Die Ashtons (12-teilige Serie)

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LIEBE, WEIN UND HEIßE KÜSSE
Kein Tag ist vergangen, an dem Cole nicht an seine große Liebe denken musste. Und dann kehrt Dixie zurück und erneut flammt Verlangen zwischen ihnen auf. Doch wird sich Coles größter Traum, eine gemeinsame Zukunft mit Dixie, diesmal erfüllen?

LIEBE ODER KARRIERE?
Feurige Stunden unter der glühend roten Sonne Kaliforniens: Der temperamentvolle Rodeoreiter Russ verwirrt Abigails Sinne! So stark hat sie sich noch nie zu einem Mann hingezogen gefühlt. Dabei wollte die ehrgeizige Tierärztin sich nie mehr verlieben ...

ENTFÜHRT INS LAND DER LEIDENSCHAFT
Erregend, verlockend - und total verrückt! Megan heiratet den Millionär Simon, obwohl sie ihn kaum kennt. Doch das scheinbar perfekte Arrangement erweist sich als trügerisch, denn Liebe und Leidenschaft kommen ins Spiel. Dabei war doch abgemacht, dass Sex erst einmal tabu ist ...

ALLES, WOVON DU TRÄUMST
Ewig schon will Seth seine Traumfrau Jillian um ihre Hand bitten. Bevor er ihr aber die alles entscheidende Frage stellen kann, muss er ihr noch ein Geheimnis gestehen. Doch als er nach einer rauschenden Party damit herausrückt, scheint es ein Abschied für immer zu werden …

RAUSCH DER SINNE
Dem Zauber der Frauen ist Weingutbesitzer Alexandre Dupree schon oft erlegen. Aber keine hat ihn je so gefesselt wie die schöne Charlotte - und keine ihn je so abblitzen lassen. Bis er zufällig ihr Tagebuch findet. Jetzt weiß er, was er tun muss ...

HEIßE NACHT IN STARKEN ARMEN
Wie sehr hat Lara ersehnt, sich in die Arme eines starken Mannes fallen zu lassen! Und nach dieser heißen Nacht mit dem aufregenden Fremden glaubt sie: Er ist es! Er wird meine geheimsten Sehnsüchte stillen. Da erfährt Lara, wer ihr Liebhaber tatsächlich ist ...

HEIßE BLICKE - HEIßE NÄCHTE?
Ein Blick in Walkers Augen verheißt Tamra eine Welt voller Sinnlichkeit. Dabei hat sie eigentlich den Männern abgeschworen. Doch Walker ist nicht nur sexy - er trifft sie auch mitten ins Herz. Und ehe Tamra sich versieht, haben sie eine heiße Affäre …

SOMMER DER SINNLICHKEIT
Sinnlicher Sommer in San Francisco: Noch nie hat Kerry sich so sehr zu einem Mann hingezogen gefühlt wie zu Ford Ashton. Doch als sie sich ihm nach leidenschaftlichen Küssen rückhaltlos hingeben will, zeigt er ihr plötzlich die kalte Schulter …

HEIßE LIEBE - NUR ZUM SCHEIN?
Es ist eine Vernunftehe! Mercedes Ashton glaubt ganz fest daran, als sie ihren besten Freund Jared heiratet, um den Mann, von dem sie ein Kind erwartet, nie wiedersehen zu müssen. Doch dann küsst Jared sie heiß - und nichts ist mehr wie zuvor ...

STARKER MANN - WAS NUN?
Das hat Multimillionär Matt von der kühlen Eventmanagerin Paige nicht erwartet: Sie setzt ihre weiblichen Reize ein, weil sie einen Auftrag will. Aktuell will sie seine Halloween-Party. Und lockt ihn mit ihrem immer höher rutschenden Rock - doch Matt will nicht schwach werden …

ANNAS TRAUM VON DER LIEBE
Grant Ashton ist ein fantastischer Liebhaber, der Anna alle erotischen Wünsche von den Augen abliest. Aber das reicht ihr nicht. Sie träumt von einem gemeinsamen Leben, einer Familie - wozu Grant nicht bereit ist. Doch so leicht gibt Anna nicht auf …

SCHÖNE BECCA - EROTIK PUR!
Die Luft knistert vor Erotik, als Trace Ashton nach fünf Jahren seine schöne Exverlobte Becca wiedersieht. Obwohl sie die Liebe zwischen ihnen grausam verriet, wird er gegen seinen Willen sofort wieder in Beccas Bann gezogen. Was kann er nur dagegen tun?


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746940
  • Seitenanzahl 1728
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Eileen Wilks, Kathie Denosky, Maureen Child, Bronwyn Jameson, Nalini Singh, Sara Orwig, Sheri Whitefeather, Kristi Gold, Emilie Rose, Roxanne St. Claire, Laura Wright, Barbara Mccauley

Die Ashtons (12-teilige Serie)

IMPRESSUM

Liebe, Wein und heiße Küsse erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2005 by Eileen Wilks
Originaltitel: „Entangled“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 260 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747053

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

Niemand erwartete eine voll besetzte Kirche. Um halb zwölf an einem regnerischen Mittwochmittag waren die meisten Einwohner von Crawley, Nebraska, bei der Arbeit. Doch die Postfrau war gekommen, und auch das Apothekerehepaar und der Banker mit seiner Frau saßen auf ihren gewohnten Plätzen. Viele Farmerfamilien waren vertreten, da die Familien der Braut und des Bräutigams Farmer waren.

Und natürlich hatten auch die Mortimer-Zwillinge in der gewohnten Kirchenbank Platz genommen – sechste Reihe von vorn im Hauptschiff. Flora und Dora hatten seit fünfundfünfzig Jahren keine Hochzeit in dieser Kirche verpasst. Ein bisschen Regen konnte ihre Begeisterung nicht dämpfen.

„Sieht der junge Spencer nicht edel aus?“, flüsterte Flora.

Ihre Schwester schnaubte verächtlich. „Edel ist, wer edel handelt. Du kannst mir nicht erzählen, dass dieser Kerl dort auf seine Braut warten würde, wenn sie nicht …“

Die Postfrau drehte sich um und warf ihnen einen tadelnden Blick zu.

„Sieh mich nicht so an, Emmaline Bradley“, sagte Dora. „Francis spielt noch ‚Rock of Ages‘. Und solange dieses Lied gespielt wird, können wir auch reden.“

Flora zupfte Dora am Ärmel. „Sieh nur. Spencers Vater nimmt Platz“, flüsterte sie. „Er scheint nicht besonders glücklich über die Hochzeit zu sein.“

Dora rümpfte die Nase. „Frederick Ashton war nicht mehr glücklich, seit er abgestillt wurde. Der Mann ist schrecklich launisch. Ich weiß nicht, was Pastor Brown sich dabei gedacht hat, ihn zum Diakon zu machen.“

Lucy Johnson, die auf der anderen Seite von Flora saß, beugte sich näher. „Zumindest hat Frederick dafür gesorgt, dass sein Sohn die arme Sally heiratet.“

Flora nickte zustimmend. „Arme Sally. Ich kann verstehen, dass sie der Versuchung erlegen ist. Dieser junge Ashton ist so … so …“

„Attraktiv“, warf Dora ein. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Frederick Sally damit einen Gefallen getan hat.“

„Oh, Spencer ist einfach jung“, sagte Lucy. „Er führt vielleicht ein etwas wildes Leben, aber das hat mein Charlie auch getan, bevor wir geheiratet haben. Und jetzt sind wir schon zweiundvierzig Jahre zusammen.“

Emmaline Bradley drehte sich erneut um. „Pst!“

Flora errötete, Lucy kniff die Lippen zusammen, und Dora bemerkte den Rüffel gar nicht. Mit gerunzelter Stirn blickte sie zu Frederick Ashton, der drei Reihen vor ihnen saß. Es hieß, der Mann habe seine Söhne sehr streng erzogen. Er war groß, korpulent und dominant – der Typ Mann, der gern sagte: „Wer an der Rute spart, verzieht das Kind.“ Dora war sicher, dass weder Spencer noch sein Bruder David verzogen worden waren.

Francis spielte die ersten Takte von Wagners Hochzeitsmarsch. Treulich geführt …

Am Eingang der Kirche presste Sally Barnett die Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. Das Hochzeitskleid aus Seide fühlte sich kühl auf der Haut an.

„Hast du Schmetterlinge im Bauch, Schatz?“, fragte ihr Vater.

Eher Übelkeit. Aber Daddy wirkte so besorgt … sicher hatte Mom recht. Spencer würde ein ruhigeres Leben führen, wenn das Baby erst einmal da war. Sie lächelte. „Ich bin nervös“, flüsterte sie.

Er tätschelte ihre Hand. „Das ist normal. Es geht los, Schatz.“

Zusammen traten sie vor und schritten im Takt der Musik langsam durch den Mittelgang zu Spencer, der vor dem Altar wartete. Sallys Kleid raschelte, und ihr Herz pochte heftig. Sie hielt den Brautstrauß fest umklammert. Ein Wunder, dass sie ihn nicht zerdrückte.

Spencer sah in seinem Smoking wundervoll aus. Wen interessierte es, dass das Kleidungsstück nur geliehen war? Immer wieder hatte Sally ihm versichert, dass es egal war … bloß ihm war es nicht egal. Er war scharf auf Besitz, auf die äußeren Zeichen des Erfolgs. Sie verstand, warum er dieser fixen Idee folgte. Sein Leben lang hatte er seine Mutter jammern hören, dass sie so wenig Geld hatten, und wie viel besser es ihnen ginge, wenn sein Vater die Farm schon vor Jahren verkauft hätte. So war er in dem Glauben aufgewachsen, Glück sei von Dingen abhängig und nicht von Menschen.

Ich werde ihm zeigen, dass es nicht so ist, schwor sie sich, als ihr Vater sie ihrem Bräutigam gab und zurücktrat. Sie würde ihm eine gute Frau sein und dafür sorgen, dass er diesen Tag niemals bereute.

Ihr Herz machte einen Satz, als Spencer ihre Hand ergriff, wie immer, wenn er sie berührte. Er liebte sie nicht. Jedenfalls nicht so tief, wie sie ihn liebte. Aber sie würde geduldig sein. Sie würde ihn lehren, sie zu lieben.

Sie vergaß ihre Übelkeit und lauschte strahlend den Worten des Priesters. Ihr attraktiver Bräutigam stand groß und aufrecht neben ihr.

Spencer sah Sally an. Wie albern sie lächelt, dachte er. Glaubt, ich sei ihr in die Falle gegangen. Die blöde Kuh war heulend zu ihrem Vater gerannt, als sie herausfand, dass sie schwanger war, und der wiederum war zu seinem alten Herrn gegangen … Kalter Schweiß lief Spencer den Rücken hinunter.

„Wollen Sie, Spencer Winston Ashton, diese Frau zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Frau nehmen?“, fragte der Priester. „Sie lieben und ehren …“

Frederick Ashton war der einzige Mensch auf der Welt, den Spencer fürchtete. Und egal, wie viele Lippenbekenntnisse Frederick auf die Bibel abgab, sein wahrer Gott war seine Stellung in der Gemeinde. Und er hatte klar zu verstehen gegeben, dass er nicht zulassen würde, dass Spencer einen Schatten darauf warf.

„… in guten und in schlechten Tagen …“

Okay, dachte er, Sally hat gewonnen. Aber sie wird den Sieg nicht lange genießen können. Er war zu größeren Dingen bestimmt. Er hatte es immer gewusst.

„… bis der Tod euch scheidet?“

„Ja“, sagte Spencer feierlich. Irgendwie, irgendwann würde er einen Weg finden, aus dieser trostlosen Stadt zu verschwinden, hinaus in die weite Welt, die auf ihn wartete.

1. KAPITEL
Napa Valley, Kalifornien. Vierunddreißig Jahre später.

Dixie verließ den Highway. Ihre Nervosität wuchs mit jeder Minute, die sie ihrem Ziel näher kam. Aus dem Radio dröhnte „Cowboys from Hell“ von der Metal-Band Pantera.

Am meisten habe ich das Licht vermisst, dachte sie, als sie ihren Toyota auf die schmale Landstraße lenkte. In New York waren die Jahreszeiten klar voneinander abgegrenzt. Sie hatte ihre Freude daran gehabt, wie der Winter mit einem Schlag den Herbst vertrieb. In Kalifornien war das anders. Hier gingen die Jahreszeiten sanft ineinander über. Wie bei pastellfarbenen Wasserfarben, die ineinander verliefen, nicht schwarz-weiß wie bei Kohlezeichnungen.

Aber das Licht … das Januarlicht im Valley hatte nicht die Energie, die Lebenskraft wie das Licht im Sommer, und doch tauchte es Baumstämme und Häuser, Straßen und die Erde in weiche Farben.

Sie freute sich darauf, dieses Licht zu malen. Und nur deshalb bin ich hier, rief sie sich in Erinnerung. Sie hatte einen Auftrag zu erledigen. Wenn sie dabei noch einige böse Geister vertreiben konnte, dann war es schön und gut. Diese dummen Spukgestalten verfolgten sie, seit sie nach Kalifornien zurückgekehrt war. Es war an der Zeit, sich ihnen zu stellen. Das Leben ging weiter.

Der Bogen über dem Eingang war hoch und weit, ein elegantes schmiedeeisernes Kunstwerk mit Nachbildungen der nach dem Eigentümer benannten Weinreben.

Sie war da. Dixie holte tief Luft und bog in die Auffahrt ein, die zu dem Weingut The Vines führte.

Das Haus lag direkt vor ihr. Sie hielt sich links und steuerte die Weinkellerei an. Das große zweigeschossige Gebäude mit einem Dach, das aussah wie der Hut eines chinesischen Bauern, beherbergte außerdem die Büros und die Verkaufs- und Verkostungsräume. Sie fuhr auf den Parkplatz, stellte den Motor aus und blieb einen Moment sitzen, um die Veränderungen in sich aufzunehmen … und die Dinge, die gleich geblieben waren.

Dann nahm sie ihren Hut und ihre Tasche, sah nach Hulk und öffnete die Wagentür.

Die Luft roch nach Erde und Trauben. Diese Düfte weckten alte Erinnerungen in ihr.

Keine traurigen Erinnerungen. Laute, fröhliche, manchmal ärgerliche, aber keine traurigen. Deshalb war es auch so schwierig. Sie holte tief Luft und schritt voran.

„Dixie!“ Eine schlanke junge Frau in einem cremefarbenen Anzug trat auf die Veranda. Sie eilte die Treppe hinunter. Ihre Haare waren zweifelsohne zu Beginn des Tages zu einem eleganten Knoten im Nacken gesteckt worden. Doch im Laufe des Vormittags hatten sich die ersten Strähnen selbstständig gemacht. „Du kommst spät. Hattest du viel Verkehr? Was hast du vergessen? Wo ist deine Katze?“

Lachend umarmte Dixie ihre Freundin. „Der Verkehr war schrecklich, und was ich vergessen habe, weiß ich erst, wenn ich etwas nicht finde. Hulk schläft hinten im Wagen in seiner Box. Mensch, und du siehst klasse aus!“ Dixie trat einen Schritt zurück und betrachtete Mercedes von oben bis unten. „Schlank wie eh und je – die New Yorker wären begeistert – und dann deine Haare! Ich liebe diese wuscheligen Strähnen. Dein Outfit ist allerdings etwas langweilig.“

„Nicht jeder kann sich wie eine Künstlerin kleiden.“ Mercedes schüttelte den Kopf. „Ich käme überhaupt nicht auf die Idee, so etwas wie du anzuziehen.“

„Gefällt es dir? Ich nenne es Strand-Look.“ Dixie hatte sich heute Morgen mindestens fünfmal umgezogen und sich schließlich für eine gelbe Caprihose und ein passendes Top entschieden. Dazu trug sie ein buntes Hawaiihemd statt einer Jacke. Stil der Fünfzigerjahre, obwohl die überdimensionierte Sonnenbrille und der Strohhut besser in die Sechziger passten. Aber Dixie nahm das nicht so genau.

Mercedes lachte und ging auf das Haus zu. „Dir steht dieser Retrostil. Du siehst total schick aus.“

„Für dich ist das die falsche Ära“, sagte Dixie und lief neben Mercedes her. „Mein Körper passt zu den Vierziger- oder Fünfzigerjahren. Zu dir würde die avantgardistische Mode der Zwanzigerjahre passen. Du könntest der ‚Flapper-Generation‘ angehören. Die moderne junge Frau von damals, die einen neuen Modestil entwickelt hat.“

„Ganz bestimmt nicht.“

„Doch, du trägst ein Button-Down-Hemd zu diesem Anzug, Merry. Du brauchst Beratung.“

Mercedes hielt die Hand hoch. Halb lachend, halb alarmiert. „Oh nein, kommt überhaupt nicht infrage. Du wirst mich nicht beraten. Danach steht mir im Moment nicht der Sinn.“

„Hmm.“ Dixie trat auf die Veranda und schaute sich um. Vor elf Jahren war dies ein kleineres, weniger stilvolles Gebäude gewesen. „Hier hat jemand verdammt gute Arbeit geleistet. Der Anbau ist perfekt integriert. Und jetzt möchte ich deinen Bereich sehen.“

„Wenn du den Verkaufs- und Verkostungsraum meinst, dann hier entlang. Wir planen eine Neugestaltung. Es war Jillians Idee.“

Dixie legte den Kopf zur Seite, als sie eintrat. Seltsamerweise war Mercedes angespannt. Dabei hätte sie eigentlich nervös sein müssen. „Das gefällt mir außerordentlich gut.“ Sie nahm den Hut ab und schob die Brille auf den Kopf. Interessiert blickte sie sich um.

Viel Holz, dezente Beleuchtung, eine wundervolle Aussicht … ansprechend, ja, aber dem Raum fehlte ein charakteristisches Profil. Er war weder rustikal noch modern. „Wie habt ihr euch die Neugestaltung vorgestellt?“

„Noch ist nichts entschieden, aber wir wollen uns dem Stil unserer Werbekampagne anpassen.“ Die Anspannung in Mercedes ließ nicht nach. „Die Büros sind oben. Eli ist draußen in den Weinbergen, deshalb bringe ich dich zu Cole.“ Sie steuerte auf die Tür am anderen Ende des Raumes zu.

Dixie rührte sich nicht.

„Dixie?“ Mercedes blieb in der offenen Tür stehen und blickte stirnrunzelnd über die Schulter. „Kommst du?“

„Erst sagst du mir, warum du so nervös bist.“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du bist plötzlich so höflich“, beobachtete Dixie. „Das ist immer ein schlechtes Zeichen. Was ist los? Ist Cole sauer, weil du mich engagiert hast, die Illustrationen zu machen?“ Als sie Mercedes’ schuldbewussten Gesichtsausdruck sah, rief sie aus: „Er weiß es doch, oder? Mercedes?“

„Nicht … direkt.“

Dixie schloss die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein! „Werde ich gefeuert, bevor ich überhaupt angefangen habe?“

„Das kann er nicht machen“, versicherte Mercedes ihr. „Wir haben schließlich einen Vertrag. Er und Eli haben mir die Befugnis gegeben, dich zu engagieren. Okay, sie wussten nicht, dass du es bist, aber ich habe ihnen gesagt, wo deine Arbeiten überall erschienen sind, und das hat gereicht, dass sie dich unbedingt haben wollten.“

„Ganz schön riskant“, murmelte Dixie und öffnete die Augen. „Was hast du dir dabei gedacht?“

„Dass Louret Winery dich für die neue Kampagne braucht. Du bist die Beste.“

„Dem widerspreche ich nicht“, sagte Dixie. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die ihr Licht unter den Scheffel stellten. „Aber das erklärt nicht dein Schweigen.“

„Hast du eine Ahnung, wie es ist, die beiden älteren Brüder als Chefs zu haben?“, fragte Mercedes. „Ich wollte keine Zeit mit Diskussionen mit Cole verschwenden. Komm schon, Dixie. Ich weiß, dass es eine blöde Situation ist, aber dich haut doch so schnell nichts um, oder?“

Nein, das nicht, aber sie hatte Angst. „Ich bin auf Coles Gesicht gespannt, wenn ich in sein Büro komme.“

Mercedes lachte erleichtert. „Darauf freue ich mich auch schon. Und dann tauche ich unter.“

„Na, klasse. Du kannst einem wirklich Mut machen.“

Hinter dem Verkostungsraum befanden sich ein Flur mit mehreren Türen, die zur eigentlichen Kellerei führten, und eine Treppe hinauf zu den Büros. Nicht gerade luxuriös, dachte Dixie, als sie hinter Mercedes die Stufen hinaufstieg, aber auch nicht nur funktionell. Es schien, als florierte das Weingut.

Elf Jahre waren schon eine lange Zeit. Wovor hatte sie eigentlich Angst?

Dass er sie hasste.

Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Cole war ein temperamentvoller Mann. Entweder heiß oder kalt, lauwarm gab es bei ihm nicht … obwohl die meisten Menschen das nicht erkannten. Sie wurden von seinem bestechenden Äußeren getäuscht.

Cole ist wirklich ein verdammt attraktiver Mann, dachte sie.

Zumindest war er es damals gewesen. Vielleicht war er inzwischen dick geworden. Mercedes hatte nichts gesagt, aber Dixie hatte sie auch nicht gerade ermuntert, über ihren Bruder zu sprechen. „He, Merry“, sagte sie, als sie die oberste Stufe erreichten. „Hat dein Bruder zugenommen?“

Mercedes sah sie verwirrt an. „Eigentlich nicht. Warum?“

„Ach, schon gut.“ Wie auch immer die Sache ausging, eines würde sie trösten: Cole hätte sie nicht vergessen. Sie griff in ihre Tasche. „Sobald du dich aus dem Staub gemacht hast, kannst du Hulk aus dem Wagen holen und in mein Zimmer bringen.“

Mercedes nahm die Schlüssel. Sie lächelte und umarmte Dixie impulsiv. „Ich freue mich, dass du wieder nach Kalifornien gezogen bist. Zwar ist der Anlass nicht schön, aber ich bin glücklich, dass du wieder in der Nähe bist.“

„Ich auch. So, und jetzt auf in die Höhle des Löwen.“

„Er wird dich schon nicht fressen.“ Mercedes öffnete die Tür. „Cole, unsere Künstlerin ist da. Da Shannon krank ist, muss ich sofort zurück in den Verkaufsraum. Ich dachte, du könntest sie herumführen.“

„Gern“, sagte er mit seiner sanften Baritonstimme. „Sobald ich …“ Er verstummte, als Dixie hinter Mercedes hervortrat.

Er hat sich nicht verändert, war ihr erster Gedanke. Nein – falsch.

Cole war immer noch schlank. Seine braunen Haare waren kurz geschnitten, um die Locken zu bändigen. Er hatte anliegende kleine Ohren, eine große Nase und markante Augenbrauen. Doch das Gesicht, das vor elf Jahren fast zu attraktiv gewesen war, hatte kleine Fältchen bekommen. Der erste Lack war ab.

Und die Art, wie er mit offenem Mund dastand. Das war völlig neu. Es gefiel ihr.

Dixie lächelte und bemerkte kaum, dass sich die Tür hinter Mercedes schloss. „Hallo, Cole.“

Cole setzte ein professionelles Lächeln auf. „Willkommen auf The Vines. Wie ich schon sagte, führe ich dich gern herum … sobald ich meine kleine Schwester umgebracht habe.“

Dixie lachte auf. „Und ich habe schon gedacht, du würdest kalt und geschäftsmäßig darüber hinweggehen.“

„Nein, ich weiß doch, was du von geschäftsmäßigem Benehmen hältst. Ich werde versuchen, es zu vermeiden.“ Er betrachtete sie abschätzend von oben bis unten, fast schon beleidigend. „Es lag schon immer in deiner Natur, zu spät zu kommen, aber elf Jahre sind ein bisschen übertrieben. Selbst für dich.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du wirst mich nicht durcheinanderbringen.“

„Ich kann es zumindest versuchen.“

Zeit, das Thema zu ändern, entschied sie und blickte sich im Büro um, das penibel aufgeräumt war, bis auf den großen dunklen Schreibtisch. Ein gefleckter Hundekopf lugte um die Ecke dieses Schreibtisches und sah Dixie aus braunen Augen hoffnungsvoll an. „Oh!“ Sie bückte sich lächelnd. „Wer ist das?“

„Tilly. Sie lässt sich nicht von dir streicheln.“

„Nein?“ Sie streckte die Hand aus, damit der Hund daran schnüffeln konnte – und das Tier verzog sich wieder hinter dem Schreibtisch. „Sie ist ängstlich, oder?“

„Ja. Außerdem neurotisch und nicht besonders helle“, sagte er und kraulte das Tier, das Dixie nicht mehr sehen konnte. „Tilly hat Angst vor Stürmen, anderen Hunden, Vögeln, unbekannten Menschen, lauten Stimmen und so weiter.“

Dixie ging um den Schreibtisch herum, damit sie den Hund sehen konnte. „Ist sie ein Dalmatiner-Mischling?“

„Ein bisschen Dalmatiner, ein bisschen Windhund, meint der Tierarzt, und vielleicht hat sie noch Straßenköterblut. Ich habe sie vor einem Jahr am Rand des Highways gefunden.“

„Wie hast du es geschafft, sie mitzunehmen, wenn sie vor jedem Angst hat?“

Amüsiert lächelnd blickte er auf Tilly hinunter. „Sie schien auf mich gewartet zu haben. Ich habe angehalten, die Tür geöffnet, und sie ist in den Wagen gesprungen.“

Dixie schüttelte den Kopf. „Sie ist tatsächlich weiblich.“

„Aber eigentlich nicht mein Typ.“ Sein schiefes Lächeln hatte sich nicht geändert – der eine Mundwinkel heruntergezogen, der andere nach oben, als wollte Cole sich nicht festlegen. „Okay, Tilly, das reicht. Platz.“ Erstaunlicherweise legte der Hund sich hin. „Willst du dich nicht setzen?“

Dixie setzte sich auf den Stuhl vor dem unordentlichen Schreibtisch.

So weit, so gut. Das Ziehen in der Magengegend hängt mit der Vergangenheit zusammen, redete sie sich ein, eine Reaktion auf unvergessene Leidenschaft. Es hatte nichts mit dem Mann zu tun, dem sie jetzt gegenübersaß. „Du hast auf Louret Wines wahre Wunder vollbracht.“

„Für die Wunder ist Eli zuständig. Mein Ressort sind die Finanzen. Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen? Du siehst blendend aus.“

„In meinem Leben gab es die üblichen Höhen und Tiefen. Und bei dir?“

„Viel Arbeit. Du hast dir einen guten Namen gemacht. Gratuliere.“

Sie lachte. „Ehrlich gesagt hatte ich mir das Wiedersehen mit dir ganz anders vorgestellt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mir dieses Treffen ausgemalt habe! Und jetzt tauschen wir nach ein paar schnellen Spitzen höfliche Komplimente aus.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Du bist enttäuscht.“

„Nein. Ja, vielleicht ein bisschen.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich möchte von dir nicht so kühl behandelt werden, wie du normalerweise die Menschen abfertigst, die du nicht magst. Du kannst kälter sein als ein eisiger Nordwind.“

Etwas blitzte in seinen Augen auf, doch sein Lächeln war ungezwungen. „Inzwischen habe ich mich zu einem warmherzigen, liebenswerten Mann entwickelt. Ich bin gereift.“

Sie musste lächeln. „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.“

„Warum nicht? Du wirst ja einige Tage hier sein.“

„Ja, und meine Nase in alles stecken. Das ist meine Art zu arbeiten.“

„Hmm.“ Er lehnte sich zurück. „Du bist mit Maxwell und Rockwell verglichen worden – zwar ein anderer Stil, aber genauso anerkannt. Ich frage mich, wie wir uns eine so bedeutende Künstlerin leisten können.“

Er hatte ihre Karriere verfolgt. Damit hatte Dixie nicht gerechnet. „Hast du den Vertrag nicht gelesen?“, fragte sie erstaunt.

„Aus irgendeinem Grund wollte Mercedes alles selbst machen“, erwiderte er trocken.

„Nun, ihr kauft die Reproduktionsrechte für meine Bilder, aber nicht die Bilder selbst. Sie würden euch wesentlich mehr kosten.“ Sie hatte vor, Mercedes eins aus Freundschaft zu schenken, aber nicht zu verkaufen.

„Du machst es also für Mercedes nicht umsonst?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nein.“

Schließlich stand er auf. „Soll ich dich jetzt herumführen?“

„Gern.“

Cole stieg hinter Dixie die Treppe hinab. Sein Blick fiel von oben auf ihren Kopf. Ihre Haare hatten ihn schon immer fasziniert. Schmutziges Blond, hatte sie es genannt. Oder straßenköterblond. Sandfarben, fand er. In vielen verschiedenen Schattierungen fiel es fein und glatt hinunter, wie Sand, der aus einer geöffneten Hand rieselte.

„Mercedes hat dir sicherlich schon einen allgemeinen Überblick über das gegeben, was wir suchen“, sagte er, als sie den kleinen Flur am Ende der Treppe erreichten. „Wir planen eine Serie von kunstvoll gestalteten Anzeigen in einigen gehobenen Magazinen, keine Hightech-Anzeigen oder Massenproduktion. Sie sollen das zeigen, was die Qualität unseres Weines ausmacht: traditionelle, handwerkliche Herstellung.

„Ja, das hat sie mir gesagt. Sie hat auch angedeutet, dass du es ihr bei einigen Aspekten des Konzepts nicht leicht gemacht hast.“

„Aber du siehst ja, wer gewonnen hat. Du bist hier, obwohl wir Winter haben – nicht gerade die beste Zeit für Bilder vom Weingut.“

„Aber ich male nicht das Weingut, sondern die Menschen.“

„Das hat sie erwähnt, aber ich weiß nicht, wie wir mit einem Bild von Eli, der die Trauben liebkost, Wein verkaufen können.“

„Mercedes hat außerdem gesagt, dass du ihr nicht zuhörst.“ Dixie schüttelte den Kopf. Ihre Haare schwangen bei der Bewegung leicht hin und her. „Es gibt Tausende von guten Weinen. Eurer ist möglicherweise sogar der Beste, aber wie zeigst du das in einem Bild?“

„Wein, Trauben, die Reben selbst – das alles sind starke Bilder. Ein guter Künstler könnte sie unvergesslich machen.“

Sie hob die Augenbrauen. „Ich könnte dir ein Bild von Trauben malen, das einem Abstinenzler die Tränen in die Augen treibt, weil er das verpasst. Aber fast jeder Mensch hat schon wunderschöne Bilder von Trauben gesehen. Ein weiteres, egal, wie gut es gemacht ist, würde nicht unbedingt zeigen, was an Louret so einzigartig ist. Die Anzeigen sollten nicht für Wein begeistern, sondern für das Weingut Louret.“

„Ich kenne mich im Marketing aus“, sagte er trocken. „Aber warum Bilder von Menschen?“ Er hatte Mercedes’ Gründe gehört – und sie waren gut, ansonsten wäre er auf die Idee nicht eingegangen. Jetzt wollte er Dixies Version hören.

„Bei einem kleinen Weingut geht es um die Menschen. Du hast dich mit einem Pinot Noir und Merlot etabliert. Dein Cabernet Sauvignon gewinnt regelmäßig Preise. Diese Rotweine entstehen aus deinen Trauben, sie wachsen auf deinem Boden, im Unterschied zu dem neuen Chardonnay. Die Leute sollen erkennen, dass sie nicht nur eine außergewöhnliche Traube erhalten, wenn sie eine Flasche Louret-Wein kaufen. Sie bekommen Elis Nase und ein Schlückchen vom Erbe deiner Mutter.“

Er hob anerkennend die Augenbrauen. „Du hast gute Vorarbeit geleistet.“

„Ja, ich verbringe viel Zeit mit Nachforschungen, bevor ich mit der eigentlichen Arbeit beginne. Ich male schnell, aber zuvor lasse ich mir Zeit bei der Recherche.“

„Das klingt alles sehr kommerziell“, stellte er fest. „Was ist aus der Künstlerin Dixie geworden?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Der Kunstmarkt ist sehr begrenzt. Wenn du nicht dem angesagten Strom folgst, dann leistest du keine ‚bedeutsame Arbeit‘ – was im Klartext heißt, Teil des Dialogs zwischen Künstlern, anderen Künstlern und Kunstkritikern zu sein.“

„Du hast dieses avantgardistische Zeug gemocht.“

„Tue ich immer noch. Aber ich will nicht selbst in dem Strom mitschwimmen. Ich habe mich der darstellenden Kunst verschrieben – was nicht ganz so verwerflich ist wie die kommerzielle Kunst. Die ich natürlich auch brauche.“ Sie lachte. „Ein Ausbilder hat mir einmal gesagt, dass ich die Seele einer Illustratorin habe. Er meinte es nicht als Kompliment.“

„Einigen Menschen sollte man das Lehren verbieten.“

„Nein, er hatte recht. Sicher, ich finde, dass auch Rembrandt ein hervorragender Illustrator war.“ Sie grinste. „Falsche Bescheidenheit ist mir noch nie vorgeworfen worden.“

Nein, Bescheidenheit ist nicht deine Tugend, dachte er amüsiert. Schade, dass er gerade diesen Wesenszug so attraktiv fand. „Aber besteht nicht die Gefahr, dass du deine Kreativität dem kommerziellen Erfolg opferst?“

„Ich bin in der glücklichen Lage, mir meine Jobs mittlerweile aussuchen zu können. So kann ich künstlerisch tätig sein und muss keinen Auftrag annehmen, der mich nicht reizt.“

Und doch hatte sie diesen Job angenommen … und für weniger Geld als gewöhnlich, so vermutete er. Einer Freundin zum Gefallen? „Reizt dich das Thema Wein?“

Sie sah ihn nachdenklich an. „Machst du jetzt den Rundgang mit mir oder nicht?“

„Auf jeden Fall.“ Er öffnete die nächstgelegene Tür. „Dies ist der Abfüllraum. Randy kümmert sich hier um alles.“

Dixie hatte sich nicht sehr verändert. Sie hatte immer noch einen Körper, der einen Mann verrückt machen konnte. Und ihr Lächeln zeigte, dass sie es wusste. Nach wie vor hatte sie diese magische Wirkung auf Menschen, Männer und Frauen zugleich. Die nächste Stunde beobachtete Cole, wie sie jeden, den sie kennenlernte, in ihren Bann zog.

Randy erlag ihrem Charme sofort, aber er war jung und liebte es zu flirten. Bei Russ, dem Vorarbeiter auf dem Weingut, war es auch kein Wunder – er war zwar älter, aber immerhin ein Mann. Eine echte Herausforderung bot Mrs. McKillup. Doch selbst die verschrobene alte Buchhalterin war gegen Dixies Ausstrahlung nicht immun und lächelte doch tatsächlich. Normalerweise tat sie das nur, wenn sie so etwas Wichtiges wie ein neues Tabellenkalkulationsprogramm bekam.

Es machte Cole nichts aus. Das redete er sich jedenfalls ein, als er beobachtete, wie Dixie Russ um den kleinen Finger wickelte. Er war nicht eifersüchtig. Überhaupt nicht.

Mit jeder weiteren Vorstellung wurde ihm leichter ums Herz. Inzwischen war er wirklich über sie hinweg. Er konnte im Hintergrund stehen und beobachten, wie sie flirtete, er konnte ihren Körper bewundern und ihr angenehmes Lachen genießen, ohne dass ihm alte Erinnerungen hochkamen.

Vielleicht würde er seine Schwester doch nicht umbringen.

„Es ist faszinierend zu beobachten, wie du die Menschen umgarnst“, sagte er, als sie weitergingen.

„Oh, ich habe vor langer Zeit herausgefunden, dass das Leben einfacher ist, wenn man die Menschen mag. Man verschwendet nicht so viel wertvolle Energie. Außerdem ist es interessanter.“

Das, so erkannte er, war die Ursache für ihren Charme. Dixie gab den Menschen das Gefühl, sie zu mögen. Gerade das war zwischen ihnen vielleicht falsch gelaufen – es hatte zu viele Dinge gegeben, die sie an ihm nicht wirklich gemocht hatte.

„Bei manchen Menschen ist es nicht einfach, sie zu mögen.“

„Stimmt. Und bei manchen lohnt sich die Anstrengung auch gar nicht, aber das weiß man erst, wenn man es versucht hat.“ Sie öffnete die Tür zum Verkaufsraum. „Ich hole jetzt besser die restlichen Sachen aus meinem Wagen. Allerdings weiß ich nicht, wohin damit.“

„Meine Mutter hat dich in dem ehemaligen Kutscherhaus untergebracht. Du erinnerst dich noch sicher daran.“

Dixie blieb in der Tür stehen und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Sie war blass geworden. „Ja“, sagte sie nach einem Moment. „Ja, das tue ich.“

Das Kutscherhaus lag etwas entfernt vom Haupthaus – nicht weit, aber weit genug, um Privatsphäre zu bieten. In jenem Sommer vor vielen Jahren hatte Cole noch in dem Haupthaus gewohnt; Dixie war zu ihrer Mutter gezogen, während sie einen Job suchte. Eines Tages hatte sie Mercedes besucht.

In der Nacht waren Cole und sie ein Paar geworden. Sie trafen sich oft im Kutscherhaus. Liebten sich dort.

Sie schüttelte leicht den Kopf und verzog die Lippen zu einem Lächeln, das aber ihre Augen nicht erreichte. Er konnte ihre Gefühle nicht entschlüsseln. „Hilfst du mir beim Ausladen, oder musst du weiterarbeiten? Aber ich warne dich – ich reise nie mit leichtem Gepäck.“

„Kein Problem. Ich liebe es, für Frauen meine Muskeln spielen zu lassen.“

Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. „Hast du ein Tanktop? Muskulöse Männer in einem Tanktop finde ich total sexy.“

Ihm wurde heiß. Kein Wunder. Sie liebte es immer noch, Männer zu provozieren. „Pass auf, Dixie. Du spielst mit dem Feuer“, sagte er leise.

Sie lachte, und er beließ es für den Moment dabei. Später aber … Dixie war keine Frau für eine längere Liebesbeziehung. Er wusste es, und er wusste auch, warum. Aber ein kurzes Abenteuer …

„Auf zum Muskeltraining“, sagte er leichthin und überließ es ihr, zu entscheiden, welche Art von Muskeltraining er im Sinn hatte.

2. KAPITEL

„Du fährst einen Geländewagen?“

Dixie ignorierte Coles amüsierten Gesichtsausdruck. Sie öffnete die Fahrertür. „Willst du nun mit mir fahren, oder möchtest du lieber zu Fuß zum Kutscherhaus gehen?“

Er kletterte in den Wagen und sah sich um. „Ich hätte mir bei dir einen Ferrari vorstellen können. Oder einen Sprit sparenden Kleinwagen mit einem Sticker darauf ‚Heute schon einen Baum umarmt?‘. Aber ein Geländewagen?“ Er schüttelte grinsend den Kopf. „Der passt eher zu den Müttern von kleinen Fußballern.“

„Was hast du gegen Fußballermütter?“ Sie gab etwas zu viel Gas. „Ich arbeite viel vor Ort. Deshalb brauchte ich einen Wagen, in dem ich meine ganzen Utensilien verstauen kann. Und natürlich auch Hulk. Außerdem ist dies der sparsamste Geländewagen, den es auf dem Markt gibt.“ Warum verteidigte sie sich überhaupt? „Was für ein Auto fährst du? Einen nagelneuen BMW oder Mercedes?“

„Einen fünf Jahre alten Jeep Grand Cherokee, acht Zylinder, Standardausstattung“, antwortete er umgehend.

„Einen Geländewagen.“

„Ja.“

Sie sah ihn an – und beide brachen in Gelächter aus. „Waren wir früher wirklich so oberflächlich?“, fragte sie. „Wenn ich an die ganzen Diskussionen über Autos denke. Als seien sie wichtig.“ Sie schüttelte den Kopf bei der Erinnerung daran.

„Ich war nicht oberflächlich. Ich war einfach dumm.“

Dumm nicht, dachte sie. Besessen vielleicht. Ganz sicher ehrgeizig. Fest entschlossen, es besser zu machen als sein Vater, der ihn verlassen hatte, und zu beweisen, dass er und seine Familie Spencer Ashton nicht brauchten. Dixie hatte Verständnis dafür gehabt. Sie konnte nur nicht damit leben.

Das Kutscherhaus lag nicht weit entfernt vom Haupthaus in östlicher Richtung. Doch um mit dem Wagen dorthin zu gelangen, musste sie einen Umweg durch die Weinberge und einen Olivenhain fahren. Selbst im Januar sahen die Bäume malerisch aus mit ihren knorrigen Ästen und graugrünen Blättern. Die Salbei- und Süßholzpflanzen darunter waren grün.

Im Sommer ist der Hain noch schöner, erinnerte Dixie sich. Umgeben von vielen Reihen üppiger Weinreben. Aber vielleicht war es ebenso gut, dass sie im Januar hier war.

„Warum fährst du einen Geländewagen?“, fragte sie, als sie vor dem kleine Stuckgebäude hielten. „Du musst doch nicht so oft größere Dinge befördern.“

„Nicht mehr, nein. Doch eine Zeit lang musste ich es. Ich habe vor ein paar Jahren eine kleine Hütte gekauft und daran gearbeitet.“

„Ein renovierungsbedürftiges Haus?“, fragte sie überrascht. Der Cole, den sie kannte, hatte immer nur das Neueste und Beste gewollt.

„Das ist noch reichlich untertrieben.“ Er öffnete die Tür.

Sie stieg aus. „Wie würdest du es denn ausdrücken?“

„Jetzt ist das Haus recht hübsch geworden. Als ich es gekauft habe, war es unbewohnbar. Ich wollte das Land und die Aussicht, und ursprünglich hatte ich vor, die Hütte abzureißen und ein tolles neues Haus zu bauen. Irgendwann wurde ich aber süchtig nach Elektrowerkzeug. Die Hütte bot eine gute Entschuldigung dafür. Muss das wirklich alles ins Haus?“ Er deutete auf das viele Gepäck im Kofferraum.

Sie lachte. „Ich habe dich gewarnt.“

„Das hast du.“

Dixie nahm den kleineren Koffer und die Tasche mit den Farben.

Cole griff nach dem zweiten Koffer und der riesigen Rolle unbehandelter Leinwand. Damit war der Kofferraum aber noch längst nicht leer.

Die Tür zum Kutscherhaus war unverschlossen. Dixie stieß sie auf und setzte einen Fuß ins Haus.

Nichts hatte sich verändert. Angefangen bei dem Pinienholz bis hin zu den weißen Gardinen und den einfachen Möbeln, alles war wie vor elf Jahren.

Cole stieß sie an. „Geh weiter. Das ist verdammt schwer. Bist du sicher, dass du da nicht eine Leiche eingerollt hast?“

„Ganz sicher. Das Blut würde die Leinwand ruinieren.“

„Dann müssen es deine Hanteln sein. Geh weiter, Dixie.“

Sie bewegte sich vorwärts und blieb neben dem abgenutzten Ledersofa stehen. Vor elf Jahren hatten sie sich auf dieser Couch geliebt. „Das ist dieselbe Navajo-Decke auf der Couch wie damals, oder?“ Ein bisschen verschlissen, aber die Farben waren noch immer wunderschön. Verträumt fuhr sie mit der Hand darüber.

„Du hattest sie dir umgewickelt. Ich kann mich genau an den Anblick erinnern.“

Sie ließ die Hand auf der Decke liegen und sah Cole an – die Vergangenheit verschmolz mit der Gegenwart und brachte Dixie völlig durcheinander. Ihr Verstand setzte aus, ihr Herz pochte laut.

In diesem Moment wollte sie ihn haben. Unbedingt.

Elf struppige Kilo rissen sie abrupt aus ihren Fantasien.

Cole machte große Augen. „Was zum Teufel …“

„Darf ich dir Hulk vorstellen?“ Danke, Hulk, dachte sie und bückte sich, um ihn aufzuheben. Er legte sich über ihre Schulter, während sie über das graue Fell strich. Hulk liebte Aufmerksamkeit.

„Täusche ich mich, oder ist das ein Kater?“

„Soll es sein.“

„Ich glaube, ich sollte meiner Mutter Bescheid sagen.“

„Sie reagiert doch nicht allergisch auf Katzenhaare, oder? Mercedes hat gesagt, dass ich Hulk ruhig mitbringen kann. Ich nehme ihn überall mit hin.“

„Das ist schon in Ordnung. Ich glaube nur nicht, dass sie mit so einem riesigen Tier gerechnet hat.“ Er betrachtete den Kater. „Gott sei Dank gibt es keine kleinen Kinder in der Nachbarschaft.“

„Sehr witzig. Hulk ist zwar groß, aber ganz lieb. Er liebt jeden, auch Kinder.“

„Als Nachtisch?“

„Was hast du gegen meinen Kater?“

„Tilly.“

„Das sollte kein Problem sein. Wenn es sein muss, klettert er auf einen Baum, aber so schnell lässt er sich nicht einschüchtern.“

„Aber Tilly. Sie ist sehr ängstlich.“

Dixie verzog das Gesicht. „Ich werde versuchen, ihn im Haus zu behalten.“ Sie setzte Hulk auf die Couch. Er warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und sprang hinunter. Die Katzenehre verlangte es, dass er nicht blieb, wo er hingesetzt wurde. Auch wenn er es noch so gern wollte.

Sie mussten noch dreimal gehen, bis der Wagen endlich ausgeräumt war. Dixie schaffte es, nicht ihren Erinnerungen nachzuhängen, doch als sie fertig waren, hoffte sie inständig, dass Cole sie jetzt allein lassen würde. Ihre Gefühle waren total durcheinander. Sie musste erst wieder zur Ruhe kommen.

Cole dagegen wollte offensichtlich bleiben und sich mit ihr unterhalten, was wieder typisch für ihre Gegensätzlichkeit war. „Merkwürdiges Kissen“, sagte er und deutete auf das Zafu, das sie auf den Boden gelegt hatte. „Da kommen mir die tollsten Ideen.“

„Das brauche ich für meine Sitzungen.“ Als er sie fragend ansah, fügte sie hinzu. „Meditation, Cole. Hast du schon einmal von Meditation gehört? Das ist ein Meditationskissen.“

„Ach so.“

„Läufst du noch regelmäßig?“

„Zwei- oder dreimal die Woche.“

„Siehst du, das ist deine Methode, dich psychisch zu entspannen. Ich meditiere.“

Er lachte. „Nein, nein …“, sagte er und hielt die Hand hoch. „Jetzt schnauz mich nicht gleich an. Ich musste nur lachen, weil ich mir eigentlich hätte denken können, dass du lieber sitzt als rennst.“

Sie musste grinsen. „Ich sehe einfach keinen Sinn darin zu schwitzen.“ Obwohl sich das Ergebnis seiner körperlichen Plackerei sehen lassen konnte. Cole war mit fünfunddreißig noch genauso schlank wie mit vierundzwanzig.

Zumindest hatte es den Anschein. Ob er auch ohne Oberhemd und Anzughose … Denk nicht daran, ermahnte sie sich.

Er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bietest du mir etwas zu trinken an, nachdem ich mich für dich so angestrengt habe?“

„Du hast kein Tanktop angezogen“, erwiderte sie und stellte ihren Laptop auf den Tisch. „Außerdem habe ich noch nichts eingekauft.“

„Meine Mutter hat sicherlich dafür gesorgt, dass der Kühlschrank und die Speisekammer mit dem Notwendigsten bestückt sind.“ Er neigte den Kopf. „Nervös, Dixie?“

„Natürlich nicht.“ Gott würde ihr diese Lüge verzeihen. „Aber ich muss auspacken. Musst du gar nicht bei der Arbeit sein?“

„Ich leiste mir neuerdings schon einmal ein paar freie Minuten. Also, warum bist du hier?“

Sie blinzelte. „Hast du Gedächtnisprobleme?“

„Du kannst dir deine Aufträge aussuchen. Du hast Louret gewählt. Ich möchte wissen, warum?“

„Erstens bezahlst du mich gut. Zweitens hat Mercedes mich gebeten, den Auftrag anzunehmen. Und drittens … es war zwar eine ganz angenehme Angewohnheit, deine Existenz einfach zu ignorieren, aber jetzt, wo ich wieder in Kalifornien lebe, ist das meiner Freundschaft mit deiner Schwester im Weg.“

„Dann bist du also wegen mir hier.“ Er ging auf sie zu.

„Jetzt bist du wieder auf dem Egotrip.“

„Dann nennen wir es eben unerledigtes Geschäft.“

Er stand zu nah, doch auf keinen Fall wollte sie zurückweichen. „Teilweise.“

„Gut.“ Er beugte sich noch näher vor und küsste sie.

Im ersten Moment war Dixie so geschockt, dass sie stillhielt. Lange genug, um sich von ihrer Begierde überrollen zu lassen. In nächsten Moment aber reagierte sie instinktiv.

Sie schubste ihn weg. Kraftvoll.

Er stolperte einen Schritt zurück, fiel über Hulk und landete auf dem Po.

Dixie brach in Lachen aus.

Zu ihrer Überraschung lachte er auch. „Eigentlich sollte der Kuss dich umhauen. Nicht mich. Dein verteufelter Kater …“

„Hoffentlich hast du ihm nicht wehgetan.“ Sie sah zu Hulk, der auf der Couch saß und sein zerzaustes Fell leckte. Offensichtlich war ihm nichts passiert.

„Das ist ja toll. Du machst dir Gedanken um deine Katze und nicht um mich.“

„Du bist größer.“

„Aber nicht viel.“ Er grinste jedoch, als er sich aufrappelte.

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Du hast dich verändert.“

„Ich bin keine vierundzwanzig mehr.“ Er lächelte immer noch, doch seine Augen sandten eine andere Botschaft aus. Eine, die ihr mehr zusetzte als der flüchtige Kuss. „Und damit du es weißt … was wir vor elf Jahren miteinander hatten, ist eine alte Geschichte. Das Buch ist geschlossen. Aber das hält uns nicht davon ab, ein neues aufzuschlagen.“

„Danke, kein Interesse.“ Ihr Körper vielleicht, aber Ihr Körper hatte nichts zu sagen.

„Aber ich. Hast du eigentlich immer noch das Tattoo?“

„Geh jetzt, Cole.“

„Ich muss für ein paar Tage verreisen, aber wenn ich zurück bin, werde ich herausfinden, ob du es noch hast.“ Damit drehte er sich um und verließ das Haus.

Die unterschiedlichsten Emotionen tobten in Dixie. Sie biss sich auf die Lippe. Eine Sekunde lang hatte sie es wieder geschmeckt, Salz und Kaffee und die geheimnisvolle Mischung, die Cole pur war.

Der erste Kuss, nachdem sie ihn vor elf Jahren verlassen hatte.

Sie sollte sich in Acht nehmen.

Der innere Tumult beruhigte sich langsam, und eine friedliche Stille ohne Nostalgie breitete sich in ihr aus. Sie hatte den Job angenommen, um Mercedes einen Gefallen zu tun, und weil sie mit einigen Geistern fertig werden musste. Aber Neugier hatte auch eine große Rolle gespielt.

Es schien, als würden die nächsten zwei Wochen alles andere als langweilig.

Am frühen Morgen des folgenden Montags schlenderte Dixie den kurvigen Weg vor dem Anwesen entlang auf der Suche nach ihrem grauen Ungeheuer. Hulk war ausgerissen. Seit ihrer Ankunft war ihm dies mindestens einmal pro Tag gelungen.

Im Grunde war es egal. Cole war auf Geschäftsreise und hatte Tilly mitgenommen. Doch ein Unwetter braute sich zusammen, und es war kalt.

„Hulk!“, rief sie. „Du wirst doch nicht gern nass. Komm ins Haus.“ Er war nirgendwo zu sehen.

Eigentlich konnte es ihr nur recht sein, dass Cole abgereist war. Außerdem täte sie gut daran, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, wo er die Prioritäten setzte. Doch vieles, was vielleicht gut für sie war, war nicht unbedingt das, was sie wollte. Und verdammt, wenn ein Mann verkündete, dass er die Absicht hatte, sich das Tattoo einer Frau anzusehen, dann sollte er wenigstens lange genug bleiben, bis sie ihm eine Abfuhr erteilen konnte.

Komisch, in wie vielen Dingen wir uns ähneln, dachte Dixie. Die meisten Menschen nahmen ihre Tiere nicht mit auf Geschäftsreise. Bei anderen Dingen wiederum waren sie wie Feuer und Wasser.

Vielleicht war Tilly auch nur bei ihm, weil es sich gar nicht um eine richtige Geschäftsreise handelte.

Nein. Sie schüttelte den Kopf. Cole hatte Fehler – viele Fehler sogar. Aber er spielte fair. Keine Lügen, keine Tricks. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass seine Mutter für ihn log.

Dixie lächelte. Sie mochte Caroline Ashton Sheppard, auch wenn sie der Grund für Coles manchmal etwas seltsames Frauenbild war. Wäre Caroline einige Tausend Meilen weiter südöstlich geboren, wäre sie eine aufregende Südstaatenschönheit gewesen – sanftmütig, mit leiser Stimme und mit einem angeborenen Sinn für Stil und einem eisernen Willen.

Sie mochte auch Coles Stiefvater. Lucas Sheppard war einer dieser bodenständigen Männer, die Zynikern, wie sie eine war, als Mahnung dienten, dass nicht alle Männer Proleten, kleine Jungs oder Idioten waren.

Noch etwas, was Cole und ich gemeinsam haben, dachte sie. Vaterprobleme.

Sicher, seine gingen tiefer. Dixies Vater war nicht freiwillig gegangen. Er war gestorben, wogegen Coles Vater die Familie wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Cole hatte ihr nicht davon erzählt, denn er sprach nicht über persönliche Dinge. Mercedes hatte es getan. Als Cole acht Jahre alt gewesen war, hatte Spencer Ashton seine Sekretärin geheiratet und dabei Coles Mutter auch noch um den größten Teil ihres Erbes gebracht. Um seine Kinder hatte er sich nie wieder gekümmert.

Hulk war nirgendwo zu sehen. Dixie rief erneut nach ihm, erwartete jedoch keine Antwort. Irgendwann würde der Kater von selbst wieder auftauchen. Spätestens, wenn er Hunger hatte.

Sie kehrte um und lief zum Kutscherhaus zurück. Selbst im Winter war es schön, durch den Weingarten zu spazieren.

Sicher, der Winter war hier anders als in New York. Sogar im Januar konnte man draußen herumlaufen, ohne sich warm anziehen zu müssen.

Was sie zum Thema Kleidung führte. Sie besaß eine Wintergarderobe, die sie nicht …

Wer war das? Dixie blieb stehen und runzelte die Stirn. Vor dem Haus stand ein Mann. Er gehört nicht zu den Arbeitern, dachte sie, obwohl er ebenso wie sie gekleidet war. Jeans und kariertes Hemd. Aber die Angestellten hatte sie alle kennengelernt, oder?

Vielleicht nicht. An diesen hätte sie sich bestimmt erinnert – groß und kraftstrotzend. Trotzdem kam er ihr irgendwie bekannt vor … fasziniert näherte sie sich ihm.

„Hallo“, sagte sie. „Suchen Sie jemanden?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich bin nur neugierig.“

„Dieses Weingut liebt neugierige Menschen“, versicherte sie ihm, „aber nicht vor zehn Uhr. Erst dann wird der Verkostungsraum geöffnet. Dies hier ist Privatgelände.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Sie kommen mir bekannt vor.“

„Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind“, entgegnete er höflich. „Sind Sie eine der Eigentümerinnen? Eine, hm, Ashton?“

„Nein, nur eine Freundin und vorübergehende Mitarbeiterin. Es ist die Kopfform“, sagte sie, erfreut über ihre Feststellung. „Und die Ohren. Wenn ich Ihren Schädel in eine Reihe mit Coles und Elis stellen könnte, würde ich wetten, dass der Hinterkopf und das Jochbein identisch sind.“

Er wirkte leicht alarmiert. „Ich hoffe, Sie haben nicht vor, das auszuprobieren. Sind Sie Ärztin? Oder Anthropologin?“

Sie lachte. „Weder noch. Malerin. Sie sind nicht zufällig der seit Langem vermisste Cousin der Ashtons?“

Er schüttelte den Kopf und betrachtete sie noch einen Moment. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund, etwas Unlesbares lag in seinem Blick. „Ich gehe jetzt besser, da dies Privatgelände ist. War nett, Sie kennengelernt zu haben.“

Cole hatte vier frustrierende Tage in Sacramento verbracht. Teils war der Frust geschäftlich bedingt, größtenteils jedoch durch seine Unfähigkeit, seine Gedanken in den Griff zu bekommen.

Dixie hatte The Vines am Freitagnachmittag für das ganze Wochenende verlassen. Was natürlich ihr gutes Recht war. Doch Cole fragte sich immer wieder, mit wem sie das Wochenende verbrachte. Eine Frau wie Dixie war nur allein, wenn sie allein sein wollte.

Um zwei Uhr an diesem Morgen, allein in seinem Hotelzimmer, hatte er gegen Erinnerungen angekämpft und an seinem Verstand gezweifelt. Warum um alles in der Welt dachte er überhaupt daran, sich wieder mit ihr einzulassen?

Sicher, er fühlte sich zu ihr hingezogen. Welchem Mann ginge das nicht so, vor allem, wenn er wusste, wie leidenschaftlich sie sein konnte. Ja, er war heiß auf sie, aber er hatte sich schon einmal die Finger verbrannt. Außerdem war er eigentlich längst aus dem Alter heraus, in dem man von seinem Geschlechtstrieb regiert wurde.

Ich brauche keinen Liebeskummer oder all die Scherereien, die damit zusammenhängen, dachte er, kurz bevor er endlich einschlief.

Deshalb ärgerte es ihn, als er bei seiner Rückkehr zum Weingut merkte, dass er sich tatsächlich darauf freute, Dixie wiederzusehen. Er nahm seine Aktentasche, öffnete die Tür des Jeeps und stieg aus.

Eli wartete auf ihn. „Wie ist es gelaufen?“

„Viel Gerede, wenig Taten.“ Er öffnete die Heckklappe, und Tilly sprang hinaus, schnüffelte höflich an Elis Hand und trottete dann zum Gebüsch vor dem Verkostungsraum.

„Alle stimmen mir zu, dass wir eine bessere Koordination zwischen den verschiedenen Anbaugenossenschaften brauchen“, sagte Cole. Er öffnete seine Aktentasche und zog einen Stapel Papiere heraus. „Ganz schlimm sieht es in Sacramento aus. Niemand ist bereit, die Aufgabe zu übernehmen, eine Koordinierungsgruppe aufzubauen.“

„Ich dachte, Joe Bradley wäre scharf darauf, dafür zu sorgen.“

„Ich werde nicht zulassen, dass Joe hier wieder eine seiner eindrucksvollen Shows abzieht. Er fängt ganz groß an, verliert langsam das Interesse, und dann verläuft die Geschichte im Sande.“

Eli seufzte. „Mit anderen Worten – du hast die Aufgabe selbst übernommen.“

„Nein.“ Cole war immer noch über sich selbst erstaunt. Irgendwann war es nicht mehr lustig gewesen, alles selbst zu machen und zu beweisen, dass er es besser konnte. „Ich habe schon genug am Hals.“

„Ich weiß. Mir war nur nicht bewusst, dass du das inzwischen auch begriffen hast.“

„Hier“, sagte Cole und reichte Eli die Papiere. „Eine Kopie des Protokolls. Es stehen einige ganz interessante Dinge drin.“

Eli machte ein finsteres Gesicht. „Erzähl es mir kurz.“

Cole grinste. Er wusste, dass Eli Büroarbeit hasste. „Ich kann nicht. Wie du weißt, habe ich genug andere Dinge am Hals.“

„Haben diese Dinge zufällig mit deiner alten Freundin zu tun, die mich auf Schritt und Tritt verfolgt?“

„Dixie verfolgt dich?“ Er stellte die Frage so beiläufig, dass er fast selbst daran glaubte, dass es ihn nicht weiter interessierte.

„Egal, wohin ich gehe, sie ist mit ihrer Kamera dort. Sie sagt, sie will viele ungestellte Fotos machen, bevor sie anfängt zu malen.“ Eli zog eine Grimasse. „Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass ihr für diese neue Werbekampagne mein Gesicht benutzen wollt?“

„Es macht mehr Spaß, dich zu überraschen.“ Cole ging zur Tür.

„Mir gefällt das aber nicht.“ Eli lief neben ihm her. „Nicht, dass ich ein Problem mit Dixies Gesellschaft habe.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Wahrscheinlich hat sie heftig mit ihm geflirtet, dachte Cole. Flirten war für Dixie so natürlich wie das Atmen.

„Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein, zumal sie auch ein echter Hingucker ist. Wenn sie bloß nicht immer die Kamera dabei hätte.“ Eli blieb stehen und sah Cole an, sodass dieser auch stehen blieb. „Bist du an ihr interessiert?“

„Dixie?“

„Ja, ich glaube, so heißt die Frau, von der wir gerade sprechen. Ich weiß, dass ihr beide vor Jahren ein Verhältnis hattet, aber du machst nicht den Eindruck, als wolltest du dort wieder anfangen, wo du aufgehört hast.“

„Ich war in Sacramento“, erinnerte Cole ihn. Auch wenn er beschlossen hatte, keine Affäre mit Dixie anzufangen, bedeutete das noch lange nicht, dass er sie seinem Bruder überlassen wollte.

„Und ich war hier. Sie gefällt mir. Ich dachte nur, ich spreche erst mit dir, bevor ich mich an sie heranmache.“

„Musst du dich unbedingt für eine Frau interessieren, mit der ich schon zusammen war?“, fragte Cole aufgebracht. „Willst du wirklich eine, die ich abgelegt habe?“

Eli lachte und machte ihn damit noch wütender. „Ich wäre gern dabei, wenn Dixie hört, dass du sie als deine ‚Abgelegte‘ bezeichnest.“

„Das war keine gute Wortwahl“, gab er zu. „Aber du behältst deine Hände besser bei dir.“

„Mal sehen. Wenn du nicht …“

Tilly kam um die Ecke geschossen, dicht gefolgt von einem riesigen grauen Kater. Der Hund stoppte zitternd hinter Coles Beinen. Im nächsten Moment kam Dixie angerannt – mit rotem Gesicht und wehenden Haaren, lange nackte Beine unter abgeschnittenen Hosen.

Einige Meter entfernt blieb sie stehen. Auch Hulk, doch Cole sah nicht die Katze an.

Er war jetzt älter und klüger … aber trotzdem. Flexibilität war doch ein Zeichen von Klugheit, oder? Er konnte seine Meinung noch ändern.

3. KAPITEL

Cole grinste. „Ich glaube, ich habe dich noch nie so rennen sehen.“

„Ich habe versucht, deinen blöden Hund zu retten.“ Sie war außer Atem und zerzaust, ihre Brust hob und senkte sich unter dem knappen T-Shirt, auf dem stand: Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.

Tilly wurde ruhiger, versteckte sich aber immer noch hinter Cole. Er strich über ihren Kopf. „Deine verteufelte Katze soll doch im Haus bleiben.“

„Ich weiß. Aber sie ist einfach abgehauen.“

„Das wäre egal, wenn Coles Hund nicht so ein Jammerlappen wäre.“ Eli sah den Hund an, der sich hinter Cole verkrochen hatte. „Okay, die Katze ist groß, aber du bist immer noch fünfzig Pfund schwerer.“

Cole schüttelte den Kopf. „In Tillys Welt ist alles größer und stärker als sie.“

Dixie kam gemächlich näher. Sie bewegte sich so anmutig wie ihre Katze. „Stimmt. Ich habe sogar schon Regenwürmer gesehen, die mehr Rückgrat haben.“

„Regenwürmer sind wirbellose Tiere.“

„Du weißt, was ich meine.“

Eli blickte auf Dixies tolle Beine. „Frierst du nicht?“, fragte er besorgt. „Es ist nicht gerade das richtige Wetter für Shorts.“

„Ich bin an ein raueres Klima gewöhnt“, entgegnete Dixie. „Ich bin robust.“

„Das kann ich nur bestätigen.“ Cole nickte. „Mir gefällt dein T-Shirt“, fügte er beiläufig hinzu.

„Du liest sehr langsam.“

Kein Wunder, die Buchstaben erstreckten sich über zwei wunderschöne Brüste. Cole grinste nur.

Während sie sich unterhielten, hatte Hulk sich herangeschlichen. Ängstlich verkroch Tilly sich hinter Eli. Und Hulk schmiegte sich triumphierend an Coles Beine.

„Jetzt tu nicht so unschuldig“, sagte Cole und nahm den Kater auf den Arm. Er begann, das Tier zu streicheln. Hulk schnurrte behaglich.

Dixie lächelte. „Er mag es, hinter den Ohren gekrault zu werden.“

„Hunde krault man hinter den Ohren.“

„Sag ihm das, nicht mir.“

Eli verabschiedete sich. „Bis später, ihr zwei.“

„Was hast du vor?“, fragte Cole.

„Arbeiten. Erinnerst du dich zufällig noch, was das ist? Etwas, was einige Menschen von uns gern an einem Wochentag zu dieser Tageszeit tun.“

„Gute Idee.“ Cole sah wieder zu Dixie. „Nimm Tilly mit.“

„Vergiss es. Ich räum dir doch nicht jedes Hindernis aus dem Weg. Schön, dich mal ohne die Kamera zu sehen, Dixie“, sagte er und verschwand dann.

Dixie sah Eli nach. Sie wirkte irritiert. „Ich mag deinen Bruder.“

„Ich auch, manchmal.“ Vor allem, wenn Eli so vernünftig war zu verschwinden. „Warum beunruhigt dich das?“

Sie schnaubte verärgert. „Ich habe offensichtlich nicht aufgepasst. Sicher, er ist sehr verschlossen, mehr noch als du. Schwer zu durchschauen. Aber ich habe nicht versucht, euch beide gegeneinander auszuspielen.“

„Das hast du auch nicht getan. Du flirtest einfach gern – das gehört für dich dazu wie das Luftholen. Was übrigens sehr erotisch sein kann, wenn man zufällig gerade den Spruch auf deinem T-Shirt liest. Aber das gehört jetzt nicht zur Sache. Du spielst Männer nicht gegeneinander aus. Das wäre berechnend, und du bist alles andere als berechnend.“

„Das klingt ja fast nach einem Kompliment.“

„Hoffentlich steigt es dir nicht zu Kopf. Hier.“ Er gab ihr den Kater. „Nimm dein Monster. Tilly bricht gleich zusammen, wenn ich ihren Feind noch länger halte.“

Dixie legte sich den Kater über die Schulter und schlenderte langsam zurück zum Kutscherhaus. Cole lief neben ihr her.

„Hat Tilly mal schlechte Erfahrungen mit Katzen gemacht?“

„Keine Ahnung. Ich schätze, sie ist von dem Vorbesitzer misshandelt worden.“

Ein paar Minuten liefen sie schweigend nebeneinander her. Dixie links von Cole, Tilly rechts von ihm.

Komisch, dachte er. Damals war er nicht gern mit Dixie spazieren gegangen. Im Bett hatten sie wundervoll harmoniert, aber nicht beim Spazierengehen. Sie schlenderte gern gemütlich durch die Gegend. Er dagegen wollte so schnell wie möglich ans Ziel kommen.

Sie hatte gesagt, dass sie keinen Reiz darin sehe zu schwitzen. Er verstand nicht, warum es zwanzig Minuten dauern musste, irgendwohin zu kommen, wenn man auch in zehn Minuten dort sein konnte. Jetzt aber fand er, dass es in Ordnung war, gelegentlich den Schritt zu verlangsamen. So hatte er die Chance, ihren dezenten Duft wahrzunehmen … fein-würzig, eher herb als blumig, schwer zu bestimmen.

„Wie hat es dir in New York gefallen?“

„Super. Ich liebe die Stadt“, antwortete sie prompt. „Selbst während meiner Heimwehperiode, als ich in diesem schrecklichen kleinen Apartment saß und niemanden kannte, habe ich die Stadt geliebt. Es gibt so viel zu sehen und zu tun, und die Stadt ist voller Energie.“

„Das hat dir gefallen? Ich konnte mir nie vorstellen, dass du Teil dieses hektischen Lebens wirst.“

„Du hast mich immer für träge gehalten.“

„Nein, das stimmt nicht.“ Als sie ihn skeptisch ansah, räumte er ein: „Als Lebenskünstlerin vielleicht, aber das ist etwas anderes. Und ich war für dich ein langweiliger Geschäftsmann.“

„Langweilig niemals“, widersprach sie. „Sondern engagiert. Aber du wollest nie von hier weg. Nie eine andere Stadt kennenlernen, stimmt’s?“

„Meine Ziele, meine Familie, mein Leben – all das war hier. Und ist es immer noch. Warum hast du Kalifornien verlassen?“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, hätte Cole sie am liebsten zurückgenommen. Es hatte fast nach „warum hast du mich verlassen“ geklungen.

Er wusste, warum. Irgendwann hatte er Dixie verstanden und ihr sogar zugestimmt. Was aber nicht bedeutete, dass er ihr verziehen hatte.

Entweder hatte sie die unausgesprochene Frage nicht gehört, oder sie wollte nicht darauf eingehen. „Das war mein Wandertrieb“, sagte sie leichthin. „Weißt du, was man über New York sagt? Wenn du es dort schaffst, schaffst du es überall. Ich wollte wissen, ob ich es schaffen kann.“

„Es ist dir gelungen.“ Sie hatten das Kutscherhaus erreicht.

Cole hielt ihr die Tür auf. „Frauen und Monster zuerst.“

„Nur das Monster. Ich muss zurück an die Arbeit. Was ist?“, fragte sie. „Was ist daran so lustig?“

„Du hast es aber eilig, zurück an die Arbeit zu kommen, und ich nicht.“

„Okay, das ist wirklich komisch.“ Sie setzte Hulk auf den Boden. „Mach schnell die Tür zu“, sagte sie und trat zurück. „Die Deadline für das erste Bild rückt näher, und ich habe noch keine klare Vorstellung. Eli ist das Motiv, aber ich habe ihn noch nicht so richtig vor Augen.“

„Seit wann kümmerst du dich um Deadlines?“

„Sehr witzig.“

„Wenn du damit sagen willst, dass du jetzt immer pünktlich bist, dann muss ich deine Identität überprüfen. Oder einen Exorzisten konsultieren.“

Sie grinste. „Zumindest gibst du zu, dass es dämonisch ist, immer total pünktlich zu sein.“

Ihr Grinsen war ihm nur zu vertraut und weckte Erinnerungen, die er lieber weiter im Verborgenen gehalten hätte. „Die sind neu“, sagte er und strich mit der Fingerspitze über die kleinen Lachfältchen in ihren Augenwinkeln.

Sie wich zurück. „Du hast schon bessere Komplimente gemacht. Lass mich, Cole.“

„Keine Angst, ich werde dich nicht küssen. Jedenfalls nicht jetzt.“ Er hatte die goldenen Flecken in ihren Augen völlig vergessen. Und wie sich die Farbe von Braun in ein warmes Karamell verwandelte.

Er lachte und richtete sich auf. „Wie lange bleibst du hier, Dixie?“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Warum?“

„Ich muss meine Deadline kennen.“

„Wenn ich wieder frage, warum, und du sagst es mir, werde ich mich dann ärgern?“

„Vielleicht. Nein, wahrscheinlich.“

„Dann lassen wir die Fragen aus und kommen direkt zu den Antworten. Ich werde etwa zwei Wochen hierbleiben, und ich gehe nicht mit dir ins Bett. Und jetzt muss ich wirklich wieder arbeiten.“ Sie machte sich auf den Weg zurück zum Weingut.

Ihm fiel auf, dass sie schneller als normal ging. „Du bekommst ja gar keinen Wutanfall und wirfst auch nichts nach mir.“

„Ich werfe niemals mit etwas. Und ich bekomme auch keine Wutanfälle.“

„Hast du dein hitziges Temperament verloren? Ich erinnere mich gut an einen Teller, der in meine Richtung geflogen kam. Ich könnte schwören, du bist damals stinksauer gewesen.“

Sie kniff die Lippen zusammen – doch es sah mehr nach dem Versuch aus, nicht zu lachen, als dass sie sich über ihn ärgerte. „Sag mal, ist das die neue Art der Anmache? Oder suchst du wirklich Streit?“

„Soll ich Saltos machen? Oder vielleicht mit den Ohren wackeln?“

Sie konnte das Lachen nicht länger zurückhalten. „Liegestütze. Liegestütze sind unheimlich männlich.“

Prompt ließ er sich auf den Boden fallen und machte Liegestütze.

Sie lachte und setzte sich auf den kalten Boden, um Cole zu beobachten. „Oh, was für Muskeln. Du bist so stark.“

„Vergiss nicht …“, er machte noch einen Liegestütz, „… männlich. Stark und männlich.“ Er hörte auf, bevor er sich lächerlich machen konnte, rollte sich auf den Rücken und setzte sich dann. Vielleicht sollte er ein bisschen mehr Bauch und Arme trainieren. „Das war härter, als es aussah“, versicherte er ihr.

„Ich kann nicht glauben, dass du es wirklich getan hast – in Anzughose.“

Er war über sich selbst überrascht.

Sie zog die Beine an und schlang die Arme darum.

Er wünschte, sie würde die Beine wieder ausstrecken. Dixie hatte tolle Beine – feste Waden, schlanke Fesseln. Am liebsten hätte er sie gestreichelt.

„Hör auf, auf meine Beine zu starren.“

„Ich wollte nur sehen, ob du eine Gänsehaut hast. Bist du heute Morgen aufgestanden und hast gedacht, ich bin in Kalifornien, also muss ich Shorts tragen?“

„So ungefähr“, gestand sie widerstrebend ein. „Es ist fast warm genug für Shorts.“

Er stützte sich auf einer Hand ab. „Warum diese Ausweichtaktik, Dixie? Willst du wirklich, dass ich gehe?“

Sie zuckte mit den Schultern und wich seinem Blick aus. „Als ich diesen Job annahm, war mir nicht klar, dass ich ständig mit dir zu tun haben würde. Ich habe versucht, ganz unbefangen hierherzukommen, aber irgendwie hätte ich eher damit gerechnet, dass du mich eiskalt behandeln würdest.“

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich keine vierundzwanzig mehr bin.“

„Das ist auch verdammt befremdlich.“ Sie riss ein Grasbüschel aus und strich sich damit über das nackte Bein. „Wie der Umstand, dass viele alte Gebäude nicht mehr existieren, wenn man nach vielen Jahren nach Hause kommt, und dafür neue errichtet wurden. Man geht um die Ecke und erwartet das Fachwerkhaus der Wilsons zu sehen, aber die Familie ist schon lange weggezogen, und die neuen Eigentümer haben die Fassade verändert und die alte Eiche gefällt. Vieles ist wie früher, aber ich stolpere immer wieder über Veränderungen.“

„Du bist doch zu Besuch hier gewesen, oder?“

Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Das war bildlich gesprochen.“

„Das ist mir klar. Ich habe mich nur gefragt, ob du überhaupt in Kalifornien warst?“

„Ein- oder zweimal im Jahr war ich hier, um meine Mutter und Aunt Jody zu besuchen.“ Sie riss etwas Gras aus und ließ es durch die Finger gleiten. „Meine Mutter will wieder heiraten.“

„Tatsächlich?“

„Diesmal könnte es klappen. Mike ist ein netter Kerl.“

Cole konnte sich kaum an Helen McCord Lynchfield erinnern. Er hatte Dixies Mutter nur einmal getroffen … was eigentlich merkwürdig war, wenn er jetzt so darüber nachdachte.

Sicher, sie waren nur gut drei Monate zusammen gewesen, obwohl sie sich kannten, seit Mercedes am College war. Merry und Dixie hatten sich ein Zimmer geteilt, und Dixie war während der Ferien häufiger bei ihnen gewesen. Bei ihr zu Hause hatte es Probleme gegeben. Ihr damaliger Stiefvater war ein schrecklicher Tyrann gewesen.

Einen Monat nach Dixies Examen hatte ihre Mutter den Kerl endlich verlassen. Und wiederum einen Monat später hatte das Valley unter einer Rekordhitze gelitten. Cole und Dixie hatten ihre heiße Affäre dafür verantwortlich gemacht.

„Ich kann mir vorstellen, dass deine Mutter froh ist, dich wieder in der Nähe zu haben. Und deine Tante auch. Lebt sie noch in Los Angeles?“ In gewisser Weise stand Dixie der Schwester ihrer Mutter, einer mehrfach ausgezeichneten Journalistin, näher als ihrer eigenen Mutter. Cole konnte zwar verstehen weshalb, doch er war immer skeptisch gewesen. Jody Belleview war eine lebenslustige, unabhängige Frau mit einer ausgeprägten Abneigung gegen die Ehe.

„Aunt Jody ist nicht mehr in Los Angeles.“

Irgendetwas in Dixies Stimme ließ ihn aufhorchen. „Stimmt irgendetwas nicht, Dixie?“

„Wegen ihr bin ich zurückgekommen. Meine Mutter kann sich nicht mehr allein um sie kümmern.“

Er legte eine Hand auf ihre. „Das klingt schlimm.“

„Es ist ziemlich schlimm, ja. Sie hat Alzheimer.“

Fassungslos saß Cole da. Er hatte Dixies Tante auch nur einmal getroffen. Aber Jody Belleview war eine Frau, die Eindruck hinterließ. Er erinnerte sich an ihr Lachen und ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. „Ich kann mir gar nicht vorstellen … ist sie nicht jünger als deine Mutter? Erst fünfzig, oder so?“

„Vierundfünfzig. Ich will es immer noch nicht wahrhaben. Was allerdings nicht mehr so einfach ist, jetzt, wo ich wieder hier lebe und ihre Krankheit hautnah miterlebe.“ Sie lächelte schwach, dann stand sie auf.

Er kam ebenfalls hoch. „Dixie …“

Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich kann nicht darüber sprechen.“

Hastig entfernte sie sich.

Cole blieb einfach stehen und ließ sie gehen.

Sie konnte nicht darüber sprechen? Das war völlig untypisch für Dixie. Vielleicht konnte sie nur nicht mit ihm darüber sprechen … aber das hatte sie nicht gesagt. Diesen Eindruck hatte sie auch nicht vermittelt.

Er war derjenige, der unangenehme Dinge nicht ansprach, sondern verdrängte. Dixie war immer schonungslos offen gewesen, zu sich selbst und zu anderen Menschen.

So jedenfalls hatte Cole sie in Erinnerung.

Er stand noch einen Moment da und starrte in ihre Richtung. Dann machte er sich auf die Suche nach seiner Schwester.

4. KAPITEL

Um zehn Uhr an diesem Abend stand Dixie auf einem alten Tuch mitten in ihrem provisorischen Wohnzimmer und schleuderte Farben auf die Leinwand. Das Licht eignete sich nicht zum Malen, doch das war egal. Sie malte nicht wirklich. Sie ließ Luft ab. Niemand würde dieses Bild zu sehen bekommen.

Rot vermischte sich mit Braun zu einem schmutzigen Strudel unten rechts, während sich Schwarz und Grau wie eine düstere Welle über der blassgrünen Mitte aufrichteten, die kurz davor war zu brechen. Sie trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu betrachten. Fürchterlich, dachte sie, aber verdammt befriedigend.

Als jemand an die Tür klopfte, runzelte sie die Stirn. Hulk, der es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte, hob träge den Kopf und sann über mögliche Gesellschaft nach. Für Hulk bedeutete Gesellschaft, dass jemand kam, um ihn zu kraulen. Für Dixie bedeutete Besuch, Konversation treiben zu müssen.

Sie wollte nicht reden und überlegte schon, gar nicht an die Tür zu gehen. Schließlich jedoch rief sie: „Einen Moment!“ und steckte den Pinsel in die Reinigungsflüssigkeit. Dann schnappte sie sich ein Tuch und wischte sich auf dem Weg zur Tür die Farbe von den Fingern.

Cole stand auf der Schwelle und zog ein ebenso finsteres Gesicht wie sie. In der Hand hielt er eine kleine Ledertasche, als wollte er bei ihr übernachten.

Sie betrachtete die Tasche und zog die Augenbrauen hoch. „Nicht gerade besonders diskret, Cole.“

„Da steckt nicht mein Rasierzeug drin, keine Sorge. Keine Annäherungsversuche heute Abend, kein aufdringliches Verhalten. Darf ich hereinkommen?“

Sie sah in sein Gesicht. Es sagte ihr nicht viel. „Warum nicht?“, entgegnete sie schließlich und trat zurück.

„Ich habe einige Nachforschungen angestellt“, begann er. „Es ist wahrscheinlich nichts, was du nicht auch schon gelesen hast, aber …“ Er verstummte, als er die Staffelei mitten im Raum sah und die Leinwand darauf.

Trotz ihrer Stimmung amüsierte sie sich über seinen Gesichtsausdruck.

„Interessant“, sagte er nach einem Moment vorsichtig. „Ich dachte, du machst keine abstrakte Kunst.“

Sie lachte. „Das ist keine Kunst, das ist Therapie. Immer noch besser, als mit Geschirr zu werfen.“

„Ich verstehe.“

„Komm, du bist sicher nicht hier, um meine visuelle Therapie zu betrachten.“

„Nein, ich …“ Hulk war von der Couch gesprungen und rieb sich an Coles Bein. Cole bückte sich und kraulte das Tier hinter den Ohren. „Hallo, du Monster.“

Dixie reinigte ihren Pinsel. Die Leinwand war genug mit Farbe beschmiert. Ende der Therapie. Jetzt wollte sie herausfinden, weshalb Cole gekommen war.

„Hulk hat gern Gesellschaft, egal, wie spät es ist. Ich bin aber nicht in der Stimmung.“

„Pech gehabt.“ Er stellte die Tasche auf den Tisch. „Du kennst dies wahrscheinlich schon alles“, sagte er und zog einen Schnellhefter aus der Tasche, „da ich aber nicht wusste, wie weit du das Thema von dir schiebst, dachte ich, ich bringe es dir trotzdem mit.“

Neugierig nahm sie den Schnellhefter und schlug ihn auf. Sie fand seitenweise Informationen über Alzheimer, ordentlich nach Themen sortiert: Symptome … Diagnose … Therapie … Verlauf … Behandlungsmöglichkeiten … Ratgeber für Betreuer …

„Diese Informationen stammen aus vertrauenswürdigen Quellen“, versicherte er ihr. „Es gibt viele Artikel im Internet, aber nicht alle sind zuverlässig.“

„Du musst Stunden daran gesessen haben“, murmelte sie und blätterte die bedruckten Blätter durch.

„Ich wollte mehr über den Zustand deiner Tante wissen, aber du hast nicht darüber gesprochen. Was uns zu der nächsten Frage führt.“

Sie blickte auf. „Uns?“

„Okay, mich. Ich habe noch eine Frage.“ Ruhelos ging er auf und ab, blieb vor ihrer visuellen Therapie stehen und blickte dann zu ihr. „Warum sprichst du nicht darüber?“, fragte er.

„Nun, weil ich mit dir nicht darüber rede …“

„Du hast deinen Kummer nicht bei Mercedes abgeladen.“

„Ich habe ihr von Aunt Jody erzählt“, protestierte Dixie.

„Ja, aber das ist auch alles. Du hast nicht … du hast nicht über deine Gefühle gesprochen.“

„Ach …“ Fast hätte sie gelacht. „Habe ich das richtig verstanden? Du drängst mich, über Gefühle zu sprechen?“

„Ich weiß, ich fresse alles in mich hinein. Aber ich bin es gewohnt, und es geht mir gut dabei. Dir aber nicht.“ Unaufgefordert setzte er sich auf die Couch und zog weitere Dinge aus seiner Tasche, die er auf den Tisch stellte.

Eine Flasche Wein. Zwei Gläser. Schokolade. Nagellack. Nach Pfefferminz duftende Lotion für die Füße. Wattebällchen. Nagellackentferner.

Sie setzte sich ans andere Ende der Couch. Der Drang zu lachen war kaum noch aufzuhalten. Sie deutete vage auf die Gegenstände auf dem Tisch. „Cole? Willst du mir nicht sagen, was das alles soll?“

„Nenn mich einfach Sheila.“

„Sheila?“

„Stell dir vor, dies ist eine dieser Frauenpartys. Du weißt schon, wenn Frauen sich treffen, um sich gegenseitig die Haare zu machen, die Nägel zu lackieren und dabei über Gott und die Welt zu reden. Und ich bin eben Sheila.“

Aha. Er versuchte ihr auf jede erdenkliche Weise zu zeigen, dass er als Freund hier war, und mehr nicht. Spielte sogar eine Frau. Weil er sich Sorgen um sie machte. Dixie traten Tränen in die Augen. Sie stand auf, ging zwei Schritte, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Wange. „Das ist unheimlich lieb von dir … danke.“

„He, du wirst doch nicht weinen?“

Sie lachte. Gleichzeitig liefen ihr zwei Tränen über die Wangen. „Ich kann nichts versprechen. Willst du deine Nägel lackieren oder meine?“

„Ich werde den Wein trinken.“ Gekonnt öffnete er die Flasche. „Aber ich gebe dir gern etwas ab.“

„Passt Cabernet Sauvignon zu Schokolade?“ Sie setzte sich wieder und öffnete die Packung mit der Schokolade. „Hmm. Zartbitter.“

„Mercedes meinte, Schokolade sei ganz wichtig.“

„Du hast mit Merry darüber gesprochen?“

„Ja.“ Er schenkte Wein ein, und der vollmundige Duft stieg ihr in die Nase. „Sie meint, dir ginge es gut.“

„Da hat sie recht.“ Dixie wählte ein Stück Schokolade mit Karamell. Sie liebte Karamell.

„Das freut mich zu hören. Also, über was redet ihr bei solchen Frauenpartys?“

„Über alles – Männer, Arbeit, Frisuren, Männer, Familie, Filme, Männer, Bücher, Politik … habe ich schon Männer erwähnt?“

„Diese Mistkerle“, sagte er prompt und reichte ihr ein Weinglas. Hulk rollte sich neben ihm zusammen und ließ sich von Cole kraulen. „Sie rufen nie an.“

Dixie schüttelte traurig den Kopf. „Und vergessen deinen Geburtstag.“

„Und wenn sie daran denken, vergessen sie die Karte. Könnten sie sich nicht ein paar Minuten Zeit nehmen, eine auszusuchen?“

„Stimmt. Und sie wollen nur das eine.“

„Genau. Oh, entschuldige – ich bin für einen Moment aus der Rolle gefallen.“

„Pass auf.“ Sie trank einen Schluck und versuchte, ernst zu bleiben. „Der schmeckt aber gut.“

„1998 war ein gutes Jahr.“ Er schwenkte den Wein in seinem Glas, um die Duftstoffe freizusetzen, hielt seine Nase über das Glas und holte mit halb geschlossenen Augen tief Luft, um die Aromen aufzunehmen. Kurz sah sie den Genussmensch Cole. Er war ein unglaublich sinnlicher Mann. Doch meistens zeigte er es nicht. „Er ist gut gereift“, sagte er und trank einen Schluck.

„Was hast du in dem Jahr gemacht?“ Sie lehnte sich zurück und knabberte an ihrer Schokolade. Genüsslich ließ sie ein Stück auf der Zunge zergehen. „Ich habe nicht gefragt, mit wem du es getan hast.“

„Wenn ich mich so ausgedrückt hätte, würde ich Ärger bekommen.“ Noch immer streichelte er mit seinen langen Fingern Hulk, der glücklich schnurrte.

Hör auf, auf seine Finger zu starren, ermahnte Dixie sich. „Frauen können sich Dinge erlauben, mit denen Männer nicht durchkämen.“

„Dann sprecht ihr also über Sex?“

„Sicher. Für die meisten von uns gehört das zum Thema Männer. Allerdings hatte ich auch lesbische Freundinnen in New York – Nachbarinnen. Wir haben uns normalerweise nicht über Sex unterhalten – mit Rücksicht auf mein Wohlbefinden.“

Er lachte. „Mein Wohlbefinden dagegen …“

„Hör auf damit, Sheila.“ Dann sagte sie: „Andererseits habe ich mich schon immer gewundert, warum Männer so begeistert sind, wenn …“

„Du hattest recht“, sagte er. „Wir sollten besser nicht über Sex sprechen.“

Ihre Blicke trafen sich, als sie noch einen Schluck trank. Sie behielt den Wein einen Moment lang auf der Zunge, so wie er es ihr gezeigt hatte, damit sich das Aroma richtig entwickeln konnte.

Keine gute Idee, die Sinnesfreuden zu genießen, während sie Cole ansah. „Sehr fruchtig“, sagte sie hastig und sah weg. „Merkst du, wie gut ich den Fachjargon beherrsche? Müsste gut zu der Schokolade passen.“ Sie nahm noch ein Stück davon. „Willst du über Politik diskutieren?“

„Eigentlich nicht.“

„Du hast sicherlich für den Gouverneur gestimmt“, sagte sie düster. „Okay … lassen wir das Thema. Dann bleibt uns nur noch, über die Arbeit oder Frisuren zu sprechen. Ich wäre für Frisuren.“ Sie neigte den Kopf. „Zu wem gehst du?“

„Carmen am Mane Place. Sie hat magische Hände. Ich mag dein Haar.“ Die Wärme in seiner Stimme gehörte nicht zu jemandem namens Sheila, es sei denn, Sheila hatte dieselben Vorlieben wie Dixies Nachbarinnen in New York. „Du hast einige Themen ausgelassen. Filme, Bücher … Familie.“

Dixie trank noch einen Schluck. „Hast du in letzter Zeit ein gutes Buch gelesen?“

„Nein. Wie geht es deiner Mutter?“

„Da kommt schon wieder der Mann in dir durch, Sheila“, entrüstete Dixie sich.

Er fragte noch einmal, diesmal mit grotesker Fistelstimme: „Wie geht es deiner Mutter?“

Dixie verschluckte sich fast und versuchte, nicht zu lachen, dann gab sie auf. „Wie immer. Nur ist sie glücklicher.“

„Wegen dieses Mannes, den sie heiraten will?“

Dixie nickte, trank und lächelte. „Sie hat sich immer bei jedem Mann angestrengt, von dem sie dachte, er wäre jetzt endlich der Richtige. Bei Mike ist sie total entspannt. Jetzt denkt sie nicht nur daran, ihn oder sich glücklich zu machen. Sie fühlt sich einfach wohl in seiner Nähe, und das merkt man. Natürlich ist sie traurig wegen Jody, aber … ach, ich weiß nicht. Irgendwie kann sie damit umgehen.“

„Und du nicht.“

Sie runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Auch er schwieg. Saß nur da, trank von seinem Wein und kraulte Hulk. Und sah sie an.

„Okay.“ Sie stellte ihr Glas mit einem Knall auf den Tisch. „Okay! Du willst, dass ich über meine Gefühle rede. Also gut, ich bin wütend. Stinksauer.“

„Das wundert mich nicht.“

Sie sprang auf und begann, auf und ab zu laufen. „Es ist schrecklich und unfair. Sie weiß noch, wer wir sind. So schlimm ist es noch nicht, aber es wird nicht mehr lange dauern. Sie hat schon stark abgebaut, und das tut weh. Jedes Mal, wenn ich sie sehe … dieser verwirrte Gesichtsausdruck … meine Mutter kann damit viel besser umgehen.“

„Sie hat die Krankheit auch von Anfang an miterlebt. Da hatte sie Zeit, sich an den langsamen Verfall zu gewöhnen.“

„Und ich war auf der anderen Seite des Kontinents und habe sie mit allem allein gelassen. Weißt du, was mich verrückt macht?“ Sie sprach nicht weiter, sondern schüttelte den Kopf. „Egal. Das ist blöd.“

„Hast du Angst, mich zu schockieren?“

„Nein.“ Sie ging zwei Schritte, blieb wieder stehen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Es ist das Lob, das ich immer wieder bekomme. Es macht mich verrückt.“

„Ja, ich hasse es auch, wenn Menschen mich loben.“

„Sehr komisch. Weißt du, wie oft mir gesagt wird, wie stark ich bin?“, fragte sie. „Oder dass ich eine tolle Tochter und Nichte bin, weil ich wieder hierhergezogen bin. Meine Güte. Die Krankheit wurde vor zwei Jahren diagnostiziert. Vor zwei Jahren! Und ich bin erst jetzt gekommen.“

„Ich bin sicher, du hast auch in den vergangenen zwei Jahren geholfen.“

„Ich habe Geld geschickt. Toll. Ich habe auf ein paar Urlaubstage verzichtet und war nicht nur an den Feiertagen hier. Aber dann bin ich immer wieder nach Hause geflogen und habe mich in die Arbeit gestürzt, um nicht an Jody denken zu müssen.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist etwas, was ich nicht verstehe. Du stürzt dich in Arbeit, um dich mit irgendeiner Sache nicht befassen zu müssen? Du verblüffst mich.“

Widerstrebend verzog sie den Mund zu einem Lächeln. „Willst du damit andeuten, dass du Erfahrung in der Richtung hast?“

„Könnte sein.“ Er stand auf, ohne auf Hulks Protest zu achten, trat zu Dixie und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Was hättest du denn anders machen sollen, Dixie? Weniger unter der Sache leiden? Etwas tun, damit deine Tante weniger leidet?“

„Vergiss meine Mutter nicht.“ Der Druck seiner Hände weckte Erinnerungen, die Vergangenheit und Gegenwart durcheinanderbrachten. „Ich sagte doch, dass es blöd ist.“

„Du hast doch immer gesagt, dass Gefühle niemals blöd sind. Sie sind einfach da. Wichtig ist, wie wir damit umgehen.“

„Ich hätte schwören können, dass du mir nie zugehört hast.“

Cole lächelte sein schiefes Lächeln, ohne zu antworten.

Ihr Herz schlug schneller. Dixie verspürte heftiges Verlangen. Sie öffnete die Lippen.

Sein Blick fiel auf ihren Mund und verweilte dort. Der Griff um ihre Schultern wurde fester, und sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich. Er würde sie küssen … und sie wollte es, wollte seine Leidenschaft schmecken.

Er ließ die Hände sinken und trat zurück. Sein Lächeln verblasste.

Ihre Enttäuschung war so verwirrend wie sein plötzlicher Rückzug. Sie legte sich die Hand auf den Bauch und versuchte amüsiert zu klingen, als sie sagte: „Was war das? Ein Anfall von Edelmut oder gesunder Menschenverstand?“

Er schnaubte. „Wenn ich das wüsste.“ Er drehte sich um und ging zur Tür. „Es war eine blöde Idee. Genieß den Wein und die Schokolade und lackier deine Nägel. Ich gehe, bevor ich total vergesse, dass ich Sheila bin.“

„Cole.“

Er blieb stehen, sah sie jedoch nicht an.

„Ich war diejenige, die auf einen anderen Kanal umgestellt hat. Nicht du. Du … was du getan hast, hat mir sehr geholfen.“

„Bedeutet das, dass ich eingeladen bin, das nächste Mal hier zu schlafen?“

„Nicht unbedingt“, sagte sie trocken.

„Gut. Denn wenn ich das nächste Mal abends komme, habe ich nicht vor zu schlafen.“

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlich Hulk sich an sie heran und tat seinen Unmut darüber kund, verlassen worden zu sein. „Beklag dich nicht“, murmelte Dixie. „Du bist zumindest eine Zeit lang gestreichelt worden. Ich überhaupt nicht.“

Worüber sie eigentlich froh sein sollte, verdammt.

5. KAPITEL

Die erst Tour mit Cole durch die Weinkeller von Gut Louret war für Dixie eine Enttäuschung gewesen. Sie hatte auf dunkle Gewölbe in Felsen gehofft. Stattdessen lagerten die Fässer und Flaschen in gewöhnlichen unterirdischen Räumen mit einer Hightechklimakontrolle und katastrophaler Beleuchtung.

Katastrophal zumindest aus ihrer Sicht. Für den Winzer dagegen war das matte Licht ebenso notwendig wie die peinlich genaue Kontrolle der Temperatur und der Feuchtigkeit. Doch so wie sie sich die Weinkeller vorgestellt hatte, wären sie der ideale Hintergrund für Elis Bild gewesen. Okay, dachte sie, und betrachtete die Fässer auf dem Estrich, ich muss mit dem arbeiten, was ich habe.

Die Fässer selbst waren sehr interessant. Ich werde verschiedene Brauntöne benutzen, entschied sie. Erdtöne passten gut zu Eli und suggerierten eine traditionelle Weinkellerei, indem sie das Bild von der Erde, auf der die Trauben wuchsen, heraufbeschworen.

Und Gold für Carolines Bild, beschloss sie und schaute verträumt ins Leere. Einen Hauch von Braun, um den Bezug zur Erde und zu Elis Bild herzustellen, etwas Blau für den Himmel und viel Gold – blasses, schimmerndes Gold wie die Sonne, die Erde und Himmel vereint.

Ja. Sie würde Eli und die Fässer für die Erde benutzen, auf der die Reben wuchsen, Caroline für den goldenen Sonnenschein, die den Trauben die Süße gab. Und für das Endprodukt, den Wein selbst … vielleicht ein Gruppenbild? Die Familie fröhlich plaudernd am Esstisch versammelt, in den Weingläsern der Sonnenuntergang.

Also draußen decken? Und was ist mit …

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme“, erklang Elis tiefe Stimme hinter ihr.

„Schon okay“, sagte sie, nahm ihren Skizzenblock und stand auf. „Ich glaube, ich werde dich sowieso nicht hier zeichnen.“

Unsicher sah Eli sie an. „Du willst mich nicht mit den Fässern malen?“

„Nein. Ich werde dich vor die Fässer stellen. Aber dafür habe ich Fotos. Heute möchte ich dich skizzieren. Draußen. Ich brauche Licht und Schatten.“ Lächelnd ging sie an ihm vorbei zur Treppe.

Er folgte ihr.

„Du willst mich draußen skizzieren, aber nicht draußen malen.“

„Ich benutze die Fotos für technische Genauigkeit. Dich zu zeichnen hilft mir, dich genau kennenzulernen. Ich kenne mein Motiv erst richtig, wenn ich es skizziert habe.“

Gequält blickte Eli sie an. „Ich verstehe nicht, warum du überhaupt mein Gesicht brauchst. Aber du musst mich nicht kennen, um es zu malen.“

Sie warf einen Blick über die Schulter, als sie die oberste Stufe erreichte. „Oh, ich will mehr als dein Gesicht für das Bild. Ich möchte deine Seele hineinbringen.“

Er murmelte etwas. Wahrscheinlich war es besser, dass sie ihn nicht verstanden hatte. Lächelnd ging sie nach draußen. „Hier können wir bleiben.“ Die Lichtverhältnisse waren optimal. Dixie holte einen Kohlestift aus ihrer Gürteltasche und öffnete den Skizzenblock.

Eli blinzelte in die Sonne. Er schien sich total unwohl zu fühlen.

Dixie fing ein Gespräch mit ihm an, damit er vergaß, was sie vorhatte. „Erzähl mir über die Lagerung in Eichenfässern“, bat sie. Ihr Kohlestift flog über das Blatt. „Soviel ich weiß, ist sie etwas umstritten.“

„Es ist eine Frage des Geschmacks. Die meisten Menschen mögen einen leichten Eichengeschmack. Ist er zu stark, wird der feine Geschmack eines guten Rotweins überdeckt, aber dann ist der Winzer nicht gut.“

„Was ist mit Weißwein? Ihr lagert euren neuen Chardonnay in Eichenfässern.“ Sein Kinn muss mehr betont werden, dachte sie, und zog die Linie noch einmal nach. „Ist das so üblich?“

Er zuckte mit den Schultern. „In manchen Weingütern werden Stahlfässer benutzt. Bei uns nicht.“

Dixie bekam den Eindruck, dass er von Winzern, die Stahl benutzten, nicht viel hielt. „War das deine Entscheidung oder die deiner Mutter? Da der neue Wein nach ihr benannt ist, nehme ich an, dass sie einen gewissen Einfluss hatte.“

„Eigentlich war es meine Entscheidung. Aber meine Mutter mag den leichten Vanillegeschmack vom Holz, deshalb war sie einverstanden.“

Dixie schlug ein neues Blatt auf und begann eine Skizze aus einem anderen Blickwinkel. „Und wessen Idee war der neue Chardonnay?“

„Coles.“ Er sah sie direkt an. „Ich dachte, das wüsstest du.“

„Okay, das war ein Versuch, Informationen zu bekommen.“ Sie betrachtete ihre Skizze mit gerunzelter Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Das Jochbein? Nein, die Verbindung zur Stirn. „Du hast dein Stichwort verpasst. Eigentlich solltest du mich jetzt diskret über ihn ins Bild setzen, ohne dass ich viele Fragen stelle.“

Er lachte. Ein ungewohnter Klang von einem Mann, der eher dazu neigte, mürrisch zu sein. „Es ist verdammt befremdlich, von dir so angestarrt zu werden, während du über meinen Bruder sprichst. Was willst du wissen?“

Vorwurfsvoll blickte sie ihn an und wiederholte: „Ohne, dass ich viele Fragen stelle.“

„Nun, er ist gerade solo und findet dich heiß.“

„Hmm.“ Verdammt. Es war sein linkes Auge – sie hatte es zu eng an seinen Nasenrücken gezeichnet. Nächster Versuch. „Das weiß ich schon.“

Wieder lachte er leise. „Als ich ihn gefragt habe, ob er an dir interessiert ist …“

„Das hast du nicht getan.“

„Doch, natürlich. Ihr beide wart ja früher zusammen. Ich musste wissen, ob er noch scharf auf dich ist. Komisch, aber er war sich selbst noch nicht sicher. Mittlerweile weiß er es wohl.“

„Ich glaube, ja.“ Cole schien sich sehr sicher zu sein, dass er sie in sein Bett bekommen wollte. „Er behauptet, er sei gereift.“

„Gereift? Cole? Das würde ich nicht sagen. Er hat sich besser in der Hand als ich, doch die innere Anspannung unter dieser Beherrschung ist groß.“

„Gut ausgedrückt. Ich nehme an, er wird vom Geschäft noch voll in Anspruch genommen.“ Sie arbeitete jetzt ganz automatisch. Ihre Gedanken waren nicht mehr bei der Skizze.

„Er arbeitet nicht mehr sechzig oder achtzig Stunden in der Woche wie früher. Deshalb hast du dich doch von ihm getrennt, oder?“

Überrascht sah sie von ihrer Skizze auf zu Eli. Ihre Blicke trafen sich. „Das war der Hauptgrund.“

„Louret wird immer sehr wichtig für ihn sein, und er wird es immer lieben zu gewinnen. Mit Cole bekommst du keine Schoßkatze.“

Verärgert zeichnete sie zwei Hörner an Elis Kopf. „Ich will keine Schoßkatze. Ich will aber auch nicht immer an letzter Stelle stehen. Es muss etwas dazwischen geben.“

„Er war fertig mit der Welt, als du gegangen bist.“

„Das war er schon vorher. Und ich auch“, fügte sie hinzu und schloss den Skizzenblock. „Da lag das Problem.“

Eli nickte. „Stimmt. Aber dieses Mal … sei einfach vorsichtig mit ihm, okay? Versprich nicht mehr, als du wirklich geben willst.“

„Fragst du gerade nach meinem Vorhaben?“

„Ja.“

Sie lächelte plötzlich, trat zwei Schritte vor und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. „Ich weiß selbst noch nicht, was ich vorhabe, aber wenn ich es weiß, werde ich es Cole sagen, nicht dir. Trotzdem finde ich es lieb von dir, zu fragen.“

Er bekam rote Ohren. „Wenn du mit mir fertig bist, dann kann ich ja gehen. Ich habe noch zu tun.“

„Sicher“, erwiderte sie und amüsierte sich insgeheim darüber, wie verlegen er geworden war. „Ich hoffe, ich schaffe es, diesen weichen Charakterzug an dir auf das Bild zu bekommen.“

Jetzt war er definitiv alarmiert. „Meinen was?“

Sie lachte und tätschelte seinen Arm. „Mach dir keine Sorgen. Dein Porträt wird sehr männlich werden.“

Nachdem Eli gegangen war, verflog ihre gute Laune. Mit finsterem Gesicht machte sie sich auf den Rückweg zu dem Kutscherhaus, um an dem Aufbau für Elis Porträt zu arbeiten.

Es ist doch ganz natürlich, dass sich Eli Gedanken um seinen Bruder macht, dachte sie. Absolut normal, dass er ihr die Schuld an der Trennung vor elf Jahren gab. Dennoch verspürte sie bei dem Gedanken Einsamkeit. Niemand machte sich um sie Gedanken, und niemand warnte sie vor möglichem Liebeskummer, wenn sie sich mit einem Mann einließ, der ihr schon einmal wehgetan hatte.

Nicht dass sie darauf hören würde. Aber es wäre zur Abwechslung einmal schön, wenn sich jemand um sie sorgte.

„Sie haben Eli mit einem Kohlestift skizziert“, beobachtete Caroline.

„Hmm.“ Dixies Blick flog zwischen der Frau vor ihr und ihrem Skizzenblock hin und her. Ihr Stift glitt schnell über das Papier. Sie befanden sich auf der geschlossenen Veranda.

„Warum zeichnen Sie mich mit einem Bleistift?“

„Ich weiß nicht.“ Die Partie über der rechten Wange stimmte nicht … Dixie verwischte den Schatten unter der Wange mit dem Finger, sah Caroline wieder an und legte den Stift dann seitlich an, um den Schatten bis zum Ohr zu ziehen.

Besser. „Für die technische Präzision benutze ich die Fotos, die ich geschossen habe“, erklärte sie. „Die Skizzen sind nur dazu da, um Sie besser kennenzulernen. Wenn ich ein Gesicht selbst gezeichnet habe, kenne ich es, verstehen Sie? Bei Eli wollte ich es mit Kohle tun, bei Ihnen mit einem Bleistift.“

Caroline lächelte. „Mein Gesicht ist runder geworden, als es einmal war. Müssen Sie mein Doppelkinn zeigen?“

„Sie haben kein Doppelkinn.“ Geistesabwesend sprach Dixie weiter, während sie die Augenbrauen zeichnete, die die Augen abgrenzten. „Das Kinn ist mit zunehmendem Alter weicher geworden, aber … oh, Entschuldigung. Das war etwas taktlos.“

Die ältere Frau lachte. „Ich möchte gern etwas wissen. Wenn Sie meine Eitelkeit schon nicht befriedigen, dann vielleicht meine Neugier … ist es okay, wenn ich rede?“

„Absolut.“ Dixie schlug ein neues Blatt auf.

„Ich habe mich schon oft gefragt, ob die Jungs mir ähnlich sehen. Die Mädchen, ja. Aber Cole und Eli …“

Dixie wusste genau, was Caroline wirklich meinte. Wie sehr ähnelten ihre Söhne dem Mann, der sie gezeugt und dann verlassen hatte?

„Die Mädchen kommen eher nach Ihnen als Eli und Cole“, sagte sie leichthin, als hätte sie den unausgesprochenen Teil der Frage nicht bemerkt. „Aber Eli hat Ihre Nase und Ihre Ohren.“

„Und Cole?“

Cole … Mercedes behauptete, er hätte von allen Geschwistern die größte Ähnlichkeit mit ihrem Vater. „Er hat Ihre Hände. Wundervolle Hände“, fügte sie hinzu. „Ich habe vor, sie zu benutzen.“

Caroline lachte, und es dauerte einen Moment, bis Dixie verstand, weshalb. Sie wurde rot. „Hmm … bei dem Gemälde. Ich werde Ihre Hände darstellen. Nicht Coles Hände. Und ich habe nicht vor, seine für etwas anderes zu benutzen …“

Caroline lächelte. „Wie entzückend. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie irgendetwas in Verlegenheit bringen kann. Sie sind eine beeindruckende junge Frau.“

„Ich?“ Dixie war erstaunt. Caroline war diejenige mit der angeborenen Klasse, der weichen Stimme und sanften Art. Die ideale Frau, wie Cole Dixie einmal an den Kopf geworfen hatte.

„Natürlich. Sehen Sie nur, was Sie in Ihren jungen Jahren schon alles erreicht haben. Obwohl Sie sich wahrscheinlich nicht mehr für besonders jung halten.“ Sie lächelte amüsiert. „Das tun die jungen Leute nie. Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht beleidigt, meine Liebe. Es ist nur, dass Sie so tüchtig und selbstbewusst sind. Ich war es in dem Alter noch nicht.“

Dixies Stift hatte eine ruhige, entschlossene Frau eingefangen. Sie zeigte Caroline die Skizze. „Das ist das, was ich sehe – Stärke, Freundlichkeit, Anmut.“

„Oh. Sie machen es mir schwer, meine neugierigen Fragen zu stellen.“ Caroline nahm den Block. „Darf ich es haben?“

„Natürlich.“ Dixie wünschte, Caroline würde auch weiterhin ihre Neugier zügeln.

„Ich weiß nicht, wie viel es kostet, aber …“

„Sie beleidigen mich, wenn Sie mir Geld anbieten. Ich werde für das Endprodukt bezahlt. Das hier schenke ich Ihnen.“

„Dann danke ich Ihnen einfach. Ich werde es rahmen lassen und Lucas zu unserem Hochzeitstag schenken.“ Ihre Wangen zeigten etwas mehr Farbe als gewöhnlich. „Vielleicht ist es eitel, ihm ein Bild von mir zu schenken, aber ich glaube, es wird ihm gefallen.“

Dixie lächelte. „Sie schenken ihm ein Bild von seinem Lebensmittelpunkt. Er wird sich sehr freuen.“ Sie schloss den Block. „Ich brauche es allerdings noch, bis ich das Bild fertig habe.“

„Unser Hochzeitstag ist erst in zwei Monaten. Keine Eile also.“ Caroline stand auf. „Ich glaube, wir sind jetzt fertig, oder?“

„Im Moment, ja“, erwiderte Dixie fröhlich. „Ich fange bald mit dem Malen an, dann brauche ich Sie vielleicht noch einmal. Zuerst aber werde ich den Vorarbeiter ein oder zwei Tage nerven.“

„Russ wird sicher nichts dagegen haben“, entgegnete Caroline trocken. „Dixie?“

„Ja?“ Sie steckte den Block in ihre Tasche.

„Mein Sohn hat sehr gelitten, als Sie ihn verlassen haben. Ich mache mir Sorgen, weil Sie jetzt wieder in sein Leben getreten sind.“

Dixie erstarrte. Schon wieder, dachte sie. Erst Eli, jetzt Caroline.

Und was konnte sie schon sagen? Dass Cole derjenige war, der das Spiel wieder angefangen hatte? Es stimmte zwar, aber sie würde auch zugeben müssen, dass sie es genoss. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er meint es nicht ernst.“

„Nein?“ Caroline ließ die Frage einen Moment in der Luft hängen, dann lächelte sie. „Wahrscheinlich wollen Sie mir damit sagen, dass mich das Ganze nichts angeht. Verstehe. Also lassen Sie uns das Thema wechseln. Ich gebe am Freitag eine kleine Party, hauptsächlich für die Familie. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch kämen.“

„Danke“, sagte Dixie misstrauisch.

Caroline schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich bin normalerweise nicht so ungeschickt. Die Einladung hat nichts mit meiner Neugier zu tun. Ich hätte Sie wirklich gern dabei.“

„Und ich bin normalerweise nicht so mimosenhaft.“ Dixie lächelte freundlich. „Ich komme wirklich gern.“

„Das freut mich. Die Party beginnt um sechs. Saloppe Kleidung. Essen gibt es gegen halb acht.“

Dixie machte ein finsteres Gesicht, als sie zurück zum Kutscherhaus ging. Sie hatte nichts gegen Carolines Neugierde. Mütter durften sich Sorgen machen, das war normal. Und es war auch normal, dass sie von ihrem Nachwuchs nur das Beste dachten. Dixie konnte Coles Mutter schlecht sagen, dass er nur auf schnellen Sex aus war.

Nun … vielleicht nicht schnell. Sie lächelte in sich hinein. Beim Sex hatte er sich immer Zeit gelassen.

Das Lächeln währte nicht lange. Sie vermutete, dass Sinn und Zweck seiner Annäherungsversuche war, sich selbst zu beweisen, dass er über sie hinweg war. Der Gedanke tat weh, aber sie konnte Cole verstehen. Denn in einem Punkt hatte Caroline recht, er hatte damals sicherlich gelitten.

Aber er hatte ihr auch wehgetan. Nicht mit dem, was er getan hatte, sondern was er nicht getan hatte. Er hatte sie nicht belogen oder betrogen. Er war einfach nicht oft genug da gewesen. Immer hatte das Geschäft an erster Stelle gestanden. Auch noch an zweiter und dritter. Dixie war irgendwann danach gekommen.

Sie hatte ihn wirklich sehr geliebt. Und er – er hatte sie nicht halb so sehr geliebt. Irgendwann war sie damit nicht mehr fertig geworden.

Dixie ging um das Haus herum – und wäre fast direkt in Cole hineingelaufen. Und die Katze, die behaglich auf Coles Armen schnurrte.

„Um Gottes willen.“ Sie schüttelte empört den Kopf. „Ist Hulk schon wieder abgehauen?“

„Ich habe über den Finanzen gesessen und mich umgedreht, um einen Ordner aus dem Regal zu ziehen. Als ich mich umdrehte, war er da, saß auf dem Stapel mit den vierteljährlichen Berichten und leckte sich selbstgefällig das Fell. Tilly versteckt sich immer noch unter meinem Schreibtisch. He, stimmt irgendetwas nicht?“ Er berührte leicht ihren Arm.

„Mich beschäftigen gerade tiefsinnige Gedanken. Und das beeinträchtigt meine Laune.“ Sie lief weiter. Er passte sich ihrem Schritt an. „Ist mit Tilly alles okay?“

„Ja, jetzt, wo ich ihren Peiniger entfernt habe.“ Er lächelte. „Das war das dritte Mal, Dixie. Und wir haben noch zwei Tage.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Sie hatte mit Cole gewettet. Er hatte darauf gesetzt, dass Hulk bis Freitag mindestens sechs Mal ausbüchsen würde, und sie hatte dagegen gesetzt.

Dixie könnte die Wette leicht gewinnen. Nicht, weil sie sich vormachte, Hulk unter Kontrolle halten zu können, aber sie kannte ihren Kater. Sie wusste, dass er einmal am Tag verschwand, egal, was sie tat – aber wenn sie ihn lange genug draußen ließ, dann blieb er gern den Rest des Tages im Haus.

Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass er von Coles Hund so besessen sein könnte. „Ich glaube, du lockst ihn nach draußen“, sagte sie düster.

„Das würde ich niemals tun.“ Cole reichte ihr den Kater. „Wo hast du diesen Helden eigentlich gefunden?“

„Er war einfach eines Tages da, saß vor meiner Wohnung, als hätte er auf mich gewartet. Ich habe die Tür geöffnet, er spazierte hinein, verlangte etwas zu fressen, rollte sich dann auf meinem Schoß zusammen und gab mir zu verstehen, dass es an der Zeit war, ihn zu streicheln.“

Cole nickte. „Ich verstehe.“

„Er war halb verhungert.“

„Er hat alles aufgeholt.“ Er warf ihr einen spitzbübischen Blick zu. „Vielleicht sollte ich genauso wie er vorgehen. Ich erinnere mich, dass du eine wundervolle Köchin bist. Wenn ich also auftauche und etwas zu essen verlange …“

Sie lachte. „Ich würde dich nicht ins Haus lassen, denn du würdest andere Prioritäten als Hulk setzen.“

„Du hast recht.“ Er senkte die Stimme, während er ihren Arm streichelte. „Ich würde zuerst die Streicheleinheiten verlangen.“

Eine leichte Berührung, und ihr Gehirn schüttete Glückshormone aus. Sie wollte mehr, und es war niemand da, der sie vor den Gefahren warnen konnte. Nur sie selbst. „Hände weg. Ich kann mich nicht verteidigen, solange ich Hulk auf dem Arm habe.“

„Ich mag es, wenn du hilflos bist.“

„Du hast mich noch nie hilflos erlebt“, entgegnete sie. Sie hatten das Kutscherhaus erreicht. „Mach bitte die Tür auf, damit ich mein Monster dorthin bringen kann, wo es hingehört.“

Statt die Tür zu öffnen, lehnte er sich dagegen und lächelte. „Was bekomme ich dafür?“

„Oh, mach schon, Cole …“

„Nur einen Kuss. Ich verspreche dir sogar, die Hände bei mir zu behalten.“ Was er jedoch nicht tat. Er nahm eine Strähne ihres Haars und kitzelte sie damit – unter dem Kinn, ihren Hals. „Ein Kuss … oder hast du Angst?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. „Hältst du mich wirklich für so kindisch, dass ich darauf anspringe?“

„Ich hoffe es zumindest.“ Er trat noch näher. Nur eine Handbreit lag noch zwischen ihnen. Die Hitze seines Körpers schien die Luft zum Flirren zu bringen. „Warum nicht, Dixie? Du willst es doch auch.“

Ihr Herz pochte. „Ganz schön eingebildet.“

Er lächelte nur. „Es ist nichts weiter als ein Kuss. Wem könnte er schaden?“

Mir und dir, dachte sie, doch offensichtlich wollte sie nicht auf ihren Verstand hören, denn sie stellte sich auf die Zehenspitzen, bis ihr Mund seinen fast berührte. „Keine Hände“, murmelte sie. Und dann küsste sie ihn. Zögernd. Ihre Lippen streiften sich nur. Zuerst …

Hulk war zwischen ihnen, deshalb berührten sich ihre Körper nicht. Nur ihre Lippen. Sein Duft berauschte sie. Erregt kitzelte sie mit der Zunge erst seine Unterlippe, dann die Mundwinkel. Es war die reinste Wonne.

Dixie öffnete die Lippen über seinen und sog seinen Atem ein. Einen Moment trafen sie sich zu einem leidenschaftlichen Zungenkuss.

Dann wich sie lächelnd zurück – und freute sich über seinen fassungslosen Gesichtsausdruck.

Er streckte die Hände nach ihr aus, doch sie trat zurück. „Keine Hände – das war abgemacht. Und jetzt öffne bitte die Tür, Cole.“

„Die Tür, natürlich.“ Er blinzelte. „Alles, was du willst. Bist du sicher, dass du nicht alle meine irdischen Güter willst?“

„Jetzt nicht, danke.“ Sie marschierte ins Haus, die Katze immer noch auf dem Arm. Und ihr Herz pochte und pochte, und ihre innere Stimme fragte, ob sie den Verstand verloren hatte.

Das ist wohl das Blödeste, was ich je getan habe, dachte Grant, als er auf die Tube drückte und versuchte, am Steuer seines Pick-ups mit dem glänzenden Mercedes auf dem vollen Highway mitzuhalten. Er benahm sich wie ein billiger Schnüffler, verdammt noch mal.

Aber Grant gab nicht so leicht auf. Manche Menschen nannten ihn einen Dickkopf. Er selbst charakterisierte sich lieber als entschlossen. Bisher hatte Spencer Ashton sich geweigert, ihn zu sehen. Also blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: aufgeben und nach Hause gehen oder den Bastard irgendwie dazu bringen, mit ihm zu sprechen.

Der Bastard, der ihn gezeugt hatte. Sein Vater. Grant zwang sich, das Wort zu gebrauchen.

Es sah aus, als verließen sie die Stadt. Spencer besaß eine große, elegante Villa in der Nähe von Napa. Wenn er dorthin fuhr, hatte Grant Pech. Dort war er schon einmal an der Tür abgewiesen worden. Ebenso an dem Bürohochhaus hier in San Francisco, wohin Spencer jeden Morgen fuhr.

Aus dem Grund spielte Grant den Privatdetektiv. Früher oder später wurde der Mann irgendwohin gehen, wo keine Bediensteten die Türen bewachten.

Früher oder später würde sein Vater mit ihm sprechen müssen.

Grant machte ein mürrisches Gesicht. Mehr als einmal hatte er sich gewünscht, er hätte nie die verdammte Fernsehshow gesehen. Er war von der Arbeit ins Haus gekommen, hatte geduscht und sich mit einem kalten Bier hingesetzt. Das Spiel hatte noch nicht begonnen, und so hatte er über das Wetter nachgedacht, während noch eine Dokumentation über den Weinanbau lief. Eine flotte junge Reporterin hatte Spencer Ashton von Ashton-Lattimer interviewt, einer Kooperation, der Weinberge und eine große Kellerei gehörten.

Ashton Estate Winery. Der Name war Grant natürlich sofort aufgefallen, weil er seinem eigenen Nachnamen entsprach. Aber es war vor allem das Gesicht gewesen, das seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte.

Spencer Ashtons Gesicht sah genauso aus wie das, das ihm jeden Tag aus dem Spiegel entgegenblickte. Das war irgendwie gespenstisch, doch Grant war nicht die Idee gekommen, dass der Mann sein Vater sein könnte. Auch wenn ihre Namen identisch waren, so war es dennoch unmöglich. Sein Vater war gestorben, als er kaum ein Jahr alt gewesen war.

Dann hatte die Journalistin von Spencers Kindheit in Nebraska gesprochen. Und sie hatte ein Foto von ihm als jungen Mann gezeigt – und der Mann auf dem Foto war identisch mit dem Mann auf dem vergilbten Hochzeitsfoto, das seine Mutter bis zu ihrem Tod neben ihrem Bett gehabt hatte.

Zwei Wochen später war Grant in seinen Pick-up geklettert, nach San Francisco gefahren und hatte Ford die Leitung der Farm überlassen.

Ford hatte gefragt, was er sich davon erhoffte. Grant hatte seinem Neffen erklärt, dass er seine Halbbrüder und Halbschwestern kennenlernen wollte, von deren Existenz er nichts gewusst hatte. Es stimmte, doch es war nur die halbe Wahrheit gewesen.

Bisher hatte er noch nicht den Mut aufgebracht. Er war eines Morgens zu dem Weingut The Vines gefahren, hatte jedoch nicht geklingelt. Es war irgendwie komisch, zu total Fremden zu gehen und zu sagen. „Hi, ich bin euer Bruder.“ Das Vermögen der Familie erschwerte die Sache zusätzlich. Wahrscheinlich würden sie denken, er wolle etwas von ihnen.

Das wollte er auch, aber es hatte nichts mit Geld zu tun. Die Familie interessierte ihn. Diese Fremden waren seine Familie. Und er wollte wissen, wie sie waren.

Was er Ford nicht gesagt hatte, war, dass er auch seinem Vater in die Augen blicken und sagen wollte: „Du kannst nicht so tun, als existierte ich nicht. Denn es gibt mich.“

Wofür das gut sein sollte, wusste er nicht. Aber er würde es tun. Vielleicht heute, vielleicht später, aber er würde Kalifornien erst verlassen, wenn er es getan hatte.

Am Freitag führte Cole Dixie zum Lunch in Charley’s Restaurant nach Yountville.

„Wieso habe ich mich eigentlich dazu überreden lassen?“, fragte Dixie und sprang aus Coles Jeep.

„Du hast die Wette verloren.“ Cole lächelte selbstzufrieden.

„Das ist mir klar, aber warum habe ich mich überhaupt zu dieser blöden Wette überreden lassen?“

„Vielleicht wolltest du gar nicht gewinnen.“ Er hielt ihr die Tür auf.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest. Tatsache ist, dass Hulk sich mit dir gegen mich verschworen hat.“

„Du sprichst gerade von einem Kater, Dixie.“

„Ich spreche von Hulk.“

„Verstehe. Einen Tisch für zwei Personen“, sagte er zu der Empfangsdame. „Ich habe reserviert.“

„Natürlich, Mr. Ashton. Hier entlang, bitte.“

Dixie zog die Augenbrauen hoch. „Du bist hier bekannt?“

„Wir verkaufen ihnen Wein.“

Sie nickte. „Und wann hast du reserviert?“

„Gleich, als wir die Wette abgeschlossen haben natürlich.“

Dixie würde es niemals zugeben, aber sie war froh, dass sie die Wette verloren hatte. Das Charley’s existierte schon lange, doch damals hatte sie sich ein Essen hier nicht leisten können, und während ihrer Besuche war sie irgendwie nicht auf die Idee gekommen, hierher zu gehen.

Das Restaurant lag inmitten von Weinbergen, Olivenhainen und bunten Gärten, in denen Blumen, Kräuter und Gemüse wuchsen. Die meisten Produkte, die in der Küche benutzt wurden, kamen direkt aus diesen Gärten. Außerdem bot das Restaurant einen freien Blick in die Küche.

Dixie betrachtete das Kochen ebenso sehr als Kunst wie die Malerei. Sie freute sich darauf, den Profis bei der Arbeit zuschauen zu können.

„Ich sehe das so“, sagte Cole, nachdem sie von dem Manager begrüßt worden waren. „Wenn ich die Wette verloren hätte, hätte ich einem Wohltätigkeitsverein deiner Wahl eine Spende machen müssen. Jetzt habe ich gewonnen und gebe trotzdem Geld aus. Was ist daran falsch?“

Sie lachte. „Du hast die Bedingungen festgelegt, nicht ich.“

Er schüttelte den Kopf. „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“

Während sie die Speisenkarte studierte, gestand Dixie sich ein, dass sie nicht nur den Ort genoss. Sie genoss auch ihre Begleitung. Hatte sie früher auch so viel Spaß mit Cole gehabt?

Seit sie hier war, stellte sie immer wieder fest, dass Vergangenheit und Gegenwart sich in vielerlei Hinsicht unterschieden. Damals war Cole ein ehrgeiziger, ziemlich harter junger Mann gewesen, der kaum Zeit für etwas anderes als für das Geschäft hatte. Der Cole von heute war wesentlich lockerer und humorvoller. Selbst seine Annäherungsversuche waren witzig und einfallsreich.

Und das, so sagte sie sich, als sie die Bestellung aufgab, war gefährlicher als erotisches Knistern, egal wie stark es war. Sie musste aufpassen … denn sie begann, sich Hoffnung zu machen. Und diese Hoffnung brodelte in ihr, schäumte über und brachte sie zum Lachen.

Cole wählte den Wein aus – einen von einem anderen Weingut, um die Produkte der Konkurrenz zu testen, wie er sagte. Sie suchte die Vorspeise aus. Sie diskutierten über Hausunterricht, Sushi und den neulich angelaufenen Actionfilm und stellten fest, dass sie sich in Bezug auf Reality-TV, Knoblauch und Schutzhelme für Kinder einig waren.

Dixie erlebte einen unbeschwerten und heiteren Abend, bis der Kellner die Bestellung für das Dessert aufnahm. Plötzlich erstarrte Coles Gesicht.

„Was ist los?“, fragte sie.

„Nichts.“ Er warf einen hasserfüllten Blick über ihre Schulter in Richtung Ausgang.

Sie drehte sich um. Mehrere Gäste blockierten den Eingang. Sie zog die Augenbrauen hoch. Einen von ihnen erkannte sie – den jungen Mann, der wie ein Cowboy aussah und sich Anfang der Woche neugierig auf dem Weingut umgesehen hatte. Der Manager schien ärgerlich auf ihn zu sein.

Die anderen beiden hatte sie nie zuvor gesehen, trotzdem kam ihr jemand bekannt vor. Nicht die kurvige Blondine in dem roten Kostüm. Aber der ältere Herr, der ihr besitzergreifend die Hand auf den Rücken legte.

Er war groß und schlank, hatte silberfarbene Haare und trug einen Maßanzug. Seine Augenbrauen waren gerade, die Nase kräftig, und die kleinen Ohren lagen eng am Kopf. Seine Gesichtszüge waren symmetrisch und verliehen dem Gesicht das, was man bei einem Mann Attraktivität nannte und bei einer Frau Schönheit.

Er sah genauso aus, wie Cole in dreißig Jahren aussehen würde.

„Verdammt, Dixie, starr den Mann nicht so an.“ Coles Stimme klang verärgert. „Er ist für mich völlig unbedeutend.“

„Er ist dein Vater, richtig?“

„Mein wirklicher Vater ist mit meiner Mutter verheiratet. Der Mann zählt nicht. Überhaupt nicht.“

Das Problem, was auch immer es gewesen sein mochte, schien beigelegt. Der Manager führte den Cowboy aus dem Restaurant – und einer der Kellner geleitete Coles Vater und seine Begleitung in ihre Richtung.

Neidisch blickte Dixie auf die Haare der Frau. Sie waren lang, blond und leicht gewellt. Um die Situation, in der sie sich befand, beneidete Dixie sie jedoch nicht. Offensichtlich passte es ihr überhaupt nicht, dass der Mann ihr die Hand auf den Rücken legte. Und der Mann, der sie begleitete, schien seinen Sohn nicht wahrzunehmen.

Der Kellner blieb nervös an ihrem Tisch stehen. „Entschuldigen Sie, Sir. Uns ist ein Fehler unterlaufen. Dieser Tisch ist leider reserviert.“

„Ich weiß“, sagte Cole eiskalt. „Ich habe ihn reserviert.“

„Aber … es tut mir schrecklich leid. Der Tisch ist für Mr. Ashton reserviert.“

„Schön, dann sind wir uns ja einig.“

Der arme Kellner wusste nicht, was er sagen sollte. Coles Vater gab sich gelangweilt und nahm sich selbst viel zu wichtig, um in der Öffentlichkeit zu streiten. Außerdem war er damit beschäftigt, so zu tun, als sähe er seinen Sohn nicht. Und die Frau an seiner Seite fühlte sich zu unwohl, um die Situation aufzuklären. Sie trat sogar einen Schritt zurück, vielleicht, um sich von der sich anbahnenden Szene zu distanzieren, vielleicht aber auch, um endlich die Hand an ihrem Rücken loszuwerden. Und Cole erweckte auch nicht den Eindruck, als wollte er es irgendjemandem einfacher machen, einschließlich sich selbst.

Also griff Dixie ein. Sie lächelte den Kellner an. „Hier liegt ein Missverständnis vor, aber das kann leicht aus dem Weg geräumt werden. Es sind zwei Mr. Ashton anwesend. Das ist, glaube ich, Mr. Spencer Ashton.“ Sie deutete mit hochgezogenen Augenbrauen auf Coles Vater. „Sie sind es doch, oder?“

„Ja, das bin ich. Und das ist meine Assistentin Kerry Roarke. Sie sind …“

„Dixie McCord.“ Sie lächelte noch etwas strahlender. „Und da ist Ihr Sohn, Cole Ashton.“

Cole verschluckte sich und begann zu husten.

Der Manager eilte herbei. „Idiot. Idiot.“ Damit schien der Kellner gemeint zu sein. „Gehen Sie. Ich kümmere mich um die Angelegenheit. Es tut mir schrecklich leid“, sagte er und breitete die Hände aus, um beide Mr. Ashton in die Entschuldigung einzuschließen. „Wir haben natürlich einen Tisch für Sie, Mr. Ashton.“ Er nickte dem älteren Mann zu. „Er ist dort drüben. Wenn Sie mir bitte folgen wollen …“

Kaum waren sie außer Hörweite, sagte Cole: „Wenn du glaubst, ich würde dir jetzt dafür danken, dass du dich eingemischt hast …“

„So naiv bin ich nicht. Ich nehme an, du willst jetzt gehen, nachdem du dein Territorium erfolgreich verteidigt hast.“

Er stand auf und warf die Serviette auf den Tisch.

Dixie hatte Mitleid mit ihm. Sein Vater hatte kein Wort mit ihm gesprochen. Er hatte seinen Sohn nicht einmal angesehen – keine Neugierde, nichts.

Cole legte wortlos ein paar Geldscheine auf den Tisch.

Die ganze Wut, die sich in Cole angestaut hatte, entlud sich, als sie im Wagen saßen. „Hast du dieses Flittchen gesehen, das bei ihm war? Seine Assistentin.“ Aus seinem Mund klang das Wort richtig obszön. „Offensichtlich hat er sich nicht geändert.“

„Ich glaube nicht, dass sie ein Flittchen ist.“ Dixie legte den Sicherheitsgurt an. Es würde eine stürmische Fahrt werden.

„Flittchen. Geliebte. Wo ist da der Unterschied?“ Er setzte zurück, legte dann den Vorwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch. „Ich möchte wissen, ob Flittchen Nummer eins von Flittchen Nummer zwei weiß.“

Flittchen Nummer eins, so vermutete Dixie, war die Frau, mit der er Caroline betrogen hatte. Diejenige, die er geheiratet hatte, kaum dass die Scheidung von Coles Mutter endgültig gewesen war. Die Frau, mit der er eine zweite Familie gegründet hatte – eine Familie, die er nicht verlassen hatte. „Ich glaube nicht, dass die Frau seine Geliebte war“, wiederholte Dixie geduldig. „Ihre Körpersprache sagte etwas anderes.“

„Vielleicht hat er es bei ihr noch nicht geschafft. Aber er arbeitet daran, sie zu bekommen, das kannst du mir glauben.“

„Vielleicht versucht er es, aber sie will nicht.“

„Sei nicht so naiv. Es war ihr unangenehm, mit ihm zusammen von seinem Sohn gesehen zu werden. Vielleicht war ihr nicht bewusst, dass ich zu seiner anderen Familie gehöre – zu der Familie, die ihn nicht im Geringsten interessiert, die er nicht sieht und mit der er auch nicht spricht.“

Dixie fand, dass es wichtigere Gesprächsthemen gab, als eine Frau, die sie wahrscheinlich niemals wiedersehen würden. „Du bist nicht wie er, Cole.“

„Hör auf. Du weißt ja gar nicht, wovon du redest.“ Er raste über die Straßen, irgendwohin, nur weg von hier.

„Du siehst zwar aus wie er, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du ihm auch charakterlich ähnelst.“

„Ich will nicht darüber sprechen.“

„Okay, wir sparen uns das Thema für später auf, wenn du nicht mehr fährst.“

„An meinem Fahrstil ist nichts auszusetzen.“

Sie verdrehte die Augen. „Wenn du streiten willst, okay. Aber du bestimmst nicht das Thema.“

„Aber du.“

„Ja, weil du mit mir über die falschen Dinge diskutieren würdest. Worüber du aber unbedingt mal sprechen müsstest …“

„Ich habe dir gesagt, dass ich nicht über ihn sprechen möchte.“

Dixie sagte nichts. Sie wollte warten, bis Cole nicht mehr hinter dem Steuer saß.

Das Schweigen hielt an, bis sie bemerkte, dass sie in die falsche Richtung fuhren. „Das ist nicht der Weg zum Weingut.“

„Ich muss eine Zeit lang herumfahren. Das klärt meinen Kopf.“

„Fährst du einfach durch die Gegend, oder hast du ein bestimmtes Ziel im Sinn?“

„Meine Hütte.“

6. KAPITEL

Auf der Fahrt tobten in Cole die unterschiedlichsten Gedanken und Gefühle. Wann lernte er endlich, dass es nicht darauf ankam, was für ein Mann sein Vater war? Wen interessierte es, dass er ein Mistkerl war? Millionen Menschen hatten erbärmliche Väter. Das Verhalten dieses Bastards sollte ihm egal sein.

Meistens war es das auch. Heute aber … es lag einfach daran, dass er Spencer mit seiner neuesten Eroberung gesehen hatte. Wieder zerstörte der Mann das Leben einer Familie, so wie er vor Jahren Coles Leben zerstört hatte. Außerdem traf es ihn empfindlich, dass Dixie dabei gewesen war. Er wusste nicht warum, aber es war so.

Wenn er als Kind nicht so sehr zu dem Mann aufgeblickt und versucht hätte, ihm zu gefallen …

Das gehört der Vergangenheit an, rief er sich in Erinnerung. Sie hatten die Hütte erreicht, und er hielt an. „Geh schon hinein“, sagte er zu Dixie und sprang aus dem Wagen. „Ich werde noch etwas Holz hacken.“

„Gute Idee“, erwiderte sie, stieg aus und schloss die Autotür. „Du bist in genau der richtigen Stimmung, um die Axt zu schwingen. Ich hole in der Zwischenzeit Verbandmaterial.“

Er warf einen Blick in ihre Richtung und ging dann.

Die Hütte war an drei Seiten von Eichen, Pinien und Gebüsch umgeben, doch der Streifen vor dem Haus bis zu der Stelle, wo das Gelände leicht abfiel, war gerodet. Die traumhafte Aussicht hob normalerweise seine Stimmung, befreite ihn von allen Lasten und erleichterte das Atmen.

Heute funktionierte es jedoch überhaupt nicht. Cole trat einen Schritt von der Felskante zurück und schob die Hände in die Taschen.

Dixie war ihm natürlich gefolgt. „Es wäre einfacher, wenn ich ein Mann wäre. Dann könnten wir uns prügeln. Das tun Männer doch, wenn sie sich abreagieren müssen, oder?“

„Ich hätte wissen müssen, dass die wohltuende Stille nicht lange anhält.“

„Wenn du Ruhe gewollt hättest, hättest du allein hierherkommen müssen.“

Warum war er das nicht? Er war nicht in der Stimmung für Gesellschaft, trotzdem war er nicht auf die Idee gekommen, Dixie zuerst nach Hause zu bringen und dann allein hierher zu fahren. „Wenn du gewollt hättest, dass ich dich nach Hause bringe, dann hättest du nur etwas sagen müssen.“

„Du hast mich hierhergebracht. Jetzt musst du mich auch ertragen.“

„Ich möchte dir gern die Hütte zeigen.“ Deshalb hatte er sie mitgenommen. „Aber ich brauche einen Moment für mich allein.“

„Du bist sehr aufgewühlt, okay. Versuch über die Dinge zu sprechen, die dich belasten.“

„Ich bin nicht in der Stimmung für eine Laientherapie.“

„Weißt du, die Menschen haben schon Tausende von Jahren über ihre Probleme gesprochen, bevor Freud es Therapie nannte. Man braucht nur jemanden, der zuhört. Ich höre dir zu.“

Er warf ihr einen bösen Blick zu. „Du kannst es einfach nicht sein lassen, oder? Du musst stochern und stoßen und versuchen, mich zu ändern.“

„Das habe ich früher versucht. Es war ein Fehler.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Das gibst du zu?“

„Erstaunlich, was? Aber ich war nicht die Einzige. Wir haben beide versucht, den anderen zu ändern. Deine Vorgehensweise war nur etwas anders, das ist alles.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir waren jung und dumm. Wir haben uns ineinander verliebt und sofort versucht, den anderen in den Menschen zu verwandeln, der leicht zu lieben ist.“

Liebe. „Du wolltest vieles an mir ändern. Es gab kaum etwas an mir, das du damals mochtest.“

Sie zuckte zusammen. „Ich verstehe, dass du diesen Eindruck bekommen musstest, aber das stimmt nicht. Es gab vieles, das ich mochte. Und“, gestand sie ein, „ein oder zwei Dinge, mit denen ich nicht leben konnte.“

Ruhelos begann er auf und ab zu marschieren. „Warum bist du zurückgekommen, Dixie?“

Sie lief neben ihm her. „Das hast du mich schon einmal gefragt.“

Er wusste nicht, welche Antwort er haben wollte. Nur, dass er sie noch nicht bekommen hatte.

Was war nur mit ihm los? Er hatte beabsichtigt, Dixie nach dem Lunch zu seiner Hütte zu bringen – aber er hatte sich ein paar entspannte Stunden erhofft, keine therapeutische Sitzung, in der unangenehme Erinnerungen aufgewühlt wurden. „Ich benehme mich wie ein Idiot. Tut mir leid.“ Er lächelte.

Sie blieb stehen. „Lass das.“

„Was soll ich lassen? Freundlich sein? Höflich sein?“

„Du musst für mich kein glückliches Gesicht aufsetzen.“

„Vielleicht tue ich es gar nicht für dich“, fuhr er sie an. „Sondern für mich, um mich daran zu erinnern, dass ich zivilisiert sein kann.“

Sie stand da, Schultern gestrafft, und betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Wie sehr hatte er diese Kraftproben geliebt, auf die sie es immer anlegte. Keinen Schritt wich sie zurück … Cole holte tief Luft. An einige Dinge erinnerte man sich besser nicht so genau. „Lass uns ein Stück spazieren gehen, okay?“

„Okay.“ Mehr sagte sie nicht.

Cole ging einen seiner Lieblingswege, einen schmalen Pfad, den das Wild benutzte und der zu einer wunderschönen grünen Wiese führte. Schade, dass jetzt nicht Frühjahr ist, dachte er. Dixie würde die vielen wilden Blumen lieben, die dann blühten.

Aber im Frühjahr war sie nicht mehr hier, oder?

Carpe diem, also nutze den Tag. Er hatte nur noch eine Woche, vielleicht etwas mehr, und wollte das Beste aus der Zeit machen. „Wie findest du meine Hütte? Obwohl … du hast noch nicht viel gesehen.“

„Sie gefällt mir. Aber sie ist nicht so, was ich erwartet hatte.“

„Was hattest du erwartet?“

Der Pfad war zu schmal, um nebeneinander zu laufen, deshalb folgte Dixie ihm. Er konnte ihr Lächeln nicht sehen, hörte es jedoch aus ihrer Stimme heraus. „Dass sie … rustikaler ist. Du hast gesagt, dass du viel selbst gemacht hast.“

„Offensichtlich traust du mir nicht viel zu.“

„Ich habe gar nicht gewusst, dass du handwerkliche Fähigkeiten besitzt.“

„Ich hatte wirklich zwei linke Hände“, gab er zu. „Aber nachdem eine Mauer eingestürzt war, habe ich ein paar Kurse gemacht.“

Sie lachte. „Sie ist wirklich eingestürzt? Welche?“

Als er ihr die Geschichte von seinen ersten stümperhaften Versuchen, die Hütte herzurichten, erzählte, durchflutete ihn eine Woge der Erleichterung. Solange sie sich auf dieser entspannten Ebene bewegten, konnte nichts passieren. Ihre Gefühle durften nur nicht an Tiefe gewinnen.

Am Ende des mit Bäumen gesäumten Pfades lag seine Wiese. Sein Herz machte einen Satz, als er aus dem Schatten in die Sonne trat. Dieser Fleck Erde war weder groß noch prächtig. Kleine, einzelne Dinge machten seine Schönheit aus. Die Wiese schien die Sonne einzufangen, die Strahlen zu bündeln und das grelle Licht zu dämpfen. Cole könnte schwören, dass das Gras hier grüner war. Sanft bewegte es sich in der leichten Brise. Im Westen sang eine Weißkehl-Grundammer ihr Lied.

„Oh …“ Dixie blieb einige Schritte hinter ihm stehen und drehte sich langsam im Kreis. „Ein kleines Paradies.“

Ihre Reaktion freute ihn. „Das ist der zweite Grund, weshalb ich die Hütte gekauft habe.“

„Es ist wunderschön hier.“ Sie stand bewegungslos da und lächelte, angestrahlt von der Sonne. Der Wind spielte mit ihren Haaren und presste das leichte blaue Kleid gegen ihre weiblichen Rundungen.

Brennendes Verlangen packte Cole, und diese heftige Gefühlswallung gab ihm das Gefühl, größer zu sein, leichter, voller Energie und Träume … doch der Moment verging und ließ ihn stumm und unsicher zurück.

„Cole?“ Sie neigte den Kopf. „Stimmt irgendetwas nicht?“

„Wahrscheinlich.“ Er hatte sich getäuscht. Furchtbar getäuscht. Er wollte nicht nur ein paar Tage ungezwungenen Sex mit ihr. Er wollte mehr. Viel mehr.

Langsam trat er zu ihr.

Nervosität flatterte in ihrem Blick. Sie wusste, woran er dachte, oh ja. Sie wich nicht zurück – wollte es aber, das konnte er sehen. Stattdessen legte sie den Kopf zurück und runzelte die Stirn. „Was ist denn in dich gefahren?“

„Du.“ Er legte die Hände an ihre Arme und strich sanft bis zu ihren Schultern. „Das war immer so.“

„Ich denke nicht, dass dies …“

„Du sollst jetzt auch nicht denken.“ Er presste den Mund auf ihren.

Sie war geschockt. Er spürte es, aber nur undeutlich – ihre Sinnlichkeit berauschte ihn, sie war wie ein Wein, vollmundig, aber nicht süß. Er zog sie an sich, strich mit den Händen über ihren Körper, schwelgte in ihrem Duft und ihrem Geschmack und ihrer Hitze.

Es reichte nicht. Er brauchte mehr – wollte so viel, dass sie nicht wieder ging, ihn nicht wieder verlassen konnte. Er verstärkte seinen Griff um sie.

Und kaum hatte er das getan, fing sie an, sich zu wehren und ihn von sich zu stoßen.

Frustriert ließ Cole die Arme sinken. Er musste sie gehen lassen. Wie damals tat es weh.

Ihre Lippen waren feucht, ihre Haare zerzaust, und ihre Augen funkelten vor Wut. „Ich lasse mich nicht dazu zwingen.“

Sein Schuldgefühl ließ ihn barsch reagieren. „Meine Güte, es war nur ein Kuss!“

„Das geht mir zu schnell. Du drängst mich zu sehr.“

Er verzog den Mund. „Du hast auf mich nicht den Eindruck gemacht, als wolltest du nicht geküsst werden. Im Gegenteil. Oder war das alles ein Spiel? Gibt es dir einen Kick, Männer anzumachen?“ Der Schmerz über die Abfuhr ließ ihn hässliche Dinge sagen.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, fuhr sie ihn an.

„Du magst Männer, oder? Eli, Russ, ich – du flirtest mit uns allen. Bin ich nur einer von deinen Männern, Dixie?“

Sie wirbelte herum und trat den Rückweg an.

„Richtig. Weggehen, das ist deine Antwort auf alles.“

Sie blieb stehen und drehte sich langsam um. „Menschen, die gehen, stehen bei dir ganz unten auf der Liste, oder, Cole? Vor elf Jahren war ich diejenige, die gegangen ist. Wir haben nicht darüber gesprochen.“

„Ach ja, das hatte ich vergessen. Reden ist auch eine deiner Antworten.“

Sie sah ihn böse an. „Manchmal schreie ich auch.“

„Ich erinnere mich.“ Er erinnerte sich sogar sehr gut. Nicht an die exakten Worte ihres letzten Streits, aber die Gefühle. Sie war wütend gewesen, verletzt – und je wütender sie wurde, desto mehr Kälte breitete sich in ihm aus, bis er dachte, er würde nie wieder warm werden. „Du hast ziemlich herumgeschrien, als ich deinen Geburtstag vergessen habe. Und dann hast du mich verlassen.“

Sie starrte ihn an. „Sag nicht, dass du das wirklich so in Erinnerung hast.“

„So ist es geschehen. Ich habe zwei Termine durcheinandergebracht.“

„Du hast dich geweigert, das Essen mit einem Kunden auf einen anderen Tag zu legen!“ Sie trat weiter vor, die Hände zu Fäusten geballt. „Wir hatten ein Date, du und ich, aber du hast es vergessen und für den Abend ein Essen mit einem Kunden geplant. Ich war verletzt, weil du mich vergessen hattest, aber das war nicht der Grund, warum ich dich verlassen habe.“

„Warum dann?“, fragte er. „Sag mir warum, denn ich erinnere mich, dass du mich angeschrien hast, dass du mich verlassen würdest, wenn ich nicht mit dir, sondern meinem Kunden ausgehe – und du hast es getan.“

„Du hättest mit deinem Kunden einen anderen Termin ausmachen können, statt das Date mit mir zu verschieben! Wie üblich kam ich an letzter Stelle. Immer wieder hast du mir deutlich zu verstehen gegeben, welchen Stellenwert ich bei dir habe – das Geschäft kam zuerst, dann deine Familie, und ich kam irgendwann danach. Trotzdem hast du es nicht ertragen, wenn ich einen anderen Mann auch nur angelächelt habe!“

„Die Hälfte der Zeit hast du jeden anderen angelacht, nur mich nicht. Ist es da ein Wunder, dass ich mir deiner nicht sicher war?“

„Du warst ja gar nicht da, dass ich dich hätte anlachen können. Wie oft habe ich auf einen Anruf von dir gewartet. Und wenn du endlich angerufen hast, dann nur, um mir zu sagen, dass du die Verabredung zum Lunch absagen musst. Oder zum Dinner. In dem letzten Monat, den wir zusammen waren, hast du praktisch alles abgesagt. Nur für Sex hattest du immer Zeit“, endete sie verbittert.

Er verstummte bei ihren Worten. Seine eigenen Worte – Vergangenheit und Gegenwart – gingen ihm durch den Kopf. Nach einem Moment fragte er ruhig: „Hast du wirklich geglaubt, ich will nur Sex von dir?“

Sie schüttelte leicht den Kopf. Als sie wieder sprach, hörte er einen Anflug von Humor aus ihrer Stimme. „Irgendwann im Laufe der Zeit habe ich dir das sicher vorgeworfen.“

„Wir haben uns damals gegenseitig alles vorgeworfen, außer für den Holocaust verantwortlich zu sein. Ich habe nicht gedacht, dass du es ernst meinst.“

„Ich dagegen habe geglaubt, dass du alles so meinst, wie du es sagst. Du hast nicht geschrien, so wie ich. Du warst eiskalt, hast immer in ganzen, grammatisch korrekten Sätzen gesprochen … alles, was du gesagt hat, kam kalt und wohlüberlegt heraus.“

„Ich habe keine Ahnung, was ich gesagt habe. Ich hatte Angst.“

„Du?“

„Ja. Ich war dabei, dich zu verlieren und wusste es.“ Er hatte nie wirklich daran geglaubt, dass er sie auf Dauer halten könnte, deshalb hatte er zu sehr geklammert und sich von Eifersucht regieren lassen. „Ich hatte dir einen Ring gekauft.“

Die Worte waren einfach hinausgeschlüpft. Verdammt, sie hatte es nicht wissen sollen. Niemand sollte wissen, was für ein Idiot er gewesen war.

Aus riesengroßen Augen sah sie ihn an. „Einen Ring?“, flüsterte sie.

„Ich wollte dich an deinem Geburtstag bitten, ihn zu tragen. Oder“, fügte er trocken hinzu, „an dem Tag, an dem ich die Zeit gefunden hätte, mit dir deinen Geburtstag zu feiern.“

Sie schloss die Augen und rieb ihre Brust, als schmerzte sie. „Das muss ich erst einmal verdauen. Du … Jetzt bin ich wirklich platt.“ Sie entfernte sich ein paar Schritte, blieb dann stehen, die Hand immer noch an der Brust, und blickte in die Ferne. Sie ist weit weg mit ihren Gedanken, dachte er. Etwa elf Jahre. „Wenn ich gewusst hätte …“

„Dann wärst du vielleicht nicht gegangen. Und das“, fügte er mit schmerzlicher Ernsthaftigkeit hinzu, „wäre wahrscheinlich ein Fehler gewesen. Ich wollte dich behalten, aber ich hatte nicht die Absicht, mich zu ändern. Ich habe damals gar nicht gewusst wie. Wir hätten uns gegenseitig unglücklich gemacht.“

Sie sah ihn wieder an. „Ich war sicher, dass du dich melden würdest. Wochenlang habe ich darauf gewartet, dass du anrufst und sagst, dass du einen Fehler gemacht hast und dass ich zurückkommen soll.“

„Und ich habe darauf gewartet, dass du anrufst und dich entschuldigst. Ich habe dir einen Monat gegeben. Die Monatsfrist hatte ich als Test gesehen. Du weißt, ich war damals groß darin. Du hast es mir immer wieder vorgeworfen.“ Er erinnerte sich nur zu gut an ihre lautstarken Vorwürfe. „Du warst es leid, dass ich dich immer wieder getestet habe. Aber wie gewöhnlich habe ich nicht auf dich gehört. Am Ende des Monats habe ich dann entschieden, dass du den Test nicht bestanden hast. Ich habe den Ring in die tiefste Schlucht geworfen, die ich finden konnte. Es war alles sehr dramatisch.“

Sie schüttelte den Kopf. Ein trauriges Lächeln lag auf ihren Lippen. „Erbarmen mit den Jungen.“

„Den Jungen und Dummen“, stimmte er zu. „Wir beide waren es.“

Plötzlich lachte sie. „Und dickköpfig. Beide haben wir darauf gewartet, dass der andere anruft …“

„Und die Sünden eingesteht …“

„Und angekrochen kommt.“ Sie lächelte. „Gib es zu. Das Angekrochenkommen war ganz wichtig für dich.“

„Absolut.“ Bis zu dem Moment, als er den Ring weggeworfen hatte, der so viel bedeutet hatte … und so wenig. Danach hatte er beschlossen, Dixie zu vergessen.

Es war ihm nicht gelungen.

Einen Moment lang sahen sie sich nur an. Die Vergangenheit trat in den Hintergrund. Doch Cole stellte fest, dass der Gedanke daran nicht mehr so schmerzhaft war wie zuvor. „Was ich vorhin gesagt habe, war unangebracht. Ich hätte dir nicht vorwerfen dürfen, dass du mit jedem flirtest, oder …“ Er schluckte. „Ich hätte dich auch nicht gegen deinen Willen küssen dürfen.“

„Ich wollte es“, sagte sie leise. „Und dann habe ich Angst bekommen.“

„Ich wollte nie …“

„Natürlich nicht“, sagte sie schnell. „Wenn ich es dir gesagt hätte … aber ich gestehe es nicht gern ein, wenn ich Angst habe.“

Er wusste von ihrer tief im Inneren verwurzelten Angst. Sie hatte ihm den Grund dafür anvertraut.

Dixie war acht Jahre alt gewesen, als ihr Vater starb, fünfzehn, als ihre Mutter sich wieder an einen Mann band. Helen McCord hatte geglaubt, den Mann gefunden zu haben, der sich für immer um sie und ihre Tochter kümmern würde. Dixie hatte ihn nicht gemocht, doch wegen ihrer Mutter hatte sie nichts gesagt. Sie waren gerade zusammengezogen, als Helens Herzprobleme plötzlich schlimmer wurden. Sie musste operiert werden und fand Trost in dem Gedanken, dass der Mann, den sie liebte, sich um ihre Tochter kümmern würde.

An dem Tag nach der Operation hatte dieser Mann Dixie in ihrem Schlafzimmer bedrängt. Sie hatte sich heftig gewehrt, ihn getreten, geschlagen und gekratzt. Eine Narbe auf der Stirn des Bastards würde ihn immer an diesen Tag erinnern. Ihrer Mutter hatte sie von dem Vorfall erst erzählt, als sie aus der Reha zurückkam.

Das Verhalten war typisch für Dixie. Bewundernswert. Und es setzte ein starkes Ausrufungszeichen hinter all die Gründe, die er dafür gefunden hatte, weshalb sie sich niemals an einen einzigen Mann komplett binden konnte. Das Leben hatte sie gelehrt, Männern nicht zu vertrauen. Sich nur auf sich selbst zu verlassen.

„Ich hatte keine Angst vor dir“, sagte Dixie schließlich. „Vor dir doch nicht. Das heißt aber nicht, dass du jetzt fein raus bist“, fügte sie mit gespielter Leichtigkeit hinzu. „Manche Frauen finden Eifersucht vielleicht attraktiv. Ich nicht.“

„Kapiert.“ Er nickte. „Darf ich dir jetzt meine Hütte zeigen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte sie gern sehen, aber nicht heute. Die Atmosphäre zwischen uns ist im Moment ziemlich geladen. Ich möchte nicht aus Versehen in dein Bett fallen.“

Sein Puls raste. Beruhige dich, Junge, sagte er zu seinem empfindlichsten Körperteil. Er streckte die Hand aus. „Wollen wir zurückgehen?“

Lächelnd nahm sie seine Hand. Es fühlte sich gut an. Nach einem Moment sagte er: „Eigentlich hatte ich für heute Nachmittag etwas anderes im Sinn. Ich hatte heißen Sex geplant. Aber dann muss ich meine Pläne wohl verschieben.“

Sie lachte etwas unsicher. „Richtig.“

Verschieben, dachte Cole. Was für ein wundervolles Wort. Einen Moment lang hatte es den Anschein gehabt, als würde er Dixie wieder ganz verlieren. Genauso schweigend, wie sie zu der Wiese gekommen waren, liefen sie auch wieder zurück … und doch war es völlig anders.

Es war überraschend einfach, auf dem Weg zurück nach The Vines eine lockere Unterhaltung zu führen. Vielleicht weil sie beide neue Hoffnung gefasst hatten. Das brachte ihren Verstand durcheinander und ließ sie gefährliche Gedanken denken.

Dixie rief sich in Erinnerung, dass sie eigentlich nichts wirklich geklärt hatten. Innerlich war sie total aufgewühlt. Cole hatte einige Missverständnisse aus der Vergangenheit geklärt und damit eine ganz neue Basis geschaffen.

Er hatte ihr einen Ring gekauft. Er hatte sie bitten wollen, ihn zu tragen.

Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass Cole auch nur einen Gedanken an die Ehe verschwendete. Sicher, er wollte damals mehr als nur eine kurze Sommerliebe. Er hatte sie gedrängt, einen Job in San Francisco anzunehmen, damit sie ihre Liebesbeziehung fortsetzen konnten. Sie hätte es wahrscheinlich auch getan, selbst wenn das Jobangebot in New York sie beruflich weitergebracht hätte. Wenn sie nicht diesen letzten großen Streit gehabt hätten, wäre sie sicherlich in Kalifornien geblieben, um in seiner Nähe zu sein.

Was wäre gewesen, wenn Cole sie, wie geplant, an ihrem Geburtstag ausgeführt hätte? Wenn er ihr den Ring geschenkt hätte? Wenn sie Ja gesagt hätte?

Sie wusste es nicht. Und das beunruhigte Dixie mehr als alles andere, was sie heute erfahren hatte. Jahrelang hatte sie geglaubt, sie sei diejenige gewesen, die schwer verliebt gewesen war, die allein darunter gelitten hatte, dass ihre Beziehung nicht funktionierte … und jetzt hatte sie erfahren, dass Cole bereit gewesen war, sich fest an sie zu binden. Sie war nicht sicher, ob sie Ja gesagt hätte.

Warum nicht? Wenn sie wirklich so verliebt gewesen war, warum hatte sie dann nicht an Heirat gedacht?

Dixie konnte keine Antwort auf die Fragen finden. Vielleicht war es einfach nicht möglich, durch die Linse der Gegenwart die Vergangenheit klar zu sehen. Schließlich war sie nicht mehr die Frau, die diesen kurzen, verrückten Sommer lang in Cole verliebt gewesen war. Sie hatte sich verändert.

Aber die Frau, die sich jetzt an jenen Sommer erinnerte, saß neben einem Mann, der sie weit mehr reizte als der junge Cole.

Als sie The Vines erreichten, zogen sich dicke, schwarze Regenwolken über ihnen zusammen. Dixie gratulierte sich gerade dafür, dass sie vor dem Sturm nach Hause gekommen waren, als sie einen unbekannten Wagen vor dem Haupthaus entdeckte.

Sie stöhnte. „Ich habe das Dinner heute Abend vergessen. Soll ich mich noch umziehen? Keine Zeit“, sagte sie mit einem Blick auf ihre Uhr. Sie wühlte in ihrer Tasche nach einem Lippenstift.

Cole grinste. „Hilft es dir denn, wenn ich sage, dass du gut aussiehst?“

„Wenn es ehrlich gemeint ist.“ Kein Lippenstift. Sie zog eine Grimasse und nahm die kleine Bürste. Zumindest konnte sie ihre zerzausten Haare kämmen.

Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. Dixie steckte die Bürste zurück in ihre Tasche und sprang aus dem Wagen. Cole nahm ihre Hände, führte sie an den Mund und küsste sie. „Schön reicht nicht aus, dich zu beschreiben“, sagte er sanft. „Ich weiß nicht, wie ich dir sagen soll, wie toll du aussiehst.“

Eine feine Röte überzog ihre Wangen vor Freude. „Versuch es doch einfach.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich könnte sagen, du siehst zum Anbeißen aus. Mir kommen die unglaublichsten Ideen, wenn ich dich ansehe.“

Sie lachte und zog die Hände zurück. „Hör auf. Wir sollen mit deiner Familie essen.“ Sie warf ihm einen neckischen Blick zu. „Aber träumen ist erlaubt.“

„Das werde ich auch tun“, versicherte er ihr, als sie zur Tür gingen.

Das Wohnzimmer lag am Ende der Diele mit dem ausladenden Treppenhaus. Es ging über in die lichtdurchflutete, geschlossene Veranda, auf der Dixie Caroline skizziert hatte. In dem Raum herrschte eine fröhliche Zusammenstellung aus Antiquitäten, französischem Landhausstil und bunten Stoffen. Die Gardinen hatten die Farben von Mohn, Gras und Sonnenblumen, und die Stühle waren mit rot-schwarzem Toile-de-Jouy bezogen, ein mit einem charakteristischen Design bedruckter Kattun.

Im Moment hielten sich dort viele angespannt wirkende Menschen auf. Einer von ihnen war der Mann, den Dixie jetzt schon zweimal gesehen hatte. Der Cowboy.

Erstaunt und misstrauisch blieb sie stehen. Was auch immer dieser Mann hier tat, niemand schien über seine Anwesenheit sehr erfreut zu sein.

Mercedes stand in der Nähe des Sofas mit ihrem gegenwärtigen Freund Craig Bradford – der Mann musste irgendwelche Fähigkeiten besitzen, die Dixie bisher noch nicht entdeckt hatte, denn er hielt sich länger als alle anderen. An seinem guten Aussehen konnte es nicht liegen, angesichts der Theorien ihrer Freundin über Beziehungen.

Merry schien wie gelähmt. Ihre Schwester Jillian saß auf der Couch, starrte den Fremden an und schüttelte langsam den Kopf, als würde sie irgendeine ungeheuerliche Frage verneinen. Ihnen gegenüber, dem Besucher am nächsten, stand Eli.

Er war wütend.

Seine Wut war nicht offensichtlich, aber Dixie hatte sein Gesicht eingehend studiert. Sie erkannte sofort, dass er seine Gesichtsmuskeln nur mühsam beherrschte. Und seine grünen Augen funkelten vor Wut und sprühten Feuer.

Alle Kinder von Spencer Ashton hatten grüne Augen.

Dixie fiel die Kinnlade hinunter bei dem plötzlichen, irrsinnigen Gedanken. Ihr Blick fiel auf den Fremden.

„Was ist los?“, fragte Cole mit scharfer Stimme.

Eli sah zu ihm. „Darf ich bekannt machen? Das ist Grant Ashton. Dein ältester Bruder.“

„Zumindest behauptet er das“, sagte Merry mit flacher Stimme.

Oh ja, dachte Dixie. Die Kopfform war dieselbe. Die Augen. Ihr war die Ähnlichkeit gleich aufgefallen, als sie ihm das erste Mal begegnet war, aber ihr war nicht der Gedanke gekommen …

„Was zum Teufel …?“ Coles Worte klangen eher nach einer Frage als nach einem Fluch. Er blickte von einem zum anderen.

„Ich weiß, dass dies ein ziemlicher Schock ist. Tut mir leid“, sagte der Fremde, der Cowboy … Grant Ashton.

Cole trat einen Schritt vor. Sein Gesicht wirkte stählern. „Können Sie das beweisen?“

„Kann er.“ Caroline Ashton stand in der Tür zur Küche. Sie war kreidebleich, doch beherrscht. „Er hat mir die Heiratsurkunde seiner Eltern gezeigt.“

„Du hast mit ihm gesprochen?“, fragte Eli mit finsterem Gesicht.

Sie nickte. „Tut mir leid. Ich hätte hier sein sollen, als er es euch gesagt hat. Ich … er ist vor einer halben Stunde angekommen. Nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, habe ich Lucas angerufen. Er ist auf dem Weg zurück aus der Stadt und müsste gleich hier sein, aber ich … ich wollte einfach mit ihm sprechen. Ich hätte bei euch sein sollen“, wiederholte sie. „Tut mir leid.“

„Mach dir deshalb keine Gedanken.“ Jillian eilte an die Seite ihrer Mutter. „Alles okay?“

„Natürlich.“ Caroline lächelte.

„Ich wollte es Ihnen erst sagen, wenn Sie zurück sind“, sagte Grant. „Aber Ihre Tochter hat mich wartend auf der Veranda gesehen und darauf bestanden, dass ich hereinkomme. Es war einfach ein Zeichen ihrer Gastfreundschaft. Dann hat mich Ihr Sohn nach meinem Namen gefragt. Ich wollte keinen erfinden.“

„Nein, natürlich nicht. Und als Sie erst einmal gesagt hatten, dass Sie ein Ashton sind, mussten Sie auch den Rest erzählen.“

„Und das wäre?“, fragte Cole.

Grant blickte ihm in die Augen. „Meine Eltern haben jung geheiratet – es war eine Mussehe. Bis vor ein paar Wochen glaubte ich, mein Vater sei gestorben, als ich ein Jahr alt war. In Wirklichkeit aber ist er einfach abgehauen und hat meine Mutter mit meiner Schwester und mir allein gelassen.“ Er machte eine kurze Pause. „Mein Vater ist Spencer Ashton.“

Niemand bewegte sich. Niemand sprach. Dann zerriss Coles brüllendes Lachen das Schweigen. „Der Bastard hat früh angefangen.“

Caroline bestand darauf, dass Grant zum Dinner blieb. Es war eine schreckliche Mahlzeit.

Merry war in sich gekehrt, meist schweigsam. Jillian blieb angespannt. Sie reagierte sehr sensibel auf die Stimmung der anderen, und die allgemeine Stimmung am Tisch war an diesem Abend alles andere als heiter. Eli sprach kaum – und Cole redete zu viel. Er betrieb jedoch keine höfliche Konversation, sondern nahm den Gast in die Mangel.

Sie erfuhren, dass Grant aus Crawley, Nebraska, kam; dass er dort eine Farm bewirtschaftete, um die sich sein Neffe kümmerte, solange er fort war; dass er Single war, jedoch seine Nichte und seinen Neffen aufgezogen hatte; und dass er wiederholt versucht hatte, mit Spencer zu sprechen, der Mann ihn jedoch abgewiesen hatte.

„Ich habe Sie im Charley’s gesehen“, sagte Cole. „Haben Sie dort versucht, mit ihm zu sprechen?“

Grant nickte und strich Butter auf sein Brötchen.

„Ich verstehe, dass Sie der Meinung sind, er sei Ihnen etwas schuldig. Der Mann hat viel Geld. Hoffen Sie …“

„Cole!“, sagte Caroline scharf. „Es reicht!“

„Nur damit Sie es wissen, es geht mir finanziell gut. Ich will kein Geld von ihm. Oder von Ihnen.“

Dixie nickte ihm beifällig zu. „Nur damit Sie es wissen, Cole benimmt sich nicht immer so ungehobelt.“

Mercedes unterdrückte ein Kichern.

Cole drehte sich zu Dixie. „Danke für deine ungefragte Unterstützung“, sagte er trocken.

„Es gehört sich einfach nicht, solch einen Mist zu reden. Vor allem nicht am Tisch deiner Mutter. Warum sprechen wir nicht eine Zeit lang über etwas Harmloses wie Religion oder Politik?“

Überraschenderweise war es Craig, der ihren Vorschlag unterstützte. „Wie wäre es mit Sport? Ich habe das Spiel letzten Montag verpasst und habe die ganze Woche von den Fehlern der Patriots gehört.“

Lucas nahm den Ball auf, und gemeinsam hielten sie das Gespräch in Gang, bis sie mit dem Dessert fertig waren. Dixie stellte fest, dass Craig zumindest eine unbestreitbare Tugend besaß – er war äußerst redegewandt. Während des schier endlosen Dinners sprang er immer wieder ein, wenn die Unterhaltung zu stoppen drohte. Deshalb blieb Merry also mit ihm zusammen – er war attraktiv, gut im Small Talk und hatte keine offensichtlichen Laster.

Dixie nahm sich vor, möglichst schnell ein kurzes Gespräch mit Merry zu führen. Aber nicht heute Abend. Die Dinnerparty war noch nicht zu Ende, und es galt noch einige Untiefen zu umschiffen.

Sie machte sich Gedanken um Cole. Für den Rest der Mahlzeit hatte er sich bemüht, höflich zu sein, doch die Wut brodelte in ihm und suchte ein Ventil. Sie sah jedoch im Moment keine Möglichkeit, ihm zu helfen.

Als sie ins Wohnzimmer gingen, war die Atmosphäre etwas lockerer als direkt nach der großen Enthüllung. Caroline und Lucas verwickelten Cole in ein Gespräch über die Umsätze des neuen Chardonnay. Eli sprach mit Grant über Landwirtschaft. Mercedes hörte ihnen zu, und Jillian hatte das Zimmer verlassen.

Übrig blieben Dixie und Craig. Leider wählte er diesen Zeitpunkt, zu zeigen, warum er nicht der Richtige für Mercedes war.

Sie sprachen einen Moment lang entspannt über allgemeine Dinge, bis Dixie ihm für seinen Einsatz beim Dinner dankte.

„Freut mich, dass ich helfen konnte.“ Er trat näher und senkte die Stimme, als wollte er sich ihr anvertrauen. „Mercedes hat Probleme wegen ihres Vaters. Ich bewundere, wie du die Dinge ins Lot gebracht hast.“

„Hmm.“ Der Mistkerl sah an ihr hinab. Sie runzelte die Stirn und wich leicht zurück. „Alle haben Probleme wegen Spencer, und das mit Recht.“

Er nickte feierlich. „Zu erfahren, dass es noch eine Familie gibt, um die er sich nicht kümmert, musste sie ja wütend machen.“

„Grant kann natürlich nichts dafür, aber der Überbringer von schlechten Nachrichten hat es immer schwer.“

„Ich habe Glück mit meinem Vater. Wir verstehen uns blendend“, sagte Craig. „Wie sieht es aus, Dixie, bleibst du in Kalifornien? Ich hoffe es.“

Oh, oh. „Wahrscheinlich. Lebt deine Familie hier?“

„In San Francisco. Aber genug von Familien. Ich wollte dir schon immer sagen, wie sehr mir deine Arbeit gefällt.“ Seine Stimme wurde samtweich. „Als völlig fantasieloser Geschäftsmann bewundere ich Künstler. Sie sind so … unkonventionell. Ich würde dich gern besser kennenlernen.“

„Findest du es nicht ziemlich unverschämt, mich hier so anzumachen, während Mercedes nebenan im Wohnzimmer sitzt?“

Er lächelte nur und hob die Hand, um mit ihren Haaren zu spielen. „Mercedes und ich haben ein Übereinkommen. Sie mag dich. Ich mag dich. Wo ist da das Problem?“

„Das wirst du gleich merken.“

Er blinzelte verwirrt. „Was?“

Cole nahm Craig das Weinglas aus der Hand. „Tut mir leid, dass du schon gehen willst, Bradford.“ Das Glitzern in seinen Augen sah nicht nach Bedauern aus.

„Ich will nicht …“

„Doch, du willst.“ Cole griff unter Craigs Ellenbogen und reichte Dixie das Glas. „Ich begleite dich zur Tür.“

Es war mehr ein Schieben als Begleiten. Craig war vielleicht nicht der Hellste, aber er war klug genug, nicht zu protestieren oder die Hand abzuschlagen, die ihn zur Tür schob.

Dixie sah Mercedes aus den Augenwinkeln heraus. Merry zuckte entschuldigend mit den Schultern, was Dixie zur Weißglut brachte. Ihre Freundin sollte sich für einen solchen Mistkerl nicht entschuldigen, sondern ihn wie eine heiße Kartoffel fallen lassen.

Sie mussten unbedingt miteinander reden.

Cole kam allein zurück. Seine Wut war offensichtlich. Er sah aus wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Wütend fuhr er Dixie an: „Wie kannst du mit diesem Idioten flirten?“

„Halt den Mund“, schimpfte Eli. „Dixie hat überhaupt nichts getan.“

Cole wirbelte herum. „Halt du dich daraus.“

„Okay“, sagte Dixie und nahm Coles Arm. „Es reicht. Du hast es versucht. Du hast dich wirklich bemüht, aber es funktioniert nicht.“ Sie lächelte die anderen an. „Entschuldigt, dass wir uns so schnell verabschieden, aber Cole und ich müssen jetzt entweder joggen oder Holz hacken oder uns sonst irgendwie abreagieren.“

„Es gießt in Strömen!“, protestierte Lucas.

„Wir sind nicht aus Zucker. Komm“, sagte sie und zog an Coles Arm. „Deine Mutter möchte nicht, dass du deinen Bruder in ihrem Wohnzimmer verprügelst. Keinen deiner Brüder. Oder sonst irgendjemanden.“

Cole starrte sie einen Moment lang aus zusammengekniffenen Augen an. Dann nickte er kurz, schüttelte ihre Hand ab und schritt zur Tür.

Er öffnete sie und blickte über die Schulter. „Kommst du nun oder nicht?“

„Mäntel“, sagte sie und tauchte in den Garderobenschrank. Sie hatte keinen dabei, deshalb lieh sie sich Merrys Regenmantel aus. Sie warf Cole seinen Anorak zu.

Ungeduldig schlüpfte er hinein. Dann traten sie hinaus in den Regen.

7. KAPITEL

Irgendwo im Westen, nicht zu sehen bei diesem Regenwetter, ging die Sonne unter. Es war windstill. Der Regen prasselte auf die Erde. Dixie knöpfte den geliehenen Regenmantel zu und fand sich mit nassen Haaren und ruinierten Schuhen ab.

Cole stapfte zu den Weinbergen.

Ohne sich zu berühren, wanderten sie durch die Reben. Als sie fast den Olivenhain erreicht hatten, sagte er plötzlich: „Tut mir leid. Du hast nicht geflirtet.“

„Nein, das habe ich nicht. Ich bin eigentlich auch gar nicht diejenige, auf die du sauer bist.“

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist.“ Er blieb stehen, stopfte die Hände in die Taschen und hob den Kopf in den Regen. Dann schüttelte er sich wie ein Hund und lief weiter. „Den ganzen Tag schon spucke ich Gift und Galle.“

„Du hasst deinen Vater und bist heute mit seiner Existenz konfrontiert worden.“

„Das ist auch nichts Neues.“

„Er hat euch verlassen.“

„Das alles habe ich vor Jahren schon verdrängt. Lucas ist für mich wie ein Vater, und zwar ein guter.“

„Das Problem, wenn man alles verdrängt und in einen Karton mit der Aufschrift ‚Vergangenheit‘ steckt, ist, dass der Deckel aufspringen kann.“

Er lachte schroff auf. „Stimmt. Und dann fällt all das Hässliche heraus. Und es gibt viel Hässliches.“

„Von deiner Seite? Oder der deines Vaters?“

„Beschränken wir uns im Moment auf ihn.“ Der Regen klatschte Coles lockige Haare glatt an seinen Kopf. „Er hat meine Mutter um ihr Erbe gebracht.“

Und er war dadurch zu einem reichen Mann geworden. Carolines Vater hatte noch zu der Generation gehört, die glaubte, eine Frau könne ein großes Geschäft nicht führen. Er hatte seine Anteile an der Lattimer Corporation seinem Schwiegersohn vermacht, nicht seiner Tochter. Kaum ein Jahr später hatte Spencer Caroline verlassen. „Ich glaube nicht, dass du Anteile von Lattimer Corporation willst.“

„Nicht mehr. Es ist alles so lange her. Ich will nichts von ihm.“

Doch der Hass steckte tief in ihm, und Cole wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Spencer genauso litt, wie er andere Menschen hatte leiden lassen.

„Während der Scheidung hat er ihr die Daumenschrauben angelegt“, fuhr Cole verbittert fort.

„Was ist damals passiert?“

„Er hat alles genommen, was es gab: Geld, Grundbesitz – alles, außer The Vines.“

„Wie konnte das passieren? Wie konnte ein Richter so etwas zulassen?“

„Was denkst du denn? Er hat gelogen, betrogen und meiner Mutter gedroht, uns ihr wegzunehmen, wenn sie gegen ihn anging. Er hatte Menschen, die für Geld bereit waren zu bezeugen, dass sie Drogen nahm.“

„Um Gottes willen“, murmelte sie und rieb sich den Magen. „Da kann einem ja ganz schlecht werden.“

Ein paar Minuten lang sagte er nichts, dann brach es aus ihm heraus: „Für ihn sind Menschen wie Kleidungsstücke, Wenn man ein Hemd nicht mehr sehen kann, wirft man es fort. Genauso macht er es mit seinen Familien. Sie existieren einfach nicht mehr für ihn.“

In Dixies Ohren klang es, als sei Spencer Ashton ein klassischer Narziss. Andere Menschen waren für ihn nicht real, sie waren nur ein Abbild seines eigenen Egos. „Wie war er, als du klein warst?“

„Ich dachte, er mag mich.“ Cole schnaubte verächtlich. „Ziemlich blöd von mir, aber … manchmal war er wirklich toll. Er hat mir durch die Haare gestrichen, wenn ich ein gutes Zeugnis nach Hause brachte, und sagte: ‚Weiter so, Junge.‘ Es war der Erfolg, den er mochte, nicht ich.“

„War es schwer, ihm zu gefallen?“

„Es war eher schwer vorherzusehen. Wenn bei ihm nicht alles glattlief, gingen wir ihm aus dem Weg. Sonst ließ er seine schlechte Laune an uns aus. Aber manchmal machte er auch großes Theater um uns. An Geburtstagen zum Beispiel. Er liebte Partys. Als ich sechs wurde, gab es eine ganz große Feier – Clowns, Luftballons, Ponyreiten für die Kinder, Picknick für die Eltern.“

„Glaubst du, Partys waren für ihn eine Möglichkeit, sein eigenes Image zu verbessern?“

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Er stand mehr im Mittelpunkt als ich, doch das habe ich als Kind nicht gesehen. Er kam auch nicht zu irgendwelchen Schulveranstaltungen, aber damals habe ich noch geglaubt, wichtige Leute wie er sind zu beschäftigt.“

Er wurde schweigsam. Dixie lief neben ihm her, und versuchte, mit ihren glatten Schuhen auf dem matschigen Boden nicht auszurutschen. Ihre Haare hingen in nassen Strähnen hinunter, Wasser tropfte in ihren Mantelkragen.

Sie erreichten den kleinen Olivenhain. Hier war es dunkler, aber die Bäume boten auch etwas Schutz gegen den Regen. Sie blieb stehen. „Was war, als er ging? Wenn Eltern sich trennen, suchen Kinder oft die Schuld bei sich.“

„Ich weiß nicht mehr genau, ob das bei mir auch so war, aber …“ Er sah sie nicht an. „Du hattest recht, als du sagtest, dass ich ihn hasse. Aber bis er uns verließ, habe ich versucht, wie er zu sein.“

„Du warst ein Kind. Du wolltest deinem Vater gefallen, und das Einzige, was einem Narziss gefällt, ist sein Ebenbild.“

„Und ich bin ein verdammt gutes Ebenbild geworden, oder?“

„Nein!“ Sie griff nach seinem Arm und drehte Cole zu sich um. „Wie kommst du darauf, du wärst wie er?“

„Du meinst, abgesehen davon, dass ich nur in den Spiegel sehen muss?“ Regentropfen liefen über sein Gesicht, als würde der Himmel für ihn weinen. „Hör doch auf, Dixie. Du bist doch nicht blöd. Ich habe Jahre damit verbracht, Louret aufzubauen, damit ich dem Bastard beweisen kann, dass wir ihn nicht brauchen. Dass ich auf dem einzigen Gebiet, das ihm etwas bedeutet, besser bin als er – beim Geldscheffeln.“

„Du bist ehrgeizig, ja. Aber du benutzt Menschen nicht. Du würdest niemals jemanden so wegwerfen, wie er es getan hat.“

„Du hast mich verlassen, weil ich wie er war.“

Dixie atmete schwer. Hatte er das wirklich geglaubt? Hatte er all die Jahre wirklich geglaubt, ihre Trennung von ihm hätte bewiesen, dass er wie sein Vater gewesen wäre?

„Cole.“ Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an. „Du bist ein Idiot.“

Er sah sie durchdringend an. In der Dunkelheit konnte er bestimmt nicht viel sehen, aber offensichtlich reichte es ihm. Ohne Probleme fand er ihren Mund.

Sein Kuss war sanft und liebevoll. Zärtlich glitt er mit den Lippen von ihrem Mund zu ihren Wangen. „Du bist ganz kalt.“

„Ist das ein Wunder?“ Doch sie zitterte nicht vor Kälte. Seine Finger, die zärtlich über ihren Hals strichen, ließen sie erbeben.

Er schlang die Arme um sie und zog sie fest an sich. „Wärmer?“, flüsterte er direkt an ihrem Ohr. Dann küsste er es.

Ihr war kalt, sie war nass und schmutzig, und ihr Herz schlug so laut in ihrer Brust, dass es ein Wunder war, dass er es nicht hörte. Aus Angst? Erregung? Schierem Glücksrausch?

Es spielte keine Rolle. Sie legte die Hände an seine Brust. „Noch nicht“, flüsterte sie. Ihre Worte waren kaum zu hören. „Versuch es weiter.“

Dieses Mal lag mehr Leidenschaft in seinem Kuss. Cole küsste, leckte und spielte mit ihrer Zunge. Dabei ließ er die Arme fest um ihren Körper geschlungen. Ihre Hände lagen an seiner Brust. Sie konnte sich nicht rühren – konnte nur den Kopf zurücklegen und sich auf das Spiel mit seiner Zunge einlassen. Sein Atem war heiß. Sein Körper war warm und hart, und sie sehnte sich nach ihm.

Sie befreite ihre Arme und glitt mit den Händen unter seine Jacke, um seinen Körper besser spüren zu können. Wohlige Wärme erwartete sie unter dem Anorak. Sie konnte gar nicht genug von ihm bekommen und schmiegte sich noch enger an ihn.

Cole schien dasselbe Verlangen zu spüren, sie zu berühren. Er nestelte an den Knöpfen ihres Mantels herum und stöhnte frustriert auf, als er sie nicht schnell genug öffnen konnte. Mit beiden Händen riss er den Mantel auf. Es kümmerte ihn nicht, dass einzelne Knöpfe in den Matsch fielen. Und dann waren seine Hände überall – am Bauch, an der Taille, an ihren Brüsten.

Es war ein animalisches Vorspiel. Es machte sie wild.

Er strich mit beiden Händen über ihren Rücken, dann hinunter zu ihrem Po. Leidenschaftlich drückte er ihren Schoß an sich und rieb sich an ihr.

Im nächsten Moment zog er sie mit sich auf den Boden, geschützt von Bäumen und Regen und der Dunkelheit.

Dixie merkte nicht, wie kalt die Erde unter ihr war. Die Luft duftete nach Salbei und Regen und feuchter Erde.

Er stützte sich auf seinen Händen ab und presste sich an sie. Sie stöhnte. Das Geräusch verlor sich im Prasseln des Regens. Er senkte den Kopf – doch statt sie zu küssen, rieb er die Wange an ihrer. Sie fühlte sich wegen der Bartstoppeln rau an. Trotzdem war die Berührung so zart, dass ihr der Atem stockte.

„Dixie“, hauchte er gegen ihre Wange. Nur das. Nur ihren Namen. Einen Moment lang lagen sie eng umschlungen in der feuchten Dunkelheit und bewegten sich nicht. Sie klammerten sich aneinander.

Doch das Verlangen ihrer Körper ließ sich nicht leugnen. Sie hob die Hüften an und rieb sich an ihm. Er reagierte, indem er ihr Kleid hochschob und mit der Hand zwischen ihre Beine griff. Sie zuckte erregt zusammen bei der ersten Berührung.

„Jetzt?“, fragte er. „Jetzt, Dixie?“

„Ja.“ Sie hob ihren Schoß etwas an. Cole riss ihren Slip hinunter und warf ihn weg. Als sie den Reißverschluss seiner Hose öffnen wollte, war seine Hand schon dort. Zusammen befreiten sie ihn.

Und dann war er in ihr.

Er stieß keuchend etwas hervor, aber die Worte verloren sich in der Leidenschaft. Langsam zog er sich zurück, und genauso langsam drang er wieder ein. Ihre Welt beschränkte sich auf jetzt – auf diesen Moment, wo der Boden unter ihrem Rücken kalt und weich war und der Regen leise durch die Blätter auf sie fiel, während Cole sie liebte.

Sie griff nach seinen Hüften und hielt ihn fest. Sie wollte diesen Moment genießen, die Zeit anhalten.

Doch die Zeit und ihre Körper hatten andere Pläne. Der Moment entwischte, und eine Woge der Lust durchflutete sie, als Cole begann, sich zu bewegen – immer schneller und härter. Er stimulierte sie, bis ihr vor Lust die Sinne entschwanden und sie laut aufschrie. Sie krallte die Nägel in seine Arme, ihr Körper zuckte. Sie hörte seine lustvollen Schreie, als er in ihr explodierte, und gemeinsam erreichten sie einen Ort, wo das Jetzt weit und endlos war.

Langsam kehrte Dixie in die Wirklichkeit zurück. Ein Stein drückte in ihre linke Pobacke. Cole lag schwer atmend auf ihr. Ihr Rock war bis zur Taille hinaufgezogen. Sie war nass und schmutzig, und ihr war kalt.

Und sie lächelte. Ein paar Minuten später kicherte sie.

Er stützte sich stöhnend auf den Ellenbogen ab und blickte auf sie herab. „Was ist?“

Als Antwort tauchte sie einen Finger in den Matsch rechts neben sich und zeichnete einen dicken, dreckigen Streifen auf seine Nase.

Er bewegte sich nicht, sprach nicht – und dann fing er plötzlich an zu lachen und rollte sich von ihr hinunter auf den nassen, kalten Boden. „Ich kann nicht glauben, dass ich … wir …“

„Im Matsch!“ Ihr Kichern entwickelte sich zu einem fröhlichen Gelächter. „Wir beide im Matsch!“

Cole hielt sich den Bauch vor Lachen. „Wie romantisch, wie … so etwas habe ich noch nie erlebt. Sex im Matsch. Einfach unglaublich.“

Er beugte sich über sie und küsste sie. Dann rappelte er sich auf, zog seine Hose hoch und streckte die Hand nach Dixie aus. „Komm, lass uns schnell ins Warme gehen.“

„Mein Slip“, sagte sie und ließ sich von ihm hochziehen. „Und mein Schuh.“

Den Schuh fanden sie schnell. Cole reichte ihn ihr mit einer leichten Verbeugung. „Ich fürchte jedoch, dein Slip ist weg.“ Es war jetzt fast vollkommen dunkel.

„Wir müssen ihn finden“, beharrte sie und schlüpfte in den nassen Schuh. Ih! Kalt. „Oder jemand anderes tut es.“

„Niemand weiß, wem er gehört.“

„Ehrlich gesagt beruhigt mich das nicht besonders.“ Doch als sie sich umblickte, wusste sie, dass er recht hatte. In der Dunkelheit würde sie ihn niemals finden. Sie legte den Arm um seine Taille, er seinen Arm um ihre Schulter, dann machten sie sich auf den Rückweg. „Ich werde Merry einen neuen Regenmantel kaufen müssen. Dieser hier ist ruiniert.“

„Du hast den Mantel von meiner Schwester an?“, fragte er entsetzt. „Ich hatte Sex mit dir auf dem Mantel meiner Schwester?“

Sie fing wieder an zu lachen.

Unbeobachtet erreichten sie das Kutscherhaus – so hoffte sie zumindest. Sicher war niemand sonst so verrückt, sich bei diesem Wetter draußen herumzutreiben. Kaum waren sie im Haus, hinterließen sie auf dem Weg zum Bad eine Spur aus ihren Kleidungsstücken. Zitternd traten sie unter die heiße Dusche.

Der heiße Dampf, die Nähe und die seifige Haut wirkten elektrisierend auf ihre Sinne. Doch diesmal nahmen sie sich Zeit. Sie tauschten lange zärtliche Küsse, berührten sich überall. Sie entdeckte die empfindliche Stelle an seinem Hals, und er erinnerte sich an ihre erogene Zone über dem Po, die er nur leicht streicheln musste, und schon war Dixie verrückt nach ihm.

Doch er wollte der Leidenschaft nicht nachgeben, nicht bevor sie nicht warm und trocken in einem sauberen Bett lagen. Sie musste zugeben, dass er nicht ganz unrecht hatte – doch sie würde ihn auch dafür zahlen lassen, dass er sie warten ließ.

Sie wusste, wie sie das tun musste. Mit Händen und Lippen und der Zunge reizte sie ihn. Sein Verlangen steigerte sich ins Unermessliche, doch sie zeigte keine Gnade.

Er tat es auch nicht.

Dixies Schlafzimmer befand sich auf dem Dachboden, und sie hatte die Gardinen offen gelassen. Als sie schließlich erschöpft in die Kissen fiel und der Schweiß ihre Haut kühlte, hatten sich die Regenwolken am Himmel verzogen. Das Zimmer war in sanftes Mondlicht getaucht. Das einzige Geräusch war das leise Ticken ihres Reiseweckers … und, von unten, ein schwaches Knirschen, als Hulk sich über seinen späten Snack hermachte.

Hulk … von irgendjemandem ausgesetzt, von ihr aufgenommen. Genau wie Cole die verlassene Tilly gerettet hatte.

Wir sind uns in vielen Dingen ähnlich, dachte sie, und wiederum sehr unterschiedlich in anderen. Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter. Cole hatte die Augen geschlossen, doch sein Lächeln zeigte ihr, dass er nicht schlief, sondern nur döste.

Sie strich mit den Fingerspitzen über seine Brust. Sie liebte seine Haut, seine Rippen, die leichte Behaarung direkt über seinem Herzen. Sie staunte darüber, dass sie wieder in Coles Armen lag … und wieder verliebt war.

Oder immer noch? Wer kann das sagen? dachte sie schläfrig. Die Augenlider wurden ihr schwer. Das Leben war wirklich merkwürdig.

Sie musste an vorhin denken, als sie sich voller Leidenschaft zusammen im Matsch gewälzt hatten.

Partner in der Leidenschaft, dachte sie und lächelte. Sie und Cole waren damals nicht wirklich Partner oder Freunde gewesen. Sie waren zu jung gewesen – hatten Angst davor gehabt, verletzt zu werden, aber auch, sich lächerlich zu machen. Angst, dem anderen zu vertrauen. Sie hatten sich geliebt, aber mit einem Fuß in der Tür, bereit zu verschwinden, wenn der andere versagte.

Die Leidenschaft war immer noch da, aber diesmal auch Freundschaft. Eine überraschende und sehr wertvolle Freundschaft. Dieses Mal hatten sie eine Chance … wenn sie geduldig miteinander umgingen.

Cole strich über ihre Haare und holte sie aus ihren Träumen. Sie öffnete die Augen. „Hmm“, sagte sie genüsslich, damit er weitermachte.

„Alles in Ordnung?“

„Mal sehen.“ Sie wackelte mit einem Fuß, bewegte die Finger einer Hand. „Alles noch da, aber meine Knochen sind total weich. Wie zu lange gekochte Spaghetti. Geschmolzene Butter. Wackelpudding.“

„Du klingst hungrig.“ Er klang amüsiert, doch in den nächsten Worten lag ein gewisses Zögern. „Aber glücklich.“

„Das bin ich.“ Sie schloss die Augen wieder. „Sehr glücklich. Ich werde dich heiraten.“

Sie riss die Augen auf. Hatte sie das wirklich gesagt? Sie konnte es nicht fassen.

Und Cole genauso wenig, seinem erschreckten Zucken nach zu urteilen. „Was … das war doch ein Witz, oder?“

Nie im Leben war sie ernster gewesen. Aber wenn sie das zugab, wäre Cole innerhalb von zwei Minuten angezogen und zur Tür hinaus. Deshalb nahm sie sich zusammen und lachte leise. „Wie wäre es mit einer neuen Wette? Wenn ich dich dazu bringe, mir einen Heiratsantrag zu machen, musst du einen Monat lang mein Sexsklave sein.“

Er entspannte sich und zog an ihren Haaren. „Und wenn nicht, dann bist du mein Sexsklave? Das ist ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann. Mach dich bereit, die Wettschulden einzulösen.“

Seine offensichtliche Erleichterung tat weh. Sie hatte noch einen langen, steinigen Weg vor sich, denn sie hatte Cole damals verlassen. Das war in seinen Augen eine unverzeihliche Sünde. Er neigte dazu, die Menschen, die ihn verlassen hatten, ins Abseits zu schieben und dort zu lassen, damit sie ihm nicht wieder wehtun konnten.

Dixie aber würde alles daransetzen, aus diesem Abseits herauszukommen. Deshalb alberte sie mit ihm herum, neckte und reizte ihn, bis er schließlich einschlief.

Dann schmiedete sie Pläne.

Mit Worten konnte sie Cole nicht für sich gewinnen. Vor elf Jahren hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebte, und sie hatte ihn trotzdem verlassen. Wenn du einen Mann von etwas überzeugen willst, entschied sie, musst du die Sprache der Männer benutzen. Und das bedeutete Aktionen, keine Worte.

Was würde ein Mann tun, um eine Frau davon zu überzeugen, dass er es ernst meinte?

Dixie lächelte, schmiegte sich eng an den schlafenden Mann neben sich und überdachte ihren Plan.

8. KAPITEL

Die Sonne schien strahlend durch die Bürofenster, als Cole drei Tage später eine Nummer wählte, die er von einem Freund bekommen hatte. Er sah auf die Uhr. Diese Sache musste erledigt werden, bevor Dixie erschien. Sie führte ihn heute zum Lunch aus, und sie sollte nicht wissen …

„Hampstead Investigations“, meldete sich eine weibliche Stimme.

„Mein Name ist Cole Ashton. Ich würde gern mit Mr. Hampstead über eine Ermittlung sprechen.“

„Ich gebe Ihnen gern einen Termin, Sir.“

„Ich möchte lieber erst mit Mr. Hampstead am Telefon sprechen.“

„Er spricht gerade auf der anderen Leitung. Können Sie einen Moment warten?“

Cole stimmte zu. Nervös trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Als sein Blick auf die Orchidee auf dem Schreibtisch fiel, musste er unwillkürlich lächeln.

Dixie hatte sie ihm liefern lassen. Einen Tag, nachdem sie sich geliebt hatten. Den Tag darauf hatte sie ihm mit Schokolade überzogene Pekannüsse geschenkt, und gestern hatte sie ihm eine kleine, wunderschön eingepackte Schachtel zugesteckt. In der Schachtel lagen Manschettenknöpfe – handgearbeitet, mit einem Türkis in schwerem Silber. Sie sahen extrem teuer aus, doch als er protestierte, hatte sie gelacht und gesagt, eine Freundin hätte sie entworfen.

Es war fast, als würde sie ihn umwerben.

Wach auf, sagte er sich und blickte erneut auf seine Uhr. Das war Dixie. Sie hatte die Rollen vertauscht und genoss das Spiel. Mehr steckte nicht dahinter.

Eine angenehme Tenorstimme meldete sich. „Hier spricht Frank Hampstead, Mr. Ashton. Was kann ich für Sie tun?“

„Es geht um eine vertrauliche Familienangelegenheit. Und ich würde lieber am Telefon mit Ihnen darüber sprechen, als persönlich zu Ihnen zu kommen.“ Dass er überhaupt einen Privatdetektiv beauftragte, war Cole schon peinlich genug. Er wollte nicht auch noch dabei gesehen werden. „Ich hoffe, wir können die Sache am Telefon erledigen.“

„Normalerweise bestehe ich darauf, mich persönlich mit meinen Klienten zu treffen, Sir. Es ist unglaublich, was sich manche Menschen einfallen lassen – sie benutzen zum Beispiel einen falschen Namen, was dann die Abrechnung sehr erschwert.“

„Abe hat gesagt, dass dieser Einwand kommen würde.“ Der genannte Freund war ein Rechtsanwalt, der viele Verbindungen in diesem Teil des Staates hatte.

„Abe Rosenberg?“, fragte der Detektiv bedeutend interessierter.

„Ja. Er hat mir Ihren Namen genannt und vorgeschlagen, dass Sie ihn anrufen, um meine Bonität zu überprüfen.“

Cole wartete, während Hampstead auf der anderen Leitung Abe anrief. Er trommelte wieder mit den Fingern und blickte auf die wunderschöne, exotische Orchidee.

Er würde Dixie nicht ernst nehmen. Schon einmal hatte er den Fehler gemacht, ihr zu glauben, als sie von Liebe sprach. Vielleicht hatte sie damals wirklich geglaubt, ihn zu lieben. Aber für Dixie war ein Ich liebe dich nicht gleichbedeutend mit Ich will immer mit dir zusammen sein.

Er würde die Affäre mit ihr genießen, ohne sein Herz zu verschenken. Und wenn es vorbei war, würde er ihr alles Gute wünschen … vielleicht konnten sie Freunde bleiben. Das wünschte er sich wirklich. Wenn das Ende ihrer Affäre bedeutete, dass er auch sie wieder verlor …

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen, Mr. Ashton“, sagte Hampstead. „Erzählen Sie mir von der Angelegenheit, in der Sie Informationen brauchen. Selbstverständlich garantiere ich absolute Diskretion“, fügte er hinzu.

„Es ist kompliziert.“ Cole hielt inne. Er hasste es, über seinen Vater zu sprechen, doch es war notwendig. Kurz erklärte er, wie Grant „Ashton“ kürzlich in ihr Leben getreten war. „Ich habe eigentlich keinen Grund, ihm nicht zu glauben“, endete Cole. „Aber auch keinen, ihm zu glauben. Ich will die Wahrheit wissen. Die Heiratsurkunde, die er uns gezeigt hat, beweist gar nichts. Ich bin sicher, dass es Möglichkeiten gibt, eine gefälschte Heiratsurkunde zu bekommen.“

„Natürlich“, stimmte Hampstead zu. „Und möglicherweise geht es um eine Menge Geld. Es ist ganz richtig von Ihnen, vorsichtig zu sein.“

Cole hatte nichts dagegen, wenn Grant sich einen Teil des Vermögens von Spencer Ashton erschwindeln wollte. Doch er würde nicht zulassen, dass dieser Mann seiner Familie schadete. „Niemand darf wissen, dass ich Recherchen über ihn anstellen lasse. Meine Familie hat Grant akzeptiert. Sie wäre sauer, wenn sie wüsste, dass ich einen Privatdetektiv auf ihn ansetze.“

„Kein Problem. Ich berichte nur meinem Auftraggeber, und es besteht kein Grund, Ihre Familienmitglieder zu befragen.“

„Es gibt also Möglichkeiten, herauszufinden, ob es diese Ehe gegeben hat oder nicht?“

„Sicher. Ich brauche noch ein paar genaue Angaben von Ihnen, und anschließend sprechen wir über mein Honorar.“

Sie waren gerade bei der Verhandlung über die Raten und Spesen des Detektivs angelangt, als irgendetwas an Coles Fenster schlug. Verwirrt blickte er in die Richtung.

Der Himmel war absolut klar, und Cole war in der ersten Etage. Er musste es sich eingebildet haben. „Einverstanden“, sagte er zu Hampstead. „Sie haben meine Nummer. Wann kann ich Ihren Anruf erwarten?“

„Wahrscheinlich in ein paar Tagen. Allerdings kann die Recherche dadurch erschwert werden, dass sich viele alte Daten noch nicht auf Computerdatenbanken befinden. Wenn ich also Gerichtsunterlagen persönlich einsehen muss, kann es länger dauern.“

Pink. Pink. Pink.

„Und natürlich auch mehr kosten“, sagte Cole und schob seinen Stuhl zurück. „Okay. Rufen Sie an, sobald Sie etwas herausgefunden haben.“ Cole legte auf. Er stand auf und ging stirnrunzelnd ans Fenster.

Der nächste Kieselstein flog gegen die Scheibe. Und unten, bereit, noch mehr Geschosse zu werfen, war Dixie … auf dem Rücken vom Trouble, dem Pferd seiner Mutter, mit einem weiteren Pferd im Schlepptau. Sie trug Jeans, eine Jeansjacke und ein knalliges pinkfarbenes T-Shirt. Dazu einen zerbeulten Cowboyhut.

Cole schüttelte grinsend den Kopf. Woher hatte sie nur den Hut? Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. „Du kannst doch gar nicht reiten.“

„Offensichtlich doch. Ich muss es irgendwann gelernt haben.“ Sie lächelte breit. „Ergib dich, und niemand wird verletzt. Du bist gekidnappt.“

Für Dixie war das ganze Leben vielleicht ein Spiel, aber es machte Spaß, mit ihr zu spielen. „Nein, ich will der Böse sein. Du bist der Sheriff und kannst mich verhaften.“

„Dies ist eine Entführung“, sagte sie mit ernster Stimme. „Und ein Sheriff entführt keine Menschen. Außerdem habe ich den schwarzen Hut. Ich muss der Bandit sein.“

Grinsend lief Cole die Treppe hinunter. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Aus dem Verkostungsraum hörte er leise die Stimme eine der jungen Frauen. Wortreich pries sie die Weine an. Da die Mädchen die Angewohnheit hatten, ihn den Touristen vorzustellen und er in diesem Moment keine Lust hatte, höfliche Konversation zu betreiben, nahm er den Hinterausgang. Er wollte zu Dixie.

„Du siehst wundervoll aus“, sagte er, als er bei ihr war, und legte die Hand auf ihr Knie. „Kannst du wirklich reiten?“

„Natürlich. Es ist doch ganz einfach. Du musst dir keine Gedanken machen.“

„Gott sei Dank.“ Cole erinnerte sich lebhaft an seine Versuche, Dixie das Fahren eines Wagens mit Schaltgetriebe beizubringen. Er überprüfte den Sattelgurt. „Scheint fest zu sitzen.“ Er ging zu seinem Pferd.

„Traust du mir nicht zu, dass ich es richtig kann?“, fragte sie.

„Du hast ihn gesattelt?“ Der Gurt saß perfekt.

Sie grinste. „Nein.“

Er lachte. „Das konnte ich mir auch nicht vorstellen.“

„Ich habe aber ein Picknick für uns vorbereitet. Es gibt Fleischpastete, mariniertes Gemüse und – he!“

Tilly kam um die Hausecke geschossen. Das Pferd wich zurück und scheute.

Cole schnappte nach den Zügeln. „Diese verdammte Katze!“

Doch diesmal war nicht Dixies Kater der Verfolger, sondern ein Dobermann.

Tilly verkroch sich hinter Cole, der zunächst versuchte, das Pferd zu beruhigen. Dann schrie er den Dobermann an – ängstigte damit aber Tilly, die aufjaulte und zurückwich.

Der Dobermann wurde langsamer, doch er knurrte wütend. Sein Fell war gesträubt, und er sah aus, als wollte er Tilly zerreißen. Carolines Stute war normalerweise sehr sanft, aber das war zu viel für sie. Sie bäumte sich auf und warf Dixie in dem Moment ab, als der Dobermann sich auf Tilly stürzte.

Und Hulk sprang auf den Dobermann.

Der Kater schien aus dem Nichts zu kommen. Er landete auf dem Hund und ritt ihn wie ein Bronc Buster – nur dass er seine Krallen benutzte. Das geschah dem Dobermann recht. Er jaulte auf und lief im Kreis herum.

Trouble geriet in Panik und versuchte wegzulaufen. Cole wagte nicht, die Zügel loszulassen, wollte jedoch unbedingt nach Dixie sehen, die auf dem Boden saß und ihren Arm rieb. „Alles okay?“, rief er.

Ein Mann kam um die Ecke – groß, mit rotem Gesicht und laut schreiend. „Verdammt, Mustard, ich sagte – he! Holen Sie die Katze von meinem Hund.“

Cole wirbelte zu ihm herum. „Sie sind also der Besitzer dieses Ungetüms?“

„Verdammt richtig, das bin ich. Und wenn mein Hund verletzt ist, dann werden Sie von mir hören!“

Hulk sprang anmutig auf den Boden und von dort auf eine hohe Fensterbank. Von daher war er wahrscheinlich auch gekommen. Der Dobermann schlich mit eingezogenem Schwanz zu seinem Herrchen.

Cole, immer noch Troubles Zügel haltend, näherte sich dem rotgesichtigen Mann, der seinen zitternden Hund nach Wunden absuchte. „Dieser Hund hat beinahe ein Unglück verursacht“, sagte er leise. „Wie heißen Sie, Sir?“

„Ralph Endicott. Aber Sie können nicht nur meinen armen Mustard verantwortlich machen. Er blutet, verdammt!“

Cole blickte auf den Hund. Er konnte keine ernsthaften Wunden entdecken, doch auch kleine Wunden mussten richtig behandelt werden. „Dann bringen Sie das Tier zum Tierarzt.“

„Den Sie bezahlen werden! Dieser blöde Köter ist nicht angeleint. Er ist schuld an allem. Mustard hätte sich nicht von mir losgerissen …“

„Mein Name“, unterbrach Cole mit eiskalter Stimme, „ist Cole Ashton. Mein Hund darf auf meinem Weingut und in meinen Weingärten herumlaufen, so viel er will. Ihrer nicht. Ich benötige die Nummer Ihrer Versicherung. Und Ihres Anwalts, falls Sie einen haben.“

Der Mann wurde kreidebleich. „Versicherung? Anwalt? Hören Sie, das ist alles nicht nötig.“

„Doch, verdammt, das ist es!“ Dixie sprang auf. Sie kochte vor Wut. „Ihre Unfähigkeit, den Hund zu beaufsichtigen, ist fahrlässig, vielleicht sogar kriminell! Ich habe mir das Handgelenk verstaucht, und ich bin Malerin! Mit einem verstauchten Handgelenk kann ich nicht malen. Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld diese Zeitverzögerung Louret kostet? Allein meine Zeit kostet einige tausend Dollar, und wenn durch diese Geschichte die Werbekampagne verzögert wird … Die Fernsehzeit, die bereits gebucht ist, beläuft sich auf … he, kommen Sie zurück!“

Doch der Mann floh schon um das Gebäude herum, den Hund im Schlepptau.

„Passen Sie demnächst besser auf Ihren Hund auf!“, schrie Dixie hinter ihm her.

Verschwitzt lagen Cole und Dixie in dieser Nacht in dem Bett im Kutscherhaus und sprachen über Tillys Abenteuer. Dixies verstauchtes Handgelenk hatte sie gezwungen, sehr erfindungsreich beim Liebesspiel zu sein. Das Ergebnis war unvergesslich.

„Ich sollte den Mann wirklich verklagen“, schimpfte Dixie. „Die Verstauchung verzögert meine Arbeit.“

Cole war einfach nur froh, dass ihr nicht mehr passiert war. Als er sah, wie sie von der Stute flog … „Du hast ihm schon genug Angst eingejagt.“

„Ich habe nur da weitergemacht, wo du angefangen hast. Hast du gesehen, wie bleich er geworden ist, als du einen Anwalt erwähnt hast?“

„Manche Menschen hören erst zu, wenn es um Geld geht.“ Wie sein Vater. Cole wechselte das Thema. „Tillys Sinneswandel ist richtig gespenstisch.“

Dixie lachte. „Hulk weiß gar nicht, wie er reagieren soll.“

Seit Hulk Tilly vor dem Dobermann gerettet hatte, folgte der Hund der Katze mit großen, bewundernden Augen.

Dixie gähnte und kuschelte sich enger an Cole.

Zärtlich strich er über ihr Haar. Er liebte es, sie so eng in seinen Armen zu halten. „An diesem Wochenende gibt es eine Art-déco-Ausstellung in San Francisco. Ich dachte, wir könnten sie vielleicht zusammen besuchen.“

„Das wäre schön“, sagte sie schläfrig. „Aber die Wochenenden verbringe ich mit Aunt Jody.“

Cole war überrascht. Sicher, sie war nach Kalifornien zurückgekehrt, um sich um ihre Tante zu kümmern, und das bedeutete natürlich, dass sie Zeit mit ihr verbrachte. Trotzdem hatte er nicht daran gedacht, dass sie jedes Wochenende … dort ist sie also auch letztes Wochenende gewesen, dachte er. Und er hatte geglaubt, sie würde sich mit einem Mann treffen.

Er zog eine Grimasse. Ganz offensichtlich hatte er Dixie unrecht getan. „Braucht sie Rundumbetreuung?“

„Man kann sie nicht allein lassen. Meine Mutter ist an den Wochentagen bei ihr – tagsüber. Sie arbeitet nicht mehr, deshalb geht das. Nachts ist jemand vom Pflegedienst bei ihr.“

Das war teuer. So taktvoll wie möglich fragte er: „Ist Geld ein Problem?“

„Im Moment noch nicht. Aunt Jody hat für das Alter gut vorgesorgt, und ihre Versicherung trägt die Kosten für die medizinische Versorgung. Allerdings nicht für Langzeitpflege.“

„Ich fahre dieses Wochenende mit und helfe dir.“ Das Angebot kam ihm spontan über die Lippen, und er fühlte sich etwas unbehaglich. An impulsive Entscheidungen war er nicht gewöhnt. Aber es war doch richtig, oder?

Dixie hob den Kopf. Dann stützte sie sich auf dem Ellenbogen auf und betrachtete sein Gesicht. „Bist du sicher? Es ist fast so, als würde man sich um ein Kind kümmern. Ein großes, manchmal launisches Kind.“

„Ganz sicher.“ Natürlich handelte er richtig. So etwas tat man für einen Freund. Damit ging er keine Verpflichtung ein. Er opferte nur ein Wochenende. Keine große Sache.

„Danke“, sagte sie und küsste ihn lächelnd auf die Lippen.

Normalerweise ging Aunt Jody früh ins Bett, was auch an den Medikamenten lag. Doch heute konnte sie überhaupt kein Ende finden, so sehr genoss sie die Gesellschaft eines Mannes. Als Dixie endlich ins Bett kam, war sie völlig erschöpft.

Cole war wundervoll zu Aunt Jody gewesen. Ihm zu Ehren hatte sie sich zum Dinner fein gemacht. Sogar Lippenstift hatte sie aufgetragen. Allerdings nicht nur auf die Lippen, sondern auch dick auf die Wangen.

Dixie hatte das Zimmer verlassen, weil sie bei dem Anblick weinen musste. Jody hatte früher viel Wert auf ihr Äußeres gelegt. Sie war immer elegant angezogen und dezent geschminkt gewesen.

„Tut mir leid, dass ich dich mit ihr allein gelassen habe“, sagte sie, als sie zu ihm ins Bett krabbelte.

„Ich bin mitgekommen, um zu helfen, nicht um Minuspunkte zu sammeln oder dich zu kritisieren. Das tust du selbst schon genug.“ Er hielt die Decke einladend hoch. „Warum glaubst du eigentlich, du dürftest dir keine Gefühlsausbrüche erlauben, bei dem, was mit deiner Tante passiert?“

„Meine Mutter hätte einfach gelächelt. Es nimmt sie nicht so mit wie mich.“ Dixie seufzte und kuschelte sich an ihn. „Nicht, dass es ihr nichts ausmacht. Aber sie wird einfach besser damit fertig.“

Dixie liebte ihre Mutter … aber, das gab sie zu, sie hatte sie nicht immer respektiert. Helen hatte sich ständig von irgendwelchen Männern abhängig gemacht, von denen sie dann irgendwann wieder verlassen wurde. Selbst Dixies Vater hatte sie verlassen. Er war gestorben.

Vor Jahren hatte Dixie beschlossen, dass sie wie ihre Tante sein wollte, mutig und unabhängig, und nicht wie ihre Mutter. Jetzt wurde sie gezwungen, beide in einem neuen Licht zu sehen. Und sich selbst auch.

„Deine Mutter geht anders damit um als du“, sagte Cole. „Anders ist nicht besser. Vielleicht tut es ihr nicht so weh, Jody wie ein Kind zu sehen, weil sie sie als Kind gekannt hat. Du nicht. Die einzige Jody, die du kennst, war erwachsen.“

„Warum muss sie dieses Erwachsensein verlieren?“, stieß Dixie hervor. „Es hat Jahre gedauert, bis sie die Frau wurde, die sie war, und jetzt geht alles rückwärts.“

„Keine Ahnung, Liebes.“ Er streichelte über ihr Haar. „Ich weiß es nicht.“

Dixie schwieg einen Moment lang. „Ich habe Angst. Es könnte mir auch passieren.“

„Jedem von uns. Und das macht mir wirklich Angst.“

Cole streichelte sie immer weiter, und es half. Er hatte das ganze Wochenende geholfen, einfach indem er da war. Er hatte angeboten, mit ihr zusammen hierherzukommen, und das bedeutete so viel … zu viel?

Dixie biss sich auf die Unterlippe. Sie stützte sich zu sehr auf ihn, wollte, dass er für sie da war, so wie jetzt, für immer. Das war nicht gut.

Nein, sagte sie sich. Hatte sie denn gar nichts gelernt? Sie hatte Angst, sich auf andere zu verlassen, ja. Und vielleicht hatte sie recht. Aber absolute Unabhängigkeit gab es nicht. Menschen mussten sich manchmal gegenseitig helfen, aber Hilfsbereitschaft allein genügte nicht. Manchmal musste man auch bereit sein, Hilfe anzunehmen, und das war viel schwerer.

Jedenfalls für sie. Doch die Krankheit ihrer Tante hautnah mitzuerleben hatte ihr gezeigt, dass absolute Selbstständigkeit eine Illusion war.

Ihr fielen die Augen zu. „Entschuldige“, murmelte sie. „Ich bin wirklich müde.“

„Dann schlaf jetzt. Du musst nicht immer für mich da sein“, sagte er mit einer gewissen Schärfe. „Ich kann auch mal eine Nacht ohne Sex auskommen.“

Das tat weh, vor allem, da er mit seiner Vermutung nicht ganz unrecht hatte, dass sie sich verpflichtet fühlte, mit ihm zu schlafen. Etwas, was ihr selbst nicht gefiel.

Vor elf Jahren hatte sie geglaubt, Cole sei an ihr nur interessiert, weil sie tollen Sex zusammen hatten. Doch er war bereit gewesen, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Und sie hatte keine Ahnung gehabt … das war teilweise aber auch sein Fehler gewesen. Er hatte sich gefühlsmäßig zurückgezogen. Aber sie hatte es auch vermasselt. Sie hatte angefangen, sich von ihm abhängig zu machen, und das war für sie schlimmer gewesen, als ihn zu verlieren. Ihn zu verlassen war unglaublich schmerzhaft gewesen, doch leichter als zu bleiben und sich ihrer Angst zu stellen, so zu werden wie ihre Mutter.

Diesmal nicht, nahm sie sich vor, als sie die Augen schloss. Sie würde nicht wieder weglaufen.

Cole betrachtete die schlafende Frau in seinem Arm. Im schummerigen Mondlicht konnte er sehen, wie der Schlaf die Sorgen aus ihrem Gesicht nahm. Er entdeckte sogar ein paar helle Sommersprossen auf ihre Nase.

Warum ging sie so hart mit sich ins Gericht? Das ganze Wochenende über hatte er eine Frau gesehen, die die Stärke fand, mit ihm über die Absurditäten ihrer Tante zu lachen, wie zum Beispiel ihre Überzeugung, dass sie einen König hatten, der in einem Schloss in Hollywood lebte, und keinen Gouverneur. Dixie war unglaublich geduldig gewesen, hatte die kranke Frau dieselbe Geschichte immer wieder erzählen lassen und täuschte beim fünften Mal noch genauso viel Interesse vor wie beim ersten Mal.

Einmal war Jody ärgerlich geworden, weil Dixie nicht zulassen wollte, dass sie Tomaten schnitt. Sie hatte ihre Nichte getreten. Dixie hatte ihr mit fester Stimme gesagt, dass Treten nicht erlaubt war und sich dann weiter um das Abendessen gekümmert.

Cole hatte Jody abgelenkt, aber wie oft musste Dixie mit solchen Vorfällen fertig werden, wenn niemand dabei war, der ihr helfen konnte? Und alles, woran Dixie dachte, war, dass sie besser mit der Situation zurechtkommen müsste.

War sie schon immer so gewesen, und es war ihm bloß nicht aufgefallen? Denn dies war nicht die unbeständige, flatterhafte Frau, an die er sich erinnerte. Dies war eine Frau, die bei einem Mann bleiben würde … wenn sie ihn wirklich liebte.

Offensichtlich hatte sie Cole nicht genügend geliebt.

Das ist Vergangenheit, dachte er. Jetzt hatten sie wieder eine Affäre, aber sie waren nicht ineinander verliebt. Dixie zumindest nicht in ihn.

Cole schluckte. Er war kurz davor, sich erneut in sie zu verlieben. Er musste aufpassen. Diese Affäre sollte nicht damit enden, dass sie wieder völlig aus seinem Leben verschwand – denn enden würde sie. Dixie hatte ihn schon einmal verlassen, und sie würde ihn wieder verlassen.

Aber sie begehrte ihn. Dessen war er sich sicher. Und das würde er ausnutzen.

9. KAPITEL

Cole rückte innerlich von ihr ab. Genau wie damals.

„Ich bin nicht sicher, ob es gut ist, die beiden allein zu lassen“, sagte er düster und blinkte.

„Entspann dich. Hulk liebt es, ein Groupie zu haben.“

„Tilly ist eher eine treue Seele. Jedenfalls ist sie das bis heute gewesen. Dein Kater hat mir meinen Hund weggenommen.“

Dixie lachte. „Er hatte noch nie einen eigenen Hund. Ich wusste nicht, dass er einen wollte.“

Ich bilde mir etwas ein, sagte sie sich. Nur weil Cole die letzte Woche über nicht jede Nacht mit ihr verbracht hatte, bedeutete das nicht, dass er das Interesse verloren hatte. Schließlich waren sie jetzt gerade auf dem Weg zu seiner Hütte. Und er hatte absolut nicht desinteressiert gewirkt, als er sie eingeladen hatte. Er hatte ihr einen Rundgang versprochen, ein Dinner, ein Feuer im Kamin, und er hatte sie gebeten, das blaue Sommerkleid zu tragen, das von oben bis unten durchgeknöpft war. Er habe es auf ihre Knöpfe abgesehen, hatte er gesagt.

Sie musste einfach geduldig sein. Nur weil er sich nicht Hals über Kopf in sie verliebt hatte, so wie sie sich in ihn, bedeutete das noch lange nicht, dass es nicht letztendlich geschehen würde. Es dauerte nur ein bisschen, denn so schnell schenkte er einem anderen Menschen nicht sein Vertrauen.

„Ich habe deinen Koffer gesehen, als ich dich abgeholt habe“, sagte Cole beiläufig. „Du reist doch noch nicht ab, oder?“

„Hmm?“ Dixie verdrängte ihre Gedanken. „Nein, ich bleibe mindestens noch eine Woche. Die Verstauchung hat meine Arbeit verzögert. Hat deine Mutter es dir nicht gesagt?“

„Was?“

„Sie hat Grant gebeten, eine Weile zu bleiben. Er zieht in das Kutscherhaus und ich in dein altes Zimmer im Haupthaus. Wir müssen uns sowieso bald anders orientieren, oder?“, fügte sie hinzu, als er nicht antwortete. „Ich bin mit den vorbereitenden Arbeiten bald fertig.“

„Und dann?“, fragte er.

„Dann arbeite ich in meinem Studio weiter.“ Betont selbstbewusst fügte sie hinzu: „Ich dachte aber, dass wir uns auch weiterhin sehen.“

Er zögerte einen Moment. „Meinetwegen können wir die Affäre fortsetzen.“

Es war nicht gerade die Antwort, bei der ihr Herz Freudensprünge machte. Sie bekam plötzlich Angst vor der Zukunft, doch sie entgegnete trocken: „Übertreib es bloß nicht mit deinen Liebeserklärungen. Das ist mir ja peinlich.“

Als Antwort nahm er ihre Hand. Es half … etwas.

Sie erreichten die Hütte in der Abenddämmerung. Dixie erinnerte sich an den Tag, als sie hier gewesen war, ohne die Hütte überhaupt zu betreten. Vielleicht dachte Cole auch daran, denn er sagte nichts, sondern öffnete einfach die Tür, schaltete das Licht an und gab ihr ein Zeichen einzutreten.

Das Innere war ganz anders, als sie erwartet hatte. „Aber das ist ja fantastisch!“, rief sie begeistert und drehte sich langsam im Kreis.

„Das hast du mir nicht zugetraut, oder?“

„Ehrlich gesagt, nein.“ Sie warf ihm einen schelmischen Blick zu. „Das sieht ja aus, als wären ein teurer Architekt und ein Stardesigner am Werk gewesen.“

„Jetzt beleidige mich nicht.“ Doch er wirkte erfreut. „Ich habe nicht alles selbst gemacht – um die tragende Wand durch diese Holzstützen zu ersetzen und einen Teil der oberen Etage über dem Wohnbereich zu entfernen, brauchte ich Experten.“

Die gesamte untere Etage, abgesehen von dem Badezimmer in einer Ecke, war ein einziger großer Raum, die Hälfte davon auf zwei Ebenen. Die Holzdielen habe er selbst gelegt, erzählte Cole, ebenso wie er die Gipskartonplatten durch Rauputz in einem warmen Terrakottaton mit Gold ersetzt hatte.

„Ich bin wirklich beeindruckt. Du hast einen neuen Stil kreiert – den europäischen Landhausstil.“

„Leider habe ich die Küche bisher vernachlässigt.“

„Das sieht man“, sagte sie trocken, als sie den avocadogrünen Herd sah, einen Kühlschrank, der ins Museum gehörte, und die kleine abgenutzte Arbeitsfläche. „Kannst du eigentlich kochen?“

„Natürlich. Rühreier.“

„Wenn ich nicht wüsste, dass wir etwas zu essen mitgebracht haben, würde ich mir jetzt Sorgen machen.“

Sie aßen auf dem dicken, verblassten Orientteppich vor dem Kamin – Enchiladas aus einem der besten mexikanischen Restaurants in Napa, dann Erdbeeren, die sie in flüssige Schokolade tauchten.

Und dazu tranken sie natürlich Wein. Einen aromatischen Merlot aus Lourets Reben zum Dinner und einen Champagner zum Dessert. „Der ist nicht von euch“, stellte sie fest.

„Nein, aber ich liebe dieses Prickeln.“ Er schenkte ihr Glas noch einmal voll.

„Willst du mich betrunken machen?“, fragte Dixie amüsiert. Sie nippte. „Was hast du vor?“

„Das wirst du schon früh genug sehen.“

Keine Lampe war eingeschaltet. Nur das Feuer verbreitete ein warmes Licht. In dem Halbdunkel wirkten Coles Augen fast schwarz, und sein Lächeln war geheimnisvoll. „Du hast deinen Spaß damit gehabt, mich fantasievoll zu umwerben. Jetzt bin ich an der Reihe.“ Er streckte die Hand aus und nahm das Glas, das er gerade gefüllt hatte.

Sie verspürte ein Flattern im Bauch. „Einverstanden.“

„Wirklich?“ Er beugte sich vor und küsste sie sanft. „Du magst Spiele“, flüsterte er gegen ihre Lippen.

„Hmm.“ Sie fuhr mit der Zunge über seine Unterlippe.

„Und du bist gern die Aktive.“ Er wich leicht zurück und lächelte.

„Manchmal.“ Sie griff in seine Haare und zog ihn wieder zu sich.

Er schüttelte den Kopf, immer noch lächelnd … und verwehrte ihr den Kuss, den sie wollte. „Heute Abend spielen wir ein anderes Spiel. Und diesmal übernehme ich den aktiven Part.“

Ihr Herz schlug schneller. Sie zog eine Augenbraue hoch. „So?“

„Ja.“ Cole griff in den Essenskorb und holte einen langen roten Seidenschal heraus. Er spielte damit und ließ ihn wie eine Schlange durch seine Finger gleiten. „Du vertraust mir doch, oder?“

„Natürlich.“ Sie bekam einen trockenen Mund.

„Gut. Streck deine Arme aus.“

Sie zögerte, blickte auf den Schal. „Was hast du vor?“

Er lächelte nur. Und wartete.

Nach einem kurzen Moment zuckte sie mit den Schultern. „Also gut“, sagte sie und streckte die Hände aus.

Er schlang den Schal darum und verknotete ihn. Die Seide fühlte sich kühl an ihrer Haut an … die wahrscheinlich zwei Grad wärmer war als noch vor einer Minute. „Fesseln. Ich habe nie …“ Sie lachte nervös. „Was mache ich jetzt?“

„Nichts.“ Er beugte sich wieder vor und hauchte einen Kuss auf ihren Mund. Mit den Fingerspitzen strich er über ihren Hals. Die Berührung war sanft wie ein Schmetterlingskuss. „Heute Abend lässt du dich von mir verwöhnen. Du verhältst dich absolut passiv.“

„Ich glaube, darin bin ich nicht gut.“

„Darum geht es nicht.“ Er öffnete den ersten Knopf. „Mir gefällt das Kleid“, murmelte er und öffnete den nächsten.

Er arbeitete sich aufreizend langsam vor.

Dixie verhielt sich ganz still, die Hände mit einem Seidenschal gefesselt, und beobachtete, wie er Knopf für Knopf aufmachte. Er hob flüchtig den Kopf und lächelte sie an, als er fertig war. Dann schob er das Kleid auseinander.

Sie trug keinen BH, und weil ihre Hände vor dem Bauch gefesselt waren, drückte sie mit den Armen ihre nackten Brüste zusammen. Ihr Atem ging schneller, als er auf ihren vollen Busen sah. „Gefällt dir, was du siehst?“, fragte sie mit belegter Stimme.

„Oh ja.“ Er beugte sich vor und umkreiste eine Brustspitze langsam mit der Zunge.

Dixie wand sich vor Lust.

„Schön stillhalten“, sagte er und reizte die andere Brustspitze. „So.“ Er setzte sich zurück. „Sie sehen toll aus. Feucht und schimmernd von meinem Mund. Ich liebe diesen Anblick.“

Und sie liebte seinen begehrlichen Gesichtsausdruck. Aber es ging ihr zu langsam. Außerdem wollte sie ihn berühren. „Ich bin überhitzt.“

„Ist das Feuer zu heiß?“

„Irgendetwas ist es.“

„Vielleicht hast du einfach zu viel an.“

„Wir sollten den Schal entfernen.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist mein Spiel“, erinnerte er sie sanft und strich mit den Fingerspitzen über ihre Brüste bis zu den harten Spitzen. Er nahm sie zwischen die Finger und massierte sie leicht. „Aber ich könnte es dir etwas bequemer machen. Warum legst du dich nicht hin?“

Noch kämpfte sie mit dem Verstand dagegen an, nur eine passive Rolle in diesem Spiel zu spielen. Doch der Kampf war schnell verloren. „Ich …“ kann kaum noch atmen vor Lust. „Du musst mich zuerst loslassen. Und meine Hände … mit gefesselten Händen kann ich mich nicht hinlegen.“

„Oh“, sagte er, als wäre er überrascht. „Natürlich. Ich helfe dir.“ Zumindest sah er ihr jetzt wieder ins Gesicht – und in seinen Augen loderte heißes Verlangen. Als er sich diesmal vorbeugte und sie küsste, war es kein langsamer, flüchtiger Kuss.

Sie erwiderte seinen Kuss, hektisch, weil sie Cole endlich streicheln wollte. Es war unglaublich erotisch, ihn nur mit den Lippen und der Zunge zu berühren. Dixie spürte seine Hände an ihren Schultern, als er sie vorsichtig auf den Boden hinunterließ.

Doch er legte sich nicht auf sie, wie sie es sich sehnlichst wünschte. Als er zurückwich, schrie sie frustriert auf.

„Langsam“, sagte er und streichelte über ihre Beine. Er schob das Kleid gänzlich zur Seite. „Langsam“, sagte er wieder und küsste sie auf den Slip, direkt über ihrer empfindsamsten Stelle.

Dixie zuckte zusammen. Sie war so erregt, dass schon fast sein heißer, feuchter Atem genügte, um sie zum Orgasmus zu bringen.

Dann wich er etwas zurück.

„Ich werde dich …“, stieß sie hervor, aber ihr fiel keine richtige Drohung ein. Sie war viel zu erregt, um noch klar zu denken. „Verdammt, Cole!“

„Du bist nicht daran gewöhnt und hast dich nicht unter Kontrolle. Ich ja.“ Er zog an ihrem Slip und zog ihn langsam herunter.

Sie kniff die Augen zusammen. „Du genießt das Spiel viel zu sehr.“

Er lächelte. „Was heißt ‚zu sehr‘? Sicher, ich habe großen Spaß daran.“

Sein Lächeln entspannte sie. Aber es fiel ihr immer schwerer, passiv zu sein. „Ich weiß nicht, ob ich es wirklich mag, mich so verletzlich zu fühlen.“

Er warf ihren Slip zur Seite. „Wie fühlt sich das an? Erregt dich das?“

Er reizte sie mit dem Zeigefinger – und, ja, es erregte sie. Und jetzt mit zwei Fingern.

Sie wand sich lustvoll. „Cole.“

„Gleich, Liebes“, flüsterte er. „Lass mich noch ein bisschen länger spielen.“ Der Rhythmus machte sie verrückt. Dann drückte er leicht mit dem Daumen, und sie explodierte.

Ein Beben ging durch ihren Körper. Anschließend lag sie bewegungslos, die Augen geschlossen, nach Luft ringend … und war heiß auf ihn. Einen Moment später spürte sie ihn, hart und groß, und sie öffnete die Augen. Er hatte sich ausgezogen, während sie die Augen geschlossen hatte, und war jetzt so nackt wie sie.

„Der Schal“, flüsterte sie und hielt die gefesselten Hände hoch. „Nimm ihn ab.“ Sie sehnte sich ebenso danach, ihn zu streicheln, wie sie gestreichelt werden wollte. Sie wollte geben, nicht nur nehmen.

Er stützte sich mit den Händen ab und blickte auf Dixie hinunter. Und aus seinem Blick sprach nur noch heißes Verlangen und etwas, was wie Verzweiflung aussah.

Er drang in sie ein. Sein Gesicht verkrampfte sich, und er stöhnte. Und dann löste er mit bebenden Händen den Schal.

Sie atmete erleichtert auf und griff nach ihm. Und den letzten Teil der Reise ins Paradies unternahmen sie gemeinsam. Es war eine kurze, schnelle Reise, und auch wenn ihr zweiter Orgasmus nicht so heftig war wie der erste, so war er doch höchst befriedigend.

Anschließend lag sie lange da, sein schwerer Körper auf ihrem, und streichelte ihn im Licht der verlöschenden Glut.

Schweißperlen liefen über Coles Stirn und brannten in seinen Augen, als er über den Pfad in der Nähe seiner Hütte joggte. Er hatte sein Schweißband vergessen – hatte nur seine Shorts, T-Shirt und Turnschuhe angezogen und war dann losgerannt.

Der Morgen war gerade erst angebrochen, und die Sonne ging am Horizont auf. Es war kühl – oder war es gewesen, bevor er losgelaufen war.

Zu spät hallte bei jedem Schritt in seinem Kopf wider. Er lief noch schneller.

Was war er nur für ein Idiot gewesen! Zu glauben, dass er mit Dixie einfach nur Spaß haben konnte. Zu denken, Liebe sei etwas, was er mit dem Verstand regeln konnte. Als könnte man ihr einfach aus dem Weg gehen, so wie man einem heranrasenden Wagen aus dem Weg ging. Nein danke, heute will ich nicht überfahren werden.

Zu spät.

Oder, dass die Liebe ein Spiel war. Das Abenteuer mit dem Schal war ein Spiel gewesen – ein sehr erotisches Spiel. Sicher, es war auch ein Mittel gewesen, dem Sex damit noch mehr Würze zu verleihen. Dixie sollte so scharf auf ihn sein, dass sie gar nicht auf die Idee kam, ihn zu verlassen.

Irgendwann aber war aus dem Spiel Ernst geworden, und er hatte sie an sich binden wollen. Für immer.

Zu spät.

An diesem Morgen war er aufgewacht und hatte die Hand nach ihr ausgestreckt. Natürlich war sie nicht da gewesen. Cole hatte sie vergangene Nacht zurück nach The Vines gebracht – eine Aktion aus der Panik geboren, wie er sich eingestand. Wahrscheinlich schlief sie noch. In dem Zimmer, aus dem er vor Jahren ausgezogen war.

Zu spät, dachte er und blieb stehen. Er beugte sich nach unten, stützte die Hände auf die Schenkel und atmete tief durch. Vielleicht war es von dem Moment an zu spät gewesen, als sie nach elf Jahren Abwesenheit wieder sein Büro betreten hatte.

Er war in Dixie verliebt. Total verliebt. Und er rannte, weil er vor seinen Gefühlen wegrennen wollte. Vor ihr. Was natürlich unmöglich war. Er konnte nicht fliehen. Weder vor der Liebe noch vor der Angst, von Dixie wieder verlassen zu werden.

Vielleicht vor der Angst. Indem er sie verließ und nicht wartete, bis sie genug von ihm hatte.

Cole hatte als Kind Angst gehabt, zum Zahnarzt zu gehen. Als er zehn war, erkannte er, dass die Angst genauso schlimm war wie die Behandlung selbst, vielleicht sogar schlimmer. Er hatte die Angst nicht besiegt, aber er zögerte die Zahnarztbesuche nicht mehr hinaus. Irgendwann musste er sowieso dorthin, warum also warten und die Angst mit sich herumschleppen?

Aber Zahnarztbesuche konnten wirklich nicht vermieden werden. War es genauso unvermeidlich, Dixie zu verlieren?

Nein.

Da waren die Geschenke, die sie ihm gemacht hatte. Die Orchidee und die Schokolade und die Manschettenknöpfe. Erst gestern hatte sie ihm eine alberne Karte geschenkt, auf der stand: „Bitte merken! Frauen lieben es, Karten zu bekommen. Du bekommst Pluspunkte für eine Karte, die du selbst geschrieben hast.“

Er hatte sich eingeredet, dass diese Geschenke zu ihrem Spiel gehörten. Doch vielleicht bedeuteten sie mehr. Ihm selbst waren sie unter die Haut gegangen, waren tief in sein Innerstes gedrungen, wo Worte nicht mehr hinkamen.

Und dann waren da die Art, wie sie zusammen lachten, und die Lebensfreude, die er mit ihr zusammen empfand. Und manchmal, wenn sie ihn ansah, schien ihr Gesicht zu strahlen – nicht vor Verlangen, sondern voller Wärme. War das nur Freundschaft? Und als sie vergangene Nacht die Hände nach ihm ausgestreckt hatte, als er in sie eindrang … das hatte sich sehr nach Liebe angefühlt.

Wenn er es nur wüsste!

Cole wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Langsam lief er zurück zu seiner Hütte. Er könnte Dixie fragen, was sie für ihn empfand. Das wäre das einzig Richtige, aber es war auch beängstigend. Denn was würde es beweisen? Selbst wenn sie beteuerte, leidenschaftlich in ihn verliebt zu sein, könnte er ihr glauben? Auch damals hatte sie von Liebe gesprochen. Trotzdem war sie gegangen.

Er musste sich ihrer sicher sein. Egal, wie alles ausging, er musste es wissen.

Er legte einen Schritt zu und stellte einen Plan auf.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte Cole ins Telefon und rieb sich den Nacken mit der freien Hand. „Das kam vollkommen unerwartet, und ich kann den Termin nicht absagen.“

Schweigen.

Er hatte Dixie seit zwei Tagen nicht gesehen, zu viel Arbeit, hatte er als Entschuldigung vorgeschoben. Schließlich hatte er viel Zeit mit ihr verbracht und musste deshalb einiges nachholen. Es stimmte teilweise, doch in Wirklichkeit wollte er sehen, wie sie reagierte.

Ein dringender Geschäftstermin hatte jedoch nicht zu seinem Plan gehört. „Ich mache es wieder gut“, versprach er. „Wir gehen am Freitag zusammen aus. Vielleicht in den neuen Club …“

„Freitagabend bin ich bei meiner Tante.“

Richtig. „Okay. Donnerstag. Wir unternehmen, was auch immer du willst.“

Weiteres Schweigen, dann: „Es geht wieder genauso los wie damals.“

„Verdammt, Dixie, ich habe diesen Kerl nicht aus der Luft gezaubert. Er ist der Repräsentant eines wichtigen Großhändlers, und wenn er mit mir über die Auslieferung unseres neuen Chardonnay sprechen möchte, dann werde ich mich verdammt noch mal mit ihm treffen. Er hält sich nur diesen einen Tag in der Stadt auf.“

„Und niemand sonst kann sich darum kümmern?“

„Lucas liegt mit einem Magen-Darm-Infekt im Bett. Mercedes und Jillian wissen zu wenig über die Produktion und welche anderweitigen vertraglichen Verpflichtungen wir haben. Und Eli wüsste nicht, welchem Mengenrabatt er zustimmen könnte. Er ist kein Verkäufer.“

„Irgendwie habe ich dieses blöde Déjà-vu-Gefühl. Du versteckst dich hinter der Arbeit und findest Entschuldigungen, um dich zurückzuziehen.“

„Sei doch nicht kindisch“, fuhr er sie an. „Ich kann nicht jede Minute um dich herumscharwenzeln.“

Das plötzliche Freizeichen im Ohr ließ ihn zusammenzucken. Weiter so, Ashton. Doch die Schwere, die er in ihrer Stimme gehört hatte, verfolgte ihn, als er sich für das Meeting fertig machte. Es hatte sehr nach Tränen geklungen.

„Dixie?“ Mercedes blieb in der Tür stehen. „Was ist los?“

„Nichts.“ Wütend, dass sie beim Weinen ertappt worden war, wischte sie die Tränen weg.

„Okay“, sagte Merry trocken und trat in Dixies Zimmer – das Zimmer, das Cole einmal gehört hatte. „Du bist sentimental, weil National Oatmeal Month ist.“

„Das setzt mir immer zu.“ Dixie schniefte. „Und dann kommt der National Opposites Day.“

„Und Benjamin Franklins Geburtstag. Ein weiterer Grund.“

Dies war ein Spiel, das sie schon zu Collegezeiten gespielt hatten, als Entschuldigung, um shoppen gehen, Schokolade essen oder lange schlafen zu können. Der Kongress ruft ständig irgendwelche unsinnigen Spezialfeiertage ins Leben, um die sich niemand kümmert, hatte Dixie damals zu Merry gesagt, und es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Tage beachtet werden.

„Haben wir eigentlich schon den wichtigen Tag der Umarmung?“ Dixie lächelte unter Tränen.

„Bald.“ Merry trat zu ihr und umarmte sie. „Besser? Und jetzt erzähl, was dich wirklich bedrückt. Deine Arbeit?“

Dixie schüttelte den Kopf. Nein, ihre Arbeit machte gute Fortschritte, so gute, dass sie die letzten Skizzen sogar schon hinauszögerte, um eine Entschuldigung zu haben, noch länger auf The Vines zu bleiben.

Merry setzte sich neben ihre Freundin aufs Bett. „Deine Tante?“

„Diesmal nicht. Dein Bruder.“

„Oh. Ich dachte, bei euch läuft alles gut. Erzähl mir, was los ist. Aber nichts, was mit Sex zu tun hat“, fügte sie hastig hinzu. „Ich will nichts über dein Liebesleben hören, solange es mein Bruder ist, mit dem du Sex hast.“

„Nein, nein. Das ist auch nicht das Problem. In der Hinsicht könnte ich vor Glück weinen.“

Merry verzog das Gesicht.

„Okay. Kein Sex. Die Sache ist die … ach, eigentlich weiß ich es gar nicht.“

Sie stand auf und lief im Zimmer auf und ab. „Er gibt mir so unterschiedliche Signale. Ich werde versuchen, nicht über Sex zu sprechen, aber es gehört auch dazu. Wenn wir zusammen schlafen, habe ich das Gefühl, ihm wirklich wichtig zu sein. Aber wenn ich die Zukunft erwähne, wird er unverbindlich und zieht sich emotional zurück.“

Meinetwegen können wir die Affäre fortsetzen. Sie schniefte wieder, diesmal aber mehr aus Wut. Der Kommentar war nicht besonders charmant gewesen.

„Männer haben Probleme, sich zu binden“, meinte Merry. „Es dauert bei ihnen länger, bis sie zugeben, was sie empfinden. Ihr beide seid noch nicht lange zusammen, Dixie.“

„Ich weiß, aber … ach, alles, was ich jetzt sagen könnte, klingt so trivial. Ich habe ihn seit zwei Tagen nicht gesehen, und er hat gerade unser Dinner für heute Abend abgesagt. Das sollte keine große Sache sein, und trotzdem … mich stört nicht das, was er tut, sondern wie er es tut. Es ist genau wie damals“, sagte sie traurig. „Genau wie vor elf Jahren. Ich spüre, wie er eine Mauer um sich herum errichtet.“

Und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Kein Zuspruch auf der Welt konnte den Schmerz aufhalten. Oder die Zweifel. Wie sollte sie selbst daran glauben, dass sie auf Cole zählen konnte, wenn er sie ohne ersichtlichen Grund plötzlich auf Distanz hielt?

Merry schwieg für einen Moment. Dann sagte sie: „Das ist typisch für Cole. Er baut diese große, hohe Mauer um sich, weil er, aus Angst, verlassen werden zu können, niemanden nah an sich heranlassen will.“

Dixie ließ sich wieder auf das Bett fallen. „Und dieses Verhalten macht wiederum mir Angst.“

„Dann gibt es nur eines – mach es wie ich. Triff dich nur mit Verlierertypen. Da tut eine Trennung nicht weh.“

„Wo du gerade Craig erwähnst … ich wollte sowieso mit dir über ihn sprechen“, begann Dixie.

„Nein, nicht heute. Du kannst mir Ratschläge in Liebesdingen geben, wenn dein eigenes Liebesleben wieder in Ordnung ist.“

„Du meinst, wenn ich siebzig bin?“

„Wenn du Glück hast.“

Dixie seufzte. Cole hatte versprochen, dass sie sich morgen Abend treffen würden. Vielleicht sollte sie ihn drängen, einmal offen mit ihr zu reden. Oder erreichte sie damit das Gegenteil?

Egal. Sie würde sich schon etwas einfallen lassen. „Wie wäre es, wenn wir beide heute Abend ausgehen?“

„Tut mir leid. Mittwochs treffe ich mich immer mit Jared. Früher waren wir zu dritt, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir haben diesen Termin auch nach Chloes Tod aufrechterhalten. Es schien ihm vor allem am Anfang sehr zu helfen, dass er jemanden hatte, mit dem er über sie sprechen konnte. Mittlerweile sind wir gute Freunde geworden.“

Dixie warf ihr einen neugierigen Blick zu. Chloe war eine Freundin aus Collegetagen. Sie und Merry waren auch nach dem Examen eng befreundet geblieben, da sie nicht weit auseinander wohnten. Doch ein fester Termin zum Dinner mit dem Witwer noch sechs Jahre nach Chloes Tod? Das klang nach mehr als nur Freundschaft … aber da hielt sie sich besser heraus.

Merry hatte recht. Sie musste erst einmal ihr eigenes Liebesleben in Ordnung bringen, bevor sie sich um das anderer Leute kümmerte.

Am Donnerstagnachmittag starrte Cole auf das Fax in seiner Hand. Er konnte nicht mehr klar denken. Regentropfen trommelten gegen die Fensterscheibe. Die einzige Lichtquelle war seine Schreibtischlampe. Alles andere war mit dem einsetzenden Unwetter in Dunkelheit getaucht.

Er schüttelte den Kopf. Das konnte nicht stimmen. Es musste ein Irrtum sein. Er griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Detektivs, der die Nachforschungen über Grant Ashton angestellt hatte.

Eine Viertelstunde später war die Benommenheit vorüber. Stattdessen war er wütend geworden. Unzählige Fragen schossen ihm durch den Kopf – und über allem lag eine unglaubliche Fassungslosigkeit.

Der Detektiv würde ihm eine Rechnung schicken. Wie sollte er den Scheck unterschreiben? Cole Ashton – der war er, der war er sein ganzes Leben gewesen.

Er hätte Cole Sheppard werden können, als er zehn war. Lucas wollte ihn damals adoptieren, doch Spencer hatte seine Einwilligung nicht gegeben. Er hatte seine Kinder nicht gewollt, aber er wollte auch nicht, dass sie den Namen eines anderen Mannes trugen.

Und jetzt hatte dieser Mann Coles ganzes Leben in eine Lüge verwandelt.

Cole schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Verdammter Mistkerl!“ Er sprang auf, nahm seine Jacke und stürmte zur Tür.

Und er bemerkte nicht, dass er mit der Jacke gegen die Orchidee auf seinem Tisch schlug und sie zu Boden stieß.

10. KAPITEL

Cole fuhr stundenlang. Fuhr, bis aus der Wut Verbitterung und dann Fassungslosigkeit wurde. Und bis Fragen aufkamen, von denen er viele nicht hier hinter dem Steuer beantworten konnte. Irgendwann hielt er vor einem Motel und schlief, bevor er sich und vielleicht noch andere Menschen in Gefahr brachte.

Stunden später weckte ihn der Lärm des Verkehrs. Licht fiel ins Zimmer. Er war vollständig angezogen, die Matratze war hart, und an der Zimmerdecke war ein Wasserfleck.

Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war und wie er dorthin gekommen war. Nur langsam kehrte die Erinnerung zurück. Und noch etwas wurde ihm bewusst.

Heute war Freitag. Der Tag, der üblicherweise dem Donnerstag folgte – der Tag, an dem er mit Dixie ausgehen wollte. Er hatte es ihr versprochen.

Er stöhnte. Schlechter hätte das Timing nicht sein können.

Sie würde es verstehen, redete er sich ein, während er duschte. Das Wasser war nicht besonders heiß, aber die Dusche war einigermaßen sauber. Es krabbelten nicht allzu viele Tierchen herum, was angesichts des Zustandes seiner Herberge ein Wunder war.

Wo befand er sich überhaupt? Er wusste nicht einmal genau, in welchem Teil des Staates er gelandet war. Nein, Moment – er erinnerte sich schwach, dass er die Grenze überquert hatte, kurz bevor er rechts herangefahren war. Er war in Nevada. Irgendwo in Nevada. An der Rezeption würden sie es ihm sagen.

Immer wieder musste er an Dixie denken. Sie würde ihn verstehen, wenn sie erfuhr, warum er die Verabredung vergessen hatte.

Angezogen, etwas niedergeschlagen und vor allem ziemlich verzweifelt, versuchte er, sie anzurufen. Doch das Telefon neben seinem Bett funktionierte nicht, und sein Handy hatte er vergessen. Er war aus seinem Büro gerannt, ohne irgendetwas außer seiner Jacke und den Gegenständen in seinen Hosentaschen mitzunehmen.

Er war weggelaufen, ohne Dixie anzurufen.

Sie würde ihn fragen, weshalb. Sicherlich würde sie verstehen, dass er total erschüttert gewesen war. Sie war eine mitfühlende Frau. Aber sie würde sich fragen, warum er nicht auf die Idee gekommen war, mit ihr über die Geschichte zu sprechen.

Und das fragte er sich auch.

Cole tankte den Wagen voll, kaufte sich zum Frühstück einen Burrito und einen großen Becher Kaffee und verließ dann die winzige Stadt Basalt, Nevada. Er hielt erst wieder an, als er fünf endlos lange Stunden später vor dem Haus seiner Eltern vorfuhr.

Vergangene Nacht war er länger unterwegs gewesen, aber er hatte auch kein Ziel vor Augen gehabt. Zeit hatte keine Rolle gespielt. Jetzt spielte sie eine sehr große Rolle.

Tilly begrüßte ihn freudig, als er aus dem Wagen stieg. Cole bekam ein schlechtes Gewissen. Sicher, irgendjemand hatte inzwischen den Hund gefüttert. Doch wahrscheinlich machten sich alle Sorgen um ihn, weil er ohne ein Wort verschwunden war.

Er nahm sich einen Moment Zeit, seinen Hund zu streicheln, und lief ins Haus. Es war zwei Uhr nachmittags, und Dixie würde arbeiten – was bedeutete, dass sie überall sein konnte. Da sie ihre Staffelei aber auf der überdachten Veranda aufgestellt hatte, sah er dort zuerst nach.

Kein Zeichen von ihr. Oder sonst jemandem. Es schien überhaupt niemand zu Haus zu sein.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er die Treppe hinauf, um in ihrem Zimmer nachzusehen. Nur für alle Fälle.

Keine Spur von Dixie, aber er traf Mercedes. Sie packte gerade Dixies Sachen.

Cole blieb wie versteinert in der Tür stehen. Schwach und weit entfernt hörte er das Echo, das ihn beim Joggen vor drei Tagen verfolgt hatte: zu spät, zu spät, zu spät.

Sorgfältig legte Mercedes eine Hose zusammen und packte sie in den Koffer. Dann richtete sie sich auf und warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu. „Es wird auch Zeit, dass du kommst! Wo um alles in der Welt bist du gewesen?“

„Das erzähle ich dir später.“ Er würde es tun. Sie alle mussten es wissen. Doch im Moment war er wie erstarrt und bekam kaum ein Wort heraus. „Wo ist sie?“

„Weg, wie du siehst“, sagte Mercedes schnippisch.

„Merry.“ Er trat zu ihr und legte die Hände auf ihre Schultern. „Ich muss sie finden. Unbedingt. Wo ist sie hingegangen?“

Mercedes betrachtete ihn. Ihre Gesichtszüge wurden weicher, und aus ihrer Wut wurde Sorge. „Sie ist nicht abgehauen, weil du ein Mistkerl bist. Du bist zwar einer, aber deswegen ist sie nicht gegangen.“

Er spürte, dass etwas geschehen war, und erstarrte. „Warum dann?“

„Ihre Mutter hatte gestern einen Herzanfall.“

„Oh nein.“ Cole schloss eine Sekunde die Augen. „Ist sie …“

„Glücklicherweise war es nur ein leichter Anfall. Sie ist jetzt im Krankenhaus. Der Arzt sagt, es besteht keine Gefahr. Aber das ist noch nicht alles. Sie hat selbst den Notarzt angerufen, als es ihr schlecht ging. Nur …“ Mercedes schluckte. „Sie war in dem Moment gerade bei Jody. Und bei der ganzen Hektik und dem Durcheinander ist Jody weggelaufen.“

„Oh Gott.“ Cole dachte an den Sturm vergangene Nacht. „Sag nicht, dass sie immer noch weg ist.“

„Doch. Seit fast vierundzwanzig Stunden.“

Dixie saß an dem Tisch in der Küche ihrer Tante, den Kopf in die Hände gestützt. Vor ihr ausgebreitet lagen Karten – eine große topografische Karte, ein Stadtplan, eine Karte vom gesamten County. Sie wusste nicht, was sie noch tun sollte, wo sie noch suchen sollte. Wie weit konnte eine demenzkranke Frau gehen?

Das Telefon klingelte. Sie trug es immer bei sich, deshalb nahm sie sofort den Anruf entgegen. „Ja?“

Es war Jillian. Alle waren so bemüht. Auf Louret tat sich seit vierundzwanzig Stunden praktisch nichts mehr, weil alle – einschließlich der Polizei – nach Jody suchten. Bisher jedoch ohne Erfolg.

Jeder suchte … nur Cole nicht. Der war genauso spurlos verschwunden wie ihre Tante.

Seine Mutter hatte Dixie gesagt, sie sollte sich keine Sorgen um ihn machen. „Das macht er manchmal“, hatte sie gemeint. „Wenn Cole ein Problem hat, fährt er häufig ziellos durch die Gegend, um in Ruhe nachzudenken.“

Dixie wusste, mit welchem Problem er sich herumschlug. Sie selbst war das Problem. Offensichtlich sogar ein großes, denn er hatte sie nicht nur versetzt, sondern war sogar die ganze Nacht weggeblieben. Irgendwann gegen Mitternacht im Krankenhaus hatte sie beschlossen, das Problem für ihn zu lösen. Wenn ihm die Entscheidung schon so schwerfiel, ob er überhaupt zum Dinner mit ihr gehen wollte …

Müde blickte sie auf, als die Hintertür geöffnet wurde. Sicherlich war es einer vom Suchtrupp.

Es war Cole.

Ihr wurde heiß, im nächsten Moment kalt. Eine Sekunde lang fürchtete sie sogar, ohnmächtig zu werden. Sie sah weg.

„Kein Wort?“, fragte er leise.

Sie schüttelte den Kopf und blickte auf den Tisch. Sie hatte zu wenig geschlafen, das war alles. Ein paar Stunden auf der harten Couch im Wartezimmer des Krankenhauses. Sie brauchte Cole nicht. Nicht, nachdem er ihr so deutlich gezeigt hatte, wie berechtigt ihre Zweifel gewesen waren.

Aber vielleicht brauchte ihre Tante ihn. Auf der topografischen Karte steckten bunte Buttons. Jeder stand für einen Suchtrupp. Sie räusperte sich. „Wenn du hier bist, um bei der Suche nach Aunt Jody zu helfen, schön. Ich teile dir ein Gebiet zu. Wenn du aus einem anderen Grund hier bist, dann kannst du gleich wieder gehen.“

„Ich werde bei der Suche helfen. Aber zuerst möchte ich wissen, wie es dir geht.“

„Gut.“ Warum mussten ihr ausgerechnet in diesem Moment Tränen in die Augen schießen und sie verraten? „Es wird schon wieder gut. Du kannst hier suchen, das Gebiet um die Waters Street herum.“ Sie zeigte auf den Stadtplan. „Dort ist zwar schon gesucht worden, aber es gibt da einen Coffeeshop …“ Ihr versagte die Stimme. Leise schloss sie: „Vielleicht hat sie dorthin gefunden.“

„Ach, verdammt, Liebes.“ Er eilte zu ihr, zog sie vom Stuhl und schloss sie in die Arme.

Sie schlug mit den Fäusten gegen seine Brust. „Nenn mich nicht Liebes! Verdammt, wo … wo …“ Sie konnte nicht weitersprechen. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie schluchzte laut. „Wir waren verabredet! Ich habe dich gestern Abend so sehr gebraucht, und du bist einfach verschwunden.“

„Ich weiß, Darling. Es tut mir wirklich leid. Wein dich aus. Schlagen und hassen kannst du mich später.“

Zuerst versuchte sie, sich aus seiner Umarmung zu befreien, doch er hielt sie fest. Vielleicht gab sie auch einfach auf. Es tat so gut, seine Arme um sich zu spüren, sich an ihn lehnen zu können. Also weinte sie.

Es dauerte nicht lange. Dixie verstand nicht, wie manche Menschen stundenlang weinen konnten – wenn sie weinte, dann kurz und heftig. Und genauso schnell war es wieder vorbei. Wie ein Sturm in der Wüste.

Kaum waren die Tränen versiegt, löste sie sich aus Coles Umarmung. Eigentlich wollte sie es gar nicht, was sie wiederum wütend machte. Sie wischte sich übers Gesicht, schniefte und sah sich nach Papiertaschentüchern um.

Cole reichte ihr ein Päckchen.

„Danke“, sagte sie so kühl wie möglich. Sie putzte sich die Nase.

„Hast du geschlafen?“

„Ein bisschen. Und bevor du etwas sagst, ich werde mich jetzt nicht hinlegen. Das kann ich später. Jetzt nicht.“

Er betrachtete einen Moment lang ihr Gesicht. „Okay. Ich werde dir erzählen, was gestern Abend passiert ist, aber nicht jetzt. Wie geht es deiner Mutter? Ich könnte hier die Stellung halten, damit du erst einmal zu ihr kannst.“

„Sie hat mich gerade hierher zurückgeschickt und gesagt, dass ich schlafen soll – als wenn ich das jetzt könnte.“ Dixie schnäuzte sich ein letztes Mal, dann warf sie das Taschentuch in den Müll. „Es ist lächerlich! Sie macht sich Vorwürfe, als hätte sie den Herzanfall besser timen können!“

Cole nickte. „Du bist doch genauso.“

„Was willst du damit sagen?“

„Erzähl mir nicht, dass du nicht auch davon überzeugt bist, dass du dies irgendwie hättest verhindern können. Vielleicht glaubst du, du hättest gestern Abend bei Jody sein sollen. Du hattest zwar keine Ahnung, dass du gebraucht würdest, aber du hättest es dir denken können. Vielleicht meinst du auch, du hättest instinktiv wissen müssen, dass deine Mutter einen Herzanfall erleiden würde. Oder …“

„Verstehe.“ Ein flüchtiges Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Es ist nicht mein Fehler. Das weiß ich, trotzdem …“ Sie rieb sich müde die Stirn. „Der Gedanke, dass Jody irgendwo da draußen herumirrt, ist einfach schrecklich. Sie muss solche Angst haben. Vielleicht ist sie sogar verletzt, oder …“

„Es ist schwer, nicht an so etwas zu denken. Ich weiß. Komm, setz dich“, sagte er und nahm ihren Arm. „Hast du etwas gegessen?“

Sie ließ sich von ihm zu einem Stuhl führen. „Deine Mutter hat mich vor ein paar Stunden gezwungen, ein Sandwich zu essen.“ Jetzt musste sie wirklich lächeln. „Es ist unglaublich, dass eine so sanftmütige Frau wie deine Mutter gleichzeitig so schrecklich unnachgiebig sein kann.“

„So ist sie eben.“ Er wühlte in den Schränken. „Was hältst du von einem Kaffee? Du fühlst dich dadurch zwar nicht besser, aber vielleicht etwas munterer.“

Ein Kaffee wäre jetzt wirklich nicht schlecht. „Okay.“ Sie hatte Cole noch nicht verziehen, aber sie brachte im Moment einfach nicht die Energie auf, ihn zu hassen. „Der Kaffee ist in dem Schrank über dem Spülbecken. Koch bitte gleich eine große Kanne“, fügte sie hinzu. „Den ganzen Morgen tauchen hier unglaublich viele Menschen auf.“

Schweigend kochte er den Kaffee. Als er fertig war, setzte er sich mit einer Tasse zu ihr und ließ sich von Dixie erzählen, wer alles suchte, wo sie suchten und welche Gebiete schon durchsucht waren. Sie wurde etwas ruhiger, denn sie spürte, dass sie alles getan hatte, was sie tun konnte.

In den nächsten Stunden kam einer der Polizisten vorbei und trank eine Tasse heißen Kaffee. Er berichtete, was der offizielle Suchtrupp unternahm. Das Telefon klingelte einige Male – Mercedes rief an, um zu sagen, dass sie auf dem Rückweg war, dann ein Telefonverkäufer, den Dixie wütend anschnauzte.

Cole schien bleiben zu wollen. Instinktiv spürte er, wann er sprechen und sie ablenken musste und wann er besser schwieg. Als sie wieder im Zimmer unruhig auf und ab lief, beschloss sie, ihn wegzuschicken. „Du könntest vielleicht noch einmal in diesem Supermarkt an der Waters Street suchen.“

„Das mache ich.“ Er trank noch einen Schluck von seinem Kaffee. „Sobald Mercedes hier ist.“

„Ich brauche keinen Babysitter.“

„Du solltest jetzt aber auch nicht allein sein.“

Sie wollte ihn gerade anschnauzen, als das Telefon erneut klingelte. Sie zog eine Grimasse. „Wenn das wieder so ein Telefonverkäufer ist …“

„Ich gehe dran.“ Er griff nach dem Telefon, bevor sie es tun konnte. „Hallo?“

Noch bevor er etwas sagen konnte, wusste Dixie, dass er gute Nachrichten entgegennahm. Sein Gesicht sprach Bände. „Das ist wundervoll. Ja … natürlich. Wir kommen sofort.“ Er legte den Hörer auf und stand mit einem Strahlen im Gesicht auf. „Sie ist in einer Zeitungsredaktion in Napa. Weiß der Himmel, wie sie dort hingekommen ist. Aber es geht ihr gut. Sie haben ihr Donuts gegeben. Sie ist müde und quengelig, und sie will nicht gehen“, fügte er trocken hinzu. „Sie glaubt, sie arbeitet dort.“

Dixie schloss die Augen. Eine Woge der Erleichterung durchströmte sie. „Das hat sie auch getan. Vor dreißig Jahren.“

Cole fuhr Dixie zu der Redaktion. Auf dem Weg dorthin tätigte sie einige Telefonate und informierte jeden, der nach Jody suchte, dass sie gefunden worden war.

Jody war in das Büro marschiert, als gehörte sie dorthin. Sie bewegte sich so sicher, dass die Empfangsdame Jody trotz ihres schmuddeligen Äußeren nicht aufhielt. Mitten in dem Großraumbüro blieb sie stehen und erkundigte sich unwirsch danach, was mit ihrem Schreibtisch geschehen sei. Eine der Reporterinnen erkannte in ihr die gesuchte Frau. Sie setzte sie an eine alte Schreibmaschine, damit sie „arbeiten“ konnte, und verständigte dann die Polizei.

Cole half, Jody zu überreden, den Arbeitsplatz heute einmal frühzeitig zu verlassen, flirtete mit ihr und sprach beruhigend auf sie ein, als sie jähzornig reagierte, weil sie über Nacht zur Beobachtung in ein Krankenhaus sollte.

Jody mochte keine Krankenhäuser. Sie war jedoch etwas besänftigt, als sie erfuhr, dass ihre Schwester auch dort war, und schlief gleich nach dem Mittagessen ein. Vierundzwanzig harte Stunden lagen hinter ihr. Wahrscheinlich wäre sie an Unterkühlung gestorben, wenn sie am Abend zuvor nicht ein unverschlossenes Auto gefunden hätte. Sie hatte sich auf dem Rücksitz zusammengerollt und geschlafen.

Ihre Version der Geschichte hörte sich allerdings anders an. Zum ersten Mal hatte die Alzheimer-Erkrankung etwas Positives – Jody erinnerte sich nicht daran, dass sie sich verirrt und schreckliche Angst gehabt hatte. Sie glaubte, dass sie gerade auf dem Weg zu Arbeit war, als der Regen einsetzte. Sie hatte angehalten und war eingeschlafen. „Und dann wollte der verdammte Wagen einfach nicht wieder anspringen“, schimpfte sie. „Deshalb bin ich ausgestiegen und gelaufen.“

Gott allein wusste, wie lange sie gelaufen war, bis sie etwas entdeckte hatte, was ihrem verwirrten Gehirn vertraut erschien – die Zeitungsredaktion – und hineingegangen war. Merkwürdig, dachte Dixie, aber einige Eigenschaften an ihrer Tante hatten sich nicht geändert. Wie ihr unbezähmbarer Wille. Sie hatte vielleicht nicht gewusst, wo sie war, wie sie dort hingekommen war und wie sie wieder nach Hause fand, aber sie hatte nicht aufgegeben.

Es war komisch, zwischen zwei Krankenhauszimmern hin- und herzugehen. Dixie und ihre Mutter lachten darüber und waren sich einig, dass das Krankenhaus die beiden Schwestern zumindest auf denselben Flur legen sollte, damit die Besucher es einfacher hatten.

Dixie lief es immer noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn sie daran dachte, was hätte passieren können. Sie wünschte, sie könnte die Besitzer des Wagens finden und ihnen danken, dass sie nicht abgeschlossen hatten. Sie wünschte … ein herzhaftes Gähnen schaltete ihre unklaren Gedanken aus.

„Wir sind da“, sagte Cole und fuhr in die Einfahrt von Jodys Haus.

Es war zehn Uhr abends nach einem außergewöhnlich langen Tag und einer schlaflosen Nacht. Dixie war todmüde. Trotzdem merkte sie, dass auch Cole ausstieg.

Auf der Veranda blieb Dixie stehen und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Sie sollte seine Hand schütteln, ihm danken und ihn dann in die Wüste schicken. Das wäre das Vernünftigste … aber sie war schrecklich müde. Und es war so schön, dass er hier war.

Sein schiefes Lächeln zeigte ihr, dass er wusste, was in ihr vorging. „Komm, du müde Kriegerin“, sagte er, legte den Arm um ihre Schulter und schob sie ins Haus. „Morgen kannst du weiterkämpfen. Jetzt brauchst du erst einmal deinen Schlaf.“

Sie ließ sich von ihm ins Haus führen und befreite sich aus seiner Umarmung. „Du schläfst weder mit noch bei mir“, erklärte sie ihm, als sie die Treppe hinaufwankte.

Er schien ihren Wunsch zu akzeptieren, denn er folgte ihr nicht hinauf. Gut so, sagte sie sich und verschwand in ihrem Zimmer. Wo hatte Merry nur den blöden Koffer hingestellt?

Egal. Sie zog sich aus und legte sich ins Bett. Die nächsten Stunden schlief sie tief und fest, bis auf den Moment, als sie kurz erwachte und Coles Arm an ihrer Taille spürte und seinen gleichmäßigen Atem in der Dunkelheit hörte.

Das war okay. Sie schlief wieder ein.

Dixie erwachte am nächsten Tag um zehn nach neun – ausgeruht, allein und verwirrt.

Sie blieb noch einige Minuten ruhig im Bett liegen und erinnerte sich an den vergangenen Tag. Und an die Nacht, in der nichts passiert war … und doch irgendwie. Während sie geschlafen hatte, hatte sich irgendetwas verändert.

Sie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Der Duft nach gebratenem Schinken stieg ihr in die Nase, und sie sah ihren Koffer. Hatte er die ganze Zeit vor ihrem Bett gestanden, oder hatte Cole ihn heraufgebracht?

Nachdenklich nahm sie ein paar Kleidungsstücke mit ins Badezimmer und duschte. Eine halbe Stunde später lief sie die Treppe hinunter.

Es überraschte sie nicht, Cole dort zu sehen. Er las die Zeitung. „Deine Mutter und deine Tante haben beide eine gute Nacht verbracht. Wir können Jody gegen Mittag abholen.“

Wir? Sie nickte vorsichtig und ging an die Kaffeemaschine. „Danke, dass du dich nach ihnen erkundigt hast.“

„Es hat mich auch interessiert. Der Kaffee ist noch ziemlich frisch“, fügte er hinzu und sah wieder in die Zeitung. „Aber der Schinken ist kalt. Möchtest du Eier?“

Sie verzog den Mund. Rühreier, das Einzige, was er in kulinarischer Hinsicht zu bieten hatte. „Mir reichen Toast und Schinken.“ Sie holte sich das Brot aus der Vorratskammer.

Beide schwiegen, während Dixie sich ein einfaches Frühstück zusammenstellte. Cole schienen das Schweigen und die Gesellschaft angenehm zu sein. Vielleicht war er aber auch einfach in seine Zeitung vertieft.

Dixie dagegen fühlte sich ungewöhnlich unwohl und aus dem Gleichgewicht gebracht. Seine Ruhe irritierte sie. „Steht irgendetwas Interessantes in der Zeitung?“, fragte sie, als sie Kaffee, Toast und Schinken an den Tisch brachte.

Lächelnd blickte er auf. „Interessierst du dich für den Dow Jones?“

„Nein.“

„Dann gibt es nichts Interessantes.“ Er vertiefte sich wieder in die Zeitung.

Sie widerstand dem Drang, ihm das Blatt aus der Hand zu reißen, gratulierte sich zu ihrer heroischen Selbstbeherrschung und widmete sich ihrem Frühstück.

Er hatte die Hintertür offen gelassen. Die Luft war frisch und überraschend warm, der Himmel klar und sonnig. Sie konnte das Zwitschern der Vögel hören, das Brummen der Autos vor dem Haus und das Lachen gemischt mit Springgeräuschen von nebenan. Die Kinder besaßen ein Trampolin.

Als sie ihr Frühstück beendet hatte, stellte sie den Teller in die Spülmaschine und brachte die Kaffeekanne mit an den Tisch. Sie schenkte sich eine zweite Tasse ein und füllte Coles. Und sprach. „Leg die Zeitung weg.“

Er blickte auf. Kurz darauf nickte er, machte ein ernstes Gesicht und faltete die Zeitung zusammen. „Darf ich etwas zu meiner Verteidigung sagen, oder werde ich sofort verurteilt?“

„Wir befinden uns noch im Ermittlungsstadium.“ Sie setzte sich ihm gegenüber, nippte an ihrem Kaffee und betrachtete ihn über den Rand ihrer Tasse hinweg. „Warum?“, fragte sie leise. „Warum bist du weggelaufen?“

Lange Zeit sah er sie einfach an, ohne etwas zu sagen. Schließlich nickte er. „Ich werde dir erzählen, was passiert ist – jetzt, wenn du willst –, aber es hat nichts mit dir zu tun. Vielleicht kannst du auch zu einem Urteil kommen, ohne mehr zu wissen.“

Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Warum erzählst du es mir nicht einfach?“

Er sah weg. „Dieses Geständnis fällt mir nicht leicht, aber du hattest recht. Ich habe mich mit Ausflüchten von dir ferngehalten. Und das habe ich absichtlich getan. Um dich zu testen.“

„Ich habe vermutlich versagt. Sonst wärst du nicht weggelaufen.“

„Nein.“ Er drehte sich zu ihr. „Ich habe dir doch schon gesagt, das hatte nichts mit dir zu tun. Ich habe etwas über meinen Vater herausgefunden. Etwas …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte zu dir gehen sollen. Aber ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, was nicht für die Art spricht, wie ich Probleme bewältige. Aber … alles, was ich zu meiner Verteidigung sagen kann, ist, dass ich Probleme mit ihm immer mit mir selbst ausgemacht habe. Ich habe so reagiert, wie ich es immer getan habe. Ich bin durch die Gegend gefahren, um allein damit fertig zu werden.“

Sie hatte Mitleid mit ihm. „Was hast du erfahren?“

Er reichte über den Tisch und ergriff ihre Hände. „Es ist nicht so wichtig, wie das, was ich endlich erkannt habe. Ich wollte, dass du mich liebst.“

Sie schluckte. „Cole …“

„Lass mich ausreden.“ Sein Griff wurde fester. „Ich wollte nicht nur, dass du mich liebst – ich wollte, dass du es mir beweist. Ich dachte, ich könnte mit der Unsicherheit nicht leben. Als ich gestern Morgen nach Hause kam, dachte ich, du hättest mich verlassen.“ Seine Stimme klang freudlos. „Damit war für mich alles klar. Ich hatte dich vertrieben.“

Er sprach jetzt schneller. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. „Ich konnte nur noch daran denken, dass ich dich zurückhaben wollte. Keine Tests, keine Garantien – das zählte alles nicht mehr. Ich wollte dich zurück. Schluss. Aus.“ Ihre Blicke trafen sich, dann zog er einen Mundwinkel hoch. „Und dann habe ich herausgefunden, dass du gar nicht meinetwegen abgereist bist.“

Dixie blinzelte einige Male. Sie hatte in den letzten Tagen schon genug geweint. „Nein, das bin ich nicht. Aber warum willst du mir nicht erzählen, warum du weggefahren bist?“

„Weil ich mich frage, ob du dasselbe getan hast wie ich“, sagte er leise. „Wolltest du mich auch testen? Hast du darauf gewartet, dass ich versage? Brauchst du Gründe, warum du mir überhaupt vertrauen solltest? Ich kann sie dir liefern, aber …“ Er schluckte. „Ich hoffe, dass du mir einfach vertraust. Denn das will ich in Zukunft auch. Ich liebe dich, und Liebe bedeutet Vertrauen, nicht Tests.“

In dem Moment erkannte sie, was sich geändert hatte, als sie schlief. Irgendwann hatte sie Cole nicht mehr gesehen, sondern nur noch ihre Angst. Und diese Angst war verblasst, als sich eine wirkliche Tragödie ereignete … und hatte sich ganz aufgelöst, als er bei ihr war.

Es war, als ginge die Sonne langsam auf. Sie breitete sich in ihrem Herzen aus und schickte ihre Strahlen in jede Zelle ihres Körpers. Ganz langsam erreichte sie auch ihr Gesicht, und Dixie lächelte strahlend. „Gut, denn ich bin total verliebt in dich.“

Er lachte laut auf. „Dann komm endlich zu mir, Frau! Was tust du so weit weg?“

Lachend stürzte sie sich in seine Arme. Endlich war sie angekommen.

EPILOG

„Glaubst du, deine Mutter wird mir jemals verzeihen?“, fragte Dixie. Sie lehnte sich vor und überprüfte im Spiegel an der Innenseite der Sonnenblende ihren Lippenstift. Es war fast acht Uhr abends. Sie kamen etwas zu spät – aber es war ein turbulenter Tag gewesen.

„Mach dir keine Gedanken“, erwiderte Cole. „Sie glaubt, wir hätten nur in Las Vegas geheiratet, weil ich es so wollte. Du bist fein raus.“

„Bei meiner Mutter ist es umgekehrt. Sie wirft mir vor, dass wir sie um eine Hochzeitsfeier gebracht haben. Also sind wir quitt.“ Sie klappte die Sonnenblende wieder hoch, blickte lächelnd auf den Ring an ihrem Finger und warf dann einen Blick zurück.

Tilly hatte sich auf dem Rücksitz zusammengerollt und schlief. Hulk lag in seiner Transportkiste, die jedoch offen war. Der Kater wollte auch nicht eingesperrt sein, wenn Tilly es nicht war. Allerdings wollte er die Sicherheit der Kiste nicht ganz aufgeben. Dass sie offen war, war ein Kompromiss.

Das Leben war voller Kompromisse. Dixie griff nach Coles Hand, als sie in die Einfahrt von The Vines einbogen. Das große Haus war hell erleuchtet und wirkte sehr einladend. „Alles okay?“, fragte sie leise.

Er nickte, ohne etwas zu sagen. Sie spürte seine Anspannung, als er ihre Hand drückte.

Bisher hatten nur seine Mutter und sein Stiefvater Kenntnis von dem Detektiv, den Cole engagiert hatte, und von dem, was der Mann herausgefunden hatte. Cole hatte es ihnen am Nachmittag erzählt, als sie aus Las Vegas zurückkehrten. Sie waren übereingekommen, die ganze Familie am Abend zusammenzutrommeln und es ihr mitzuteilen.

Was Cole ihnen zu sagen hatte, würde ihre Welt erschüttern. Niemand sollte so eine Nachricht aus zweiter Hand hören.

Auch Grant gehörte jetzt dazu. Vom Verstand her akzeptierte Cole die Verwandtschaft, gefühlsmäßig hatte er aber noch Probleme. Es fiel ihm schwer, brüderliche Gefühle für einen Mann zu entwickeln, der eigentlich ein Fremder war.

Mach dir deswegen keine Gedanken, hatte seine Mutter ihn beruhigt. Die Gefühle müssen sich langsam entwickeln. Alles in allem, dachte sie, kam er mit der Situation aber bemerkenswert gut zurecht. Sie war stolz auf ihn.

Caroline öffnete ihnen die Tür und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. Tilly und Hulk folgten ihnen ins Haus. Hulk forderte lautstark eine Erfrischung.

Caroline lachte. Auch wenn man ihren Augen eine gewisse Anspannung ansah, war ihr Lächeln warmherzig wie eh und je. „Ich sehe, ihr habt den Rest der Familie auch mitgebracht. Die anderen sind bereits im Wohnzimmer. Und Hulk, wenn du dich benimmst, dann habe ich etwas Leckeres für dich. Es gibt Kaviar.“

„Oh, bloß nicht. Nachher gewöhnt er sich noch an solche Delikatessen und frisst nichts anderes mehr!“, rief Dixie aus. Sie und Caroline machten sich plaudernd auf den Weg ins Wohnzimmer.

Cole war ruhig, was zuerst niemand bemerkte. Alle umarmten ihn und schimpften, dass er und Dixie heimlich geheiratet und sie um eine richtige Feier gebracht hatten. Dixie und Cole tauschte einvernehmliche Blicke.

Sie hatten so schnell geheiratet, weil sie sicher waren, dass sie das Richtige taten. Sie hatten nicht warten wollen – Cole sagte, er wollte das Risiko nicht eingehen, dass einer von ihnen wieder einen Fehler machte.

Nachdem Cole die Glückwünsche entgegengenommen hatte, stellte er sich in die Mitte des Raumes. „Mom hat euch wohl gesagt, dass wir eine Neuigkeit haben“, begann er.

„Wir hatten schon mit so etwas gerechnet!“, sagte Jillian und grinste. „Eine überstürzte Heirat, Neuigkeiten – wann werde ich Tante?“

Die anderen lachten. Erstaunlicherweise wurde Cole verlegen. Er schüttelte den Kopf. Sein Gesichtsausdruck ließ das Lachen verstummen. „Tut mir leid, aber damit können wir noch nicht dienen“, sagte er leise. „Es geht um etwas anderes. Anfangen muss ich mit etwas, das einigen von euch nicht gefallen wird. Ich habe einen Privatdetektiv damit beauftragt, Grants Behauptung zu überprüfen, dass er unser Halbbruder ist.“

Nein, es gefiel ihnen überhaupt nicht.

Grant war schließlich derjenige, der sie beschwichtigte. „Macht ihm keine Vorwürfe. Seine Handlungsweise ist verständlich und vernünftig. Zwar teuer“, fügte er trocken hinzu, „aber vernünftig.“

„Danke“, sagte Cole überrascht. „Es wird dich nicht überraschen, dass der Detektiv alles bestätigt hat, was du uns erzählt hast.“

„Warum dann dieses große Familientreffen?“, fragte Mercedes.

„Dazu komme ich jetzt. Ich habe Kopien des Berichts mitgebracht, falls ihr ihn sehen wollt. Im Wesentlichen steht dort, dass Spencer Ashton Sally Barnett in Crawly, Nebraska, geheiratet hat, genau wie Grant behauptet hat. Ein paar Monate später hat sie Zwillinge geboren, und er hat sie verlassen, als die Babys ein Jahr alt waren. Sally starb, als die Kinder zwölf Jahre alt waren. Ihre Eltern haben die Zwillinge großgezogen.“

„Komm zur Sache“, forderte Eli. „Das alles ist uns nicht neu. Außer vielleicht, dass Grants Mutter so früh gestorben ist.“ Er wandte sich an Grant. „Das tut mir leid. Ich wusste, dass sie nicht mehr lebt, aber ich wusste nicht, dass du so jung warst, als sie starb.“

Grant nickte. Mit leicht gerunzelter Stirn blickte er zu Cole.

„Es gibt da etwas, was Grant nicht erzählt hat, wahrscheinlich, weil er es selbst nicht weiß.“ Cole hielt inne. „Spencer hat Grants Mutter vor zweiundvierzig Jahren verlassen. Unsere Mutter hat er vor siebenunddreißig Jahren geheiratet. Aber er hatte eines vergessen. Er hat sich nie von seiner ersten Frau scheiden lassen.“

Es herrschte plötzlich Totenstille. Cole blickte in die Gesichter der Anwesenden – Leere, Schock, Fassungslosigkeit. „Der Detektiv hat alles sehr genau überprüft. Es gibt keine Scheidungsurkunde.“

„Aber … aber das bedeutet …“ Merry verstummte.

„Das bedeutet, dass die Ehe unserer Eltern ungültig ist. Ich habe keine Ahnung, welche Auswirkung das auf Regelungen hat, die bei der Scheidung getroffen wurden, durch die unser Vater alles bekommen hat. Und ich weiß auch nicht, ob der Nachname, der in unseren Geburtsurkunden steht, korrekt ist. Ich weiß nicht einmal, ob wir überhaupt Ashtons sind.“

IMPRESSUM

Liebe oder Karriere? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2005 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „A Rare Sensation“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 262 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747060

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG
1963

Spencer Ashton warf einen Blick auf seine Frau Sally und die zwei schreienden Babys auf ihrem Schoß, als er langsam über das Friedhofsgelände von Crawley fuhr. Verdammt, er freute sich unglaublich darauf, schon bald nicht mehr Sallys grenzenlose Liebe und Bewunderung und das unaufhörliche Geheule der Zwillinge ertragen zu müssen. Grant war nicht so schlimm. Der Junge hielt wenigstens gelegentlich den Mund. Aber Grace’ pausenloses Geschrei machte ihm das Leben zur Hölle. Und dieser Hölle wollte Spencer endlich entfliehen.

Im Rückspiegel sah er die Friedhofsarbeiter, die das frische Grab mit Erde auffüllten. Es war das Grab seines alles und jeden beherrschenden Vaters, der an einem Herzanfall gestorben war. Der Tod seines Vaters gab Spencer die lang ersehnte Freiheit. Jetzt konnte er Sally und die Zwillinge loswerden und Crawley, Nebraska, so weit hinter sich lassen, wie sein alter Ford und die hundert Dollar in seiner Tasche ihn brachten. Endlich konnte er seine eigenen Träume verwirklichen.

„Kannst du nicht dafür sorgen, dass das Gör endlich aufhört zu schreien?“, knurrte er, als das Geschrei des kleinen Mädchens an Lautstärke zunahm.

„Sie zahnt“, entgegnete Sally mit ihrer Singsangstimme, die ihm immer eine Gänsehaut verursachte. Sie gab dem Kind einen zärtlichen Kuss auf den kleinen Kopf und versuchte, es zu beruhigen. „Pst, nicht weinen, meine kleine Gracie. Daddy hört gar nicht gern, dass du Schmerzen hast.“

Spencer stieg jedes Mal die Galle hoch, wenn Sally von ihm als „Daddy“ sprach. Er hatte vielleicht die wehleidige Brut gezeugt, aber er war nie ihr Daddy gewesen und würde es auch niemals sein.

Er bog mit dem Truck in den staubigen Weg ein, der zur Barnett Farm führte. Glücklicherweise hatte Sallys Familie beschlossen, nach der Beerdigung noch in die Stadt zu fahren. Das erleichterte ihm sein Vorhaben und ersparte ihm die traurigen Blicke ihrer Eltern, mit denen sie ihn nervten, seit er gezwungen worden war, ihre Tochter zu heiraten und bei ihnen einzuziehen.

Spencer parkte den Truck, stieg aus und ging mit zielgerichteten Schritten auf das zweigeschossige Haus zu, das er als sein Gefängnis betrachtete. Er half Sally nicht mit den Zwillingen und blickte auch nicht zurück, um zu sehen, ob sie ihm folgte, als er die Treppe zur Veranda hinaufstieg und die Haustür öffnete. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte er in das Schlafzimmer, das Sally und er seit ihrer Hochzeit teilten, und zog einen abgenutzten ledernden Matchbeutel aus dem Schrank.

„Spencer, was machst du?“, fragte Sally. Sie war völlig außer Atem. Wahrscheinlich, weil sie die beiden Babys ohne Hilfe die Treppe heraufgeschleppt hatte.

Was soll’s, dachte er und stopfte einige Kleidungsstücke in den Sack. Sie würde sich daran gewöhnen müssen, alles ohne Hilfe zu erledigen.

„Ich gehe.“

Ein unglaubliches Hochgefühl breitete sich in ihm aus, nachdem er seine Absicht laut ausgesprochen hatte. Auf diesen Tag hatte er von dem Moment an gewartet, als sein Vater ihn gezwungen hatte, Sally zu heiraten, nur weil er sie geschwängert hatte.

„Wohin gehst du?“ Beim Klang ihrer weinerlichen Stimme lief es ihm kalt über den Rücken. Als hätte jemand mit den Fingernägeln über eine Tafel gekratzt.

„So weit weg wie möglich von dir und deinen heulenden Blagen.“

Er wusste, dass seine Worte sie tief verletzten. Aber es war ihm egal. Sie und ihre Brut waren der Grund dafür, dass er seine Pläne für ein besseres Leben in den letzten fünfzehn Monaten hatte auf Eis legen müssen.

Ihre Schluchzer töteten ihm den letzten Nerv. Unbeherrscht riss er an dem Reißverschluss des Matchbeutels. Zum Teufel mit seinen restlichen Sachen. Er würde sich sowieso neue kaufen, sobald er in Kalifornien war.

Bestrebt, Sally und die wimmernden Zwillinge endlich zu verlassen, schnappte er sich den Sack und stürmte aus dem Zimmer. Er hörte ihre Schritte hinter sich, doch er drehte sich nicht um. Von jetzt an würde er nur noch nach vorn blicken.

Allerdings wollte er versuchen, mit seinem jüngeren Bruder in Kontakt zu bleiben. Spencer mochte ihn irgendwie.

Aber David hatte schon immer etwas von einem sentimentalen Deppen an sich gehabt. Obwohl die Farm der Ashtons kurz vor der Zwangsversteigerung stand und ihr Vater deshalb einen Herzanfall erlitten hatte und gestorben war, hatte der dumme Kerl Spencers Angebot abgelehnt, mit ihm zu gehen. David hatte gesagt, dass er sich nicht vorstellen konnte, irgendwo anders als in Nebraska zu leben. Er wollte einen Neuanfang in einer anderen Stadt starten – wieder an so einem gottverlassenen Ort wie Crawley.

Er war schon an der Tür, da rissen ihn Sallys Worte aus seinen Gedanken. „Aber dies … sind deine Kinder … Spencer. Bedeuten sie dir … gar nichts?“

Langsam drehte er sich um. Als er sah, wie sie sich krampfhaft an dem Treppenpfosten festklammerte, lächelte er sie verächtlich an. „Sie sind mir völlig schnuppe. Du und deine beiden schreienden Gören, ihr habt für mich nie existiert.“

Spencer sah, wie sie schluchzend auf dem Treppenabsatz zusammenbrach. Angewidert schüttelte er den Kopf, dann verließ er das Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

Pfeifend marschierte er zu seinem Truck, warf den Matchsack auf den Sitz und setzte sich hinters Steuer. Er war jetzt ein freier Mann, und nichts konnte ihn mehr davon abhalten, endlich das Leben zu führen, das er nicht nur wollte, sondern seiner Meinung auch verdiente.

1. KAPITEL
Februar 2005

Abigail Ashton trat aus dem Kutscherhaus, warf den Kopf in den Nacken und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Der Februar in Kalifornien war nicht zu vergleichen mit dem Winter in West-Nebraska. Als sie gestern Morgen von Scottsbluff abgeflogen war, hatte das Thermometer unter null Grad angezeigt, und es lagen fast dreißig Zentimeter Schnee. Hier im Napa Valley herrschten im Vergleich dazu fast milde Temperaturen.

Kein Wunder, dass ihr Onkel seinen Aufenthalt in Kalifornien verlängert hatte. Nicht nur, dass er sich bislang vergeblich darum bemüht hatte, mit seinem Vater zusammenzutreffen, das Wetter allein war schon Grund genug zu bleiben.

Abby lächelte, als sie ihren Blick über das gepflegte Anwesen, The Vines, von Lucas und Caroline Sheppard schweifen ließ. Es war ausgesprochen großzügig von Caroline gewesen, sie und ihren Onkel Grant einzuladen, auf dem Weingut zu wohnen, solange sie im Napa Valley bleiben wollten.

In Anbetracht der Umstände hatte die Frau eigentlich keinen Grund, freundlich zu ihnen zu sein, geschweige denn, sie sogar zu mögen. Schließlich erinnerten sie Caroline schmerzlich an ihre erste Ehe – mit Abbys Großvater Spencer Ashton. Sie schüttelte empört den Kopf. Als der Mann Caroline geheiratet hatte, war ihm im Traum nicht eingefallen zu erwähnen, dass er bereits eine Familie in Nebraska hatte und von seiner ersten Frau Sally überhaupt nicht geschieden worden war.

Als Abby ihren Blick gedankenverloren über die ausgedehnten Weingärten hinter dem Anwesen schweifen ließ, empfand sie großes Mitleid mit Caroline. Die Frau hatte keine Ahnung davon gehabt, dass ihre Ehe mit Spencer gar nicht rechtsgültig war, bis Uncle Grant vergangenen Monat in Kalifornien aufgetaucht war, in der Hoffnung, seinen Vater das erste Mal nach über vierzig Jahren zu treffen.

Natürlich hatte die Neuigkeit sie geschockt, doch sie hatte Klasse bewiesen. Caroline war in Abbys Augen der Inbegriff einer großzügigen Frau. Nachdem sich erwiesen hatte, dass Uncle Grant tatsächlich Spencers Sohn war, hatte sie darauf bestanden, dass er ihre Kinder – seine Halbgeschwister – kennenlernen sollte. Familie war Familie.

Abby biss sich auf die Unterlippe. Sie machte sich Sorgen um Uncle Grant. Er wollte unbedingt seinem Vater gegenübertreten und die Gründe erfahren, warum er seine erste Familie im Stich gelassen hatte. Doch der alte Mann weigerte sich hartnäckig, mit seinem Sohn zu sprechen. Genauso wie er sich weigerte, Kontakt zu den Kindern zu halten, die er mit Caroline gezeugt hatte.

Abby schlenderte zu dem kleinen See hinter dem Kutscherhaus. Ihr war es egal, ob sie jemals ihren verlogenen Großvater kennenlernte oder nicht. Ein Mann, der seine junge Frau und die acht Monate alten Zwillinge in Nebraska allein ließ, dann eine andere Frau in Kalifornien heiratete, ohne überhaupt von der ersten Frau geschieden zu sein, und diese Frau dann wegen seiner Sekretärin verließ, mit der er seine dritte Familie gründete, war es nicht wert, dass man überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendete, geschweige denn, ihn kennenlernte.

Abby sollte lieber an die schönen Dinge des Lebens denken. Sie hatte ihre Ausbildung mit großem Erfolg abgeschlossen und wollte jetzt jede Minute in diesem ersten Urlaub seit Jahren genießen. Anschließend würde sie sich entspannt und ausgeruht auf ihre berufliche Karriere in Crawley stürzen.

Tiefe Befriedigung, aber auch eine gewisse Spannung erfüllten sie. Bis Ende des Frühjahrs hatte sie endlich ihren Traum verwirklicht, den sie seit ihrem zwölften Lebensjahr träumte – sie würde als Tierärztin in ihrer eigenen Großtierpraxis arbeiten.

Ein verträumtes Lächeln erhellte Abbys Gesicht, als sie nicht weit entfernt von dem kleinen See die Ställe entdeckte. Sie marschierte direkt darauf zu. Das weiß gestrichene Gebäude mit den grünen Toren sah aus wie das Paradies eines Pferdeliebhabers, und sie konnte es kaum abwarten, in den Stall zu gelangen.

Die doppelten Stalltüren auf beiden Seiten standen offen, sodass frische Luft in den Stall wehte. Ohne zu überlegen trat Abby ein. Sie musste ihre Augen einen Moment lang an das Halbdunkel gewöhnen, dann aber hielt sie gebannt den Atem an. Der Stall war genauso, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Und noch schöner.

Die Pferdeboxen bestanden aus Massivholz mit Nut und Feder im unteren Teil und einem geschwungenen schwarzen Sprosseneinsatz im oberen Bereich, der heruntergeklappt werden konnte, damit die Pferde neugierig die Köpfe hinausstrecken konnten. Um eine optimale Belüftung der Boxen zu gewährleisten, war das Holz mit Lüftungsschlitzen versehen. Große, verstellbare Drehtüren erleichterten den Zutritt.

Ein wunderschöner Wallach, in der seltenen Farbe Blue Roan, steckte den Kopf über die Boxentür, als Abby herantrat. Sie blieb stehen und strich dem Pferd über die Nüstern. Dabei entdeckte sie, dass die Innenwände der Box aus feuerverzinktem und gegen Rost geschütztem Stahl bestanden und leicht abgespritzt und desinfiziert werden konnten. Als Tierärztin und Pferdeliebhaberin war sie sehr beeindruckt. Alles, was die Sheppards in diesem Stall zum Wohl der Tiere taten, fand bei ihr höchste Anerkennung.

Als sie so dastand und wünschte, sie hätte dieselben Bedingungen auf der Farm in Nebraska, erregte eine plötzliche Bewegung am anderen Ende des Stalls ihre Aufmerksamkeit.

Ein Mann mit breitkrempigem Cowboyhut, Baumwollhemd und Jeans öffnete eine der Boxentüren. Ihr erster Gedanke war, dass er besser in eine Scheune in Nebraska passen würde als in einen Stall auf einem kalifornischen Weingut, und sie musste unwillkürlich lächeln.

Doch ihr Lächeln verblasste schnell, und sie vergaß, wie deplatziert er wirkte, als er einen wunderschönen Apfelschimmel aus der Box führte. Das Pferd lahmte, offensichtlich stimmte etwas mit dem linken Hinterhuf nicht.

„Was ist passiert?“, fragte Abby und eilte zu ihnen.

Der Mann beugte sich vor, um die Stute zu untersuchen. Ohne einen Blick in Abbys Richtung zu werfen, sagte er: „Ich weiß nicht, wie sie es angestellt hat, aber Marsanne hat einen Schnitt am Fesselgelenk.“

„Ich sehe es mir an. Vielleicht kann ich ihr helfen.“

Er schüttelte den Kopf und richtete sich zu voller Größe auf. „Ich denke, wir überlassen es besser dem Tierarzt, sich darum zu kümmern.“

Abby hielt den Atem an, und ihr Pulsschlag stieg sprunghaft an, als er sich zu ihr drehte. Der Mann, der auf der anderen Seite der Stute stand, sah nicht nur gut aus, er war absolut umwerfend. Mit den glatten, dunkelblonden Haaren, die ihm unter dem schwarzen Cowboyhut tief in die Stirn fielen, dem sexy Dreitagebart und tollen blauen Augen war er ohne Zweifel der bestaussehende Cowboy, den sie je gesehen hatte. Ohne Einschränkung.

Als sie merkte, dass sie ihn wie ein Schulmädchen anstarrte, das zum ersten Mal verliebt war, riss sie sich zusammen und ging um das Pferd herum, um sich die Verletzung anzusehen. „Holen Sie den Sanitätskasten.“ Sie ging neben dem Pferd in die Hocke und untersuchte schnell die Wunde. „Der Schnitt ist nicht so tief, wie es zuerst den Anschein hatte. Sehnen und Bänder sind nicht verletzt, und die Wunde muss nicht genäht werden.“ Sie richtete sich wieder auf. Die Stallgasse verfügte über ein gutes Wasserablaufsystem, deshalb war es nicht notwendig, das Pferd zur Behandlung nach draußen zu bringen. „Könnten Sie den Wasserschlauch hierherbringen? Wir müssen die Wunde kalt abspülen, damit die Schwellung etwas abklingen kann, bevor ich einen Verband anlege.“

„Jetzt aber mal langsam, Lady. Sie machen an dem Pferd überhaupt nichts.“ Sichtlich verärgert legte er die Hand auf Abbys Schulter und zog sie kopfschüttelnd von der Stute weg. „Ich rufe den Tierarzt an, und Sie gehen zurück ins Haus, oder woher auch immer Sie gekommen sind.“

Ein erregendes Prickeln ging bei seiner Berührung durch ihren Körper, doch sie ließ sich nichts anmerken. Er war vielleicht der attraktivste Mann, der ihr in ihren vierundzwanzig Jahren begegnet war, aber sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich von gutem Aussehen blenden ließen.

„Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen nicht verstanden“, sagte sie, darauf bedacht, ihre Verärgerung nicht zu zeigen.

Er nahm die Hand von ihrer Schulter. „Russ Gannon.“

Er wollte sich umdrehen, doch Abby hinderte ihn daran, indem sie die Hand auf seinen Arm legte. Sie atmete etwas schneller, als sie die harten Muskeln unter dem blauen Hemd spürte. Dann konzentrierte sie sich auf die Stute, die behandelt werden musste. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Russ. Mein Name ist Abigail Ashton, Dr. Abigail Ashton. Tierärztin. Bitte nennen Sie mich Abby.“

„Sie sind Tierärztin?“ Sein skeptischer Blick sagte ihr, dass er immer noch Zweifel hatte, ob er sie an eines der wertvollen Tiere der Sheppards heranlassen durfte.

„Für Großtiere“, fügte sie hinzu. „Und jetzt holen Sie den Sanitätskasten und einen Schlauch. Das Pferd muss medizinisch versorgt werden.“

Russ starrte die rothaarige Schönheit an, die ihm Befehle erteilte. Eine Tierärztin wie sie hatte er noch nicht kennengelernt. Überhaupt wurde der Beruf meist von Männern ausgeübt, und die hatten keine Augen, deren Farbe an taufrisches Gras erinnerte, oder sanfte, ebenmäßige Gesichtszüge, die genauso gut das Titelblatt eines Modemagazins zieren könnten.

Als sie sich hinunterbeugte, um die Wunde an Marsannes Fessel zu betrachten, bekam er bei dem Anblick ihres süßen Pos fast einen Herzinfarkt. Auch hatte keiner der ihm bekannten Tierärzte eine Figur, die den Verkehr zum Erliegen bringen könnte und die ihn daran erinnerte, wie lange er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war.

„Stehen Sie nicht einfach hier herum“, sagte sie ungeduldig. „Die Fessel der Stute muss behandelt werden. Und wenn Sie den Schlauch holen, bringen Sie gleich Vaseline mit und reiben Sie die Ferse damit ein, damit sie nicht wund wird.“

Russ drehte sich um, um das Gewünschte zu holen, obwohl er es nicht fassen konnte, dass er sich von dieser Frau so herumkommandieren ließ. Er war daran gewöhnt, Befehle zu erteilen, nicht, sie entgegenzunehmen.

Offensichtlich befand er sich in einer Art Schockzustand. Anders konnte er sich seine Reaktion nicht erklären.

Woher zum Teufel kommt sie überhaupt? fragte er sich. Er kannte alle Ashtons hier auf The Vines, und er hatte auch von den meisten Verwandten schon gehört. Ihr Name jedoch war ihm nicht geläufig.

Kopfschüttelnd holte er die gewünschten Dinge. Eines war sicher – wenn er sie früher schon kennengelernt hätte, würde er sich daran erinnern. Er hatte eine Schwäche für rothaarige Frauen. Und Dr. Abigail Ashton hatte nicht nur eine unglaubliche Haarfarbe und eine traumhafte Figur, sie war insgesamt einfach umwerfend.

„Wo bleiben Sie denn so lange?“, fragte sie, als er zurückkehrte.

„Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie ganz schön bestimmend sind?“, knurrte er.

„Mein Bruder Ford hält mir das ständig vor.“ Sie zog ihre Jeansjacke aus, schob die Ärmel ihres blauen Pullovers bis zu den Ellenbogen hoch und steckte dann eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, hinter das Ohr. „Und hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie langsamer als eine Schnecke sind?“

Russ starrte sie einen Moment lang an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Die Frau war nicht auf den Mund gefallen.

„Was halten Sie davon, wenn wir Waffenstillstand schließen, bis wir diese Stute behandelt haben?“, schlug sie lächelnd vor.

Ihm stockte das Herz. Wenn Abigail Ashton lächelte, war sie atemberaubend schön. Er holte tief Luft.

„Was ist los?“, fragte sie. „Sie sehen aus, als seien Sie völlig durch den Wind.“

Verdammt! Sah man ihm so deutlich an, dass seine Hormone plötzlich verrückt spielten? Vielleicht sollte er mal nach Napa fahren und sich eine Frau für eine heiße Nacht suchen.

„Alles okay“, log er.

„Gut.“ Sie reichte ihm den Topf mit der Vaseline. „Reiben Sie damit die Ferse der Stute ein, und dann spülen Sie kaltes Wasser über die Wunde.“ Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Haben Sie zufällig auch Grüne Mineralerde?“

„Natürlich“, sagte er. „Zum Auflösen oder als Paste?“

„Die Paste, bitte. Ich möchte eine heiße Kompresse auflegen, um die Bakterien aus der Wunde zu ziehen. Gibt es hier heißes Wasser?“

Er nickte, stand auf und reichte ihr das Gefäß mit der Vaseline. „Ich hole welches, während Sie das Bein der Stute kühlen.“

„Das ist nicht nötig“, sagte sie lächelnd. „Sagen Sie mir einfach …“

„Ich kümmere mich darum“, unterbrach Russ sie höflich, aber bestimmt.

Er war vielleicht nicht so gebildet wie die Ashtons, aber er besaß Manieren. Und er würde nicht dastehen und tatenlos zusehen, wie eine Frau sich mit einem schweren Eimer Wasser abschleppte.

Außerdem brauchte er etwas Abstand zu ihr. Jedes Mal, wenn sie ihn so strahlend anlächelte, spielten seine Hormone verrückt, und sein Blutdruck schnellte in die Höhe.

Er holte tief Luft und rang um Fassung. Wenn er sich nicht endlich in den Griff bekam, dann duschte er sich am besten selbst mit dem Schlauch kalt ab, um sich zu beruhigen.

Russ beobachtete, wie Abby die Paste für die Wundheilung auflegte und mit einer Bandage fixierte. Glücklicherweise war Marsanne ein sehr gut dressiertes Pferd. Die Stute tolerierte die Behandlung, ohne sich selbst, Abby oder ihn zu verletzen.

„So, fürs Erste ist sie versorgt“, sagte Abby und stand auf. „Ich sehe morgen früh wieder nach ihr und lege einen neuen Verband an.“

Russ schluckte, als sie mit der Hand über das Hinterteil des Pferdes strich. Wie würde sich ihre zierliche Hand auf seiner Haut anfühlen?

Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Er hatte Abby vor gerade einer Stunde kennengelernt und malte sich in seiner Fantasie jetzt schon aus, wie es wäre, von ihr berührt zu werden.

Oh, er musste unbedingt in die Stadt, ein kaltes Bier trinken und sich eine Frau für eine Nacht suchen – nicht unbedingt in der Reihenfolge.

Nachdem sie die Ärmel ihres Pullovers wieder hinuntergezogen und in ihre Jeansjacke geschlüpft war, drehte sie sich zu ihm und streckte die Hand aus. „Ich habe mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Russ.“

Unwillkürlich nahm er ihre Hand, doch in dem Moment, als sich ihre Handflächen berührten, wusste er, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Der kurze Körperkontakt war wie ein elektrischer Schlag, durchzuckte seinen Arm, lief weiter durch seinen Oberkörper und schoss geradewegs in seine Lenden.

„Wir sehen uns“, stieß er hervor.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie und ließ seine Hand schon wieder los. Ihre leichte Atemlosigkeit und die dezente Röte, die sich über ihre zarten Wangen zog, zeigten ihm, dass auch sie den Funken gespürt hatte, der übergesprungen war.

Gut. Zumindest war er nicht der Einzige, der dieses erregende Knistern wahrnahm.

„Ja, alles in Ordnung“, erwiderte er und unterdrückte ein Grinsen. „Und bei Ihnen?“

Sie hob den Kopf und straffte die Schultern, als sie an ihm und dem Pferd vorbeiging. „Es könnte nicht besser sein.“

Russ unterdrückte einen Seufzer, als er Abby nachsah, wie sie mit schwingenden Hüften die kurze Distanz zur Stalltür zurücklegte. Die Frau hatte Beine, die selbst einen Eunuchen in Versuchung führen könnten. Und er war alles andere als ein Eunuch. Sein Körper erinnerte ihn fast schmerzhaft daran.

Verärgert über sich selbst führte er Marsanne zurück in die Box. Dann steuerte er das andere Ende des Stalls an, wo seine eigenen Pferde Blue und Dancer standen. Selbst wenn die Frau zu einem heißen Urlaubsflirt bereit war, er war es nicht.

Erstens war sie eine Ashton, und seine Loyalität verbot es ihm, etwas zu tun, womit er Caroline oder Lucas irgendwie enttäuschen könnte. Er schnaubte verächtlich. Und zweitens, was zum Teufel konnte eine kultivierte Schönheit wie Abby an einem Mann wie ihm interessant finden? Er hatte nichts weiter vorzuweisen als ein sicheres Gespür für den Anbau von Trauben und die Fähigkeit, beim Bullenreiten sitzen zu bleiben, bis nach acht Sekunden das Horn ertönte.

2. KAPITEL

„Vielen Dank, dass du mich herumgeführt hast, Mercedes“, sagte Abby, als sie und Carolines älteste Tochter den Verkostungsraum von Louret Vineyards betraten.

Mercedes Ashton, die auf dem Weingut für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war, lächelte. „Wir sind noch nicht fertig. Das Beste kommt erst.“ Sie deutete auf einen kleinen Tisch vor dem vom Fußboden bis zur Decke reichenden Fenster. „Setz dich, ich bin gleich zurück.“

Abby setzte sich und sah sich bewundernd in dem Raum um. Ein wundervolles Ambiente für eine Weinverkostung. Durch das viele Holz und die gedämpfte Beleuchtung strahlte er eine romantische Atmosphäre aus, und der Blick durch das schmale Fenster auf die Weingärten war einfach atemberaubend. Genauso gut könnte sie irgendwo in Südfrankreich sitzen und hinaus in die Landschaft schauen.

Mercedes kehrte zurück. In der Hand balancierte sie ein Silbertablett mit einer Käseauswahl und Proben von Lourets preisgekrönten Weinen.

Abby lächelte. „Das Beste an einer Führung durch ein Weingut ist die anschließende Weinprobe.“

Nachdem ihre neue Freundin sie einige Minuten darin unterwiesen hatte, wie sie ihre Sinne einsetzte, um die Reinheit, das Bouquet und die Beschaffenheit des Weins zu bewerten, schüttelte Abby den Kopf und nahm sich ein Stück Käse. „Ich wusste weder, dass die Verkostung von Wein eine Kunst ist, noch, dass die Herstellung so arbeitsaufwendig ist.“

Mercedes lachte. „Ja, es gehört mehr dazu, als nur die Beeren zu lesen und sie zu pressen.“ Sie schwenkte den Chardonnay in ihrem Glas. „Im Winter ist es hier ziemlich ruhig. Der Wein reift, und wir haben nicht viel zu tun, außer den Rebschnitt vorzunehmen, die Geräte zu warten und abzuschätzen, welche Rebstöcke im Frühjahr ersetzt werden müssen. Die arbeitsreichste Zeit beginnt im Spätsommer und Anfang Herbst mit der Lese. Dann wird von Eli und Russ viel gefordert.“

„Russ Gannon?“, fragte Abby spontan.

Mercedes nickte und sah sie neugierig an. „Hast du ihn schon kennengelernt?“

„Ja, kurz.“ Abby zuckte mit den Schultern und versuchte, nicht zu interessiert zu wirken. „Heute Morgen im Pferdestall. Ich dachte, er arbeitet dort.“

„Du kannst darauf wetten, dass du ihn dort findest, wenn er nicht gerade in den Weinbergen arbeitet oder an irgendeinem Rodeo teilnimmt“, sagte Mercedes. „Aber eigentlich ist er hier der Vorarbeiter. Russ ist ein absolutes Genie in Sachen Weinanbau. Bei ihm wächst und gedeiht alles. Eli verlässt sich in dieser Hinsicht total auf ihn.“

„Und seine Disziplin beim Rodeo?“ Abby liebte den Sport und hatte während ihrer Zeit an der Highschool einige Male beim barrel racing teilgenommen, eine Disziplin, die den Frauen vorbehalten war.

Mercedes machte ein nachdenkliches Gesicht. „Russ spricht nicht darüber, aber ich glaube, Eli hat erzählt, dass er Bullen reitet.“ Sie hielt inne. „Aber das ist typisch Russ. Er spricht ganz allgemein nicht viel über das, was er macht.“

Abby grinste. „Der geheimnisvolle Typ.“

„Eigentlich nicht.“ Mercedes seufzte. „Armer Russ. Das Leben war nicht immer leicht für ihn. Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er gerade fünfzehn war.“

„Oh, wie schrecklich.“

Auch wenn die Umstände bei ihr etwas anders waren, so wusste Abby dennoch, was es hieß, ohne Eltern aufzuwachsen. Grace Ashton war nie, auch nicht bevor sie ihre Kinder endgültig verließ, eine wirkliche Mutter gewesen. Sie hatte sich nicht um ihre Kinder gekümmert. Und obwohl ihr Uncle Grant sie und ihren Bruder geliebt und wie eigene Kinder behandelt hatte, war es dennoch etwas anderes, Vater und Mutter zu haben.

„Das tut mir sehr leid für ihn“, sagte Abby und meinte es auch so.

Mercedes nickte. „Damals kam er zu uns. Lucas und Mr. Gannon waren seit ihrer Kindheit befreundet gewesen, und als Lucas erfuhr, dass Russ keine weitere Familie hatte, nahmen er und meine Mutter ihn spontan bei sich auf.“

„Das war sehr freundlich von ihnen.“ Je mehr Abby über Caroline und Lucas Sheppard erfuhr, desto bewusster wurde ihr, dass die zwei ganz besondere Menschen waren. „Trotzdem muss es schrecklich für ihn gewesen sein, beide Elternteile gleichzeitig zu verlieren. Und das auf so tragische Weise.“

„Sicher“, stimmte Mercedes zu und stand auf, um die leeren Gläser auf das Tablett zu stellen. „Da ich älter bin, war ich nie so viel mit ihm zusammen wie mein jüngster Bruder Mason. Russ ist nur ein Jahr jünger als Mason, und die beiden sind beste Freunde.“

„Ich glaube, Mason habe ich noch nicht kennengelernt“, sagte Abby und stand ebenfalls auf, um zu helfen, den Tisch abzuräumen.

„Er ist in Frankreich und erlernt die neuesten Techniken der Weinherstellung“, sagte Mercedes lachend. Sie verließen den Verkostungsraum durch eine Seitentür und liefen über einen schmalen Pfad zurück zum Haupthaus.

„Habe ich irgendetwas verpasst?“, fragte Abby. „Was ist daran so lustig, dass Mason in Frankreich studiert?“

Mercedes zog die Mundwinkel nach oben. „Er behauptet, sein Ziel sei es, mithilfe der neuen Techniken einen noch besseren Wein herzustellen. Ich aber glaube, dass es nur eine Ausrede ist, um durch Frankreich zu reisen und etwas zu erleben, bevor er sich hier auf dem Weingut seinen Platz neben Eli und Russ erobern muss.“ Mercedes lächelte, und Abby merkte, dass die Freundin ihren jüngsten Bruder bewunderte.

„Für Russ wird es dann sicher leichter, Rodeos zu besuchen“, sagte Abby. Kaum waren die Worte heraus, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum musste sie Russ immer wieder erwähnen?

„Der Mann scheint großen Eindruck auf dich gemacht zu haben.“ Mercedes sah sie fragend an. „Du interessierst dich nicht zufällig näher für ihn, oder?“

„Großer Gott, nein!“ Abby schüttelte den Kopf. „Ich habe überhaupt keine Zeit für ihn oder irgendeinen anderen Mann.“

„So? Er ist ein toller Kerl und ausgesprochen gut aussehend. Und, nur damit du es weißt, er ist Single.“ Sie zwinkerte Abby zu, und Abby wusste, dass Mercedes nicht an ihr Desinteresse glaubte.

„Ich habe zu lange und zu hart dafür gearbeitet, Tierärztin zu werden, um mich jetzt von meiner weiteren Karriere ablenken zu lassen.“ Sie betraten die überdachte Veranda. „Außerdem lebt Russ tausend Meilen von mir entfernt. Und neben der Arbeit in meiner Tierarztpraxis habe ich keine Zeit für eine Beziehung über diese Distanz hinweg.“

„Wenn du meinst“, sagte Mercedes und lächelte wieder vielsagend.

Abby merkte, dass sie mit ihrem Protest eigentlich eher versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie kein Interesse an Russ hatte. „Ich bin ziemlich müde.“ Sie brauchte unbedingt etwas Zeit für sich allein. „Ich denke, ich lege mich vor dem Essen noch kurz hin.“ Sie umarmte ihre neue Freundin. „Danke für den Rundgang und die Weinprobe. Es hat mir viel Spaß gemacht.“

„Freut mich.“ Mercedes erwiderte die Umarmung. „Wir werden uns heute Abend beim Essen wahrscheinlich nicht sehen. Ich treffe mich mit einem Freund.“

„Viel Spaß.“

Abby machte sich auf den kurzen Weg zu dem Kutscherhaus, in dem sie und ihr Onkel untergebracht waren, und fragte sich, was eigentlich mit ihr los war. Über Russ zu sprechen hatte sie ziemlich aus der Spur gebracht, und sie brauchte Zeit, wieder auf den richtigen Weg zu gelangen.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich auf ihr Ziel konzentriert, Tierärztin für Großtiere zu werden. Und auf dem Weg dorthin hatte sie es absichtlich vermieden, sich mit einem Mann einzulassen. Es hätte sie nur von ihrem Vorhaben abgelenkt. Ein Risiko, das sie nicht eingehen wollte. Ihre größte Angst aber war gewesen, dass sie genauso wie ihre Mutter war – ein mannstolles Geschöpf, das sich für nichts und niemanden interessierte als für ihr eigenes Vergnügen.

Am meisten beunruhigte sie jedoch, dass sie bei dem Gespräch mit Mercedes über Russ Gannon weder ihren beschleunigten Pulsschlag in den Griff bekam noch die kleinen Schmetterlinge vertreiben konnte, die in ihrem Bauch flatterten. Die Jungen, für die sie während der Schulzeit geschwärmt hatte, hatten niemals auch nur annähernd diese Empfindungen in ihr geweckt, die sie verspürte, wenn sie bloß an Russ dachte. Und das machte ihr zu schaffen. Sogar sehr.

Seufzend betrat sie das Kutscherhaus und lief die Treppe hinauf. „Du hast echte Probleme, Abigail Ashton“, murmelte sie. „Und das größte ist im Moment ein Wein anbauender Rodeocowboy namens Russ Gannon.“

Als Russ ein paar Tage später schon in der Morgendämmerung in den Stall kam, um die Pferde zu füttern und die Boxen auszumisten, wunderte er sich nicht im Geringsten, dass Abby bereits dort war und mit aufgekrempelten Ärmeln Marsannes Bandage wechselte. An drei der letzten vier Tage war sie vor ihm hier gewesen. Und ob es ihm gefiel oder nicht, er begann, sich auf diese morgendlichen Treffen zu freuen.

„Sie sind noch früher auf als üblich“, sagte er und schlenderte zu ihr.

Sie richtete sich auf, schenkte ihm ein Lächeln, und sein Puls ging ab wie ein Rassepferd beim Start eines Rennens. Er schluckte. Sie hatte nicht nur rote Haare, sondern noch etwas, wofür er eine absolute Schwäche hatte – Grübchen. Warum war ihm das bisher nicht aufgefallen?

„Zu Hause stehe ich noch viel früher auf als hier.“

Sie strich sich die Hände am Boden ihrer Jeans ab, und ihm wurde ganz flau. Wie gern würde er ihren süßen kleinen Po streicheln.

Abby merkte sein Unbehagen nicht. Sie lachte und fuhr fort: „Wenn man bei uns auf einer Farm lebt, gibt es nur zwei Gründe für langes Schlafen – entweder man ist zu krank, um aufzustehen, oder es schneit so stark, dass man die Scheune nicht findet. Und meistens hält uns selbst das nicht davon ab, früh aufzustehen.“

„Wie oft gibt es bei Ihnen einen Schneesturm?“, fragte er.

Der Gedanke, dass sie sich bei solchem Wetter draußen herumtrieb, gefiel ihm überhaupt nicht. Doch, verdammt, er würde sich keine Gedanken darüber machen, warum das so war. Sie war nicht seine Partnerin und würde es auch niemals sein.

„Wir haben ein- oder zweimal im Jahr einen Schneesturm“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Die restliche Zeit stehe ich lange vor Sonnenaufgang auf, um meine Pferde zu versorgen, und dann Uncle Grant, Ford und unserem Landarbeiter Buck beim Vieh zu helfen.“

„Rinder?“

Sie nickte und beugte sich hinunter, um den frischen Verband um das Bein des Pferdes zu wickeln. „Wir haben eine Herde mit etwa zweihundert Angusrindern.“

„Das klingt eher nach einer Ranch.“

„Egal, ob Sie es Ranch oder Farm nennen.“ Sie befestigte den Verband, stand auf und sah Russ an. „Als meine Urgroßeltern die Farm bewirtschafteten, war sie nur wenige hundert Morgen groß. Uncle Grant hat später ein paar Farmen übernommen, die vom Untergang bedroht waren, und jetzt haben wir einige tausend Morgen. Wir bauen hauptsächlich Mais an und betreiben Pferde- und Rinderzucht.“

Russ konnte es nicht verhindern, er empfand ein leichtes Neidgefühl. Er liebte die Arbeit auf dem Land und würde alles dafür geben, selbst eine Farm zu besitzen.

Er band Marsanne los, um sie hinaus in die Einfriedung zu führen, und fragte: „Wie viele Pferde besitzen Sie?“

„Acht.“ Sie rollte die Ärmel ihrer Jeansjacke hinunter. „Aber nur drei davon sind wirklich meine. Die restlichen gehören Uncle Grant und Ford.“

Während Abby den Verbandskasten packte, führte Russ die Stute nach draußen, um ihre Box auszumisten. Als er zurückkehrte, hatte Abby schon damit angefangen.

„He, das müssen Sie nicht tun“, sagte er und wollte ihr die Forke aus der Hand nehmen.

Sie schüttelte den Kopf und lud den Mist weiter auf die Schubkarre. „Das macht mir nichts aus. Ich bin froh, wenn ich etwas zu tun habe.“ Sie schenkte ihm wieder dieses Lächeln, das ihn schwach werden ließ, und fügte hinzu: „Urlaub ist ja ganz schön, aber nach einiger Zeit wird es langweilig.“

Russ konnte ihr Bedürfnis nach Aktivität verstehen. Er selbst hasste es, untätig herumzusitzen. Auch er musste immer etwas zu tun haben. „Okay, wenn Sie meinen.“

„Ich meine es“, erwiderte sie ohne zu zögern. „Übrigens, wollen wir nicht endlich das förmliche Sie lassen?“

„Gern. Ich bin Russ.“

„Abby.“

„Okay, während du die Box ausmistest, bringe ich die anderen Pferde und das Pony auf die Weide, und dann hole ich frisches Heu.“

Als er zurückkehrte, waren drei Boxen bereits fertig, und Abby wollte gerade mit der vierten anfangen. „Du arbeitest schnell“, sagte er fest und nahm ihr die Mistgabel aus der Hand. „Aber jetzt bin ich an der Reihe. Ruh dich einen Moment aus.“

„Ich mache gern weiter“, widersprach sie.

Er mochte es, wenn eine Frau zupacken konnte, aber er würde nicht herumstehen und ihr beim Arbeiten zusehen. „Ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst jetzt zum Frühstück ins Haupthaus, und wenn du fertig bist, kommst du zurück, und wir reiten aus.“

Ihre schönen grünen Augen begannen zu strahlen, und sie lächelte ihn an. Sofort schlug Russ’ Herz wieder schneller. „Gute Idee, Cowboy. Um wie viel Uhr?“

„Um wie viel Uhr?“ Wie sollte er klar denken, wenn sie ihn so ansah? Er konnte froh sein, dass er sich überhaupt noch an seinen eigenen Namen erinnerte.

„Wann soll ich wieder hier sein?“, fragte sie geduldig.

„Sobald du mit dem Frühstück fertig bist.“ Er musste aufpassen, dass er einen klaren Kopf behielt, wenn Abby in seiner Nähe war. Sonst würde sie ihn noch für einen totalen Idioten halten.

„Ich bin gleich zurück“, sagte sie und rannte durch die breite Stallgasse.

Russ sah ihr nach, bis ihr hübscher Po durch die Stalltür verschwunden war. Dann atmete er tief aus. Er hatte das Gefühl, den Atem angehalten zu haben, seit er den Stall betreten und sie bei der Stute gefunden hatte. Verdammt, diese Frau brauchte ihn nur anzulächeln, und er wurde willenlos. Das machte sie gefährlich.

Resigniert stach er die Mistgabel ins Heu und blickte ins Leere. Er wollte keine Beziehung. Vor allem nicht mit einer Frau, die tausend Meilen entfernt wohnte. Sein Leben spielte sich hier ab, bei Lucas und Caroline Sheppard. Und obwohl sie nie etwas von ihm gefordert hatten und ihm das Gefühl gaben, zur Familie zu gehören, fühlte er sich ihnen gegenüber trotzdem verpflichtet, weil sie ihn nach dem Tod seiner Eltern aufgenommen hatten.

Er begann, die nächsten Boxen auszumisten.

Außerdem würde Abby in einer Woche nach Nebraska zurückkehren, um ihre Tierarztpraxis zu eröffnen und ihr Leben auf der Farm weiterzuleben. Und so sollte es auch sein.

Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht Spaß haben und die Zeit miteinander genießen konnten, solange Abby sich im Napa Valley aufhielt, oder? Er konnte ihr mehr von dieser malerischen Gegend zeigen, und sie konnte ihm von ihrem Leben in Nebraska und auf der Ranch erzählen.

Zufrieden, eine Lösung gefunden zu haben, mit der sie beide leben könnten, beendete er fröhlich pfeifend seine Arbeit. Nichts konnte passieren, wenn sie die Gefühle aus dem Spiel ließen.

Er musste lächeln. Solange er das im Sinn behielt, war es für beide okay.

Russ schoss das Blut in die Lenden, als er beobachtete, wie Abby den Fuß in den Steigbügel setzte und sich in den Sattel auf Dancers Rücken schwang. Beim Anblick der engen Jeans über ihrem knackigen Po und den langen schlanken Beinen fragte er sich, ob es eine gute Idee gewesen war, sie zu einem Ausritt einzuladen. Er konnte nur daran denken, wie es wäre, wenn sie die Beine um ihn schlingen würde, während er tief in sie …

„Wie alt sind deine Pferde?“, fragte sie und unterbrach seine erotischen Fantasien.

„Dancer ist fünf“, sagte Russ und schwang sich auf seinen Wallach. Er rutschte auf dem Sattel hin und her, um sein bestes Stück nicht einzuquetschen. „Mit ihm bin ich manchmal als zweiter Reiter beim steer wrestling dabei, um den Stier in Richtung zu halten.“ Er tätschelte sein Pferd. „Und Blue ist sechs. Mit ihm habe ich beim team roping mitgemacht. Dabei werden Kälber gleichzeitig von zwei Reitern eingefangen.“

Abby lächelte, als sie sich von den Ställen entfernten. „Mercedes hat mir erzählt, dass du Bullen reitest, aber sie hat nicht erwähnt, dass du auch beim roping mitmachst. Wie oft nimmst du an Wettbewerben teil?“

Abby hatte sich bei den Ashtons nach ihm erkundigt? Der Gedanke gefiel ihm.

„Sooft es meine Arbeit auf dem Weingut erlaubt.“ Er lachte. „Die restliche Zeit muss ich mich damit begnügen, Blue und Dancer hier zu reiten.“

„Sind beide Pferde bei der Quarter Horse Association registriert?“

„Ja.“ Es überraschte ihn nicht, dass Abby wusste, um welche Rasse es sich bei seinen Pferden handelte. Bei ihren Tierkenntnissen war es klar, dass sie die klassischen Merkmale von Quarterhorses kannte. „Dancers vollständiger Name ist Stormy Jack Dancer, und Blue heißt Diablo’s Blue Lightning.“

„Schöne Namen für wunderschöne Pferde“, murmelte sie.

Sie ritten einen Moment lang schweigend weiter. Russ bewunderte, wie anmutig, entspannt und selbstbewusst Abby im Sattel saß. Man sah, dass sie schon viele Stunden auf Pferden verbracht hatte.

„Erzähl mir von deinen Pferden. Welche Rasse sind sie?“

„Magic ist eine Mischung aus einem Quarterhorse und einem Araber. Ihn reite ich meistens. Und dann habe ich noch meine Stute Angel. Sie ist größtenteils ein Quarterhorse, was der Rest ist, wissen wir nicht.“ Abby lachte. „Sie ist das Ergebnis eines einladenden Blickes, den Uncle Grants Stute dem Zuchthengst unseres Nachbarn über den Zaun hinweg zugeworfen hat.“

Russ war wie elektrisiert beim Klang ihrer sanften Stimme und dem fröhlichen Lachen. Er musste sich räuspern, bevor er etwas sagen konnte. „Hast du nicht gesagt, du hättest drei Pferde?“

Sie nickte. „Das dritte ist ein Mustang, den ich vom Bureau of Land Management ‚adoptiert‘ habe. Er heißt Crazy Horse.“

„Ich habe von diesem Adoptionsprogramm des BLM gehört. Hast du ihn nach dem berühmten Anführer der Oglala-Indianer benannt?“

„Nein, er ist ein verrücktes Pferd.“ Lachend schüttelte sie den Kopf. „Ford hat ihm den Namen gegeben, weil Crazy dem Wort wild eine völlig neue Bedeutung gibt. Wie alle Mustangs ist er rebellisch und misstrauisch. Ich bin die Einzige, die er an sich heranlässt. Ich liebe ihn, obwohl ich genau weiß, dass er niemals zahm genug sein wird, um ihn zu reiten.“

„Das klingt, als würdest du das Leben auf der Farm wirklich genießen“, sagte Russ und brachte Blue zum Stehen.

„Das tue ich auch.“ Sie hielt Dancer neben ihm an. „Draußen in der Prärie zu leben hat seine Nachteile, wenn die Temperaturen fallen und der Wind so kalt ist, dass man meint, in der Arktis zu leben, oder wenn es im Sommer so heiß und schwül ist, dass man glaubt, in einer Sauna zu sitzen. Aber ich könnte mir trotzdem nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.“

Sie waren um das gesamte Anwesen herumgeritten und zurück zu dem kleinen See etwa eine halbe Meile hinter den Ställen. „Wollen wir uns etwas setzen und reden?“, fragte er.

„Gern.“

Sie stiegen ab, banden die zwei Pferde an und setzten sich unter eine dicke Eiche am Rande des Sees.

„Was ist mit dir, Russ? Hast du schon immer hier gelebt?“

„Nein. Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich hundertfünfzig Meilen nördlich von hier auf einer Ranch außerhalb von Red Bluff gewohnt.“

„Tut mir leid mit deinen Eltern“, sagte Abby und legte die Hand an seinen Arm. „Mercedes hat mir erzählt, dass du sie durch einen Autounfall verloren hast.“

Die Wärme ihrer Hand drang durch seinen Ärmel, und die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme ging ihm durch und durch. „Das war vor elf Jahren“, sagte er und nickte. „Lucas hat mich direkt nach der Beerdigung mit hierhergenommen. Und seitdem lebe ich hier.“ Sie saßen einen Moment lang schweigend da, dann fragte er: „Was ist mit deinen Eltern, Abby? Du sprichst immer von deinem Bruder und deinem Onkel, aber du erwähnst nie deine Eltern.“

„Weil es nichts über sie zu sagen gibt.“ Er merkte, dass ihr das Thema nicht passte.

„Tut mir leid“, sagte er und wünschte, er hätte den Mund gehalten. „Ich wollte nicht neugierig sein.“

Er beobachtete, wie sie Grashalme ausriss, wieder wegwarf und die nächsten ausrupfte. „Eigentlich macht es mir nichts aus, über sie zu sprechen“, sagte sie schließlich. „Es ist nur ziemlich peinlich, jemandem zu erzählen, dass deine Mutter ein Flittchen war und du keine Ahnung hast, wer dein Vater ist.“

Russ wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das ganz bestimmt nicht. „So etwas über die Frau zu sagen, die dir das Leben geschenkt hat, ist ziemlich hart.“

„Aber es ist die Wahrheit.“ Sie sah ihn nicht an, als sie weitersprach, doch dass es ihr peinlich war, konnte er an ihren geröteten Wangen erkennen. „Grace war sechzehn, als sie mit meinem Bruder schwanger wurde, und mit achtzehn bekam sie mich. Aber sie hat unseren Großeltern oder Uncle Grant nie gesagt, wer der Vater ist – oder die Väter.“ Sie seufzte. „Das allein ist noch nicht weiter schlimm, aber Grace hat uns ständig gezeigt, dass sie uns nicht haben wollte. Immer wieder hat sie gesagt, dass sie längst verschwunden wäre, wenn unsere Urgroßeltern sie nicht gezwungen hätten, zu bleiben und die Verantwortung für uns zu übernehmen.“

„Deine Mutter und dein Onkel wurden von den Großeltern aufgezogen?“ Russ hatte bei seinen eigenen Eltern bedingungslose Liebe erfahren, und es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass eine Frau so herzlos zu ihren Kindern sein konnte.

„Meine Urgroßeltern haben sich um Grace und Uncle Grant gekümmert, nachdem ihre Mutter Sally an Krebs gestorben war. Sie waren damals zwölf Jahre alt.“

„Es ist schwer, die Eltern zu verlieren“, sagte Russ sanft. „Da kann ein Mensch schon rebellisch werden.“

„Ich glaube, Grace ist nie anders gewesen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Uncle Grant hat uns gesagt, dass sie genauso wie ihr Vater Spencer ist. Nur in sich selbst verliebt. Wir haben ihr nicht das Geringste bedeutet.“

„Du sprichst von ihr, als wäre sie nicht mehr da“, stellte Russ fest. Er nahm Abbys Hand.

„Ist sie auch nicht.“ Sie schaute über den See. „Grace hat Ford und mich verlassen, als er acht und ich sechs Jahre alt waren. Aber wir hatten Glück – Uncle Grant liebte uns und hat uns aufgezogen.“ Ihr warmes Lächeln zeigte, wie sehr sie den Mann liebte. „Er war für mich immer mehr ein Vater als ein Onkel.“

Je mehr Russ über Grace Ashton hörte, desto besser verstand er, dass Abby nicht über sie sprechen wollte. „Wohin ist deine Mutter gegangen?“

Abby lachte trocken. „Wer weiß? Sie ist eines Tages vom Einkaufen nicht mehr zurückgekehrt. Wir sind ziemlich sicher, dass sie mit einem Vertreter abgehauen ist, der häufig in den Supermarkt von Crawley kam.“

„Weißt du, wie er heißt? Wenn du herausfindest, wo er ist, findest du vielleicht auch sie?“

„Sein Name ist Wayne Cunningham, aber das ist auch schon alles, was wir wissen.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem ebenmäßigen Gesicht, dann drehte sie sich zu ihm. „Uncle Grant hat sich bei der Firma erkundigt, für die Wayne arbeitete, aber das war eine Sackgasse. Sie suchten ihn auch. Wie sich herausstellte, ist er ganz zufällig zur gleichen Zeit wie Grace verschwunden. Und das Geld von den letzten Verkäufen fehlte auch.“

„Feiner Kerl“, sagte Russ sarkastisch. „Deine Mutter war offensichtlich sehr instinktlos in der Wahl ihrer Männer, wenn sie sich mit Typen wie Wayne einließ.“

Abby nickte. „Uncle Grant sagt nichts dazu, aber Ford und ich sind der Meinung, dass sie es auch nicht anders verdient hat.“

„Das tut mir alles sehr leid für dich, Süße“, sagte Russ und zog Abby in seine Arme.

Die Umarmung war eigentlich als Geste des Trosts gedacht, doch als er Abbys weichen weiblichen Körper an seinem spürte, vergaß er seine guten Absichten. Und küsste sie.

3. KAPITEL

Russ blickte in Abbys schöne grüne Augen und senkte langsam den Kopf. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er ihre weichen, sinnlichen Lippen spürte, und entwickelte sich zu einem wilden Trommelfeuer, als sie die Arme um seinen Hals schlang und mit den Fingern in seinen Haaren wühlte.

Zärtlich fuhr er mit der Zunge die Konturen ihres Mundes nach und glitt hinein, als sie die Lippen seufzend öffnete. Er erforschte das Innere ihres Mundes, genoss ihren süßen Geschmack und die schüchterne Antwort auf seine Leidenschaft. Der innige Kuss ließ seine vernachlässigten Hormone Kapriolen schlagen.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, drückte er sie sanft ins Gras und legte sich auf sie. Sie fühlte sich so verdammt gut unter ihm an. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt wie Abby. Er wollte sie haben. Sofort.

Mit dem Knie drückte er ihre Beine auseinander und zwängte sich zwischen ihre Schenkel, während er mit der Hand unter ihre Jacke glitt und sie auf ihre Brust legte. Ihr lustvolles Stöhnen animierte ihn weiterzumachen, und so rieb er die Brustknospe, die sich durch ihre Kleidung drückte.

Wie vorherzusehen war, wurde er sofort hart. Er hatte kein Problem damit, ihr zu zeigen, wie heftig er auf sie reagierte, wie sehr er sie begehrte, doch sie reagierte anders als erwartet.

Plötzlich verhielt sie sich ganz still, dann stemmte sie die Hände gegen seine Brust. „Hör bitte auf“, beschwor sie ihn. Ihr Tonfall grenzte an Panik.

Russ zog sofort die Hand weg und half ihr, sich aufzusetzen. „Was ist los?“ Er glaubte nicht, dass er es übertrieben und ihr wehgetan hatte. Er war sogar sicher, dass sie den Moment genauso genossen hatte wie er und ebenso erregt war.

„Ich … muss gehen.“ Sie rappelte sich auf, und bevor er sie aufhalten konnte, war sie schon zu Dancer gelaufen, der nicht weit von ihnen graste.

Verwirrt beobachtete Russ, wie sie sich in den Sattel schwang und zurück zum Stall galoppierte. Da er unbedingt herausfinden wollte, was sie zu dieser unerwarteten Reaktion veranlasst hatte, folgte er ihr umgehend.

„Abby, was war eben mit dir los?“, fragte er, als er etwas später als sie in den Stall kam.

„Bitte, nicht jetzt.“ Sie sah ihn nicht an, als sie den Sattel von Dancers Rücken hob.

Ihre Hand zitterte leicht, als sie die Bürste nahm, um den Braunen zu striegeln.

Russ wollte sie ihr aus der Hand nehmen. „Ich kümmere mich um die Pferde“, sagte er mit sanfter Stimme. Als sie zurückwich, ließ er die Hand sinken. „Abby, Süße, sprich mit mir. Was ist los?“

„Ich bin ihn geritten, also bürste ich ihn auch trocken.“ Sie ignorierte seine Frage und drehte sich wieder zu Dancer.

Die nächsten Minuten arbeiteten sie in beklommenem Schweigen. Russ vermutete, dass Abbys panische Reaktion etwas mit dem zu tun hatte, was sie ihm zuvor von ihrer Mutter erzählt hatte. Aber wenn sie nicht mit ihm sprach, konnte er nicht herausfinden, ob es wirklich daran lag, oder ob es noch etwas anderes gab.

Als Abby mit Dancer fertig war, führte sie ihn zurück in die Box. „Danke, dass ich dein Pferd reiten durfte“, sagte sie und ging an Russ vorbei in Richtung Tor.

„Abby, wir müssen miteinander reden.“ Er legte die Hand auf ihre Schulter.

Sie sah ihn nicht an, doch er spürte, dass sie sich verkrampfte. Im nächsten Moment wich sie seiner Berührung schon aus und ging weiter. „Es gibt nichts zu sagen.“

Russ wartete, bis sie durch die Doppeltür verschwunden war, bevor er ein paar heftige Flüche ausstieß. Abby mochte glauben, dass es nichts zu sagen gab, er aber war anderer Meinung. Morgen, wenn sie kam, um Marsannes Fessel zu versorgen, würde er bereits da sein und auf sie warten.

So wie in den vergangenen drei Tagen wartete Abby auch heute, bis sie sicher sein konnte, dass Russ die Pferde versorgt hatte und in der Kellerei bei Eli war, bevor sie sich den Ställen näherte, um sich die graue Stute anzusehen. Sie wusste, dass es feige war, einem Gespräch über die Gründe für ihre Angstreaktion an jenem Tag, als sie sich geküsst hatten, aus dem Weg zu gehen, aber sie wusste nicht, wie sie sonst mit der Situation umgehen sollte.

Sie wollte Russ nicht erklären, warum sie in Panik geraten war. Es war ihr peinlich zuzugeben, dass der schlechte Ruf ihrer Mutter sie gezwungen hatte, immer wieder zu beweisen, dass sie nicht genauso war. Auch wollte sie ihm nicht unbedingt sagen, dass sie Probleme mit Männern hatte, seit sie mit fünfzehn fast ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, nur weil ihr Date beim Schulball nicht geglaubt hatte, dass Grace Ashtons Tochter Nein meinte, wenn sie Nein sagte.

Abby stieß ein Kieselsteinchen weg. Ob es nun fair war oder nicht, sie musste die Sünden ihrer Mutter durch tadellosen Lebenswandel wiedergutmachen, seit sie in das Alter gekommen war, dass die Jungen sich nach ihr umdrehten. Deshalb hatte sie sich irgendwann auch mit niemandem mehr verabredet und sich stattdessen auf Schule und Ausbildung konzentriert.

Doch als Russ sie küsste, war ein Problem aufgetreten, das sie bisher nicht kannte – sie hatte den Kuss genossen und sich gewünscht, er würde nie enden. Und das beunruhigte Abby. Sie hatte Gefallen daran gefunden, in seinen Armen zu liegen und von ihm berührt und zärtlich gestreichelt zu werden. Und nur aus diesem Grund war sie in Panik geraten.

Warum war es mit Russ anders? War sie doch wie Grace?

Als sie den Stall betrat und die Stallgasse hinunter zur Sattelkammer ging, kam Abby zu dem Schluss, dass es auf diese Frage keine einfache Antwort gab. Sie hatte das Gefühl, dass sie, anders als Grace, nicht bei jedem Mann das empfinden würde, was sie bei Russ gespürt hatte. Leider konnte sie dem Geheimnis nicht auf den Grund gehen, warum sein Kuss sie mehr erregte, als sie sich jemals hätte vorstellen können. Das Risiko, dabei Dinge über sich zu lernen, die sie gar nicht wissen wollte, war zu groß.

„Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich kommst.“

Abby war so in Gedanken versunken, dass sie ihn gar nicht bemerkt hatte und bei seinen Wort erschrocken zusammenzuckte. „Was machst du denn hier? Müsstest du nicht längst in der Kellerei arbeiten?“

Russ saß auf einer Bank in der Sattelkammer, direkt neben dem Schrank, in dem die Sanitätsartikel verstaut waren, die langen Beine ausgestreckt und an den Knöcheln übereinandergeschlagen. Er wirkte entspannt, selbstbewusst und unglaublich sexy. So viel Sex-Appeal müsste verboten sein.

Lächelnd schob er mit dem Daumen seinen Cowboyhut hoch, dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe einen Tag freigenommen.“

„Warum?“ Sie fand es extrem irritierend, dass das Objekt ihrer Gedanken plötzlich, wie aus dem Nichts, vor ihr saß.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich muss mich um eine unerledigte Sache kümmern.“

Sie stieg über seine Beine, um an den Schrank zu kommen. „Und warum tust du es dann nicht?“

Sein Lächeln ließ ihre Knie weich werden. „Ich habe nur auf dich gewartet.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Unterschied meine Anwesenheit macht“, log sie und griff in den Schrank.

„Du bist die unerledigte Sache, Süße.“

Sie lachte nervös. „Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst.“

Sie hielt den Atem an, als er aufstand, die Hände auf ihre Schultern legte und sie zu sich drehte. „Spiel nicht die Naive, Abby. Wir wissen beide, dass du dafür viel zu intelligent bist.“

Abby wurde immer nervöser. Russ stand entschieden zu nah bei ihr. „Ich halte das für keine gute Idee.“

„Ich aber.“ Seine Ungezwungenheit wich der Entschlossenheit. „Ich möchte wissen, warum du plötzlich weggerannt bist, als ich dich geküsst habe.“

Sie starrte ein paar Sekunden lang in seine blauen Augen, dann schüttelte sie seine Hände ab und drehte sich wieder zum Schrank. „Du würdest es doch nicht verstehen.“ Als sie gefunden hatte, was sie suchte, stürmte sie an ihm vorbei.

Bevor sie die breite Stallgasse erreichte, hielt er sie am Arm fest. „Ich verstehe viel mehr, als du glaubst.“ Er legte die Hand an ihre Wange und zwang Abby, ihn anzusehen. Die Zärtlichkeit in seinem Blick machte sie nervös. „Willst du wissen, was ich glaube, warum du plötzlich in Panik geraten bist?“

„Nein.“

„Du hast Angst“, fuhr er fort, als hätte sie nichts gesagt.

Sie schüttelte den Kopf, lachte, doch es klang selbst in ihren Ohren unecht. „Du täuschst dich, Cowboy.“

„Wirklich?“ Sein Gesichtsausdruck zeigte ihr, dass er ihr beweisen wollte, dass sie log. „Dann lass dich von mir küssen, Abby.“

Eine Mischung aus Erregung und Panik durchströmte sie. „Das ist einfach lächerlich.“

„Du bist nicht wie deine Mutter“, sagte er und zog sie sanft in seine Arme.

Abby fühlte sich plötzlich geschlagen und brachte nicht die Kraft auf, Russ zu widerstehen. Sie wollte es nicht einmal. Nein, sie wollte, dass Russ sie in den Armen hielt, wollte, dass er sie küsste. „Was ist, wenn du dich täuschst?“

„Glaube mir, ich tue es nicht.“ Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, als er lächelnd den Kopf senkte. „In dieser Hinsicht nicht.“

Als seine Lippen ihren Mund berührten, versuchte Abby, passiv zu bleiben, um sich und ihm zu beweisen, dass der Kuss sie kalt ließ. Doch seine Zärtlichkeit ließ sie schnell vergessen, dass sie diese Situation um jeden Preis hatte vermeiden wollen.

Sie ließ das Verbandszeug fallen und klammerte sich an seinem Hemd fest. Unter dem weichen Stoff fühlte sie die harten Muskeln und seinen wilden Herzschlag. Ein Prickeln ging durch ihren Körper, und sie bekam weiche Knie. Sie war erregt, ihr wurde heiß, und tief in ihrem Bauch flatterten Hunderte von kleinen Schmetterlingen.

Es war nicht ihr erster Kuss, aber sicherlich der schönste. Noch nie war sie mit so unglaublicher Zärtlichkeit und Raffinesse geküsst worden.

Unbewusst stieß Abby einen glücklichen Seufzer aus, als Russ die Arme fester um sie schlang und sie an sich zog. Seinen harten männlichen Körper an ihrem weichen weiblichen zu spüren war unglaublich erotisch und weckte heftiges Verlangen in ihr. Ohne nachzudenken schmiegte sie sich enger an ihn.

Doch als sie ihn an ihrem Schoß spürte, wurde das Verlangen, mit ihm zu schlafen, so groß, dass sie plötzlich Angst bekam.

Sie wich zurück und schüttelte den Kopf. „R-Russ … ich kann nicht …“

„Schon okay, Süße.“ Er lockerte seine Umarmung, damit Abby auf Abstand gehen konnte, ließ sie jedoch nicht ganz los. „Ich werde dich nicht anlügen, Abby. Ich will dich. Aber ich habe noch nie eine Frau zu irgendetwas gezwungen. Und das werde ich auch niemals tun.“

Die Ernsthaftigkeit in seinen strahlend blauen Augen nahm ihr fast den Atem. Sie hatte keine Zweifel daran, dass er es ehrlich meinte. Aber was sie im Moment empfand, war nicht sein Problem, sondern ihres.

„Das weiß ich. Du heißt ja nicht Harold.“ Eigentlich hatte sie den Namen des Jungen, der sie zu jenem besagten Schulball geführt hatte, nicht nennen wollen. In der Hoffnung, dass es Russ entgangen war, fügte sie eilig hinzu: „Ich bin diejenige, die Angst hat, etwas Dummes zu tun.“

„Wow. Nicht so schnell. Wer ist Harold?“

Abby schloss die Augen und holte tief Luft. Sie hätte wissen müssen, dass Russ ihr Schnitzer nicht entgangen war. „Er war mein Date bei einem Schulball. Aber das ist jetzt nicht wichtig.“

Autor

Sara Orwig
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