Dr. Wallace vor den Altar, bitte!

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Averys Neujahrsüberraschung? Eine ungewollte Schwangerschaft! Hätte sie sich nur nie auf den Krankenhaus-Romeo Dr. Justin Garrett eingelassen. Ehe und Familie gehören schließlich nicht zu ihrem Lebensplan. Aber Justin bleibt hartnäckig! Ist er doch der Richtige für Avery?


  • Erscheinungstag 13.01.2020
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729332
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nach sechs Jahren am Mercy Hospital wusste Dr. Justin Garrett, dass es am Freitagabend in der Notaufnahme hektisch und chaotisch zuging.

Silvester war es noch schlimmer.

Und wenn Silvester auf einen Freitag fiel … Nun, es war noch nicht einmal Mitternacht, und schon waren mehr als doppelt so viele Patienten in die Notaufnahme gekommen wie üblich, die meisten davon mit Verletzungen, die mit Alkoholkonsum zu tun hatten.

Ein betrunkener Collegestudent, der so hart mit der Faust gegen eine Wand geschlagen hatte, dass sein vierter und fünfter Mittelhandknochen gebrochen waren. Ein dreiundsechzigjähriger Mann, der seine Viagra-Dosis verdoppelt hatte, um Silvester mit seiner sechsunddreißigjährigen Freundin zu feiern und sich stattdessen einen Herzstillstand eingehandelt hatte. Ein siebzehnjähriges Mädchen, das vom Balkon gefallen war, weil das Ecstasy, das ihr Freund in den Drink geschüttet hatte, sie dazu gebracht hatte, die schönen Blumen auf der Terrasse der Nachbarn pflücken zu wollen. Gott sei Dank wohnte sie im zweiten Stockwerk. Trotzdem hatte sie sich das Schlüsselbein gebrochen, und die klaffende Wunde an ihrem Arm musste mit achtunddreißig Stichen genäht werden.

Und das waren nur die, die er sich in der vergangenen Stunde angesehen hatte. Und dann war da noch Nancy Anderson, eine Frau, die behauptete, sie sei ausgerutscht und in eine Tür gefallen. Er kannte sie. Sie kam regelmäßig mit Prellungen und Quetschungen in die Notaufnahme. Heute Nacht hatte sie ein blaues Auge, einen geschwollenen Kiefer und ein gebrochenes Handgelenk. Nancy war nicht betrunken, aber Justin hätte darauf gewettet, dass ihr Mann es war. Nicht wegen Silvester, sondern weil Ray Anderson – sobald er von der Arbeit nach Hause kam – immer zur Flasche griff.

Mehr als einmal hatte Justin versucht, ihr zu helfen, indem er ihr erklärt hatte, es gebe noch andere Möglichkeiten. Sie weigerte sich, ihm zuzuhören. Weil er begriff, dass eine Frau, deren Mann sie misshandelte, sich nicht gern einem anderen Mann anvertraute, hatte er eine Ärztin geholt. Doch das Resultat war dasselbe gewesen. Nach Thanksgiving – Nancy hatte, nachdem sie „die Treppe hinuntergefallen“ war, eine Fehlgeburt erlitten – hatte Dr. Wallace vorgeschlagen, mit einem Rechtsanwalt zu reden. Nancy Anderson behauptete aber weiter, sie sei ungeschickt, ihr Ehemann liebe sie und würde ihr nie etwas tun.

„Was soll dieses Mal passiert sein?“, fragte Callie Levine, eine seiner Lieblingsschwestern.

„In eine Tür gelaufen.“

Callie schüttelte den Kopf. „Irgendwann wird er sie umbringen.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Justin ihr zu.

„Als sie das Baby verloren hat, habe ich wirklich geglaubt, es sei so weit. Dass ihr Kummer größer sei als ihre Angst und sie endlich die Wahrheit sagen würde.“

„Sie ist die Treppe hinuntergefallen“, sagte Justin, um Callie an die Erklärung zu erinnern, die ihnen Nancy damals gegeben hatte.

Dann öffnete er eine andere Akte. „Hast du die Psychiatrie angerufen, damit sie jemand runterschicken?“

„Victoria Danes hat gesagt, sie komme gleich“, sagte Callie.

„Ich will, dass sie mit Tanner Northrop redet.“

„Ist das der Junge in Untersuchungszimmer zwei bei Dr. Wallace?“

„Ist Dr. Wallace noch drinnen?“ Er war Avery Wallace am frühen Abend im Aufenthaltsraum der Ärzte über den Weg gelaufen. Er hatte dringend Koffein gebraucht, und sie war in einem eng an liegenden schwarzen Kleid und High Heels hereingeschlendert. Ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen.

Sie hatte nicht mal in seine Richtung gesehen, als sie in die Umkleide der Frauen gegangen und einige Minuten später in einem abgetragenen OP-Kittel und Laufschuhen wieder herausgekommen war. Es spielte keine Rolle, dass die vertraute Kleidung ihre weiblichen Kurven verbarg; Justins Körper war sich ihrer Anwesenheit immer bewusst.

Sie war vor dreieinhalb Jahren nach Charisma gezogen, um am Mercy Hospital zu arbeiten. Seitdem hatte er sie recht gut kennengelernt, beruflich jedenfalls. Privat gab es nur dieses Knistern in der Luft, wenn sie sich begegneten.

Auch wenn sie heute Abend keinen Dienst hatte, hatte sie ihm heute Abend bei einer Operation assistiert. Er hatte angenommen, sie sei danach nach Hause gegangen. Offenbar hatte er sich geirrt.

Als Antwort auf seine Frage nickte Callie. „Sie bringt dem Kleinen ‚Go Fish‘ bei.“

Er lächelte, froh darüber, dass Tanner abgelenkt war. Der Achtjährige hatte den Notruf gewählt, nachdem seine Mutter sich einen größeren Schuss Heroin gegönnt hatte und nicht mehr aufgewacht war. Sie war noch immer nicht zu sich gekommen, und Tanner schien nicht zu wissen, ob er andere Verwandte hatte.

„Schick Victoria zu ihm, wenn sie kommt“, sagte er. „Ich sehe mal nach, wie es Mrs. Anderson geht.“

„Viel Glück dabei!“

Natürlich war es Pech, dass er die Tür zu Untersuchungsraum vier in dem Moment betrat, als die Psychologin kam.

„Was macht sie hier?“, wollte Nancy Anderson wissen.

„Sie ist nicht Ihretwegen hier“, versicherte Justin. Dann wandte er sich an Victoria: „Untersuchungsraum zwei.“

„Danke.“ Die Psychologin ging; die Patientin legte das Kühlpad auf ihren Kiefer zurück.

„Wollen Sie heute noch nach Hause zurück?“, fragte Justin sie.

„Natürlich.“

„Soll jemand ein Taxi für Sie rufen?“

Nancy schüttelte den Kopf. „Ray wartet draußen auf mich.“

Er füllte ein Rezept aus und gab es ihr. „Schmerzmittel für das Handgelenk.“

„Danke.“

Er hätte noch mehr sagen können, aber er nickte bloß und verließ das Zimmer.

„Kann ich davon ausgehen, dass es bald ruhiger wird?“, fragte die hübsche Brünette, als er in die Schwesternstation zurückkam. Sie arbeitete erst seit ein paar Monaten am Mercy, und er musste aufs Whiteboard schauen, um sich an ihren Namen zu erinnern: Heather.

„Eher nicht“, riet ihr Justin.

„Was ist mit dem Kerl in Untersuchungsraum drei los?“, fragte Heather. „Können wir das Zimmer bald wieder benutzen?“

Er schüttelte den Kopf. „Sehr wahrscheinlich eine Alkoholvergiftung. Ich warte auf seine Werte.“ In der Zwischenzeit hing der Patient an einem Tropf mit Kochsalzlösung.

„Wo wir schon von Alkohol sprechen“, sagte Heather. „Bei mir zu Hause liegt eine Flasche Champagner im Kühlschrank, um auf das neue Jahr anzustoßen, sobald ich hier fertig bin.“

„Sie wollen eine ganze Flasche Champagner allein austrinken?“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem verführerischen Lächeln. „Außer, wir teilen sie uns.“

Was von ihm als unschuldige Frage gemeint gewesen war, hatte sich für sie wohl so angehört, als sei er auf eine Einladung aus. Doch er war mit den Gedanken bei Nancy Anderson und Tanner Northrop gewesen.

„Ich habe das restliche Wochenende frei, und meine Mitbewohnerin ist in Florida“, fuhr Heather fort.

„Sie Glückliche!“, stellte er fest.

Sie berührte seinen Arm. „Wir könnten gemeinsam glücklich sein.“

Er trat einen Schritt vom Tresen zurück, sodass ihre Hand abrutschte, und beendete seine Aufzeichnungen, bevor er ihr die Patientenakte gab. „Tut mir leid“, sagte er, ohne es wirklich zu meinen. „Ich habe am Wochenende schon etwas vor.“

„Was ist mit heute?“, drängte sie. „Sie werden doch sicher nach Ende der Schicht um zwei Uhr nirgendwo erwartet?“

„Nein“, räumte er ein. „Aber es war ein langer Abend, und ich möchte nur nach Hause und ins Bett. Allein.“

Die Hoffnung verschwand aus ihrem Gesicht. „Callie sagt, Sie stehen auf Blondinen.“

Es überraschte ihn nicht, dass über ihn gesprochen wurde. Er wusste, die Schwestern tratschten oft über die Ärzte. Er wusste auch, dass sich einige der Schwestern weniger für die Patienten als für eine Ehe interessierten. Doch die Tatsache, dass sich Callie auf eine solche Unterhaltung eingelassen hatte, überraschte ihn. Innerlich notierte er sich, mit ihr zu reden. Wenn er schon den Klatsch nicht stoppen konnte, konnte er wenigstens um Diskretion bitten.

„Meine Antwort hat nichts mit Ihrer Haarfarbe zu tun“, versicherte er Heather. „Ich habe heute einfach keine Lust, mit jemandem zu feiern.“

Sie machte einen Schmollmund, wandte ihre Aufmerksamkeit aber wieder ihrer Arbeit zu.

Als er die Schwesternstation verließ, kam ein Anruf herein. Es hatte einen Verkehrsunfall gegeben, und die Sanitäter fragten nach, ob sie mehrere Verletzte in die Notaufnahme des Mercy bringen konnten. Justin vergaß den Klatsch und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge.

Avery Wallace rollte mit den Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Sie war Gynäkologin und kein Notarzt. Und so oder so hatte sie heute Abend keinen Dienst. Aber auf dem Weg zu einer Party bei Freunden hatte sie einen Anruf erhalten, dass eine ihrer Patientinnen in den Wehen lag und zum Mercy unterwegs war. Sie wusste, dass der diensthabende Arzt sich um die Geburt kümmern würde, doch die werdende Mutter – die Frau eines Soldaten, der außer Landes war – war allein und schrecklich aufgeregt wegen der Geburt ihres ersten Kindes.

Avery hatte nicht gezögert, den Abstecher ins Krankenhaus zu machen. Nachdem sie Amy Seabrock – ihre Freundin und Kollegin, die sie eingeladen hatte – eine SMS geschrieben hatte, hatte sie ihr Kleid gegen Kittel und Laufschuhe getauscht. Nachdem Michelle ihr Baby bekommen hatte, machte sich Avery mit dem vagen Gedanken, ihre Pläne für den Abend irgendwie doch noch zu retten, auf den Weg zur Umkleide. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie erwischt wurde. Sie sollte Dr. Romeo, alias Justin Garrett, bei einer Thorakotomie in der Notaufnahme assistieren.

Auch wenn sie sein offenes Geflirte mit den weiblichen Angestellten nicht mochte, konnte sie weder seine außerordentlichen Fähigkeiten als Arzt leugnen, noch dass sich ihr Herzschlag beschleunigte, wenn Justin in der Nähe war. Er war über einen Meter neunzig groß, schlank, aber kräftig gebaut, hatte kurze, dunkelblonde Haare und tiefgrüne Augen. Aber nicht nur seine äußere Erscheinung zog die Frauen an. Er war charmant und selbstsicher und nicht nur Arzt, sondern dazu ein Garrett. In Charisma, North Carolina, hatte dieser Name einen besonderen Klang: Garrett Furniture war mehr als fünfzig Jahre lang einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt gewesen.

Nach mehr als drei Jahren hätte sie an seine Gegenwart gewöhnt sein sollen. In Wahrheit war es umgekehrt: Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto attraktiver fand sie ihn. Sie respektierte seine Fähigkeit, in Krisensituationen die Übersicht zu behalten, ebenso wie das Mitgefühl, das er seinen Patienten gegenüber zeigte. Das Ergebnis war, dass sie sich heftig in ihn verknallt hatte. Allerdings hatte sie nicht vor, es Dr. Romeo wissen zu lassen.

Als der Patient wiederbelebt und in den Behandlungsraum gefahren worden war, bedankte der Doktor sich bei Avery für ihre Unterstützung. Auch das gefiel ihr an ihm: Er mochte der Chef der Notaufnahme sein, doch er übersah nie, was andere zur Arbeit dort beitrugen.

Sie hatte nach der Operation kaum Kittel und Handschuhe ausgezogen, als sie in die Chirurgie gerufen wurde, um Dr. Bristol bei einer Oberschenkelfraktur zu helfen. Auf dem Weg dorthin kam sie wieder durch die Notaufnahme, wo sie Dr. Garrett vor einem kleinen Jungen hocken und mit ihm reden sah. Das Gesicht des Kindes war schmutzig und tränennass, doch es war sein trauriger Blick, der sie dazu brachte, ins Untersuchungszimmer zu schlüpfen, nachdem der Notarzt gegangen war. Sie redete und spielte ‚Go Fish‘ mit ihm, bis Victoria Danes kam. Danach machte sie sich auf den Weg zur Umkleide. Und rannte direkt in die Person hinein, der sie normalerweise aus dem Weg ging.

„Gut, Sie sind noch da.“

Ihr Herz klopfte, als sie zu Justin hochsah, doch ihr Tonfall blieb sachlich und beiläufig. „Noch, ich bin gerade auf dem Weg nach Hause.“

„Zwei Krankenwagen sind auf dem Weg von einem Verkehrsunfall, einer hat eine werdende Mutter dabei.“

„Dr. Terrence kann das machen.“

„Kann er, aber Callie hat mich darum gebeten, Sie zu suchen.“

„Warum?“, wunderte sie sich.

„Die Schwangere ist ihre Schwester.“

Dem Bericht der Sanitäter zufolge hatte ein Pick-up das Taxi, in dem Callies Schwester und ihr Mann gesessen hatten, seitlich gerammt.

Als Avery den OP betrat, informierte man sie sofort über den aktuellen Zustand der Patientin. „Camryn Ritter, einunddreißig Jahre alt, in der achtunddreißigsten Woche schwanger. Schwache Blutungen, druckempfindlicher Bauch.“ Dazu kamen Daten über Blutdruck und den Zustand des Kindes.

Diese Zahlen legten – zusammen mit ihren eigenen Untersuchungen – die Diagnose einer Plazentalösung nahe, mit Verdacht auf einen verlangsamten Herzschlag des Kindes. Das bedeutete, es war für das Wohl von Mutter und Kind das Beste, die Geburt einzuleiten. Zum Glück hatte Dr. Terrence den Anästhesisten bereits angewiesen, der Patientin eine lokale Betäubung zu geben. Avery konnte sofort mit der Operation beginnen.

„Wo ist Brad?“, fragte die Patientin besorgt.

Avery sah Callie an, die ihrer Schwester die Hand hielt. Normalerweise hätte sie die Kollegin wegen ihrer persönlichen Beziehung zur Patientin aus dem OP geschickt. Doch da der Ehemann nicht da war, zählte sie darauf, dass Callie die werdende Mutter würde beruhigen können.

„Brad ist ihr Mann, mein Schwager“, erklärte Callie. Dann sagte sie zu ihrer Schwester: „Er ist im Taxi ein bisschen hin und her geworfen worden. Dr. Garrett untersucht ihn gerade und macht ein paar Tests.“

„Er hat geblutet“, sagte Camryn. „Da war so viel Blut.“

„Kopfwunden bluten stark“, bestätigte Callie.

Ihre Schwester lächelte schwach. „Also ist er okay?“

„Er wird bald wieder okay sein“, versprach Callie. „Dr. Garrett ist einer der besten Ärzte hier, Dr. Wallace auch.“

„Brad wollte bei der Geburt des Babys dabei sein.“

„Ich bin sicher, keiner von euch beiden hat erwartet, dass euer Kind heute Nacht und unter diesen Umständen zur Welt kommt.“

Der Anästhesist stand am Kopf des Bettes und beobachtete die Werte der Mutter. Er nickte Avery zu, und sie zog das Skalpell über den geschwollenen Bauch von Camryn.

Ein geplanter Kaiserschnitt dauerte, vom ersten Schnitt bis das Baby herausgehoben wurde, normalerweise fünf bis zehn Minuten. In einer Notsituation wie dieser konnte ein erfahrener Arzt die OP in rund zwei Minuten ausführen.

Dr. Terrence, der ihr assistierte, hielt das Operationsfeld sauber und den Schnitt offen, während Avery arbeitete. Die zwei Minuten waren fast vorbei, als sie in den Uterus griff. Eine klare Flüssigkeit ergoss sich über ihre Handschuhe, als sie den kleinen Schädel umfasste und erst den Kopf und dann die Schultern aus der Öffnung führte.

Als sie das Baby aus dem Bauch der Mutter hob, zitterten ihre Hände nicht. Ihre Hände zitterten nie, wenn sie unter den heißen Lampen eines OP- oder Entbindungszimmers stand. Sie ließ keinerlei Gefühle zu, während sie sich auf ihre Aufgabe konzentrierte. Ihre unerschütterliche Haltung, das wusste sie, war einer der Gründe, warum die Belegschaft sie „Eiswall“ nannte.

Die Hautfarbe des Babys war gut, und nachdem Avery seinen Mund mit Gaze abgewischt und die kleinen Nasenflügel vorsichtig zusammengedrückt hatte, wurde sie mit einem leisen Schrei belohnt.

„Ist das …“ Camryns Stimme brach. „Ist das mein Baby?“

„Das ist Ihr Baby“, versicherte Avery.

„Es ist ein Junge“, erzählte Callie ihrer Schwester. „Du hast einen wunderschönen gesunden Jungen bekommen.“

„Ich will ihn sehen“, sagte die frischgebackene Mutter.

„Das wirst du. Dauert nur noch einen Moment.“

„Sieben Pfund, einhundertvierzig Gramm, achtundvierzig Zentimeter“, verkündete eine andere Schwester aus der Ecke des OPs, nachdem das Baby gemessen, gewogen und gewickelt worden war.

Während sich Callie und ihre Schwester leise unterhielten, fuhr Avery mit ihrer Arbeit fort und vernähte alle Schichten des Hautgewebes. Während sie sich auf ihre Aufgabe konzentrierte, dachte sie an das ehrfürchtige Staunen in Camryns Gesicht, als sie ihr Baby zum ersten Mal gesehen hatte. Avery hatte das schon unzählige Male gesehen, doch es rührte sie jedes Mal aufs Neue.

Eine halbe Stunde später, als sie Mutter und Baby sich selbst überlassen hatte, lief sie in der Halle wieder Dr. Garrett über den Weg.

„Wie geht es dem Vater?“, fragte sie.

„Außer zwei gebrochenen Rippen, einem punktierten Lungenflügel, einer leichten Gehirnerschütterung und einer Platzwunde am Kopf, die mit zweiundzwanzig Stichen genäht werden musste, geht es ihm gut.“

„Zweiundzwanzig Stiche? Ich habe mehr als das Doppelte gebraucht und ein Baby geholt.“

„Ganz schön konkurrenzbewusst, wie?“ Trotz seines neckenden Tonfalls lächelte er nur schwach.

„Vielleicht ein wenig“, gab sie zu.

„Junge oder Mädchen?“

„Junge.“

Er schlang freundschaftlich einen Arm um ihre Schultern, während sie die Halle entlanggingen. „Gute Arbeit, Wallace.“

„Ebenso, Garrett.“

Ein paar Minuten gingen sie schweigend so. Dann erwischte Avery ihn, wie er ein Gähnen unterdrückte. „Ich nehme an, es war eine lange Nacht für Sie.“

„Es ist Silvester.“

„War“, korrigierte sie ihn.

Er rieb sich das Kinn. „Was?“

„Mitternacht ist vorbei.“ Später fragte sie sich, was sie dazu gebracht hatte, Vorsicht und gesunden Menschenverstand in den Wind zu schießen. Aber in diesem Augenblick schien es völlig normal, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihn auf die Wange zu küssen. „Frohes neues Jahr!“

Ihr fiel auf, dass ihn ihr impulsives Verhalten ebenso verblüffte wie sie selbst. Aber als er sie anschaute, sah sie nicht nur Überraschung in seinem Blick. Sondern auch etwas, das ihr Herz lauter und schneller schlagen ließ, etwas, das ein heftiges Verlangen in ihr freisetzte. Etwas, das sie warnte, dass sie den ersten Schritt auf einen gefährlichen Weg getan hatte.

Er machte den zweiten Schritt, öffnete die nächste Tür, sie führte zu einer Kammer mit Reinigungsmitteln, und zog Avery hinein. Sie wehrte sich nicht. „Frohes neues Jahr!“, wiederholte er und drückte seine Lippen auf ihren Mund.

2. KAPITEL

Sein Kuss war heiß, hungrig und fordernd. Sie erwiderte ihn ebenso heiß und hungrig. Wäre sie in der Lage gewesen, klar zu denken – wenn sie überhaupt hätte denken können –, hätte sie sich ihm vielleicht entzogen. Aber in dem Augenblick, in dem sein Mund ihre Lippen berührte, verschwanden alle rationalen Gedanken. Tatsächlich schien ihr gesamtes Gehirn abgeschaltet zu sein und den Hormonen, die durch ihre Adern flossen, die Führung überlassen zu haben.

Und sie führten sie an einen sehr schönen Ort. Einen Ort, wo Justins Hände überall waren, sie berührten und mit ihr spielten, ihr Lust bereiteten und sie dazu brachten, immer mehr zu wollen.

Er löste seine Lippen von ihren. „Ich mag die funkelnden Dinger in Ihrem Haar, Wallace.“

„Was?“ Sie runzelte die Stirn, als sie nach oben griff. Sie war verblüfft, dass ihr Haar – statt wie üblich zum Pferdeschwanz gebunden zu sein – zu einem schicken Knoten hochgesteckt war. Seit sie das Haus verlassen hatte, war so viel passiert. Sie hatte die Party fast vergessen und mit ihr die dekorativen Haarnadeln, die sie für diese Gelegenheit in ihre Frisur gesteckt hatte. „Oh!“

„Sie sind ausgegangen, um das neue Jahr zu feiern“, riet Justin.

„So weit bin ich gar nicht gekommen“, sagte sie.

„Ich bin sicher, Ihr Begleiter war enttäuscht.“

„Es war kein Rendezvous“, sagte sie. „Nicht so richtig.“

„Gut.“ Er ließ seine Hände ihren Rücken emporgleiten, zog sie enger an sich, senkte den Kopf und knabberte spielerisch an ihrer Unterlippe.

Das hier war gefährlich. Er hatte sie noch kaum berührt, und schon schmolz sie dahin. Er war nicht ihr Typ. Überhaupt nicht. Er war ein Spieler und ein Arzt und überhaupt alles, was sie sich nicht von einem Mann wünschte.

Aber jetzt interessierte sie das alles nicht. Jetzt wollte sie ihn.

„Es tut mir leid, dass aus Ihren Plänen nichts geworden ist“, sagte er.

„Im Grunde war es Amys Idee. Ich war irgendwie erleichtert, einem weiteren Blind Date entgehen zu können.“

„Dann hatten Sie also nicht vor, das neue Jahr mit wildem, verschwitztem Sex einzuläuten?“

„Der Gedanke ist mir nie gekommen.“ Seine Hände streiften ihre Brüste und ließen ihren Atem stoßweise kommen. „Bis jetzt.“

„Wirklich?“ Er lächelte. „Sie denken jetzt daran?“

Sie schob ihre Hände unter das Oberteil seines Kittels und über die weiche, straffe Haut seines Unterleibs. „Ja, jetzt denke ich darüber nach.“

„Wenn Sie sich merken könnten, wo wir stehen geblieben sind. In einigen Stunden ist meine Schicht vorbei.“

Sie fuhr mit den Zähnen leicht über sein Kinn. „In einigen Stunden könnte ich meine Meinung geändert haben.“

„Ich möchte ganz bestimmt nicht, dass Sie Ihre Meinung ändern.“ Er zog ihr das Oberteil ihrer OP-Kleidung über den Kopf und hob die Brauen, als er den rosafarbenen Spitzen-BH sah. „Sind Sie sicher, dass Sie den nicht wegen Ihres Dates angezogen haben?“

„Vergessen Sie mein Date“, schlug sie vor. „Und konzentrieren Sie sich auf mich.“

„Ich bin konzentriert“, versprach er und strich mit den Daumen über ihre steifen Brustwarzen unter dem zarten Stoff. „Sehr konzentriert.“

Ihr Kopf sank gegen die Tür. Ihr Körper stand in Flammen. Sie brannte vor Begehren, vor Verlangen. Verzehrendem Verlangen. Sie war so angespannt, dass sie beinahe vibrierte.

Dann ließ er den Kopf sinken, suchte ihre Brust mit dem Mund und saugte daran. Sie schob die Hände in sein Haar und drückte ihn fester an sich. Sein Mund bewegte sich zu ihrer anderen Brust, während seine Hand in ihrer Hose nach unten glitt und seine Fingerspitzen über die empfindliche Perle zwischen ihren Beinen glitten. Die leichte Berührung ließ sie keuchen und zittern. Er drang zwischen sie und erkundete ihre weiche, warme Öffnung. Er ächzte erfreut, als er herausfand, dass sie schon feucht war.

„Du machst etwas mit mir, Wallace“, gab er zu.

„Dann mach etwas mit mir“, entgegnete sie, griff in seine Hose, schlang die Finger um sein Glied und ließ ihn erneut aufstöhnen. „Mach es mir.“

„Das werde ich“, versprach er.

Aber fürs Erste fuhr er fort, sie zu berühren und zu erregen. Sie biss sich auf die Lippen, um es nicht laut herauszuschreien. Die Handflächen hatte sie flach gegen die Tür gestemmt, um sich aufrecht zu halten, während ihre Knie und ihr Körper zitterten.

Sie keuchte und schnappte nach Luft, sie stand kurz davor, zu seinen Füßen zu einer Pfütze zusammenzuschmelzen, als er ihr das Höschen bis zu den Knöcheln herunterzog und dann seine eigene Hose und die Boxershorts aus dem Weg schaffte. Schließlich bedeckte er ihren Mund mit Küssen und drang in sie ein, küsste sie fest und leidenschaftlich, während er ihren Körper auf dieselbe Weise nahm.

Sie war bereit für ihn. Mehr als bereit. Aber es war lange her, und sie hatte schon fast vergessen, wie gut es sich anfühlte. Wie herrlich und unglaublich gut.

Autor

Brenda Harlen
Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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