Die Prinzessin und der Bastardkrieger

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Irland, 1172. Lady Taryn of Ossoria muss ihren Vater retten: Wegen angeblichen Hochverrats droht ihm der Tod! Verzweifelt bittet sie den mächtigen Krieger Killian MacDubh um Hilfe. Es heißt, der rechtlose Bastardsohn soll ein Herz aus Eis haben. Doch auf der gefahrvollen Reise zum Königshof entdeckt Taryn an dem irischen Krieger eine warme, sinnliche Seite voller Küsse und zärtlicher Leidenschaft. Bis die junge Lady entsetzt erfährt, was er von ihr für die Rettung ihres Vaters verlangt: die Ehe, damit er endlich in den Besitz von eigenem Land kommt! Hat der Bastard wirklich ein Herz aus Eis?


  • Erscheinungstag 09.05.2017
  • Bandnummer 332
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768096
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Irland – 1172

Seine Schwester würde bald sterben.

Killian MacDubh sah es deutlich, auch wenn alle anderen um ihn herum es leugneten. Carice war zwar immer noch die schönste Frau von ganz Éire, aber ihr Körper hatte seine Kraft verloren. Vor zwei Jahren war sie schwer erkrankt und seither immer zerbrechlicher geworden. Sie verließ ihr Bett nur selten, und wenn sie es tat, musste sie meist zurückgetragen werden. Sie hatte ihm die Nachricht überbringen lassen, dass sie ihn am Abend dringend sprechen müsse. Killian fragte sich, worüber sie wohl mit ihm reden wollte.

Draußen trommelte der Regen auf den aufgeweichten Erdboden. Ohne genau zu wissen, warum, war er den ganzen Tag über unruhig auf und ab gegangen. Eine rastlose Vorahnung hatte ihn ergriffen, so, als hinge eine unsichtbare Bedrohung über ihnen allen. Die Zeichen standen auf Sturm.

Seine Tunika und seine engen Hosen waren völlig durchnässt, als er den Eingang am hinteren Ende der großen Halle erreichte. Kaum war er eingetreten, verdüsterte sich Brian Faoilins Gesicht, als wäre ein streunender Hund in das Haus eingedrungen. Dem Chef des Faoilin-Clans war Killians bloße Existenz ein Dorn im Auge. Als Killians Mutter Iona bei ihm Zuflucht gesucht hatte, hatte sie ihren unehelichen Sohn zwar bei sich behalten dürfen. Aber der Clan-Chef hatte sie beide gezwungen, unter den Fuidir zu leben, den rechtlosen, abhängigen Pächtern, die unter bestimmten Bedingungen geduldet wurden, aber niemals richtig zum Clan gehörten. Sein ganzes Leben lang hatte Killian neben den Hunden geschlafen und Essen gegessen, das andere übrig gelassen hatten. Alle Clansrechte waren ihm verwehrt, und er durfte kein eigenes Land besitzen.

Das hätte ihm zeigen sollen, wo sein Platz in der Welt war. Stattdessen nährte es seine Verbitterung, und er hatte sich geschworen, dass der Tag kommen würde, an dem ihn niemand mehr als Sklave behandeln würde. Wie sehr sehnte er sich nach einem Leben, in dem ihm andere mit Respekt anstatt mit Verachtung begegneten. Nur Brians Tochter Carice hatte ihn immer wie einen Bruder behandelt, seit sie zusammen aufgewachsen waren.

Killian wusste, dass er ein guter Kämpfer war. Als Diener eines Faoilin-Kriegers hatte er einige Sommer lang bei den MacEgans, den besten Kriegern Irlands, verbracht und dort das Kämpfen gelernt. Eigentlich hatte er die Faoilins schon lange verlassen und sich als Soldat verdingen wollen. Besser das Leben eines Nomaden führen und sein eigener Herr sein, als so weiterzumachen wie bisher. Aber dann war Carice erkrankt und hatte ihn gebeten, nicht zu gehen. Nach dem Tod seiner Mutter war sie alles, was ihm an Familie geblieben war, und er wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde. So hatte er geschworen, bis zum Ende bei ihr zu bleiben.

Fürst Brian beugte sich unterdessen zu einem der Wachsoldaten hin, zweifelsohne um den Befehl zu geben, Killian aus der Halle zu werfen. Innerhalb kürzester Zeit durchquerte Killians Freund Seorse den großen Saal, Bedauern auf dem Gesicht. „Du weißt, dass du nicht hier sein darfst, solange du nicht dazu aufgefordert wurdest, Killian.“

„Natürlich nicht.“ Sicher, er sollte draußen im strömenden Regen bleiben, wo Erde und Dung sich zu Matsch vermischten. Brian weigerte sich, ihn in den Clan aufzunehmen. Er wollte, dass Killian in den Ställen arbeitete und tat, was man ihm befahl.

Aber heute verschränkte er die Arme vor der Brust und wich nicht von der Stelle. „Willst du es sein, der mich rauswirft?“ Killians Stimme war kalt wie Eis, denn er war es müde, wie der Bastard behandelt zu werden, der er war. Er spürte, wie sich sein Bauch vor Wut zusammenzog, und rührte sich nicht.

„Fang keinen Streit an, Killian“, warnte Seorse ihn. „Stell dich im Turm unter, wenn es sein muss. Aber mach keinen Ärger. Ich kann dir später etwas zu essen bringen.“

Killians grinste ihn an. „Sehe ich so aus, als wäre ich auf Ärger aus?“ Er kämpfte gern und hatte sich bei den Männern einen Namen als einer der besten Kämpfer gemacht. Unter seiner Tunika trug er ein Kettenhemd, das er nach einem Überfall nordischer Eindringlinge einem der getöteten Angreifer abgenommen hatte. Er besaß kein eigenes Schwert, aber er wusste seine Fäuste zu benutzen und hatte über die Jahre hinweg den einen oder anderen Knochen gebrochen. Brian gab es jedes Mal ganz offensichtlich einen Stich, wenn Killian einen Wettkampf gewann oder ein Clanmitglied besiegte.

Seorse senkte die Stimme. „Warum bist du hier, Killian?“

„Carice hat nach mir rufen lassen.“

Sein Freund schüttelte den Kopf. „Es geht ihr heute schlechter. Ich glaube nicht, dass sie ihre Kammer verlassen kann. Sie war fast die ganze Nacht in schlimmer Verfassung und konnte kaum etwas essen.“

Es zerriss Killian das Herz, Carice vor seinen Augen praktisch verhungern zu sehen. Sie konnte kaum noch Nahrung bei sich behalten. Der Heiler hatte ihr verordnet, nur Brot und andere einfache Dinge zu sich zu nehmen, um ihren Magen zu schonen. Aber nichts schien zu helfen. „Bitte, bring mich zu ihr.“

„Das kann ich nicht, und du weißt es. Brian hat mir befohlen, dich nach draußen zu begleiten.“

Aber Killian war nicht bereit aufzugeben – noch nicht. Als er in Richtung Eingang ging, bemerkte er eine Regung an der Treppe, die nach oben führte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Fürst Brian gerade nicht auf ihn achtete. Daher wagte er es und eilte mit schnellen Schritten auf die Wendeltreppe zu. Seorse sah ihn besorgt an, aber seine stille Botschaft war klar. Er würde Brian nicht melden, dass Killian noch da war.

Carice hatte offensichtlich Schwierigkeiten, die Treppe hinunterzugehen. Ihre Haut hatte die Farbe von Schnee. Während sie sich mit der einen Hand an der Schulter ihrer Zofe festhielt, stützte sie sich mit der anderen an der Wand ab. Killian beeilte sich, ihr entgegenzukommen und ihr den Arm anzubieten. „Kann ich helfen, Mylady?“

„Nenn mich so noch einmal und du kriegst eins …“ Ihr dunkles Haar war aus dem Gesicht gebunden, und ihre blauen Augen blickten ihn voller Wärme an. Sie war viel zu dünn. Nur noch Haut und Knochen. Aber ihr Geist war kämpferisch wie eh und je.

„Du hättest dein Zimmer nicht verlassen sollen, Carice.“

Sie gab ihrer Zofe ein Zeichen, sie allein zu lassen.

„Ich werde kurz hier sitzen, um mit dir zu sprechen“, erklärte sie. „Danach kannst du mich zurück ins Bett tragen.“

„Du bist zu krank“, schalt er. „Ich bringe dich sofort zurück.“

Sie schüttelte den Kopf und hob die Hand. „Lass mich sprechen. Es ist wichtig.“

Carice ließ sich auf der Treppe nieder und bedeutete ihm, sich neben sie zu setzen. „Vater sollte dich nicht so behandeln. Du bist mein Bruder, und für mich bist du das immer gewesen, auch wenn wir nicht dieselben Eltern haben.“ Sie drückte ihm die Hand. In so vielen Dingen erinnerte sie ihn an seine Mutter. Sanft, aber mit einem sehr starken Willen. Sie hatte sich vorgenommen, sich um ihn zu kümmern. „Du verdienst ein besseres Leben als dieses, Killian. Es war falsch von mir, dich zu bitten zu bleiben.“

Er widersprach nicht. Aber er wusste, dass er, wenn er einmal gegangen war, nie mehr nach Carrickmeath zurückkehren würde. „Eines Tages werde ich gehen. Vielleicht, wenn du verheiratet bist und nicht mehr meine Kämpfe für mich austrägst.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. „Ich werde niemanden heiraten, Killian. Dieser Winter ist mein letzter. Ich habe vielleicht nicht einmal bis zum Sommer zu leben.“

Unbehagen erfasste ihn, denn er wusste, dass sie recht hatte. Von Tag zu Tag verschlechterte sich ihr Zustand. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr genug Kraft haben würde, um am Leben festzuhalten. Aber so schwach ihr Körper auch war, ihre innere Stärke war die einer Kriegerkönigin.

„Vater glaubt mir nicht. Er denkt, ich werde gesund, den Hochkönig heiraten und Königin von Irland werden. Aber er irrt sich. Deshalb habe ich die Dinge selbst in die Hand genommen.“

„Was meinst du damit?“ Plante sie etwa, sich das Leben zu nehmen?

„Ich werde Rory Ó Connor nicht heiraten“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich habe Vorkehrungen getroffen, um von hier fortzugehen.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher, als sie einräumte: „Vater hat meine Reise nach Tara zur Hochzeit verschoben. Er hat dem Hochkönig von meiner Krankheit erzählt, doch schon bald werden die Männer des Königs kommen, um mich zu holen. Aber ich werde nicht zulassen, dass die letzten Tage meines Lebens von einer Ehe mit einem solchen Mann überschattet werden.“ Sie streckte die Hand aus und strich Killian eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß, König Rory ist dein Vater, aber ich bin sehr froh, dass du ihm in keiner Hinsicht gleichst.“

„Ich werde nie so sein wie er.“ Die Geschichten von den grausamen Taten des Hochkönigs waren bekannt. Rory hatte die Gebiete von Strabane und Derry geplündert und gebrandschatzt. Er hatte sogar befohlen, seinen eigenen Bruder zu blenden, um auf den Thron zu gelangen. Das war einer von vielen Gründen, warum niemand es wagte, sich gegen ihn zu stellen.

„In gewisser Weise ähnelst du ihm aber doch.“ Carice legte ihre Hand an seine Wange. „Das Blut des Hochkönigs fließt in deinen Adern. Du bist dafür gemacht, Herr über dein eigenes Land zu sein.“

Nur zu gern hätte er das geglaubt, wusste aber nicht, ob er seine niedrige Geburt jemals überwinden würde. Viele Männer respektierten ihn als guten Kämpfer und Strategen. Aber es brauchte weitaus mehr als das, um sich seinen Platz im Leben zu erobern, zu Land und Besitz zu kommen.

„Ich bin ein Bastard“, erinnerte er sie. „Und König Rory wird mich niemals anerkennen.“ Es war bekannt, dass der Hochkönig Dutzende uneheliche Kinder gezeugt und wenig Interesse an ihnen hatte. Brian hatte Rory einmal aufgesucht und eine Entschädigung für Killians Unterhalt und Erziehung gefordert. Aber der König war nicht da gewesen, und seine Vertreter hatten sich geweigert, ihm etwas zuzugestehen. Damals war Rory noch nicht König von ganz Irland gewesen, sondern nur das Oberhaupt von Connaught.

„Wer weiß, was geschieht“, antwortete Carice. „Ich jedenfalls weiß, dass du für das Leben, das du haben willst, kämpfen wirst. Ebenso wie ich für den Tod kämpfe, den ich haben will.“

Ihre Worte erschreckten ihn. Carice war das einzige Gute in seinem Leben. Ihre stille Kraft und ihre Freundlichkeit hatten ihm geholfen, seinen Hass auf Brian im Zaum zu halten. Ohne sie hatte er niemanden mehr, für den es sich zu kämpfen lohnte.

„Carice, nicht“, sagte er, ohne seine Angst aussprechen zu wollen. „Du darfst nicht aufgeben.“

Sie ignorierte seine Worte und fuhr fort. „Ich habe den MacEgan-Clan um Hilfe gebeten. Jemand wird kommen und mich in unsere Ländereien im Westen bringen. Ich bitte dich, mir bei der Flucht zu helfen. Lass Vaters Männer mich nicht aufhalten.“ Ihr Gesichtsausdruck blieb entschlossen, aber er sah, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. „Wenn ich bleibe, muss ich den Hochkönig heiraten. Und ich will diese Hochzeitsnacht nicht ertragen müssen.“

Ihre Hände zitterten, als sie langsam einatmete. „Hilf mir zu entkommen, Killian. Du bist stark und kannst für mich kämpfen.“

Um Carice zu beruhigen, nickte er. Und gab ein Versprechen, das er – da war er sich sicher – würde halten können: „Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich nicht zulassen werde, dass du König Rory heiraten musst.“

Sie ließ ihre Schultern sinken. Erleichtert berührte sie sein Haar, während sie ihre Stirn gegen seine lehnte. „Danke. Ich weiß noch nicht genau, wann ich aufbrechen werde, aber es wird bald sein. Vaters Männer werden mich suchen, aber du musst sie nach Norden auf eine falsche Fährte lenken. Du kannst ihnen sagen, ich würde Freunde besuchen. Die MacEgans werden mich ebenfalls mit falschen Geschichten decken.“

„So soll es geschehen.“

Sie sackte ein wenig in sich zusammen, und er konnte sehen, dass sie nicht die Kraft hatte, allein ins Bett zurückzukehren. „Du bist der Bruder meines Herzens, Killian, was immer auch mein Vater sagt. Ich bete, dass du eines Tages erkennen wirst, wie wundervoll du bist.“

Er stand auf, beugte sich vor und hob sie hoch. „Ich bringe dich zurück in deine Kammer. Ruh dich aus. Du kannst dich darauf verlassen: Ich werde dich beschützen.“

Taryn Connelly hatte noch nie einen Gefangenen befreit. Sie hatte keine Ahnung, wie man unerkannt in die Burg des Hochkönigs in Tara eindringen und einen Gefangenen herausholen konnte. Aber die Tage ihres Vaters waren gezählt. Wenn es ihr nicht gelang, Soldaten zu finden, die ihn retteten, war sein Leben verloren. Aber es erwies sich als schwierig, Kämpfer für diese Aufgabe zu finden.

Ihr Vater, König Devlin, war ein guter Mann und ein starker Regent gewesen. Aber die letzten Männer, die nach Tara gegangen waren, um ihn zurückzuholen, waren nach Ossoria zurückgeschickt worden – ohne ihre Köpfe. Sie schauderte bei der Erinnerung. Deutlicher hätte König Rory nicht sagen können, dass er nicht bereit war, seinen Gefangenen freizulassen.

Taryns Mutter, Königin Maeve, hatte darauf bestanden, dass alle anderen Soldaten in Ossoria bleiben sollten, um die Provinz zu schützen, und die Männer waren froh gewesen, diesem Befehl zu gehorchen.

Aber Taryn weigerte sich, ihren Vater dem sicheren Tod zu überlassen. Es war nicht gerecht. Jemand musste ihn retten. Und auch wenn sie nicht dazu in der Lage war, selbst in die Schlacht zu ziehen, so konnte sie doch einen Krieger finden, der es war.

Plötzlich wurde Taryn von Aufregung nahezu überwältigt, denn sie hatte Ossoria noch nie zuvor verlassen. Viele Jahre lang hatte sie ein zurückgezogenes Leben im Verborgenen geführt, damit niemand ihr Gesicht sah, das von Narben entstellt war. Ihr Vater hatte sie immer gewarnt, dass die Leute sie verachten würden, wenn sie es wagte, ihr Zuhause zu verlassen. Aber jetzt hatte sie keine Alternative. Auch wenn sie sich einer höhnischen Menge stellen musste – um sein Leben zu retten, würde sie ihre Furcht beiseiteschieben und alles riskieren.

Ihre Mutter öffnete die Tür zu ihrer Kammer und starrte in die offene Truhe, vor der Taryn gerade hockte. Darin lagen nicht nur fein gewebte Kleider, sondern auch eine Schatulle, gefüllt mit Schmuckstücken aus Gold, silbernen Kelchen und einem kleinen Beutel mit Perlen.

„Du kannst ihn nicht retten, Taryn“, sagte Maeve. „Du hast doch gesehen, was der Hochkönig mit unseren Soldaten gemacht hat.“

„Wäret Ihr an seiner Stelle, Mutter, würdet Ihr dann wollen, dass wir unser Leben einfach weiterleben und nicht versuchen, Euch nach Hause zu holen?“, gab Taryn zurück. „Er ist mein Vater, kein Verräter.“

Da war sie sich sicher. Devlin war einer Vorladung des Hochkönigs gefolgt. Aber die Männer des Königs hatten ihn sofort verhaftet und in Ketten gelegt. Und warum auch immer er den Hochkönig aufgesucht hatte, Taryn wollte ihn retten. „Ich werde mich nicht von ihm abwenden.“

Ihre Mutter schwieg, Entschlossenheit auf dem Gesicht. Um ihren Hals trug sie einen goldenen, mit Rubinen besetzten Reif, und ihr langes rotes Haar fiel ihr bis auf die Hüften. „Ich weiß, dass du glaubst, dass Devlin ein guter Vater ist. Er hat alles getan, damit du das denkst.“ Ihre Stimme war ruhig, aber der verachtungsvolle Ton, der in ihren Worten mitschwang, war nicht zu überhören.

Taryn wappnete sich innerlich, denn sie wusste, dass die Ehe ihrer Eltern nie glücklich gewesen war. Ihre Mutter hatte im Laufe der Jahre viele Fehlgeburten erlitten, und das hatte ihre Stimmung immer überschattet. Immer hatte sie alles unter Kontrolle haben müssen und die Bediensteten den lieben langen Tag herumkommandiert. Und wer ihre Befehle nicht befolgte, wurde für jede Kleinigkeit bestraft.

Maeve seufzte und schritt im Zimmer auf und ab. „Es tut mir leid, aber du kannst nicht nach Tara reisen. Und du wirst nicht noch weitere meiner Soldaten wegen Devlin dorthin schicken.“

Meiner Soldaten? Taryn war fassungslos. Es klang, als hätte ihre Mutter ihren Mann bereits aufgegeben.

„Sie sind immer noch auch Vaters Männer“, sagte sie.

Maeves Gesichtsausdruck wurde kühl. Sie ging zum Fenster hinüber: „Ich werde dir nicht erlauben, Männer gegen König Rory auszuschicken. Jeder Einzelne von ihnen würde getötet werden. Und ich schicke niemanden ohne Not in den Tod.“

Nicht einmal für deinen Mann? wollte Taryn fragen, tat es aber nicht.

„Ich hatte nicht vor, eine Armee aufzustellen“, erklärte sie ruhig. „Ich werde einfach selbst gehen, um Vater zu retten. Was kann es schaden, König Rory meine Bitte vorzutragen? Ich stelle keine Bedrohung für ihn dar.“

„Du wirst nicht gehen“, sagte Maeve bestimmt. „Und das ist mein letztes Wort.“ Ihr Blick glitt über Taryn. „Der Ard-Righ wird auf nichts hören, was du zu sagen hast.“ Sie strich Taryn über die narbenbedeckte Wange. „Und ich fürchte, im Gegensatz zu anderen Frauen kannst du nicht dein Aussehen einsetzen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.“ Die Berührung ihrer Mutter brannte sich wie ein Brandmal in ihre Haut.

Taryn wusste, dass sie niemals schön sein würde und dass sie sich damit abfinden musste, dass ihr Gesicht und ihre Hände für immer entstellt waren. Aber es aus dem Mund ihrer Mutter zu hören, war ein Schlag, den sie nicht erwartet hatte. Sie tat einen Schritt zurück und senkte ihren Blick zu Boden. „Ich will König Rorys Aufmerksamkeit nicht.“

Im Gegenteil. Siewusste, dass sie zu groß war und ein Gesicht hatte, das Männer schaudern ließ. Ihr Haar war schwarz, nicht feurig rot wie das ihrer Mutter. Sie hatten aber die gleichen Augen. Mehr als einmal hatte Taryn gewünscht, nicht in diese eisblauen Augen sehen zu müssen, die sie wie aus einem Spiegel anstarrten.

Manchmal wünschte sie, statt ihres Vaters wäre ihre Mutter gefangen genommen worden. Maeve schien sich nie um jemand anderes zu kümmern als um sich selbst. Und es tat Taryn weh, sich ihren Vater in Ketten vorzustellen und die Folter, die er ertragen musste.

Taryn schloss die Truhe und stand auf. „Ich verstehe nicht, warum ich nicht eine kleine Eskorte mitnehmen kann, wenn ich mit dem Hochkönig spreche. Zwei oder drei Männer kannst du doch sicher entbehren.“ Außerdem ging es ihre Mutter nichts an, welche Risiken sie einging. „Wenn ich es nicht schaffen sollte, ihn zu überzeugen, ist noch nichts verloren.“

„Nichts außer deinem Leben“, entgegnete Maeve. Sie starrte weiter aus dem Fenster und sagte schließlich: „Heute morgen kam ein Bote. Devlin wird am Abend vor Imbolg hingerichtet.“ Schon am Vorabend von Lichtmess am 1. Februar! Taryn wurde übel. Ihre Mutter drehte sich zu ihr um: „Und ich glaube nicht, dass du zusehen willst, wie dein Vater stirbt. Aber wenn du nach Tara gehst, wird dich der Ard-Righ zwingen zuzusehen.“

Vor Grauen zog sich Taryns Magen bei diesem Gedanken zusammen. Sie presste die Hände eng zusammen und wünschte, sie könnte ihr Zittern kontrollieren: „Und du tust nichts, um es zu verhindern!“

„Ich werde mich nicht in die Rechtsprechung des Hochkönigs einmischen, weil mir mein eigenes Leben lieb ist.“ Maeve kam näher und umfasste Taryns Kinn. „Genauso wie mir an deinem Leben liegt. Devlin ist bald nicht mehr, und es gibt nichts, was man dagegen tun kann.“

Auf dem Gesicht der Königin zeigte sich ein Ausdruck von Bedauern. „Ich kann deine Gedanken lesen, meine Tochter. Du willst heimlich gehen und versuchen, Devlin zu retten. Aber ich werde nicht zulassen, dass du dich selbst oder andere in Gefahr bringst. Dein Vater ist nicht der Mann, für den du ihn hältst.“ Sie verstummte, wirkte aber so, als wollte sie noch etwas sagen, aber dann schwieg sie.

Taryn schwieg ebenfalls, aber sie glaubte ihrer Mutter nicht. König Devlin war ein ruhiger, weiser Anführer, den seine Untertanen respektierten. Wenn sie an seinen Tod dachte, gerann ihr das Blut in den Adern. Ihrer kleinen Provinz würden schlimme Zeiten bevorstehen, denn Maeve würde mit eiserner Hand regieren. Ihr Vater hatte den Menschen hier Frieden und Wohlstand gebracht, aber das würde unter der Herrschaft ihrer Mutter kaum so bleiben.

Taryn schluckte schwer, und nackte Angst stieg in ihr auf, wenn sie nur daran dachte, dem Hochkönig gegenüberzutreten. Aber sie musste es tun, wenn sie versuchen wollte, das Leben ihres Vaters zu retten. Das Lichtmess-Fest war schon in einigen wenigen Wochen.

Es blieb nur wenig Zeit, und sie wollte Ossoria bei Morgengrauen verlassen. Sie hoffte zumindest mit einem Mann als Begleitschutz reisen zu können. Aber es würde schwer genug werden, überhaupt jemanden zu überzeugen, mit ihr zu kommen. „Ich muss ein wenig an die frische Luft“, behauptete sie, um das Gespräch zu beenden: „Darf ich jetzt gehen?“

„Ja“, antwortete Maeve. „Aber du bleibst innerhalb der Burgmauern. Und, Taryn – wenn du doch versuchst, dich meinem Befehl zu widersetzen, werden dich meine Soldaten zurückholen. Dessen kannst du sicher sein.“

Taryn sagte nichts, aber sie knickste vor ihre Mutter, bevor sie aus der Tür trat. Ein unwohles Gefühl ergriff sie, denn sie wusste, dass ihre Mutter jeden streng bestrafen würde, der es wagte, sie zu begleiten.

Als sie die Eingangshalle erreicht hatte, lehnte sie sich erschöpft gegen eine Steinwand. Sie verspürte plötzlich große Angst vor der Zeit, die vor ihr lag. Sie würde mindestens zwei Wochen benötigen, um Tara zu erreichen, und dann brauchte sie Männer, die ihr halfen. Keine ganze Armee – aber genug Kämpfer, um Devlin zu retten, wenn sie König Rory nicht umstimmen konnte.

Wer würde sich auf eine solche Aufgabe einlassen? Sie wusste nicht, wie man Söldner anheuerte. Sie könnte einen benachbarten Clan-Chef oder König fragen. Aber sie würden niemals bereit sein, sich gegen den Hochkönig zu verbünden.

Sie musste sich etwas einfallen lassen, was sie in die Waagschale werfen konnte, etwas, das König Rory haben wollte.

Dein Aussehen kannst du nicht einsetzen, hatte ihre Mutter gesagt. Das wusste Taryn nur zu gut. Allein die Idee, sich selbst anzubieten, war lächerlich. Kein Mann wollte eine Braut mit einem narbenübersäten Gesicht – sie wollten nur ihr Königreich. Die meisten Männer verhielten sich so, als sähen sie Taryn gar nicht, oder wandten sich ab, um ihren Anblick zu vermeiden. Ihr Magen revoltierte, als diese unschönen Erinnerungen an die Oberfläche drangen. Sie hatte ihren Vater von der Verlobung von König Rory und Carice Faoilin sprechen hören. Es hieß, die junge Frau sei die schönste Frau in Éire – also eine perfekte Braut für den Hochkönig. Taryn bezweifelte zwar, dass irgendeine Frau auf der Welt solch einen grausamen Mann heiraten wollte. Aber Carice hatte sehr wahrscheinlich keine Wahl.

Eine Verbindung zwischen dem Hochkönig und dem Faoilin-Clan wäre ein sehr mächtiges Bündnis, das den Einfluss des Hochkönigs in den südlichen Gebieten des Landes stärken würde. Seit die normannischen Eroberer immer stärker Fuß fassten, brauchte Rory Ó Connor starke Armeen und Verbündete, die Irland verteidigten. Krieg stand vor der Tür, und keiner wusste, wer ihn gewinnen würde.

Würde der König auf seine Braut hören, wenn die ihn um etwas bat? Obwohl sie Carice noch nie getroffen hatte, könnte sie vielleicht nach Carrickmeath reisen und sie um Hilfe bitten.

Taryn sorgte sich, ob Perlen oder Gold ausreichen würden, um die Hilfe zu bekommen, die sie brauchte. Sie hatte wenig anderes zu bieten. Und jetzt, da ihre Mutter ihr verboten hatte, Soldaten als Eskorte mitzunehmen, konnte sie nicht in einem Wagen reisen. Das bedeutete, dass es ihr nur möglich war, die Wertsachen mitzunehmen, die sie auch tragen konnte.

Als ihre Gedanken zu Carice Faoilin zurückkehrten, formte sich eine Idee. Vielleicht wäre eine gute Ablenkung die Lösung. Carice würde den Hochkönig heiraten … wie wäre es also, wenn Taryn mit ihr zusammen zur Hochzeit fuhr? Eine solches Fest wäre eine großartige Ablenkung. Hunderte Hochzeitsgäste würden kommen. Es wäre eine perfekte Chance, ihren Vater heimlich zu retten. Taryn fragte sich, ob sie Carice überzeugen konnte, sie als Begleiterin mit ihr nach Tara reisen zu lassen.

Trotzdem würde sie Unterstützung brauchen, keine große Truppe – nur ein paar gut ausgebildete Männer.

Und sie wusste genau, wo sie die finden würde.

Der bewölkte Himmel verdunkelte sich, als der Nachmittag langsam in den Abend überging. Taryn zog ihren pelzbesetzten Mantel enger um sich, während die Nässe draußen sich in Frost verwandelte. Ein älterer Mann namens Pól war bereit gewesen, sie zu begleiten und trug das kleine Bündel mit einem Beutel Edelsteinen, Silber sowie einem Ersatzkleid. Sie hatte fast alles zurücklassen müssen, da sie ohne Pferd aufgebrochen waren. Pól hatte protestiert, dass der Weg viel zu weit sei, um ihn zu Fuß zurückzulegen.

Aber Taryn hatte ihm erklärt, sie müssten leise und unbemerkt fliehen. Doch die Wahrheit war, dass sie seit dem Tod ihres Bruders große Angst vor Pferden hatte. Ihr wurde das Herz schwer, als sie sich daran erinnerte. Niemals würde sie den schrecklichen Tag vergessen, an dem er gestorben war, nachdem sein Pferd ihn abgeworfen hatte. Seitdem hatte Taryn es vermieden, auf ein Pferd zu steigen.

Nein, wenn sie nicht in einem Wagen reisen konnte, würde sie laufen. Es war nicht so weit bis Carrickmeath – weniger als ein Tagesmarsch. Und ohne ein Pferd war es schwieriger für die Soldaten ihrer Mutter, sie aufzuspüren.

Sie war so müde, dass ihre Füße fast taub waren. Sie waren mitten in der Nacht aufgebrochen und dann den ganzen Tag gelaufen, um möglichst weit zu kommen. Taryns Haar war tropfnass vom Regen, der zuvor gefallen war, und hing ihr über die Schultern hinab auf ihr blaues wollenes Kleid. Sie war erschöpft von der Anstrengung, aber sie konnten keine Pause machen. Ihre Mutter würde Männer ausschicken, um sie zurückzuholen. Sie musste so viel Distanz wie möglich zwischen sich und ihre möglichen Verfolger bringen. Erst wenn sie sicher in Brian Faoilins Ringburg angekommen war, durfte sie sich ausruhen.

Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch tauchte in der Ferne plötzlich eine Burg auf. Es war ein hölzerner Bau auf einem Hügel, den ein tiefer Graben umgab. Angespitzte Holzpfähle waren in gleichmäßigen Abständen um die Burg in die Erde gerammt worden, verbunden mit einem Weidenzaun, um Angreifer abzuwehren.

Gott sei gedankt. Sie würde für die Nacht die Gastfreundschaft des Faoilin-Clans suchen und hoffte, sich unter seinen Schutz stellen zu dürfen. Aber als sie näher kam, entdeckte sie zwei Dutzend Soldaten, die auf die Burg zuhielten, ihre Kommandeure auf Pferden. Sie sprengten mit ihren Speeren in den Fäusten auf die Tore zu, und es war klar, dass sie nicht zu einem freundschaftlichen Besuch gekommen waren. Einer der Männer trug das Banner des Hochkönigs, und sie wirkten, als warteten sie auf den richtigen Augenblick, um anzugreifen.

Warum sollten die Männer des Hochkönigs den Faoilin-Clan angreifen? Waren sie hier, um die Burg zu belagern? Oder hatte der Chef des Faoilin-Clans den Hochkönig betrogen? Was immer der Grund war, Taryn würde sich nicht einmischen. Zumindest nicht, bis sie wusste, warum die Krieger hier waren.

Sie verlangsamte ihre Schritte und tauschte einen Blick mit ihrem Begleiter aus. „Ich denke, wir sollten warten, bevor wir uns der Burg nähern.“

„Das sehe ich auch so, Mylady.“

Taryn winkte Pól, ihr unter eine Baumgruppe zu folgen. Der Wind zerrte an ihrem Mantel. Als sie stehen blieb, merkte sie, dass sie bis auf die Knochen fror. Noch schlimmer war, dass der Regen wieder eingesetzt hatte, diesmal gemischt mit Eis. Taryn eilte zu den Eichen und suchte Schutz unter einem großen Baum. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun oder wie lang sie warten sollte. Das Letzte, was sie wollte, war draußen zu übernachten. Nachts würde es anfangen zu schneien und der Boden zu hartem Eis gefrieren. Es war gefährlich, bei einem solchen Wetter draußen zu schlafen.

„Was sollen wir tun?“, fragte sie Pól.

Ihr Begleiter legte die Hand auf sein Schwert und zuckte mit den Schultern. „Wir müssen warten, bis sie wieder weg sind. Oder zumindest, bis sie in der Burg sind.“

Taryn hasste es zu warten. Viel lieber ergriff sie die Initiative und hoffte auf einen guten Ausgang der Dinge. Aber sie wusste, dass es besser war, nicht ihrem Impuls zu folgen und ihr beider Leben in Gefahr zu bringen. Die hölzernen Tore blieben geschlossen. Vier Männer standen auf einem Wachturm, von dem aus sie den Eingang im Blick hatten. Eine Zeit lang verharrten die Männer des Hochkönigs tatenlos vor den Toren, und sie konnte nicht sagen, was los war. Während sie die Männer beobachtete, fragte sie sich, wie sie wohl reagieren würden, wenn sie sich zu erkennen geben würde.

„Wir können nicht die ganze Nacht warten“, überlegte sie laut. „Wir müssen herausfinden, warum sie hier sind.“

Ihr Begleiter zuckte mit den Schultern. „Warum auch immer sie hier sind, ich würde sie nicht fragen, Mylady. Ich kann in der Zwischenzeit ein Feuer machen und eine Schutzhütte für Euch bauen.“

Der ältere Mann hatte darauf bestanden, sie nach Tara zu begleiten, und sie war dankbar für seine Loyalität. Aber er war nicht mehr der Kräftigste, und sie bezweifelte, dass er sie würde verteidigen können. Er konnte ein Schwert führen, aber bei feuchtem Wetter schmerzten seine Hände. Pól hielt dem Vergleich mit Brian Faoilins Männern nicht stand, die alle zu den stärksten Kämpfern in Éireann zählten, übertroffen nur noch von den MacEgans.

Taryn atmete aus, ihr Atem bildete kleine Wolken in der Luft. Irgendwie musste sie sich mit Carice Faoilin verbünden. Die Braut des Hochkönigs war die sicherste Möglichkeit, um nach Tara zu kommen.

Sie begann, auf und ab zu gehen. Besorgt fragte sie sich, was diese Kämpfer hier im Sinn hatten. Würden sie ihr erlauben, sich der Burg zu nähern? Wenn der Faoilin-Clan seine Tore geschlossen hielt, gab es sicher einen Grund dafür.

„Möchtet Ihr, dass ich mich heranschleiche, um herauszufinden, warum sie gekommen sind?“, fragte Pól. „Wenn ich meine Waffen bei Euch lasse, werde ich auch dann keinen Verdacht erregen, wenn sie mich erwischen.“

Es war ein hohes Risiko, aber sie mussten es in Kauf nehmen. Sie mussten in die Burg gelangen und Schutz für die Nacht suchen.

„Ja, geh. Und komm zurück, wenn du weißt, was los ist.“

Pól verbeugte sich zustimmend und lief dann in Richtung Hauptstraße. Er begann leicht zu hinken, um den Eindruck eines harmlosen alten Mannes zu erwecken.

Mit jeder Minute, die Taryn allein war, stieg ihre Anspannung. Was, wenn Pól nicht zurückkehrte? Sie konnte nicht allein hierbleiben. Aber wenn sie sich den Männern des Hochkönigs stellte, begab sie sich in Gefahr. Sie wusste, dass sie nicht schön war, aber als Frau war das Risiko dennoch groß. Es war auch möglich, dass Lady Carice ihre Bitte abschlug, sie als Hofdame aufzunehmen – selbst wenn Taryn ihre wahren Beweggründe offenbarte. Je länger sie über ihre überstürzte Entscheidung nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam es ihr vor, dass sie erfolgreich sein würde.

Du darfst jetzt nicht aufgeben, sprach sie sich selbst Mut zu. Niemand außer ihr würde ihren Vater retten.

Und so wartete sie weiter. Pól hatte ihr einen großen Dolch gegeben, aber sie hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Sie konnte die schwere Waffe kaum hochheben. Am Ende schien es das Beste zu sein, sie gegen einen Baum zu lehnen.

Nach fast einer Stunde hatten die Männer die Burg immer noch nicht betreten. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Die Zeit schien zu schleichen, und als Pól nicht zurückkehrte, konnte Taryn das Warten nicht länger aushalten. Sie musste einfach wissen, was vor sich ging.

Das ist gefährlich und dumm, sagte sie zu sich selbst. Aber welche Wahl hatte sie? Sie war allein, ohne Unterkunft für die Nacht. Sie würde sich zu Tode frieren. Sie musste das Risiko eingehen und um Einlass bitten, auch wenn das bedeuten könnte, durch die Hand der Männer des Hochkönigs zu sterben.

Sie werden mich wahrscheinlich nicht gleich töten, sagte sie sich, während sie sich auf den Weg zur Burg machte. Es gab jedenfalls keinen Grund dafür. Aber es war ein schwacher Trost.

Der Regen war in ein sanftes Nieseln übergegangen, und sie hatte ihren Kopf und ihr vernarbtes Gesicht mit einem wollenen breiten Tuch bedeckt. Egal, wie sehr sie sich bemühte, aufrecht zu gehen, wie es einer Dame ihrer Herkunft geziemte – sie konnte ihre Zähne nicht vom Klappern und ihre Hände nicht vom Zittern abhalten.

Innerhalb weniger Augenblicke entdeckte sie einer der Soldaten. Die Nachricht verbreitete sich schnell, und schon bald starrten sie zwei Dutzend Männer an. Taryn befestigte ihre Kopfbedeckung und versuchte eine Spur von Pól auszumachen. Aber er war nirgendwo zu sehen. Er musste sich irgendwo versteckt haben.

„Wolltet Ihr irgendwohin?“, fragte der Kommandant. Er trug einen Helm aus Eisen, und an seiner linken Seite hing ein Schwert. Sie versuchte, ihre Angst zu verbergen, indem sie den Blick abwandte. Sie hatte keine Zeit zu antworten, denn in diesem Moment tauchte ein Mann auf, der aus der Burg kam.

Er schritt vorwärts, den Blick auf die Soldaten geheftet. Als sie sein Gesicht erblickte, begann ihr Herz schneller zu schlagen.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen so gut aussehenden Mann gesehen. Er wirkte wie der Sohn von Lugh, ein Gott, der sich unter die Menschen mischte. Er war groß, und das dunkle Haar fiel ihm bis über die Schultern herab. Seine perfekten Züge wirkten, als wären sie aus Eis geschnitzt. Er hatte stahlgraue Augen, eine römische Nase und einen Mund, der beim Anblick der bewaffneten Männer schmal wurde. Er schien ihre Stärke und ihre Kampfkraft abzuschätzen. Obwohl er zerrissene, abgetragene Kleidung trug, konnte sie das Kettenhemd darunter blitzen sehen.

Er trug keine Waffen, aber sie hatte den Eindruck, dass er ein Mann war, der sie auch nicht unbedingt brauchte. Sein Auftreten wirkte furchtlos, als wäre es ihm egal, ob er überlebte oder nicht. Aber als sein Blick sie streifte, war es, als befähle er ihr zu schweigen. Ihre Wangen wurden heiß unter seinem Blick. Ihr war es unangenehm, nahezu peinlich, dass ein solcher Mann sie beobachtete.

Sie hob ihr Kinn, hielt aber ihr Gesicht weiter durch das breite wollene Tuch, das die Iren Brat nannten, bedeckt, sodass nur ihre Augen zu sehen waren. Obwohl es eitel war, wollte sie nicht, dass er ihre Narben sah. Einen Moment lang wollte sie diesem Krieger auf gleicher Augenhöhe begegnen.

Der Mann drehte sich zu den Soldaten um: „Unser Oberhaupt möchte wissen, warum Ihr mit bewaffneten Männern nach Carrickmeath gekommen seid.“

Der Kommandant der Truppe bewegte sich nach vorne, zwei mit Speeren bewaffnete Reiter auf jeder Seite. Seine Augen verengten sich für einen Moment, als er dem Mann gegenübertrat. „Ihr habt etwas vom Aussehen des Ard-Righ an Euch.“

Dem Mann schien diese Feststellung nicht besonders zu gefallen. „Ich bin ein unehelicher Sohn des Hochkönigs. Und Ihr habt noch immer nicht meine Frage beantwortet, warum Ihr hier seid.“ Sein Ton war scharf wie eine Messerklinge und zeugte von Ungeduld.

„Brian Faoilins Tochter ist mit dem Hochkönig verlobt“, antwortete der Kommandant, „aber er hat sie nicht zu König Rory gebracht, trotz der Boten, die wir in den vergangenen Monaten geschickt haben. Der König möchte die Gründe für die Aufschiebung der Hochzeit erfahren.“

„Lady Carice war krank“, sagte der dunkelhaarige Mann. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging direkt auf den Vorwurf des Kommandanten ein. „Der Hochkönig weiß das bereits.“

„Ich habe meine Zweifel“, entgegnete der Kommandant. „Es wirkt eher so, als wollte sie gerade fliehen.“ Er starrte Taryn durchdringend an, und sie ignorierte seinen Blick, während sie ein plötzlicher Schreck durchfuhr.

Er hatte ihr Gesicht nicht richtig gesehen. Er dachte, sie sei Lady Carice. Ihr Herz schlug schneller, und sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Taryn blickte verstohlen zu dem dunkelhaarigen Mann hinüber, aber er korrigierte den Fehler des Soldaten nicht. Stattdessen blickte er sie fest an, und wieder sah sie die Warnung in seinen Augen. Was immer auch gerade vor sich ging, er wollte, dass sie seinen Anweisungen folgte.

Es war klar, dass sie eine Rolle spielen sollte. Ein eisiger Hauch durchfuhr sie bei dem Gedanken einer solchen Täuschung. Es würde nicht funktionieren – nicht in tausend Jahren. Sobald irgendjemand ihr Gesicht sah, würde die Wahrheit sofort ans Tageslicht kommen.

Aber was immer der Mann von ihr wollte, er würde ihr einen Gefallen schulden, wenn sie tat, was er verlangte. Sie brauchte seine Hilfe – mehr als er die ihre. Daher sah sie ihm direkt in die Augen und nickte kaum merklich.

„Lady Carice hat nicht versucht zu fliehen“, sagte er, ging auf Taryn zu und blieb schließlich ein Stück hinter ihr stehen. Er bot ihr seinen Schutz an, solange sie ihm gehorchte. Taryn zögerte einen Moment lang. Schließlich war dieser Mann ein Fremder. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihm vertrauen konnte oder nicht.

Seine grauen Augen waren so kalt wie Frost auf einem Stein. Und auf seinem Gesicht lag keine Spur von Emotion oder anderen Regungen. Es war, als wäre ihm völlig gleichgültig, was sie tat.

Taryn trat einen kleinen Schritt zurück. Sie war unsicher, ob die Täuschung gelingen konnte. Aber sie hielt ihr Gesicht mit dem Wolltuch bedeckt und senkte den Blick zu Boden. Jeder Schritt brachte sie näher zu diesem Mann, auch wenn sie nicht wusste, warum er das Missverständnis nicht aufklären wollte.

Aber vielleicht würde ihre Einwilligung ihr die Hilfe bringen, die sie brauchte. Ein falscher Schritt und die Männer des Hochkönigs würden diese Burg angreifen und ein schreckliches Blutvergießen verursachen – da hatte sie keinen Zweifel.

Als sie an der Seite des dunkelhaarigen Gottes angelangt war, konnte Taryn die Spannung spüren, die zwischen ihnen herrschte. Sie riskierte einen Blick und warf ihm ein bittendes Lächeln zu. Sie betete, dass er ihr helfen würde.

Trotz seiner eher ärmlich wirkenden Erscheinung verriet sein muskulöser Körper, der die Tunika und das Kettenhemd spannte, den geübten Krieger. Die kräftigen Muskeln seiner verschränkten Arme erweckten den Eindruck, dass er stark genug war, jeden der Männer hier zu besiegen. Aber was noch wichtiger war: Er demonstrierte ein unerschütterliches Selbstvertrauen.

Er streckte eine Hand nach ihr aus, die sie schließlich ergriff. Er drückte sie leicht. Es war eine wortlose Aufforderung, nichts zu verraten. Sie beschloss, dass dies die beste Chance war, das Leben ihres Vaters zu retten. Alles, was sie tun musste, war, die Täuschung so lange aufrechtzuerhalten, bis sie den Mann davon überzeugen konnte, ihr zu helfen. Nur noch eine kurze Zeit.

Aber der Wind zerrte an ihrem wollenen Tuch und legte ihre dunklen Locken frei. Schnell zog sie die Ecken des Tuchs zusammen und versuchte ihr vernarbtes Gesicht zu verstecken.

Einen kurzen Moment hielt sie die Luft an, aus Angst, dass jemand ihre Narben gesehen hatte. Aber stattdessen schien der Kommandant keinen Zweifel zu haben: „Was habt Ihr zu sagen, Lady Carice?“ Er blickte sie scharf an. „Ich gehe davon aus, dass Ihr versucht habt zu fliehen und Euren Fehler jetzt eingesehen habt.“

Sie warf dem dunklen Krieger einen weiteren fragenden Blick zu. Aber diesmal gab er ihr keinen Hinweis darauf, was sie sagen sollte. Stattdessen schien er auf ihre Antwort zu warten.

Taryn brauchte die Hilfe des Faoilin-Clans. Die beste Möglichkeit, Soldaten zu bekommen, war, ihm ihre Unterstützung anzubieten.

„Ihr habt recht“, sagte sie, an den Hauptmann gerichtet, und bemühte sich, möglichst schuldbewusst zu gucken. „Ich habe versucht zu fliehen. Aber dann habe ich eingesehen, wie dumm das wäre.“

Sie hob ihr Kinn und hielt das Wolltuch fest, um nichts als ihre Augen zu zeigen. „Ich bin Lady Carice. Und ich gehe davon aus, dass Ihr gekommen seid, um mich nach Tara zu meiner Hochzeit zu geleiten.“

2. KAPITEL

Wer – im Namen der Götter – war diese Frau? Und warum war sie hier?

Killian hatte sie nie zuvor gesehen, aber ihre Anwesenheit war die Antwort auf sein Dilemma. Er war aus der Burg gekommen, um mit den Bewaffneten zu sprechen, und die Frau war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Der bittende Blick ihrer blauen Augen war ein stummer Hilfeschrei gewesen. Daher war Killian seinem Impuls gefolgt und hatte den Kommandanten glauben lassen, was der glauben wollte.

Denn Carices Freiheit hing von den Entscheidungen ab, die der Kommandant jetzt traf.

Diese Männer waren gekommen, um seine Schwester abzuholen. Ihre Flucht war in Gefahr. Aber jetzt gab es wieder eine kleine Hoffnung.

Die Frau hielt ihr Gesicht weiter bedeckt, was ihre wunderschönen Augen noch betonte. Ihr langes Haar war nass vom Regen und vom Schnee und glänzte wie schwarze Seide. Allen Männern war das aufgefallen, und das war auch der Grund, warum die Soldaten des Hochkönigs dachten, sie sei Carice.

Das Schicksal hatte Killian einen Weg aufgezeigt, wie er seine Schwester retten konnte, und er hatte sie instinktiv ergriffen. Die Frau suchte offensichtlich Hilfe, und er würde sie ihr geben – zu seinen Bedingungen.

Carice wollte fliehen, um ihre Freiheit zu behalten, und diese junge Frau bot sich als Teil eines Täuschungsmanövers an. Er wusste noch nicht, wie er sie einsetzen würde – vielleicht könnten die beiden ihren Platz tauschen. Aber vorerst würde er sie mit in die Burg nehmen. Er konnte später herausfinden, was ihr Anliegen war.

Sein Atem zeigte sich als Nebel in der kalten Luft, und er blickte sie weiter an. Sie war starr vor Angst, und das aus gutem Grund. Alles hing von der Entscheidung ab, die der Kommandant jetzt traf.

„Meine Männer sind weit gereist“, sagte der nun versöhnlich. „Sie brauchen Essen, Wein und einen Platz zum Schlafen. Aber schon morgen früh werden wir zurück nach Tara aufbrechen.“ Seine Augen verengten sich, als er die junge Frau anblickte. „Öffnet das Tor, und wir geben ihr die Nacht, um ihre Sachen zu packen.“

Killian lag nichts daran, die Krieger in die Burg zu bringen, aber er konnte auch nicht riskieren, dass sie misstrauisch wurden. Wenn er es ablehnte, ihnen Gastfreundschaft zu gewähren, würden sie sich fragen, welche Gründe der Faoilin-Clan dafür haben mochte. Er neigte den Kopf und wandte sich an die Frau, die neben ihm stand: „Ihr solltet in Euer Zimmer zurückkehren. Ich werde Euch dorthin begleiten.“

Und dann würde er die Antworten auf seine Fragen bekommen. Obwohl er nicht davon ausging, musste er herausfinden, ob sie eine Gefahr darstellte, bevor er erlaubte, dass sie bei den Hofdamen in der Burg übernachtete. Er hielt ihre behandschuhte Hand weiter in der seinen und bemerkte ihr leichtes Zittern. Aber selbst jetzt strahlte sie eine ruhige Anmut aus, die sie von den anderen Frauen unterschied, die er kannte. Und er wusste, auch ohne dass sie ihre wahre Identität offenbart hatte, dass diese Frau von edler Geburt war.

Bevor er weiter als ein paar Schritte gegangen war, trat der Kommandant vor, um ihn aufzuhalten. „Wir gehen mit ihr, Bursche.“

„Ich bin Killian MacDubh, nicht Euer Bursche“, entgegnete Killian mit fester Stimme. Aber er winkte dem Hauptmann, ihnen zu folgen. Als sie den Eingang erreichten, wies er die Wachen an, das Tor zu öffnen.

„Sie sind auf Befehl des Hochkönigs hier“, erklärte Killian. „Sie sind gekommen, um Lady Carice zu ihrer Hochzeit zu bringen.“ Das war die Wahrheit, und niemand hier würde widersprechen. Er sagte absichtlich nichts zu der fremden Frau. Wenn die Tore offen und sie in der Burg waren, wollte er mit ihr sprechen und in Erfahrung bringen, welches Spiel sie spielte.

Während die Soldaten zu Pferde in den Hof ritten, trat Killian beiseite. Die junge Frau wich vor den Reittieren zurück und hielt seine Hand fest, als gäbe er ihr Kraft. Ihre Angst schien nicht weniger geworden zu sein, und er fragte sich, wovor sie sich so fürchtete.

Nicht ein einziges Mal hatte sie ihr breites Wolltuch losgelassen. Vielleicht wollte sie, dass niemand erfuhr, wer sie war? Aber aus welchem Grund?

Er flüsterte ihr ins Ohr. „Tut genau, was ich Euch sage, und sprecht nicht.“

Sie nickte und Killian führte sie weiter, während die Männer ihre Pferde den Stallknechten übergaben. Sein Freund Seorse beobachtete die Szene, Killian trat zu ihm und sagte leise: „Bring die Männer des Hochkönig in die Halle, damit sie mit unserem Fürsten speisen können. Ich werde unterdessen die Dame in die Privatgemächer begleiten.“

Seorse sah ihn fragend an, aber Killian schüttelte leicht seinen Kopf. Nicht jetzt. Später würde Zeit für Antworten sein.

Zum Glück folgten die Männer des Hochkönigs Seorse in die große Halle. Sein Freund hieß die Männer willkommen, und Killian stellte sich vor die Frau, sodass Brian Faoilin sie nicht sehen konnte. Als die Männer den Clan-Fürsten begrüßten, nutzte Killian die Gelegenheit. Er huschte mit der jungen Frau in Richtung der Wendeltreppe, über die man zu Carices Kammer gelangte. Einen Moment lang hielt er inne, um zu sehen, ob einer der Männer des Hochkönigs ihnen nachgehen würde. Als niemand kam, zog er sie in den Schatten einer Ecke und bedeckte ihr den Mund mit einer Hand.

Mit gesenkter Stimme murmelte er: „Ich werde jetzt meine Hand von Eurem Mund nehmen, und wir werden sprechen. Ihr werdet mir sagen, wie Ihr heißt und warum Ihr hier seid.“

Sie hatte zwar zugestimmt, sich für Carice auszugeben. Aber das machte sie nicht völlig vertrauenswürdig. Ihre Lüge machte ihn sogar misstrauischer. Sie hatte ihre eigenen Gründe dafür, hier zu sein, und er wusste nicht, ob sie gefährlich war.

Autor

Michelle Willingham
Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde. Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...
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