Die Weihnachtsbraut des Highlanders

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Kurz vor Weihnachten erklärt Logan Kendrick sich bereit, die Nichte eines wichtigen neuen Handelspartners von ihrem Kloster in den Highlands sicher nach Hause zu geleiten. Ein Fehler? Er rechnet mit einer scheuen grauen Maus. Stattdessen entpuppt die junge Donella sich als scharfzüngige Schönheit, die ihm mit ihren sinnlichen Kurven den Atem raubt. Schnell ist das köstlich sinnliche Prickeln zwischen ihnen gefährlicher als alle Wegelagerer. Doch auch wenn Donella hingebungsvoll seine verbotenen Küsse erwidert, scheint sie fest entschlossen, Nonne zu werden. Es sei denn, am Fest der Liebe geschieht noch ein Wunder …


  • Erscheinungstag 09.11.2021
  • Bandnummer 372
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500944
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dundee, Schottland

November 1819

Mildes Bedauern lag in der Stimme der Oberin, als sie den Beschluss verkündete. Der anteilnehmende Ton stand in krassem Gegensatz zu den Auswirkungen, die die Entscheidung auf Donella Haddons Leben haben würde.

„Aber … Ihr könnt mich doch nicht einfach entlassen, Ehrwürdige Mutter“, stammelte sie erschrocken. „Wie zum Teufel soll es denn dann mit mir weitergehen?“

Die würdevollen Züge der Äbtissin verzogen sich kaum merklich. „Vergiss nicht, wo du dich befindest, mein Kind.“

Selbst mit verbundenen Augen wäre es Donella leichtgefallen, die Studierstube der Äbtissin des Herz-Jesu-Klosters zu beschreiben. Immerhin hatte sie in eben diesem Zimmer eine stattliche Anzahl Strafpredigten über sich ergehen lassen müssen, wobei Nachsicht stets umso mehr Schuldgefühle in ihr ausgelöst hatte.

„Genau darauf will ich hinaus“, meldete Schwester Bernard sich erhaben zu Wort. „Unsere liebe Schwester macht sich nie bewusst, wo sie ist.“

Als Novizenmeisterin war Schwester Bernard Donellas unmittelbare Vorgesetzte und der Fluch ihres Daseins. Sie hatte sich hinter dem Stuhl der Mutter Oberin postiert, sodass sie im Gegenlicht stand und ihr bleiches Antlitz fast ganz im Schatten der Haube verborgen war. Dennoch fiel es Donella nicht schwer, sich Schwester Bernards missbilligenden Gesichtsausdruck vorzustellen. Er war ihr ebenso vertraut wie die Strafpredigten.

„Aber bis zu meinem endgültigen Gelübde sind es doch nur noch ein paar Monate.“ Donella gestikulierte so lebhaft mit den Armen, dass die weiten Ärmel ihres Habits flatterten wie Spatzenflügel. „Es wäre ein komplettes Desaster, mich ausgerechnet jetzt fortzuschicken. Immerhin habe ich alles hinter mir gelassen, um Nonne zu werden.“

Sie zuckte zusammen, als die Brauen der Mutter Oberin in die Höhe schossen. Die Äbtissin war eine wahrhaft fromme Frau, doch wenn sie ihre eisengrauen Brauen hob, konnte man sich jedes weitere Argument sparen. Die Brauen sprachen Bände, und im vorliegenden Fall lautete ihre Botschaft, dass Donella erledigt war.

„Es ist nicht nötig, so theatralisch zu werden, liebes Kind. Ich habe deine Fortschritte mit den Schwestern Bernard und Agnes besprochen …“

„Oh, verflixt.“ Donella biss sich auf die Unterlippe.

Schwester Agnes, die Lehrerin für Kirchenmusik, war noch kleinkarierter als Schwester Bernard. Wenn diese beiden sich gegen sie verschworen hatten, war sie tatsächlich erledigt.

„Jedenfalls sind wir uns einig“, sprach die Mutter Oberin mit Nachdruck weiter, „dass das Ordensleben nicht das Richtige für dich ist und dass es dir vielleicht hilft, wenn du einige Zeit in der Welt draußen verbringst und überprüfst, ob sich deine Berufung festigt.“

„Und ob du überhaupt eine Berufung verspürst“, fügte Schwester Bernard bissig hinzu. „Denn das muss sich meiner Meinung nach erst noch erweisen.“

Donella presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, damit sie der alten … nun, damit sie niemandem die Zunge herausstreckte. Die Novizenmeisterin jedenfalls hatte ihre Berufung von Anfang an in Zweifel gezogen.

Wenn Donella ehrlich war, konnte sie der Einschätzung wenig entgegensetzen, denn mehr und mehr hatte sie selbst das Gefühl, einen fatalen Fehler gemacht zu haben. Des Nachts hielten ihre Gewissensbisse und ihre Angst sie vom Schlafen ab, und am Tage trieben sie sie in den Wahnsinn.

Etwas stimmte ganz und gar nicht. Sie wusste es, die Mutter Oberin wusste es, und die anderen Schwestern wussten es auch.

Ihre Kopfhaut prickelte, weil sie unter der eng sitzenden Haube schwitzte. Was in Gottes Namen sollte sie tun, wenn man sie tatsächlich vor die Türe setzte? Vor über drei Jahren war sie der Welt entflohen und absolut sicher gewesen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Sie fasste sich ein Herz. „Schwester Bernard, Ihr wart mir gegenüber immer skeptisch, weil ich nicht katholisch erzogen wurde.“ Sie versuchte, gelassen zu klingen. „Aber ich kann Euch versichern, dass es mir absolut ernst war mit meinem Übertritt.“

„Hm.“ Zu mehr ließ die Nonne sich nicht herab.

Donella ermahnte sich im Stillen zur Gelassenheit. Was für eine Wichtigtuerin diese Frau doch war. Aber als Enkelin eines französischen Emigranten aus der Linie der Bourbonen konnte es kaum verwundern, dass sie jeden von oben herab behandelte.

Dabei war Donella eng mit dem Earl of Riddick verwandt, und Seine Lordschaft stammte von den schottischen Königen ab. Ihre Familie konnte jederzeit mit der der hochnäsigen Novizenmeisterin mithalten.

Eine Auffassung, die sie wahrscheinlich zu einer noch größeren Angeberin als Schwester Bernard machte.

Sieh den Dingen ins Auge, Mädchen. Du würdest wahrscheinlich eine lausige Nonne abgeben.

„Es ist nicht dein Glaube, der uns Sorgen bereitet, mein liebes Kind“, sagte die Mutter Oberin und riss sie aus ihren Überlegungen. „Es ist dein …“

„Deine Unfähigkeit, dich an Regeln zu halten“, fiel Schwester Bernard der Äbtissin ins Wort.

Donella schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil. Jeder weiß, wie dankbar ich bin, wenn ich mich an Regeln halten kann.“

So dankbar, dass sie als ausgemachte Langweilerin galt. Alec Gilbride, ihr Vetter und ehemaliger Verlobter, war ganz bestimmt dieser Auffassung. Warum sonst hätte er mit sechzehn von zu Hause fortlaufen und sich zehn Jahre lang weigern sollen, zurückzukommen?

Schwester Bernard schnaubte verächtlich. „Bei den Andachten nickst du regelmäßig ein, kannst dir die Liturgie nicht merken und singst absichtlich falsch …“

„Das ist nicht wahr!“ Sie verlor nur manchmal den Faden, weil sie in Gedanken woanders war.

„Du hältst dich nicht an das Schweigegelübde“, fuhr Schwester Bernard mit ihrer unnachsichtigen Bestandsaufnahme fort. „Und du hast die fatale Neigung, Ältere zu unterbrechen. Was angesichts der Versicherungen deiner Familie, dass du ein gehorsames, zurückhaltendes Mädchen seist, höchst verwunderlich ist.“

„Aber so bin ich wirklich“, beteuerte Donella verzweifelt. „Gehorsam und zurückhaltend.“

„Vielleicht früher einmal, aber du bist es nicht mehr.“ Schwester Bernards Ton war so trocken wie eine Abendmahlsoblate.

Wahrscheinlich hatte die Novizenmeisterin recht. Aber wenn man sie jetzt hinauswarf, würde ihre Familie sich in ihrer Einschätzung bestätigt sehen, dass ihr Versuch, vor dem Leben davonzulaufen, der reine Kokolores gewesen war, wie ihr Onkel es ausgedrückt hatte.

„Warum möchtest du Nonne werden, mein Kind?“, schaltete die Mutter Oberin sich schließlich ein.

Donella blinzelte. Sekundenlang schien ihr Verstand auszusetzen.

Denk nach, du Närrin.

„Wegen der Ruhe und des Friedens“, stieß sie schließlich hervor. „Und wegen meiner Liebe zu Gott.“

Die Mutter Oberin verzog abermals das Gesicht. Donella konnte es ihr nicht verübeln.

„Und mir gefällt die Musik“, ergänzte sie lahm.

Noch nie hatte die Mutter Oberin oder eine der Schwestern ihr diese einfache, aber entscheidende Frage gestellt. In Schottland Nonne in einem katholischen Kloster zu werden war nichts für schwache Nerven, daher hatte bis jetzt wohl kein Mensch daran gedacht, sie nach ihrer Berufung zu fragen. Abgesehen davon hatte ihr Onkel den Karmeliterinnen für ihren Eintritt eine außerordentlich großzügige Mitgift gezahlt. Keine Äbtissin, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, hätte die Unterstützung eines so mächtigen schottischen Earls verschmäht, auch wenn er nicht papistisch war.

„Man tritt einem Orden nicht bei, um Problemen aus dem Weg zu gehen“, belehrte die Mutter Oberin sie milde. „Unserer Erfahrung nach nehmen unerledigte Angelegenheiten innerhalb dieser Mauern nur umso bedrohlichere Ausmaße an. Aber das hast du schon selbst herausgefunden, wie ich glaube.“

Donella stützte die Hände auf die verschrammte Schreibtischplatte, lehnte sich vor und sah der Mutter Oberin in die Augen. „Ich strenge mich noch mehr an, Ehrwürdige Mutter. Ich schwöre es. Aber gebt mir noch eine Chance. Bitte.“

Die Äbtissin schüttelte den Kopf. „Nein, liebes Kind. Du hast getan, was du konntest, doch nicht jede Frau ist für das Leben einer Nonne gemacht.“

„Und wenn sie es bei den Franziskanerinnen versucht?“, schlug Schwester Bernard vor. „Sie sind nicht so streng wie wir.“

Mit anderen Worten, die Franziskanerinnen würden vielleicht über ihre vielen Fehler hinwegsehen, zumal, wenn sie ihre bedeutende Mitgift mitbrachte.

Donella sank auf den knarrenden Stuhl vor dem Schreibtisch. Da man sie ohnehin loswerden wollte, brauchte sie sich nicht auf tadelloses Benehmen zu konzentrieren.

„Natürlich erstatten wir dir deine Mitgift“, sagte die Mutter Oberin, als hätte sie Donellas Gedanken gelesen.

Da dies dem Kloster einen finanziellen Engpass bescheren würde, nahm Donella sich vor, ihren Onkel Riddick oder aber Alec um eine großzügige Spende zu bitten, um den Verlust abzumildern.

Beim Gedanken an ihren Cousin – den Mann, der sie sitzen gelassen hatte, um eine andere zu heiraten – wurde Donella ganz elend. Alec hatte sie als Einziger in ihrem Wunsch, ins Kloster zu gehen, unterstützt, und er hatte es getan, weil ihm wirklich etwas an ihr lag. Es war ihm sogar gelungen, die anderen zu überzeugen, und nun enttäuschte sie ihre Familie erneut. Ihre Verwandten liebten sie, aber keiner von ihnen wusste so recht was mit ihr anzufangen.

Das wusste nicht einmal sie selbst.

„Vielleicht sollte ich es bei den Franziskanerinnen versuchen.“ Sie seufzte. „Unterhält der Orden Klöster in Schottland?“

Schwester Bernard schüttelte den Kopf. „Das nächste befindet sich in Galway, in Irland.“

Ein Umstand, der ihrem Onkel nicht sonderlich gefallen würde. Schottland war eine Sache, aber Irland?

„Es geht nicht darum, ob die Franziskanerinnen dich aufnehmen oder nicht.“ Die Worte der Mutter Oberin brachten Donella in die Wirklichkeit zurück. „Sondern darum, dass du überprüfst, ob du einer wahren Berufung folgst. Und die beste Möglichkeit, das zu tun, ist, in die Welt dort draußen zurückzukehren.“

Donella hielt den Atem an, als Panik sie zu überwältigen drohte. Würde sie jemals wieder bereit sein für die Welt draußen, die Welt, in der sie sich erneut all den Problemen stellen müsste, die sie so dankbar hinter sich gelassen hatte?

„Ehrwürdige Mutter, ich flehe Euch an …“

Die Äbtissin erhob sich. „Was ist das Grundprinzip des Lebens in einem religiösen Orden, mein Kind?“

Donella stand ebenfalls auf. „Gehorsam, Ehrwürdige Mutter. Zuvorderst gegenüber Gott, dann Euch gegenüber.“

„So ist es, und hiermit fordere ich ein letztes Mal Gehorsam von dir. Akzeptiere meine Entscheidung mit Anstand und nutze die Zeit, dein Herz zu erforschen und herauszufinden, was du wirklich willst. Wenn du dies in gutem Glauben tust, wirst du die gewünschte Antwort finden.“

Donella schlug die Augen nieder. „Ja, Ehrwürdige Mutter.“

Ehrwürdige Mutter. Die Anrede schien in ihrem Kopf widerzuhallen. Auch ihre wirkliche Mutter hatte Gehorsam von ihr gefordert und es ihr schließlich unmöglich gemacht, ihn zu üben. Sie hatten fast alles verloren, und nur der Gnade Gottes und ihrem Onkel war es zu verdanken, dass die Katastrophe hatte abgewendet werden können.

„Ich muss in die Ortschaft gehen und eine Kutsche mieten.“ Donella sah auf. „Das würde ich gleich morgen tun, wenn Ihr es gestattet.“

Nun, da feststand, dass sie gehen musste, wollte sie nicht länger bleiben als unbedingt nötig. Bei der Erkenntnis, wie gründlich sie gescheitert war, wurde ihr heiß vor Scham.

„Das wird nicht nötig sein“, erwiderte die Äbtissin ruhig. „Ich habe Lord Riddick geschrieben und ihm meine Entscheidung mitgeteilt. Ohne Zweifel wird deine Rückkehr nach Blairgal Castle gerade vorbereitet.“

Es kostete Donella Anstrengung, sich den respektlosen Fluch zu verkneifen, der ihr auf der Zunge lag. Sie hatte gehofft, dass ihr wenigstens die Möglichkeit blieb, ihrer Familie die Misere persönlich zu erklären. Aber nicht einmal dieses bisschen Kontrolle und Würde hatte man ihr gelassen.

„Wahrscheinlich wird es etliche Tage dauern, bis mein Onkel die notwendigen Arrangements getroffen hat und von sich hören lässt. Er ist ein vielbeschäftigter Mann, müsst Ihr wissen.“

„Eine Kutsche und die Eskorte für dich kann er sicher ohne viel Aufwand erübrigen“, entgegnete die Ehrwürdige Mutter trocken. „Wir warten auf Nachricht von ihm. Auch wenn es dauert.“

Unterdessen im Kloster bleiben zu müssen würde ihre Qual nur verlängern. „Ich könnte einfach eine Kutsche in der Poststation mieten. Meine Sachen hätte ich im Handumdrehen gepackt und wäre genauso schnell auf dem Weg.“

Entrüstung zeigte sich in Schwester Bernards Zügen. „Dein Onkel würde nicht wünschen, dass du allein reist, liebes Kind. Es wäre gefährlich und unschicklich.“

„Es ist doch nur eine Zweitagesreise. Ich bin sicher, es wäre absolut in Ordnung.“ Sie war so weit, dass nicht einmal mehr die Aussicht, von Banditen ermordet zu werden, sie kümmerte.

„Du wirst im Gästehaus des Klosters bleiben, bis wir von deinem Onkel hören“, beschied die Ehrwürdige Mutter fest. „Du kannst die Zeit nutzen, indem du dich wieder an die Welt draußen gewöhnst und über deine Zukunft nachdenkst.“

Welche Zukunft? Soweit es Donella betraf, hatte sie keine.

„Sehr wohl, Ehrwürdige Mutter.“ Sie versuchte so zu klingen, als meinte sie, was sie sagte.

Die Äbtissin belohnte ihre Ergebenheit mit einem Lächeln. „Vielleicht genießt du es sogar nach den Jahren der Abgeschiedenheit. Du kannst in der Ortschaft spazieren gehen, Einkäufe machen und mit Pater Thomas plaudern. Ich bin zuversichtlich, dass er dir hilft, deinen Frieden mit dieser Entscheidung zu schließen.“

„Wenn es nur meine Entscheidung gewesen wäre, Ehrwürdige Mutter.“

Die Äbtissin seufzte verständnisvoll. „Ich weiß, es ist ein Schlag für dich – besonders für deinen Stolz. Aber wie du auf die Herausforderung reagierst, liegt ganz bei dir. Entweder betrachtest du die Situation als Scheitern oder als eine Gelegenheit. Ich hoffe, Letzteres.“

Da ihr keine Antwort auf den ausgesprochen praktischen, wenn auch ärgerlichen Ratschlag einfiel, bekreuzigte Donella sich stumm, während die Ehrwürdige Mutter Oberin sie segnete.

Schwester Bernard öffnete die Tür zum Hauptkorridor. „Begib dich in deine Zelle und fang an zu packen. Ich bin in Kürze bei dir.“

„Ja, Schwester.“

So würdevoll, wie sie nur irgend konnte, ging Donella an der Novizenmeisterin vorbei und widerstand dem Drang, die Tür schwungvoll hinter sich ins Schloss zu ziehen. Es war nicht ihre Art, Türen zu knallen oder wütend aus dem Raum zu stürmen. Sie pflegte eigentlich nie Wirbel zu machen.

Wobei die Belohnung für all ihr gutes Benehmen meist in einem schmerzhaften Tritt in den Allerwertesten bestand. So wie auch jetzt.

Vielleicht war es an der Zeit, einmal richtig Krawall zu schlagen.

2. KAPITEL

Nachdenklich betrachtete Logan Kendrick das schmale, unerbittliche Wesen, das ihm wie Zerberus vor den Toren der Unterwelt den Weg versperrte. Mit Nonnen aus dem Orden der Karmeliterinnen hatte er keine Erfahrung, aber einen Versuch war es wert.

„Schwester Margaret“, begann er lächelnd, „Bedenkt bitte, dass Miss Haddon so schnell wie möglich aufbrechen muss, wenn wir Perth vor Einbruch der Nacht erreichen wollen.“

Die Nonne schob die Hände in die weiten Ärmel ihres braunen Habits. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass sie sein Lächeln erwiderte, doch in Anbetracht der zahllosen Runzeln in ihrem Gesicht war er nicht sicher. Seiner Einschätzung nach musste sie mindestens achtzig sein, hielt sich jedoch so gerade, als hätte sie einen Stock verschluckt, und schien durchaus in der Lage zu sein, ihn aus dem Raum zu schleifen und ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen, wenn er sich schlecht benahm.

„Wie ich schon sagte, Miss Haddon und die Schwestern befinden sich in der Kapelle und beten um eine gute Reise. Wenn die Andacht vorüber ist, wird sie sich zu Ihnen gesellen.“

Betont richtete Logan den Blick auf die schlichte Stutzuhr auf dem Sims des kleinen, unbeheizten Kamins. Es war nahezu eisig in dem altmodischen Empfangszimmer, doch die alte Nonne schien unempfindlich gegen die Kälte zu sein.

„Und könnt Ihr mir sagen, wann das der Fall sein wird, Schwester?“

Er sah es förmlich vor seinem inneren Auge, wie sie den bereits vorhandenen Ritzen in seinem Kerbholz eine weitere hinzufügte. Unverschämtheit war eindeutig nicht erwünscht im Herz-Jesu-Kloster.

„Sobald die Ehrwürdige Mutter es für richtig befindet.“

Logan lächelte entschuldigend, was, wie er fand, eine bemerkenswerte Duldsamkeit seinerseits offenbarte. Das Letzte, wonach ihm der Sinn stand, war, Kindermädchen für Donella Haddon zu spielen, eine Möchtegern-Nonne, die die Anforderungen nicht erfüllt hatte.

Doch im Augenblick war er damit beschäftigt, eine Reihe komplizierter finanzieller Übereinkünfte mit dem Onkel des Mädchens, Lord Riddick, auszuhandeln. Wenn sie zum Erfolg führten, würde er viel Nutzen daraus ziehen und seine Firma beträchtlich vergrößern können. Zufällig hatte er Riddick gegenüber erwähnt, dass er geschäftlich nach Perth musste, und prompt hatte der alte Bursche ihn um Hilfe in einer kleinen Familienangelegenheit gebeten.

Was die Einzelheiten anging, so war Seine Lordschaft verschlossener gewesen als eine Bärenfalle. Er hatte lediglich erwähnt, dass seine Nichte beabsichtige, nach Hause zurückzukehren, hoffentlich für immer, und dass er es außerordentlich zu schätzen wüsste, wenn Logan den kleinen Umweg nach Dundee auf sich nehmen und die junge Dame nach Blairgal Castle eskortieren würde.

„Nun Schwester, dann wird sich meine Seele wohl in Geduld üben müssen.“ Wieder lächelte er.

„Eine Herausforderung für Sie, wie ich unschwer erkennen kann“, erwiderte die Nonne ausdruckslos.

„Vielleicht kann ich auf die Unterstützung des lieben Gottes zählen.“ Außerstande, der Versuchung zu widerstehen, zwinkerte Logan ihr zu. „Wollen wir zusammen beten, Schwester, und den Herrn um Erbarmen mit mir armem Sünder bitten?“

Sie ließ ein abfälliges Schnauben hören. „Ich glaube, der Herr hat genug am Hals. Aber ich könnte Ihnen eine Tasse Tee anbieten, während Sie warten.“

Keine Frage, der Orden verfügte über mehr geistigen als weltlichen Reichtum, daher würde er nicht zulassen, dass seinetwegen kostspieliger Tee und Zucker vergeudet wurde. Was er wirklich wollte, war ein Glas Whisky.

„Danke, aber ich habe ohnehin noch das ein oder andere mit meinem Pferdeknecht zu besprechen. Miss Haddon soll Bescheid sagen, wenn sie abfahrbereit ist, dann machen wir uns auf den Weg.“

Schwester Margaret nickte zustimmend, und er duckte sich unter dem niedrigen Türsturz des Eingangs hindurch und trat in den Innenhof.

Er warf einen Blick hinauf zu dem schmiedeeisernen Kreuz auf dem Dach des alten Gebäudes und fragte sich, wie viel Mut es Miss Haddon gekostet haben mochte, ihrer Familie zu trotzen. Nicht nur hatte sie sich entschlossen, zum Katholizismus zu konvertieren, sie war obendrein in ein verdammtes Kloster eingetreten. Es gab nicht viele Katholiken in Schottland, und wenn, dann nur in abgelegenen Ecken der Highlands. Was kein Wunder war angesichts der misstrauischen Engstirnigkeit, der sie sich ausgesetzt sahen. Miss Haddon würde in eine Welt zurückkehren, die Menschen wie ihr mit Feindseligkeit begegneten. Was sie bestenfalls erwarten konnte, war eine Zukunft als alte Jungfer auf dem Landgut ihres Onkels.

Die gute Gesellschaft würde sie nie wieder in ihre Kreise aufnehmen, schon gar nicht im konservativen, streng protestantischen Glasgow.

Genauso wenig wie Joseph.

Logan senkte den Blick auf seine Stiefel, schob die Hände tief in die Manteltaschen. In Schottland hatte sein Sohn keine Aussicht auf ein gutes Leben. Sosehr er den Jungen vermisste, so vernünftig war es, dass Joseph in Kanada blieb. Dort war er sicher, wurde umsorgt und geliebt.

Es kostete Logan Kraft, den Schmerz niederzukämpfen, der ihn jedes Mal ergriff, wenn er an seinen Sohn dachte. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Möglichkeiten, die ihm offenstanden, nun, da er nach Schottland zurückgekehrt war. Was immer man den Glasgowern an Fehlern nachsagen mochte, sie waren gute Geschäftsleute, genau wie er. Sein Erfolg in den Kolonien hatte ihm nach seiner Rückkehr viele Türen geöffnet; Türen, die einem Gestrauchelten wie ihm sonst verschlossen geblieben wären.

Es war kein Nachteil, dass er sich der Unterstützung seines Bruders, des Earl of Arnprior, gewiss sein konnte. Und der Unterstützung Lord Riddicks ebenfalls, wie er hoffte. Mit Nicks Einfluss und Riddicks Investitionen würde seine Firma bald eine Hauptrolle im schottischen wie auch im englischen Holz- und Pelzhandel spielen.

Jedenfalls war das der Plan, wenn er jemals wieder aus diesem hinterwäldlerischen Dorf herauskam und zurück nach Glasgow, wo er hingehörte.

Er wandte sich um, als er auf der Straße hinter sich schnelle Schritte hörte. Sein Pferdeknecht Davey kam durch das schmiedeeiserne Tor in den Hof geeilt.

„Entschuldigen Sie die Störung, Mr. Logan“, sagte der junge Mann atemlos, als er ihn erreichte. „Foster schickt mich. Er lässt fragen, wie lange es wohl noch dauert.“

Foster war Riddicks Kutscher, und Davey einer der Pferdeknechte von Blairgal. Logan hatte angeboten, eine Postkutsche zu mieten, doch Riddick hatte darauf bestanden, dass seine Nichte sich mit den Dienern von Blairgal, die sie von klein auf kannte, sicherer fühlen würde.

Logan seufzte, als ihm klar wurde, dass er bereits über eine Stunde wartete. „Gottes Wege erweisen sich heute als besonders unergründlich, daher werden wir wohl abwarten und sehen müssen.“

Davey musterte ihn zweifelnd. „Wenn Sie meinen, Sir.“

„Konnte Foster wenigstens ein einigermaßen taugliches Gespann zusammenstellen?“

„Nur Arbeitspferde, Sir. Nicht dass es seine Laune verbessert hätte, wissen Sie, aber, wie er sagt, der Gasthof ist einfach zu abgelegen.“

„Das zu hören erstaunt mich.“

Davey lächelte. „Aye. Ich kann nicht verstehen, dass unsere Miss Donella sich an einem trübsinnigen Ort wie diesem vergräbt, obwohl ich so etwas wahrscheinlich nicht sagen sollte.“

Mit der Schulter lehnte Logan sich an eine der Steinsäulen der Veranda. „Mir geht es genauso. Hast du schon in Lord Riddicks Diensten gestanden, als Miss Haddon ins Kloster ging?“

Davey nickte. „Ja, Sir.“

„Die Entscheidung muss für ziemlichen Aufruhr gesorgt haben, nehme ich an.“

„Aye. Die Familie machte sich schreckliche Sorgen, das kann ich Ihnen sagen. Und dann war die arme Miss Donella plötzlich auf und …“

Davey zuckte unmerklich zusammen und verstummte abrupt.

Logan runzelte die Stirn. Wenn es um Miss Donella ging, hielten sich alle bedeckt. Anscheinend rankte sich ein Geheimnis um sie.

„Was wolltest du sagen?“, hakte er nach.

Davey schüttelte den Kopf. „Nichts, Sir.“

Sie wandten sich fast gleichzeitig um, als aus dem Innern des Gästehauses Schritte erklangen. Anscheinend tauchte die Frau der Stunde endlich auf.

„Ah, da ist sie. Foster soll die Kutsche vorfahren, Davey.“

„Aye, Sir.“

Im Laufschritt eilte der junge Mann aus dem Hof, fast so, als wäre er erleichtert, einem weiteren Verhör entfliehen zu können.

Nicht dass es wirklich ein Verhör gewesen wäre. Im Großen und Ganzen hatte sich Logan aus reiner Neugier erkundigt. Zumal er damit rechnete, dass die kommenden zwei Tage in der Gesellschaft einer altjüngferlichen, frommen Begleiterin furchtbar langweilig werden würden.

Als die Tür des Gästehauses aufging, setzte Logan ein Lächeln auf, bereit, sich so mitfühlend zu verhalten, wie es die Situation erforderte. Das arme Mädchen würde vermutlich ziemlich aufgelöst sein, und er konnte nur hoffen, dass sie nicht die gesamte Fahrt damit verbrachte, in ihr Taschentuch zu weinen und ihr Schicksal zu bejammern. Wenn doch, würde er wohl die Flasche mit dem ausgezeichneten Whisky aus seinem Reisekoffer hervorholen müssen und ihr eine ordentliche Stärkung anbieten.

Eine hochgewachsene junge Frau mit einem erstaunlich hässlichen Hut trat auf die Veranda und blieb wie angewurzelt stehen, als sie seiner ansichtig wurde. Ihr Blick glitt an ihm hinunter und wieder herauf, dann wich die Verkniffenheit in ihrer Miene einem Ausdruck unverhohlener Missbilligung.

Er für sein Teil konnte sie nur anstarren wie ein ausgemachter Idiot.

Heiliger Himmel.

Miss Donella Haddon wirkte weder angegriffen noch verdrießlich, nicht einmal besonders nonnenartig. Im Gegenteil, sie war die schönste Frau, die Logan seit Langem gesehen hatte.

„Verzeihen Sie.“ Ihr Ton strafte ihre Worte Lügen. „Haben Sie vor, noch lange so dazustehen und mich anzustarren? Soll ich vielleicht selbst zum Gasthof laufen und die Kutsche holen?“

Sie hatte eine schöne Stimme, klar und melodisch wie das Plätschern eines Hochlandbachs. Eines ziemlich kalten Hochlandbachs.

Schwester Margaret erschien in der Tür. „Mäßige dich, Donella. Denk daran, was die Ehrwürdige Mutter über unbeherrschte Sprache zu sagen pflegt.“

„Als ob ich das verdammt noch einmal je vergessen könnte“, murmelte Miss Haddon aufsässig.

Logan verkniff sich ein Lachen, und sie schoss ihm einen tödlichen Blick zu.

„Was sagtest du, liebes Kind?“ Schwester Margarets Stimme klang leidgeprüft. „Ich fürchte, ich habe dich nicht verstanden.“

Miss Haddon schloss ihre aufsehenerregend grünen Augen und atmete geräuschvoll ein. Was Logans Aufmerksamkeit zwangsläufig auf ihren Busen richtete, der in der schlecht sitzenden graubraunen Pelisse fast zu üppig wirkte.

Weshalb trug sie so schäbige Kleidung? Immerhin war sie doch Riddicks Nichte und musste nicht aussehen wie ein Fall für Mildtätigkeit.

Doch selbst mit der erbärmlichen Garderobe und der finsteren Miene war Donella Haddon eine echte schottische Schönheit mit ihrem hellen Teint, den fein geschnittenen, bezaubernd sommersprossigen Gesichtszügen und dem leuchtend rotbraunem Haar, das unter dem Hut hervorlugte. Und ihre hochgewachsene, biegsame Gestalt wies genug Kurven auf, um selbst dem anspruchsvollsten Mann zu gefallen.

Warum zum Teufel hatte ihm niemand gesagt, dass das Mädchen absolut umwerfend aussah? Er hatte mit einer kleinen grauen Maus gerechnet, und stattdessen war ihm nun diese Schönheit aufgehalst worden, die er weiß Gott nicht brauchte.

Er hatte den Frauen schon lange abgeschworen. Zum einen, weil er zu beschäftigt war. Zum anderen plante er nicht noch einmal zu heiraten. Zusammengenommen bedeutete das, dass er heiratsfähigen weiblichen Geschöpfen aus dem Weg ging, wenn sie in seinen Dunstkreis gerieten.

Nicht heiratsfähigen weiblichen Geschöpfe desgleichen. Nick würde ihn umbringen, wenn er sich auf irgendwelche zweifelhaften Affären einließ, zumal in einer Stadt, die so klein war wie Glasgow und in der so gern getratscht wurde.

Leider war er nicht unempfänglich für die Reize einer schönen Frau – ganz im Gegenteil angesichts seines mönchischen Lebens. Er konnte nur hoffen, dass es sich bei der Chaperone, die Miss Haddon für die Fahrt gewählt hatte, um die verdrießlichste und argwöhnischste Nonne der ganzen Welt handeln würde.

Er nahm sich zusammen. „Wahrscheinlich macht der jungen Dame der bevorstehende Abschied zu schaffen, Schwester Margaret. Kein Wunder, dass sie so gereizt ist.“

Donella sah ihn an. Die ohnmächtige Wut in ihrer Miene ließ ihn vermuten, dass sie ihm am liebsten einen Schlag auf den Schädel verpasst hätte.

Schwester Margaret schien Miss Haddons Gesichtsausdruck in der gleichen Weise zu deuten wie er und legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. „Natürlich bist du aufgeregt, liebes Kind. Aber wenn du der Belehrung der Ehrwürdigen Mutter folgst, kannst du der Herausforderung, der du dich in der nächsten Zeit stellen musst, leichteren Herzens entgegentreten. Meinst du nicht auch?“

Die junge Dame hatte sichtlich Mühe, sich zu sammeln, doch dann schenkte sie der ältlichen Nonne ein liebenswürdiges Lächeln. „Ja, durchaus. Es ist gut, sich an den Rat zu erinnern, Schwester.“

„Dich nur daran zu erinnern reicht nicht, mein Kind.“ Schwester Margaret schüttelte langsam den Kopf. „Du musst danach handeln.“

Wieder veränderte sich Donellas Miene, und für einen Moment sah sie aus wie ein trauriges, verlorenes kleines Mädchen. Logan musste dem irrwitzigen Drang widerstehen, sie in seine Arme zu ziehen und tröstend an sich zu drücken.

„Ich tue alles, um mir den Rat der ehrwürdigen Mutter zu Herzen zu nehmen“, versprach sie leise.

Schwester Margaret nickte beifällig. „Wir alle haben unser Päckchen zu tragen, mein liebes Kind. Trag du deines mit freudigem Herzen, und vergiss nie, dass unser himmlischer Vater für uns sorgt.“

Lord Riddick würde es auf jeden Fall tun. Ohne allzu viele Strafpredigten, wie Logan hoffte. Strafpredigten machten die Dinge nur schlimmer.

„Man kann es ihr nicht verübeln, wenn sie ein bisschen schnippisch ist, Schwester“, meldete er sich abermals zu Wort. „Ich würde mich sicher genauso fühlen, wenn man mich hinaus…“

Gerade noch rechtzeitig biss er sich auf die Zunge. Die Nonne musterte ihn mit mildem Entsetzen, während Donellas ihn mit einem so eisigen Blick maß, dass es ihn fröstelte.

„Es ist nicht nötig, dass Sie bleiben, Mr. Kendrick.“ Schwester Margaret sah zum Himmel. „Wir haben Miss Haddons Koffer heute Morgen zum Gasthaus geschickt, und er wird sicher schon in der Kutsche sein. Im Übrigen wird es bald dunkel.“

„Auf diesen Umstand habe ich bereits vor über einer Stunde hingewiesen“, sagte Logan ironisch.

Als die beiden Frauen ihn strafend anstarrten, hätte er sich krümmen mögen vor Verlegenheit. Nonnen Seitenhiebe zu verpassen war nicht anständig, selbst wenn es sich bei einer von beiden um eine ehemalige Nonne handelte. Was in Dreiteufelsnamen hatte ihn bloß geritten?

„Wobei es mir nichts ausgemacht hat zu warten“, beteuerte er hastig.

Donella drehte ihm den Rücken zu, beugte sich anmutig zu der alten Schwester hinunter und drückte sie an sich. „Ich werde Euch vermissen, Schwester Margaret. Danke für alles, was Ihr für mich getan habt.“

Die Schwester erteilte Donella ihren Segen. „Schreib uns, wie du vorankommst, liebes Kind. Der Herr segne dich.“

Sie nickte Logan knapp zu und begab sich in das Gebäude.

Donella wandte sich zu ihm um. „Steht die Kutsche vor dem Tor oder unten beim Gasthaus?“

„Sie muss gleich hier sein. Aber Ihre Anstandsdame ist noch nicht da, oder doch?“

Eine senkrechte Falte erschien an Donellas Nasenwurzel. „Ich habe keine Anstandsdame.“

Oh verdammt. „Kommt keine der Schwestern als Begleitung mit?“

„Es wäre überflüssig. Immerhin habe ich Sie als Begleitung und außerdem, wie ich vermute, den Kutscher und die Pferdeknechte meines Onkels.“

„Wir werden zwei Tage unterwegs sein. Sie brauchen eine Anstandsdame.“ Logan wedelte mit einer Hand. „Um keinen Tratsch aufkommen zu lassen, wie Sie sich denken können.“

Miss Haddon verdrehte die Augen gen Himmel. „Kein Mensch wird über mich tratschen, Sir. Außer meinen engsten Angehörigen und der Dienerschaft weiß niemand, dass ich das Kloster verlasse.“

Seine Gereiztheit brach sich Bahn. „Das ist mir bekannt, aber ich werde nicht zwei Tage mit einer unverheirateten jungen Frau aus gutem Hause in der Reisekutsche verbringen.“

Donella musterte ihn ungläubig. „Ihre Tugend ist ganz und gar sicher bei mir, Sir. Ich habe die vergangenen drei Jahre im Kloster gelebt. Und bis letzte Woche war ich tatsächlich Nonne.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte durch das Tor. Logan zerrte sich den Hut vom Kopf, rieb sich die Schläfen, in denen es schmerzhaft zu pochen begann, und setzte den Hut wieder auf, während er ihr eiligen Schrittes folgte.

„Und wenn Sie die Gottesmutter persönlich wären“, erwiderte er streng, als er sie eingeholt hatte. „Ohne eine passende Chaperone können Sie nicht reisen.“

Wenn er sich ärgerte, war sein Akzent deutlicher zu hören. Und im Augenblick ärgerte er sich sehr.

Donella machte eine wegwerfende Handbewegung und marschierte ohne das Tempo zu drosseln weiter in Richtung Gasthof. Der Wind wirbelte Staub auf und riss Logan den Hut vom Kopf.

Eine saftige Verwünschung murmelnd, hob Logan ihn auf. Selbstverständlich sah Miss Haddon sich nicht bemüßigt, auf ihn zu warten, und so erhaschte er einen hervorragenden, wenn auch kurzen Blick auf ihre hübschen Fesseln, als eine Windböe vom nahegelegenen Firth den Saum ihres Kleides bis zu den Schienbeinen hochwirbelte.

Wo zum Teufel war die Kutsche? Foster hätte sie längst einsammeln sollen, doch das Gefährt war nirgendwo zu sehen. Was perfekt zu allem anderen passte, was an diesem Tag missglückt war.

Er ging schneller und schloss wieder zu Donella auf. „Sie haben nicht einmal eine Zofe, die Sie begleitet?“

Sie blieb abrupt stehen, sodass er schlitternd zum Halten kam.

„Was ist?“, fragte er stirnrunzelnd, als sie ihn finster anstarrte.

„Ich wiederhole. Bis letzte Woche war ich Nonne. Nonnen haben keine Zofen.“

„Auch keine anderen Diener?“ Er wusste nicht viel über das Klosterleben, aber immerhin war sie die Nichte eines vermögenden, einflussreichen Earls.

„Ich weiß, dass viele dumme Gerüchte über Katholiken im Umlauf sind, aber Nonnen haben keine Diener. Und es gibt keine wahnsinnigen Mönche, keine heulenden Gespenster, keine ausufernden Orgien und auch sonst nichts von dem Unsinn, den Sie vielleicht gehört haben.“

Er verbiss sich einen Seitenhieb auf die Orgien. „Ehrlich gesagt, meine Liebe, ich habe nichts gegen die Papisten. Im Gegenteil, meine …“

„Es ist mir egal.“

Sie ging davon, doch Logan konnte es ihr nicht verübeln. Wahrscheinlich hatte er sich angehört wie ein kompletter Idiot. Dennoch wusste er nicht, was er mit ihr machen sollte. Sie würden zwei Mal übernachten – ohne eine Chaperone –, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Lord Riddick diese Tatsache übersehen hatte. Oder war der alte Bursche auch der Auffassung, dass der ehemalige Status seiner Nichte als Nonne sie vor den Gerüchten zu schützen vermochte, die sich in Windeseile im Hochland verbreiteten? Wahrscheinlich nicht. Zumal, wenn sie mit einem Kendrick und besonders mit ihm, Logan Kendrick, reiste.

Über die Schulter warf Donella ihm einen Blick zu. „Kommen Sie? Denn wie Sie ganz richtig bemerkten, je weniger Zeit wir zusammen verbringen, desto besser.“

Trotz ihrer weit ausgreifenden Schritte fiel es ihm auch diesmal nicht schwer, zu ihr aufzuschließen. Keinerlei Geziertheiten, was sie anging. Sie war durch und durch geschäftsmäßig und so säuerlich wie Zitroneneis.

Logan mochte Zitroneneis.

„Sie sind ganz schön schnippisch, wissen Sie das? Haben die Nonnen Sie deswegen fortgejagt?“

Er hatte Glück, dass der Blick, mit dem sie ihn maß, ihn nicht in eine Salzsäule verwandelte. Aber wenigstens sie hielt den Mund – einen sehr hübschen Rosenknospenmund – fest geschlossen.

„Ich heiße übrigens Logan Kendrick. Für den Fall, dass Schwester Margaret es Ihnen nicht gesagt hat.“

Sie ließ ein abfälliges Schnauben hören. „Ich weiß, wer Sie sind.“

„Aha. Dann kennen Sie die Kendricks also.“

„Selbstverständlich. Mit Ausnahme von Lord Arnprior eilt ihnen ein übler Ruf voraus.“

„Sie sind nicht auf dem Laufenden, meine Liebe. Wir haben uns sehr gebessert.“

„Schön für Sie.“ Sie reckte das Kinn und spähte die Straße entlang, so gut es der breite Rand ihrer viel zu großen Schulte erlaubte. „Wo um Himmels willen bleibt denn die Kutsche? Wenn es so weitergeht, sind wir noch hier, wenn die Nacht hereinbricht.“

Da sie den Gasthof fast erreicht hatten und die Kutsche weit und breit nicht zu sehen war, nahm Logan an, dass irgendein Missgeschick passiert war.

Er konnte der Versuchung, Miss Haddon zu foppen, nicht widerstehen. „Stimmt, es ist spät. Vielleicht sollten wir uns nett und freundlich unterhalten, damit die Zeit schneller vorübergeht. Wäre das nicht eine gute Idee?“

„Das Einzige, das ich auf dieser verflixten Reise zu tun beabsichtige, ist beten, Mr. Kendrick.“

„Dann hoffe ich, dass Sie auch ein paar Gebete für mich sprechen werden, Miss Haddon.“

„Ich werde darum beten, dass Sie Ihren verdammten Mund halten.“ Sie beschleunigte ihre Schritte, als hätte sie es sehr eilig, von ihm fortzukommen.

Die hinter ihm liegenden Stunden kamen Logan wie eine unglaubliche Posse vor, und die Reise nach Blairgal würde zweifellos höchst interessant werden. Vorausgesetzt, Donella Haddon brachte ihn nicht um, ehe der Tag zu Ende war.

3. KAPITEL

Donellas Blick glitt zu dem Mann auf der gegenüberliegenden Sitzbank der Kutsche. Den Hut über die Augen gezogen, die Arme vor der Brust verschränkt und die langen Beine von sich gestreckt, bot er den Anblick beneidenswert lässiger Bequemlichkeit. Sie selbst hatte sich in die Ecke der Bank gezwängt, um ihn nur ja nicht zu berühren.

Dabei konnte sie es ihm nicht verdenken, dass er so viel Raum einnahm. Logan Kendrick war nichts weniger als ein Riese. Was sie ihm jedoch verübelte und zunehmend als Ärgernis empfand, war die ungezwungene Arroganz, die er an den Tag legte. Eigentlich war sie sicher, dass sie den Mann von ganzem Herzen hasste.

Aber wenigstens hielt er endlich den Mund. Die Unschicklichkeit ihrer Lage war ihr sehr wohl bewusst, aber sie hatte nicht vor, sich für etwaige Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Es war nicht ihre Schuld, dass weder die Ehrwürdige Mutter Oberin noch ihr Onkel daran gedacht hatten, ihr eine Chaperone zur Verfügung zu stellen. Und leider war es ihr auch nicht in den Sinn gekommen, sich nach diesem so wichtigen Detail zu erkundigen.

Ohnehin war ihr bei den Vorkehrungen für die Reise keinerlei Mitspracherecht eingeräumt worden, und genau das hatte sie Mr. Überheblich und Herablassend Kendrick nach einer weiteren Verzögerung der Abfahrt auch mitgeteilt. Wieso hätte sie auch dafür verantwortlich sein sollen, wenn eins der Pferde just in dem Moment ein Hufeisen verlor, da die Kutsche losfahren wollte, um sie holen zu kommen?

Was die Chaperone anbetraf, so machte es eigentlich keinen Unterschied, ob sie eine hatte oder nicht. Schließlich war ihr Leben praktisch vorüber. Als Nonne war sie, obwohl sie sich unendliche Mühe gegeben hatte, gescheitert. Genau wie bei allen anderen Dingen in ihrem Leben, ehe sie sich ins Kloster zurückgezogen hatte.

Es war verblüffend, weil es ihr nicht an Geschicklichkeit fehlte, ob es um die Führung eines großen Haushalts ging oder um die Unterstützung des ortsansässigen Pfarrers bei seiner Wohltätigkeitsarbeit oder ihre Studien und die Musik. Doch im Augenblick kam sie sich vor wie jemand, der hilflos im Dunkeln tappte ohne die geringste Vorstellung davon, was als Nächstes zu tun war.

Die Räder trafen ein Schlagloch, und die Kutsche tat einen Satz. Hastig griff Donella nach der Lederschlaufe. Ihr Begleiter rührte sich nicht.

Mr. Kendrick war groß und stark und ein Angeber. Er hatte ein Selbstbewusstsein, das sie aus der Ruhe brachte. Außerdem war er ziemlich attraktiv mit seinem dichten schwarzen Haar, den wie gemeißelt wirkenden Zügen und den Augen, die so blau waren wie ein Bergsee – tief und klar und so durchdringend, dass ihr der Atem stockte.

Als sie aus der Tür des Gästehauses getreten war, hatte er sie mit diesen Augen ganz unverschämt gemustert, wahrscheinlich weil sie mit dem lächerlichen Hut und der ebenso lächerlichen Kleidung aussah wie eine Vogelscheuche. Es war das Beste, was die Schwestern hatten auftreiben können, denn ihre alten Kleider waren längst an die Armen verschenkt oder aufgetrennt und anderweitig verwendet worden. In der Woche vor ihrer Abreise hatte die Sorge um ihre Zukunft sie umgetrieben, und es war ihr gleichgültig gewesen, wie sie aussah.

Doch das hatte sich unter der süffisanten Musterung Logan Kendricks abrupt geändert. Es war, als hätte er sie gewogen und für zu leicht befunden. Die Vorstellung, dass er sie attraktiv fand, war lächerlich, sodass für eine Chaperone keinerlei Notwendigkeit bestand. Wahrscheinlich würde er sich eher erschießen, als mit ihr zu flirten, geschweige denn sie in eine Lage bringen, die es erforderlich machte, dass er dem Anstand Genüge tat und ihr einen Antrag machte.

Sie bedachte ihr schlafendes Gegenüber mit einem finsteren Blick. „Eher würde ich mich in siedendes Öl tunken lassen, als jemanden wie ihn zu heiraten“, murmelte sie vor sich hin. „Genau wie die biblischen Märtyrer.“

Als Kendrick seinen Hut zurückschob und sie ansah, wäre sie vor Schreck fast vom Sitz gerutscht.

„Vorsicht, meine Liebe, sonst fallen Sie noch auf den Allerwertesten.“ Mit der ausgestreckten Hand hielt er sie fest. „Und was war es doch gleich, das Sie sagten? Über Heirat und Märtyrertum?“

So würdevoll, wie sie konnte, richtete Donella sich auf. „Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich habe zum heiligen Valentin gebetet.“

Allmächtiger. Sie hatte den erstbesten gemarterten Heiligen genannt, der ihr eingefallen war. Dass Valentin auch als der Schutzheilige romantischer Liebe galt, erschien ihr mit einem Mal überaus peinlich.

„Einleuchtend.“ Kendrick nickte. „Kein Mädchen, das seine fünf Sinne beisammenhat, käme auf den Gedanken, Heirat und Märtyrertum gleichzusetzen.“

„Meinen Sie? Was glauben Sie, warum es so viele Klöster gibt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sind all diese armen Frauen nie dem richtigen Mann begegnet.“

Er zog sie auf. Eindeutig. Am liebsten hätte sie ihm die Zunge herausgestreckt.

Um der Versuchung nicht nachzugeben, schob sie umständlich den Vorhang zurück und blinzelte in die untergehende Sonne. Würden sie den Gasthof denn nie erreichen? Sie wollte nur noch unter die Decke kriechen und schlafen und für ein paar Stunden vergessen, was für ein Scherbenhaufen ihr Leben war.

„Es dauert nicht mehr lange“, hörte sie Kendrick mitfühlend sagen. „In ein paar Minuten dürften wir die Brücke nach Perth erreicht haben.“

„Dann machen wir in Tibbermore Halt, sehe ich das richtig?“ Im Gegensatz zu dem geschäftigen Marktflecken Perth lag Tibbermore versteckt und abseits.

Kendrick rollte seine breiten Schultern und versuchte sich in dem knappen zur Verfügung stehenden Raum zu strecken. „So ist es, und keinen Moment zu früh. Für heute habe ich genug von Kutschen.“

„Ich fürchte, uns steht morgen noch ein langer Tag bevor.“

„Aye, aber übermorgen früh erreichen wir dann Blairgal.“ Er lächelte. „Ich wette, Sie freuen sich, nach Hause zu kommen.“

Nach Hause.

Ob Blairgal und Haddon House, das kleine Anwesen ihres Bruders, sich überhaupt noch wie ein Zuhause für sie anfühlen würden? Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, die beiden Orte jemals wiederzusehen.

Sie zwang sich zu lächeln. „Ja, durchaus.“

„Und sicher freuen Sie sich auch, Ihre Familie wiederzusehen.“

„Sollte es nicht so sein?“ Sie versuchte, nicht pikiert zu klingen, fragte sich indes, was es ihn anging.

Seine Augenbrauen hoben sich ein winziges Stück. „Ich versuche nur ein bisschen zu plaudern, um die Langeweile zu vertreiben.“

Sie hätte sich krümmen mögen vor Verlegenheit. Ihre Nerven lagen eindeutig blank. „Verzeihung, Sir. Ich fürchte, ich bin aus der Übung, was höfliche Konversation anbetrifft.“

Sein Blick wurde sanfter. „Die Karmeliterinnen beachten das Schweigegebot, nicht wahr?“

Sie nickte, erstaunt, dass er darüber Bescheid wusste. „Außer beim Beten und während der Mahlzeiten schweigen wir. Das Gebot darf nur unter zwingenden Umständen gebrochen werden.“

„Und mochten Sie die Stille?“

Sie dachte über seine Frage nach. „Ich bin in einer lauten Familie aufgewachsen, in der Besucher und der gesamte Clan ein und aus gingen. Die Stille war für mich so etwas wie eine Befreiung.“

Besonders ihre Mutter hatte stets lautstarkes Chaos verursacht und Donella das Leben schwergemacht. Aber ihre Familiengeschichte war ganz und gar nicht dazu geeignet, sie einem Fremden anzuvertrauen – und auch sonst niemandem.

„Ich verstehe.“ Kendrick nickte. „Ihr Onkel ist Stammesführer, soweit ich weiß. Und die Haddons sind eine der großen Sept-Familien des Clan Graham.“

Sie hatte fast vergessen, wie schön es war, sich mit einem echten Highlander zu unterhalten. Wenige Menschen waren mit den komplizierten und manchmal erschlagend unübersichtlichen Beziehungsgeflechten innerhalb eines Clans vertraut.

„Malcolm Haddon, einer der Brüder meines Vaters, ist der derzeitige Stammesführer. Und mein Onkel Riddick kümmert sich sehr engagiert um die Angelegenheiten des Clans. Als ich noch jünger war, wurde wenigstens einmal im Jahr eine Versammlung abgehalten, und Feiertage und Hochzeiten waren Feste, die alle gemeinsam begingen. Es herrschte immer eine ziemlich … lebhafte Stimmung.“

„So kann man die Zusammenkünfte der Clans gewiss auch beschreiben.“ Es zuckte um Kendricks Mundwinkel. „Unkontrollierbares Durcheinander wäre zutreffender.“

„Das hört sich an, als wäre Ihnen auch nicht sehr viel daran gelegen.“

Ein Schulterzucken war die Antwort, ein kurzes Heben seiner eindrucksvoll breiten Schultern. „Als ich jung war, schon. Welchem Halbwüchsigen würde es nicht gefallen, zu trinken, zu feiern und mit einem hübschen Hochlandmädchen zu tanzen?“

Donella war ziemlich sicher, dass sie sich die Selbstironie in seinen Ton nicht eingebildet hatte. „Was hat sich geändert für Sie?“

Sein unvermitteltes Lächeln war charmant – und aufgesetzt. „Nichts hat sich geändert. Ich wurde nur älter und klüger. Und Sie haben Ihr friedliches Leben im Kloster genossen, richtig? Da ich selbst aus einer großen, lauten Familie stamme, kann ich Sie nur beneiden.“

Sein höfliches Ausweichmanöver war Donella nicht entgangen. „Ich habe es keineswegs immer genossen. Die Stille meine ich.“

„Weshalb nicht?“

„Es war manchmal zu still. Manchmal glaubte ich zu hören, wie die Fliegen über die Fensterscheiben krabbelten und wie das Mauerwerk sich setzte. Nachts hatte man das Gefühl, vollkommen allein zu sein, der einzige Mensch auf der Welt.“ Bilder ihres abgeschlossenen Lebens stiegen vor ihrem inneren Auge auf, bitter, verwirrend und so schmerzlich wie die erste Liebe.

„Manchmal habe ich mir vorgestellt, Stimmen vom Friedhof her zu hören“, murmelte sie halb zu sich selbst. „Unterirdische Stimmen.“

Dann schien ihr bewusst zu werden, was sie gesagt hatte, und sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. „Ich höre mich an wie eine Figur aus einer reißerischen Geschichte.“ Sie lachte verlegen. „Wie albern von mir.“

Wenn sie ehrlich war, klang sie so geistesgestört wie ihre …

Erschrocken schlug sie die Tür zu diesem Teil ihrer Gedankenwelt zu.

Kendrick hob eine Braue. „Dann gab es die wahnsinnigen Mönche und die kreischenden Gespenster also doch. Sie haben mich in die Irre geführt, Miss Haddon.“

„Ich war in einem Nonnenkloster, Mr. Kendrick, nicht in einem Mönchskloster. Keine Mönche also. Und Gespenster auch nicht. Die ehrwürdige Mutter hätte es nicht geduldet.“

Er grinste. „Dann hoffe ich, dass wenigstens der Friedhof angemessen schauerlich war, mit übellaunigen Engeln, die seitlich über bröckelnden Grabsteinen lehnten.“

Sein Lächeln war so einnehmend, dass sie es kaum erwidern konnte. Logan Kendrick verströmte seinen Charme so mühelos, wie Whisky aus einer Flasche floss. Zum Glück war sie unempfänglich für derlei Dinge.

„Nichts dergleichen, wie ich fürchte. Unser Wohngebäude und das Grundstück sind eine Schenkung des vorherigen Eigentümers an die Kirche, als dieser sich ein neues Anwesen in der Nähe von Edinburgh bauen ließ. Viele Generationen seiner Familie sind auf dem Gelände begraben, daher bestimmte er, dass der Orden die Gräber unterhält, solange er das Kloster betreibt. Von meiner Zelle aus konnte man den ältesten Teil des Friedhofs sehen.“ Sie lächelte schief. „Wenn der Wind in stürmischen Nächten durch die Baumkronen pfiff, hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass die Toten miteinander flüsterten oder in ihren Gräbern stöhnten.“

„Ich kann nicht behaupten, dass ich es den armen Teufeln krummnehme. Es muss ziemlich langweilig sein in den schimmeligen alten Kisten da unten.“

„Ist Ihnen klar, dass die Seelen der Toten längst im Himmel sind? In der Erde finden sich nur Staub und Knochen.“

„Ich bin ein Highlander, meine Liebe.“ Er zuckte wieder mit den Schultern. „Und Sie wissen sicher, dass wir an Ghule und Feenvolk glauben. Es ist unser Geburtsrecht.“

„Ich hörte davon“, erwiderte sie trocken.

Er musterte sie mit leicht gerunzelter Stirn, als versuchte er, einem Rätsel auf die Spur zu kommen.

„Was hat es mit dem vielen Beten auf sich? Nonnen und andere fromme Menschen scheinen die ganze Zeit zu beten, am liebsten für so nichtsnutzige Zeitgenossen wie mich. Es macht Sie alle ziemlich unangreifbar, nicht wahr?“ Er unterbrach sich, überlegte. „Aber nun ja, jemand muss es wohl tun, schon allein, um die Verfehlungen von uns gewöhnlichen Sündern auszugleichen.“

Sie blinzelte erstaunt angesichts der plötzlichen Veränderung seines Gebarens. „Ich betrachte mich nicht als unangreifbar, Mr. Kendrick. Und Nonnen sind Menschen wie alle anderen auch, genauso gut und genauso fehlbar. Es gibt nichts, worin wir außergewöhnlich wären.“

Er wedelte mit einer Hand. „Doch. Nonnen sind anders. Ganz und gar nicht wie gewöhnliche Frauen.“

War er darauf aus, sie zu ärgern? Wenn, dann hatte er Erfolg. „Das ist lächerlich. Nonnen sind kein bisschen anders als andere Frauen, jedenfalls nicht in den wesentlichen Punkten.“

„Außer einem. Sie mögen keine …“ Gerade noch rechtzeitig wurde Logan bewusst, mit wem er sprach, und er verstummte abrupt.

„Sie mögen was nicht?“

Er sah aus dem Fenster. „Entschuldigen Sie. Mir ist entfallen, was ich sagen wollte.“

Ausgerechnet jetzt wollte er kneifen? Oh nein.

„Wir mögen keine Männer, wollten Sie sagen? Seien Sie versichert, Sie wären nicht der Erste. Die Männer scheinen alle zu glauben, dass wir vertrocknete alte Jungfern sind, die sich vor der Welt verstecken.“

Was in ihrem Fall ausnahmsweise zutraf. Nicht der Teil mit den vertrockneten alten Jungfer, aber der mit dem Verstecken. Wahrscheinlich fand sie seine Bemerkungen deshalb so irritierend.

„Das war es nicht, was ich sagen wollte“, verteidigte er sich entrüstet.

„Es spielt keine Rolle.“

Sie machte übertriebenes Aufheben beim Zurückschieben des Vorhangs und spähte aus dem Kutschenfenster. „Ich glaube, das da vorne ist schon die Brücke nach Perth. Wussten Sie, dass es eine Art Wahrzeichen in diesem Teil Schottlands ist?“

„Miss Haddon …“

„Wenn ich mich recht entsinne, hat sie acht Bögen. Ein wahres Wunder der Ingenieurskunst.“

„Miss Haddon“, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Ein Ruck ging durch die Kutsche, dann kam sie zum Halten.

„Was ist denn nun schon wieder?“, sagte Donella und stöhnte entnervt. „So langsam verliere ich die Geduld.“

„Ich sehe nach.“ Logan erhob sich. „Bleiben Sie einfach sitzen.“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Wenn ich den Wunsch habe, die Kutsche zu verlassen, weil ich frische Luft schnappen will, Sir, werde ich das tun.“

Er murmelte etwas, das nach einer unfreundlichen Bemerkung klang, und drückte die Klinke. Schon halb aus der Kutsche, erstarrte er plötzlich.

„Was für ein gottverdammter …“

„Derbe Sprache zu benutzen und den Namen des Herrn zu missbrauchen wird das Problem, welches auch immer es sein mag, nicht lösen, Sir“, fiel Donella ihm tadelnd ins Wort.

Er sah über die Schulter. Sein Blick war so grimmig, dass jede weitere Schelte ihr auf der Zunge erstarb.

„Bedauerlicherweise, Miss Haddon, war meine Ausdrucksweise bei Weitem nicht derbe genug.“

4. KAPITEL

Bis zu dem Moment, da sie wieder in Streit geraten waren, hatte Logan die Unterhaltung genossen. Dann war Miss Haddon auf das Wispern der Toten zu sprechen gekommen. Er kannte die flüsternden Stimmen aus eigener Erfahrung und wollte nicht an sie erinnert werden.

Und nun, wie zum krönenden Abschluss, sah es so aus, als sollten sie von ein paar verwünschten Hohlköpfen ausgeraubt werden.

Er sprang aus der Kutsche und spähte in die zunehmende Dunkelheit. Foster hatte die Kutsche auf den ersten Metern der Brücke zum Stehen gebracht, weil ihnen am gegenüberliegenden Ende vier Reiter den Weg versperrten. Einer von ihnen machte ein Zeichen, dann stießen die Männer ihren Pferden die Absätze in die Flanken und kamen nebeneinander her reitend auf die Kutsche zu.

Logan sah zu Foster hinauf. „Glauben Sie auch, was ich glaube?“

„Mir haben sich die Nackenhaare gesträubt bei dem Anblick“, erwiderte der Kutscher zähneknirschend. „Darum habe ich so hart gebremst. Aber wenn die Kerle vorhaben, uns auszurauben, lassen sie sich verdammt viel Zeit.“

„Wie Wegelagerer verhalten sie sich nicht“, pflichtete Davey, der noch auf dem Dienertritt stand, lautstark bei.

Logan warf einen Blick über die Schulter. „Schon jemals überfallen worden, Davey?“, fragte er trocken.

Der junge Mann schüttelte verlegen den Kopf.

Logan nickte. „Bringen Sie uns die Pistolen.“

„Aye, Sir.“

„Die Kerle müssen verrückt sein, es so dicht bei Perth zu versuchen“, murmelte Foster kopfschüttelnd. „Es könnte jederzeit jemand vorbeikommen.“

„Seit über einer Stunde gab es kaum Verkehr auf der Straße, weder in der einen noch in der anderen Richtung“, erwiderte Logan. „Wer seine fünf Sinne beisammenhat, ist um diese Zeit zu Hause.“

Logan sah den mysteriösen Reitern entgegen, und auch ihm sträubten sich die Nackenhaare. Seit seiner Zeit in der kanadischen Wildnis, als er sich sowohl vor Räubern mit Klauen und scharfen Zähnen hatte schützen müssen, als auch solchen, die aufrecht gingen und Waffen mit sich führten, war sein Spürsinn hoch entwickelt.

Davey kam, eine Pistole in der Hand.

„Nur eine?“ Logan runzelte die Stirn.

Der Pferdeknecht hob die Schultern. „Im Kutschkasten war nur die, Sir. Mr. Foster hat noch eine unter seinem Sitz, aber das ist alles. Es kommt heutzutage nicht mehr oft vor, dass man Wegelagerern begegnet.“

Seine eigene Pistole hatte Logan in seinem Koffer verstaut, und der befand sich im Kutschkasten unter Miss Haddons Gepäck.

Wie konnte man nur so dumm sein.

Er war bequem geworden in den letzten Jahren. In Kanada hatte er das Haus nie ohne ein Paar Pistolen am Gürtel und eine zusätzliche hinten im Hosenbund verlassen.

Miss Haddon streckte den Kopf aus der Tür. „Was ist eigentlich los? Warum haben Sie eine Pistole in der Hand?“

„Ich bin nur vorsichtig. Zurück in die Kutsche mit Ihnen.“

Statt seine Anweisung zu befolgen, lehnte sie sich waghalsig weit nach außen und reckte neugierig den Hals. „Werden diese Männer uns Schwierigkeiten machen?“

„Möglicherweise.“

„Ich nehme an, sie wollen uns ausrauben.“ Sie klang eindeutig gereizt. „Mr. Kendrick, ich schlage vor, Sie teilen diesen Idioten mit, dass ich die Nichte des Laird of Riddick bin und dass mein Onkel für solchen Unsinn keine Geduld zu haben pflegt.“

„Ich werde zusehen, dass ich Gelegenheit bekomme, das Argument vorzutragen.“ Logan entsicherte seine Waffe.

„Es gibt keinen Grund, sarkastisch zu werden“, entgegnete sie prompt. „Und ich möchte auch eine Waffe, bitte.“

„Wir hätten alle gerne mehr Waffen, meine Liebe. Und jetzt sehen Sie um Gottes willen zu, dass sie wieder in die Kutsche kommen und unten bleiben.“

Ihre vollen Lippen wurden schmal und schienen ihm eine wortlose Strafpredigt zu halten, aber zum Glück folgte sie seiner Anweisung. Auch wenn sie noch so hochmütig auftrat, so schien sie doch zu wissen, wann es besser war, auf ihn zu hören.

Logan ging ein paar Schritte auf die Brücke. Dann blieb er stehen und sah den Reitern mit verengten Augen entgegen.

„Was in Dreiteufelsnamen führen sie im Schilde?“, murmelte er halb zu sich selbst.

„Jedenfalls haben sie Waffen“, teilte Foster ihm mit. „Auf dem Schoß.“

Mit einer Hand beschirmte Logan die Augen gegen die untergehende Sonne. „Sie sind maskiert.“

Alle vier trugen tief in die Stirn gezogene Mützen und dunkle Halsbinden über Mund und Nase – außer einem, der sich einen leuchtend roten Schal umgebunden hatte.

„Banditen“, beschied Davey leise. „Das wird den Laird nicht freuen.“

Logan sah den Kutscher an. „Foster, trauen Sie sich zu, die Kutsche zu wenden oder die Pferde von der Brücke zurückzusetzen?“

„Es könnte eng werden, Sir, aber ich glaube, es geht.“

Ein paar Meilen vorher waren sie an einem Gasthof vorbeigekommen. Mit ein bisschen Glück und ein paar Warnschüssen nach hinten würden sie es vielleicht schaffen, sich in Sicherheit zu bringen.

Logan ging zurück zur Kutsche. „Davey, du steigst zu Miss Haddon in die Kutsche. Ich …“

„Mr. Foster“, fiel Davey ihm alarmiert ins Wort, „Sehen Sie! Dahinten.“

Drei weitere maskierte Reiter waren auf dem Stück Landstraße, das hinter ihnen lag, aufgetaucht und näherten sich ihnen. Damit hatte Logan nicht gerechnet.

Was zum Henker ging hier vor?

„Stellen Sie die Bremse fest, Foster, und nehmen Sie Ihre Waffe heraus“, befahl er knapp. „Wir müssen uns verteidigen.“

„Aye, Sir.“

Logan schlug Davey auf die Schulter. „Meine Pistole liegt in meinem Koffer. Sieh zu, dass du sie findest, und wenn du dafür jedes andere Gepäckstück auf die Straße werfen musst. Schieß auf jeden, der uns zu nahe kommt, und halt uns den Rücken frei.“

Davey erbleichte. „A … Aye, Mr. Kendrick.“

Er lief zum Kutschkasten, während Logan ans Fenster trat, um mit Donella in der Kutsche zu sprechen.

„Wir sind in Schwierigkeiten“, teilte er ihr kurz angebunden mit.

„Ich habe es gehört.“ Sie griff sich hinter den Kopf und nestelte an ihrem Hut.

Stirnrunzelnd verfolgte Logan ihr Tun. Merkwürdig, dass ihr Äußeres ihr ausgerechnet in diesem Moment wichtig war.

„Ich möchte, dass Sie sich zwischen die Sitzbänke kauern und den Kopf unten halten.“ Er schlug einen Ton an, als redete er mit einem Kind.

Miss Haddon machte eine finstere Miene. „Ich bin nicht beschränkt, Mr. Kendrick. Ich weiß, was … ah, endlich.“

Sie hatte eine gefährlich aussehende Hutnadel in der Hand, zerrte sich die Schute vom Kopf und warf sie auf den Sitz gegenüber.

„Vielleicht sollten wir ihnen geben, was sie verlangen. Dann haben wir es hinter uns.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sicherer wäre es auch.“

Die glänzenden rotbraunen Locken, die ihr auf die Schultern fielen, lenkten ihn ab. Aye, sie war wirklich schön, und das machte ihm Angst. Zumal, wenn er bedachte, was gleich passieren würde.

„Diese Banditen verhalten sich nicht wie gewöhnliche Wegelagerer“, entgegnete er und lehnte sich zurück, um einen Blick in beide Richtungen zu werfen. Die Reiter auf der Brücke näherten sich in Schrittgeschwindigkeit. Die Männer hinter der Kutsche hatten in etwa dreißig Metern Entfernung angehalten und verstellten ihnen den Fluchtweg.

Die Situation war sehr merkwürdig.

„Wie viele sind es?“, fragte Miss Haddon interessiert.

„Sieben. Drei hinter uns, und vor uns vier. Alle maskiert und bewaffnet.“

„Oh je. Das hört sich nach gründlicher Planung an, oder?“

„Ganz genau, und darum möchte ich, dass Sie sich so tief wie möglich ducken.“

Sie verzog das Gesicht, nickte jedoch und rutschte vom Sitz, die Hutnadel fest in der Hand.

Obwohl Logan ihren Mut bewunderte, war ihm klar, dass ihre dürftige Waffe womöglich mehr Schaden anrichtete, als dass sie ihr nutzte. Ein kräftiger Stich an der richtigen Stelle konnte einen Angreifer für einen Moment außer Gefecht setzen, würde ihn jedoch wahrscheinlich auch in Rage bringen.

„Ich bin Schottin, Sir. Ich werde mich verteidigen, egal was passiert.“ Miss Haddon hatte anscheinend seine Gedanken gelesen.

Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt. Warten Sie einfach, bis ich zurück bin und Sie hole.“

„Sie sind fast da“, hörte er Foster rufen.

Mit einem Blick vergewisserte Logan sich, dass Davey ihnen Rückendeckung gab und bei Miss Haddon blieb, dann trat er vor die Kutsche und entsicherte seine Waffe. Einer der Reiter hob die Hand, und ein paar Meter vor Logan blieben die Pferde stehen.

Eine ganze Weile lang starrten er und die maskierten Reiter sich an. Am anderen Ende der Brücke waren die erleuchteten Fenster von Perth zu sehen, die Rauchfahnen, die sich aus den Schornsteinen kräuselten. Doch obwohl die saubere, wohlhabende Stadt ganz in der Nähe lag, waren sie völlig auf sich selbst gestellt. Wahrscheinlich würde kein Mensch es hören, wenn Schüsse fielen. Der schnell dahinfließende Fluss unter der Brücke und der auffrischende Wind in den Bäumen würden es verhindern.

„Zufällig bin ich ein hervorragender Schütze, daher schlage ich vor, ihr lasst uns durch“, sagte Logan laut.

„Wir sind sieben, und ihr seid drei“, erwiderte der, der das Handzeichen gegeben hatte. „Wir führen nichts Böses im Schilde. Aber wenn ihr unseren Anweisungen nicht folgt, werden wir tun, was nötig ist.“

„Wollt ihr Geld? Dann soll einer von euch kommen und es holen.“ Logan machte eine Pause. „Denn wenn wir noch lange hier herumstehen, kommt irgendwann jemand vorbei und schlägt Alarm, und das könnte euren Plänen ein rasches Ende setzen.“

„Wir wollen euer Geld nicht. Wir wollen das Mädchen. Gebt sie uns, und wir sind im Handumdrehen fort.“

Was zur Hölle …?

Woher wussten sie, wer in der Kutsche war? Die Lage wurde immer bizarrer. Kaum jemand hatte Kenntnis davon, dass Donella Haddon nach Blairgal Castle zurückkehrte.

„Foster“, sagte Logan leise, „Ist Ihnen vorhin in dem Gasthof etwas Verdächtiges aufgefallen, als wir auf Miss Haddon gewartet haben?“

„Nein, Sir. In der Schankstube saßen nur ein paar Einheimische und tranken Bier.“

„Das muss ein Missverständnis sein.“ Logan sprach wieder lauter. „Ich bin Geschäftsmann und komme aus Glasgow. Die Frau in der Kutsche ist meine Gattin, und ihr könnt euch darauf verlassen, dass ihr sie nirgendwo hin mitnehmt.“

Der Anführer der Bande wedelte mit seiner Pistole. „Unsinn, die Blume ist niemandes Frau. Übergebt sie uns, dann lassen wir euch in Ruhe.“

Blume? Wovon in aller Welt redete dieser Schwachkopf?

„Oh weh, das klingt gar nicht gut“, hörte er Foster murmeln.

Logan bedachte den Kutscher mit einem scharfen Blick und spannte den Hahn.

„Wie ihr wollt“, wandte er sich an den Anführer der Maskierten.

Drei Pistolen hoben sich und wurden gespannt.

„Aufhören, ihr verdammten Hornochsen“, schnauzte der Anführer und wandte sich wieder zu Logan um. „Wir tun dem Mädchen nichts. Ich gebe euch mein Wort als Highlander. Aber wir nehmen sie mit. Es ist eure Entscheidung, wie leicht oder schwer ihr es machen wollt.“

„Sie scheinen nicht auf einen Schusswechsel aus zu sein“, flüsterte Foster laut genug, dass Logan ihn verstand. „Und wenn hier von Blume und dergleichen die Rede ist, geht es um Angelegenheiten des Clan Graham.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon die Kerle reden.“ Logan schüttelte den Kopf. „Aber ich glaube auch, dass es sich um Clan-Angelegenheiten handelt.“ Und die konnten, zumal wenn es um Fragen der Ehre ging, verdammt mühsam sein.

„Weshalb wollt ihr sie mitnehmen?“, rief Logan den Reitern zu.

„Das geht euch nichts an.“

Mich geht es etwas an. Und da der Laird of Arnprior mein Bruder ist, geht es die Kendricks etwas an. Brecht einen Streit mit mir vom Zaun, und ihr habt einen Streit mit Arnprior und dem Clan Kendrick am Hals.“

Ein unbehagliches Murmeln setzte ein. Der Anführer brachte seine Kumpane mit ein paar scharfen Worten zum Schweigen.

„Wir haben keinen Streit mit den Kendricks. Und wenn ihr wollt, dass es so bleibt, gebt uns das Mädchen.“

„Das wird nicht …“

Das Geräusch des sich öffnenden Kutschenschlags unterbrach ihn. Logan drehte sich um und sah, wie Donella sich aus der Tür lehnte. Sie schien aufgebracht zu sein.

„Könnten Sie dieses alberne Palaver jetzt endlich beenden?“, verlangte sie ungehalten. „Mir ist eiskalt in der Kutsche, und ich würde es außerordentlich schätzen, wenn wir vor Einbruch der Nacht unser Ziel erreichen.“

„Was Sie tun, ist wenig hilfreich“, sagte Logan gefährlich leise.

„Und Sie werden anscheinend nicht fertig mit den Kerlen.“ Donella sprang aus der Kutsche und trat zu ihm. „Ich habe das Gefühl, bei irgendwelchen langatmigen Friedensverhandlungen gelandet zu sein anstatt bei einer Entführung.“

„Ich versuche genau diese Entführung mithilfe von Friedensverhandlungen zu verhindern.“

Sie warf den aufgeregt miteinander flüsternden Entführern vor der Kutsche einen hochmütigen Blick zu.

„Da ihr wisst, wer ich bin“, rief sie, „dürfte euch auch bekannt sein, dass Lord Riddick euer Verhalten als eine Beleidigung auffassen und wenig Begeisterung dafür aufbringen wird. Wenn ihr uns nicht durchlasst, garantiere ich euch, dass euer bedauerliches Verhalten ziemlich schädliche Folgen für euch haben wird.“

„Da nimmt aber jemand den Mund verdammt voll“, meinte einer der Reiter spöttisch. „Und das von so einer halben Portion.“

„Aye“, schaltete der mit dem roten Schal sich lachend ein. „Kaum zu glauben, dass sie und …“

„Haltet das Maul, ihr Idioten.“ Der Anführer versetzte dem mit dem roten Schal einen Schlag auf die Schulter, woraufhin dessen Pferd scheute und gegen das seines Nachbarn stieß. Für ein paar Minuten herrschte Chaos, Flüche schwirrten durch die Luft, und die Männer versuchten, ihre Gäule unter Kontrolle zu bringen. Es wäre zum Lachen gewesen, hätten die Kerle keine Waffen gehabt. Logan schob Donella hinter sich, um sie zu schützen, für den Fall, dass sich zufällig ein Schuss löste.

„Es gibt keinen Grund, mich aus der Sache herauszuhalten“, erklärte sie entrüstet.

„Wollen Sie sich lieber erschießen lassen?“

„Niemand schießt auf niemanden“, entgegnete sie scharf. „Ich nehme die Sache in die Hand.“

Logan musterte sie finster. „Wissen Sie zufällig, wer diese Kerle sind?“

„Nein, aber sie wissen, wer ich bin.“ Sie ließ ein verächtliches Schnauben hören. „Die Blume. Ich habe den Namen immer gehasst.“

„Kommen Sie schon, Miss Donella!“, rief der Anführer schmeichelnd. „Wir tun Ihnen nichts, aber kommen müssen Sie.“

„Ich muss gar nichts!“, rief sie zurück und reckte den Hals, um etwas zu sehen. „Allein für den Versuch der Entführung wird mein Onkel euch jagen.“

„Ihr Onkel ist ein müder alter Mann. Und die ganze Sache ist sowieso Riddicks Fehler. Wir nehmen uns nur, was ohnehin uns seit Jahren gehört.“

Donella atmete scharf ein.

Die Pferde setzten sich in Bewegung.

Logan steckte sich die Pistole in den Hosenbund und hob Donella hoch. Er stieß sie in die Kutsche und warf den Schlag zu, ohne auf ihre Proteste zu achten.

„Sie bleiben drinnen.“

Sie sah ihn wütend an. „Ich bin kei…“

Ein Schuss krachte, und sie verstummte abrupt.

Foster hatte ihn abgefeuert, und es sah so aus, als hätte er einen der Banditen am Arm getroffen. Und in der Tat, der mit dem roten Schal krümmte sich vornüber, versuchte verzweifelt, nicht aus dem Sattel zu rutschen.

Logan zog seine Pistole und feuerte auf den Anführer. Der Mann schrie auf, als sein Hut ihm vom Kopf flog und er selbst im nächsten Moment vom Pferd stürzte.

Die beiden unverletzten Halunken fluchten lautstark, während sie alles taten, um ihre verängstigten Pferde unter Kontrolle zu bringen.

Als hinter ihm ein Schuss abgefeuert wurde, wirbelte Logan herum. Davey hatte geschossen, sein Ziel jedoch verfehlt. Die drei Reiter preschten vor. Zwei von ihnen sprangen aus dem Sattel, warfen sich auf den jungen Pferdeknecht, während der dritte seinen Kumpanen Deckung gab. Davey kämpfte wie ein Wilder, doch die Kerle schlugen ihn zu Boden.

Mit ein paar wenigen, weit ausgreifenden Schritten hatte Logan sie erreicht. Er packte einen der Angreifer, zerrte ihn aus dem Gewimmel von Gliedmaßen und hievte ihn über das Brückengeländer. Knurrend hob der im Sattel verbliebene Gauner seine Waffe und zielte. Logan zog ein Messer aus seinem Stiefelschaft, schleuderte die Klinge auf den Schützen, während gleichzeitig ein Schuss krachte. Steinsplitter von der Mauer hinter ihm flogen Logan um die Ohren. Die Kugel hatte ihn, wenn auch nur um wenige Zoll, verfehlt.

Sein Angreifer schrie gellend und umklammerte das Heft des Messers, das in seiner Schulter stak. Er sackte seitwärts aus dem Sattel, während sein Pferd sich halb um sich selbst drehte und in die entgegengesetzte Richtung davongaloppierte. Sein Reiter zappelte im Sattel wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ein weiteres Pferd, offenbar verängstigt von dem Tumult, setzte ihm nach.

Mit einem Blick vergewisserte sich Logan, dass Davey mit dem Letzten seiner Angreifer fertig wurde, und eilte zur Kutsche zurück. Foster hielt einen der vier Reiter mit seiner Peitsche auf Abstand, und der Gauner hatte alle Mühe, sein Pferd vom Durchgehen abzuhalten.

Der vierte Reiter war abgestiegen. Er war bei der Kutsche, hatte den Schlag aufgerissen und wollte sein Opfer mit einem Griff um die Wade zu sich zerren. Doch Miss Haddon leistete heftigen Widerstand. Ihre Röcke bauschten sich oberhalb ihrer Knie, während sie unablässig versuchte, ihn fortzutreten, und sich gleichzeitig am Türrahmen festkrallte.

Unbändige Wut erfasste Logan bei dem Anblick, schoss in ihm hoch wie ein weiß glühender Strahl und schien die Dunkelheit zu erhellen. Er stürmte vor, wild entschlossen, den Bastard, der es wagte, Donella Haddon anzufassen, mit seinen bloßen Händen zu erdrosseln.

Er packte den Grobian bei der Schulter, und im selben Moment trat Donella nach ihrem Angreifer, erwischte ihn im Schritt. Der Kerl ruckte senkrecht hoch, schrie wie am Spieß, doch Logan riss ihn vom Klapptritt herunter und stieß ihn zu Boden. Sein Schädel traf auf einen Pflasterstein, und der Schurke rollte sich, eine Hand zwischen den Beinen, stöhnend auf der Straße zusammen.

Logan half Donella, sich aufzusetzen. „Sind Sie wohlauf, Miss Haddon?“

„Ich … ich denke ja.“

Ihr zitterten die Hände, als sie ihre Kleider in Ordnung brachte. Einer ihrer Strümpfe war heruntergerutscht und enthüllte ihre helle Haut und die schmale Fessel. Logan zog ihre Röcke zurecht und half ihr auf die Sitzbank.

„Der Tritt war großartig, Miss Haddon“, lobte er sie schroff. „Das haben Sie gut gemacht.“

Ihre bebenden Lippen verzogen sich zu einem unsicheren Lächeln. „Ich wollte ihn erstechen, aber dann ließ ich die Hutnadel fallen.“

Logan warf einen flüchtigen Blick zu dem Mann auf der Straße, der immer noch winselnd dalag. „Glauben Sie mir, der Tritt war wirkungsvoller.“

„Sie haben mich auch beeindruckt“, sagte sie ernst. „Als Sie den Mann über das Brückengeländer warfen wie einen Sack Kartoffeln.“ Sie krauste die Stirn. „Hoffentlich haben Sie ihn nicht umgebracht.“

„Wahrscheinlich nicht, aber wenn, weine ich ihm keine Träne nach.“

Sie sah beiseite und griff nach ihrer Schute. „Ich bin ziemlich sicher, dass die Männer mir nichts tun wollten, auch wenn sie so raubeinig aufgetreten sind.“

Das Klappern von Hufen war zu hören, und Logan sah zur Brücke. Der Mann, der Foster angegriffen hatte, floh, während der mit dem roten Schal dem Anführer in den Sattel half. Im nächsten Moment preschten die drei Reiter ohne einen Blick zurück in Richtung Perth davon und ließen ihre verletzten Kumpane zurück.

„Mir, Davey und Foster dagegen wollten sie etwas tun. Da bin ich mir ganz sicher“, erwiderte er trocken.

Sie bedachte ihn mit einem beunruhigten Blick … „Ja, das sehe ich auch so.“

Logan runzelte die Stirn. Da war etwas, das sie ihm verschwieg, doch dies war nicht der Moment für Verhöre.

Miss Haddon setzte ihren Hut auf. „Und? Wie geht es jetzt weiter, Sir?“

„Wir verschwinden von hier, ehe die Mistkerle sich neu formieren können.“

„Mir missfällt Ihre Sprache, Mr. Kendrick. Aber Ihre Vorgehensweise findet meinen uneingeschränkten Beifall.“

Ein schiefes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Das freut mich.“

Er trat vom Klapptritt herunter und schloss den Schlag. Der Mann auf der Straße schien sich aufsetzen zu wollen, doch Logan packte ihn beim Kragen, schleifte ihn zur Brücke und schleuderte ihn über das Geländer. Ein rauer Schrei und ein lautes Aufklatschen folgten.

Miss Haddon öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. „War das wirklich nötig?“

„Ja.“ Logan warf einen Blick zu Davey, der sich immer noch mit seinem Widersacher auf dem Boden herumrollte. „Davey, hör auf, herumzublödeln und mach der Sache ein Ende.“

„Versuche ich ja, Sir!“, rief der Pferdeknecht schwer atmend zurück. „Aber er kämpft mit unsauberen Mitteln.“

Logan packte den Kerl, zerrte ihn von Davey fort und stieß ihn mit dem Kopf gegen das Brückengeländer. Der Halunke sackte zusammen und blieb reglos auf dem Kopfsteinpflaster liegen.

Davey rappelte sich auf, sein Blick glitt zu seinem Gegner, dann zu Logan.

„Er wird ein Weilchen da liegen bleiben, nehme ich an.“ Der Pferdeknecht klang fast ehrfürchtig.

„So war es gedacht. Und bitte lade deine Pistole, mein Junge. Wenn du keine Munition mehr hast, nimm dir welche von mir.“

„Aye, Mr. Kendrick.“

Logan ging los, um mit Foster zu sprechen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Donella ihn offenen Mundes anstarrte.

„Miss Haddon?“

Sie deutete auf den bewusstlosen Mann auf der Brücke. „Ich frage mich nur, weshalb Sie ihn nicht auch in den Fluss geworfen haben.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nicht angeben.“

„Mr. Kendrick, ich weiß nicht, ob dieses ganze Durcheinander nach Lage der Dinge nötig war.“

„Nach Lage der Dinge?“, wiederholte er ungläubig. „Seien Sie versichert, es war nötig, um Ihren hübschen kleinen Hintern zu retten, Miss Haddon.“

„Sir, Ihre Ausdrucksweise ist absolut …“

„Was verschweigen Sie mir?“, unterbrach er sie grob.

Sekundenlang herrschte Stille.

„Ich weiß über diese Sache genauso wenig wie Sie“, behauptete sie schließlich.

„Dann müssen wir wohl den Magistrat von Perth wecken oder einen Konstabler finden, der …“

„Nein!“

Angesichts der Panik in ihrer Stimme runzelte Logan die Stirn. „Noch einmal: Was verschweigen Sie mir?“

„Nichts. Aber mein Onkel würde es nicht schätzen, dass wir in aller Öffentlichkeit über die Sache streiten.“

„Er wird es genauso wenig schätzen, dass jemand seine Nichte zu entführen versucht hat.“

„Es steckt mehr hinter dieser Sache, als man auf Anhieb erkennt“, sagte Donella fest. „Ich bestehe darauf, dass Sie alles Weitere meinem Onkel überlassen. Abgesehen davon, dass Sie die Hälfte der Männer in den Fluss geworfen haben und alle anderen außer dem Bewusstlosen geflohen sind.“

„Sie hat recht, Sir“, ließ Foster sich vom Kutschbock her vernehmen. „Vor uns ist keiner von den Kerlen mehr zu sehen.“

„Aber womöglich kommen sie wieder, um ihre Kumpane zu holen.“ Donella atmete tief durch. „Wir sollten zusehen, dass wir fortkommen.“

Logan rang mit sich. Wenn es etwas gab, das er hasste, dann waren es ungelöste Rätsel, und ein solches gab es hier definitiv. Miss Haddon war der Schlüssel dazu, aber sie schwieg eisern.

„Es ist wahrscheinlich eine Clan-Angelegenheit“, fügte sie schulterzuckend hinzu. „Und das bedeutet, dass mein Onkel die Sache nicht der Obrigkeit überlässt, sondern sie selbst in die Hand nimmt.“

Logan schnitt eine Grimasse. Der Earl war ein Ehrenmann, wenn auch äußerst streng und hochmütig. Aber angesichts der schwebenden Verhandlungen mit dem alten Burschen konnte er es sich nicht leisten, Riddick oder seine Lieblingsnichte vor den Kopf zu stoßen.

Davey spähte die Landstraße entlang, dann wandte er sich um. „Ich höre Hufgeklapper, Sir. Von mehreren Pferden.“

Logan hörte es auch, und das gab den Ausschlag.

„Ich steige zu Foster auf den Kutschbock“, informierte er Miss Haddon knapp. „Ziehen Sie den Vorhang zu und lassen Sie sich nicht blicken.“

„Jawohl, Sir“, erwiderte sie bissig.

„Und glauben Sie nicht, damit wäre die Sache beendet, meine Liebe. Wir führen die Diskussion weiter, sobald ich Sie in Sicherheit gebracht habe.“

„Ich versichere Ihnen, es gibt nichts zu diskutieren.“ Sie schloss das Fenster und zog den Vorhang vor.

5. KAPITEL

Weniger als eine Stunde nach der versuchten Entführung bog die Kutsche in den Hof eines kleinen Gasthauses in der Ortschaft Tibbermore ein.

Donella entschlüpfte ein zittriger Seufzer der Erleichterung. Zwar hatte sie sich immer noch nicht beruhigt, dennoch war sie überzeugt, dass ihr Leben nie in Gefahr gewesen war. Sie vermutete, dass es sich bei der versuchten Entführung um einen Racheakt gegen ihren Onkel handelte.

Kein Zweifel, es ging um Clan-Angelegenheiten – die, wie sie sehr wohl wusste, in der Regel schmutzig und mitunter auch gewalttätig sein konnten. Doch die Gefahr für ihre unschuldigen Begleiter hatte ihr mehr Angst eingejagt als jede Bedrohung ihrer eigenen Person.

Dass es den Beinahe-Entführern nichts ausgemacht hatte, die Männer ihres Onkels und einen Kendrick zu verletzen, wies darauf hin, dass es sich um eine ausgewachsene Fehde handelte. Onkel Riddick schien sich böse Feinde gemacht zu haben. Doch er war ein mächtiger und respektierter Laird, für den der Angriff eine schwerwiegende Beleidigung darstellte, und wahrscheinlich würde sie bittere Konsequenzen nach sich ziehen.

Glücklicherweise war Mr. Kendrick dabei gewesen. Er hatte die Schurken unter lässiger Missachtung seiner eigenen Sicherheit fertiggemacht, war tödlichen Kugeln ausgewichen und hatte die Angreifer von der Perth Bridge geworfen wie Kegel. Eine solch mühelose, Ehrfurcht gebietende Zurschaustellung männlicher Kraft hatte sie zuletzt bei den Clan-Versammlungen in ihrer Jugend erlebt, als der gut aussehende, eingebildete Roddy Murray seine zahlreichen Rivalen ausgestochen hatte. Alle anwesenden Mädchen waren dahingeschmolzen beim Anblick von Roddy.

Bedauerlicherweise auch sie, Donella.

Aber Logan Kendrick war ein anderes Kaliber als der gutmütige und ein wenig beschränkte Roddy. Unter Kendricks spitzbübischem Charme lauerte etwas Finsteres, Gefährliches. Und obwohl er keinen seiner Angreifer zu töten versucht hatte, war sie sicher, dass er es, wenn nötig, getan hätte. Der Mann hatte erkennen lassen, dass er geistesgegenwärtig war, entschlossen und skrupellos.

Sie war an starke, wehrhafte Männer gewöhnt. Ihr Bruder und ihr Cousin jedenfalls passten in dieses Bild. Kendrick jedoch brachte sie auf eine Weise durcheinander wie noch nie ein Mann zuvor, auch wenn sie sich gerade erst kennengelernt hatten. Es war ein Gefühl, bei dem ihr mulmig wurde.

Außerdem hatte er eindeutig die Absicht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Was die Identität ihrer Angreifer anging, so hegte Donella einen Verdacht und betete gleichzeitig, dass sie sich irrte. Aber ob ihre Vermutung zutraf oder nicht, es handelte sich um eine Familienangelegenheit, und um ihres und des guten Rufs ihrer Familie willen war sie fest entschlossen, ihre Geheimnisse für sich zu behalten.

Mit ihrem Eintritt ins Kloster waren eine ganze Reihe hässlicher Skandale unter den Teppich gekehrt worden. Nun, da die Welt sie zurückhatte, würde sie tun, was immer notwendig war, damit niemand von schändlichen Ereignissen erfuhr.

Der Kutschenschlag wurde geöffnet, und Donella blinzelte in das flackernde Licht der Fackeln, die den Hof des Gasthauses erhellten.

Kendrick erschien im Türrahmen. „Sie können herauskommen. Ich habe mich umgesehen. Es ist so still wie in einem Grab.“

Sie ergriff seine ausgestreckte Hand und stieg aus. „Eine etwas unglückliche Wortwahl angesichts der Umstände.“

Er ließ ein sarkastisches Lächeln aufblitzen. „Nein, meine Liebe. Nicht solange ich da bin und Sie beschütze.“

Er überragte sie um Haupteslänge, ein kraftvoller Riese von einem Mann. Die Tatsache, dass er mit seiner Einschätzung wahrscheinlich richtiglag, ärgerte sie.

„Sind Sie immer so selbstsicher? Es ist lästig.“

Sie sprach mit scharfer Stimme, mehr ihret- als seinetwegen. Denn weil sie sich selbst gegenüber ehrlich zu sein pflegte, musste sie sich eingestehen, dass sie ihn attraktiv fand. Was völlig unsinnig war, zumal, da sie gerade aus einem Kloster kam. Ganz zu schweigen davon, welche Sorte Mann er war. Eigentlich hätte sie nicht einmal auf diese Art an ihn denken sollen.

In seinen Augen funkelte es mutwillig. „Ich gebe mir Mühe, nicht zu lügen, Miss Haddon. Als Beinahe-Nonne sollten Sie meine Ehrlichkeit zu würdigen wissen.“

„Ich bin keine … ach, schon gut.“

Kendrick machte sich eindeutig lustig über sie, aber sie hatte nicht die Absicht, auf seine Sticheleien zu reagieren.

„Können wir bitte hineingehen?“ Sie fröstelte. „Mir ist ziemlich kalt.“

„Sobald … ah, da ist Davey ja.“ Logan sah dem vorbeieilenden Pferdeknecht hinterher, dann wandte er sich wieder zu ihr um. „Ich hatte ihn gebeten, unser Quartier noch einmal in Augenschein zu nehmen. Alles in Ordnung, Junge?“

„Aye, Sir. Die Wirtsfrau erwartet Miss Haddon, um sie auf ihr Zimmer zu bringen.“

Autor

Vanessa Kelly
Bereits auf der Universität konzentrierte Vanessa Kelly sich auf die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Ihren Job im öffentlichen Dienst gab sie auf, um hauptberuflich zu schreiben. Inzwischen sind ihre Romane, die meist zur Zeit des Regency spielen, regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten zu finden und wurden bisher in neun...
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