frühlingshimmel und vernichtete dabei Nahrung, Waffen, Männer und den entscheidenden Sieg, den der König seit zwanzig Jahren herbeisehnte.

„Sir?“

Nicholas löste den Blick von dem Küstenstreifen, den er beobachtet hatte, und wandte sich seinem Knappen Eustace zu. Diese Reise hatte den Jungen abgehärtet. Er war nicht der Einzige.

„Ja?“

„Eure Sachen sind gepackt. Alles steht bereit“, teilte Eustace ihm mit.

Das Ende des Satzes klang wie eine Frage. „Außer?“

„Außer Eurem Pferd.“

Nicholas seufzte. Pferde gehörten aufs Land, nicht aufs Wasser.

Ohne ein weiteres Wort verließ er die salzige, belebende Luft an Deck und stieg hinunter in das enge, übelriechende Schiffsinnere.

Kein Wunder, dass das Pferd krank war. Hätte man ihn in diese Jauchegrube gesperrt, wäre es ihm genauso ergangen.

Der Kopf des Tieres hing tief hinunter, fast berührte er den Boden. Unfähig, seinen Mageninhalt zu entleeren, wie ein Mensch es tun würde, konnte das arme Tier nur elendig dastehen und leiden. Es schwitzte so stark, dass das Wasser wie kleine Bäche an ihm herunterlief.

Nicholas strich über die Kruppe des Tieres, das kaum fähig war, den Kopf anzuheben. Dennoch schien es ihn vor Dankbarkeit anzublinzeln.

Nein. Er würde dieses Pferd heute nicht reiten. Die letzten Meilen, die auf dieser Reise noch vor ihm lagen, würden genauso beschwerlich sein wie die Strecke, die er bereits zurückgelegt hatte.

Doch die beiden Edwards, sowohl der König als auch der Prinz, würden keine Ausreden dulden. Fürsten und Päpste brauchten nur einen Befehl oder einen Wunsch zu äußern und erwarteten von Normalsterblichen wie Nicholas Lovayne, die nötigen Wunder zu vollbringen.

Und dies gelang ihm immer wieder. Er stellte sicher, dass es stets eine Ausweichstrecke gab, immer eine Alternative zur Verfügung stand, eine weitere Idee, die einen dem Ziel näher brachte, möglichst ohne alle die Möglichkeiten auszuschöpfen, solange die Tat nicht vollbracht war.

Und auf diese Fähigkeit war er stolz.

Aber sein anderes Pferd war auf dieser Reise verendet, daher würde er einen Ausweg finden müssen.

Nicholas kehrte zurück an Deck und beobachtete, wie das Schiff anlegte. Das Abladen überließ er seinem Knappen und ging von Bord. An Land wurde er von Sir Robert, dem Warden of the Cinque Ports, begrüßt. Der Mann, der dieses bedeutsame Amt bekleidete, repräsentierte den König im Bund der fünf Hafenstädte Cinque Ports in Kent und Sussex und hatte wie Nicholas den Prinzen auf dessen Frankreichfeldzug begleitet. Trotzdem kannte Nicholas ihn nicht sehr gut. Doch dies war unwichtig. Männer, die zusammen in den Krieg gezogen waren, verstanden sich. Für ein Pferd würde also gesorgt werden, darüber brauchte er sich keine Gedanken zu machen.

„Was hat sich während meiner Abwesenheit ereignet?“, fragte Nicholas.

Insgesamt hatte es fast sechs Wochen gedauert, nach Avignon und wieder zurück zu reisen. Zeit genug, dass mindestens drei Intrigen bei Hofe angezettelt worden waren. Darauf musste er sich genauso vorbereiten wie für eine Schlacht, bei der er stets die Lage peilte, um zu wissen, wo die gegnerischen Truppen aufmarschierten.

„Das Land wird erneut von der Pest heimgesucht.“

Über zehn Jahre war es her seit der letzten Epidemie. Wie alle hatte er geglaubt, dass die Strafe Gottes endlich hinter ihnen lag.

„Der König. Ist er in Windsor?“

Sir Robert schüttelte den Kopf. „Er hat den Hof geschlossen, die Tätigkeit des Schatzkanzlers vorübergehend unterbrochen, damit dessen Steuereintreiber nicht durchs Land reisen müssen, und ist in den New Forest geflohen.“

In den New Forest. Demnach würde es ein noch längerer Ritt als nach Windsor Castle werden. Nicholas betete zu Gott, dass ihn unterwegs nicht die Pest ereilen würde.

„Wie geht es Prinz Edward?“

Sir Robert zuckte mit den Schultern. „Er ist Prinz, nicht König. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, bleibt ihm kaum mehr zu tun, als sich mit seinen Freunden auszutoben und mit der schönen Countess of Kent zu tändeln.“

Nicholas sah ihn eindringlich an. Nur wenige hatten den Mut, so unverblümt über Edwards Auserwählte zu sprechen.

„Und Ihr?“ Sir Robert schaute ihn mit offenkundiger Neugier an. „War Eure Reise erfolgreich?“

Wusste das ganze Land darüber Bescheid, warum man ihn ausgesandt hatte? Nun, er würde mit niemandem darüber sprechen, solange er den Prinzen nicht gesehen hatte. Statt eine Verbindung mit einer Braut aus Spanien oder den Niederlanden einzugehen, hatte der liebestrunkene Prinz diese politischen Allianzen aus Liebe zu einer Frau verworfen, die ihm vom Kirchengesetz her und der Vernunft wegen verboten war.

„Ich kann nur sagen“, antwortete er vorsichtig, „dass es mir andernfalls schlecht ergehen wird.“

Denn Prinz Edward erwartete von ihm nichts Geringeres, als den Segen des Papstes für eine Torheit einzuholen, deren Dummheit einfach unverzeihlich war.

Und Nicholas ertrug keine Dummköpfe. Auch wenn es königliche waren.

Einige Tage später im königlichen Jagdsitz im New Forest

Nach all diesen Jahren versuchte Anne manchmal so zu laufen, wie sie es in ihren Träumen konnte. Laufen, wie es andere Frauen ihres Alters tun würden, die glücklich hinter ihren Kindern herjagten oder mit ihnen Verstecken spielten.

Doch mehr als ein Hinken brachte sie nicht zustande, ihr Gang war schwerfällig und schaukelnd, so als bewegte sie sich auf einem schwankenden Schiff. Die Gehhilfe, die ihr das nutzlose kranke Bein ersetzte, machte die Dinge mitunter noch schwieriger. Manchmal stolperte sie über ihren gelähmten Fuß und fiel hin. Dann entwich ihr ein Fluch. Immerhin hatte sie gelernt, dass Abrollen den Sturz milderte.

Als sie den Gesandten des Königs erblickte, war sie gestolpert. Glücklicherweise hatte er sie nicht gesehen. Der große schlanke Mann sprang von seinem Pferd und schritt so leichtfüßig in das Jagdhaus, als wolle er sie verhöhnen.

Törichte Anne, schalt sie sich. Immer noch sehnte sie sich nach einem anderen Körper, als der, in dem sie geboren wurde.

So schnell sie konnte, begab sie sich zum Gemach ihrer Herrin, um ihr die Ankunft des Gesandten zu melden. Vor der Tür hielt sie an und rang nach Luft. Dann trat sie ein, ohne anzuklopfen.

Selbst dieser Mangel an Höflichkeit beim Betreten ihres Gemachs konnte Lady Joans ewiges Lächeln nicht trüben. Die Nachricht, die sie überbrachte, würde es jedoch vertreiben. „Der Abgesandte ist zurückgekehrt, Mylady.“

Die Züge der Countess erstarrten, als hätte man sie mit einem Schraubstock angezogen. Sie wechselten einen wortlosen Blick. „Lasst Sir Nicholas zunächst zu mir kommen“, befahl Lady Joan.

Anne verkniff sich einen Einwand. Beabsichtigte die Countess etwa, den Inhalt der Botschaft zu verändern, wenn sie nicht nach ihrem Geschmack ausfiel?

„Aber der König …“

„Ja. Natürlich. Der König wird ihn sofort sehen wollen.“ Lady Joan erhob sich. „Ich muss Edward finden.“

Anne atmete auf. Joan würde ihren „Gemahl“ suchen und falls die Nachricht schlecht ausfiel, würde sie sie in den letzten Momenten, in denen sie ihn noch so nennen durfte, mit ihm gemeinsam hören.

„Und Anne …“ Lady Joan zog mahnend die Augenbrauen hoch, ohne den Satz zu beenden. Doch Anne verstand, dass dies eine Warnung war.

„Wie immer, Mylady.“

Das schöne Gesicht entspannte sich zu dem gewohnten Lächeln. „Alles kommt, wie es kommen muss.“

Anne wartete, bis ihre Herrin sich abgewandt hatte, ehe sie die Augen verdrehte und um Geduld flehte. ‚Wie es kommen muss‘ bedeutete, wie ihre Herrin es wünschte.

Sie folgte der Countess durch die Tür in den Gang, doch es war nicht nötig, nach Prinz Edward zu suchen, denn er war bereits eingetroffen, als hätte er ihre Not geahnt. Er nahm sie in die Arme, küsste ihre Stirn, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Anne schenkte er keine Beachtung.

Sie biss sich auf die Lippe, unterdrückte einen aufkommenden Schmerz. Nicht in ihrem Bein, nein. Der Schmerz dort plagte sie unaufhörlich, fast tröstete es sie zu wissen, wie treu er zu ihr stand. Dieser war anders. Es war der Schmerz zu wissen, dass niemand sie je so anschauen würde.

‚Vergib mir meine Undankbarkeit‘ war ihr fortwährendes Gebet.

Sie hatte keinen Grund zur Klage. Ihre Mutter hatte für ihre Zukunft gesorgt und sie im Haushalt der Countess untergebracht. Nun war sie die Hofdame einer Frau, die eines Tages ihren Platz an der Seite von Englands König einnehmen würde, vorausgesetzt die heutigen Neuigkeiten fielen gut aus.

Dennoch. Als ihre Herrin und der Prinz sich küssten, betrachtete Anne die beiden mit unverhohlenem Neid. Sie begehrte Edward of Woodstock keinesfalls. Trotz all seines Ruhms war er kein Mann, an dem sie Gefallen fand. Sie wünschte sich lediglich, dass ein Mann auch sie irgendwann einmal strahlend und voller Zuneigung anlächeln würde, wenn er sie sah.

Sie war klug, aber zurückhaltend und unscheinbar. Die meisten Männer schenkten ihrem Gesicht kaum Beachtung. Wenn sie also die Miene verzog, was häufig vorkam, bemerkte es niemand.

Auch der Prinz und ihre Herrin nahmen jetzt keine Notiz von ihr, während sie zu den Gemächern des Königs gingen.

Anne folgte ihnen. „Mylady, soll ich …?“

Lady Joan machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, sondern schüttelte den Kopf und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie nicht mehr gebraucht wurde. Während die beiden zusammen fortgingen, um über ihr Schicksal informiert zu werden, blieb Anne allein zurück.

Später, also. Später würde sie erfahren, ob der Papst überzeugt werden konnte und alles kam, wie es kommen musste.

Vieles musste in Ordnung gebracht werden. Und der Mann, der die Nachricht überbrachte, hatte sehr ernst ausgesehen.

Lady Joan hatte ihn Sir Nicholas genannt.

Nicholas hatte seine Rede sorgfältig einstudiert, während er mit seinem geliehenen Pferd vom Hafen die lange Strecke in Richtung des New Forest ritt. Die Zeit war mehr als ausreichend gewesen, um die richtigen Worte zu finden.

Glücklicherweise hatte er sich vorbereitet, denn kaum dass er eingetroffen war, wurde er in die privaten Gemächer des Monarchen geführt und fand sich dem König, der Königin, Prinz Edward und Joan, der Countess of Kent, gegenüber.

Jetzt hatte er keine Zeit mehr, die Worte noch einmal umzustellen.

„Nun, Sir Nicholas?“, fragte König Edward selbst und sah ihn mit dem scharfen Blick eines Falken an. Die Königin, die neben ihm stand, ergriff die Hand ihres Gemahls.

Nicholas sah zu Prinz Edward und Lady Joan, denn die Zukunft der beiden stand auf dem Spiel. „Sie werden nicht exkommuniziert für den Verstoß gegen die kirchlichen Ehegesetze.“

Der Papst hätte durchaus das Recht dazu gehabt. Doch Nicholas und nicht zuletzt eine nicht geringe Menge Gold hatten ihre unsterblichen Seelen gerettet. Eine wahre Meisterleistung und mehr als sie verdienten.

Nur Könige hatten das Privileg, für ein Verhalten belohnt zu werden, für das jeder normale Sterbliche verdammt würde.

Doch dies war nur das erste der Wunder, die Nicholas in Avignon vollbracht hatte. Und es war nicht einmal das, auf das der Prinz am meisten gespannt war.

„Aber wir werden heiraten dürfen?“, fragte der Prinz, erpicht wie ein Jüngling, der es nicht abwarten konnte, die erste Nacht mit seiner Braut das Bett zu teilen. Dabei taten der Prinz und seine „Braut“ dies seit Monaten.

„Ja.“ In jedem Fall hätte das Paar die päpstliche Erlaubnis zum Heiraten benötigt, da sie sehr eng verwandt waren. Doch durch ihre heimliche Eheschließung hatten sie die Lage nur noch schlimmer gemacht. Danach hatten sie ihre Sünden bei Nicholas abgeladen und von ihm erwartet, das Durcheinander nach ihren Vorstellungen zu entwirren. „Seine Heiligkeit wird über Eure Blutsverwandtschaft hinwegschauen und ebenso Eure heimliche Ehe aufheben. Ihr habt die Erlaubnis, unter kirchlichem Segen zu heiraten.“

Erlaubt zu heiraten und ihr Leben zu teilen. Und den Thron.

Erleichterung. Die strengen, starren Mienen tauten auf. Augen, Lippen, Schultern, Zungen lockerten sich. Wie schnell, wie bald würde es geschehen dürfen?

Nicholas erhob die Stimme und fuhr in vorsichtigem Ton fort: „Ebenso“, fügte er hinzu, „wünscht Seine Heiligkeit, dass jeder von Euch eine Kapelle errichten lässt und diese reich ausstattet.“

Weder der Prinz noch Lady Joan hielten es für nötig, auf dieses geringfügige Hindernis einzugehen. Stattdessen streckte Prinz Edward seine Hand aus. „Das Schriftstück“, befahl er, „gebt es mir!“

„Es wird dem Erzbischof von Canterbury direkt übersandt. Ich gehe davon aus, dass er es um das Sankt Michaelisfest herum erhalten wird. Bis dahin müsst Ihr voneinander getrennt leben.“

Der Prinz und die Dame seines Herzens starrten ihn an, als habe er selbst und nicht der Papst ihnen verboten, das Bett zu teilen. Als ginge es um den Rest ihres Lebens und nicht nur um zwei Monate.

Nun, das war noch nicht das Schlimmste. „Und es gibt noch etwas“, sagte er.

Wieder wurde es totenstill. Sie schwiegen, denn sie wussten, er hatte eine weitere Nachricht zu überbringen, die nicht so erfreulich sein würde wie die vorige.

„Was?“ Natürlich gebührte es dem König als Erster das Wort zu ergreifen. „Was sonst noch?“

„Dem Dokument wird eine persönliche Botschaft beiliegen. Seine Heiligkeit bat mich, Euch über den Wortlaut zu informieren.“

Ein einziger kurzer Blick des Königs genügte, und die wenigen Bediensteten um sie herum zogen sich zurück, sodass Nicholas mit der königlichen Familie allein war.

„Fahrt fort“, forderte der König ihn auf.

„Bevor sie sich vermählen“, begann Nicholas, „wünscht Seine Heiligkeit …“ Jetzt würde er die Worte verwenden, die er einstudiert hatte. „Dass überprüft wird, ob Lady Joans Ehe mit Lord Salisbury tatsächlich annulliert wurde.“

Der Prinz runzelte die Stirn. „Das liegt Jahre zurück. Das gehört der Vergangenheit an.“

Nicholas warf einen Blick auf Lady Joan und wunderte sich, dass sie ihr leichtes Lächeln unerschütterlich beibehielt. „Und sie wurde in der Tat annulliert“, fuhr Edward fort, „als eine vorangegangene, geheime Ehe bestehen blieb.“

„Alle Anwesenden hier im Raum kennen meine Vergangenheit“, sagte die Dame.

Der König und die Königin tauschten Blicke miteinander aus. Jeder in England kannte Lady Joans Vergangenheit. Sie hatte das Eheanliegen des Prinzen nicht leichter gemacht.

Nicholas knirschte mit den Zähnen. Es gab keinen leichten Weg zu sagen, was ihm aufgetragen worden war. „Lady Joan, Ihr wart einst mit zwei Männern vermählt, einer davon ist noch am Leben.“ Er bemerkte, wie sich ihre Wangen röteten. „Seine Heiligkeit verlangt, dass eine Untersuchung über Eure Ehe mit Lord Salisbury eingeleitet wird, bevor die Vorbereitungen für Eure Hochzeit mit Prinz Edward fortschreiten.“

„Warum?“, fragte der Prinz. Seine Liebe hatte ihn für das Offensichtliche blind gemacht.

„Um sicher zu gehen“, antwortete Nicholas, unfähig den Ärger in seiner Stimme zu unterdrücken, „dass alles seine Ordnung hat.“

Der Prinz trat mit erhobenen Fäusten auf ihn zu. Einen Augenblick lang glaubte Nicholas tatsächlich, der Mann würde ihn für die Botschaft, die er überbracht hatte, bestrafen. „Ihr wagt zu unterstellen …“

Der König hielt ihn zurück. „Sir Nicholas ist nicht derjenige, der die Nachforschungen verlangt.“

Nicholas atmete auf. Er war verschont geblieben. Er wartete, bis der Prinz die Fäuste gesenkt und die Arme vor dem Körper verschränkt hatte. Erst dann nahm er das Wort wieder auf. „Ich überbringe Euch diese Botschaft vor der offiziellen Mitteilung des Papstes, damit Ihr Zeit habt, Euch vorzubereiten.“

Lady Joans Lächeln blieb strahlend. Ihr Gesicht war so liebreizend, dass niemand auf den Gedanken kam zu fragen, was hinter ihrer stets heiteren Miene steckte. „Damit wir sofort heiraten können, wenn das offizielle Dekret des Papstes eintrifft.“ Sie drehte sich zum Prinzen um. „Er tut uns einen Gefallen. Die Angelegenheit lässt sich leicht klären.“

Das hoffte auch der Papst, dessen war Nicholas sicher. Seine Dispens würde in etwas mehr als zwei Monaten eintreffen. Die Zeit würde allerdings kaum ausreichen, um eine sorgfältige Untersuchung durchzuführen.

Lady Joan lächelte Nicholas an. „Bei der Annullierung meiner Ehe mit Salisbury wurde alles ordnungsgemäß durchgeführt.“

Die meisten Frauen wären nie die Gefahr einer geheimen Ehe eingegangen. Diese Frau hatte es gleich zweimal gewagt. Ihre erste mit Thomas Holland vor vielen Jahren wurde letztendlich von Papst Clemens VI. für gültig erklärt und die zweite mit Lord Salisbury, zu der ihre Eltern sie gezwungen hatten, aufgehoben.

Allein dies reichte aus, die versiertesten Kirchengelehrten durcheinanderzubringen.

„Seine Heiligkeit ist nicht nur an der Annullierung interessiert“, erwiderte Nicholas, und ihm graute vor dem, was als Nächstes kam.

Sie starrten ihn an, als hätte er griechisch gesprochen.

„Was meint Ihr damit?“ Die Stimme von Lady Joan hatte jetzt eine Schärfe, die er bei ihr zuvor nicht wahrgenommen hatte.

Offenbar hatten sie die volle Bedeutung der Botschaft nicht erfasst. „Papst Innozenz wünscht, dass die Erkundigungen über die Annullierung hinausgehen. Er wünscht die Bestätigung, dass Eure geheime Verbindung mit Thomas Holland rechtmäßig war.“

Ihre Augen weiteten sich. Dann wurden sie wieder schmal. Sie war eine Frau, die es nicht gewohnt war, befragt zu werden, selbst wenn es darum ging, etwas zu beweisen, das bereits von einem früheren Papst abgesegnet worden war. „Ich verstehe nicht. Der Papst, all seine Kirchengelehrten … es hat Jahre gedauert, aber sie waren zufriedengestellt. Sicher kann dies jetzt nicht mehr in Frage gestellt werden.“

„Zweifelsohne eine Formalität“, versicherte der König, der gleichsam geschickt in der Politik wie in der Kriegsführung war. „Der Erzbischof wird ein Gremium von Bischöfen zusammenrufen. Sie werden die Urkunden prüfen. Dann wird sich alles aufklären.“

„Der Erzbischof ist in seinem siebten Lebensjahrzehnt und fast blind“, blaffte der Prinz. „Ich bezweifle, dass er die Dokumente jemals finden, geschweige denn lesen kann.“

„Wenn nicht“, sagte Nicholas, „so könnte er die betroffenen Personen befragen.“

Zum ersten Mal presste Joan die Lippen zusammen, und er sah die feinen Fältchen, die sie umgaben. Immerhin war die Frau über dreißig. „Mein Ehemann ist tot. Ebenso wie meine Kammerfrau, die anwesend war, als wir uns das Eheversprechen gaben. Außer mir gibt es niemanden, der befragt werden könnte.“

Die einzige Zeugin tot … Aber es musste andere Wege geben. Diese gab es immer. „Vielleicht erinnert sich jemand daran, dass Ihr und Thomas Holland damals zusammen wart.“ Vielleicht hatte jemand beobachtet, wie sich die beiden in einer Ecke küssten.

Er schaute zur Königin und versuchte, ihre Gedanken zu ergründen. Die junge Joan hatte damals fast wie eine Tochter in ihrem Haushalt gelebt. Die Situation war heikel, doch er war sicher, dass die Königin sämtliche Fragen beantworten können würde.

Zum Glück war es nicht seine Angelegenheit. Er hatte seinen Auftrag erfüllt, die Nachricht überbracht. Nächste Woche würde er auf dem Weg nach Frankreich sein, ohne jegliche Verantwortung, außer der am Leben zu bleiben.

„Ich verstehe nicht“, bemerkte Lady Joan und sah den Prinzen fragend an, als könne er ihr helfen. „Welche Absicht mag dahinter stecken?“

Königin Philippa beugte sich vor und tätschelte ihre Hand. „Es darf kein Zweifel bestehen.“

„Zweifel worüber?“ Die Countess war wehleidig wie ein kleines Kind und genauso naiv.

Veränderte die Liebe jeden so? Wie gut, dass ich damit nichts zu tun haben will, dachte Nicholas.

Die Königin sah ihren Gemahl an, ehe sie sich wieder Lady Joan zuwandte. „Über die Legitimität der Kinder.“

Es durfte kein Zweifel darüber bestehen, dass der Prinz und seine Braut vor Gottes Angesicht getraut und ihre Kinder ehelich sein würden und damit das eindeutige Anrecht auf den Thron von England besaßen. Falls eine Frau über dreißig überhaupt noch fruchtbar genug war, Kinder zu bekommen.

Lady Joan errötete, und ihre Lippen wurden schmal. „Ich verstehe. Selbstverständlich.“

Der Prinz ergriff ihre andere Hand und zog sie an seine Seite. Nicholas fand es erstaunlich, dass dieser unerbittliche Feldherr wie ein kleines Kind lächelte, sobald er diese Frau anschaute. „Sir Nicholas wird die Untersuchung persönlich durchführen.“

Nein. Er war es leid, die Lasten für andere zu tragen.

Er hatte beim Papst fast so etwas wie ein Wunder bewirkt und wollte nur noch ein Krieger sein, dessen einzige Pflicht es war zu überleben. Er wollte nicht mehr in höfische Intrigen verwickelt und nicht mit heiklen diplomatischen Aufgaben betraut werden. „Eure Gnaden sagten zu, dass es keine weitere …“

Doch des Königs Miene schloss jeglichen Widerspruch aus. „Solange die beiden nicht vermählt sind, bleibt Eure Aufgabe unerfüllt.“

Nicholas verkniff sich eine scharfe Erwiderung und nickte knapp. Insgeheim überlegte er, ob der König sich tatsächlich über den erfolgreichen Abschluss seiner Mission beim Papst freute. Eine Ehe des Prinzen mit einer anderen Frau königlichen Geblüts hätte Englands Zwecken besser gedient als diese, da sie politische Allianzen gestärkt hätte. „Selbstverständlich, Eure Gnaden.“ Einige Wochen länger also. Alles nur, weil einer der Ratgeber des Papstes einen Vorwand brauchte, noch ein paar letzte Goldmünzen herauszuschlagen. „Ich werde mich morgen nach Canterbury begeben, um den Erzbischof aufzusuchen“, antwortete er pflichtbewusst.

Ohne die Spur eines Lächelns nickte der Prinz ihm zu. „Ich werde mit Euch reiten, Sir Nicholas.“

2. KAPITEL

Für gewöhnlich betrat Lady Joan leise einen Raum, fast schwebte sie hinein, und ließ sich so leicht auf ihrem Platz nieder wie ein Vogel, der auf einen Ast hinabsank.

Heute war es anders. Waren die Neuigkeiten nicht nach ihrem Geschmack ausgefallen?

„Was ist mit Euch, Mylady?“ Anne biss sich auf die Zunge. Sie hätte nicht so frei heraus sprechen sollen.

Die Countess war selten erzürnt. Wenn es dennoch vorkam, so wusste Anne sie beruhigen, indem sie ihr warmes, parfümiertes Wasser auf Hände und Schläfen tupfte. Zur Winterzeit machte sie es ihr vor dem Kaminfeuer bequem oder versuchte sie abzulenken, indem sie eines der neuesten Schmuckstücke ihrer Herrin holte, an dem sich diese erfreuen konnte. Wenn das nicht half, ließ sie normalerweise Robert den Narren rufen, der für sie jonglierte oder Purzelbäume durch das ganze Gemach schlug. Manchmal bekam sie auch wieder gute Laune, wenn sie ihre Kinder sah, jedoch nur, wenn diese sich ruhig verhielten und nicht weinten.

Im Allgemeinen verbarg ihre Herrin alles hinter einem Lächeln und dem bewundernden Blick, den sie dem Mann schenkte, der vor ihr stand. Doch heute …

Anne legte ihre Stickerei beiseite, während ihre Herrin unaufhörlich durch das Gemach schritt und sie dabei an ein ängstliches Pferd erinnerte. Plötzlich fiel Anne die ernste Miene des Gesandten wieder ein. Die Nachricht war offenbar nicht so erfreulich gewesen, wie Lady Joan es sich gewünscht hatte. „Die Entscheidung des Papstes? Wird Euch und dem Prinzen gestattet zu …?“

„Ja, ja. Aber zunächst gedenken sie, Untersuchungen über meine heimliche Eheschließung anzustellen.“

Erleichtert nahm Anne ihre Nadel wieder auf. Nun, deswegen war sie mitten in der Nacht geweckt worden. „Ich bezeugte sie natürlich und werde es ihnen entsprechend bestätigen.“

Die großen blauen Augen richteten sich auf sie. „Nicht diese.“

Anne hörte auf zu nähen und schluckte. „Zu welchem Zweck? Ihr habt keine Feinde.“

Lady Joan lachte ihr reizendes Lachen, das so viele Menschen in seinen Bann zog. „Sogar unsere Freunde finden es schwierig, die Ehe des Thronerben mit einer verwitweten englischen Mutter gutzuheißen, die schon bald zu alt sein wird, um Kinder in die Welt zu setzen. Sie halten uns beide für wahnsinnig.“

Das waren sie. Doch Anne kannte es nicht anders. Ständig war ihre Herrin wahnsinnig vor Liebe oder wahnsinnig verliebt gewesen. Ein Privileg, das sich die meisten Frauen ihres Standes nicht leisten konnten. Trotzdem. Joan schöpfte es mit vollen Händen aus. Als Enkelin eines Königs standen ihr zahlreiche Privilegien zu. Warum sollte ihr dieses verwehrt werden?

Anne schob den Gedanken beiseite und setzte die Stickerei mit gleichmäßigen Stichen fort, so wie ihre Herrin sie mochte.

„Aber wir konnten nicht warten“, sagte Joan sowohl zu sich selbst als auch zu Anne. „Ihr wisst, wir konnten nicht warten.“

„Nein, natürlich nicht“, pflichtete Anne ihr gewohnheitsmäßig bei. Sie war nicht sicher, auf welche der Ehen Lady Joan anspielte. Und sie wusste, dass die Erfüllung der Wünsche ihrer Herrin niemals einen Aufschub duldete.

„Wir sind alle von der Pest bedroht. Sie kann uns jederzeit treffen. Wir wollten …“

Sie sprach demnach von Edward.

Die Seuche hatte erwachsene Männer und kleine Kinder diesmal am härtesten getroffen. Sogar der älteste Freund des Königs war dahingeschieden. Der Prinz und sie alle mochten morgen vielleicht schon tot sein.

Bei diesem Gedanken hielt Anne inne und hörte auf zu nähen. Seit ihrer Geburt hatte sie sich mit aller Kraft ans Überleben geklammert.

„Denkt Ihr, dass wir verrückt sind, Anne?“, fragte Joan. Der Befehlston war verschwunden. Stattdessen klang ihre Stimme wehmütig, als hoffe sie, ihre Hofdame würde dies verneinen.

Wieder einmal hatte Lady Joan sich so angehört wie zuvor bereits bei anderen Gelegenheiten. Für ganz kurze Zeit war sie nicht mehr eine Frau von königlichem Blut, die geboren wurde, um Befehle zu erteilen, sondern eine Frau, die liebte und verzweifelt darin bestärkt werden wollte, dass Wunder geschahen.

Jedes Mal hatte Lady Joan mit ihren großen blauen Augen, den blonden Locken und dem flehenden Gesichtsausdruck dabei ausgesehen, als ob Himmel und Erde von einem einzigen Menschen abhingen.

Was sollte sie nun antworten. In gewisser Weise war Lady Joan verrückt. Selbstherrlich spielte sie mit den Gesetzen Gottes und der Menschen. Urplötzlich wünschte Anne, sie könnte das Gleiche tun.

Doch jemand ohne königliche Verbindungen und dazu noch ein Krüppel hatte keine solche Entscheidungsfreiheit.

„Dies zu sagen, steht mir nicht zu, Mylady.“

Joan erhob sich und nahm ihr die Nadel aus den Fingern und spielte mit ihnen, wie sie es getan hatte, als sie jung waren. „Aber ich möchte, dass Ihr mit mir – mit uns – feiert.“

Genau dies war die Joan, die sie kannte. Nach wie vor gelang es ihr, alle Menschen in ihrer Umgebung um den Finger zu wickeln und dann mit ihnen zu verfahren, wie es ihr beliebte. Anne seufzte. Wie alle anderen erlag auch sie Lady Joans Charme. Sie umarmte ihre Herrin und beteuerte, dass sie sich für sie freue und sich alles zum Guten wenden würde. Joan of Kent hatte die besondere Gabe, Liebe anzuziehen, ebenso wie das Meer einen Fluss anzog.

„Damit ist es entschieden“, sagte Joan strahlend. „Alles kommt, wie es kommen muss.“

„Selbstverständlich, Mylady.“ Ihre Antwort hatte so teilnahmslos geklungen wie die Plattitüden ihrer Herrin, denn die Worte kannte sie auswendig.

Doch ihre Herrin war noch nicht fertig. „Habt Ihr ihn gesehen? Sir Nicholas, den Gesandten des Königs?“

Als Anne jetzt an ihn dachte, schlug ihr Herz schneller. „Von Weitem.“

„Er hat Euch also nicht gesehen“, stellte Joan fest.

Sie schüttelte den Kopf, dankbar dafür, dass er nicht gesehen hatte, wie sie stolperte, als sie ihm nachschaute.

„Gut. Ihr werdet also Folgendes für mich tun.“

Anne legte ihre Näharbeit weg und hörte zu.

Eigentlich sollte sie froh und dankbar sein für das Leben, das sie führte. Viele würden sie um die Stellung bei Hof beneiden, wo sie von Luxus umgeben war. Und doch fühlte sie sich an manchen Tagen eher wie in einem Kerker. Nie würde es ihr erlaubt sein, ihre Herrin zu verlassen.

Dafür wusste sie zu viel.

Nicholas stand in einer Nische am Rand des großen Saals in dem größten der vier Jagdhäuser des Königs im New Forest. Von dort aus beobachtete er, wie Edward und Joan feierten, als seien sie bereits vor Gott und seinen Priestern verheiratet.

Während des ganzen Abends waren Männer auf ihn zugetreten und hatten ihm anerkennend auf die Schulter geklopft, als hätte er eine wichtige Schlacht gewonnen.

Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Selbst ein kräftiger Schluck Rotwein half ihm nicht, diese Tatsache zu verdrängen. Edward und Joan jedoch schienen keine Probleme mit der Botschaft des Papstes zu haben. Und obwohl sie privater Natur war, hatten sie anscheinend mit anderen über den Inhalt gesprochen. Letzten Endes war alles nur eine Formalität. Jetzt galt es, ein paar weitere unangenehme Wochen zu überstehen, dann würde er endlich frei sein.

Er warf einen Blick durch den Saal, denn er hatte es eilig, von hier fortzukommen. Das Abkommen mit Frankreich war seit einem Jahr gültig, doch Nicholas hatte davon nur kurze Zeit in England verweilt. Seit einiger Zeit hielt König Edward die Söhne des französischen Königs gefangen, und Nicholas gehörte zu denen, die damit beauftragt worden waren, den ständigen Austausch von Männern und Gold zu überwachen.

Im Augenblick kämpfte König Edward nicht mit den Franzosen. Ganz auf die ritterliche Art behandelte er die französischen Prinzen wie Ehrengäste und nicht wie Kriegsgefangene. Er bot ihnen sogar Zuflucht in seinem Jagdsitz, um sie vor der Pest zu schützen.

Ein toter Gefangener war nutzlos, eine lebende Geisel hingegen Gold, das wusste Nicholas. Und seine eigene französische Geisel, die er sicher in einem Kerker in London gefangen hielt, würde ihm eines Tages eine Menge einbringen.

Der König hatte zum Tanz aufgerufen, an dem sich einige der französischen Geiseln beteiligten. Sie lachten und flirteten mit Prinzessin Isabella, Edwards Schwester, die nur zwei Jahre jünger war als der Prinz und ebenfalls unverheiratet. Es war ungewöhnlich für einen so weisen Herrscher wie König Edward, dass er seine ältesten Kinder noch nicht politisch klug verheiratet hatte, um günstige Allianzen zu schmieden. Viel zu lange durften sie schon tun und lassen, was sie wollten. Beide hatten eine eigenwillige Persönlichkeit und zogen Unannehmlichkeiten an.

Plötzlich wurde er hart angerempelt, sodass der Wein aus seinem Becher schwappte und über seine beste Tunika spritzte. Verärgert drehte Nicholas sich um und hatte den Tadel für den ungeschickten Schurken bereits auf den Lippen.

Stattdessen fand er sich einer Frau gegenüber.

Vielmehr war ihr Haar das erste, was er von ihr sah oder besser gesagt, was er fühlte, als es über seine Hand strich. Weich und wellig verströmte es einen sanft würzigen Duft.

Überrascht spürte er plötzliches Verlangen in sich aufsteigen. Es war lange her, dass er einer Frau beigelegen oder auch nur an eine gedacht hatte.

Sie war gestürzt. Sofort unterdrückte er die scharfe Zurechtweisung, die ihm auf den Lippen gelegen hatte, und bot ihr die Hand zum Aufstehen. „Seid vorsichtig.“

Erschrocken sah sie zu ihm auf, dann senkte sie rasch den Blick. „Vergebt mir.“

Der Ton strafte ihre demütigen Worte Lügen.

Wieder sah sie ihn an. Er musterte sie und stellte fest, dass sie wie eine Hofdame gekleidet war und wohl im Dienst einer der Prinzessinnen oder einer anderen hochadligen Dame stand. Da er dem König diente, wusste er, wie es war, in einer Position zu sein, in der man Befehle befolgen musste.

„Es tut mir leid“, sagte sie auf eine Art, die ihm verriet, dass sie diese Worte regelmäßig benutzte. „Gewöhnlich hält sich hier niemand auf, und ich kann einen Moment zur Ruhe kommen.“

„Ich sprach zu streng.“ Das Leben am Hof verlangte eine andere Art von Stärke und Höflichkeit, als es auf dem Schlachtfeld und in diplomatischen Kreisen üblich war.

Er ergriff ihre Hand, um der jungen Frau aufzuhelfen. Da er glaubte, dass sie ihn schnell wieder loslassen würde, schenkte er der Hitze, die die Berührung auf seiner Haut hervorrief, keine Beachtung.

Doch sie hielt ihn fest.

Und dies war kein sanfter Versuch, ihn zu verführen. Ihre Finger hielten ihn fest umklammert, als würde sie ohne seine Stütze umfallen.

„Könnt Ihr jetzt stehen?“ Er wollte schnellstens seine Hand entziehen.

Sie sah ihm erneut in die Augen und hielt seinem Blick stand. „Wenn Ihr mir meinen Stock gebt.“

Er hatte es zu spät gesehen: Eine Krücke war zu Boden gefallen.

Unwillkürlich schaute er auf ihre Füße, zwang sich jedoch sogleich wieder, in ihre Augen zu sehen.

Wahrscheinlich war er nicht die erste neugierige Person, die einen Blick auf ihr Gebrechen erhascht hatte, denn sie schaute ihn resigniert an. „Es ist ein lahmer Fuß, nichts weiter.“

Nicholas bemühte sich nicht zu leugnen, wohin sein Blick gefallen war. „Lehnt Euch gegen die Wand. Ich hole Euren Stock.“

Während er sich niederbeugte, glaubte er kurz, die Balance zu verlieren, und fürchtete, dass auch er stürzte. Seine Hand und seine Wange streiften ihre Röcke, als er sich bückte. Unwillkürlich überlegte er, was wohl darunter lag, wobei er weniger den besagten Fuß, sondern vielmehr andere weiblichere Körperteile im Sinn hatte …

Abrupt richtete er sich auf und übergab ihr den glatten, abgenutzten Krückstock. Dabei achtete er darauf, Abstand zu halten, als könnte er so verhindern, dass sie seine Gedanken erriet.

Sie klemmte die Gehhilfe unter den Arm, dann strich sie mit der freien Hand über den Fleck auf seiner Tunika. „Ich werde dies waschen lassen.“

Heftig griff er nach ihren Fingern, schob sie hastig von seiner Brust. „Nicht nötig.“ Im gleichen Atemzug schämte er sich seiner Reaktion, da sie denken musste, dass ihr Fuß der Grund für sein Verhalten war.

Doch das war nicht der Grund. Es war ihre Berührung, die ein Feuer in ihm entfachte. „Vergebt mir mein ungalantes Benehmen.“ Zu lange Zeit hatte er im Krieg verbracht und zu wenig davon mit Frauen.

Sie lachte. Obwohl es ein freudloses Lachen war, ähnelte es dem Klang einer Glocke.

Eine Glocke, die ihn nicht zur Kirche rief, sondern zu etwas Irdischerem.

Als ihr Lachen verhallte, lächelte sie ihn an. „Ich bin keine Frau, die Galanterien gewohnt ist.“

Verblüfft betrachtete er sie. Normalerweise hätte sie seine Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen. Ihr blassrotes Haar erinnerte an einen Stoff, der sich nicht in dem gewünschten kräftigen Ton einfärben ließ. Ihr Gesicht war unscheinbar. Lediglich die großen, wachen Augen, aus denen Kühnheit strahlte, waren bemerkenswert. Dennoch war es ihm unmöglich, die Farbe zu definieren. Waren sie blau oder grau? Er konnte es nicht sagen.

„An was seid Ihr gewöhnt?“, fragte er und setzte hinzu: „Wer seid Ihr?“

Dass sie wie eine Hofdame gekleidet war, hatte er bereits festgestellt. Doch in wessen Dienst stand sie?

„Ich heiße Anne of Stamford und bin Hofdame der Countess von Kent.“

Die Countess von Kent, die bald den Prinzen von Wales heiraten würde. Die Frau, wegen deren mangelnder Zurückhaltung er gezwungen war, die Reise nach Avignon anzutreten.

„Mein Name ist Sir Nicholas Lovayne“, stellte er sich vor, auch wenn sie ihn nicht danach gefragt hatte.

„Der Sonderbotschafter, den der König zum Papst entsandt hatte“, ergänzte sie und fixierte ihn. „Ich weiß.“

Er veränderte seine Haltung und trat einen Schritt zurück. Sein Auftrag war kein Geheimnis, aber ihr Ton legte nahe, dass sie mehr über den Inhalt seiner Nachrichten wusste als die Höflinge, die ihm anerkennend auf die Schulter geklopft hatten.

Er fragte sich, was Lady Joan ihr erzählt hatte.

„Dann wisst Ihr also“, bemerkte er vorsichtig, „was hier zelebriert wird.“

Ernst, ohne das Lächeln, das er erwartet hatte, ließ sie den Blick durch den Saal schweifen. „Erst wenn sie tatsächlich vermählt sind, erst dann werden wir feiern.“

Wir. Als seien sie und ihre Herrin ein und dieselbe Person. Er schloss daraus, dass die Hofdame und ihre Herrin sich sehr nahstanden.

Was mochte der Grund dafür sein, dass Lady Joan eine solche Frau als enge Gefährtin ausgewählt hatte? Abgesehen von ihrer Behinderung, zog diese Anne keine Blicke auf sich. Vielleicht war aber gerade dies der Grund: Die Countess wollte eine Begleiterin, die unscheinbar genug war, um nicht von ihrer eigenen Schönheit abzulenken.

In diesem Fall hatte sie eine hervorragende Wahl getroffen.

„Dann lasst uns hoffen, dass wir bald wirklich feiern werden“, antwortete er. Feiern und ihn in das unbeschwerte, freie Leben entlassen, das er sich wünschte.

„Das wird von Euch abhängen, nicht wahr?“

Sie musste der Countess wirklich sehr nahestehen, wenn sie ihr so viel erzählt hatte.

Er kippte den letzten Schluck Rotwein hinunter. Auf einmal musste er wieder an die unangenehme Aufgabe denken, die ihm bevorstand. Was für eine Zeitverschwendung, Beweise zu suchen, die Gottes irdische Vertreter bereits vor langer Zeit anerkannt hatten. „Es wird davon abhängen, wie schnell der Erzbischof ein zwölf Jahre altes Dokument auffinden kann“, gab er zurück.

„Ist dies alles, was zu tun ist?“

Dies zumindest hoffte Nicholas. „Mehr kann Seine Heiligkeit nicht erwarten. Außer des Königs Seelenfrieden zu stören.“

„Und wird es schwierig werden?“

Was sie alles wissen wollte. Er warf einen Blick zu dem Tisch auf dem Podium am Ende des Saals. Zweifellos würde sie seine Antworten direkt ihrer Herrin überbringen. „Nein.“

„Wir alle möchten nur …“ Hatte er Sehnsucht aus ihrer Stimme gehört? „Das es endlich vorüber ist.“

„Genau das möchte ich auch“, erwiderte er. Er fühlte sich wie der griechische Held Herkules, der zwölf schwierige Aufgaben zu bewältigen hatte: Kaum hatte er eine Arbeit beendet, begann schon die nächste. Was ihn betraf, so hatte er das Dutzend sicher schon erreicht.

Sie schenkten einander ein freundschaftliches Lächeln. „Nur noch einige Wochen“, versicherte er ihr. „Vielleicht auch weniger, wenn ich es schaffe.“

„Ihr klingt, als würdet Ihr das Ende so sehr herbeisehnen wie ich. Was erwartet Euch, wenn dies vorüber ist?“

Nichts. Aber genau diese Freiheit war es, die ihn anzog. „Ich werde wieder zurück aufs Festland gehen.“

„Eine neue Mission für den Prinzen?“

Autor

Blythe Gifford
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