Das Schloss auf Sizilien

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Als Mina ihrem ehemaligen Boss Cesare Falcone wiederbegegnet, ahnt sie, dass er ihr Leben erneut auf den Kopf stellen wird. Vor Jahren endete ihre heiße Affäre, weil er sie der Firmenspionage verdächtigte. Dass sie eine gemeinsame Tochter haben, weiß der glutäugige Sizilianer bis heute nicht ...


  • Erscheinungstag 25.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745202
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Darf ich Ihnen meine Assistentin vorstellen: Mina Carroll.“

Mina reichte dem Gast an der Seite ihres Chefs, Edwin Haland, die Hand. Sie hatte das blonde Haar im Nacken zu einem Knoten hochgesteckt und trug ein elegantes Leinenkostüm von Armani. In diesem Aufzug hätte man sie durchaus für einen der betuchten Gäste der Wohltätigkeitsveranstaltung halten können anstatt für eine der Organisatorinnen. Es war das erste Mal, dass man sie bei Earth Concern mit einer so wichtigen Aufgabe betraut hatte, und wahrscheinlich wäre sie weitaus aufgeregter gewesen, wenn sie im Voraus gewusst hätte, was auf sie zukommen würde. Aber ihre Ernennung zur Organisatorin war erst in letzter Minute erfolgt, weil ihr Vorgesetzter seit drei Tagen mit einer Grippe im Bett lag.

Für Mina war ihre neue Rolle so überraschend gekommen, dass sie gar keine Zeit gehabt hatte, in Panik zu geraten. Daher wirkte sie an diesem lauen Sommerabend souverän und ausgesprochen natürlich.

Als Mr. Haland seinen Gast zu den anderen Vorstandsmitgliedern von Earth Concern führte, spürte Mina eine Hand an ihrem Ellbogen, die sie sanft zur Seite zog. „Hast du eine Bank ausgeraubt, oder wie kommst du zu diesem Kostüm?“, flüsterte Jean, ihre junge Kollegin aus der Werbeabteilung.

„Nein, den Kleiderschrank meiner Schwester“, antwortete Mina, wobei ihre amethystfarbenen Augen belustigt funkelten.

„Wenn wir doch nur die Schwestern tauschen könnten!“ Jean seufzte. „Meine ist überzeugter Punk, mit Doc-Martens-Schuhen und allem Drum und Dran. Und selbst an ihre entsetzlichsten Sachen käme ich nur heran, wenn ich sie vorher betäuben würde. Dagegen muss deine Schwester ein wahrer Engel sein.“

Mina lachte. „Nur beinah.“ Dann fiel ihr Blick auf das unberührte Büfett und die Ober, die auf etwas zu warten schienen. „Warum wird nicht serviert?“

„Ach, ich hatte ganz vergessen, dass du ja in Urlaub warst. Wir haben noch einen ganz besonderen VIP eingeladen, dessen Flug Verspätung hat. Warte ab, bis du den siehst!“

„Das muss jemand enorm Wichtiges sein, wenn Mr. Haland nicht ohne ihn anfangen will.“

„Kann man so sagen – berühmt, schwerreich und Spross einer Familie mit einer sagenumwobenen Spendierfreude“, erwiderte Jean. „Unsere Vorstandsmitglieder haben sich geradezu überschlagen, als er im Büro war. Er ist einfach umwerfend. Ich war mit ihm im Aufzug und habe während der ganzen Fahrt gebetet, dass das Ding stecken bleibt. Dabei bezweifle ich, dass er die Gelegenheit genutzt hätte.“ Sie strich sich theatralisch über ihre etwas rundlichen Hüften. „Andererseits sagt man, die Italiener mögen fülligere Frauen. Diesem Ideal dürfte ich ziemlich nahe kommen.“

„Er ist Italiener?“, fragte Mina erschrocken.

„Ja … und soeben eingetroffen.“

„Wo?“

„Na, da!“

Jetzt hatte Mina ihn entdeckt. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie ihn sah. Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß auf der Stirn stand und ihre Beine jeden Moment nachzugeben drohten.

„Cesare Falcone“, flüsterte Jean. „Von Falcone Industries. Da staunst du, was? Soweit ich gehört habe, hat Mr. Barry ihm bei irgendeinem offiziellen Dinner unser Rundschreiben gegeben. Davon war er anscheinend so beeindruckt, dass er gleich ein Treffen vereinbart hat. Stell dir vor, er hat sogar meinen Artikel über Abfallverwertung erwähnt!“

„Hat er das?“, erkundigte sich Mina, deren Mund plötzlich ganz trocken war.

Dann wandte sie sich von Jean ab und eilte in den Waschraum. Glücklicherweise war niemand sonst hier. Sie atmete tief durch.

Cesare wieder zu sehen, wo sie am wenigsten damit rechnete – eigentlich hatte sie überhaupt nicht damit gerechnet, ihm je wieder zu begegnen –, brachte sie vollkommen aus der Fassung. Gerade als sie glaubte, dass ihr Leben langsam eine Wendung zum Positiven nehmen könnte, musste sie einen solchen Schock erleiden!

Noch immer wurde sie wütend, wenn sie daran dachte, was vor vier Jahren geschehen war. Sie war damals frisch vom College gekommen und hatte dank ihrer ausgezeichneten Abschlüsse den Traumjob bei Falcone Industries erhalten – als Assistentin von Cesare Falcone. Drei Monate später hatte man sie von einer Minute auf die andere entlassen und mit einem Hausverbot belegt.

Aber als wäre das noch nicht beschämend genug gewesen, hatte man ihr sogar ein Zeugnis verweigert. Dadurch klaffte eine unschöne Lücke in ihrem Lebenslauf. Cesare Falcone hatte ihre Karriere ruiniert.

Das Schlimmste war, dass sie, Mina, sich selbst einen Teil der Schuld an alldem geben musste. Sie hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen – sie hatte sich in ihren Chef verliebt. Niemals würde sie jenen Abend vergessen, als er mit ihr auf einen gelungenen Abschluss angestoßen hatte. Sie hatte sich ihm, ohne zu zögern, hingegeben. Bis heute erinnerte sie sich daran, dass es ihr unmöglich gewesen war, ihm zu widerstehen. Statt auf ihren Verstand zu hören, hatte sie sich von ihren Gefühlen leiten lassen.

Sie hasste sich dafür, dass sie so dumm gewesen war. Es war naiv, zu glauben, für ihn wäre es mehr als eine belanglose Affäre. Und sie hatte sich danach so sehr geschämt, dass sie sich nicht traute, die fristlose Kündigung anzufechten. Wegen „geschäftsschädigenden Verhaltens“ hatte man ihr gekündigt, wobei sie keine Ahnung hatte, was man ihr vorwarf. Noch heute schauderte sie, wenn sie an damals dachte.

Doch jetzt musste sie sich zusammennehmen und zu den Gästen zurückkehren. Zweifellos würde sie im Verlauf des Abends mit Cesare sprechen müssen.

Als Mina in den großen Saal trat, hielt Edwin Haland gerade seine Begrüßungsrede. Auf Zehenspitzen schlich sie sich an einen der Tische am Eingang und setzte sich neben Jean. Ihre Kollegin sah auf den ersten Blick, dass etwas nicht mit ihr stimmte. „Sag nicht, dich erwischt diese Grippe jetzt auch?“

„Nein, nein, ich bin nur ein wenig erschöpft.“ Unglücklich betrachtete Mina den vollen Teller, den Jean ihr hingestellt hatte. Nach Essen war ihr momentan wirklich nicht zumute.

Cesare saß am Ehrentisch, und Mina bemühte sich, nicht in seine Richtung zu sehen. Es wollte ihr jedoch nicht gelingen. Jean hatte ihn „einfach umwerfend“ genannt. Und genau diese Wirkung hatte er vom ersten Moment an auf sie, Mina, gehabt. Dabei hatte sie sich bei ihrem Vorstellungsgespräch vor vier Jahren ganz und gar darauf konzentrieren müssen, die richtigen Antworten auf seine strengen Fragen zu finden.

Danach war sie erstaunt, dass sie die Stelle überhaupt bekommen hatte, da er mehrfach ihre mangelnde Berufserfahrung angesprochen hatte. Innerhalb einer Woche nach ihrem Eintritt bei Falcone Industries war ihr klar geworden, weshalb er sie so genau unter die Lupe genommen hatte. Es lag daran, dass sie eine Frau war. Und dazu die erste, die in der Chefetage Einzug hielt. Es war ein zäher Kampf gewesen, ihre Position zu behaupten.

Aber das gehörte der Vergangenheit an, und dies war die Gegenwart. Kaum hatte sie ihren Gedanken Einhalt geboten, musste Mina feststellen, dass sie Cesare immer noch wie gebannt betrachtete. Seltsamerweise erschienen ihr seine Züge genauso vertraut wie damals – seine dunklen Augen, sein wunderschönes Profil.

Natürlich! Wie sollten sie ihr nicht vertraut sein, wenn sie seit mehr als drei Jahren mit der weiblichen Miniaturausgabe dieses Gesichts lebte. Ihre Tochter Susie ließ keinen Zweifel daran, wer ihr Vater war.

„Wenn du wegen der Sitzung morgen nervös bist“, riss Jean sie aus ihren Gedanken, „dann kann ich dich beruhigen. Deine Beförderung ist so gut wie sicher.“

Mina war froh über diese Ablenkung, allerdings weit weniger optimistisch als ihre Kollegin. „Noch ist nichts sicher.“

„Aber Mr. Haland will dich unbedingt zur Leiterin der Finanzabteilung machen, und die anderen Vorstandsmitglieder werden sich nach ihm richten“, versicherte Jean nachdrücklich.

„Es gibt noch andere Bewerber.“

„Die dürften kaum so qualifiziert sein wie du. Außerdem glaube ich, dass man dein Einspringen für Simon heute Abend als Wink deuten kann.“

Das hatte Mina insgeheim auch gehofft. Andererseits hatte ihr Selbstbewusstsein vor vier Jahren einen schweren Schlag erlitten, von dem es sich noch nicht wieder erholt hatte. Seit sie das erste Mal arbeitslos gewesen war, hatte sie ihren früheren Optimismus verloren.

Trotzdem hatte sie während ihres vierzehntägigen Urlaubs zahllose Stoßgebete gen Himmel geschickt, dass sie den leitenden Posten bekommen möge. Dabei ging es ihr nicht so sehr um die Stelle an sich, sondern vielmehr um die damit verbundene Gehaltserhöhung. Momentan konnte sie sich von ihrem Einkommen nur ein winziges möbliertes Zimmer in London leisten, und sie wünschte sich nichts sehnlicher als eine kleine Wohnung, in der sie mit Susie zusammenleben könnte. Momentan wohnte ihre kleine Tochter bei ihrer Schwester auf dem Land. Sie besuchte sie jedes Wochenende und verbrachte den Urlaub dort.

Edwin Haland führte jetzt seinen VIP-Gast zum Rednerpult. Cesares dunkles Haar glänzte seidig. Als Mina ihn ansah, überkam sie die schmerzliche Erinnerung daran, wie ihre Finger einst durch diese dunklen Strähnen geglitten waren. Ihr wurde heiß, und sie griff mit zittriger Hand nach ihrem Weinglas. Sie war viel zu verwirrt, als dass sie nur ein einziges Wort von dem hätte aufnehmen können, was er sagte.

Seine Rede schien allerdings ein voller Erfolg zu sein, da alle anderen ihm aufmerksam zuhörten und seine kleinen Scherze mit Lachen und Applaus honorierten. Er war schon immer redegewandt und charmant gewesen. Mina hingegen nahm nur diese tiefe, wohlklingende Stimme mit dem betörenden italienischen Akzent wahr.

„Kein Wunder, dass unsere Vorstandsmitglieder heute Abend vollkommen aus dem Häuschen sind“, murmelte Jean anschließend. „Mit Cesare Falcone auf unserer Seite spielt Earth Concern in der obersten Liga mit. Sieh dir bloß mal an, was hier an Presse versammelt ist!“

Die Gäste erhoben sich jetzt von ihren Tischen, und Edwin Haland winkte Mina zu sich. Ihr fiel auf, dass die Zahl ihrer potenziellen Spender weit höher lag als bei vorherigen Veranstaltungen. Wahrscheinlich wollte sich niemand die Chance entgehen lassen, ein bisschen von dem Glanz eines Prominenten wie Cesare Falcone abzubekommen.

„Eine fantastische Rede, stimmt’s?“, schwärmte Edwin und legte den Arm um sie. Das hatte er noch nie getan, und Mina spürte, wie sie sich verspannte. Er merkte nichts.

„Ja, wirklich beeindruckend“, sagte sie.

„Wo waren Sie denn vorhin? Sie sollten eigentlich an unserem Tisch sitzen.“ Edwin klang ein wenig enttäuscht.

„Das habe ich nicht gewusst, tut mir leid“, antwortete sie, doch im Nachhinein war sie froh, dass ihr ein Platz neben Cesare erspart geblieben war. Sie hoffte inständig, sich frühzeitig entschuldigen und nach Hause gehen zu können.

Vielleicht sollte sie Edwin jetzt gleich erzählen, dass sie einmal für Cesare Falcone gearbeitet hatte. Andererseits würde diese Information unangenehme Fragen nach sich ziehen, weil in ihrem Lebenslauf kein Wort darüber stand. Aber würde Edwin tatsächlich ihre Akte überprüfen?

„Ich denke, es war meine Schuld. Ich habe Ihnen schließlich nicht gesagt, dass Sie sich zu uns setzen sollen“, erklärte er und lächelte sie freundlich an. Er fühlte sich beim Anblick der zierlichen Mina an seine verstorbene Frau erinnert. Deshalb hatte er auch ein Faible für sie.

Mina nahm nun all ihren Mut zusammen und begann: „Edwin, ich …“

„Ist Ihnen klar, dass Sie mich zum ersten Mal bei meinem Vornamen genannt haben?“, unterbrach er sie lachend.

Sie errötete. Normalerweise achtete sie peinlich genau auf solche Förmlichkeiten.

„Bitte entschuldigen Sie sich nicht“, beruhigte er sie. „Wenn man mich dauernd mit ‚Mr. Haland‘ anspricht, komme ich mir uralt vor.“

„Dazu haben Sie doch gar keinen Grund“, sagte Mina, die sein allzu freundlicher Ton irritierte.

„Das bilde ich mir auch gern ein, wenn ich in der Gesellschaft sehr attraktiver junger Damen bin“, schmeichelte er.

„Mr. Haland?“, unterbrach sie eine Stimme von hinten.

Nur widerwillig wandte Edwin sich einem der Gäste zu. Mina blickte verlegen auf ihre eleganten Pumps. Was war nur los? Sie wusste zwar schon länger, dass Edwin Haland sie mochte und ihre Arbeit schätzte, aber seine Worte ließen befürchten, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.

„Wo hast du dich den ganzen Abend versteckt, cara?“

Erschrocken hob sie den Kopf, und ihr wurde schwindelig, als sie in Cesares Gesicht blickte. In seinen dunklen Augen blitzten die vertrauten goldenen Pünktchen. „Cesare“, flüsterte sie heiser und bemühte sich, Fassung zu bewahren. Obwohl vier Jahre hinter ihr lagen, in denen sie sich gegen ein erneutes Treffen mit ihm hätte wappnen können, bekam sie in seiner Nähe gleich wieder weiche Knie.

Si, Cesare, der sich noch gut an dich erinnert“, antwortete er in einem seltsam eisigen Tonfall. „Vielleicht sollte ich den alten Bock warnen, ehe du ihn auf deine Opferliste setzt.“

„Wie bitte?“

„Nun, von weitem schien es so, als hättest du es auf Haland abgesehen. Ich frage mich, ob mein Eindruck richtig oder falsch ist“, sagte er so beiläufig, dass seine Worte umso brutaler wirkten. „Offensichtlich schläfst du immer noch mit dem Boss, du verlogenes kleines Ding.“

Diese Attacke traf Mina vollkommen unvorbereitet. „Wie kannst du es wagen …?“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass er deinetwegen kaum einen Bissen hinunterbekommen hat“, unterbrach Cesare sie scharf. „Andererseits sollte ich wissen, dass du einen verdammt guten Grund brauchst, wenn du für ein Taschengeld in einer karitativen Organisation arbeitest.“

Sie überlegte, ob Cesare Falcone möglicherweise verrückt geworden war. „Wie kommst du dazu, mir solche Dinge zu sagen?“

Er lächelte hämisch. „Die verletzte Unschuld vom Lande, cara? Bei mir kannst du dir die Mühe sparen. Ich bin zufällig kein einsamer alter Trottel, der alles tut, um die Gunst einer attraktiven jungen Frau zu gewinnen. Ich bin der Cesare Falcone, der dich schon vor vier Jahren in Stücke gerissen hätte, wenn du dich nicht plötzlich in Luft aufgelöst hättest. Und ich habe nicht vergessen, was du mir angetan hast.“

Instinktiv trat Mina einen Schritt zurück, blickte ihn aber weiter starr an. „Was ich dir angetan habe?“, fragte sie mit bebender Stimme.

„Ein Sizilianer vergisst niemals, wenn man ihn betrogen hat. Auch nicht nach ein paar Jahren. Ich werde dich zerstören.“ Er hob die Hand und ballte sie zur Faust. „Du hättest nicht weglaufen sollen.“

Mina war sprachlos.

„Wie ich sehe, haben Sie Miss Carroll schon kennengelernt, Mr. Falcone“, sagte Edwin munter, der plötzlich neben ihnen aufgetaucht war.

„Mina und ich kannten uns bereits“, erwiderte Cesare außergewöhnlich sanft. „Hat sie Ihnen das nicht erzählt?“

Sie riss sich zusammen und begann: „Ich hatte bisher leider noch keine Gelegenheit …“

„Sei doch ehrlich, cara!“, fiel ihr Cesare ins Wort. „Wahrscheinlich wollte sie Ihnen nicht erzählen, dass sie für mich gearbeitet hat, weil ich sie rausgeworfen habe.“

Mina wurde schwindelig. Hilflos blickte sie Edwin an. Nachdem dieser den ersten Schrecken überwunden hatte, legte er ihr väterlich die Hand auf die Schulter. „Wir hatten während der gesamten Zeit, die Miss Carroll bei uns arbeitet, niemals den geringsten Anlass zur Kritik. Sie ist eine geschätzte und aufopferungsvolle Mitarbeiterin.“

Si, Minas Bereitschaft, sich für den Chef aufzuopfern, ist legendär“, bemerkte Cesare spöttisch. „Unglücklicherweise verträgt sie sich nicht besonders gut mit dem Geschäft.“

Mina konnte gar nicht glauben, dass sie diesen Albtraum tatsächlich erlebte, zumal ihr kein einziger Grund einfallen wollte, weshalb Cesare sie so behandelte. Sie atmete tief durch und flüsterte: „Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen.“

„Natürlich, cara“, antwortete Cesare, ohne sie anzusehen.

„Würden Sie bitte uns beide entschuldigen, Mr. Falcone?“, fragte Edwin, der sehr verärgert wirkte, aber offenbar keinen Streit mit einem so namhaften Sponsor riskieren wollte.

„Ich denke, ich sollte jetzt besser gehen“, erklärte sie leise.

„Ich werde Sie nach Hause bringen“, bot Edwin an.

„Danke, das ist nicht nötig“, wehrte sie ab.

„Lassen Sie sie besser in Ruhe.“ Cesare wirkte erstaunlich gefasst. „Sie wird nicht wollen, dass Sie ihr irgendwelche verfänglichen Fragen stellen. Nicht heute Abend.“

„Wie kannst du es wagen, über mich zu sprechen, als wäre ich gar nicht da?“, zischte sie wütend.

„Du wirst doch wohl nicht hochnäsig geworden sein, cara?“ Er warf ihr einen drohenden Blick zu.

„Mr. Falcone …“, mischte sich Edwin ein, aber Mina hörte nicht mehr, was er sagte. Abrupt drehte sie sich um und eilte zum Ausgang. Sie zitterte am ganzen Körper.

Was hatte das alles zu bedeuten? Cesare hatte sie einzig zu dem Zweck angesprochen, sie zu beleidigen – und das vor ihrem Arbeitgeber. Warum wollte er sie unmöglich machen?

Sie konnte nicht fassen, dass er ihr ein Verhältnis mit Edwin Haland unterstellte. Und was hatte er nicht vergessen? Das ergab alles überhaupt keinen Sinn! Warum hasste er sie?

Dass er sie hasste, war mehr als offensichtlich gewesen. Nur wusste sie keinen Grund dafür. Sie wusste jetzt allerdings, weshalb sie Cesare Falcone hasste. Nicht genug damit, dass er vor vier Jahren ihre Karriere ruiniert hatte. Er war der einzige Mann gewesen, den sie je geliebt hatte, und er hatte sie zutiefst verletzt.

Nach der Nacht mit ihm hatte sie sich schrecklich gefühlt. Für sie war es Liebe gewesen, während er schon ihren Niedergang geplant hatte, als er mit ihr schlief. „Ich trenne immer Arbeit und Vergnügen, cara“, hatte er ihr im Bett zugeflüstert. Warum hatte sie nicht gleich begriffen, dass er damit ihre Entlassung meinte?

Ihre Schwester Winona hatte sie gefragt, ob sie denn weiter für ihn hätte arbeiten können. Sicherlich nicht, doch es war noch lange kein Grund dafür, dass Cesare Falcone sie, Mina, so sehr verachtete.

Wenn er sie nach der gemeinsamen Nacht unbedingt loswerden wollte, hätte es auch andere Wege gegeben.

Auf jeden Fall hatte sie in den letzten Jahren teuer für ihren Fehler bezahlt. War es noch nicht genug? Warum musste er wiederum alles zerstören, was sie sich aufgebaut hatte? War er möglicherweise wirklich verrückt?

„Wollen Sie wirklich schon gehen?“, erkundigte sich Edwin Haland, der hinter ihr aus dem Saal kam.

„Ich denke, es ist besser so“, antwortete sie.

„Glauben Sie mir, ich bin schockiert über das Benehmen von Mr. Falcone“, sagte er besorgt. „Wann haben Sie eigentlich für ihn gearbeitet?“

„Gleich nach dem College. Ich war nur drei Monate in seinem Unternehmen. Dann wurde ich entlassen.“ Sie blickte ihren Chef an. „Ich kann Ihnen versichern, dass meine Kündigung nichts mit meiner Arbeit zu tun hatte. Es war eine rein persönliche Angelegenheit.“

„Ich will nur hoffen, dass er gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern keine abfälligen Bemerkungen über Sie macht. Mr. Falcone hat uns eine sehr großzügige Spende in Aussicht gestellt. Da wären Unstimmigkeiten zwischen ihm und unseren Mitarbeitern äußerst unangenehm.“

Mina wurde blass und flüsterte: „Selbstverständlich.“

„Wir sehen uns dann morgen.“

Anscheinend galt sein Angebot, sie nach Hause zu bringen, nicht mehr. Sie hätte sowieso abgelehnt. In diesem Moment zog sie es vor, allein zu sein und über alles nachzudenken. Ihr war nicht entgangen, dass Edwins Ton weit förmlicher war als vor dem Gespräch mit Cesare. Das überraschte sie nicht. Was mochte ihr Chef jetzt von ihr denken?

Mina hatte Kopfschmerzen, als sie auf die Straße hinaustrat. Der Portier bot ihr an, ein Taxi zu rufen, aber sie winkte ab. Für einen solchen Luxus hatte sie kein Geld. Sie lebte sehr bescheiden, trug die abgelegten Kleider ihrer Schwester und wohnte in einem Zimmer, das kaum größer als ein geräumiger Kleiderschrank war. Was nach Abzug der Miete von ihrem Gehalt übrig blieb, verschlangen die allwöchentlichen Zugfahrten. Jeden Freitag reiste sie nach Oxfordshire zum Haus ihrer Schwester, um bei ihrer Tochter Susie zu sein.

Wie betäubt ging sie die Straße entlang. Plötzlich hielt ein silberfarbener Ferrari neben ihr, und die Beifahrertür schwang auf. Als Mina zögerte, stieg Cesare auf der Fahrerseite aus. „Steig ein, ich bringe dich nach Hause.“

Sie rührte sich nicht vom Fleck. Was wollte er von ihr?

„Wir haben etwas zu besprechen.“

„Lass mich in Ruhe.“

„Steig ein.“

Offenbar ließ er sich nicht abweisen. Zumindest könnte sie so erfahren, was er ihr vorwarf. Die laue Brise, die an diesem Sommerabend in den Straßen von London wehte, hatte ihr dabei geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Sie sollte mit ihm reden.

Mina stieg in den Wagen.

„Ich werde dir eine faire Chance geben“, sagte Cesare, wobei er keinerlei Anstalten machte, den Motor zu starten.

„Eine Chance?“, wiederholte sie matt.

„Du kündigst.“

„Kündigen? Bist du wahnsinnig?“, fragte sie ungläubig.

„Solltest du dich weigern, sehe ich mich gezwungen, den Vorstand von Earth Concern vor dir zu warnen.“ Er betrachtete sie mit eisiger Miene. „Sie wollen dir die Finanzabteilung anvertrauen. Si, ich weiß von der geplanten Beförderung. Und ich werde alles tun, um die Spendengelder vor dir zu schützen.“

Mina blickte ihn an. „Willst du damit andeuten, dass man mir kein Geld anvertrauen kann?“

„Ich deute nichts an, sondern ich sage es, wie es ist. Und diese gespielte Ahnungslosigkeit beeindruckt mich nicht im Mindesten. Mir machst du nichts vor. Auch wenn ich dich vor vier Jahren nicht angezeigt habe, so habe ich immer noch genügend Beweise, um dich ins Gefängnis zu bringen.“

„Ins Gefängnis?“, rief sie schrill.

„Insiderhandel ist strafbar. Und es ist noch nicht verjährt.“

Insiderhandel? Sie verstand kein Wort. Glaubte er allen Ernstes, sie hätte vertrauliche Informationen benutzt, um sich an der Börse zu bereichern? „Du musst verrückt sein. So etwas würde ich niemals tun.“

„Du hast es einmal gemacht, und du hättest es wieder getan, wenn ich dich nicht gefeuert hätte“, erklärte Cesare bestimmt. „Pech für dich, dass ich dir auf die Schliche gekommen bin. Da musstest du eiligst dein erschwindeltes Vermögen zusammenraffen und verschwinden.“

„Das ist nicht wahr! Ich habe mir gar nichts erschwindelt, und ich bin auch vor niemandem geflohen.“ Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte. „Ich dachte, du feuerst mich, weil ich mit dir geschlafen habe.“

Dio mio! Mit solchen Sätzen rührst du jeden Staatsanwalt zu Tränen. Es steht schwarz auf weiß in deiner Akte, dass du wegen geschäftsschädigenden Verhaltens entlassen wurdest.“

„Das weiß ich, aber …“

„In den Frauengefängnissen soll es recht rau zugehen.“

Mina rückte, so weit es ging, zur Tür. „Ich habe in meinem Leben noch nie etwas verbrochen. Warum sollte ich ins Gefängnis?“

„Du kannst so viel leugnen, wie du willst. Auf jeden Fall werde ich dafür sorgen, dass du aus dieser karitativen Organisation verschwindest. Mit deinem Buchhaltertalent legst du jeden herein. Ich will, dass du sofort kündigst.“

„Nein!“

„Wenn du nicht tust, was ich sage, werde ich Haland die Beweise vorlegen, die ich habe“, sagte er eisig. „Ein Mann wie er wird es als seine Pflicht betrachten, die Behörden zu informieren.“

„Und warum hast du es dann nicht gemacht?“ Sie musste irgendwie herausfinden, was man ihr überhaupt vorwarf, damit sie sich verteidigen konnte.

„Du warst fort. Es hätte ausgesehen, als wollte ich einen Mord anzeigen, ohne eine Leiche vorweisen zu können. Außerdem genügte mir die Tatsache, dass du ein paar qualvolle Jahre im Gefängnis verbringen würdest, nicht als Strafe. Ich denke, sie sollte der Tat angemessen sein.“

„Tat? So hör mir doch zu. Ich weiß wirklich nicht, wovon du da sprichst.“

„Sagen wir es einmal so. Du hast die Nacht mit mir direkt zu Geld gemacht.“

„Was habe ich?“, schrie Mina heiser.

„Das war wirklich professionell, wie du mir die Informationen entlockt hast. Du wirst verstehen, dass ich nicht gerade begeistert bin, wenn jemand vorsätzlich meinen guten Namen gefährdet. Vermutlich hättest du dich auf kleine, naive Blondine herausgeredet, wenn es aufgeflogen wäre.“

„Du musst den Verstand verloren haben.“ Sie war aschfahl geworden.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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