Denn Lieben heißt Vertrauen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

"Vertrau mir, Marly!" Zu gern würde die hübsche Singlemom das tun: sich einfach in Drakes starke Arme schmiegen und alles um sich und den Feuerwehrmann herum vergessen. Aber solange sie von der Vergangenheit verfolgt wird, ist ihr Herz nicht frei für eine neue Liebe …


  • Erscheinungstag 15.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520997
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Feuerwehrmann war zurück.

Wieder saß er neben dem Bett, in blauer Cargohose und blauem Polohemd, auf der breiten, muskulösen Brust das Abzeichen der Feuerwehr von Stonerock, Tennessee. Früher hätte ein Mann mit solchen Muskeln von ihr noch einen anerkennenden Blick geerntet, aber vor einem halben Jahr war ihre Welt so radikal auf den Kopf gestellt worden, dass Muskeln, Kraft und Macht sie nur noch an die Narben erinnerten, von denen sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet sein würde.

Schwester Marly Haskins ging weiter auf das Bett ihres sechs Jahre alten Patienten zu. Der kleine Junge hatte vor Kurzem bei einem Wohnungsbrand schwere Verbrennungen erlitten, und die Ärzte warteten ab, wie seine Wunden verheilten, ehe sie sich über Hauttransplantationen an Arm und Oberkörper Gedanken machen konnten.

Marly fühlte mit dem Jungen, der erst vor wenigen Wochen mit ihrer Tochter Willow in den Kindergarten gekommen war. Er sollte in diesem Moment auf einem Schulhof herumtollen, aber nicht unter den Folgen eines Feuers leiden, das sein Zuhause zerstört hatte.

Als Marly näher kam, sah der Feuerwehrmann sie an. Seine intensiven blauen Augen sollten ihr nicht dieses Kribbeln bereiten, aber das war nun mal die Reaktion ihres Körpers. Vom Kopf her wusste sie, dass sie sich von seinem Erscheinungsbild nicht beeindrucken lassen sollte.

„Sagen Sie, wenn ich im Weg bin“, bat er sie und betrachtete wieder den schlafenden Jungen. „Ich wollte vor meiner Schicht noch schnell nach ihm sehen.“

Außer der Familie hatte niemand Jeremy besucht. Von den Eltern wusste Marly, dass der Brandmeister ein enger Freund der Familie war und herkommen würde. Seinen Namen kannte sie nicht, nur dass er als Brandmeister einen wichtigen Posten hatte. Und dass seine Statur beeindruckend war und Marly sich wünschte, nicht ganz so zynisch zu sein. Würde sie Muskeln und Machtpositionen für immer und ewig mit etwas Negativem verbinden?

„Er bekommt Antibiotika“, sagte sie und hoffte, dass der Mann nicht auf Small Talk aus war. Glücklicherweise ging er aber auf Abstand zum Krankenbett, als sie dem Jungen das Medikament injizierte.

Jeremy schlief tief und fest, was auch den starken Schmerzmitteln zu verdanken war. Dies hier gehörte zu den schlimmen Seiten im Leben einer Kinderkrankenschwester: die Vorstellung, dass es ebenso gut ihre Tochter sein könnte, die hier in diesem Bett lag.

„Übrigens … ich bin Drake.“

Marlys Puls beschleunigte sich, als sie sich zu dem Mann umdrehte und seine breiten Schultern betrachtete, die so beeindruckend waren wie seine gesamte Erscheinung. Gleichzeitig bekam sie aber auch Angst, weil er sie zu sehr an ihre Vergangenheit erinnerte, die sie unbedingt hinter sich lassen wollte.

Ihr schlechtes Gewissen regte sich, weil sie kein Recht hatte, über einen Fremden wie ihn zu urteilen. Zumal es ja kein Fremder gewesen war, der ihr Leben beinahe zerstört hätte, sondern der Mann, der geschworen hatte, sie zu lieben und zu ehren. „Ich bin Marly.“

„Ich weiß.“ Lächelnd deutete er auf das Namensschild. „Ich hätte mich schon eher vorstellen sollen.“

„Sie waren mit Ihren Gedanken woanders“, sagte sie und betrachtete sein Gesicht aufmerksamer. Er mochte von der Statur etwas Bedrohliches haben, aber die Sorgenfalten zwischen den dichten dunklen Augenbrauen ließen ihn verwundbar erscheinen. „Ich habe gehört, dass Sie mit Jeremys Eltern befreundet sind.“

Drake nickte schwach. „Ja, ich habe mit seinem Vater Shawn zusammen meinen Abschluss gemacht. Ich habe die Löscharbeiten geleitet.“

Marly musste schlucken, als sie die Trauer dieses Mannes spürte, der in diesem Moment wahrscheinlich das Ganze noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen sah. „Ich wünschte, ich könnte mehr für ihn tun“, flüsterte sie. „Seine Eltern …“ Sie verstummte, weil sie sich einem Fremden gegenüber nicht zu sehr öffnen wollte. Sie musste ihre Privatsphäre wahren, denn nur so konnte sie sich selbst und ihre Tochter schützen.

„Die machen eine harte Zeit durch“, erwiderte er und kam um das Bett herum. „Aber Sie tun schon alles, was in Ihrer Macht steht, und das wissen seine Eltern zu schätzen.“

Sie nickte und wich unwillkürlich einen Schritt vor Drake zurück. Er hatte ihr nichts getan, doch sie konnte ihre Reaktion nicht verhindern.

„Alles in Ordnung?“, fragte er irritiert.

Marly nickte und strich die Haare so zur Seite, dass ihre Narbe bedeckt blieb. „Ja, ja, nur besorgt. Es ist nicht leicht, mit den Gefühlen auf Abstand zu seinen Patienten zu bleiben.“

„Es zeichnet eine gute Krankenschwester aus, dass sie mit ihren Patienten mitfühlt. Das ist sozusagen Berufsrisiko.“

Er verstand, was sie durchmachte, trotzdem wollte sie nicht einem Mann näherkommen, der mit seiner sanften Art und seinem Sex-Appeal ihre Gefühle durcheinanderbrachte. Sie hatte bittere Erfahrungen gemacht und sich daher vorgenommen, auf sehr lange Sicht keinem Mann mehr zu vertrauen.

„Wann wird er in ein anderes Krankenhaus verlegt, das auf Brandwunden spezialisiert ist?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme vor der breiten Brust.

„Da müssen wir abwarten, was die Ärzte und seine Eltern wegen der Hauttransplantationen entscheiden.“ Sie versuchte zu ignorieren, dass ihr Herz schneller schlug, da er sie aus dem Augenwinkel zu betrachten schien.

„Ich finde, er muss in eine Spezialklinik verlegt werden“, beharrte er.

Marly war nicht in der Laune, mit jemandem, der nicht zur Familie gehörte, über das Thema zu diskutieren. Und sie wollte sich auch keine Vorschriften von diesem Mann machen lassen, der es zweifellos gewohnt war, sich immer und überall durchzusetzen. „Momentan ist er hier gut aufgehoben“, entgegnete sie und zwang sich, Drake anzusehen. Sie war nicht länger diese schwache Frau, die Angst hatte, zu ihrer Ansicht zu stehen.

„Ich kann ihn versorgen, weil ich früher als Krankenschwester auf einer Station für Brandverletzungen gearbeitet habe. Wenn seine Eltern sich für die Transplantation entscheiden, muss er in eine Spezialklinik gebracht werden.“

„Würden die Verletzungen nicht schneller heilen, wenn er jetzt schon von einem Spezialisten behandelt wird?“

Mit geballten Fäusten stand Marly da und schüttelte den Kopf. „Die Ärzte hier wissen, was für Jeremy das Richtige ist. Außerdem ist er noch gar nicht transportfähig.“

Drake fluchte leise. „Shawn und Amy sind beide selbstständig, das wird für sie ein schwerer finanzieller Schlag sein. Ganz zu schweigen davon, was diese Situation für sie emotional bedeutet.“

So, so. Dieser energische Mann hatte ein weiches Herz. Schön und gut. Aber wie konnte er es wagen, an ihr, an den Ärzten und an den Eltern des Jungen zu zweifeln? Vielleicht war er ja einfach nur besorgt, trotzdem war ihr die medizinische Meinung eines Brandmeisters völlig egal.

Recht hatte er nur in dem Punkt, dass Jeremys Eltern mit Behandlungsrechnungen überschüttet werden würden, noch bevor ihr Sohn aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Marly wollte lieber gar nicht darüber nachdenken, welche finanzielle Belastung das für die arme Familie bedeuten würde.

Seit sie vor ihrem Exmann davongelaufen war und auf alles Geld verzichtet hatte, fiel es ihr schwer, mit ihrem Gehalt auszukommen. Allerdings war es nicht so leicht, sich selbst zu bemitleiden, wenn man mit einer Tragödie von den Ausmaßen konfrontiert wurde, die sie hier vor sich hatte. Es gab immer noch jemanden, der schlimmer dran war als sie.

„Kann ich draußen mit Ihnen reden?“, fragte Drake auf einmal.

Überrascht willigte sie ein, weil es das erste Mal war, dass sie sich länger mit ihm unterhielt. Seit der Einlieferung des Jungen vor zwei Tagen hatten sie sich immer nur kurz gegrüßt, ansonsten war sie ihm aus dem Weg gegangen, wo sie nur konnte.

Sie verließen das Krankenzimmer. Marly schloss die Tür hinter sich. Es war nicht sehr überzeugend, wie eine kompetente Krankenschwester zu wirken, wenn ihr dabei die Hände zitterten. Daher verschränkte sie die Arme vor der Brust und hob den Kopf, damit sie seinen Blick erwidern konnte. „Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte sie.

„Ich werde die nächsten sechsunddreißig Stunden auf der Feuerwache verbringen“, erklärte er und ging noch einen Schritt auf Marly zu. „Ich weiß, dass Shawn und Amy mir nicht sagen werden, wenn sie irgendetwas benötigen. Aber könnten Sie die beiden im Auge behalten, wenn sie herkommen? Falls Sie mitkriegen, dass ihnen etwas fehlt, würden Sie mich dann informieren? Ich kann Ihnen für alle Fälle meine Handynummer geben. Wenn ich gerade keine Zeit habe, werde ich einen meiner Brüder herschicken. Shawn und Amy sollen nicht das Gefühl bekommen, dass sie auf sich allein gestellt sind.“

Wow, er meinte das wirklich ernst. Er war bereit, für seine Freunde alles stehen und liegen zu lassen.

Marly fragte sich unwillkürlich, ob er sich damit nur hervortun und vor seinen Vorgesetzten gut dastehen wollte. Oder war er wirklich ein so mitfühlender Mensch?

Am liebsten hätte sie sich länger mit ihm unterhalten, um mehr über ihn zu erfahren. Das hätte die Marly von früher gemacht, aber die gab es nicht mehr. Sie kümmerte sich nicht länger um die gebrochenen Herzen; denn erst einmal musste ihr eigenes Herz verheilen. „Natürlich kann ich Sie dann anrufen“, versprach sie lächelnd und kam wieder auf das eigentliche Thema zurück.

Er musterte sie weiter mit seinen faszinierend blauen Augen, und sie widerstand dem Impuls, ihre Frisur zu kontrollieren, um sich zu vergewissern, dass ihre Narbe verdeckt war. Was Drake dachte, während er sie so anschaute, wollte sie lieber nicht wissen.

Ihr Exmann hatte sie immer nur als seine Vorzeigeehefrau benutzt, sie hatte an seiner Seite gut aussehen, aber den Mund halten sollen. Aber sie war nicht mehr diese perfekt gestylte Frau. Heute trug Marly ihre langen blonden Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, mit weiter Kleidung kaschierte sie ihre beachtliche Oberweite, und auf Make-up verzichtete sie fast völlig. Das war die wahre Marly Haskins. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragte sie, weil sie seinem forschenden Blick entkommen wollte.

„Sie können mir verraten, wieso Sie so traurig aussehen.“

Prompt schüttelte sie den Kopf. „Ich bin nicht traurig. Natürlich berührt mich das mit Jeremy und seiner Familie, aber das ist auch schon alles.“

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, berührte Drake sie leicht mit dem Daumen unter ihrem Auge. „Nein, ich kann da Schatten und Traurigkeit erkennen.“

Sofort schob sie seine Hand weg. „Sie kennen mich gar nicht. Daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht versuchen würden, mich zu analysieren.“

„Tut mir leid, aber es liegt mir nun mal im Blut, dass ich mir Gedanken um andere Menschen mache. Ich habe mich bloß gefragt, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist.“

Dass mit ihr längst nicht alles in Ordnung war, würde sie ihm nicht auf die Nase binden. Natürlich wünschte sie sich, jemandem ihr Herz auszuschütten. Als alleinerziehende Mutter hatte sie es nicht leicht, zumal sie aufpassen musste, dass ihr brutaler Exmann sie nicht aufspürte – und dann sollte sie auch noch für jeden Fremden eine fröhliche Miene aufsetzen, wenn doch eigentlich niemand eine Vorstellung davon hatte, durch welche Hölle sie gegangen war.

Sie konnte sich nicht auf einen Mann wie Drake einlassen, sondern musste ihr Leben für sich und ihre Tochter wieder in den Griff bekommen.

Drake holte eine Visitenkarte hervor und hielt sie ihr hin. „Meine Handynummer steht da auch drauf.“

Als sie die Karte annahm, berührten sich ihre Fingerspitzen für den Bruchteil einer Sekunde, was für sie aber genügte, um die Hand hastig wegzuziehen. Seit sie ihrem gewalttätigen Ehemann entkommen war, hatte sie keinen Mann mehr angefasst. Ihre Patienten waren ausschließlich Kinder, und sie war entschlossen, für die nächste Zeit einen Bogen um jeden Mann zu machen.

Schließlich waren die sichtbaren Narben nicht die einzigen Verletzungen, die sie davongetragen hatte.

„Und es ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?“, hakte er nach und beugte sich ein wenig vor.

Na, toll. Jetzt machte er sich auch noch richtig Sorgen um sie.

Sie konnte bloß hoffen, dass ihr Lächeln überzeugend genug war, als sie nickte. „Ja, ich muss nur an Jeremy denken.“

Drake schien diese Antwort zu genügen, da er einen Wagenschlüssel aus der Hosentasche holte. „Sie können mich jederzeit anrufen. Wenn ich nicht rangehen kann, sprechen Sie mir eine Nachricht auf die Mailbox.“

Wieder nickte Marly, froh, dass er jetzt endlich gehen würde.

„Ich komme morgen wieder her“, versprach er ihr.

Ja, das war zu befürchten gewesen. Und das, wo sie sich bei jeder Begegnung mehr zu ihm hingezogen fühlte. Lästige Gefühle! Damit hatte sie sich schon einmal viel Ärger eingehandelt.

Als Drake die Kinderstation verließ, blickte Marly ihm gegen ihren Willen hinterher. Diese breiten Schultern, diese Uniform, die Arme … Drake St. John war ein Mann ganz nach ihrem Geschmack, was für sie Grund genug war, sich nicht für ihn zu interessieren. Denn der letzte Mann, der zuerst ganz nach ihrem Geschmack war, hätte sie beinahe umgebracht.

2. KAPITEL

Drake fühlte sich erleichtert, weil er davon ausgehen konnte, dass die hübsche Krankenschwester mit ihren schokoladenbraunen Rehaugen sich tatsächlich bei ihm melden würde, wenn Shawn oder Amy etwas brauchten.

Er verfluchte sich dafür, dass er sie berührt hatte, als ihm dieser ängstliche Ausdruck in ihren Augen aufgefallen war. Sie hielt ihn jetzt bestimmt für einen Grapscher. Dazu kam aber auch noch das Gefühl, sie eingeschüchtert zu haben, was sicher auf irgendwelche schlechten Erfahrungen zurückzuführen war. Obwohl er sie praktisch gar nicht kannte, weckte dieser Gedanke reflexartig seinen Beschützerinstinkt.

Noch immer musste er an sie denken. Er wusste nur, dass sie erst seit Kurzem in der Stadt war, ansonsten war ihm nichts über sie bekannt … außer dass ihm nicht entgangen war, wie verlockend sie nach Erdbeeren duftete. Und er wusste, dass sie sehr behutsam mit ihren jungen Patienten umging. Außerdem war sie eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Marly sah atemberaubend aus, obwohl sie nicht einmal einen Hauch von Make-up trug.

Seit dem Tod seiner Verlobten vor einem Jahr hatte Drake sich nicht wieder zu einer Frau hingezogen gefühlt. Er war zwar zu einigen Verabredungen gegangen, doch ohne ernsthaftes Interesse.

Bei Marly war das ganz anders, auch wenn er dafür keine Erklärung hatte.

Er verließ den Parkplatz neben dem Krankenhaus und machte auf dem Weg zur Wache noch einen Abstecher zum Rathaus, um nach dem Stand des Budgets zu fragen. Auch wenn erst morgen abgestimmt wurde, musste der Bürgermeister schon eine Ahnung haben.

Im zweiten Stock wurde er von Betty May Allen empfangen, der rechten Hand des Bürgermeisters, die schon seit vierzig Jahren diesen Posten innehatte und wahrscheinlich mehr Geheimnisse kannte als alle Mitarbeiter im Pentagon zusammen. „Chief St. John“, begrüßte sie ihn freundlich. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ist er da?“, fragte Drake und deutete auf die Tür hinter ihr.

„Ja. Sie haben sicher keinen Termin, oder?“

„Nein, aber ich brauche auch nur eine Minute.“

Betty May ging zur Verbindungstür, öffnete sie ein Stück weit und steckte den Kopf hindurch. Einen Moment später zog sie den Kopf zurück und drehte sich zu Drake um. „Sie können rein, Chief.“

Drake trat ein und schloss die Tür hinter sich. Dann betrachtete er den übergewichtigen Mann mit der schlecht überkämmten Halbglatze, der hinter einem ausladenden Mahagoni-Schreibtisch saß.

„Was kann ich denn für einen der besten Angestellten tun?“, fragte Bürgermeister Tipton und lehnte sich auf seinem Stuhl so weit nach hinten, dass dieser bedenklich knarrte, aber leider nicht unter dem Gewicht zusammenbrach.

Drake stützte sich auf den Ledersessel vor dem Schreibtisch auf und fragte ohne Umschweife: „Wie sieht es mit dem Budget aus? Werden wir meine Männer wieder an Bord holen können?“

Tipton stutzte. „Über das Budget wird morgen entschieden.“

Drake hasste es, wenn sein Gegenüber einer Frage auswich, und ganz besonders, wenn es dieser selbstverliebte Bürgermeister tat. „Sie werden sicher eine ungefähre Vorstellung haben“, redete er weiter und musste so wie schon seit Monaten mit seiner Selbstbeherrschung kämpfen. „Die Feuerwache ist unterbesetzt, und das haben wir am Sonntag beim Brand im Haus der Atkins deutlich zu spüren bekommen.“

„Ja, davon weiß ich.“ Tipton beugte sich vor und legte die schwabbeligen Unterarme auf den übervollen Schreibtisch. „Ich habe gehört, dass der Junge schwer verletzt wurde.“

Drake musste schlucken, als er wieder die Bilder vor sich sah, wie der Junge von Flammen umgeben auf dem Boden gelegen hatte – und wie Drake ihn aus dem Haus gebracht und die ganze Zeit über gebetet hatte, ihn noch gerade rechtzeitig gerettet zu haben.

„Die Stadt hat dafür einfach kein Geld“, antwortete der Bürgermeister. „Irgendwo müssen wir einsparen, und bedauerlicherweise hat es die Feuerwehr erwischt.“

Die Wut kochte in Drake hoch. Er wusste, wenn er jetzt auf dem Absatz kehrt machte, würde ihm noch eine Bemerkung rausrutschen, die ihn seinen Job kosten konnte. Aber er wollte nicht nachgeben, weil seine Männer auf ihr Einkommen angewiesen waren, für das sie in einer Schicht härter arbeiteten als der Bürgermeister im ganzen Jahr.

„Haben Sie mal überlegt, Ihr eigenes Gehalt zu kürzen? Und was ist mit den neuen Straßenlaternen entlang der Main Street? Oder wie wär’s, am Landschaftsgärtner im Park zu sparen? Die Verletzungen dieses kleinen Jungen lasten ganz allein auf Ihnen, nicht auf mir. Ich habe meinen Job getan. Können Sie das von sich auch behaupten?“

Er wechselte von einem vorwurfsvollen zum herablassendsten Tonfall, den er hinbekam. „Aber ich verstehe schon die Denkweise, die dahintersteckt. Warum sollen wir Leuten Geld geben, damit sie anderen das Leben retten? Setzen wir doch ruhig deren Leben aufs Spiel! Hauptsache, wir haben lila Blumenbeete und schicke Straßenlampen!“

„Sie sollten lieber aufpassen, was Sie da reden, Chief“, konterte der Bürgermeister, dessen Kopf allmählich dunkelrot anlief. „Sie hatten schon immer eine große Klappe.“

Oh ja, der berüchtigte Ruf der St.-John-Brüder, den sie hatten überwinden müssen, um es in der Stadt zu etwas zu bringen. Drake war egal, ob der Bürgermeister persönlich wurde oder nicht. Dafür war er viel zu wütend auf diesen Mann, der ihn mit seinen Kürzungen dazu gebracht hatte, drei von seinen Leuten zu entlassen.

„Ein kleiner Junge liegt mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades im Krankenhaus. Wir hätten ihn eher retten können, wenn ich mehr Leute zur Verfügung gehabt hätte. Wir sind unterbesetzt, Bürgermeister, und diese Leute sind so überarbeitet, dass die Menschen in Lebensgefahr sind, die von ihnen gerettet werden sollen.“

„Der Junge hat mein ganzes Mitgefühl, aber es war ein tragischer Unfall, an dem ich keine Schuld trage. Ich mache nur meinen Job, so wie Sie Ihren erledigen. Ich schlage vor, Sie konzentrieren sich darauf.“

„Wollen Sie damit andeuten, ich würde meine Arbeit nicht richtig machen?“, fragte Drake empört. Als er sah, dass Tipton nur beiläufig mit der Schulter zuckte, wusste er, dass er jetzt schnell verschwinden musste. Sonst würde er noch irgendetwas sagen oder tun, das ihn wirklich seinen Job kosten würde. Zum Glück besaß er heute mehr Selbstbeherrschung als früher. „So oder so werden meine Leute wieder eingestellt werden“, versicherte er dem Bürgermeister. „Ihre Amtszeit ist fast um. Bei der nächsten Wahl werden wir ja sehen, wie die Wähler über das Thema Sicherheit denken.“

„Wollen Sie mir etwa drohen?“

„Ich habe nur eine Tatsache ausgesprochen. Die Wähler werden schon wissen, was sie mit Ihnen machen sollen.“

Dann verließ er das Büro und ging an Betty May vorbei, die ihn ungläubig ansah. Zweifellos hatte sie alles mit angehört, und auch wenn das nicht die erste hitzige Diskussion mit Tipton gewesen war, hatte er zuvor nur selten seinen Hass auf den Mann so offen gezeigt.

Er kehrte zu seinem Wagen zurück und stieg ein. Während er voller Wut das Lenkrad umklammert hielt, fiel sein Blick auf den alten Brunnen im Park. Andrea hatte immer von einer Hochzeitsfeier im Park dort vor dem geliebten Brunnen geträumt. Doch dann war auch dieser Traum zusammen mit Andrea gestorben.

Er ließ den Motor an und versuchte, all die lähmenden Bilder jenes schrecklichen Tages zu vergessen. Sein Therapeut hatte recht. Solange Drake sich nur auf die Vergangenheit konzentrierte, würde er für sich keine bessere Zukunft schaffen können. Außerdem musste er für seine Feuerwache kämpfen und hoffen, dass es dem kleinen Jungen bald besser ging.

Der Gedanke brachte ihn zurück zu der hübschen Krankenschwester, die irgendwie nervös wirkte, wenn er in der Nähe war. Ihre Schönheit war überwältigend, was ihn vor die Frage stellte, wie er sich so kurz nach Andreas Tod so sehr von einer anderen Frau angezogen fühlen konnte.

Sollte er Marly fragen, ob sie mit ihm ausging? Falls ja, sollte er es wohl eher auf einer freundschaftlichen Ebene versuchen. Schließlich war nicht zu übersehen gewesen, dass sie sich vor irgendetwas fürchtete. Er musste herausfinden, woher der traurige Ausdruck in ihren schönen Augen kam.

Marly war froh darüber, dass ihr Chef ihr ein paar Stunden freigegeben hatte, damit sie Willow auf dem Ausflug mit der Kindergartengruppe begleiten konnte. Bislang hatte ihre Tochter sich nach dem überstürzten Umzug gut in ihre neue Umgebung eingewöhnt, und der heutige Ausflug zur Feuerwache war an diesem Morgen für die Fünfjährige das einzige Thema.

Vom Krankenhaus fuhr Marly direkt zur Feuerwache und traf dort nur Augenblicke nach dem Bus ein, der die Kinder hinbrachte. Kaum war sie ausgestiegen, hatte sie auch schon Chief Drake St. John entdeckt. Im gleichen Moment ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie überhaupt nach ihm gesucht hatte.

Drake stellte sich zum Bus und begrüßte breit lächelnd die Kinder, die im Gänsemarsch nach draußen kamen und zu dem auf Hochglanz polierten Feuerwehrwagen rannten, der nur ein paar Meter entfernt stand. Drakes Kollegen, die die gleiche blaue Kleidung trugen wie er, führten die Kleinen zu einer Rasenfläche, wo sie sich alle hinsetzen sollten.

Als Marly aus ihrem SUV ausstieg und den Parkplatz überquerte, fiel ihr auf, dass Drake den Kopf hob. Obwohl er eine Sonnenbrille trug, wusste sie, dass er sie ansah. Die spätsommerliche Sonne war noch schweißtreibend warm, dennoch bekam Marly eine Gänsehaut. Dass ihr Körper so reagierte, kam nicht nur völlig unerwartet, es war auch nichts, was ihr gefiel – jedenfalls nicht mehr, seit sie ein Monster geheiratet hatte.

„Mom!“

Autor

Jules Bennett
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Die St. Johns von Stonerock