Denn du bist der Einzige für mich

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Die Therapeutin Megan hat immer eine Lösung parat. Nur lässt sich die geheime Liebe zu ihrem besten Freund Cameron nicht einfach wegkurieren. Er ist einfach perfekt: freundlich, klug und wahnsinnig sexy! Aber wenn Megan ihm ihre Gefühle gesteht, riskiert sie, ihn zu verlieren …


  • Erscheinungstag 15.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521000
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Du weißt wirklich, wie du einen Mann glücklich machen kannst.“

Megan Richards wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihr Freund diese Worte in einem anderen Zusammenhang geäußert hätte. Aber leider meinte Cameron St. John damit nur das medium gebratene Steak, das sie zubereitet hatte – und keine wilden Spiele im Schlafzimmer.

Wahrscheinlich wäre der Mann auch schockiert, wenn sie ihm ihre geheimsten Wünsche offenbarte. Schon seit einer geraumen Weile dachte sie darüber nach, ob sie ihn in einem günstigen Moment einfach damit konfrontieren sollte. Schließlich kannte sie ihn seit dem Kindergarten.

„Bei all dem Fast Food, das du in dich reinstopfst, musst du hin und wieder auch mal was Anständiges essen“, meinte sie, während sie ihm zusah, wie er das Geschirr einsammelte und in die Spülmaschine stellte.

Seine Mutter hat ihn wirklich gut erzogen. Für Megan gab es nichts Attraktiveres, als einem Mann bei der Hausarbeit zuzusehen – vor allem, wenn er einen so beeindruckenden Oberkörper besaß.

Da er ihr den Rücken zuwandte, ließ sie sich Zeit, ihn bewundernd zu betrachten. Man sah ihm an, dass er viel Sport trieb. Aber diese Beweglichkeit und Kraft brauchte er schließlich in seinem Beruf.

Cameron klappte die Spülmaschine zu und wischte mit einem Küchentuch über die Oberfläche, ehe er sich wieder umdrehte und die Hände in die Hüften stützte.

Himmel, sah der Typ gut aus! Megan wurde jedes Mal ganz schwach, wenn sie ihn so vor sich sah. Und ganz tief in ihrem Bauch begann ein Flämmchen zu glimmen.

Zu dumm, dass er verheiratet war – mit seinem Job als Polizeichef von Stonerock, Tennessee. Abgesehen davon befürchtete sie, ihn als Freund zu verlieren, wenn sie ihm ihre wahren Gefühle gestand – Gefühle, die sie jahrelang für sich behalten hatte. Wenn es ihr auch immer schwerer fiel. Aber Cameron war die einzige stabile Komponente in ihrem Leben, der Fels in der Brandung, seit ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall in einem Schneesturm ums Leben gekommen waren. Und die Freundschaft zu ihm wollte sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen.

Außerdem hatte er ihr mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass er keine Beziehung wollte. Jedenfalls nicht, solange er bei der Polizei arbeitete. Der Grund dafür war ein Vorfall, in den er und ein Kollege vor Jahren verwickelt worden waren – kurz, nachdem die beiden ihren Dienst angetreten hatten.

Von engeren Beziehungen ließ er deshalb lieber die Finger.

Ebenso von Fast Food. Das behauptete er zumindest augenzwinkernd. „Ich esse das Zeug doch gar nicht“, verteidigte er sich.

Skeptisch schüttelte Megan den Kopf.

„Du solltest wissen, dass sie im Burgerrama richtiges Essen servieren. Sie wissen übrigens auch immer, was ich möchte. Da brauche ich gar nicht mehr zu bestellen.“ Cameron verschränkte die Arme vor der Brust und grinste spitzbübisch.

Megan lachte. „Sag ich doch.“

Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich muss jetzt mal los. Wollte mich vor meiner Nachtschicht noch ein bisschen aufs Ohr legen.“

Sie wusste nicht, an welchem Fall er gerade arbeitete. Cameron sprach nicht viel über seine Arbeit, denn er legte großen Wert darauf, Dienst und Privatleben zu trennen. Manchmal erzählte er von den skurrilen Begebenheiten, die er hin und wieder auch erlebte. Über die schweren Fälle verlor er jedoch kein Wort.

Im Moment musste er jedenfalls an einer solchen Sache dran sein, denn er war seit einer Woche fast jede Nacht unterwegs. Als Polizeichef machte man das normalerweise nicht. Dementsprechend erschöpft sah er aus – mit Ringen unter den Augen und einer Stirn, die noch tiefer gefurcht war als sonst.

„Du arbeitest dich noch zu Tode, weißt du das? Mit all den Überstunden und dem minderwertigen Essen. Du solltest mal mehr schlafen.“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Mach dir keine Sorgen, ich komme schon klar“, versicherte er ihr. „Der Fall müsste bald gelöst sein, und dann werde ich auch wieder normalere Arbeitszeiten haben. Vom Fast Food werde ich jedoch nicht die Finger lassen.“

Normalere Arbeitszeiten bedeuteten bei ihm, dass er nur zehn statt zwölf oder vierzehn Stunden im Dienst war. Da würde es auch nichts nützen, ihn daran zu erinnern, dass sein Vater vor einem Jahr mehrere Bypässe bekommen hatte. Die St. Johns waren ziemliche Dickköpfe. Megan kannte sie schließlich schon ziemlich lange.

Also hielt sie den Mund und legte zum Abschied die Arme um Camerons Hüften. Dabei stieg ihr sein vertrauter Duft in die Nase. Genießerisch schloss sie die Augen. Könnte sie doch mehr von ihm haben! Wenn er bloß merkte, wie sehr sie sich um ihn sorgte, wie viel er ihr bedeutete. Und wenn doch bloß ihr Bruder sein Leben auf die Reihe bekäme. Und wenn sie nur wüsste, was sie mit dem Jobangebot machen sollte, das sie kürzlich bekommen hatte – weswegen sie allerdings wegziehen müsste.

Wenn, wenn, wenn …

Da sie in diesem Moment weder etwas bewirken noch entscheiden konnte, entschloss sie sich, diesen Augenblick und Camerons Umarmung einfach zu genießen. Wenn Freundschaft alles war, was sie einander geben konnten, dann wollte sie nicht nach den Sternen greifen.

Jetzt trat er einen Schritt zurück und legte die Hände auf ihre Schultern. „Alles in Ordnung? Du wirkst so angespannt.“

Wirklich? Dabei war sie doch ganz in seiner Umarmung aufgegangen. Dem Polizisten in ihm entging zwar nicht das kleinste Detail, aber als Mann bekam er überhaupt nichts von den Signalen mit, die sie aussandte. Wüsste er doch nur, wie es um sie stand! Und würde er endlich den ersten Schritt machen, damit sie es nicht tun musste. Bei aller Sehnsucht traute sie sich das dann doch nicht. Warum konnte er nicht ihre Gedanken lesen?

„Alles in Ordnung“, versicherte sie ihm lächelnd. „Im Moment geht mir nur gerade so viel durch den Kopf.“

Was für eine Untertreibung!

Seine hellblauen Augen musterten sie durchdringend. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

Wenn er wüsste!

„Nein.“ Sie tätschelte sein stoppeliges Kinn und trat einen Schritt zurück, um der Versuchung Einhalt zu gebieten. „Geh und ruh dich ein bisschen aus, damit du Kraft genug hast, alle Bösewichte aus Stonerock zu verjagen.“

Er grinste. „Ich arbeite daran.“

„Pass auf dich auf.“ Megan lebte in ständiger Angst, das Telefon könnte klingeln, und seine Eltern oder Brüder würden ihr eine schlimme Nachricht mitteilen. Als Polizist setzte er ständig sein Leben aufs Spiel. Nur sein Herz setzte er nie ein …

Er lachte. „Ja, Mom, ich bin vorsichtig.“

Mit der flachen Hand versetzte Megan ihm einen Klaps auf den durchtrainierten Oberkörper. „Ich muss das sagen. Ich mache mir nämlich Sorgen um dich.“

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, versicherte er ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin gut in meinem Job.“

„Das habe ich nie bezweifelt.“

Achselzuckend zog er die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche. „Ach, übrigens – Elis und Noras Baby wird morgen getauft. Du kommst doch auch, oder?“

„Bist du denn dabei?“

Cameron nickte und machte Anstalten zu gehen. Es war seine Angewohnheit, das Haus immer durch die Hintertür zu betreten und zu verlassen, ohne anzuklopfen. Wenn die Tür verschlossen war, benutzte er einfach den Schlüssel, den Megan ihm gegeben hatte.

„Natürlich.“ Seine Hand lag auf dem abgewetzten Türknauf. „Vielleicht habe ich sogar Zeit, erst nach Hause zu kommen und zu duschen.“

„Soll ich dich abholen?“, bot sie ihm an.

Er wohnte in der Nachbarschaft, und wann immer es ging, fuhren sie zusammen, wenn sie ein gemeinsames Ziel hatten. Fast wie ein verheiratetes Paar – nur ohne Sex und mit getrennten Wohnungen.

„Dann sei bitte um neun Uhr da.“ Er klopfte mit der Hand auf den Türknauf. „Und schließ hinter mir ab.“

Sie verdrehte die Augen. Aber wenigstens machte er sich auch Sorgen um sie.

Als sie allein war, geriet sie wieder ins Grübeln. Das Stellenangebot war praktisch aus heiterem Himmel gekommen. War es ein Zeichen von oben, etwas Neues zu beginnen? Megan hatte fast ihr ganzes Leben in Stonerock verbracht. Sie war immer noch Single und hatte im Grunde nichts, was sie hier hielt.

Bis auf Cameron.

Nachdem sie den Küchentisch und das Spülbecken gesäubert hatte, war sie der Lösung ihres Problems keinen Schritt nähergekommen. Sie liebte ihre Arbeit als Therapeutin in der Drogenberatungsstelle, weil sie das Gefühl hatte, ihren Patienten wirklich helfen zu können.

Die neue Arbeitsstelle wäre in Memphis, rund zwei Autostunden entfernt. Es wäre auch gleichzeitig ein Karrieresprung, denn Megan hätte Verantwortung über noch mehr Menschen.

Durfte man so ein Angebot einfach ausschlagen?

Sie ließ sich auf den Stuhl am Küchentisch sinken und dachte an ihren Bruder. Obwohl längst erwachsen, war er immer noch nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Er hatte ein paar krumme Dinger gedreht, die zu mehr krummen Dingern geführt hatten – eines schlimmer als das vorhergehende. Dabei hatte er sich immer darauf verlassen, dass seine Schwester ihm aus dem Schlamassel half.

Was würde passieren, wenn sie wegzöge? Würde er sich endlich am Riemen reißen und sein Leben selbst in die Hand nehmen? Würde er vielleicht erkennen, wie abhängig er von ihr war – und dass er so nicht weitermachen konnte?

Und das Wichtigste: Was passierte mit Cameron? Ehe Megan eine Entscheidung traf, musste sie sich fragen, ob sie den Mut aufbringen würde, ihm ihr Geheimnis anzuvertrauen, das sie seit Jahren hütete.

Vielleicht führte das Jobangebot dazu, dass sie einen Schritt nach vorn ging. Entweder oder – diese Entscheidung nahm ihr niemand ab. Obwohl sie natürlich lieber mit Cameron zusammenbliebe. Wie auch immer: Sie hätte endlich Klarheit darüber, ob die jahrelangen Wünsche und Träume für nichts und wieder nichts waren, oder ob er …

Seit dem Ende der Schulzeit wünschte sie sich nichts lieber als eine feste Beziehung mit ihm. Aber irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt gekommen, um ihm ihre Gefühle zu gestehen. Erst waren ihre Eltern gestorben. Dann war ihm als Polizeichef immer mehr Verantwortung übertragen worden, sodass er kaum noch ein Privatleben hatte. Und Megan hatte sich immer um ihren Bruder kümmern müssen. Andauernd war ihr etwas dazwischengekommen, wenn sie sich vorgenommen hatte, mit Cameron ein ernstes Wort zu reden.

Er war der einzige Halt in ihrem Leben. Was würde passieren, wenn sie ihm ihre Liebe gestand – und die Freundschaft zerstörte? Konnte sie dieses Risiko eingehen?

Mehr als einmal hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass eine feste Beziehung für ihn nicht infrage kam. Den Entschluss hatte er in jener verhängnisvollen Nacht gefasst, als sein Partner ums Leben gekommen war und seine Witwe einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Daraufhin hatte Cameron sich fest vorgenommen, keiner Frau jemals so etwas zuzumuten.

Dennoch musste sie ihm sagen, wie es um sie stand. Wenn sie ihm nicht einmal die Chance gab, eine Entscheidung zu treffen, war es gut möglich, dass sie das Beste verpasste, was ihr im Leben widerfahren könnte.

Megan stützte die Ellbogen auf den Küchentisch und legte den Kopf in die Hände. Sie hatte keine Wahl – wenn sie sich nicht für den Rest ihres Lebens mit dieser Ungewissheit plagen wollte.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, sagte sie sich immer wieder. Aber abgenutzte Sprüche halfen bei wirklichen Problemen auch nicht weiter …

Cameron hatte es geschafft, vor der Taufe noch drei Stunden Schlaf zu finden, und sogar Zeit zum Duschen und Rasieren gehabt. Er war gerade dabei, seine blaue Krawatte zu binden, als die Haustür geöffnet und geschlossen wurde. Schritte wurden lauter, als Megan in Stöckelschuhen über den Parkettboden im Flur lief.

Es musste Megan sein – es sei denn, einer seiner Brüder trug seit Neuestem Schuhe mit hohen Absätzen.

Cameron seufzte. Seit Jahren fühlte er sich nun schon zu Megan hingezogen. Zunächst hatte er geglaubt, das Gefühl würde mit der Zeit verschwinden. Leider war das nicht der Fall. Die Frau eines Polizisten zu sein, selbst in einer Kleinstadt, war nichts, was er ihr oder auch irgendeiner anderen Frau zumuten wollte. Er wusste, dass sie sich ständig Sorgen machen würde, wenn er im Dienst war. Diesen Stress wollte er Megan unbedingt ersparen. Deshalb bemühte er sich nach Kräften, sich seine wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen.

Im Moment wäre er Megan allerdings am liebsten aus dem Weg gegangen. Ihm wurde ziemlich unbehaglich zumute, als er daran dachte, was er gestern Abend beim Einsatz auf dem Parkplatz des Drugstores erlebt hatte. Das hatte nämlich dem Fall, an dem er arbeitete, eine ganz neue Wendung gegeben – und möglicherweise würde es auch seine Beziehung zu Megan verändern. Nein, nicht möglicherweise. Zweifellos würden die Ereignisse ihre Freundschaft auf eine sehr harte Probe stellen – und im schlimmsten Fall sogar beenden.

Ihr Bruder hatte sich nämlich mit den falschen Leuten eingelassen – Leute, die Cameron früher oder später verhaften musste. Und damit wahrscheinlich auch Evan.

Hin und her gerissen zwischen Pflicht und Privatleben – sollte er Megan reinen Wein einschenken? – stand für ihn jedoch von vornherein fest, dass er zuallererst seiner Arbeit verpflichtet war. Und das bedeutete absolutes Stillschweigen über seinen Fall. Natürlich wäre sie entsetzt und wütend, wenn sie erfuhr, was ihr Bruder tat – und mehr noch, wenn sie herausbekam, dass Cameron es die ganze Zeit gewusst hatte.

„Hast du eine Hose an?“, rief sie.

Grinsend richtete Cameron den Krawattenknoten und schob Brieftasche und Handy in die Gesäßtasche. „Ist das die Bedingung?“

Er trat in den Flur – und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Himmel! Megan war immer schon wunderschön gewesen, und zur Arbeit erschien sie wie aus dem Ei gepellt. Aber heute Morgen sah sie noch attraktiver aus als sonst. Es versetzte ihm einen Stich ins Herz, als er erkannte, dass sie die ideale Frau für ihn wäre. Aber er konnte sie nicht in sein Leben lassen – ein Leben mit viel Stress, Gefahren und unregelmäßigen Arbeitszeiten.

Sie trug ein enges rotes Kleid mit einem schmalen schwarzen Gürtel, der ihre schlanke Taille betonte. Das dunkle Haar fiel ihr locker über die Schulter. Atemberaubend! Er kannte keine Frau, die auch nur annähernd eine solche Wirkung auf ihn ausübte. Das konnte nur Megan. Sie war wirklich etwas Besonderes.

Und genau aus diesem Grund sollte er sie auch nicht so anstarren wie eine Frau, die er gerade in einer Bar kennengelernt hatte und nach Hause begleiten wollte. Wann war er überhaupt das letzte Mal in einer Bar gewesen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Ganz zu schweigen an eine Frau, deren Bekanntschaft er in einer solchen Situation gemacht hatte …

Megan verdient es, beschützt und geliebt zu werden und das Wichtigste im Leben eines Mannes zu sein. Leider konnte er ihr nur Ersteres anbieten.

Cameron hatte immer geglaubt, einer seiner Brüder würde Megan heiraten – ein Gedanke, der ihn vor Eifersucht fast gelähmt hatte. Glücklicherweise hatten Eli und Drake andere Frauen gefunden – und mit ihnen die Liebe ihres Lebens. Cameron freute sich für sie. Aber die Liebe war nun mal nicht für alle Söhne der St. Johns vorgesehen. Cameron fand ja kaum Zeit zum Schlafen. Wie sollte er sich da auf eine Beziehung einlassen?

„Hätte ich besser etwas anderes angezogen?“, fragte sie amüsiert. „Du starrst mich an wie ein Weltwunder.“

Du bist ein Weltwunder. „Nein, nein“, erwiderte er bloß. Er streifte sein Jackett über und fühlte sich nackt ohne sein Holster. „Du siehst heute Morgen nur besonders reizend aus.“

„In meinem alten Tanktop und den zerfetzten Jeans von gestern war ich also nicht besonders reizend?“, fragte sie herausfordernd.

Etwas, das er besonders an ihr liebte, war ihre Schlagfertigkeit. Seltsam, dass sie noch keinen Mann gefunden hatte. Cameron konnte sich vorstellen, dass nur jeder mit ein bisschen Verstand sie vom Fleck weg geheiratet hätte. Andererseits wäre ihm das natürlich alles andere als recht gewesen.

Wenn Megan allerdings jemanden fand, der ihrer würdig war und ihr all das geben konnte, was sie vom Leben erwartete, wäre Cameron vielleicht in der Lage, nur noch ihr Glück zu sehen und seine eigenen Wünsche zu vergessen. Sie sollte glücklich werden mit einer Familie, wie sie sie sich schon immer gewünscht hatte. Aber sie hatte ja nicht einmal einen Freund. Trotzdem durfte er ihr nicht seine Gefühle gestehen, denn das würde zu keinem guten Ende führen.

Und nun stand sie hier in seinem Flur, als wäre sie gerade einem Modemagazin entsprungen, und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. Cameron wurde ganz anders zumute.

Es musste an diesem Kleid liegen. Wenn er bei ihr war oder sie ihn besuchte, hatte sie sich noch nie so angezogen. Dieses Kleid betonte die Rundungen ihres Körpers in perfekter Weise. Und das würde bestimmt auch anderen Männern auffallen, die sie heute sehen würden. Dann würde er neben seiner Freundin stehen und genug damit zu tun haben, sich seine wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen.

Das Leben ist ungerecht.

„Ich bin so weit!“ Er musste an ihr vorbeigehen, um zu dem kleinen Tisch zu gelangen, auf dem die Haustürschlüssel lagen. Dabei gab er sich die größte Mühe, Megan nicht zu berühren.

Nachdem er die Haustür verschlossen hatte, folgte er Megan zu ihrem schwarzen SUV, den sie in seiner Einfahrt geparkt hatte. Kaum hatten sie die Sicherheitsgurte befestigt, als ihr Handy klingelte, das auf dem Armaturenbrett lag.

Cameron warf einen verstohlenen Blick auf das Display und erkannte Evans Namen. Mit einem Schlag war die Sorge wieder da, aber er schwieg. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr die Wahrheit zu sagen. Außerdem hatte er sich fest vorgenommen, keinen Keil zwischen Megan und ihren Bruder zu treiben. Ihr Verhältnis war trotz Evans Eskapaden viel enger, als es bei Geschwistern üblich war.

Cameron durfte ihr zwar nicht verraten, was in der vergangenen Nacht passiert war, aber er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Megan zu schützen … und auch Evan. Eine Familie musste zusammenhalten, in guten wie in schlechten Tagen. Besonders in den schlechten Tagen. Leider erinnerte sich Evan nur dann daran, wenn es ihm dreckig ging.

Megan warf ihm einen bedauernden Blick zu. „Entschuldige bitte.“

Standen die beiden Wörter nicht für die Geschichte ihres Lebens? Immer entschuldigte sie sich für ihren Bruder, immer wieder verteidigte sie ihn. Megan konnte ihr eigenes Leben gar nicht leben, weil sie die Mutter spielen musste – und dazu noch Vater, Schwester und Therapeut für diesen undankbaren Kerl. Und das schon seit Jahren.

Beim zweiten Klingeln griff sie zum Handy. „Hallo?“

Cameron verstand Evans Worte nicht; er hörte nur ein undeutliches Grummeln. Er wollte auch gar nicht wissen, was Evan zu sagen hatte. Der Kerl rief seine Schwester ohnehin nur an, wenn er Geld, das Auto oder etwas anderes von ihr benötigte.

Das Handy am Ohr, lehnte Megan den Kopf an die Nackenstütze und umklammerte mit der rechten Hand das Steuerrad, als müsste sie sich festhalten. „Ich kann nicht, Evan. Ich habe gerade zu tun.“

Cameron verkniff sich den Wunsch, ihr das Handy aus der Hand zu reißen und Evan zu sagen, er solle endlich erwachsen werden und sich nicht länger auf seine Schwester verlassen. Der Mann – wenn man ihn denn überhaupt als solchen bezeichnen konnte – hatte noch nie einen anständigen Job gehabt.

Schon als Jugendlicher war er ständig in Schwierigkeiten geraten. Zweimal hatte er die Schule wechseln müssen, und seinetwegen waren seine Eltern in eine andere Stadt gezogen, sodass Cameron und Megan sich ein Jahr lang nicht gesehen hatten. Glücklicherweise war Megan irgendwann zurückgekommen.

Nach dem Einsatz in der vergangenen Nacht wusste Cameron nun, dass Evan noch tiefer in Schwierigkeiten steckte, als er vermutet hatte. Er dealte mit harten Drogen. Und Megan hatte keine Ahnung davon.

„Tut mir leid, Evan“, sagte sie gerade. Sie klang erschöpft. „Das geht im Moment nicht. Kannst du nicht bis heute Nachmittag warten …?“

Je länger Megan redete, desto wütender wurde Cameron. Er und seine Brüder waren zwar auch keine Unschuldslämmer gewesen, aber sie hatten doch immer ihre Grenzen gekannt.

„Nein, Evan, ich …“

Jetzt riss ihm endgültig der Geduldsfaden. Er wand ihr das Handy aus den Fingern und drückte die „Aus“-Taste. Entgeistert sah Megan ihn an, aber er hielt das Handy an seine Schulter – eine stumme Geste, dass er nicht daran dachte, es ihr zurückzugeben.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich aber eines Besseren. Cameron entging nicht, dass sie einen inneren Kampf ausfocht. Dann schloss sie resigniert die Augen. Ihr Kinn zitterte.

Genau aus diesem Grund konnte Cameron Evan Richards nicht ausstehen. Sobald er auftauchte, verpuffte Megans gute Laune, und sie wurde regelrecht deprimiert. Schlimmer noch: Sie bekam Gewissensbisse, weil sie immer noch das Gefühl hatte, ihm helfen zu müssen.

„Jetzt mach dir bloß keine Vorwürfe“, polterte Cameron lauter, als er eigentlich wollte. „Genau das bezweckt er doch mit seinen Anrufen: dir ein schlechtes Gewissen machen, damit du ihm alles gibst, was er von dir verlangt.“

„Ich weiß“, murmelte sie. Seufzend strich sie ihr Kleid glatt. „Es wird höchste Zeit, dass er endlich auf eigenen Füßen steht. Es ist nur so schwer …“

Sie drehte den Schlüssel und startete den Motor.

Cameron legte die Hand auf ihren Arm. „Genau darauf hofft er doch.“ Sanft drückte er ihren Arm. „Er spielt den kleinen, hilflosen Bruder, der darauf baut, dass seine große Schwester ihn aus dem Schlamassel zieht. Er muss selbst verantworten, was er tut.“

Cameron bezweifelte, dass Megan wusste, wie groß der Schlamassel wirklich war. Und er befürchtete, dass er ihr nicht wirklich helfen konnte. Das machte ihn ganz krank. Er hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit.

Mit Tränen in den Augen schaute sie ihn an. „Meinst du, ich wüsste nicht, wie verkorkst sein Leben ist? Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchmache – bei deiner Bilderbuchfamilie. Ich habe keine Eltern mehr; nur einen Bruder, der mir das Geld aus der Tasche zieht, weil ich ihm jedes Mal auf den Leim gehe. Aber er ist nun mal mein Bruder und mein einziger Angehöriger. Ich helfe ihm ja auch gern … wenn er sich nur endlich ändern würde.“

Autor

Jules Bennett
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