Immer diese Garretts! - Das Flirten liegt ihnen im Blut (12-teilige Serie)

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Den Garretts liegt das Flirten im Blut!

In ihrer mitreißenden Art erzählt die erfolgreiche und sehr beliebte Autorin Brenda Harlen berührende Liebesgeschichten aus der charmanten Familie Garrett.

TRAUMMANN SUCHT FAMILIENGLÜCK (Band 1)

Beim Blick in Matts blaue Augen schlägt das Herz von Singlemom Georgia sofort schneller. Ihr neuer Nachbar scheint ein absoluter Traummann zu sein; seinen zärtlichen Küssen kann sie nicht widerstehen. Bis sie fürchten muss, dass er sie aus purer Berechnung so liebevoll umwirbt …

VERLIEBT IN EINEN PLAYBOY-DADDY (Band 2)

Womanizer Jackson glaubt, dass sie wieder seinem Charme verfällt!? Pah, da irrt er sich aber gewaltig! Denn Kelly ist nur in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, damit er endlich seine Tochter kennenlernt. Doch plötzlich zeigt sich der Playboy-Daddy von einer ganz neuen Seite …

Diese zwei Romane sowie zehn weitere erwarten Sie in diesem 12-teiligen eBundle:

  • Traummann sucht Familienglück
  • Verliebt in einen Playboy-Daddy
  • Retten Sie mein Herz, Dr. Lukas!
  • Weiße Rosen zum Valentinstag
  • Der Kuss meines besten Freundes
  • Affäre gesucht - Daddy geworden
  • Schlaflos vor lauter Glück
  • Weil du unwiderstehlich bist
  • Dr. Wallace vor den Altar, bitte!
  • Du bist mein Hauptgewinn
  • Neuanfang auf der Schmetterlingsfarm
  • Schon immer wollte ich nur dich

  • Erscheinungstag 20.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729950
  • Seitenanzahl 1560
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Brenda Harlen

Immer diese Garretts! - Das Flirten liegt ihnen im Blut (12-teilige Serie)

IMPRESSUM

Traummann sucht Familienglück erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2013 by Brenda Harlen
Originaltitel: „From Neighbors…to Newlyweds?“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 55 - 2018 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Rainer Nolden

Umschlagsmotive: Getty Images / Carther

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733728199

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Endlich herrschte wohltuende Ruhe im Haus.

Mit einem Seufzer der Erleichterung setzte Georgia Reed sich an den alten Esstisch. Hoffentlich blieb es mindestens eine Stunde lang so still. Dann würde sie mit der Arbeit an dem Manuskript ein gutes Stück vorankommen. Obwohl ihr der Gedanke an einen Mittagsschlaf im Moment viel verlockender erschien als das Buch, das sie gerade bearbeitete.

Eigentlich war sie in Mutterschaftsurlaub. Aber sie hatte sich bereit erklärt, auf Stundenbasis weiter für „Tandem Publishing“ zu arbeiten, nachdem der Cheflektor sie darum gebeten hatte. Außerdem war es ein willkommener Nebenverdienst. Leider war Georgia nicht halb so produktiv, wie sie gehofft hatte. Das lag nicht zuletzt daran, dass sie ihre Kinder erst vor sechs Wochen aus der gewohnten Umgebung gerissen hatte und nach Pinehurst gezogen war.

Sie nahm einen Schluck von dem Kräutertee, den sie schon zum dritten Mal aufgewärmt hatte, und überflog das vorhergehende Kapitel, um ihre Erinnerung aufzufrischen. Doch gerade als sie sich auf die Geschichte zu konzentrieren begann, realisierte sie, dass es zu ruhig war.

Sofort waren ihre mütterlichen Instinkte geweckt. Sie schob den Stuhl zurück und lief durch den Flur ins Wohnzimmer, wo sie Quinn und Shane, beide vier Jahre alt, mit Bauklötzen allein zurückgelassen hatte. Der Teppich war übersät mit bunten Steinen – aber ihre beiden Jungen waren verschwunden. Die Terrassentür stand weit offen.

Sie war geschlossen gewesen, als sie die Kinder ins Wohnzimmer verfrachtet hatte – sogar verschlossen. Aber das Schloss funktionierte nicht mehr richtig, und manchmal konnte man es mit einer einfachen Bewegung des Türgriffs überlisten. Georgia hatte ihre Mutter gebeten, es reparieren zu lassen, doch Charlotte hatte es vermutlich vergessen.

Und jetzt waren ihre Kinder verschwunden.

Sie eilte zurück ins Wohnzimmer, um das Babyfon zu holen, ehe sie durch die Hintertür hinauseilte.

„Quinn! Shane!“ Sie lief über die Veranda und fluchte leise, als sie auf einen Bauklotz trat. Sie konnten nicht weit weg sein. Sie hatte sie doch erst vor ein paar Minuten allein gelassen. Wenn nun etwas passiert war …?

Nein. Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.

„Quinn! Shane!“

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. Als sie sich rasch umdrehte, sank ihr das Herz, denn anstatt der vertrauten Gesichter ihrer Jungen sah sie einen Mann mit Dreitagebart auf dem Gras stehen.

„Suchen Sie zwei kleine Jungs, die etwa so groß sind?“ Er hielt die Hand knapp einen Meter über dem Boden.

„Haben Sie gesehen, wohin sie gelaufen sind?“, fragte sie halb verzweifelt, halb hoffnungsvoll.

„Sie sind in meinen Garten gekommen.“ Er deutete auf das Nachbargrundstück.

Georgia schloss die Augen, damit er nicht sah, dass sie den Tränen nahe war. „Oh Gott, vielen Dank.“

„Eigentlich heiße ich ja Matt. Matt Garrett.“

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie in sein schmunzelndes Gesicht.

„Und den beiden geht’s gut“, versicherte er ihr.

„Bis ich sie mir vorknöpfe“, murmelte sie.

Sein Lächeln wurde noch breiter.

Nachdem der Anflug von Panik vorüber war und ihr Herz wieder normal schlug, nahm sie sich Zeit, ihren neuen Nachbarn genauer zu betrachten. Und was sie sah, ließ ihren Puls erneut schneller schlagen.

Matt Garrett hatte dichtes Haar, das auf attraktive Weise zerzaust war, als ob er es sich bloß mit den Fingern kämmte, eine leicht gebogene Nase und ein markantes, unrasiertes Kinn. Er war breitschultrig, schlank und muskulös. Und beim Blick in seine blauen Augen fühlte sie ein Kribbeln auf der Haut, wie sie es schon seit Langem nicht mehr gespürt hatte.

„Einer der Welpen ist in Ihren Garten ausgebüxt. Da konnten sie natürlich nicht widerstehen.“

„Welpen?“

„Kommen Sie und sehen Sie selbst.“

Sie befestigte das Babyfon an ihrem Gürtel und folgte ihm, wobei ihr Blick wohlwollend auf seinem breiten Rücken ruhte.

Er war erst vor ein paar Tagen eingezogen. Sie hatte den Umzugswagen gesehen, als sie am Mittwochnachmittag die Post hereingeholt hatte. Da war ihr der große breitschultrige Mann zum ersten Mal aufgefallen, der den Möbelpackern Anweisungen gab. Er hatte ausgefranste Jeans und ein schlabbriges T-Shirt getragen, ihr grüßend zugewinkt und ein Lächeln geschenkt, das ihr Herz schneller schlagen ließ.

Sie hatte ebenfalls die Hand gehoben, ihm mit ihrer Post zugewinkt und war rot geworden, als ihr klar wurde, was sie da tat. War es der Sex-Entzug oder Schlafmangel? Glücklicherweise war er zu weit entfernt gewesen, um ihre Reaktion bemerkt zu haben. Aber der Typ musste wirklich Sex-Appeal haben, wenn er aus der Ferne eine solche Wirkung auf sie hatte.

Eine Wirkung, die in seiner Nähe noch größer wurde.

„Das sind Luke – und Jack.“ Er deutete auf zwei Männer, die auf seiner Veranda saßen. „Meine Brüder.“

Der Erstgenannte war sogar noch größer als ihr Nachbar, der bereits gut und gern eins fünfundachtzig maß. Er hatte das gleiche braune Haar und die gleichen blaugrünen Augen. Der zweite Bruder war genauso groß, aber er hatte noch kräftigere Schultern, und sein Haar war etwas dunkler. Und alle drei eine Sünde wert …

„Ich bin Georgia“, stellte sie sich vor. Beim Anblick ihrer Zwillinge schlug ihr Herz wieder langsamer. „Und diese Mini-Houdinis sind Quinn und Shane.“

„Was ist ein Houdini?“ Zum ersten Mal, seit Georgia das Nachbargrundstück betreten hatte, riss Quinn sich vom Anblick des mit einer Decke ausgestopften Wäschekorbs los.

„Ein kleiner Junge, der in ernsthaften Schwierigkeiten steckt, weil er das Haus ohne Mommy verlassen hat“, antwortete sie streng.

Schuldbewusst sah ihr Sohn sie an. „Wir wollten nur die kleinen Hunde anschauen.“

„Kleine Hunde“, echote Shane und sah sie mit diesem Lächeln an, bei dem ihr Herz sofort weich wurde, weil es sie an den Vater der Kleinen erinnerte.

Selbst neugierig geworden, trat sie ein paar Schritte näher. Dennoch musste sie den Kindern klarmachen, dass sie das Haus nicht so ohne Weiteres verlassen durften.

„Wenn ihr die kleinen Hunde sehen wollt, hättet ihr Mommy sagen müssen, dass ihr die Hunde sehen wollt“, erklärte sie.

„Aber du hast doch gesagt, wir sollen dich nicht bei der Arbeit stören“, erinnerte Quinn sie.

Genau das hatte sie ihnen tatsächlich eingeschärft.

„Ich habe euch aber auch gesagt, dass ihr nirgendwo hingehen sollt – nicht einmal in den Garten –, ohne mir Bescheid zu geben.“

Doch wie konnte sie böse sein, wenn ihr selbst das Herz schmolz beim Anblick der winzigen Wollknäuel, die in dem Korb herumtollten?

Erneut schaute sie ihren Nachbarn an. „Sie haben vier Welpen?“

„Nein.“ Energisch schüttelte Matt den Kopf. „Ich habe überhaupt keine Welpen. Sie gehören Luke.“

„Bis ich ein gutes Zuhause für sie finde“, ergänzte sein Bruder.

„Wie sind Sie denn daran gekommen?“, wollte sie wissen.

„Ich bin Tierarzt“, erklärte er. „Wenn jemand ein ausgesetztes Tier am Straßenrand findet, landet es in der Regel in meiner Praxis. In diesem Fall war das ausgesetzte Tier eine hochschwangere Beaglehündin, die zwei Tage später acht Welpen bekam.“

„Acht?“ Bei dem Gedanken zuckte sie innerlich zusammen. Als ob die Geburt von Zwillingen nicht schon hart genug gewesen wäre.

„Meine Sprechstundenhilfe kümmert sich um die anderen vier.“

„Sind sie nicht noch zu jung, um von ihrer Mutter getrennt zu werden?“, meinte sie stirnrunzelnd.

„Stimmt“, pflichtete er ihr bei.

Mehr sagte er nicht, aber es war genug, um zu verstehen, dass die Hündin die Geburt nicht überlebt hatte. Gut, dass er vor den Zwillingen nicht deutlicher geworden war.

„Ein schönes Hündchen“, sagte Shane und tätschelte einen winzigen Kopf.

„Können wir einen haben?“, fragte Quinn – der Zwilling, der nie lange um den heißen Brei redete.

Sie schüttelte den Kopf. Sie schlug ihren Kindern nur ungern etwas ab, aber manchmal musste sie Nein sagen. „Tut mir leid, Jungs. So ein kleiner Hund bedeutet auch Verantwortung, und die können wir im Moment nicht übernehmen.“

Sie leistete jedoch keinen Widerstand, als Matt einen der Welpen aus der Kiste nahm und ihr in die Hand drückte. Und sie konnte nicht anders, als den kleinen, weichen Körper dicht an sich zu drücken und zu streicheln. Als die winzige rosa Zunge über ihr Kinn fuhr, zerschmolz ihr geradezu das Herz.

„Er mag dich, Mom“, stellte Quinn fest.

„Sie“, korrigierte Matt ihn. „Das da ist ein Mädchen.“

Quinn rümpfte die Nase. „Wir wollen aber kein Hundemädchen.“

„Wir wollen überhaupt kein Hundebaby“, wiederholte Georgia mit fester Stimme.

„Oh doch, wir wollen ein Hundebaby“, beharrte Shane.

„Außer Dr. Luke sagt, dass sie noch nicht weg dürfen“, sagte Quinn. „Weil sie zu klein zum Fressen sind und mit der Flasche gefüttert werden müssen.“

Shane schmollte noch eine weitere Minute, aber die Erwähnung von Futter erinnerte ihn daran: „Ich habe Hunger.“

„Dann lass uns nach Hause gehen und Pizza backen“, schlug Georgia vor.

„Mit Pepperoni?“

„Mit ganz viel Pepperoni“, versprach sie.

Aber Quinn schüttelte den Kopf. „Wir wollen nicht nach Hause gehen. Wir möchten bei den Daddys bleiben.“

Georgias Wangen wurden heiß, während sie einen Mann nach dem anderen ansah.

Matts Lächeln verrutschte, Luke konzentrierte sich auf die Tiere, und Jack trat tatsächlich einen Schritt zurück.

„Sie sind in dem Alter, wo sie glauben, dass jeder erwachsene Mann ein Daddy ist“, erklärte sie rasch. „Vor allem, seit sie ihren eigenen Vater verloren haben.“

„Er ist nicht verloren, er ist tot“, sagte Quinn unverblümt.

Sofort füllten Shanes Augen sich mit Tränen, und seine Lippen zitterten. „Ich vermisse Daddy.“

Georgia legte den Arm um seine Schultern.

Matt zog die Augenbrauen hoch. „Sie sind Witwe?“

Sie nickte nur, weil sie plötzlich einen Kloß im Hals hatte. „Mein Mann ist vor elf Monaten gestorben.“ Irgendwie hatte sie sich mit seinem Tod abgefunden. Trotzdem vermisste sie ihn sehr. Es gab Momente, in denen sie geradezu überwältigt war von der Verantwortung, die sie als alleinerziehende Mutter zu tragen hatte. „Deshalb bin ich mit meiner Mutter hierhergezogen.“

„Charlotte ist Ihre Mutter?“

„Sie kennen sie?“

„Ich habe sie getroffen, als ich mir dieses Haus zum ersten Mal angesehen habe“, erklärte er. „Aber seit meinem Einzug habe ich sie nicht mehr gesehen.“

„Sie macht gerade Urlaub mit Freunden in Las Vegas. Wie jedes Jahr“, antwortete Georgia.

„Und lässt Sie mit zwei kleinen Jungs allein“, sagte er mitfühlend.

„Und einem Baby“, ergänzte sie. In diesem Moment erklang ein leises Maunzen aus dem Babyfon an ihrem Gürtel.

„Pippa wird wach.“ Quinn sprang auf. Seine kleine Schwester war für ihn dann doch attraktiver als der Wunsch, bei den „Daddys“ zu bleiben.

„Pippa“, echote Shane.

Fragend schaute Matt Georgia an. „Sie haben drei Kinder?“

Sie nickte. „Die Zwillinge sind vier Jahre alt, und meine Tochter vier Monate.“

Das erklärt die dunklen Ränder unter ihren hübschen Augen, überlegte Matt. Zwei Jungs im Kindergartenalter und ein Baby würden jede Mutter an den Rand der Erschöpfung treiben – vor allem, wenn sie keinen Mann zur Unterstützung hatte. Aber selbst in ihrem erschöpften Zustand war sie eine der attraktivsten Frauen, denen er je begegnet war.

Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, helle Haut, elegant geschwungene Lippen, eine niedliche Nase voller Sommersprossen und Augen von einem Blau, wie er es noch nie gesehen hatte. Sie trug eine ärmellose gelbe Bluse und verwaschene Jeans und hatte das honigblonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Irgendwie fühlte er sich sofort zu ihr hingezogen.

Und da er nur wenige Zentimeter von ihr entfernt stand, spürte er die Anziehungskraft umso stärker. Stärker als den Instinkt, der ihn davor warnte, sich mit einer Frau einzulassen, die drei Kinder hatte.

„Da haben Sie ja wirklich alle Hände voll zu tun“, meinte er.

„Jeder Tag ist eine Herausforderung“, bestätigte sie. An die Jungs gewandt, fuhr sie fort: „Kommt – wir müssen uns um eure Schwester kümmern.“

„Können wir mit Pippa herkommen und ihr die Hunde zeigen?“, fragte Quinn hoffnungsvoll.

Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr solltet euch lieber bei Mr. Garrett entschuldigen, dass ihr einfach auf sein Grundstück gelaufen seid …“

„Matt, bitte“, unterbrach er sie, weil es freundlicher als Mister und weniger distanziert als „Doktor“ klang. Außerdem wollte er von seiner netten Nachbarin unbedingt beim Vornamen genannt werden. „Und es macht überhaupt nichts, dass sie in meinen Garten gekommen sind. Im Gegenteil, es ist mir ein Vergnügen, euch alle kennengelernt zu haben.“

„Heißt das, dass wir wiederkommen dürfen?“, fragte Quinn.

„Jederzeit.“

„In spätestens zwei Wochen werden Sie einen Zaun bauen lassen“, warnte Georgia ihn.

Er schüttelte den Kopf. „Wenn ich das täte, könnten sie ja gar nicht herüberkommen, um im Baumhaus zu spielen.“

„Mommy sagt, wir dürfen nicht in das Baumhaus gehen“, sagte Quinn. „Weil es nicht uns gehört.“

„Aber ein Baumhaus ist für kleine Jungs gemacht, und da ich selbst keinen kleinen Jungen habe …“ Matt ignorierte den Stich in seinem Herzen und sprach betont beiläufig weiter, „… wäre es doch gut, wenn es hin und wieder mal benutzt würde, damit es sich nicht einsam fühlt.“

„Wir könnten es besuchen“, trompetete Quinn sofort, und Shane nickte enthusiastisch, während Georgia die Augen verdrehte.

„Das ist eine tolle Idee – vorausgesetzt, eure Mom ist damit einverstanden“, sagte Matt.

„Dürfen wir, Mommy?“

„Och, bitte, bitte!“

Matt hielt den Atem an, weil er genauso auf ihre Antwort gespannt war wie die Zwillinge. Warum eigentlich? Er kannte diese Frau doch kaum. Doch er wusste, dass er sie gern näher kennenlernen würde, und er wusste auch, dass ihm die Kinder nichts ausmachen würden. Im Gegenteil …

„Darüber können wir ein anderes Mal reden“, entgegnete Georgia.

Quinn seufzte. „Das sagt sie immer, wenn sie Nein meint.“

„Nein, es heißt, dass wir ein anderes Mal darüber reden können“, wiederholte sie mit fester Stimme.

„Ich habe Hunger“, wiederholte Shane.

Sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. „Dann sollten wir nach Hause gehen und Pizza machen.“

„Ich habe keinen Hunger“, sagte Quinn. „Ich möchte hierbleiben.“

„Wenn du keinen Hunger hast, wird Shane die ganze Pizza allein aufessen.“

Auf Georgias Antwort reagierte Quinn mit einem mürrischen Blick.

„Und du könntest uns beim Streichen der Veranda helfen“, schlug Matt ihm vor.

Jetzt runzelte er die Stirn. „Ich glaube, ich esse lieber Pizza.“

„Ich würde auch lieber Pizza essen als anstreichen“, schaltete Luke sich ein.

„Leider haben wir keine Wahl“, flüsterte Jack verschwörerisch.

„Und da ihr die tatsächlich nicht habt, könnt ihr jetzt Pinsel und Farbe holen“, befahl Matt.

Jack ging ins Haus, und Luke nahm den Korb mit den Welpen und setzte ihn in den Schatten eines Baumes, damit die neugierigen Tiere sie nicht bei der Arbeit störten.

Quinn und Shane blieben neben Georgia stehen. Ihre sehnsüchtigen Blicke folgten den Hunden. Mit einem Blick zur Mutter der Zwillinge hatte Matt das Gefühl, dass er genau wusste, was die beiden empfanden.

In den drei Jahren seit seiner Scheidung hatte er sich oft gefragt, ob er sich jemals wieder zu einer Frau hingezogen fühlen würde. Zehn Minuten, nachdem er Georgia Reed kennengelernt hatte, konnte er diese Frage mit einem entschiedenen Ja beantworten.

„Danke“, sagte sie nun zu ihm.

„Wofür?“

„Dass Sie so geduldig und nachsichtig mit den Jungs sind.“

„Ich mag Kinder“, antwortete er nur.

„Dann werden Sie sich in dieser Nachbarschaft wohlfühlen“, versicherte sie ihm.

Lächelnd schaute er sie an. „Das tue ich bereits.“

Matt blickte Georgia nach, die ihre Jungen an jeweils eine Hand genommen hatte. Offenbar wollte sie sichergehen, dass sie nicht wieder entwischten.

Als er seine attraktive Nachbarin zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie Mutter sein könnte. Jetzt, da er wusste, dass sie nicht nur Zwillinge, sondern auch noch ein Baby hatte, musste er noch intensiver über sie nachdenken. Eine alleinstehende Nachbarin, ausgesprochen sexy dazu … das weckte Gedanken in ihm, die er lange nicht gehabt hatte. Dass sie Kinder hatte, machte die Situation nicht unbedingt leichter …

Matt hatte einige nette Frauen kennengelernt, ohne sein Herz an sie zu verschenken. Aber Kinder mochte er wirklich sehr gern – vor allem, weil der Verlust seines eigenen Sohnes ein tiefes Loch in seinem Herzen hinterlassen hatte.

„Ich weiß, was du denkst“, sagte Luke, während er auf die Terrasse trat.

„Glaubst du?“

Sein jüngster Bruder nickte. „Ja, sie ist eine Augenweide. Aber auf ihrer Stirn steht Probleme geschrieben.“

„Ich habe nur überlegt, dass es doch nett ist, endlich meine Nachbarin kennengelernt zu haben.“

„Du hast daran gedacht, sie zum Essen einzuladen“, konterte Luke.

„Vielleicht“, antwortete Matt leichthin.

Jack stellte die Malerutensilien auf die Holzdielen. „Tu’s nicht.“

„Warum nicht?“, fragte er fast unwillig.

„Gefährliches Terrain.“

„Du meinst, eine Einladung zum Abendessen führt unweigerlich zu einer zweiten Einladung?“ Matt verbarg seinen Sarkasmus nicht.

„Und ehe du dich versiehst, stehst du vorm Altar“, fügte Luke hinzu.

„Du bist doch auch letzte Woche mit Becky McKenzie ausgegangen“, erinnerte ihn sein Bruder. „Aber ich sehe trotzdem keinen Ring an deinem Finger.“

„Weil es tatsächlich nur eine Einladung zum Dinner ist, wenn unser kleiner Bruder jemanden zum Essen einlädt“, erklärte Jack.

„Höchstens auch noch zum Frühstück“, grinste Luke.

„Aber wenn du eine Frau zum ersten Mal ausführst, Matt …“ Jack hielt inne und runzelte die Stirn. „Nun gut, wir wissen nicht genau, was es zu bedeuten hat, weil du schon ewig nicht mehr ausgegangen bist, seit Lindsay dich verlassen hat.“

„Ich bin mit Frauen ausgegangen.“

Luke schüttelte den Kopf. „Ja, aber es war nie eine richtige Beziehung.“

Jetzt runzelte Matt die Stirn, denn sein Bruder hatte recht.

„Und diese hier hat schon eine Menge Gepäck dabei“, warnte Jack.

„Genauer gesagt, drei Stück“, ergänzte Luke.

„Ihr interpretiert da viel zu viel hinein“, wehrte Matt ab.

„Ich bin natürlich froh, wenn du dich wieder ernsthaft für eine Frau interessierst“, sagte Jack. „Aber warum springst du gleich ins eiskalte Wasser, wo doch unzählige wunderschöne Frauen am Beckenrand stehen?“

Darauf wusste Matt nichts zu erwidern. Er konnte sich selbst nicht erklären, was er an Georgia Reed so attraktiv fand. Vielleicht wollte er sich auch nicht eingestehen, dass er sein Herz an die beiden kleinen Jungen verloren hatte, die sich die Welpen ansehen wollten, noch ehe er wusste, dass die hübsche blonde Nachbarin ihre Mutter war.

Seit dem Ende seiner Ehe war er sehr vorsichtig, was neue Beziehungen anging. Dass er an den Jungs einen Narren gefressen hatte, sollte ihn ebenfalls eher misstrauisch machen. Immerhin hatte er genug von Trennungen und den Schmerzen, die damit verbunden waren.

Nein, das wollte er nicht noch einmal durchmachen.

Dessen war er sich jedenfalls sicher gewesen, bevor Quinn und Shane in seinen Garten gestürmt waren.

„Ich will doch nur meine Nachbarin ein bisschen besser kennenlernen“, verteidigte Matt sich.

„Dann tu das“, sagte Luke. „Aber fang nichts mit ihr an. Denn wenn eine solche Beziehung in die Hose geht, wird die Nachbarschaft zur Hölle.“

„Fast so schlimm, wie mit einer Frau im Bett zu landen, die nur eine gute Freundin sein soll“, sekundierte Jack.

Offenbar hatte Jack entsprechende Erfahrungen gemacht. Matt hakte lieber nicht nach.

„Wenn du einsam bist, solltest du dir ein Tier anschaffen“, schlug Luke vor.

„So einen Welpen?“, fragte Matt trocken.

Sein Bruder grinste. „Der beste Freund des Menschen.“

„Ein Hund ist eine zu große Verpflichtung.“

„Weniger als eine Frau mit drei Kindern“, meinte Jack.

Allmählich wurde Matt ungeduldig. „Wollen wir jetzt den ganzen Tag darüber reden, oder wollen wir endlich die verdammte Veranda streichen?“

„Okay, dann streichen wir endlich die verdammte Veranda“, grinste Luke.

2. KAPITEL

Nachdem die Jungen ihre Pizza gegessen hatte, beschloss Georgia, zum Supermarkt zu fahren, um den Kühlschrank aufzufüllen. Sie legte Pippa in den Kinderwagen, rief Quinn und Shane und machte sich auf den Weg. Als sie am Haus ihres Nachbarn vorbeikam und die drei Männer bei der Arbeit sah, schlug ihr Puls auf einmal schneller. Sie war selbst überrascht angesichts ihrer Reaktion. Seit Phillips Tod wechselten sich bei ihr im Grunde nur zwei Gefühle ab: Trauer und Erschöpfung. Das Prickeln, das sie bei Matts Anblick empfand, war daher eine nette Abwechslung.

Matt bemerkte sie und hob die Hand zum Gruß. Sie winkte zurück, ehe sie den Blick rasch abwandte und sich wieder auf ihren Weg konzentrierte. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte.

Wahrscheinlich war er derlei Blicke von Frauen gewohnt – so, wie er gebaut war …

Sie hatte nicht viel Erfahrung mit Männern wie den Garrett-Brüdern, aber sie kannte den Typ Mann. In der Highschool gehörten sie zu den begehrtesten Jungs: die Sportler, die nur mit den hübschesten Mädchen ausgingen; die Jungs, die so waren, wie alle anderen Jungen sein wollten und nach denen sich alle Mädchen verzehrten.

Nur Georgia nicht. Sie machte sich keine Illusionen und wusste, dass diese Jungen keinen zweiten Blick an sie verschwenden würden. Und das taten sie tatsächlich nicht. Bis Aiden Grainger sie eines Tages fragte, ob sie ihm beim Jahrbuch behilflich sein wollte. Selbst das schob sie auf ihre guten Rechtschreibkenntnisse. Wie überrascht war sie daher, als er sie eines Tages nach der Schule nach Hause begleitete und zum Abschied küsste!

Als sie zum ersten Mal seine Lippen spürte, war es um sie geschehen. Sie blieben für den Rest des Schuljahrs zusammen und schmiedeten Pläne für einen Trip durch Europa nach dem Schulabschluss. Aiden wollte die Welt kennenlernen, und Georgia wollte das auch – solange sie nur mit ihm zusammen sein konnte.

Dass sie ihre eigenen Wünsche und Träume aufgab, erschreckte sie allerdings. Es erinnerte sie an die Zeiten, als ihre Mutter so häufig umgezogen war – um einem Mann zu folgen.

Als Georgia dreizehn war und zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren die Schule wechseln musste, schwor sie sich, so etwas nie zu tun. Und jetzt, kaum fünf Jahre später, war sie bereit, auf ein Studienstipendium zu verzichten, um mit irgendeinem Mann durch Europa zu ziehen? Nein, das konnte sie unmöglich tun.

Aiden behauptete zwar, dass er von ihrer Entscheidung enttäuscht sei, aber seine Pläne wollte er dennoch nicht ändern. Also reiste er allein nach Europa, und sie ging ans College und ließ die Vergangenheit hinter sich.

Sie brauchte allerdings lange, um über Aiden hinwegzukommen – und noch länger, um wieder bereit zu sein für eine neue Beziehung. Und dann traf sie Phillip Reed.

Zehn Jahre lang hatte sie sich bei ihm sicher und geborgen gefühlt, war damit vollkommen zufrieden gewesen.

Wie also war es möglich, dass sie sich fragte, ob das schon die große Liebe gewesen war oder ob es möglicherweise noch mehr geben konnte – kaum, dass sie Matt Garrett kennengelernt hatte? Wie hatte er es geschafft, Gefühle in ihr zu wecken, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierten?

Da sie keine Antwort auf diese Fragen hatte, beschloss sie, keinerlei Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden und betrat den Supermarkt.

Als Matt beschlossen hatte umzuziehen, hatte seine Maklerin stets den gleichen Begriff wie ein Mantra wiederholt: Lage, Lage, Lage. Und Tina Stilwell hatte ihm versichert, dass sein neues Zuhause in einer Topgegend lag. Es gab Grünanlagen, Freizeitparks, Einkaufsmöglichkeiten und Schulen in unmittelbarer Umgebung, dazu Restaurants und das Krankenhaus, in dem er als Orthopäde arbeitete, ganz in der Nähe. Die schöne Nachbarin hatte sie mit keinem Wort erwähnt – und Matt war sich nicht sicher, wie sehr ihn dieser Umstand bei seiner Wahl beeinflusst hatte.

Er hätte eigentlich gar nicht umziehen müssen – und noch weniger war er auf der Suche nach einer neuen Beziehung. Aber er war davon überzeugt, dass er sein Geld mit dem Kauf dieses Hauses gut angelegt hatte.

Jack hatte ihn gefragt, warum ein alleinstehender Mann vier Schlafzimmer und drei Badezimmer brauchte, und Matt gab zu, dass es in der Tat mehr Platz war, als er benötigte. Er hatte ihm allerdings verschwiegen, dass er insgeheim immer noch hoffte, den gesamten Platz eines Tages zu brauchen. Denn jetzt begann ein neuer Lebensabschnitt für ihn, und er hatte nicht vor, sich mit Selbstmitleid oder Vorwürfen zu quälen. Nein, von nun an würde er nur in die Zukunft schauen.

Aber erst einmal musste er den Rasen trimmen.

Während er den Rasenmäher hin und her schob, warf er verstohlene Blicke zum Nachbargrundstück hinüber. In den vergangenen Tagen hatte er Georgia Reed nicht gesehen. Sie war auch gar nicht zu Hause, denn ihr Minivan stand nicht vor der Tür. Was ihn nicht daran hinderte, trotzdem alle paar Minuten über den Zaun hinweg zu blinzeln.

Seit seiner Scheidung hatte er nur ein paar kurzlebige Affären gehabt. Nichts wirklich Weltbewegendes war dabei gewesen. Er vermisste die Freundschaft, das Zusammensein und die Intimität. Nicht unbedingt den Sex, aber die Vertrautheit und Nähe. Er vermisste es, neben jemandem einzuschlafen und aufzuwachen. Er vermisste die Gespräche beim Essen, das gemeinsame Fernsehen auf dem Sofa und das lange Kuscheln im Bett an einem verregneten Sonntagmorgen. Er hätte gern eine Partnerin an seiner Seite – nicht nur, um die Feiertage gemeinsam zu begehen, sondern auch um alle Tage dazwischen mit ihr zu verbringen.

Und er vermisste es, Vater zu sein. Drei Jahre lang war sein kleiner Sohn der Mittelpunkt seines Lebens gewesen. Aber Liam lebte nun seit drei Jahren nicht mehr bei ihm, und es wurde allmählich Zeit, dass Matt die Realität akzeptierte und nach vorn schaute.

Vielleicht sollte er doch einen der Welpen zu sich nehmen, überlegte er seufzend. Dann würde er am Ende eines langen Tages wenigstens nicht in ein leeres Haus kommen.

Wieder schaute er zum Nachbarhaus. Dessen Bewohnerin wusste bestimmt nicht, was es hieß, einsam zu sein. Mit drei Kindern, die ständig etwas von ihr wollten, blieben ihr wohl kaum mehr als fünf Minuten am Tag für sich selbst.

Bestimmt war es nicht leicht für Georgia, in so jungen Jahren bereits Witwe zu sein. Wie alt mochte sie wohl sein? Ihr dreißigster Geburtstag konnte noch nicht lange zurückliegen. Sie musste also sehr jung geheiratet haben – und trauerte wahrscheinlich immer noch um ihren Mann. Doch selbst wenn sie das nicht tat, hatte sie sicherlich kein Interesse an einer Beziehung mit ihrem Nachbarn.

Fang nichts mit ihr an. Denn wenn eine solche Beziehung in die Hose geht, wird die Nachbarschaft zur Hölle.

Luke hatte vermutlich recht. Also beschloss Matt, den Rat seines Bruders anzunehmen und sich zurückzuhalten. Was nicht bedeutete, dass er und Georgia nicht befreundet sein konnten. Dagegen würden seine Brüder bestimmt nichts einzuwenden haben. Und da eine Freundschaft mit einer guten Nachbarschaft begann, beschloss er, Georgias Rasen gleich mit zu mähen.

Während er das tat, schlug sein Herz beim Gedanken an die hübsche Frau immer schneller.

Als Georgia auf dem Lakespur Drive einbog, überlegte sie, was sie sich für den Rest des Tages vorgenommen hatte. An erster Stelle der To-do-Liste stand das Manuskript, das sie endlich zu Ende lesen musste. Dann würde sie Pippa in ihrem Wagen auf die Veranda stellen und den Rasen mähen. Ihr war noch immer unwohl bei dem Gedanken, dass die Jungen im Nachbargarten spielen durften, aber sie beschloss, ihnen ausnahmsweise den Besuch im Baumhaus zu erlauben, um ungestört im Garten arbeiten zu können.

In den vergangenen Tagen hatte sie Matt Garrett kaum gesehen. Viel mehr als seinen Namen wusste sie eigentlich nicht von ihm. Sie hatte keine Ahnung, wo und was er arbeitete, ob er verheiratet oder verlobt oder anderweitig gebunden war. Nicht, dass es sie besonders interessierte. Sie war einfach nur … neugierig.

Als sie nun feststellte, dass er den Rasen vor ihrem Haus mähte, wurde ihre Neugier noch größer. Sie parkte den Minivan, öffnete die Hecktür, um die Zwillinge austeigen zu lassen, und löste Pippa aus ihrem Babysitz. Mit dem Baby auf dem Arm ging sie zum Haus, und er winkte ihr zu. „Brauchen Sie Hilfe?“ Er deutete auf ihre Einkaufstüten im Kofferraum.

Sie drehte sich zu ihm um. Was sie sah, ließ ihren Mund trocken werden. Sein Haar war zerzaust, sein enges graues T-Shirt verschwitzt, und seine gebräunte Haut glänzte feucht. Seine ganze Erscheinung wirkte auf sie … ausgesprochen männlich.

Sie schluckte. „Nein danke, ich …“

Er achtete gar nicht auf ihren Protest, sondern griff einfach nach den beiden Tüten.

Sie atmete tief durch. „Okay. Vielen Dank.“

Sein Lächeln sorgte dafür, dass ihr die Knie weich wie Pudding wurden.

Er war wirklich sehr attraktiv.

Schon bei ihrer ersten Begegnung war sie von seinem Aussehen fasziniert gewesen – und ziemlich irritiert wegen der Reaktion ihres Körpers. Sie versuchte, sich einzureden, dass er auch nur ein Mann wie alle anderen war und bestimmt nicht so toll, wie sie vermutet hatte. Doch nun, als sie ihm allein gegenüberstand, musste sie zugeben, dass sie sich geirrt und seine Wirkung auf sie vollkommen unterschätzt hatte.

Seine blauen Augen waren sanft und verführerisch, und sein wohlgeformter Mund schien eine Menge zu versprechen – nicht zuletzt viel Vergnügen. Nicht, dass sie daran interessiert gewesen wäre – sie dachte nicht einmal an einen unschuldigen Flirt. Dennoch pulsierte ihr das Blut durch die Adern wie schon lange nicht mehr.

Matt folgte ihr ins Haus und stellte die Einkaufstüten auf die Küchentheke.

„Können wir rüberkommen und die kleinen Hunde anschauen?“, fragte Quinn, und Shane schaute seinen Nachbarn bittend an.

„Die Hunde sind heute gar nicht bei mir“, erwiderte Matt.

„Wo sind sie denn?“

„Bei meinem Bruder in der Praxis.“

„Er ist der Hundedoktor“, erinnerte Quinn seinen Bruder.

„Er ist Doktor für alle Tiere“, stellte Matt klar.

„Vielleicht können wir die Hunde in der Praxis besuchen?“, schlug Quinn vor.

„Nicht heute“, antwortete Georgia.

Shane zog eine Schnute. „Ich möchte einen Hund.“

„Aber du hast doch eine kleine Schwester.“

„Ich hätte lieber einen Hund“, brummelte Quinn.

Matt wandte sich ab, um sein Grinsen zu verbergen, und wusch sich die Hände am Spülbecken. „Die Hunde sind wirklich süß“, sagte er. „Aber deine Schwester ist noch viel süßer.“

„Findest du wirklich?“ Quinn klang ziemlich skeptisch.

„Aber sicher!“ Er schaute Georgia an. „Darf ich sie mal halten?“

Sie zögerte. „Wenn Sie wollen … aber sie kennt nicht viele Fremde. Sie könnte also …“

Sie beendete den Satz nicht, denn er hatte ihr Pippa bereits aus dem Arm genommen.

„Was könnte sie?“, wollte Matt wissen.

„Protestieren, wollte ich sagen. Aber wie ich sehe, tut sie es nicht.“

Stattdessen schaute ihn das kleine Mädchen aus großen blauen Augen an und verzog den Mund zu einem Lächeln. Matts Herz wurde weit.

„Sie ist bezaubernd“, stellte er fest.

„Manchmal schon“, gab ihre Mutter zu.

„Meistens schreit sie aber“, ergänzte Quinn.

„Vor allem nachts“, ergänzte Shane.

Georgia seufzte. „Ja, sie leidet an Koliken.“

„Können Sie da überhaupt schlafen?“, fragte er mitfühlend.

„Nicht mehr so gut, seit meine Mom in Urlaub ist“, erwiderte sie. „Aber ich schaffe es schon irgendwie – wenn man mal davon absieht, dass sich der Stapel an Büroarbeit immer höher türmt.“

Shane zerrte am Saum ihrer Bluse. „Ich habe Hunger.“

„Ich weiß, Schatz. Du bekommst etwas zu essen, sobald ich die Lebensmittel eingeräumt habe.“

„Ich möchte Nudeln“, verkündete Quinn.

„Die hattest du doch gestern schon. Heute gibt es Käsesandwiches. Wenn ihr wollte, könnt ihr ein wenig fernsehen, bis das Essen fertig ist.“

Ihr Vorschlag kam offenbar gut an, denn die Jungen verschwanden sofort im Wohnzimmer.

„Aber Ihre Kinder müssen nicht darunter leiden“, bemerkte er. „Und das ist ja das Wichtigste überhaupt.“

Sie lächelte ein wenig erschöpft. „Und dank Ihnen muss mein Rasen nicht leiden – vielen Dank“, meinte sie und begann, ihre Einkäufe in den Kühlschrank zu räumen.

„Sie sollten es mal mit Sojamilch versuchen“, riet er ihr mit einem Blick auf die Milchtüten. „Normale Milch kann nämlich Koliken verursachen.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte sie erstaunt.

„Ich lese viel.“

„Das habe ich auch mal getan“, seufzte sie und schloss den Kühlschrank. „Manchmal sogar zum Vergnügen.“

„Irgendwann werden Sie das auch wieder tun.“

„Hoffentlich haben Sie recht. Im Moment leben wir von einem Tag zum anderen.“

„Wie gesagt: Sie machen einen großartigen Job mit Ihren Kindern.“

„Das sollten Sie mir mal um drei Uhr nachts sagen.“ Sofort merkte sie, dass ihre Worte missverständlich waren, und sie errötete.

Ihm war klar, dass er das nicht als Einladung verstehen sollte. Falls sie jedoch Hilfe benötigte, wäre er gern der Mann, der sie unterstützen wollte. Gefährliche Gedanken! Sie war nicht seine Frau, ihre Kinder waren nicht seine Kinder, und er musste sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, dass es jemals so sein würde. Dennoch …

„Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Er schrieb seine Telefonnummer auf einen Notizblock, der auf der Küchentheke lag. „Wenn Sie Hilfe brauchen – rufen Sie mich einfach an. Egal, um welche Zeit.“

„Sie haben mir doch schon mit dem Rasen geholfen.“

„Na ja, für gute Taten gibt es ja keine Obergrenze.“

„Wissen Sie, ich habe in den letzten Jahren in New York gewohnt. Die meisten meiner Nachbarn kannte ich gar nicht, und der größte Gefallen, den man einander erwies, war das Aufhalten der Aufzugtür.“

„Ihr Umzug nach Pinehurst ist also eine große Verbesserung Ihrer Lebensumstände.“

„Meine Mutter hatte schon angekündigt, dass es eine vollkommen andere Welt ist. Sie hat mich dazu ermutigt, mich mit fremden Leuten zu unterhalten, und sie hat mich sogar dafür ausgeschimpft, dass ich mein Auto nachts abschließe, wenn es vor der Tür steht.“

„Sie schließen Ihr Auto ab?“, fragte er ungläubig.

„In New York habe ich in einem Apartment im zweiten Stock gewohnt. Als ich eines Tages in den Coffeeshop gegangen bin, ohne meine Tür dreifach abzuschließen, war die Wohnung komplett ausgeräumt, als ich nach einer halben Stunde zurückgekommen bin.“

„Kein Wunder, dass Sie vorsichtig geworden sind“, meinte er. „Aber hier passen die Nachbarn aufeinander auf. Und ich stelle gerade fest, dass ich Ihnen im Weg stehe.“ Mit dem Baby immer noch auf dem Arm, trat er einen Schritt beiseite, während sie die Sandwiches für die Zwillinge zubereitete.

„Sie halten Pippa, das ist Hilfe genug“, erwiderte sie und rief die Jungen in die Küche.

Er grinste schief. „Na ja, solange ich nützlich bin …“

Die Zwillinge stürmten in die Küche und kletterten auf die Stühle. Zu Matts Verwunderung stellte Georgia auch vor ihn einen Teller.

„Milch?“, fragte sie. „Oder möchten Sie etwas anderes?“

„Milch ist okay. Aber Sie brauchen mir nichts zu essen zu machen.“

„Es ist nur ein gegrilltes Käsesandwich.“

„Immerhin sieht es appetitlicher aus als die kalte Pizza in meinem Kühlschrank.“

„Ein Sandwich ist nicht viel im Vergleich zum Rasenmähen“, lächelte sie.

„Sie werden sich noch an das Kleinstadtleben gewöhnen“, konterte er.

„Ich versuche es.“

Sollte aus ihrer Bekanntschaft Freundschaft – und vielleicht sogar noch mehr werden? Die Warnung seiner Brüder Jack und Luke kam ihm in den Sinn. Doch er vergaß sie sofort wieder, als er Georgias wunderbares Lächeln sah.

Georgia wartete, bis Matts Wagen aus der Einfahrt verschwunden war, ehe sie den Zwillingen erlaubte, in das Baumhaus zu gehen. In den letzten Wochen hatten sie öfter dort gespielt – aber nur, wenn ihr neuer Nachbar nicht zu Hause war.

Nicht, dass sie Matt aus dem Weg ging. Jedenfalls nicht bewusst. Aber dieser Mann hatte etwas an sich, dass bei ihr jedes Mal sämtliche Alarmglocken schrillten.

Er war freundlich und konnte wunderbar mit den Kindern umgehen. Wenn sie nicht immer dieses Prickeln in seiner Nähe verspürte, hätte sie bestimmt darüber nachgedacht, sich mit ihm anzufreunden. Aber da sie seine Anwesenheit so sehr irritierte, beschloss sie sicherheitshalber, Abstand zu ihm zu wahren.

Sie schob Pippas Kinderwagen auf das Nachbargrundstück, um die Zwillinge zu beaufsichtigen, die bereits auf dem Baum herumkletterten.

Georgia hatte einen Klappstuhl mitgebracht, den sie neben den Wagen stellte. Während sie damit beschäftigt war, fiel ihr Blick auf die Leiter, die an den Baum gelehnt war. Auf der obersten Sprosse stand Shane und schaute sich nach ihr um.

„Sei vorsichtig!“, rief sie und wollte zu ihm hinüberlaufen. Zu spät. Der Junge rutschte aus und stürzte wie ein Stein auf die Erde.

Als Georgia die Notaufnahme betrat, wusste sie nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, mit dem jammernden Shane, der greinenden Pippa und dem immer noch schockierten Quinn hierherzukommen. „Er darf nicht sterben“, schluchzte Quinn. „Bitte, lass ihn nicht sterben.“

„Er wird nicht sterben“, beruhigte sie ihn. „Er hat sich vermutlich nur den Arm gebrochen.“ Sie hatte ihm einen Eisbeutel mit einem Handtuch um den rechten Oberarm gebunden, um die Schmerzen zu lindern.

Am Schreibtisch der Notaufnahme saß eine gelangweilte Krankenschwester, die Georgias Namen und Versicherungsnummer notierte und sie aufforderte zu warten. Doch noch ehe Georgia sich auf einen der freien Stühle setzen konnte, kam eine sehr jung aussehende Krankenschwester mit einem Rollstuhl in den Wartebereich. Auf ihrem Namensschild stand „Brittney“. Sie gehörte also zum Krankenhauspersonal. Dabei sah sie aus wie eine Schülerin.

„Ich bringe dich ins Röntgenzimmer, damit sich der Doktor deinen Arm anschauen kann“, erklärte sie Shane.

Panisch schaute er seine Mutter an. Georgia strich ihm eine Locke aus der Stirn.

„Möchtest du, dass deine Mom, dein Bruder und deine Schwester mit dir kommen?“, fragte Brittney.

Shane nickte. „Tut röntgen weh?“, wollte er wissen.

Brittney hockte sich vor ihn hin, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm sprechen konnte. „Es tut vielleicht ein bisschen weh, wenn die Schwester deinen Arm bewegen muss, um das Bild zu machen. Aber es ist die beste Methode, um herauszufinden, wie wir deinen Arm wieder heil machen können.“

Shane zögerte kurz, ehe er nickte. „Okay.“

Brittney lächelte und wollte von Quinn wissen: „Wie alt bist du denn?“

„Vier.“ Stolz streckte er vier Finger hoch.

„Hm.“ Sie tat, als dächte sie über etwas sehr Wichtiges nach. „Ich weiß nicht, ob das geht.“

„Was geht?“, wollte er sofort wissen.

„Nun ja, laut Krankenhausregeln darf man erst ab fünf Jahren einen Rollstuhl schieben, außer man hat eine spezielle Berechtigung dazu hat. Oder hast du eine Rollstuhlschiebe-Berechtigung?“

Quinn schüttelte den Kopf.

Brittney suchte in den Taschen ihres Kittels und zog ein blaues Papier hervor, auf dem in großen Lettern VORLÄUFIGE ROLLSTUHL-ROLLLIZENZ stand. Trotz ihres desolaten Zustands musste Georgia sich ein Lächeln verbeißen, als Brittney ihr zuzwinkerte. „Glücklicherweise habe ich eine Berechtigung bei mir, die allerdings nur heute gilt“, lächelte sie. „Die kann ich dir geben, wenn du mir versprichst, den Rollstuhl ganz langsam und sehr vorsichtig zur Röntgenabteilung zu schieben.“

„Das mach ich“, versicherte er ihr.

„Gut. Aber ich muss erst deinen Namen auf das Papier schreiben.“

„Quinn Reed.“

„Okay. Und heute ist der …?“

Fragend sah Quinn seine Mutter an. „Der zweiundzwanzigste Mai“, half sie ihm.

Brittney notierte das Datum auf den Zettel und reichte ihn Quinn. Ehrfurchtsvoll studierte er das Blatt ein paar Sekunden, ehe er es vorsichtig in seine Tasche schob und die Rollstuhlgriffe mit beiden Händen fest umklammerte.

„Aber pass gut auf“, warnte Brittney ihn. „Wenn du irgendetwas oder irgendjemanden umfährst, muss ich dir die Berechtigung sofort wieder abnehmen.“

Er nickte folgsam, und die kleine Prozession setzte sich in Bewegung.

Zwanzig Minuten später war Shanes Arm geröntgt worden. Quinn schob seinen Bruder aus dem Behandlungszimmer in den Wartebereich, und Brittney verabschiedete sich von ihnen mit den Worten: „Dr. Layton wird gleich bei dir sein, Shane. Dann sagt er dir, was mit deinem Arm passieren wird. Es wird nicht lange dauern“, wiederholte sie an Georgia gewandt.

Und es dauerte tatsächlich nicht lange, bis die Tür zum Behandlungsraum erneut geöffnet wurde – und Georgia die Kinnlade herunterfiel. Im Gegensatz zu Quinn und Shane, die beide – Shane trotz seiner Schmerzen – übers ganze Gesicht strahlten.

„Sie sind aber nicht Dr. Layton“, stammelte Georgia konsterniert, während sie eintraten.

„Im Moment geht es in der Notaufnahme drunter und drüber“, antwortete Matt. „Deshalb hat Dr. Layton mich gebeten, mir Shanes Röntgenaufnahmen anzusehen.“

Quinn setzte sich aufrecht hin. „Du bist auch Arzt?“

Matt nickte.

„Du siehst gar nicht wie einer aus“, sagte er fast vorwurfsvoll.

„Quinn!“, ermahnte ihn seine Mutter.

„Wie sieht ein Arzt denn aus?“, fragte Matt schmunzelnd.

Der Junge betrachtete ihn ein paar Sekunden. „Älter“, antwortete er schließlich. „Mit grauen Haaren und einer Brille.“

„Ich bin immerhin viel älter als du“, sagte Matt.

„Trotzdem siehst du nicht wie ein Doktor aus.“

„Ich bin Orthopäde“, erklärte Matt.

„Siehst du?“ Triumphierend sah Quinn seine Mutter an.

„Ein Orthopäde ist auch ein Arzt“, bestätigte sie.

Fragend schaute er zurück zu Matt.

Er nickte. „Ein Orthopäde ist ein Spezialist, der kaputte Knochen heilt.“

Quinn schluckte. „Ist Shane kaputt?“

Matt verbiss sich ein Lächeln. „Nein, dein Bruder ist nicht kaputt. Aber ein Knochen in seinem Arm ist kaputt.“

„Ich bin aus deinem Baumhaus gefallen“, erklärte Shane.

Besorgt sah Matt ihn an. „Von ganz oben?“

Der kleine Junge schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin auf der Leiter ausgerutscht.“

„Und er ist auf den Arm gefallen“, ergänzte Georgia. „Er hat ihn ausgestreckt, um sich abzufangen.“

„Und dabei hast du ihn dir natürlich gebrochen.“ Matt nickte verständnisvoll. „Soll ich dir das Bild zeigen, auf dem du den Bruch sehen kannst?“

Shane nickte.

Matt setzte sich vor einen Computerbildschirm und tippte etwas in die Tastatur. „Das hier ist die Speiche – so nennt man das“, er zeigte mit dem Kugelschreiber auf den Schirm, „… und das ist die Elle.“

Shane nickte und verzog schmerzhaft das Gesicht.

„Siehst du den Unterschied zwischen den beiden Knochen?“

„Ich sehe ihn!“, rief Quinn, und Shane nickte erneut.

„Nun ja, da es Shanes Arm ist, sollte er uns den Unterschied erklären“, meinte Matt.

Quinn zog eine Schnute, sagte aber nichts mehr.

„Was siehst du, Shane?“

„Der Speicher …“ Er verstummte.

„Die Speiche“, soufflierte Matt.

„Da ist ein Strich.“

„Genau. Dieser Strich ist der Bruch. Man nennt das einen distalen Speichenbruch.“

„Er tut weh.“ Shane klang halb jammernd und halb stolz, weil er so etwas Kompliziertes an seinem Arm hatte.

„Ich weiß“, sagte Matt.

„Kannst du das wieder ganz machen?“, wollte Quinn wissen. „Du hast doch gesagt, dass du kaputte Knochen wieder ganz machen kannst.“

Matt nickte. „Ja. Ich kann es, und ich werde es tun.“

3. KAPITEL

Georgia hatte versucht, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, aber die Tatsache, dass ihr neuer Nachbar nicht nur sehr freundlich und gutaussehend war, sondern darüber hinaus auch ein toller Arzt, lenkte sie ziemlich ab. Verstohlen musterte sie ihn, während er sich um Shane kümmerte. Im weißen Kittel und mit weißen Turnschuhen sah der Mann ganz anders aus als der attraktive Gärtner, der ihr den Rasen gemäht hatte. Hätte er sie an jenem Tag seinen Beruf raten lassen, hätte sie vermutlich auf Ingenieur oder Feuerwehrmann getippt. Dass er Mediziner war, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.

Sie hatte allerdings auch noch nie einen Arzt kennengelernt, der nicht innerhalb von fünf Minuten auf seinen Beruf zu sprechen gekommen wäre. Seit drei Wochen war er nun schon ihr Nachbar, und sie hatte keine Ahnung gehabt. Vielleicht hätte der Mercedes in seiner Einfahrt ein erster Hinweis auf seine Tätigkeit sein können, Und jetzt erlebte sie Dr. Garrett ganz in seinem Element.

Während er den Arm eingipste, erklärte er den Zwillingen mit einfachen Worten, was er gerade tat. Dennoch blieb Quinn misstrauisch.

„Muss Shane sterben?“, fragte er sorgenvoll.

„Nein“, beruhigte Matt ihn. „An einem gebrochenen Arm stirbt man nicht.“

Auch Shane sah ihn nun verängstigt an. „Versprichst du mir das?“

Unwillkürlich füllten Georgias Augen sich mit Tränen. Seit Phillips Tod hatten sich die Zwillinge allein auf ihre Worte verlassen, wenn sie verunsichert waren oder Fragen hatten. Natürlich war es vernünftig, dass sie Matt fragten, denn er war der Arzt. Dennoch versetzte es ihr einen Stich, dass die Jungen zum ersten Mal einem anderen Menschen so viel Vertrauen entgegenbrachten.

„Hoch und heilig“, antwortete Matt feierlich.

Shane nickte zögernd zum Zeichen, dass er das Wort des Mannes für bare Münze nahm.

„Darf ich dir jetzt auch eine Frage stellen?“, fragte Matt.

Wieder nickte Shane.

„Was ist deine Lieblingsfarbe?“

„Blau.“

„Dann werden wir einen blauen Gips um deinen Arm machen“, verkündete der Arzt, was ein Lächeln auf die Lippen seines kleinen Patienten zauberte. Matt ging hinaus und kam kurz darauf mit Brittney und einer älteren Kollegin zurück. Die grauhaarige Krankenschwester brachte Shanes Arm in die richtige Position, während Matt den Gipsverband anlegte und Brittney aufmerksam zuschaute. Zum Schluss legte Matt Shanes Arm in eine Schlinge, schob sie über die Schulter und erklärte ihm, dass es für ihn und seinen Arm so am bequemsten wäre.

„In welcher Hand hältst du einen Stift, wenn du malst?“, wollte Brittney wissen.

„Diese hier.“ Er hob die unverletzte Hand.

„Kannst du damit eine Eiswaffel halten?“

Shane nickte schüchtern, nachdem er seine Mutter fragend angeschaut hatte.

„Sie lieben Eis.“ Georgia griff in ihre Tasche, um Geld herauszuholen.

Das Mädchen machte eine abwehrende Handbewegung. „Die spendiert Dr. Garrett. Es gehört zum Service des Hauses.“

Matt drückte ihr eine Zwanzig-Dollar-Note in die Hand.

„Hat der Rollstuhlfahrer noch seine Rollstuhl-Rolllizenz?“

Quinn zog das Papier aus seiner Tasche.

„Dann lass uns mal das Eis holen gehen.“

„Danke, Britt“, Matt lächelte das Mädchen an.

Mit gemischten Gefühlen sah Georgia ihren Zwillingen hinterher, die mit der jungen Schwester hinausgingen. Sie wurden so schnell erwachsen; dennoch würden sie immer ihre Babys bleiben – genau wie die Kleine, die sie die ganze Zeit im Arm gehalten hatte.

„Brittney ist wirklich toll“, sagte sie jetzt zu Matt. „Ich weiß nicht, wie ich das ohne ihre Hilfe überstanden hätte. Sie kann wundervoll mit Kindern umgehen.“

„Es ist bestimmt auch nicht einfach, mit drei Kindern, von denen eines ziemliche Schmerzen hat, hierherzukommen und das alles zu managen. Konnte denn keiner der Nachbarn auf die beiden anderen aufpassen?“

„Nun, der eine Nachbar hat gearbeitet …“ Sie lächelte Matt an, „… und die andere Nachbarin, Mrs. Dunford, besucht gerade ihre Schwester. Außerdem wäre Quinn bestimmt nicht bei ihr geblieben. Er hatte furchtbare Angst, weil sein Bruder ins Krankenhaus musste, und wollte sichergehen, dass er auch heil wieder nach Hause kommt.“

„Hat er Angst vor Krankenhäusern?“

„Beide haben Angst vor Krankenhäusern.“

„Gibt es dafür einen Grund?“

Sie nickte. „Weil ihr Vater – mein Mann – im Krankenhaus gestorben ist.“

„Das ist verständlich“, sagte er.

„Es war ein Herzanfall“, erklärte sie. „Er erkannte die Symptome und hat den Notarzt gerufen, aber die Attacke war zu heftig. Die Jungs haben mitgekriegt, dass er noch lebte, als er in den Krankenwagen gebracht wurde. Und im Krankenhaus war er dann auf einmal tot.“

„Und jetzt glauben sie, dass jeder, der ins Krankenhaus kommt, dort auch sterben muss“, mutmaßte er.

Wieder nickte sie. „Ich habe ihnen zu erklären versucht, dass es nicht die Schuld des Arztes war. Dass es niemandes Schuld war. Aber sie haben mir wohl nicht geglaubt.“

„Wer ist eigentlich Mrs. Dunford?“

„Sie wohnt auf der anderen Straßenseite. Sie steht jeden Morgen um sieben auf und gießt die Blumen. Sie hat einen grünen Daumen.“

Er nickte. „Ach, die ist das. Sie hat auch ein Talent für Ingwerplätzchen.“

„Sie kennen Sie?“

„Jetzt schon. Sie hat mir einen Korb Kekse gebracht und mich in der Nachbarschaft willkommen geheißen. Dummerweise hat sie ihren Namen nicht genannt …“

„Weil alle sie kennen.“

„Na ja, aber ich bin neu in der Gegend“, verteidigte er sich.

„Wahrscheinlich hat sie Ihnen die Plätzchen gebracht in der Hoffnung, dass sie Sie mit ihrer Enkelin bekanntmachen kann.“

„Dann hätte sie mir besser Schokoplätzchen gebracht. Die esse ich nämlich am liebsten.“

„Das werde ich ihr sagen.“

Er schüttelte den Kopf. „Meine Verabredungen mache ich lieber selbst. Obwohl Brittney immer sagt, dass ich dabei Unterstützung brauche.“

„Brittney? Die Krankenschwester, die wie fünfzehn aussieht?“

„Sie ist siebzehn.“

„Dann ist sie gar keine Krankenschwester?“

Er lachte. „Sie ist Praktikantin. Sie geht noch zur Schule. Und außerdem ist sie meine Nichte.“

„Sie hat das ganz toll gemacht mit den Zwillingen.“

„Sie möchte auch Kinderärztin werden.“

„Das nenne ich zielstrebig.“

„Sie ist sehr entschlossen. Und sie gehört zu den meistgefragten Babysittern in der Stadt.“

„Das werde ich mir merken. Für den Fall, dass ich auch mal jemanden brauche“, versprach sie. Wahrscheinlich würde Brittney längst ihr Studium beendet haben, wenn dieser Fall eintrat. Wenn er überhaupt jemals eintreten sollte …

Deshalb war sie mehr als überrascht, als Matt sagte: „Vielleicht am Freitagabend? Dann könnte ich Sie zum Essen einladen.“

Eine Minute lang sah sie ihn so verwirrt an, als habe er eine andere Sprache gesprochen, und Matt fragte sich bereits, ob er diesen Vorschlag besser nicht gemacht hätte.

Normalerweise war er nicht so spontan. Georgia weckte in ihm offenbar Eigenschaften, von denen er selbst nicht gewusst hatte, dass sie in ihm schlummerten. Und falls Georgia seine Einladung annahm – was sie hoffentlich tat –, würde er seiner Nichte sagen, dass sie ihre Bemühungen als Heiratsvermittlerin endgültig einstellen konnte.

„Ist das … Soll das eine Einladung sein?“

Ihre Frage weckten allerdings sofort neue Zweifel in ihm. War er überhaupt selbst in der Lage, für Dates zu sorgen?

Wenn eine solche Beziehung in die Hose geht, wird die Nachbarschaft zur Hölle. Lukes Worte kamen ihm in den Sinn, doch er beschloss, sie zu ignorieren. Denn Matt wollte seine wunderschöne Nachbarin unbedingt näher kennenlernen. Da konnte sein Bruder sagen, was er wollte.

„Wir müssen es ja nicht so nennen“, antwortete er.

„Es ist also kein Date?“

„So lange Sie nicht Ja sagen, ist es gar nichts.“

Sie überlegte eine Weile, ehe sie den Kopf schüttelte. „Ich kann nicht.“

„Sie können nicht mit einem Bekannten essen gehen? Mit einem Nachbarn?“

„Ich kann meine Kinder keiner Fremden überlassen – selbst wenn Brittany die meistgefragte Babysitterin der Stadt ist.“

Trotzdem hatte er den Eindruck – jedenfalls für eine Sekunde –, dass sie daran gedacht hatte, seine Einladung anzunehmen.

„Quinn und Shane scheinen sie sehr zu mögen“, erinnerte er sie.

„Sie geht wunderbar mit ihnen um“, gab sie zu. „Aber mit Pippa ist es etwas anderes. Im Moment gibt es da noch ein paar Dinge, die außer ihrer Mutter niemand für sie tun kann.“

Okay, er musste nicht zweimal mit der Nase auf etwas gestoßen werden. Einmal genügte. Unwillkürlich schaute er auf ihre Brüste und schlug sofort die Augen nieder.

Sie hatte seinen Blick dennoch bemerkt. Ihre geröteten Wangen waren ein unmissverständlicher Hinweis.

„Wie wäre es dann, wenn wir bei mir essen? Dann sind Sie schnell zu Hause, wenn es nötig ist.“

„Wissen Sie, ich schätze Ihre Einladung wirklich sehr, aber mir geht es gut. Sie brauchen mich nicht zu bemitleiden, weil ich mich allein um meine drei Kinder kümmern muss.“

„Denken Sie das wirklich – dass ich Sie bemitleide?“

„Ich weiß nicht, was ich denken soll“, gestand sie. „Es ist die einzige Erklärung, die ich mir vorstellen kann.“

„Nun, ich habe mir schon überlegt, dass Ihnen ein paar Stunden ohne Verantwortung durchaus guttun könnten“, sagte Matt. „Aber ich habe überhaupt kein Mitleid mit Ihnen. Im Gegenteil, ich denke, Sie können sich glücklich schätzen, drei wunderbare Kinder zu haben, die sich ihrerseits glücklich schätzen können, Sie als Mutter zu haben.“ Denn er wusste aus Erfahrung, dass nichts das Band zwischen Eltern und Kinder ersetzen konnte – und nichts die Leerstelle füllen konnte, wenn dieses Band einmal gerissen war.

„Ich habe wirklich Glück“, erwiderte sie leise. „Obwohl ich manchmal gar nicht weiß, wie viel Glück ich habe – und ebenso wenig weiß ich, wie ich auf derlei unerwartete Freundlichkeiten reagieren soll.“

„Sie können damit reagieren, dass Sie einfach sagen, okay, ich komme am Freitag zu Ihnen zum Abendessen.“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Sie sind ganz schön hartnäckig, nicht wahr?“

„Das ist nicht die Antwort, auf die ich gehofft habe“, entgegnete er.

„Nun gut – ich komme am Freitagabend zum Essen zu Ihnen“, stimmte sie schließlich zu. „Falls Brittney Zeit hat – und bereit ist, auf die Kinder aufzupassen.“

„Passt Ihnen sieben Uhr?“

„Sollten Sie nicht erst die Babysitterin fragen?“

„Brittney wird Zeit haben“, versicherte er ihr.

„Dann ist sieben Uhr perfekt“, erwiderte Georgia.

„Irgendetwas, das Sie nicht mögen oder worauf Sie allergisch reagieren?“

Erneut schüttelte sie den Kopf.

„Und Ihr Lieblingsessen?“

Ihr Lächeln wurde breiter. „Alles, was ich nicht selber kochen muss.“

Es wurde eine lange Nacht für Georgia. Sie gab Shane ein mildes Schmerzmittel, damit er schlafen konnte, versicherte Quinn erneut, dass ein gebrochener Arm keine lebensgefährliche Verletzung war, versorgte Pippa und sank Stunden später todmüde aufs Sofa.

Doch Ruhe fand sie keine, da ihr Matt nicht aus dem Kopf gehen wollte. Er war ein ausgesprochen netter Mann, der gut mit den Kindern umzugehen wusste. Wäre das alles gewesen, hätte Georgia keine Sekunde gezögert, seine Einladung anzunehmen. Aber in Gegenwart von Matt Garrett wurden Gefühle in ihr wach, die sie lange nicht gehabt hatte – und das machte sie vorsichtig.

Ihre Mutter hatte immer gesagt, sich zu verlieben sei wie ein Sprung in unbekannte Gewässer. Charlotte hatte derlei Abenteuer stets genossen. Aber Georgia war eher vorsichtig. Und anders als ihre Mutter hatte sie nur wenige Beziehungen gehabt.

Mit Philipp hatte sie zunächst nur eine Freundschaft verbunden. Die jedoch war im Laufe der Zeit immer enger geworden. Trotzdem war sie aus allen Wolken gefallen, als er ihr eines Tages einen Heiratsantrag gemacht hatte. Aber mit dem besten Freund konnte man eigentlich nichts falsch machen, hatte Georgia sich gesagt, und in die Hochzeit eingewilligt. Sie hatten eine gute Ehe geführt, sie passten sehr gut zusammen, und ihre Liebe war immer tiefer geworden. Er war der einzige Mensch, in dessen Gesellschaft sie sich rundum wohlfühlte.

In Matt Garretts Gegenwart dagegen fühlte sie sich überhaupt nicht wohl.

Sie war einunddreißig, hatte drei Kinder – und keine Ahnung, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen sollte. Vielleicht sollte sie einfach eine Nacht darüber schlafen. Die letzten Tage ohne die Unterstützung ihrer Mutter – und nun auch noch der unerwartete Besuch in der Notaufnahme – waren einfach zu viel für sie gewesen. Und jetzt geriet sie auch noch ins Grübeln über ihren Nachbarn und ihre Zukunft …

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Ihre Mutter war dran.

„Wie geht es euch denn?“, wollte sie wissen. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich meine Enkelkinder vermisse.“

„Oh doch“, antwortete Georgia. „Aber du wirst sie ja morgen wiedersehen. Sie freuen sich auch schon auf dich.“

„Nun, genau deshalb rufe ich an“, begann Charlotte, und Georgia spürte sofort einen Kloß im Magen. „Meine Pläne haben sich ein wenig geändert.“

„Inwiefern?“ Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall.

„Ich habe jemanden kennengelernt.“ Auf einmal klang Charlotte ganz aufgeregt. „Oh Schatz, ich hätte nicht geglaubt, dass ich mich noch einmal verlieben würde. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet. Ich meine, ich hatte ja schon immer Glück in der Liebe …“

Glück? Nur Charlotte Warring, geschiedene Eckland, geschiedene Tuff, geschiedene Masterton, geschiedene Kendrick käme auf die Idee, vier gescheiterte Ehen als Glück zu bezeichnen. Andererseits gehörten ihre übersprudelnde Lebensfreude und ihr unverbrüchlicher Optimismus zu den Eigenschaften, die die Männer an ihr besonders mochten – und natürlich der Umstand, dass sie mindestens zehn Jahre jünger als vierundfünfzig aussah.

Nun gut. Georgia versuchte gelassen zu bleiben. Ihre Mutter hatte jemanden kennengelernt. Sie hatte nichts dagegen, dass sie eine Beziehung anfing – nicht wirklich. Aber sie konnte nicht glauben, dass sich ihre Mutter in einen Mann verliebt hatte, den sie erst ein paar Tage lang kannte.

„… aber als sich unsere Blicke über den Baccara-Tisch hinweg trafen, hatte ich das Gefühl, meine Finger in eine Steckdose gesteckt zu haben.“

Jetzt musste Georgia schmunzeln. „Schön, dass du dich so gut amüsierst …“

„Ja, blendend“, unterbrach Charlotte sie. „Und nach der Zeremonie letzte Nacht hat Trigger dafür gesorgt, dass wir ein Upgrade in die Hochzeitssuite bekommen haben. Dort habe ich so viel Champagner getrunken, dass ich mich immer noch ein bisschen beschwipst fühle.“

Genau das Gefühl hatte Georgia plötzlich auch, obwohl sie keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte. Zeremonie? Hochzeitssuite? Trigger?

„Mom!“ Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Willst du mir damit etwa sagen, dass du den Mann geheiratet hast?“

„Schatz, wenn die Liebe an deine Tür klopft, dann öffnest du sie nicht nur einen Spalt breit, sondern reißt sie ganz auf.“

Georgia schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.

„Ja“, beantwortete Charlotte endlich ihre Frage. „Ich bin jetzt ganz offiziell Mrs. Trigger Branston.“

„Sein Name ist wirklich Trigger?“

„Eigentlich heißt er Henry. Aber alle nennen ihn Trigger, weil er so schnell am Abzug ist.“

„Am Abzug?“ Von Sekunde zu Sekunde hoffte Georgia mehr, dass dieses Gespräch nur ein bizarrer Wachtraum sein möge.

„Bei seinem Gewehr“, erklärte Charlotte. „Er hat bei allen möglichen Schießwettbewerben den ersten Preis gewonnen.“

„Das ist … äh … ziemlich beeindruckend.“

„Das kann man wohl sagen“, bestätigte Charlotte.

„Und damit … verdient er sein Geld?“, wollte Georgia wissen.

Ihre Mutter lachte. „Natürlich nicht. Das ist nur sein Hobby. Ansonsten hat er genug mit seiner Ranch zu tun.“

„Wo ist die denn?“

„Im Südwesten von Montana.“

„Du ziehst nach Montana?“

„Na ja, er kann seine Ziegen und seine Schafe schlecht nach New York bringen, nicht wahr?“

Ziegen und Schafe?

Georgia wollte sich die Einzelheiten lieber nicht ausmalen. Etwas anderes lag ihr mehr am Herzen. „Und was hast du mit dem Haus hier vor?“

„Oh, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ihr könnt natürlich so lange drin wohnen, wie ihr wollt.“

Das war typisch für ihre Mutter. Sie war ebenso impulsiv wie großzügig. Georgia wusste das Angebot zwar zu schätzen, aber eigentlich war sie nur ihrer Mutter wegen nach Pinehurst gezogen.

Sie hütete sich jedoch, etwas zu sagen. Wie konnte sie dem Glück ihrer Mutter im Weg stehen, wenn sie so freudig und stolz klang? Welches Recht hatte sie, Kritik an Charlottes Lebensführung zu üben, nur weil ihre eigene nicht so glücklich war?

Mit Tränen in den Augen sagte sie deshalb nur: „Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Branston.“

Das Lachen ihrer Mutter perlte an ihr Ohr. „Ich wusste, dass du mir mein Glück gönnst, Schatz.“

Das tat sie natürlich. Denn ihre Mutter hatte wirklich ein großes Herz und verdiente es, glücklich zu sein. Aber vorsichtshalber beschloss sie schon jetzt, sich Trigger Branston vorzuknöpfen, sollte der ihre Mutter nicht glücklich machen.

Andererseits musste diese Ehe ja nicht ebenso scheitern wie die vier vorhergehenden. Vielleicht war Georgia auch nur deshalb so skeptisch, weil sie niemals so leben wollte wie ihre Mutter.

Möglicherweise war sie auch nur deshalb nicht an einer romantischen Beziehung interessiert, weil sie im Moment einfach zu müde war und nur noch ins Bett wollte. Sie hoffte auf einen traumlosen Schlaf. Denn jedes Mal, wenn sie in den vergangenen Tagen die Augen geschlossen hatte, musste sie unweigerlich an den attraktiven Doktor von nebenan denken.

Matt wickelte gerade Kartoffeln in Folie, als es an der Tür klingelte. Da es erst kurz nach sechs Uhr abends und damit zu früh für Georgia war, beschloss er, das Klingeln einfach zu ignorieren. Als die Tür kurz darauf geöffnet wurde und schwere Tritte durch den Gang hallten, wusste er, dass es einer seiner Brüder war. Und schon tauchte Jack im Türrahmen auf.

Automatisch trat er an den Kühlschrank. „Willst du auch ein Bier?“

„Nein danke. Aber bedien dich ruhig“, meinte Matt trocken.

Jack öffnete den Verschluss einer langhalsigen grünen Flasche und betrachtete das Paket mit den Steaks. „Entweder hast du einen Mordshunger, oder ich habe mir den richtigen Abend ausgesucht, um bei dir vorbeizukommen.“

„Tja, du bleibst aber nicht“, sagte Matt.

Ungerührt ließ sein Bruder sich auf einen Stuhl fallen. „Wieso nicht? Hast du eine heiße Verabredung oder so was Ähnliches?“

„Du hast es erfasst.“

Unsanft stellte Jack die Bierflasche auf den Tisch. „Du hast tatsächlich ein Date?“

„Ist das so schwer zu glauben?“

„Ehrlich gesagt, ja.“

Matt funkelte ihn an, ehe er die Folienkartoffeln in den vorgeheizten Ofen legte. „Ist aber so.“

Sein Bruder schüttelte den Kopf. „Du hast doch noch nie jemanden zu dir nach Hause eingeladen.“

„In der Wohnung hätte sich das auch seltsam angefühlt“, gab Matt zu, „wenn ich da mit jemand anderem gewesen wäre.“

„Dann hättest du da schon vor drei Jahren ausziehen sollen.“

„Vielleicht.“ Lange vor der Scheidung hatte Matt bereits gewusst, dass seine Ehe am Ende war. Aber er hatte gezögert, den Ort zu verlassen, der ihn mit so vielen Erinnerungen an den kleinen Jungen verband, der viel zu kurz sein Sohn gewesen war.

„Wer ist sie denn?“

Jacks Frage brachte ihn zurück in die Gegenwart. „Niemand, den du kennst. Jetzt trink dein Bier aus und verschwinde.“

„Vielleicht sollte ich noch ein bisschen bleiben, um sie kennenzulernen“, neckte ihn sein Bruder. „Vielleicht mag sie mich mehr als dich.“

„Kann ich mir nicht vorstellen. Sie hat nämlich Geschmack“, frotzelte Matt.

Jack zog die Augenbrauen hoch. „Weil sie deine Einladung angenommen hat?“

„Es ist bloß ein Abendessen“, versuchte Matt abzuwiegeln. „Und wie geht es dir so?“

Doch sein Bruder ließ sich nicht ablenken. „Es ist die Mom von nebenan, nicht wahr? Deshalb versuchst du, das Thema zu wechseln.“

„Ich frage mich nur, warum du an einem Freitagabend keine Verabredung hast“, grinste Matt.

„Die Sache mit Angela ist mir ein bisschen zu intensiv geworden. Deshalb habe ich beschlossen, mich eine Weile nicht zu verabreden.“

„Ich dachte, du magst Angela.“

„Ich mochte sie auch“, gab er zu. „Aber dann habe ich festgestellt, dass sie nur noch Hochzeitsmagazine liest.“

„Eines Tages wirst du schon die Richtige finden“, tröstete Matt ihn.

Kopfschüttelnd griff Jack nach seinem Bier. „Und ich habe immer gedacht, ich würde aus meinen Fehlern lernen. Eine verkorkste Ehe reicht mir nämlich.“

„Weißt du schon, dass Kelly Cooper wieder hierher zurückkommt?“

„Ja, das habe ich gehört.“

„Ist das vielleicht der wahre Grund, warum du mit Angela Schluss gemacht hast?“

„Eigentlich war doch immer unser jüngster Bruder mit dem Mädchen von nebenan ganz eng.“

Matt musste lachen. „Weil sie beste Freunde waren – nicht, weil Romantik im Spiel war.“

Jack zuckte nur mit den Achseln, aber Matt wusste, dass der Versuch seines Bruders, gleichgültig zu erscheinen, erst recht ein Beweis dafür war, dass Kelly ihm mehr bedeutete, als er zugeben wollte.

„Ich frage mich, warum sie nie nach Hause gekommen ist“, überlegte Matt. „Wir wussten alle, dass sie sich darauf freute, nach Chicago zu gehen, aber keiner hat damit gerechnet, dass sie von Chicago weiter nach Dallas und dann nach Seattle ziehen würde – oder dass sie überhaupt so lange wegbleiben würde.“

„Sie hatte bestimmt ihre Gründe.“

„Warst du einer davon?“

Ehe Jack antworten konnte, klopfte es an der Hintertür.

„Das ist wohl mein Stichwort“, meinte er und trank sein Bier aus.

Matt hielt ihn nicht auf. Er wollte auf keinen Fall, dass sein Bruder bei ihm in der Küche saß. Aber er wollte Jack auch nicht so einfach vom Haken lassen. „Das Thema müssen wir bei Gelegenheit vertiefen“, sagte er.

Offenbar wollte Jack ihn auch nicht so einfach davonkommen lassen, denn statt vorne hinauszugehen, wie er auch gekommen war, machte er Anstalten, das Haus durch die Hintertür zu verlassen, an der Matt gerade seine Besucherin empfing.

„Hi, Georgia“, begrüßte Jack sie.

„Oh, hallo.“ Die Anwesenheit des anderen Mannes schien sie zu irritieren. „Jack, nicht wahr?“

Es freute ihn, dass sie sich an seinen Namen erinnerte.

„Jack wollte gerade gehen“, sagte Matt mit Betonung.

Sein Bruder schüttelte den Kopf. „Ich hab’s nicht eilig.“

Georgia sah zwischen Matt und Jack hin und her. „Störe ich vielleicht?“

„Nein, Sie sind eingeladen“, erinnerte Matt sie. „Er stört.“

„Er hat recht“, gab Jack zu. „Und ich bleibe auch nicht länger. Ich wollte nur das geheimnisvolle Date meines Bruders kennenlernen.“

„Ich wusste gar nicht, dass ich geheimnisvoll bin – oder dass das hier ein Date ist“, entgegnete Georgia.

„Es ist nur ein Abendessen.“ Matt warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu. „Möchten Sie etwas trinken? Ich habe Mineralwasser, Saft oder …“

„Wasser wäre gut, danke“, sagte Georgia.

Doch ehe er ihr ein Glas füllen konnte, meldete sich Matts Pager.

Im Stillen stieß er einen Fluch aus, aber er konnte das Signal nicht ignorieren. Er hatte schließlich Rufbereitschaft. Und da er Georgia den Abend nicht komplett verderben wollte, überließ er widerstrebend Jack das Feld.

Auf dem Weg zum Krankenhaus überlegte Matt bereits, wie er eine zweite Verabredung einfädeln konnte – die hoffentlich mit einem Kuss endete.

4. KAPITEL

Georgia war zwar enttäuscht, dass Matt ins Krankenhaus gerufen wurde, aber sie hatte natürlich Verständnis dafür. Warum er jedoch darauf beharrte, dass sie den Abend stattdessen mit Jack verbringen sollte, leuchtete ihr nicht so recht ein. Andererseits hätte sie es auch als unhöflich empfunden, die Einladung zum Grillen abzulehnen. Insgeheim hoffte sie, dass Pippa aufwachen und so laut brüllen würde, dass Brittney gar nichts anderes übrig blieb, als sie zu bitten, nach Hause zu kommen.

Natürlich blieb ihr Handy stumm.

„Sieht so aus, als hätte Matt für alles gesorgt“, sagte Jack, als er mit einem Teller voller Steaks vom Grill kam. „Es gibt grünen Salat, Folienkartoffeln und Brötchen.“

„Er hätte sich doch nicht so viel Mühe machen müssen.“ Georgia plagte das schlechte Gewissen, weil er das Essen nicht selbst genießen konnte. „Ein Hamburger hätte mir vollkommen gereicht.“

„Offenbar findet mein Bruder, dass Sie die Mühe wert sind“, entgegnete er.

Es war ein zweischneidiges Kompliment, und Georgia hatte den Eindruck, dass er selbst nicht wirklich davon überzeugt war.

Er legte ein Steak auf ihren Teller. „Well done.“

„Ich mag mein Steak lieber medium.“

„Matt hat mir eingeschärft, dass ich es gut durchbraten soll – wegen der Bakterien.“

Sie lächelte schief. „Kümmert er sich immer so gut um alle?“

Jack häufte einen Löffel saure Sahne auf seine gebackene Kartoffel. „Er und Luke – typisch Ärzte eben.“

„Was machen Sie denn?“, fragte Georgia.

„Ich bin ein herzloser Anwalt“, grinste er.

Sie schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht.“

„Ich kann es Ihnen beweisen – ich habe einen Abschluss.“

„Das bezweifle ich nicht. Aber die Herzlosigkeit.“

„Es gibt einige Frauen in der Stadt – inklusive meiner Ex-Frau –, die Ihnen das sofort bestätigen werden.“

„Aber Sie stehen Ihren Brüdern doch sehr nahe und sind immer für sie da“, wandte sie ein.

Das leugnete er nicht.

„Und aus irgendeinem Grund haben Sie etwas dagegen, dass Matt und ich Freunde werden könnten.“

„Ich habe überhaupt nichts gegen Ihre Freundschaft“, protestierte er.

„Aber?“

„Aber – und ich weiß, dass Matt mich dafür umbringen würde, weil ich Ihnen das verrate – er ist sehr verletzlich.“

„Glauben Sie etwa, dass ich ihn ausnutzen will?“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll“, gab Jack zu. „Ich kenne Sie ja nicht.“

„Würde es Sie beruhigen, wenn ich Ihnen versichere, dass ich weder auf der Suche nach einem Ehemann noch nach einem Vater für meine Kinder bin?“

„Nicht wirklich.“

„Warum nicht?“

„Weil ich meinen Bruder kenne, und der gibt nicht so schnell auf, wenn er etwas will.“

„Und Sie glauben, er will mich?“

„Ich weiß es“, antwortete Jack. „Weil er sich Sie reserviert hat.“

Sie stellte ihr Glas ab. „Wie bitte?“

„An dem Tag, als er eingezogen ist und Sie zum ersten Mal auf der Veranda gesehen hat, hat er uns eingeschärft, wir sollten uns zurückhalten.“

Georgia wusste nicht, ob sie amüsiert oder beleidigt sein sollte. „Ich würde sagen, drei Kinder sind genug der Warnung.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist alles eine Frage der Abwägung. Wir sind Männer, und Sie sind scharf. Für die meisten unserer Spezies überwiegen diese Faktoren alles andere.“

„Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll“, gestand sie errötend. „Danke vielleicht?“

„Das war tatsächlich ein Kompliment“, grinste er. „Gern geschehen.“

„Aber ich glaube, Sie interpretieren die Situation zwischen Ihrem Bruder und mir falsch.“

„Das bezweifle ich.“

„Selbst wenn ich an ihm interessiert gewesen wäre – ich glaube, die Begegnung mit meinen Kindern hat ihm alle romantischen Flausen ausgetrieben.“

„Wenn Sie das wirklich glauben, kennen Sie Matt schlecht.“

„Da muss ich Ihnen zustimmen“, gestand Georgia.

„Das ist vermutlich der Grund dafür, dass er Sie heute Abend zum Essen eingeladen hat“, bemerkte Jack.

„Er ist unglaublich großzügig und hilfsbereit.“

„Glauben Sie bloß nicht, dass er Sie nicht nackt sehen will.“

„Sie nehmen wohl nie ein Blatt vor den Mund, was?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich sag’s nun mal, wie es ist. Aber so sehr er sich auch wünscht, Sie nackt zu sehen, weiß ich auch, dass er Ihnen gegenüber sehr fürsorglich sein würde – was die Situation allerdings nicht weniger kompliziert macht.“

„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung“, wiederholte Georgia.

„Manchmal wissen wir selber nicht, was wir wollen, bis es vor uns steht.“

„Dieser philosophische Tiefgang passt sehr gut zu einem Mann, der behauptet, eine Frau danach zu beurteilen, wie ‚scharf ‘ sie ist.“

Er schmunzelte. „Und ich kann doch nicht gleichzeitig philosophisch und oberflächlich sein.“

Sie säbelte ein Stück von ihrem Steak ab. „Ich glaube, Sie sind nicht halb so oberflächlich, wie Sie andere glauben machen wollen.“

Darauf antwortete er nur mit einem breiten Grinsen.

Am Samstagmorgen trank Matt gerade seine erste Tasse Kaffee, als sein jüngster Bruder ins Zimmer kam.

„Was tust du denn hier?“, fragte er Luke.

„Jack hat mir von deinem Date gestern Abend erzählt.“

„Da war doch gar nichts“, gestand Matt und goss seinem Bruder ebenfalls einen Kaffee ein.

„Das hat er auch gesagt – weil du rechtzeitig zum Dienst gerufen wurdest.“

„Was heißt hier rechtzeitig? Glaubst du im Ernst, dass ich lieber im Krankenhaus bin als in der Gesellschaft einer schönen Frau?“

„Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie schön ist …“ Fragend sah Luke ihn an. „Tatsache ist auch, dass sie drei Kinder hat.“

„Ich mag Kinder.“

„Ich weiß. Ich habe den Ausdruck in deinem Gesicht gesehen, als die Knirpse in deinen Garten gekommen sind.“

„Und was war das für ein Ausdruck?“ Fragend sah Matt ihn über den Rand seiner Tasse an.

„Schmerz. Bedauern. Sehnsucht.“

Matt schnaubte verächtlich. „Das konntest du alles in einem Ausdruck sehen?“

Luke hob die Schultern. „Ich kenne dich, und ich weiß, was du durchgemacht hast.“

„Das ist Geschichte“, antwortete er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Die Wunden der missglückten Ehe und der Verlust seines Sohnes setzten ihm zwar immer noch zu, aber sie begannen zu heilen – und seitdem er Georgia und ihre Kinder kannte, hatte er sogar das Gefühl, sie würden etwas schneller heilen.

„Deine Ehe ist Geschichte, und Liam ist weg“, sagte sein Bruder. „Aber ich bezweifle, dass du den Gedanken an eine Familie ganz aufgegeben hast.“

„Wenn wir jetzt über unsere Gefühle reden wollen, brauche ich was Stärkeres als Kaffee“, entgegnete Matt.

„Ich verstehe ja, dass du dich einsam fühlst“, meinte Luke. „Aber auf die erste Frau zu fliegen, die dir über den Weg läuft …“

„Georgia ist ganz und gar nicht die erste Frau, dir mir begegnet ist“, unterbrach Matt ihn.

„Aber die erste, die du zu dir nach Hause zum Essen eingeladen hast.“

„Zu ein paar Grillsteaks. Kein Sechs-Gänge-Menü.“

Luke starrte ihn nur stumm über seinen Becher hinweg an.

„Okay“, gab Matt schließlich zu. „Ich mag sie. Was hat das schon zu bedeuten?“

„Dass du erneut Gefahr läufst, dir dein Herz brechen zu lassen. Sie war mit einem anderen Mann verheiratet – vermutlich, weil sie ihn geliebt hat –, und ihre Kinder sind von diesem anderen Mann.“

„Die Situation ist dieses Mal ganz anders“, wandte Matt ein, obwohl er die Befürchtungen seines Bruders nachvollziehen konnte. „Georgia ist Witwe.“

„Was nicht bedeutet, dass sie ihren Mann nicht immer noch liebt.“

Er wusste, dass das stimmte, aber er wusste auch, dass immer ein Knistern in der Luft lag, wenn Georgia in seiner Nähe war. Und er glaubte auch nicht, dass er der Einzige war, der das spürte.

„Ich will damit nur sagen, dass du über den Tellerrand hinausschauen solltest – oder besser: über den Gartenzaun.“

„Das tue ich ja“, frotzelte Matt.

„Du weißt, was ich meine“, brummte Luke. „Komm heute Abend mit uns zu ‚Maxie’s‘.“

„‚Maxie’s‘? Machst du Witze?“ Er und seine Brüder waren oft dort gewesen, als sie noch jünger waren. Aber die laute Musik und die noch lauteren Frauen waren inzwischen gar nicht mehr nach seinem Geschmack.

„Genau das brauchst du jetzt“, meinte Luke.

„Das bezweifle ich.“

„Komm trotzdem“, versuchte sein Bruder ihn zu überreden. „Wenn du dich nicht amüsieren solltest, werde ich nie mehr ein Wort über deinen Hang zu der schönen Nachbarin verlieren.“

Matt schnaubte verächtlich.

„Und ich zahle das Bier.“

„Na, wenn das so ist …“

Matt verbrachte den Nachmittag damit, im Keller eine zusätzliche Wand einzuziehen, weil er einen Fitnessraum einrichten wollte. Und bis dieser fertig war, konnte er das Bauen selbst als Fitnessübung betrachten.

Die Arbeit nahm ihn jedoch nicht so sehr in Anspruch, dass er nicht über Georgia nachdenken konnte. Was mochte sie wohl gerade tun? Und die Zwillinge? Ob Pippa wohl schlief? Er erinnerte sich an die ersten Monate mit Liam und wie anstrengend sie für Lindsay und ihn verlaufen waren. Sein Leben war nie so chaotisch gewesen wie damals. Trotzdem war er überrascht, als er feststellte, dass er den Trubel vermisste. Ein bisschen davon hatte er nun bei Georgia und ihren Kindern wiedergesehen.

Nachdem er den letzten Nagel eingeschlagen hatte, machte er sich, von oben bis unten staubig, auf den Weg in die Dusche. Da klingelte es an der Haustür.

Da seine Brüder eigentlich nie klingelten, sondern sofort ins Haus polterten, hoffte er eine Sekunde lang, dass es Georgia sein möge. Ein Blick durchs Seitenfenster machte seinen Wunsch allerdings rasch zunichte. Zwar sah er gebräunte und wohlgeformte Beine, den Saum eines kurzen Rocks und schlanke Arme, die einen riesigen Blumentopf hielten, in dem eine Pflanze mit glänzenden grünen Blättern wucherte. Aber es war nicht Georgia, die vor seiner Tür stand.

Er öffnete sie und tat so, als würde er vor den Blättern zurückweichen. „Ich brauche unbedingt einen Gärtner. Das Unkraut nimmt allmählich überhand.“

„Das ist kein Unkraut, sondern eine Schefflera.“

„Kelsey?“ Er schob einige Zweige beiseite und linste hindurch. Sie war nicht die Frau, an die er in den vergangenen Wochen unentwegt hatte denken müssen, aber sie gehörte zu seinen besten Freundinnen, und er war wirklich froh, sie zu sehen. „Bist du da drin?“

Seine Ex-Schwägerin stieß ihm den Topf gegen den Bauch, sodass ihm die Luft wegblieb. „Herzlichen Glückwunsch zum Einzug.“

Vorsichtig balancierte er mit dem Blumentopf rückwärts und stellte ihn auf den Boden. „Mit der Pflanze kann man ja Menschen umbringen“, stellte er fest. „Aber wahrscheinlich werde ich sie zuerst umbringen.“

„Sie ist total pflegeleicht“, versicherte sie ihm. „Lass sie nur nicht im Winter im Freien stehen. Und sie braucht viel Licht – aber kein direktes Sonnenlicht.“

„So pflegeleicht wie die meisten Frauen“, brummte er.

Lachend drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und ging an ihm vorbei in den Korridor. „Das ist ja ein tolles Haus.“

„Überrascht es dich?“

„Und wie! Kein Vergleich zu deiner Wohnung. Selbst die Möbel sind neu.“

„Ich musste einen Neuanfang machen.“

Sie nickte verständnisvoll und betrat die Küche. „Tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte. Mit einem der Kreuzfahrtschiffe machen wir gerade eine Rabattaktion, und im Reisebüro war der Teufel los.“

„Eine Kreuzfahrt wäre eigentlich ein schöneres Umzugsgeschenk als eine Pflanze.“

„Du machst doch nie Urlaub“, erinnerte sie ihn. „Du bist doch nicht mehr weggefahren seit …“

„Seit meiner Hochzeitsreise?“, hakte er nach, da sie den Satz nicht beendet hatte.

Sie zuckte zusammen. „Entschuldige bitte.“

„Ist okay. Ich bin seit drei Jahren geschieden“, sagte er.

„Ich weiß.“ Mitfühlend schaute sie ihn an.

Er wich ihrem Blick aus und öffnete den Kühlschrank. „Bier, Wein, Wasser, Saft …?“

„Saft klingt gut.“

Er füllte ein Glas mit Orangensaft und war erleichtert, dass das Thema Ex-Frau abgehakt war.

„Machen wir eine Besichtigungstour?“, fragte sie.

„Ich wollte eigentlich gerade duschen“, antwortete er. „Entweder wartest du eine Viertelstunde, oder du schaust dich schon mal alleine um.“

„Ich warte. Wenn du überhaupt Zeit hast“, fügte sie hinzu. „Vielleicht hätte ich vorher anrufen sollen.“

Er machte eine abwehrende Geste. „Du bist immer willkommen. Aber ich muss mich wirklich frisch machen.“

„Für eine heiße Verabredung heute Abend?“, neckte sie ihn.

„Ja. Mit meinen Brüdern bei ‚Maxie’s‘“, erwiderte er trocken.

„‚Maxie’s‘?“ Sie zog die Nase kraus. „Seid ihr dafür mittlerweile nicht ein bisschen zu alt?“

„Wir sind Männer“, erinnerte er sie, obwohl er ihr insgeheim recht gab. „Unsere seelische Reife hinkt unserem biologischen Alter weit hinterher.“

„Erzähl mir was Neues.“

Er brauchte nicht lange zu überlegen. „Luke hat acht Welpen, für die er gute Familien sucht.“

Kelsey stöhnte. „Erinnere deinen Bruder daran, dass er mir in den letzten fünf Jahren bereits zwei Katzen, einen Papagei und einen Leguan aufgeschwatzt hat.“

„Aber du liebst deine Menagerie doch.“

„Was nicht heißt, dass ich sie vergrößern will“, entgegnete sie.

„Brittney wollte doch schon immer einen Hund“, sagte er.

„Im Studentenwohnheim sind Tiere strengstens verboten. Sie muss sich also damit begnügen, dich zu besuchen, wenn sie nach Hause kommt.“

Entschlossen schüttelte er den Kopf. „Ich habe nicht vor, einen der Welpen zu nehmen.“ Prompt musste er allerdings daran denken, welche Freude er den Zwillingen machen würde, wenn er es täte. Und wenn die Zwillinge glücklich wären, wäre Georgia es auch …

„Du wolltest doch duschen gehen“, riss Kelsey ihn aus seinen Gedanken.

Er nickte und verließ die Küche. Vielleicht gelang es ihm, mit dem Schweiß und dem Staub von der Haut auch die Gedanken an Georgia aus seinem Kopf zu spülen.

Ein köstlicher Duft zog durch die Küche, als Georgia das Blech mit den Schokoladenkeksen aus dem Backofen zog. Spontan beschloss sie, Matt eine Schüssel hinüberzubringen – um sich dafür zu revanchieren, dass die Zwillinge in seinem Baumhaus spielen durften, wie sie sich einredete.

Auf jeden Fall war es ein guter Grund, ein paar Worte mit ihrem gut aussehenden Nachbarn zu wechseln, der darüber hinaus auch noch ein ausgesprochen liebenswürdiger, warmherziger Mensch war. Außerdem hatte er Humor. Hinzu kam, dass ihr jedes Mal das Herz weit wurde, wenn sie in seine Augen sah. Abgesehen von anderen Reaktionen ihres Körpers, über die sie lieber nicht nachdenken wollte …

Ganz in Gedanken versunken, ging sie zu seiner Haustür, die kurz, nachdem sie geläutet hatte, geöffnet wurde.

Allerdings nicht von Matt.

„Ähm …“ Georgia fehlten die Worte, als die ausgesprochen hübsche brünette Frau sie fragend anschaute.

„Sie wollen vermutlich zu Matt“, sagte die Frau.

„Ja“, gestand Georgia. „Aber ich möchte nicht stören …“

„Ich bitte Sie.“ Lachend unterbrach ihr Gegenüber sie. „Sie stören überhaupt nicht.“

„Sind Sie sicher?“

„Matt ist ein alter Freund von mir – nicht mehr. Ich bin nur gerade vorbeigekommen, um ihm ein Geschenk zum Umzug zu bringen.“ Sie trat beiseite, um Georgia hineinzulassen.

Sie hob die Schüssel mit den Keksen. „Ich wollte ihm nur …“

Ehe sie den Satz beenden konnte, tauchte Matt im Flur auf. Er hatte offenbar geduscht – seinem feuchten Haar und dem leichten Seifenduft nach zu urteilen. Strahlend lächelte er sie an, sodass ihr Herz sofort ein wenig schneller schlug.

„Tut mir leid, dass ich einfach so hereinplatze. Ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben.“

„Kelsey ist kein Besuch.“ Er zwinkerte der brünetten Frau zu.

„Habe ich es Ihnen nicht gesagt?“ Schmunzelnd sah sie Georgia an.

Georgia erwiderte ihr Lächeln, ehe sie sich an Matt wandte. „Als Sie Shanes Arm eingegipst haben, sagten Sie, dass Sie gerne Schokoladenkekse essen.“

„Das stimmt. Aber ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat …“

„Ich möchte mich für gestern Abend bedanken“, begann sie und spürte, wie sie errötete. Mit einem hastigen Blick zu Kelsey erklärte sie: „Für das Abendessen, meine ich. In dem Haus in Manhattan, wo ich gewohnt habe, gab es so etwas nicht. Die meisten Nachbarn kannte ich überhaupt nicht. Das hier ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Sie waren mir schon eine große Hilfe, und mit den Keksen wollte ich mich einfach nur bedanken.“

„Das war doch nicht nötig. Obwohl ich mich natürlich sehr darüber freue.“ Er schnupperte. „Die riechen ja köstlich.“

„Okay, dann will ich mal wieder …“

„Wie kommt Shane denn mit dem Gips zurecht?“, wollte Kelsey wissen.

Konsterniert schaute Georgia sie an.

„Brittney, die Hilfskraft im Krankenhaus und Ihre Babysitterin, ist meine Tochter“, erklärte Kelsey schmunzelnd.

„Ihre Tochter?“, fragte Georgia verblüfft. „Sie sehen nicht aus wie jemand, der schon eine siebzehnjährige Tochter hat.“

Kelsey lachte. „Oh, Sie gefallen mir wirklich.“

„Shane kommt ganz gut damit zurecht“, beantwortete sie nun Kelseys Frage. „Aber sein Bruder erfüllt ihm derzeit auch jeden Wunsch. Ich bin gespannt, wie lange das noch anhält.“

„Schläft Pippa inzwischen durch?“, wollte Matt wissen.

Sie schüttelte den Kopf.

„Koliken dauern nicht ewig“, tröstete er sie.

„Es fühlt sich nur so an“, ergänzte Kelsey.

„Das kann man wohl sagen“, seufzte Georgia.

„Dass Sie bei all dem Stress noch Zeit haben, Kekse für den neuen Nachbarn zu backen …“, wunderte Kelsey sich.

„Das geht schneller als Rasen mähen. Das hat Matt nämlich vor ein paar Tagen bei mir gemacht.“

Kelseys Blick, mit dem sie Matt musterte, war so vielsagend, dass Georgia erneut errötete.

„Wie wär’s mit einem Kaffee?“, kam Matt ihr zu Hilfe. „Dann können wir gleich die Kekse probieren.“

„Vielen Dank, aber ich hatte gerade einen Tee bei Mrs. Dunford, die auf meine Kinder aufpasst – und das schon viel zu lange.“ Sie wandte sich an Kelsey. „Nett, Sie kennengelernt zu haben.“

„Danke gleichfalls“, erwiderte Kelsey. „Vielleicht haben Sie ja beim nächsten Mal Zeit für einen Kaffee.“

„Das wäre schön.“

Matt folgte Georgia zur Tür. „Noch mal danke für die Kekse.“

„Ich danke Ihnen“, erwiderte sie. „Für alles.“

„Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein“, schmunzelte er.

„Das wäre schön. So viele Leute kenne ich hier nämlich auch noch nicht.“ Damit drehte sie sich rasch um, und Matt sah ihr nach, bis sie durch den Garten gelaufen und in ihrem Haus verschwunden war.

Lächelnd schloss er die Tür.

Es musste ja nicht bei Freundschaft bleiben.

5. KAPITEL

Matt blieb mit seinen Brüdern länger in der Bar, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Als er das Lokal weit nach Mitternacht endlich verließ, dröhnten ihm die Ohren von der lauten Musik. Weil er außerdem Muskelkater wegen der Renovierungsarbeiten in seinem Haus hatte, kam er ziemlich erschöpft gegen zwei Uhr morgens zu Hause an – und staunte nicht schlecht, als er Georgia im Schlafanzug mit Pippa auf dem Arm und den Zwillingen im Schlepptau – sie trugen ebenfalls ihre Pyjamas – zu ihrem Auto gehen sah. Pippa schrie aus Leibeskräften und drohte, die ganze Nachbarschaft aufzuwecken.

Rasch stieg Matt aus dem Wagen und lief hinüber zu Georgia.

„Was soll das denn werden?“, fragte er.

Sie schien sich gar nicht zu wundern, dass er um diese Uhrzeit auf einmal vor ihr stand. Als er sie genauer betrachtete, sah er die Tränen auf ihren Wangen.

„Ich mache eine Spritztour“, erklärte sie.

„Um diese Zeit?“

Sie schnallte die schreiende Pippa im Babysitz fest. „Das ist die beste Methode, um sie zu beruhigen.“ Sie machte Anstalten einzusteigen, aber er legte die Hand auf die Tür. „Lassen Sie mich fahren. Sie sehen ziemlich groggy aus.“

Sie öffnete den Mund, als wollte sie protestieren, doch dann ging sie um das Auto herum und stieg auf den Beifahrersitz. Offenbar war sie sogar zu müde, um mit Matt zu diskutieren.

Kaum war Matt ein paar Kilometer gefahren, hatte Pippa sich beruhigt. Sie schlief genauso tief und fest wie die Zwillinge, die neben ihr auf der Rückbank saßen. Und mit einem Seitenblick stellte er fest, dass auch Georgia eingeschlafen war.

Er fuhr zurück zu ihrem Haus. Glücklicherweise hing der Haustürschlüssel am selben Schlüsselring wie der Autoschlüssel, sodass er die Tür aufschließen und die Kinder nacheinander in ihre Betten legen konnte. Zum Schluss berührte er die immer noch schlafende Georgia sanft an der Schulter.

Sie öffnete die Augen und schaute sich erstaunt um. „Was … wo …?“

„Wir sind zu Hause“, beruhigte er sie.

Sie drehte sich um. „Wo sind die Kinder?“

„Sie liegen in ihren Betten und schlafen tief und fest.“

„Wirklich?“

„Jetzt sind Sie dran.“

„Gut.“ Sie ließ sich von ihm aus dem Wagen helfen. „Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin.“

„Offenbar haben Sie es gebraucht.“

„Ich denke auch.“ Sie legte eine Hand vor den Mund, um ihr Gähnen zu verbergen.

Er brachte sie bis in den Korridor. „Ich wünsche Ihnen süße Träume, Georgia.“

Sie war so erschöpft, dass sie sich nicht einmal für seine Wünsche bedankte.

Um acht Uhr am Morgen wachte Georgia auf – und geriet sofort in Panik. Sie hatte Pippa seit mehr als sechs Stunden lang nicht gefüttert. Noch nie hatte ihr Baby so lange geschlafen, ohne aufzuwachen. Sie sprang aus dem Bett – und ihre Panik wurde noch größer, als sie Pippas Wiege leer vorfand. Auch die Zwillinge lagen nicht in ihren Betten. „Pippa? Shane? Quinn?“, rief sie so laut, dass sie im ganzen Haus zu hören sein musste.

„Sie sind hier!“, kam Matts Stimme aus dem Wohnzimmer. Dort saß er mit Pippa im Arm auf dem Sofa, Quinn und Shane an seiner Seite. Im Fernsehen lief ein Zeichentrickfilm. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich, als er ihren besorgten Blick sah.

„Jetzt schon.“ Sie nahm Pippa auf den Arm. „Ich wusste nicht, dass Sie noch im Haus sind.“

„Ich dachte, ich tue Ihnen einen Gefallen und lasse Sie schlafen … Und ich bin dann einfach auf der Couch sitzengeblieben – für den Fall, dass eines der Kinder aufwacht und Sie noch einmal weckt …“

„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

„Haben Sie Hunger? Soll ich Ihnen ein Sandwich machen?“

Sie lachte. „Wenn ich Ihre Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft schon bis hierhin strapaziert habe, gibt es eigentlich keinen Grund, sie noch weiter zu strapazieren.“

„Sie haben vollkommen recht“, versicherte er ihr. „Und ich kann meinen Brüdern endlich erzählen, dass wir zusammen gefrühstückt haben.“

Sie wusste, dass er nur Spaß machte. Dennoch ließ die Doppeldeutigkeit seiner Bemerkung ihr Herz schneller schlagen. „Kann ich vorher duschen?“, fragte sie, als ihr bewusst wurde, dass ihr Haar zerzaust und ihr Pyjama zerknautscht war.

„Reichen zwanzig Minuten?“

Sie nickte und drehte sich um.

„Wollen Sie Pippa mit unter die Dusche nehmen?“, fragte er schmunzelnd.

„Nein, aber sie hat bestimmt Hunger.“

„Dafür ist sie aber sehr still.“ Sein Lächeln wurde breiter.

„Das stimmt …“ Fast besorgt betrachtete sie das schlafende Baby in ihrem Arm.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigte er sie. „Ich habe ihr vor einer Stunde ein Fläschchen gegeben.“

Sie riss die Augen auf. „Ein Fläschchen …?“

„Ich habe im Kühlschrank eine Flasche mit Ihrer abgepumpten Milch entdeckt.“

Georgia war beeindruckt und gleichzeitig überrascht. Bisher hatte Pippa sich konsequent geweigert, aus der Flasche zu trinken. „Und sie hat die Flasche angenommen?“

„Sie hatte Hunger“, sagte er nur.

Lächelnd legte sie Pippa in die Wiege. „Sie übertreffen sich wirklich selbst.“

„Es war nichts Besonderes“, wehrte er ab.

Für Georgia schon – vor allem die sechs Stunden ununterbrochenen Schlafs. „Wo haben Sie eigentlich geschlafen?“, wollte sie wissen.

„Auf Ihrer Couch im Wohnzimmer. Was eigentlich Grund genug sein dürfte, um endlich ‚du‘ zu sagen.“

Ihre Wangen röteten sich. „Ja, gern … wenn Sie … wenn du meinst. Aber die Couch war doch bestimmt sehr unbequem?“

„Meine Liege im Krankenhaus ist viel unbequemer.“

„Ich hoffe, dass du heute nicht arbeiten musst.“ Das Du ging ihr noch ein wenig schwer über die Lippen. Aber es gefiel ihr …

„Ich hatte vier Zwölfstundenschichten an vier aufeinander folgenden Tagen – plus Notdienst. Heute habe ich frei.“

„Dann solltest du doch eigentlich im Bett liegen.“

Er grinste. „Ist das eine Einladung?“

„Nein“, antwortete sie fast erschrocken. Obwohl sie sich durchaus mit dem Gedanken anfreunden konnte, wie sie insgeheim feststellte. „Ich meine nur, es wäre besser für dich gewesen, als auf meine Kinder aufzupassen.“

„Ich mag deine Kinder.“ Er trat einen Schritt näher. „Und ich mag dich.“ Er schob eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

Es war eine kurze, fast kaum spürbare Berührung. Trotzdem erschauerte sie. Und dann räusperte sie sich verlegen.

„Ich … ähm … ich gehe dann mal duschen.“ Fast wäre sie aus dem Zimmer gerannt.

Während Matt das Frühstück machte – mit tatkräftiger „Unterstützung“ von Quinn und dem einarmigen Shane, der einmal die Milch umstieß und ein Ei zu Boden fallen ließ –, fragte er sich die ganze Zeit, was er da eigentlich tat.

Doch die Antwort lag klar auf der Hand: Er wollte so viel Zeit wie möglich mit Georgia verbringen. Abgesehen von der Tatsache, dass sie Witwe war, wusste er allerdings recht wenig über sie. War ihre Ehe glücklich gewesen? Liebte sie ihren Mann immer noch und trauerte um ihn? Was erwartete sie von der Zukunft?

Natürlich hatte er auf keine dieser Fragen eine Antwort. Er wusste nur, dass er sich sehr zu ihr hingezogen fühlte – und dass er ihre Kinder ins Herz geschlossen hatte. Sie waren eine Familie ohne Vater – und er wäre sehr gerne wieder Vater.

Genau das war sein Problem. Er war sich nicht sicher, ob er seine Zuneigung zu Georgia von seiner Liebe zu den Kindern würde trennen können. Je näher sie sich kamen, umso komplizierter würde es werden. Er musste also dafür sorgen, dass sein Verhältnis zu ihnen nicht zu eng wurde.

Und damit würde er nach dem Frühstück anfangen.

Als Georgia nach der Dusche hinunter in die Küche ging, stieg ihr der Duft von frischem Kaffee und Speck in die Nase. Doch die Küche war leer.

„Wir sind hier!“, hörte sie Quinns Stimme aus dem Wohnzimmer. Sie trat ein – und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Der Tisch war für vier Personen gedeckt. Das Geschirr – Micky-Maus-Teller, Blümchentassen und quietschbunte Becher – passte zwar überhaupt nicht zusammen, aber noch nie war Georgia ein Frühstückstisch so einladend erschienen.

Gerührt musste sie schlucken. „Da hat sich aber jemand sehr viel Mühe gegeben.“

„Das haben wir alle zusammen gemacht“, verkündete Quinn stolz.

„Wirklich?“ Sie vermied es, in Matts Richtung zu blicken, damit er ihre Tränen nicht sah.

„Bis auf Pippa“, ergänzte Shane. „Die hat nur in der Wiege rumgelegen.“

Georgia schmunzelte. „Das habt ihr großartig gemacht.“ Jetzt schaute sie doch zu Matt. „Vielen Dank.“

„Gern geschehen.“ Er zog einen Stuhl für sie hervor. „Jetzt setz dich, bevor das Essen kalt wird.“

Folgsam schnitt sie ein Stück von ihrem Schinkensandwich ab und steckte es in den Mund.

„Schmeckt es dir, Mommy?“, fragte Shane gespannt.

„Das ist das beste Sandwich, das ich jemals gegessen habe“, versicherte sie ihm, und er strahlte übers ganze Gesicht.

Kaum hatten die Zwillinge zu Ende gefrühstückt, sprangen sie von ihren Stühlen, sammelten ihre Micky-Maus-Teller ein und stellten sie in die Spüle, ehe sie in ihr Zimmer hinaufpolterten, um zu spielen.

„Danke“, sagte sie nochmals zu Matt. „Nicht nur für das Frühstück, sondern weil die Jungen dir helfen durften.“

„Es hat uns allen sehr viel Spaß gemacht“, erwiderte er nur.

„Darf ich Sie etwas fragen?“

„Dich.“

„Wie bitte?“ Verwirrt sah sie ihn an.

„Darf ich dich etwas fragen?“

Jetzt verstand sie ihn und lächelte. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Klar.“

„Warum bist du nicht verheiratet?“

Die direkte Frage schien ihn zu überraschen. Um Zeit zu gewinnen, nahm er einen Schluck Kaffee. „Ich war es“, antwortete er schließlich. „Inzwischen bin ich geschieden.“

„Entschuldige.“ Das schlechte Gewissen war ihr förmlich anzusehen. „Ich wollte nicht …“

„Kein Problem“, unterbrach er sie. „Die Scheidung liegt schon drei Jahre zurück. Ich bin darüber hinweg. Weitestgehend.“

„Weitestgehend?“

Er zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht leicht, den Verlust von jemandem zu akzeptieren, den man wirklich mochte.“

Das verstand sie nur zu gut. Obwohl ihr klar war, dass es sie nichts anging, fragte sie trotzdem: „Liebst du sie noch?“

„Nein.“ Die Antwort kam sofort, verstärkt durch ein energisches Kopfschütteln. „Was auch immer wir füreinander gefühlt haben, war längst vorbei, als wir die Scheidungspapiere unterschrieben haben.“

„Warum triffst du dich denn nicht mit anderen Frauen?“

„Woher willst du wissen, dass ich das nicht tue?“, fragte er provozierend.

„Weil du die Samstagnacht auf meiner Couch verbracht hast.“

Er grinste wie ein ertappter Schuljunge. „Na gut. Ich treffe mich nicht mit anderen Frauen.“

„Warum nicht?“, wiederholte sie.

„Mit ein paar bin ich ausgegangen. Ich habe aber keine getroffen, mit der ich eine engere Verbindung hätte haben wollen.“

„So toll, wie du mit meinen Kindern umgehst, hätte ich gedacht, dass du selbst ein halbes Dutzend hast“, sagte sie.

Er vermied ihren Blick, als er den Kopf schüttelte. „Nein.“ Und als ob er das Thema beenden wollte, kitzelte er Pippas nackte Füße. Das Baby, das ihm gegenüber am Tisch saß, krähte begeistert.

„Wenn sie glücklich ist, ist sie sehr glücklich, nicht wahr?“

Lächelnd betrachtete sie ihre Tochter. „Ja. Und dann vergesse ich sofort, dass sie mir das Leben in den vergangenen Wochen ganz schön schwer gemacht hat.“

Er ging in die Küche, um seinen Kaffeebecher aufzufüllen. „Wann kommt deine Mutter aus Las Vegas zurück?“, erkundigte er sich, als er zurückkam.

„Eigentlich wollte sie gestern nach Hause kommen.“

„Eigentlich?“

„Aber jetzt hat sie sich entschieden, direkt nach Montana zu gehen.“

Er nahm einen Schluck Kaffee. „Warum Montana?“

„Weil dort ihr neuer Mann lebt.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wann hat sie denn geheiratet?“

„Vor ein paar Tagen.“

„Und du bist gegen diese Ehe?“, mutmaßte er.

„Ich kenne ihn überhaupt nicht“, gestand sie. „Und sie kannte ihn auch nicht, bevor sie sich zufällig an einem Baccara-Tisch gegenübersaßen.“

Seine Lippen verzogen sich. „Sie ist eben eine Romantikerin.“

„Das ist ein netteres Wort als das, was ich gewählt hätte“, konterte sie.

„Ich nehme mal an, du bist keine Romantikerin?“

„Ich denke, ich bin ein bisschen … pragmatischer veranlagt.“ Es fiel ihr so leicht, ihm Dinge zu gestehen, über die sie noch nie mit jemandem gesprochen hatte – selbst mit ihren Schwestern nicht. Wäre da nicht jedes Mal dieses Kribbeln auf ihrer Haut, wenn sie zusammen waren, hätte sie denken können, dass sie beste Freunde seien.

„Du hast dich nie Hals über Kopf verliebt?“, wollte er wissen.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich liebe es, einen kühlen Kopf zu bewahren.“

„Verstehe.“ Er grinste verschmitzt. „Schade eigentlich. Du weißt nicht, was dir entgeht.“

Weil sie darauf nichts zu erwidern wusste – und weil sie seinem Blick nicht länger standhalten konnte –, erhob sie sich und begann, den Tisch abzuräumen. Er stapelte ebenfalls ein paar Teller aufeinander und folgte ihr in die Küche. „Das ist doch nicht nötig“, meinte sie nur, als er das Geschirr auf die Spüle stellte. „Du hast doch schon das Frühstück zubereitet.“

„Wer das Geschirr schmutzig macht, muss es auch wieder saubermachen“, konterte er. „Außerdem helfe ich dir gerne.“

„Du bist ein wirklich guter Mensch, Matt Garrett.“

„Sag das bloß nicht zu laut“, warnte er sie. „Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.“

„Stimmt. Jedes Mal, wenn ich durch die Stadt laufe, höre ich von allen möglichen Menschen, dass du Tausende von Herzen gebrochen hast. Und das schon seit der Highschool.“ Sie begann, Tassen und Teller in den Geschirrspüler einzuordnen. „Obwohl es Gerüchte gibt, dass du inzwischen ein verantwortungsvoller Staatsbürger geworden bist.“

„Das ist wirklich nur ein übles Gerücht“, versicherte er ihr. „Glaub es bloß nicht.“

Ehe Georgia etwas erwidern konnte, polterte Shane in die Küche. „Ich habe ein Krankenhaus mit meinen Bauklötzen gebaut“, verkündete er.

Seit er in der Woche zuvor in der Notaufnahme behandelt worden war, hatte er ein großes Interesse an Krankenhäusern entwickelt.

„Soll ich es mir anschauen?“, fragte Georgia.

Er nickte und warf Matt einen schüchternen Blick zu. „Dr. Matt auch.“

„Das mache ich doch gerne“, sagte Matt und reichte ihm seine Hand. Der kleine Junge zögerte keine Sekunde, um sie zu ergreifen. Georgia traten die Tränen in die Augen, als sie den beiden hinterher sah. Rasch wischte sie sie fort, ehe sie ihnen folgte. Shane war normalerweise Fremden gegenüber nicht so vertrauensselig. Nun gut, Matt war kein Fremder. Immerhin wohnte er nebenan und hatte dem Jungen den Arm eingegipst und dafür gesorgt, dass seine Schmerzen nachließen. Aber Georgia vermutete, dass da noch mehr war zwischen dem Arzt und ihrem Jungen. Darüber würde sie noch einmal nachdenken müssen.

Als sie das Kinderzimmer betrat, hockte Matt bereits vor dem „Krankenhaus“, das die Zwillinge gebaut hatten. Er bewunderte Shanes „handwerkliche Fähigkeiten“ – „und das mit einer Hand“, wie er anerkennend feststellte – und lobte Quinn für den „kreativen Bauplan“ der Feuerwehrstation. „Da sind ja noch genug Klötze übrig, um eine ganze Stadt zu bauen“, meinte er.

„Willst du uns helfen?“, fragte Quinn, doch Shane schüttelte nur den Kopf. „Dr. Matt hat bestimmt keine Zeit. Daddy hatte ja auch nie Zeit, mit uns zu spielen.“

Die Worte trafen Georgia mitten ins Herz. Zugegeben, Phillip hatte immer sehr viel zu tun gehabt und war oft unterwegs gewesen. Aber sie hatte nicht geglaubt – oder nicht glauben wollen –, dass die Kinder so sehr darunter gelitten hatten. Auch Matt musste schlucken, als er das hörte.

„Manche Erwachsene haben leider nicht die Zeit, um zu spielen“, tröstete er. „Aber manchmal müssen sie auch spielen – um zu zeigen, dass sie noch Kinder sind.“

„Bist du denn noch ein Kind?“, wollte Quinn wissen.

„Na klar“, antwortete Matt und begann, die Bauklötze aufeinanderzustapeln.

Georgia ließ die drei allein und ging zurück in die Küche, um das restliche Geschirr in die Spülmaschine zu stellen. Matt und die Zwillinge hatten ein ziemliches Durcheinander bei der Zubereitung des Frühstücks angerichtet, aber im Vergleich zu dem, was Matt für sie alles getan hatte, war es kaum der Rede wert. Er hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie sechs Stunden am Stück schlafen konnte, sondern auch noch das Essen für sie gemacht. Und jetzt spielte er mit ihren Kindern, obwohl die Nacht auf dem Sofa alles andere als bequem für ihn gewesen sein musste.

Doch bei aller Dankbarkeit, die sie Matt gegenüber empfand, war sie auch auf der Hut. Es war unübersehbar, dass die Zwillinge ihren neuen Nachbarn bereits anbeteten, und sie befürchtete, dass sie zu viel von ihm erwarten könnten. Letztlich würde Matt nicht bleiben, dessen war sie sich sicher. Schließlich war in ihrem Leben noch kein Mann bei ihr geblieben.

Wenn das zynisch klang – nun gut, sie hatte allen Grund dazu, zynisch zu sein. Ihr eigener Vater hatte sie verlassen, als sie nicht einmal drei Jahre alt war, und die drei Stiefväter, die sie kennengelernt hatte, waren auch nicht viel länger geblieben. Und die flüchtigen Beziehungen, die sie als Teenager gehabt hatte, hatten ihre Meinung auch nicht ändern können. Erst als sie Phillip getroffen hatte, hatte sie begonnen, hoffnungsvoller in die Zukunft zu schauen und Vertrauen gefasst. Aber auch dieses Mal war sie enttäuscht worden.

Natürlich hatte ihr Mann sie nicht freiwillig verlassen – aber das Ergebnis war am Ende das gleiche. Er war gegangen, und sie war allein. Nun ja, nicht ganz allein. Und sie würde Phillip immer für die drei wunderbaren Kinder dankbar sein.

Obwohl sie die meiste Zeit glücklich zu sein schienen, sorgte sie sich dennoch um die drei – wegen der Lücke in ihrem Leben, die nur ein Vater füllen konnte.

Seit Phillips Tod hatte Georgia sich oft gefragt, ob Charlottes wechselnde Partnerschaften möglicherweise der Versuch sein sollten, ihren Töchtern so etwas wie eine Familie zu geben. Inzwischen waren die Töchter zwar erwachsen – aber Charlotte folgte immer noch konsequent ihrem Herzen, egal, wo es sie hinführen mochte.

Georgia hatte nicht die Absicht, es ihr gleichzutun – vor allem nicht, um einen passenden Vater für ihre Kinder zu finden. Nicht noch einmal wollte sie ihr Herz aufs Spiel setzen – und vor allem wollte sie vermeiden, dass die Kinder ihr Herz an einen Mann hängten, von dem sie hofften, dass er ihr Ersatzvater werden könnte.

Als sie jedoch die Zwillinge in ihrem Zimmer ausgelassen lachen hörte, fragte sie sich, ob ihre Befürchtungen nicht bereits zu spät kamen …

In der folgenden Woche hielt Matt sich von seiner Nachbarin und ihren Kindern fern. Die Arbeit im Krankenhaus nahm ihn voll in Beschlag. Das war auch in Ordnung für ihn. Wenn er an seine nächsten freien Tage dachte, wurde ihm jedoch ein bisschen mulmig.

Es war ihm schon zur Gewohnheit geworden, Georgia und ihre Kinder fast jeden Tag zu sehen, selbst wenn es bei einer kurzen Unterhaltung auf der Straße blieb. Er vermisste Quinns hartnäckige Fragen, Shanes Aufmerksamkeit, wenn er sie beantwortete, und das Strahlen in Pippas Augen, wenn sie ihn erblickte. Aber am meisten vermisste er es, Zeit mit Georgia zu verbringen.

Jedes Mal, wenn er in seine Einfahrt einbog, wanderte sein Blick automatisch zum Nachbarhaus. Mehr als einmal war er versucht gewesen, einfach bei ihr zu klingeln, um zu sehen, wie es ihr ging – und ob die Ringe unter ihren Augen verschwunden waren. Viel zu häufig hatte er bereits den Weg zu ihrer Haustür eingeschlagen, ehe ihm sein gesunder Menschenverstand sagte, es sei besser zurückzugehen.

Stattdessen renovierte er seinen Keller weiter. Er spachtelte die Löcher in den Wänden aus, verputzte sie und strich sie an. Die körperliche Arbeit lenkte ihn ein bisschen von seinen Gedanken an Georgia ab. Er ging ein paar Mal mit seinen Brüdern aus und musste sich spitze Bemerkungen über seine „neue schöne Nachbarin“ anhören, an der er offenbar einen Narren gefressen hatte. Es fiel ihm leichter, ihre Sticheleien auszuhalten, als zuzugeben, dass noch gar nichts zwischen ihnen gelaufen war. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Matt war fast trotzig.

Und ständig versuchte Luke bei ihren Treffen den Brüdern weiszumachen, dass ein Leben ohne Hunde einfach nicht vollkommen wäre. Fünf der Welpen hatte er mittlerweile gut untergebracht, einen wollte er für sich behalten. Also waren noch zwei zu vergeben.

Jack, der in einer teuren Penthauswohnung lebte, blieb standhaft. Er hätte weder die Zeit noch die Kraft für einen kleinen Hund, argumentierte er – einmal abgesehen davon, was ein unerzogener Hund mit seinen Designermöbeln anstellen würde.

Also konzentrierte Luke seine Überredungskünste ganz auf Matt. Der konnte zwar die meisten seiner Argumente widerlegen, aber nicht die Begeisterung und Freude auf den Gesichtern von Quinn und Shane vergessen, als sie in seinem Garten mit den Hunden gespielt hatten. Und er konnte auch nicht die Sehnsucht in Shanes Stimme vergessen, als er seine Mutter angefleht hatte: „Wir wollen einen Hund.“

Matt wusste, dass er auf verlorenem Posten stand, denn er konnte nichts ausschlagen, was ein Lächeln auf die Gesichter der Jungen zauberte – und vielleicht auch auf Georgias Gesicht.

6. KAPITEL

Matt ging ihr aus dem Weg.

Georgia wusste zwar nicht, warum, aber er tat es.

Eigentlich sollte der Grund für Georgia überhaupt keine Rolle spielen. Wichtig war, dass er tat, was sie von ihm erwartet hatte: Er hielt sich von ihr fern. Trotzdem fragte sie sich, warum. Immerhin waren sie ja Nachbarn – Freunde sogar, wie er selbst gesagt hatte –, und sie wollte auf keinen Fall, dass peinliche Gefühle aufkamen, wenn sie einander zufällig begegneten.

Mehr als eine Woche, nachdem er das Frühstück für sie zubereitet hatte, saß sie auf der Veranda und hoffte, ihn abfangen zu können, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.

Als sie das Brummen seines Wagens hörte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie war entsetzlich nervös und zweifelte einen Moment lang daran, ob sie das Richtige tat. Vielleicht war er ihr ja gar nicht aus dem Weg gegangen. Vielleicht hatte er einfach nur viel zu tun. Oder – und das war eine Möglichkeit, die sie ein wenig beunruhigte – vielleicht hatte er nach dem Frühstück nachgedacht und begonnen, mit einer anderen auszugehen. Es hätte schon ein Zeichen sein müssen, dass eine Frau aufgemacht hatte, als sie bei ihm geklingelt hatte.

Und wenn sie ohne einen besonderen Grund um zehn Uhr abends vor seiner Tür stand, sah es möglicherweise so aus, als hätte sie auf ihn gewartet. Und das durfte er auf keinen Fall wissen. Eine Einsicht, die dafür sorgte, dass sie sich noch lächerlicher vorkam.

Sie wollte gerade ins Haus gehen, als das Licht auf Matts Veranda aufflammte und er hinaustrat. Allein.

Mit einem Bier in der Hand setzte er sich auf die oberste Stufe und stützte einen Arm aufs Knie.

Georgia zögerte. Er wirkte ziemlich erschöpft. Und sie änderte ihre Meinung. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Kinder tief und fest schliefen, durchquerte sie den Garten zum Nachbargrundstück.

Obwohl er tief in Gedanken versunken zu sein schien, hob er sofort den Kopf, als sie näher kam. „Georgia!“ Überrascht sah er sie an. Und dann verdunkelte sich sein Blick.

Es bestätigte ihr, was sie bereits vermutet hatte: Er war ihr aus dem Weg gegangen. Aus welchem Grund auch immer. Doch das war ihr in diesem Moment egal. Er sah einfach zu elend aus.

„Schwerer Tag?“

Er nickte nur.

Unaufgefordert setzte sie sich neben ihn. „Kann ich was für dich tun?“

Er schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Das Schweigen zwischen ihnen wurde nur vom Ruf einer Eule in der Ferne unterbrochen.

„Möchtest du darüber reden?“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Nicht wirklich.“

Sie wartete eine Minute in der Hoffnung, dass er seine Meinung ändern würde. Doch als er weiterhin schwieg, rappelte sie sich auf.

„Aber ich hätte nichts dagegen, wenn du eine Weile bleibst“, sagte er. „Eigentlich wollte ich allein sein, aber das ist hier und jetzt keine gute Idee.“

Sie warf einen Blick zu ihrem Haus hinüber. Es war zwar nur ein paar Meter entfernt, aber sie hatte kein ruhiges Gefühl, wenn die Kinder allzu lange allein blieben, auch wenn sie schliefen. „Würdest du mit deinem Bier rüberkommen?“

„Wegen der Kinder?“

„Ja. Ich komme mir immer ein bisschen albern vor, wenn ich dieses Ding an mir habe …“ Sie klopfte auf das Babyfon an ihrer Hüfte. „Aber ich bin lieber in ihrer Nähe.“

„Das ist überhaupt nicht albern“, entgegnete er und stand auf. „Es wäre schön, wenn alle Eltern so fürsorglich wären.“

Sie hatte das Gefühl, dass seine Bemerkung etwas mit seiner düsteren Stimmung zu tun hatte, und fragte sich, was im Krankenhaus geschehen sein mochte. Aber er hatte ihr ja bereits gesagt, dass er nicht darüber reden wollte, und sie hütete sich, zu neugierig zu sein.

Als sie auf ihrer Veranda saßen, beschloss sie, ihm einiges über sich zu erzählen. Auch wenn er ihr nicht verraten wollte, was ihn quälte, half es ihm vielleicht, wenn er einfach nur redete.

„Es ist so still und friedlich hier …“ Sie lächelte schief. „Wenn Pippa nicht schreit. Zuerst erschien es mir zu ruhig. Es hat wirklich eine Weile gedauert, nachdem ich so lange in Manhattan gewohnt habe, bis ich mich an das Leben auf dem Land gewöhnt habe. Inzwischen sitze ich oft auf der Veranda und höre den Grillen zu. Dann empfinde ich einen Frieden, den ich nirgendwo sonst gefunden habe.“

„Für mich war das immer selbstverständlich“, gestand er. „Ich bin hier aufgewachsen und kannte praktisch nichts anderes. Während meiner Zeit im College habe ich diese Stadt umso mehr schätzen gelernt.“

„Ich wollte das Landleben eigentlich nie. Aber jetzt kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen, um meine Kinder aufwachsen zu sehen. Ich möchte, dass sie im Garten spielen können, Schmetterlinge jagen und in den Laubhaufen springen, den wir zusammengefegt haben.“

„Du wirst eine Menge Laubhaufen haben“, sagte er mit einem Blick auf die zahlreichen Bäume in ihrem Garten. „Wahrscheinlich mehr, als dir lieb ist.“

„Glücklicherweise habe ich einen sehr hilfsbereiten Nachbarn, der schon eine Menge für mich getan hat.“

„Rasenmähen macht mir Spaß“, gestand er. „Man kann dabei so wunderbar über alles nachdenken. Vor allem ist es ein schöner Ausgleich nach einer Zwölf-Stunden-Schicht.“

„Dann kannst du dich ja schon auf das Schneeschippen im Winter freuen.“

„Ach, es gibt angenehmere Formen der Stressbewältigung“, erwiderte er.

Der Gedanke, der ihr prompt kam, ließ sie erröten. Hoffentlich bemerkte er es nicht. „Über den Grund für den Stress zu reden kann auch helfen.“

„Ich habe nicht vom Reden gesprochen“, sagte er.

„Ich weiß. Aber es kann helfen. Und wann immer du reden möchtest, höre ich dir gerne zu.“

Schweigend dachte er über ihr Angebot nach. Sie rechnete nicht damit, dass er sich ihr gegenüber öffnete. Er schien nicht über das, was ihn beschäftigte, reden zu wollen, aber schließlich sagte er: „Ich habe heute ein vierjähriges Mädchen wegen einer Spiralfraktur operiert.“

„Was ist denn eine Spiralfraktur?“

„Es ist ein Bruch, der passieren kann, wenn die Knochen einer Drehbewegung nachgeben. Das passiert oft beim Skifahren. Die Füße stecken in Stiefel, die an Skiern festgemacht sind, und wenn der Ski sich dreht, dreht sich das Bein automatisch mit.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie im Mai hier in der Gegend Ski gefahren ist.“

„Ist sie auch nicht. Und es war ihr Arm.“

Sie brauchte nicht lange für ihre Schlussfolgerung. „Ist sie etwa misshandelt worden?“

„Die Mutter streitet es ab, aber anhand der Röntgenaufnahme konnte man sehen, dass der Arm des Kindes schon einmal gebrochen war und nicht richtig verheilt ist, weil der Bruch nicht behandelt worden war. Beim Operieren musste ich deshalb die nicht richtig verheilte Stelle auch noch einmal brechen und ordentlich zusammenfügen.“

„Und sie war erst vier Jahre alt?“

Er nickte.

„Okay, das war wirklich ein harter Tag“, stimmte sie ihm zu.

„Ach, jetzt geht’s mir schon wieder besser.“

Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen federleichten Kuss auf die Lippen. Er dauerte nur wenige Sekunden.

Er versteifte sich. „Wofür war das denn?“

„Das war ein Kuss zum Trost“, erklärte sie ihm. „Um deinen Schmerz zu lindern.“

Georgia wollte sich wieder zurückziehen, doch er schlang seinen Arm um ihre Hüfte und hielt sie fest.

„Im Moment spüre ich eine ganze Menge“, erklärte er ihr. „Aber Schmerz gehört nicht dazu.“

Ihre Augen wurden groß, und ihre Halsschlagader pochte.

„Ich glaube, wir kommen etwas vom Thema ab“, wich sie aus.

„Wirklich? Oder sind wir gerade bei dem Thema, über das wir schon lange reden wollten?“

„Wie können wir über etwas reden, wenn du mir die ganze Woche aus dem Weg gehst?“

Er lächelte flüchtig. „Hast du mich etwa vermisst?“

„Ja.“ Sie klang ein wenig gekränkt. „Drei Wochen lang konnte ich nicht vor die Tür treten, ohne dir über den Weg zu laufen, und dann, gerade als ich mich an dich als Nachbarn gewöhnt hatte und nach dir Ausschau gehalten habe, bist du auf einmal verschwunden.“

„Falls es dich beruhigt: Ich habe dich auch vermisst. Sehr sogar.“

Ihre Miene wurde sanft. „Die Jungs haben mich gefragt, warum du nicht mehr mit ihnen spielen willst.“

„Tut mir leid.“ Er meinte es wirklich so.

„Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich möchte nur wissen, ob ich irgendetwas Falsches gesagt oder getan habe …“

„Nein“, versicherte er ihr. „Es liegt allein an mir.“

„Warum?“

„Weil ich das hier verhindern wollte …“ Und damit beugte er sich zu ihr und küsste sie.

Sie verharrte reglos und mit geöffneten Augen – als wollte sie vermeiden, an diesem Kuss beteiligt zu sein. Dennoch war sie nicht immun gegen seine Berührungen – die Hand auf ihrem Rücken, die sich langsam nach unten bewegte, seine Lippen, die ihren Mund berührten. Ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Kehle, und dann schloss sie doch die Augen.

Seine Zunge spielte mit ihren Lippen. Er wollte ausprobieren, wie weit er gehen konnte – wie weit sie zu gehen bereit war. Sie legte die Hand auf seine Brust, und fast rechnete er damit, dass sie ihn wegstoßen würde. Es hätte ihn zwar enttäuscht, aber nicht überrascht. Stattdessen fuhr sie mit den Händen über seine Schultern, verschränkte die Finger in seinem Nacken und lehnte sich näher an ihn, sodass er ihre Brüste an seinem Oberkörper spürte.

Als er seine Hand unter ihr T-Shirt schob und ihre nackte Haut berührte, erschauerte sie und seufzte vor Lust. Es war ein Zeichen, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie.

Er löste sich von ihren Lippen und sah ihr tief in die Augen, in denen er nun einen Anflug von Panik entdeckte. Und ihre Worte bestätigten seine Befürchtung.

„Das war keine gute Idee“, murmelte sie.

„Das sehe ich nicht so.“

„Wir sind Nachbarn und – hoffentlich – gute Freunde.“

„Das ist doch schon mal ein guter Start für eine Beziehung.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung.“

„Weil du immer noch um deinen Mann trauerst“, vermutete er.

„Weil ich mich um meine Kinder kümmern muss“, korrigierte sie ihn. „Da bleibt mir keine Zeit für eine romantische Beziehung.“

„Okay – lassen wir die Romantik eine Weile beiseite.“

„Wozu auch das Küssen gehört.“

„Du hast mich zuerst geküsst“, erinnerte er sie.

„Aber nicht so.“

„Hat es dir nicht gefallen?“

Sie verdrehte die Augen. „Ist dein Ego so klein, dass du Komplimente brauchst?“

„Also hat es dir wirklich gefallen“, vermutete er.

„Sie scheinen ein Mann mit vielen Talenten zu sein, Dr. Garrett.“

„Und dieser Kuss war nur eine minimale Kostprobe.“

„Das habe ich befürchtet“, konterte sie.

„Aber da ist doch etwas zwischen uns“, beharrte er.

„Das ist nur eine gewisse körperliche Anziehungskraft.“

„Nein. Es ist mehr.“

Erneut schüttelte sie den Kopf. „Mehr wird es nicht werden.“

Er lächelte. „Und du glaubst, du kannst das einfach so entscheiden?“

„Ja.“ Ihr Ton war fest. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, und dazu gehört, dass ich mich nicht auf eine romantische Beziehung mit dir einlasse.“

Er glaubte, eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme zu hören. Da er sie jedoch nicht bedrängen wollte, sagte er nur: „Okay.“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Okay?“

„Du hast doch offenbar entschieden“, erwiderte er.

„Ja. Und ich weiß es zu schätzen, dass du meine Entscheidung respektierst.“

„Das tue ich auch. Aber das heißt nicht, dass ich nicht alles tun werde, um deine Meinung zu ändern.“

„Damit verschwendest du nur deine Zeit“, warnte sie ihn.

Er zuckte mit den Schultern. „Es ist doch meine Zeit, die ich verschwende“, erwiderte er nur.

„Warum solltest du deine Zeit mit mir verschwenden, wenn es doch Dutzende von Frauen in der Stadt gibt, die gerne mit dir zusammen wären?“

„Dutzende?“ Er grinste.

„Tu doch nicht so, als würdest du nicht bemerken, dass sie dir alle hinterherschauen.“

„Na ja, so war es schon in der Highschool“, gab er zu. „Es ist eine Art Fluch.“

„Und wie lange ist das her mit der Highschool?“ Wollte sie etwa das Thema wechseln?

„Fast zwanzig Jahre. Warum?“

„Weil ich in den letzten Wochen immer wieder gehört habe, dass ich die junge Frau aus New York bin, die neben Dr. Garrett eingezogen ist. Offenbar ist ihnen entgangen, dass ich vor dir hier war. Und dass du ein genialer Baseball-Spieler warst.“

„Genial?“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn sie das glauben … Hast du auch Baseball gespielt?“

„In der Highschool. Und als Kind.“

„Warst du gut?“

„Ich war nie die Erste, die für eine Mannschaft gewählt wurde, aber auch nicht die Letzte.“

„Ich hätte dich als Erste gewählt“, schmunzelte er.

„Ich spiele doch gar nicht in deiner Liga.“

„Jedenfalls hatte ich nicht den Eindruck, dass du nicht mithalten kannst.“

Sprach er noch von Baseball? „Es wird nicht wieder passieren“, antwortete sie vorsichtshalber.

„Wir werden sehen …“

„Matt“, sagte sie warnend.

„Wir sehen uns bald“, versprach er.

Mit leichten Schritten federte er über den Rasen zurück zu seinem Haus, und er wusste, dass der Kuss nur zum Teil für das Hochgefühl verantwortlich war, das er empfand. Ein anderer Grund war die Tatsache, dass er einfach mit ihr zusammen sein konnte.

Er hatte nicht mehr gewusst, wie schön es war, wenn er am Ende eines langen Arbeitstages mit jemandem reden konnte, der ihm wichtig war. Und sie hörte ihm nicht nur zu, sondern hatte auch Verständnis für ihn.

Gut, es war nur ein flüchtiger Kuss gewesen, den er ihr gegeben hatte. Und er hoffte – nein, er glaubte fest daran, dass sie beim nächsten Kuss nicht mehr darüber diskutieren würden, ob sie nur Freunde waren – oder mehr werden konnten.

Ein paar Tage später, gerade als Matt nach einem Besuch bei seinen Brüdern sein Haus betrat, klingelte das Telefon. Seine Freude, die er beim Klang von Georgias Stimme empfand, wurde noch größer, als sie ihn fragte: „Hast du schon zu Abend gegessen?“

„Nein“, antwortete er.

„Wir haben nämlich gerade Pizza bestellt. Also, wenn du möchtest … Die Jungs würden sich freuen.“

„Vielen Dank – aber wäre es zu viel verlangt, wenn wir bei mir essen?“

„Wenn du keine Angst vor dem Durcheinander hast.“

„Überhaupt nicht.“

Matt legte auf und trat hinaus auf die Veranda. Quinn stapfte bereits durch den Garten, gefolgt von Shane.

„Wir bringen die Pizza“, verkündete Quinn.

„Hoffentlich mit viel Pepperoni“, schmunzelte Matt.

„Ganz viel Pepperoni“, rief Shane. „Die mag ich am liebsten.“

Matt zwinkerte ihm zu. „Ich auch.“

Georgia, mit Pippa vor die Brust gebunden, in der einen Hand eine große Tasche und in der anderen die Pizza, gab Quinn den Karton: „Stell ihn bitte auf den Esszimmertisch.“

Matt nahm ihr die Tasche ab. „Was ist denn da drin?“

„Pappteller, Servietten und Saft für die Jungs.“

„Teller habe ich auch.“

„Ich wollte möglichst wenig schmutziges Geschirr zurücklassen.“

„Ich hätte dich spülen lassen“, grinste er.

„Siehst du – das brauche ich jetzt nicht.“

Georgia setzte Pippa auf eine Decke, während die Zwillinge auf die Stühle kletterten und hungrig auf den Karton schauten. Matt öffnete sie und verteilte die Pizzastücke auf vier Teller.

Während sie mit Heißhunger ihre Pizza verschlangen, hörte Georgia ein Geräusch aus der Küche. Hatte Matt etwa Besuch, von dem er ihr nichts erzählt hatte? Noch ehe sie sich erkundigen konnte, fragte Matt die Zwillinge: „Wollt ihr mal sehen, was ich in der Küche habe?“

„Eis?“, fragte Quinn hoffnungsvoll.

„Tut mir leid“, antwortete Matt. „Eis ist es nicht.“

„Was denn?“

Statt zu antworten, stand Matt auf. Kaum hatte er die Tür einen Spalt breit geöffnet, schoss ein winziges Wollbündel heraus.

„Ein kleiner Hund!“, rief Quinn begeistert. Und schon lagen die Zwillinge auf dem Boden, um mit dem Welpen zu spielen.

Matt warf Georgia einen besorgten Blick zu. Mit der Reaktion der Kinder hatte er gerechnet. Er wusste jedoch nicht, wie Georgia auf den neuen Hausbewohner reagieren würde.

„Machst du den Hundesitter für deinen Bruder?“, fragte sie.

„Nein.“

Ihre Augen wurden groß. „Ist es etwa deiner?“

„Genau genommen …“ Er öffnete die Tür noch mehr und nahm einen zweiten Welpen vom Boden, der vorsichtshalber in der Küche geblieben war, „… gehören sie mir beide.“

„Beide?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nun ja, es waren noch zwei übrig, und sie sind schließlich Geschwister.“

Sie schaute ihn mit einem Blick an, der sein Herz aufgehen ließ. „Du bist wirklich ein guter Mensch, nicht wahr?“

„Vielleicht bin ich auch nur ein Dummkopf“, wehrte er ab und setzte den zweiten Welpen auf den Boden.

„Wie heißen sie?“, wollte Quinn wissen.

„Ich habe sie eben erst mitgebracht und noch keine Zeit gehabt, um über Namen nachzudenken.“

„Du musst ihnen schöne Namen geben“, ermahnte Quinn ihn.

Shane kicherte, als ihm einer der Hunde übers Kinn leckte. „Finnigan“, meinte er.

„Und Frederick“, ergänzte Quinn.

„So heißen ihre Lieblingsfiguren aus einer Fernsehserie“, erklärte Georgia.

„Die sind auch Brüder“, ergänzte Shane.

„In diesem Fall wäre jetzt nur die Frage, wer Finnigan ist und wer Frederick“, meinte Matt.

Matts Herz wurde groß, als er sah, wie begeistert die beiden Jungen auf seine Antwort reagierten. Und als er zu Georgia schaute und ihr Lächeln bemerkte, spürte er eine warme Woge durch seinen Körper fluten.

„Ein Baumhaus und zwei Welpen“, sagte Georgia. „Meine Kinder werden demnächst mehr Zeit in deinem als in ihrem eigenen Garten verbringen.“

„Das macht mir nichts aus“, antwortete er so leise, dass die Zwillinge ihn nicht hören konnten. „Vor allem, wenn ihre Mom mitkommt.“

Georgia nahm Pippa auf den Arm, die zu quengeln begonnen hatte. „Flirtest du etwa mit mir?“

„Offenbar nicht besonders erfolgreich, wenn du noch fragen musst.“

„Ich frage mich nur, warum du dir überhaupt die Mühe machst, wo du doch genau weißt, dass ich nicht vorhabe, mit dir eine Beziehung zu beginnen.“

„Das weiß ich. Du hast es mir ja deutlich genug gesagt.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Glaubst du, ich habe es nicht ernst gemeint?“

„Nein, aber ich denke, ich kann dich dazu bringen, deine Meinung zu ändern.“

„Und ich denke, du solltest mit den Jungs und den Hunden in den Garten gehen, während ich hier aufräume“, versuchte sie das Thema zu wechseln.

„Das kann ich doch später machen“, wehrte er ab.

„Ja – aber ich würde Pippa gern stillen. Wenn du so nett wärst …“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

„Okay.“ Er nickte. „Wir lassen dich allein.“

Matt setzte sich auf die Veranda und sah den Jungs beim Spielen mit den Hunden zu. Dabei dachte er an Liam und versuchte sich zu erinnern, wie er in dem Alter gewesen war – und wie es jetzt wäre, wenn er ihn nicht verloren hätte. Doch er beschloss, nicht länger in der Vergangenheit zu verweilen. Die Zukunft sah doch gar nicht so schlecht aus – wenn er auch noch hart daran arbeiten musste, Georgia davon zu überzeugen, dass es eine Zukunft mit ihr sein könnte.

7. KAPITEL

In der Nacht schlief Georgia ziemlich schlecht – und diesmal lag es nicht an Pippa, die sich bis zum Morgen nicht rührte. Es lag vielmehr daran, dass sie ständig an Matt denken musste.

Sie war es nicht gewohnt, dass jemand ihre Hormone durcheinanderbrachte – vor allem nicht jemand, mit dem sie nicht verheiratet war. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte. Aber sie spürte – nein, sie wusste, dass sie ihn begehrte.

Natürlich könnte sie einfach mit ihm schlafen. Das wäre die naheliegendste Lösung – und die einfachste. Wenn es dich juckt, musst du dich kratzen, pflegte Charlotte oft zu sagen. Aber Georgia und ihre Mutter waren nicht nur in dieser Hinsicht vollkommen anderer Meinung.

Außerdem gab es jede Menge Gründe für Georgia, sich nicht auf eine Affäre mit ihrem Nachbarn einzulassen. Einer davon war eben der, dass er ihr Nachbar war. Wenn sie eine Beziehung anfingen und feststellten, dass es nicht klappte, würde sie ja weiterhin neben ihm wohnen müssen.

Sie war sich allerdings nicht sicher, was Matt eigentlich wollte. Er mochte sie, dass hatte er ihr gesagt, und er würde auch bestimmt gerne Sex mit ihr haben. Sie wusste jedoch nicht, was er sonst noch von ihr wollte – wenn überhaupt.

Doch je länger sie über ihre Situation nachdachte, je mehr Zeit verging, desto mehr begehrte sie ihn. Und das lag nicht daran, dass er quasi in Rufweite von ihr lebte. Und abgesehen von der körperlichen Anziehungskraft – er war ein liebevoller Mensch und konnte wunderbar mit den Kindern umgehen. Das allein wäre für Georgia schon Grund genug, sich in ihn zu verlieben.

Und zu wissen, dass sie sich in ihn verlieben konnte, erschreckte sie über alle Maßen.

Wenn sie sicher sein könnte, dass es nur ein Juckreiz war, dem sie mit ein bisschen Kratzen ein Ende bereiten konnte, wäre sie nur zu gern bereit gewesen, den nächsten Schritt zu machen. Aber sie befürchtete, dass der Juckreiz nur noch intensiver werden würde, wenn sie sich erst einmal gekratzt hatte. Denn je mehr Zeit sie mit Matt verbrachte, umso öfter wollte sie mit ihm zusammen sein.

Auch Matt schlief schlecht in dieser Nacht – aber das lag an den Welpen, die ihn mitten in der Nacht aufweckten. Und zwar drei Mal! Jedes Mal, wenn er die Tür öffnete, um mit den Hunden hinauszugehen, bemerkte er Licht in Pippas Zimmer, und er wusste, dass auch Georgia nicht im Bett lag.

Hin und wieder sah er ihren Schatten durch die Vorhänge. Schon nach der ersten gestörten Nachtruhe war er vollkommen groggy, und er konnte sich vorstellen, wie es Georgia ergehen musste, die praktisch keine Nacht mehr durchgeschlafen hatte, seit Pippa auf der Welt war.

Sie hatte ihm zwar erzählt, dass es besser geworden war und sie nicht mehr so häufig nachts quengelte. Dennoch glaubte er nicht, dass Georgia viel Schlaf bekam. Was ihm die Schatten unter ihren Augen bestätigten, als er am nächsten Morgen an ihre Tür klopfte.

„Ich gehe mit Finn und Fred Gassi und wollte fragen, ob die Jungs Lust haben, mitzukommen.“

„Ja!“, rief Quinn begeistert, ehe seine Mutter etwas sagen konnte.

„Pippa schläft gerade“, sagte sie stattdessen.

„Warum tust du das nicht auch?“, fragte Matt.

„Du willst mit den Zwillingen und den Hunden alleine gehen?“

„Glaubst du, ich schaffe das nicht?“

„Ich zweifle nicht an deinen Fähigkeiten. Aber du weißt, worauf du dich einlässt?“

„Es wird kein langer Spaziergang“, versicherte er ihr.

Sie schaute in die erwartungsvollen Gesichter ihrer Zwillinge. „Dann holt mal eure Schuhe.“

Jubelnd liefen die Jungen zum Schrank, der am Ende des Flurs stand, und Matt nutzte die Gelegenheit, ihre Mutter zu küssen. Es war nur eine kurze Berührung, sanft wie ein Windhauch. Bestimmt nicht genug für ihn, aber genug für Georgia, um völlig erhitzt zu sein.

Doch ehe sie etwas erwidern konnte, waren die Jungen schon zurück.

„Wir können los“, verkündete Quinn.

Matt nahm die Zwillinge rechts und links an die Hand. „Dann lasst uns mal die Hunde holen.“

Georgia wollte die Abwesenheit der Kinder nutzen, um ein wenig zu arbeiten. Aber nachdem sie ihre E-Mails gelesen und einige davon beantwortet hatte, fiel es ihr immer schwerer, sich zu konzentrieren. Andauernd fielen ihr die Augen zu.

Irgendwann schreckte sie vom Klappern des Fliegengitters gegen den Türrahmen auf. Verflixt! Beim Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass sie fast eine Stunde geschlafen hatte – vor dem Laptop!

„Mommy?“

„Ich bin im Esszimmer.“

Quinn stürzte herein, gefolgt von seinem Bruder und Matt, der ganz entspannt wirkte – und nach ihrem Geschmack viel zu sexy.

„Wir haben die Hunde ganz müde gemacht“, verkündete ihr Sohn stolz. „Dr. Matt musste sie nach Hause tragen, weil sie zu kaputt waren, um selbst zu laufen.“

„Dann müsst ihr Jungs ja auch ziemlich müde sein“, meinte sie, während sie Quinn liebevoll durchs Haar fuhr.

„Nein“, protestierte Shane. „Wir gehen jetzt Eis essen.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Eis? Es ist fast Zeit zum Mittagessen.“

„Mach mal eine Ausnahme“, forderte Matt sie auf. „Fangt heute mal mit dem Nachtisch an.“

„Wenn die Jungen jetzt Eis essen, haben sie keinen Appetit mehr auf ihr Mittagessen.“

„Nur eine Kugel“, versuchte Matt es weiter.

„Biiiitte“, flehten Quinn und Shane wie aus einem Mund.

Eigentlich war Georgia der Ansicht, dass ihre Kinder Regeln zu befolgen hatten – aber manchmal musste man solche Regeln einfach ignorieren. Und obwohl sie sehr versucht war, es diesmal zu tun, schüttelte sie den Kopf. „Pippa ist noch nicht aus ihrem Mittagsschlaf erwacht, und dann muss ich ihr erst die Windel wechseln und sie füttern.“

Wie aufs Stichwort hörten sie durch das Babyfon, dass Pippa gerade dabei war aufzuwachen.

„Pippa ist wach“, verkündete Quinn.

„Hört sich ganz so an“, stimmte Georgia ihm zu.

„Also Eis?“, fragte Shane hoffnungsvoll.

„Lasst mich erst Pippa versorgen, und dann gehen wir Eis essen.“

Das zu tun war zumindest ungefährlicher als über die Verwirklichung der Tagträume nachzudenken, die der Doktor aus dem Nachbarhaus bei ihr verursachte.

Als Georgia am Samstagnachmittag mit ihren Kindern zu einem Spaziergang aufbrach, bemerkte sie ziemlich viele Menschen auf Matts Veranda. Aus der Entfernung erkannte sie seine beiden Brüder und eine Frau, die wie Kelsey aussah. Aber die meisten Gäste waren ihr unbekannt.

„Finnigan und Frederick sind draußen“, rief Quinn und wollte in den Nachbargarten stürmen. Im letzten Moment bekam Georgia seinen Arm zu fassen. „Ihr könnt doch nicht einfach nach nebenan laufen. Ihr seht doch, dass er Besuch hat.“

„Dr. Matt hat gesagt, wir können jederzeit zu ihm kommen“, erinnerte Quinn sie.

„Ich weiß, dass er das gesagt hat, aber heute hat er Gäste, und es wäre sehr unhöflich, einfach zu ihm zu gehen.“

„Ich will aber nicht höflich sein“, maulte ihr Sohn. „Ich will Finn sehen.“

Georgia musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Quinn mochte seine Fehler haben, aber wenigstens war er ehrlich.

„Du kannst Finn bestimmt morgen sehen …“

„Ich will ihn heute sehen!“

Und offenbar wollte der kleine Hund ihn auch sehen, denn noch ehe Georgia ihrem Sohn etwas erwidern konnte, kam der Welpe so schnell, wie ihn seine kleinen Beine trugen, übers Gras geschossen. Wie gewöhnlich war Fred dicht hinter ihm, gefolgt von einem dritten Hund.

„Schau mal, Mommy.“ Shanes Augen wurden groß. „Finn und Fred haben einen Freund.“

„Es ist wahrscheinlich einer ihrer Brüder“, vermutete Georgia.

Finnigan und Frederick waren überglücklich, bei ihren kleinen Spielgefährten zu sein, und sie tollten um die Zwillinge herum, während der dritte Hund einer Spur nachging. Er tauchte die Nase ins Gras und lief aufgeregt durch den Garten. Luke Garrett folgte ihm und hob ihn hoch.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Matts Bruder. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so weit weglaufen würde. Einstein ist ziemlich ungezogen.“

„Kein Problem“, versicherte Georgia ihm. Dann zog sie amüsiert eine Augenbraue hoch. „Einstein? Ist er so intelligent?“

„Eben nicht. Mir ist noch nie ein Tier begegnet, das so fest entschlossen ist, genau das nicht zu tun, was man ihm befiehlt“, erklärte Luke.

„Dann warten Sie mal, bis Sie Kinder haben.“

Energisch schüttelte er den Kopf. „Nicht, dass ich keine Kinder mag“, erklärte er dann hastig. „Ihre zum Beispiel sind toll. Ich sehe mich nur nicht als Vater – jedenfalls nicht in naher Zukunft.“

„Weil er selber noch ein Kind ist.“ Matt hatte sich zu ihnen gesellt. „Möchtest du nicht rüberkommen, Georgia? Bei mir findet gerade eine kleine Party statt. Ich habe zwar niemanden eingeladen …“

„Ich habe es getan“, gestand Luke. „Es sollte eine spontane Einweihungsfeier werden.“

Georgia warf einen Blick auf die Veranda und entdeckte Kelsey, die ihr zuwinkte.

Matt legte die freie Hand auf Georgias Hüfte und erzeugte sofort ein Feuerwerk der Emotionen in ihrem Körper. „Also – hättest du Lust auf einen Burger?“

Wenn er sie so anschaute, wurde ihr klar, dass sie viel mehr von ihm haben wollte als einen Hamburger. Aber darüber würde sie nicht reden – nicht vor seiner Familie und seinen Freunden.

Luke und Matt gingen mit den Hunden durch den Garten zurück, während Georgia Pippas Sachen zusammensuchte. Kaum war sie neben Matt auf seiner Veranda angelangt, verteilte Jack bereits das Essen, und Matt begann, seiner Nachbarin alle vorzustellen: Adam Webber und Melanie Quinlan, Tyler Sullivan und Tylers Bruder Mason sowie Masons Frau Zoe und deren Kinder und Gage und Megan Richmond, die mit ihrem dreijährigen Sohn Marcus gekommen waren.

„Und das ist Megans Schwester …“

„Das werde ich mir alles gar nicht merken können“, warnte Georgia ihn.

„… Ashley Turcotte und ihr Mann Cameron“, fuhr Matt ungerührt fort.

„Den Namen kenne ich“, lächelte sie, als sie sich dem Paar näherten. „Dr. Turcotte ist unser neuer Hausarzt.“

„‚Doktor‘ bin ich nur, wenn ich meinen weißen Kittel trage“, wehrte Cameron ab.

„Oder wenn sich jemand das Knie aufschlägt“, ergänzte seine Frau und streckte die Hand aus.

„Ich bin Georgia Reed.“

„Die Frau aus der Stadt mit den drei Kindern, die direkt neben Dr. Garrett eingezogen ist“, bemerkte Ashley.

„Er ist neben mir eingezogen“, stellte Georgia richtig.

„Ich weiß“, schmunzelte Ashley. „Aber in der Gerüchteküche erzählt man sich etwas anderes.“

„Was ein Grund mehr für dich ist, darüber froh zu sein, dass du nur eine Zugezogene bist“, tröstete Matt sie. Dann fragte er Ashley: „Wo stecken denn Maddie und Alyssa?“

„Unsere Töchter haben dein Baumhaus entdeckt.“

„Haben sie schon was gegessen?“, wollte Cameron wissen.

„Maddie sagte, sie müssten erst auf Entdeckungstour gehen, um hungrig zu werden“, erklärte seine Frau.

„Da drüben sind meine Jungs.“ Georgia zeigte zu den Zwillingen, die auf einer Decke neben Brittney saßen. „Die haben immer Hunger.“

„Aber ihre Mom sollte auch etwas essen.“ Matt nahm Georgias Hand und führte sie zum Grill, hinter dem Jack immer noch aktiv war, während er gleichzeitig seinen eigenen Burger aß.

Matt und Georgia füllten ihre Teller und setzten sich neben Brittney und die Zwillinge. Kurz darauf schlossen sich Kelsey und ihr Mann Ian an, und Jack verließ seinen Platz hinter dem Grill und setzte sich zu ihnen.

„Habt ihr Lust, mit mir in den Park zu gehen?“, fragte Brittney die Zwillinge, nachdem sie ihre Teller geleert hatten.

Beide nickten begeistert. „Im Park gibt’s Schaukeln“, erklärte Quinn.

„Und Kletterstangen“, ergänzte Shane.

Brittney warf Georgia einen Blick zu. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit ihnen zum Spielplatz gehe?“

„Sie würden sich freuen, und ich wäre dankbar“, antwortete Georgia.

„Warum nehmen wir nicht alle Kinder mit, und ich begleite dich?“, schlug Luke vor. Er schaute Jack an, als ob er ihn ebenfalls zum Babysitten überreden wollte.

Jack schüttelte den Kopf. „Ich muss mich um Nachschub beim Essen kümmern. Schließlich soll keiner hier verhungern.“

Ian erhob sich. „Ich könnte tatsächlich noch einen Burger vertragen.“

„Ich auch“, schloss Matt sich an.

Georgia sah den Jungs hinterher. Brittney hatte sie an der Hand gefasst, und die anderen Kinder folgten im Gänsemarsch. Sie waren selig – nicht nur, weil sie mit Brittney zusammen sein konnten, sondern weil sie auch noch Spielkameraden hatten.

„So etwas kenne ich gar nicht“, gestand Georgia.

„Was denn?“

„Solche wuseligen Zusammenkünfte. Als ich kleiner war, gab es nur meine Mutter, meine Schwestern und mich. Offenbar ist mir da etwas entgangen.“

„Das Chaos und das Durcheinander?“, neckte Kelsey sie.

Georgia lächelte. „Nein, das kenne ich, seit die Zwillinge auf der Welt sind. Ich meine diese Zusammengehörigkeit und das Wissen, dass immer jemand für einen da ist. Matt und seine Brüder kabbeln sich zwar ständig, aber wenn es drauf ankommt, würden sie einander nie im Stich lassen.“

„Das stimmt“, bestätigte Kelsey. „Haben Sie nicht so ein enges Verhältnis zu Ihren Schwestern?“

Georgia schüttelte den Kopf. „Vielleicht liegt es an der Entfernung. Ich lebe hier, Virginia in Texas und Indy in Alaska.“

„Das ist wirklich weit weg“, meinte Kelsey.

„Manchmal frage ich mich, ob jede von uns einen so weiten Weg gegangen ist, weil wir uns nirgendwo heimisch gefühlt haben.“

„Das könnte der Grund sein“, entgegnete Kelsey. „Matt, Jack und Luke sind zwar aufs College gegangen, aber danach sind sie wieder nach Pinehurst gezogen.“

„Und was ist mit Ihnen?“

Kelsey schüttelte den Kopf. „Meine Schwester wollte immer in die Welt hinaus. Ich dagegen möchte niemals woanders leben.“

„Ich hatte auch sehr gemischte Gefühle, als ich nach dem Tod meines Mannes hierhergezogen bin. Aber inzwischen bin ich so froh, dass ich es getan habe. Genau das habe ich nämlich für meine Kinder gewollt – dass sie in einer Gegend aufwachsen, wo jeder auf den anderen achtgibt.“

„Ist das eine euphemistische Umschreibung für ‚wo jeder seine Nase in die Angelegenheiten des anderen steckt‘?“

„Der Gedanke ist mir ja noch nie gekommen …“

Kelsey lachte über Georgias ironische Bemerkung. „Was hat Matt eigentlich getan, dass Sie ihn immer so misstrauisch anschauen?“

„Tue ich das?“

„Jedenfalls habe ich den Eindruck.“

Georgia gehörte nicht zu denjenigen, die sich anderen Menschen, die sie kaum kennen, anvertrauten. Aber sie kannte nicht viele Leute in Pinehurst, und sie brauchte unbedingt jemanden, mit dem sie reden konnte.

„Er hat mich geküsst“, sagte sie schließlich.

„Und das hat Sie überrascht?“

„Vielleicht nicht der Kuss. Aber die Intensität …“

„Matt war noch nie ein Mann von halben Sachen“, erklärte Kelsey. Und nach einer Weile fragte sie: „Wie war es denn?“

Bei der bloßen Erinnerung an den Kuss begann Georgias Blut schneller zu pulsieren. „Einfach … großartig.“

Kelsey schmunzelte. „Und wo ist das Problem?“

Georgia zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich schon bereit für so etwas bin.“

„Ich denke, du – ich darf doch du sagen, oder …?“

Georgia nickte zustimmend.

„Ich denke, du machst dir etwas vor, wenn du glaubst, dass du es verhindern kannst.“

Georgia runzelte die Stirn.

„Du denkst wohl an die Kinder“, vermutete Kelsey. „Was ist, wenn ich mich mit diesem Mann einlasse, und es klappt nicht?“

Sie nickte. Erstaunlich, dass eine Frau, die sie kaum kannte, ihre Gedanken und Sorgen erraten konnte. Andererseits war Kelsey ebenfalls Mutter, und daher war es vielleicht doch nicht so überraschend.

„Pippa ist noch zu klein, als dass sie es mitbekommen würde. Aber die Jungs bewundern Matt grenzenlos. Doch was wird passieren, wenn die Beziehung in die Hose geht und er nicht länger Teil ihres Lebens ist?“

Georgia holte tief Luft. „Besser hätte ich es auch nicht formulieren können.“

Kelsey zuckte mit den Schultern. „Als Außenstehende sehe ich die Sache vermutlich etwas klarer. Aber ich kann dir versichern, dass Matt kein Casanova ist. Und er hätte dich bestimmt heute nicht eingeladen, wenn er dich nicht hätte dabeihaben wollen.“

„Vielleicht hat er es auch nur getan, damit ich mich nicht über den Lärm beschwere.“

Kelsey lachte. „Na ja … Er hält schon sehr viel von dir. Das hast du doch wohl mitbekommen.“

„Er ist ein guter Freund …“

Kelsey schnalzte mit der Zunge.

„… und er kann sehr gut mit den Kindern umgehen.“

„Ich kenne keinen Mann, der als Familienvater besser geeignet wäre. Deshalb wird Matt auch niemals mit deinen Gefühlen spielen. Ich bin sicher, er träumt auch von einer Zukunft mit dir.“

„Kann es sein, dass du zu viel in die Situation hineininterpretierst?“

Kelsey lächelte. „Deine Kinder liebt er bereits, Georgia. Wann wirst du endlich erkennen, dass er schon ziemlich in dich verliebt ist?“

Energisch schüttelte Georgia den Kopf. „Unsinn …“

„Deine Reaktion ist bezeichnend. Vielleicht ahnt er so etwas und hat dir deshalb seine wahren Gefühle noch nicht gestanden“, konterte Kelsey. Anschließend sammelte sie das Geschirr zusammen, um es ins Haus zu tragen, und ließ Georgia mit ihren Gedanken allein.

Pippa machte sich bemerkbar und riss sie in die Gegenwart zurück. Georgia suchte sich eine ruhige Ecke im Haus, um sie zu stillen. Danach ging sie zurück zu den anderen auf Matts Veranda. Jetzt, da all die anderen Kinder mit Brittney auf den Spielplatz gegangen waren, stand Pippa im Mittelpunkt des Interesses und wanderte von Arm zu Arm. Alle waren entzückt von ihren großen blauen Augen und ihrem strahlenden Lächeln.

Georgia unterhielt sich gerade mit Adam Webber – dem Lehrer an der Schule, die ihre Zwillinge ab dem Herbst besuchen würden –, als Matt sich ihr mit einem Glas in der Hand näherte. Den freien Arm legte er um Georgias Hüfte. „Gute Idee“, sagte Adam mit einem Blick auf Matts Drink und ließ die beiden allein.

Sie warf Matt einen missbilligenden Blick zu. „Deine Freunde bekommen einen ganz falschen Eindruck von uns“, meinte sie.

Er drückte ihr einen Kuss aufs Ohr, und prompt spürte sie wieder diese Gänsehaut. „Ich versuche, dir den richtigen Eindruck von uns beiden zu vermitteln“, sagte er.

„Du hörst wohl niemals auf das, was man dir sagt?“

„Ich habe alles gehört, was du mir gesagt hast“, konterte er. „Aber du kannst mir noch so oft versichern, dass du dich auf keine Beziehung einlassen willst – das Gefühl, dich in meinen Armen zu halten, ist einfach zu überwältigend. Und ich spüre doch, wie du auf meine Berührungen reagierst. Dein Körper lügt nicht.“

Sie seufzte. „Ich weiß nicht, was ich mit dir anstellen soll.“

„Ich hätte da schon ein paar Ideen“, neckte er sie. „Doch ich bin mir nicht sicher, ob du sie jetzt schon hören willst.“

„Wir sind Freunde“, beharrte sie mit fester Stimme.

„Glaub mir, ich habe zurzeit sehr freundschaftliche Gefühle für dich.“

Sie konnte sich das Lächeln nicht verbeißen. „Du bist viel zu verführerisch. Das kann nicht gut enden.“

„Der Fluch der Garretts“, klagte er. „Und was das Ende angeht – da bin ich nicht halb so pessimistisch wie du.“

„Das fürchte ich auch.“

8. KAPITEL

Alle Gäste waren bereits gegangen, und auch Georgia wollte mit den Zwillingen, die nach dem Besuch des Spielplatzes ziemlich groggy waren, zurück in ihr Haus. Doch sie protestierten trotz ihrer Müdigkeit, weil sie sich nicht von den kleinen Hunden trennen wollten. Deshalb schlug Matt vor, sie könnten ins Haus gehen und ein wenig fernsehen, was sie sofort in die Tat umsetzten.

Pippa war in ihrer Babytrage eingeschlafen – und würde wohl erst am Morgen wieder aufwachen, wie Georgia hoffte. Sie hatte festgestellt, dass das Baby in den letzten Tagen tatsächlich durchgeschlafen hatte. Dennoch fand sie nicht wirklich Ruhe, denn sie wurde immer wieder von Traumbildern aus dem Schlaf gerissen, in denen ein gewisser Arzt aus dem Nachbarhaus eine nicht unwesentliche Rolle spielte.

„Ich dachte schon, sie würden niemals gehen“, seufzte ebendieser Doktor, als der letzte Wagen aus seiner Einfahrt fuhr.

„Du hast interessante Freunde“, sagte Georgia. „Kennst du sie schon lange?“

„Die meisten seit der Schulzeit“, antwortete er, während er sie zur Veranda zurückführte, wo sie nebeneinander Platz nahmen.

„Wirklich?“

„Was ist daran so ungewöhnlich? Hast du keine Freunde aus der Schulzeit?“

„Ich habe so oft die Schule gewechselt – da konnte ich kaum Freunde finden.“

„War dein Vater etwa bei der Army?“

„Nein. Meine Mutter ist ihren jeweiligen Männern gefolgt.“

„Echt?“

„Ich dachte eigentlich, dass sie jetzt zur Ruhe gekommen wäre. Aber letztens hat sie mir am Telefon erzählt, dass sie gerade ihren fünften Mann geheiratet hat.“

„Und dein Vater?“

„Wohnt irgendwo in Atlanta.“

„Heißt du deshalb Georgia?“

Sie nickte. „Und meine Halbschwestern heißen Virginia und Indy – für Indianapolis.“ Sie schmunzelte. „Gut, dass ich nicht in Ohio geboren wurde. Dann hieße ich jetzt Columbus.“

Matt schmunzelte. „Oder Columbia.“

Sie schnitt eine Grimasse. „Meine Mutter hat immer gesagt, der einzige große Fehler, den man im Leben begehen kann, besteht darin, nicht seinem Herzen zu folgen.“

„Und du hältst nichts von dieser Philosophie?“, wollte er wissen.

„Ihr Wahlspruch hat immer nur zu größerem Herzschmerz geführt“, gab sie zu bedenken.

„Bist du deinem Herzen nie gefolgt?“

Sie wandte den Blick ab. „Ich denke, Herz und Verstand sollten einander ergänzen.“

„Wie lange haben dein Herz und dein Verstand miteinander gekämpft, als dein Mann dir seinen Heiratsantrag gemacht hat?“

„Er hat mir gar keinen Antrag gemacht.“

„Wie bitte?“ Erstaunt sah Matt sie an.

„Das Thema Ehe kam mal in einem Gespräch auf, und wir beschlossen, dass es das war, was wir beide wollten.“

„Dann hast du wohl auch nicht kirchlich geheiratet?“

„Was ist falsch daran?“

„Nichts – wenn es dein Wunsch war.“

Das hatte Georgia sich immer eingeredet. Wenn sie später manchmal auch von einer Hochzeit in Weiß geträumt hatte. Doch dieses Thema wollte sie jetzt nicht vertiefen. Stattdessen stand sie auf. „Ich denke, ich muss mal nach den Kindern schauen.“

Matt folgte ihr ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief noch, aber die Jungs schliefen tief und fest. Sie seufzte. „Jetzt muss ich sie wohl hinübertragen.“

„Du willst sie aufwecken und nach Hause tragen, damit sie weiterschlafen?!“

„Sie sollten in ihren Betten schlafen“, meinte sie.

„Sie liegen doch ganz bequem“, konterte er.

Dem konnte sie nicht widersprechen. Die Zwillinge hatten sich auf der Couch zusammengerollt und hielten die ebenfalls schlafenden Welpen im Arm.

„Na ja …“ Sie zögerte. „Morgen früh willst du doch bestimmt deine Ruhe haben.“

Matt schüttelte den Kopf, während er sie in die Küche führte. „Wann begreifst du endlich, dass ich deine Kinder gern um mich habe?“

„Die Einsicht kommt allmählich“, gab sie zu.

„Vielleicht kommt sie so ein bisschen schneller“, erwiderte er, beugte sich zu ihr und küsste sie.

Georgia wehrte sich nicht. Im Gegenteil, sie drängte sich ebenso sehr an ihn, wie er sie gegen die Küchentheke drückte. Er wollte sie spüren – ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Oberschenkel, und er wollte, dass sie seine Erregung fühlte. Er streichelte ihre Schultern, ließ die Hände zu ihren Brüsten hinunterwandern und weiter bis zu ihrem Po, den er fest umklammerte.

Sie rieb sich an ihm, was ihn noch mehr erregte, und als er mit den Kuppen seiner Daumen über ihre harten Brustspitzen fuhr, erschauerte sie wohlig.

Schließlich nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände und schaute ihr tief in die Augen. „Wovor hast du Angst, Georgia?“

„Ich weiß es nicht“, gestand sie.

„Ich will dich nicht drängen“, sagte er. „Du bestimmst das Tempo.“

Sie lächelte. „Vielleicht habe ich gerade davor Angst. Mein Körper möchte etwas anderes als mein Verstand.“

„Wenigstens gibst du zu, dass dein Körper etwas möchte.“

„Wenn ich das Gegenteil behaupte, glaubst du mir sowieso nicht.“

„Es war schön, wie du dich an mich gedrückt hast“, verriet er ihr. „Du kannst es jederzeit wieder tun, wenn dir danach ist.“

„Das war eine sehr spontane Reaktion. Nach mehr als einem Jahr Enthaltsamkeit ist das doch kein Wunder, oder?“

„Wird es nicht höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden?“ Erneut küsste er sie, und als sie seinen Kuss hungrig erwiderte, nahm er dies als Aufforderung, ihren Körper weiter zu erkunden. Er fuhr mit den Fingern unter ihr T-Shirt, streichelte die weiche, warme Haut, steckte seine Finger in ihre Shorts und unter den Gummibund ihres Höschens und ertastete das weiche Haar, drang vorsichtig mit der Fingerspitze in sie ein und spürte ihre Feuchtigkeit.

Sie war bereit für ihn. Absolut bereit.

Er nahm zwei Finger, um sie zu stimulieren, sanft und zärtlich zunächst, und dann, als ihr Atem schneller ging und sie leise zu stöhnen begann, wurde er schneller, bis sie vor Lust fast den Verstand verlor. Er drehte sie so, dass sie mit dem Rücken an seiner Brust lehnte und er besser an ihre empfindsamste Stelle kam.

Während er den einen Arm um ihren Oberkörper geschlungen hatte, damit sie nicht den Halt verlor, schob er die Finger der anderen Hand tiefer und tiefer hinein in die Feuchtigkeit, mit der er ihre Perle benetzte, und schließlich bäumte sie sich in seinem Arm auf, streckte die Hände nach hinten, um sich an ihm festzuhalten, und als er ihr lustvolles Zittern spürte, wäre er um ein Haar selbst gekommen.

„Himmel“, keuchte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Das war … einfach … wow!“

Sie drehte sich zu ihm um, nahm seinen Kopf in die Hände und küsste ihn lange und leidenschaftlich, sodass er nun seinerseits glaubte, den Verstand zu verlieren. Als er ihre Finger am Reißverschluss seiner Shorts spürte, sagte er: „Es ist schon spät. Du solltest besser nach Hause gehen.“ Obwohl er sie natürlich am liebsten die ganze Nacht in den Armen gehalten hätte.

Erstaunt sah sie ihn an. „Aber willst du nicht …?“

„Am liebsten würde ich dich nach oben führen, dich ganz langsam ausziehen und stundenlang küssen und berühren, bis dir die Sinne schwinden.“

Sie schluckte. „Und warum schickst du mich dann fort?“

„Willst du mit deinen Lustschreien die Kinder aufwecken?“

Ihre Wangen röteten sich. „Das ist wirklich ein Grund.“

„Aber der wichtigste Grund für mich ist der, dass ich nicht eher mit dir ins Bett gehe, bis ich mir sicher bin, dass du es auch willst“, fuhr er fort. „Und dass du mich willst.“

Sie wandte das Gesicht ab, jedoch nicht schnell genug, dass er die Tränen in ihren Augen nicht gesehen hätte. Im Stillen verfluchte er sich für seinen letzten Satz. Er hatte sich doch vorgenommen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.

„Vergiss, was ich gesagt habe“, fügte er deshalb rasch hinzu. „Es ist wirklich schon spät. Ich helfe dir mit den Kindern. Du nimmst Pippa, ich trage die Zwillinge.“

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er hob die Hand. „Oder willst du etwa drei Mal hin- und herlaufen?“

„Vielen Dank für deine Hilfe“, sagte sie schließlich.

„Es ist mir ein Vergnügen“, schmunzelte er. „Der ganze Abend war für mich ein Vergnügen. Und vor allem die letzte halbe Stunde.“

Georgia war vollkommen verwirrt. Sechs Tage war es nun her, dass sie auf Matts Party gewesen war und dass er sie am Ende des Abends auf Wolke sieben katapultiert hatte – und jedes Mal, wenn sie sich jetzt sahen, tat er so, als wäre nichts geschehen. Oder war es etwa selbstverständlich für ihn, Frauen in seiner Küche zum Höhepunkt zu bringen?

Für sie war es jedenfalls eine fantastische Erfahrung gewesen – und gleichzeitig eine sehr frustrierende. Wie gerne hätte sie sich bei ihm revanchiert. Da sie es nicht getan hatte – oder weil er es nicht gewollt hatte –, musste sie nun ständig daran denken, wie es gewesen wäre, wenn … Gedanken, die sie auch nicht gerade ruhiger schlafen ließen.

Seit Phillips Tod hatte sie sich vor allem auf ihre Mutterrolle konzentriert. Hingebungsvoll hatte sie sich um die Zwillinge gekümmert und war mit ihrer Schwangerschaft beschäftigt gewesen. Mehr als ein Jahr lang erschien es ihr so, als sei alles Weibliche, das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, der Wunsch nach Sex, aus ihrem Körper verbannt worden. Nicht, dass sie den Sex vermisst hätte – sie hatte nicht einmal daran gedacht. Und dann war Matt Garrett ins Nachbarhaus eingezogen …

Seine Nähe brachte sie auf die unmöglichsten Ideen und weckte geheime Wünsche, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie in ihr schlummerten. In seiner Gegenwart fühlte sie sich wieder ganz wie eine Frau.

Aber in den letzten sechs Tagen … war nichts passiert. Kein Kuss, kein Streicheln, keine zufällige Berührung mit der Fingerspitze.

Dabei ging er ihr nicht einmal aus dem Weg. Im Gegenteil, sie sah ihn praktisch ständig, wenn sie das Haus verließ oder sich im Garten aufhielt. Er war weiterhin freundlich und hilfsbereit und verbrachte viel Zeit mit den Jungen. Er hatte ihnen sogar einen Sandkasten in seinem Garten eingerichtet. Und genau dort spielte er gerade mit den Zwillingen, fuhr Lastwagen und Bagger mit lautem „Brumm, brumm“ hin und her.

Ja, mit den Jungs hatte er eine tolle Zeit – aber er hatte nicht den kleinsten Versuch gemacht, sie in der vergangenen Woche zu berühren oder zu küssen. Zuerst glaubte sie, er wolle sie bestrafen, dann fragte sie sich, ob er womöglich das Interesse an ihr verloren hatte und dass sie vielleicht keine weiteren Eroberungsversuche wert war. Aber als sie jetzt auf die Veranda hinaustrat, um die Zwillinge ins Haus zu rufen, sah er sie mit einem Blick an, der nicht gerade von Desinteresse zeugte.

„Quinn, Shane – Essen ist fertig“, rief sie.

Die Jungs sprangen auf und wischten sich die sandigen Hände an ihren Shorts ab, ehe sie sich in Bewegung setzten. Matt folgte ihnen in gemächlichem Schritt. Während die Kinder im Haus verschwanden, um sich zu waschen, rief sie ihrem Nachbarn zu: „Ich habe Chili gekocht. Möchtest du nicht mit uns essen?“

„Vielen Dank, aber ich muss noch etwas tun.“

Sie baute sich vor ihm auf. „Hast du vor, noch lange auf mich sauer zu sein?“

„Ich bin nicht sauer auf dich“, erwiderte er erstaunt.

„Warum hast du mich dann in den letzten sechs Tagen nicht mehr geküsst?“

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Du hast die Tage gezählt?“

Trotzig streckte sie das Kinn vor. „Hast du deine Meinung geändert? Willst du mich nicht mehr?“

Die Antwort konnte sie in seinen Augen lesen, noch ehe er es sagte. „Nein. Ich habe meine Meinung nicht geändert.“

„Und warum dann kein Kuss mehr?“

„Weil ich Angst hatte, nicht mehr aufhören zu können, wenn ich erst einmal angefangen habe.“

Sie schluckte. „Vielleicht will ich ja gar nicht, dass du aufhörst.“

Er trat einen Schritt zurück. „Sag mir das noch mal, wenn du das ‚vielleicht‘ aus dem Satz streichen kannst.“

„Tut mir leid“, erwiderte sie zerknirscht. „Ich will hier nicht die Unnahbare spielen. Jedenfalls nicht bewusst.“

Er lächelte schief. „Ich weiß.“

Und dann drückte er ihr tatsächlich einen raschen Kuss auf die Lippen.

So rasch, dass sie sich dessen erst bewusst wurde, als Matt bereits wieder auf dem Weg zu seinem Haus war. Aber während ihr Gehirn langsam reagierte, war ihr Körper sofort in Alarmstimmung. Die Nervenenden auf ihrer Haut schienen zu prickeln, und was zwischen ihren Schenkeln geschah – darüber wollte sie lieber gar nicht nachdenken.

Sollte sie sich Sorgen machen, dass ihre Reaktion nach einer so kurzen Berührung so gewaltig war? Und dass sie ihn am liebsten festgehalten hätte, damit er weitermachen konnte? Hätte sie es ihm sagen sollen?

Aber sie war noch nicht so weit, die Worte laut aussprechen zu können. Und selbst wenn sie es jetzt getan hätte, wäre es zu spät gewesen.

Denn er war bereits verschwunden.

Erst am 4. Juli sah sie Matt wieder, bei dem Baseballspiel, das er mit seinem Team – den „Gators“ gegen die „Swingers“ – haushoch gewann. Georgia saß mit den Zwillingen und Pippa auf der Zuschauertribüne, als er nach dem Match direkt vom Spielfeld zu ihr kam. Mit einem Handtuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn, während Georgia seinen muskulösen Körper bewunderte. So „nackt“ – nur mit einem durchgeschwitzten T-Shirt, was sie übrigens ausgesprochen sexy fand – und engen Shorts hatte sie ihn ja noch nie gesehen.

„Du warst großartig, Dr. Matt“, trompetete Shane, als er vor ihnen stand.

„Besser als die Yankees“, befand Quinn.

„Na, wenn das so ist – das müssen wir doch feiern. Was haltet ihr von einem großen Eis?“, schlug Matt vor.

„Au ja“, kam die begeisterte Antwort wie aus einem Mund.

„Willst du etwa in dem Zustand ins Eiscafé fahren?“, fragte Georgia und zeigte auf sein fleckiges T-Shirt.

„Schon mal was von Duschen gehört?“, fragte er grinsend zurück. „Die gibt es sogar hier in den Umkleidekabinen. Und wenn ihr eine Viertelstunde warten könnt, bin ich in fünfzehn Minuten bei euch.“

In Shanes Gehirn arbeitete es fieberhaft. „Ist das nicht dasselbe?“, fragte er schließlich.

Lachend fuhr Matt ihm mit der Hand durchs Haar. „Kluges Kerlchen“, meinte er. „Wo hat er das nur her?“

„Natürlich von seiner Mom“, antwortete Georgia schmunzelnd. „Und jetzt beeil dich.“ Und mit einem Seitenblick auf Shane fuhr sie fort: „Länger als drei mal fünf Minuten wollen wir nämlich nicht warten.“

In der Eisdiele herrschte Hochbetrieb, und sie mussten ziemlich lange warten, bis sie an die Reihe kamen. Matt stand hinter Georgia in der Schlange und berührte wie zufällig ihre Hüften. Sie musste sich zusammenreißen, sich nicht an ihn zu lehnen, aber glücklicherweise fragte sie die Verkäuferin genau in diesem Moment nach ihren Wünschen.

Nachdem sie ihr Eis gegessen hatten, schlug Matt vor, am Abend das Feuerwerk zum 4. Juli anzuschauen. Doch Georgia schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, dafür sind die Jungs zu groggy“, meinte sie. „Vermutlich werden sie nicht einmal ihre Gute-Nacht-Geschichte bis zum Ende durchstehen.“

„Willst du uns heute unsere Geschichte vorlesen?“, fragte Shane unvermittelt.

„Wer? Ich?“, fragte Matt verblüfft zurück.

„Ja“, antwortete Quinn. „Bitte, bitte …“

Matt warf Georgia einen unschlüssigen Blick zu, doch sie nickte aufmunternd. „Ich kenne die Geschichte schon in- und auswendig, denn zurzeit wollen sie nur diese eine hören. Und wehe, du lässt einen Satz aus – dann gibt’s lautes Geschrei.“

Um das zu vermeiden, hütete Matt sich tatsächlich, auch nur ein Wort auszulassen, als er, das Buch auf den Knien, im Zimmer der Zwillinge saß. Doch noch bevor er die letzte Seite erreicht hatte, schliefen sie bereits tief und fest, und auf Zehenspitzen schlich er sich aus dem Raum.

Auf dem Weg zum Wohnzimmer kam ihm Georgia aus der Küche entgegen. Spontan drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke.“

„Wofür?“

„Dass du so nett zu den Jungs bist.“

„Sie sind ja auch nett zu mir“, entgegnete er schmunzelnd. „Und ich habe wirklich kein Wort ausgelassen. Vielleicht sind sie deshalb schon vor dem Ende eingeschlafen.“

„Jedenfalls kommst du jetzt noch rechtzeitig zum Feuerwerk.“

Er zögerte. „Du kommst nicht mit?“

„Ich lasse die Kinder doch nicht allein.“

„Natürlich.“ Er schüttelte den Kopf. „Dumme Frage.“

„Du könntest allerdings auch …“ Sie ließ den Satz unvollendet.

„Was?“

„Hierbleiben – und wir machen unser eigenes Feuerwerk.“ Damit legte sie die Hände in seinen Nacken, zog ihn an sich und küsste ihn.

Matt brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden. Was war schon ein Feuerwerk gegen eine Nacht mit Georgia? Eine Nacht, der möglicherweise – hoffentlich! – viele folgen würden …

Er erwiderte ihren Kuss mit Leidenschaft. Seine Lippen waren weich und fordernd zugleich, und als er begann, mit seiner Zunge ihren Mund zu erforschen, schoss eine Woge der Lust durch ihren Körper. Sie begehrte ihn mehr, als sie sich in ihren erregendsten Träumen vorgestellt hatte. Und sie wollte viel mehr als nur leidenschaftliche Küsse. Sie wollte den ganzen Mann, wollten seinen Körper spüren, an sich, auf sich und in sich. Mit der Hand streichelte sie seine Brust, sodass sie seinen Herzschlag unter ihren Fingern spüren konnte.

Außerdem wollte sie ihn überall berühren, seine warme und straffe Haut, die Muskeln und Sehnen und … Ihr Ziel fest vor Augen, begann sie, sein Hemd aus der Hose zu ziehen, doch er umfasste ihre Handgelenke und drückte sie fest an ihre Seite.

Sie löste sich von seinen Lippen und schaute ihm in die Augen. „Ich möchte dich, Matt. Hier und jetzt und heute Nacht.“

„Bist du dir sicher?“

„Absolut.“

Er kam ganz nahe an ihren Mund, ohne sie zu berühren. Sein warmer Atem fächelte über ihre Lippen. „Darf ich jedes deiner Kleidungsstücke ausziehen und dich überall küssen, bis du um Gnade bettelst?“

Prompt fragte sie sich, wie es kommen konnte, dass sie innerhalb weniger Sekunden die Kontrolle über die Situation aus der Hand gegeben hatte. Sie hatte ihn verführen wollen, aber kaum hatte er ein paar Worte zu ihr gesagt – mit seiner sonoren, sexy Stimme –, spürte sie schon fast ihren ersten Höhepunkt nahen. Was würde wohl erst passieren, wenn er sie überall berührte – mit seinen Händen, mit seinem Mund …? Wenn sie daran dachte, verzehrte sie sich noch mehr nach ihm. Doch ehe es so weit war, wollte sie eines klarstellen: „Um Gnade werde ich bestimmt nicht betteln.“

Er grinste. „Wir werden ja sehen.“

Wieder verschloss er ihren Mund mit seinen Lippen, und sie wünschte sich nichts mehr, als dass dieser Kuss niemals enden würde. Jetzt ließ er auch ihre Handgelenke los, streichelte ihre Arme bis hinauf zu ihren Schultern und ihrem Hals. Unter seiner Berührung schien ihr Körper in Flammen zu stehen. Als er mit den Kuppen seiner Daumen über ihre harten Spitzen fuhr, die sich unter ihrer Bluse abzeichneten, stöhnte sie laut.

Sofort ließ er die Hände sinken. „Habe ich dir wehgetan?“

„Nein.“ Sie umklammerte seine Handgelenke und legte die Hände erneut auf ihre Brüste. „Ich liebe dieses Gefühl.“

„Schön. Denn ich will dich überall berühren. Ich möchte jeden Zentimeter deiner weichen Haut erforschen, jede Furche und jede Vertiefung deines wunderschönen Körpers erkunden.“ Und um seine Worte zu bekräftigen, streichelte er sie erneut vom Hals bis zu den Oberschenkeln. Sie erschauerte.

„Willst du das etwa hier im Wohnzimmer machen?“, murmelte sie hingerissen.

„Ich glaube, ein Zimmer, dessen Tür wir hinter uns schließen können, wäre die bessere Wahl“, meinte er.

„Oben ist eines“, entgegnete sie.

„Ich weiß“, sagte er und hob sie hoch.

Sie fand es ausgesprochen romantisch, dass er sie die Treppe hinauftrug, hinein in ihr Schlafzimmer, sich umdrehte und die Tür leise mit dem Ellbogen schloss. Dann setzte er sie auf die Füße und wartete. Falls sie doch noch ihre Meinung ändern sollte, konnte sie es ihm jetzt sagen. Stattdessen nahm sie seine Hand und führte ihn zu ihrem Bett.

Ihr Herz raste, und ihre Knie waren weich wie Pudding – nicht, weil sie Angst hatte, sondern weil sie noch nie einen Mann so sehr begehrt hatte wie ihn in diesem Moment. Er drängte sie sanft auf die Matratze und beugte sich über sie, um sie zu küssen. Lange, zärtlich, leidenschaftlich.

Dass er die Knöpfe ihrer Bluse geöffnet hatte, wurde ihr erst bewusst, als er ihr das Kleidungsstück über die Schultern und die Arme streifte. Dann neigte er den Kopf, um die Spalte zwischen ihren Brüsten zu küssen und mit seinen Lippen über ihre Rippen und ihren Bauch zu fahren. Sie versteifte sich, als er ihr die Jeans auszog.

Sanft streichelte er die weiche Haut auf der Innenseite ihrer Schenkel und schob sie vorsichtig auseinander. Er begann, die empfindsamen Stellen mit seinen Lippen und seiner Zunge zu liebkosen, und als er ihre Mitte erreichte, erschauerte sie.

„Matt“, flehte sie mit schwacher Stimme. Wollte sie, dass er aufhörte – oder dass er weitermachte?

Er ließ sich davon nicht beirren. Mit Lippen, Zunge und Zähnen neckte und quälte er sie, brachte sie näher und näher zum Höhepunkt – und als es so weit war, verkrampfte sie die Hände zu Fäusten, zuckte auf dem Laken hin und her und bemühte sich, nicht zu laut zu schreien. Und da er nicht aufhörte, sie zu liebkosen, wurde sie in ihren zweiten Höhepunkt katapultiert, noch ehe die Wellen des ersten komplett verebbt waren.

„Bitte, Matt, komm zu mir“, flüsterte sie. Im Handumdrehen hatte er seine Kleidung abgelegt, schob sich über Georgia und drang vorsichtig in sie ein. Kaum füllte er sie ganz aus, brach erneut eine Woge der Lust über ihr zusammen. Als ihre Körper einen gemeinsamen Rhythmus fanden, wurde sie von zuvor unbekannten Gefühlen erfasst und erlebte ein geradezu himmlisches Vergnügen.

Sie bog sich im entgegen und legte die Beine über seinen Po, um ihn näher zu sich zu ziehen und tiefer in sich zu spüren. Seufzer und Stöhnen vermischten sich, und er begann, sich schneller in ihr zu bewegen. Als sie ihren vierten Höhepunkt nahen spürte, vergrub sie die Fingernägel in seinen Rücken. Sekunden später ergoss er sich in ihr, am ganzen Körper bebend.

9. KAPITEL

Matt hatte in den vergangenen Wochen oft von Georgia geträumt. Er hatte sie sich nackt vorgestellt und wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen. Aber die Wirklichkeit übertraf sein Vorstellungsvermögen bei Weitem. Die Frau in seinen Armen war ein Vulkan, sie war ebenso leidenschaftlich wie zärtlich. Sex wie mit ihr hatte er noch nie zuvor erlebt.

Doch das Beste am Sex mit Georgia war die Tatsache, dass er selbst nach der körperlichen Befriedigung immer noch mit ihr zusammen sein wollte. Im Gegensatz zu manch anderem One-Night-Stand, nach dem er nicht schnell genug in seine Kleider schlüpfen und verschwinden konnte. Nicht, dass er darauf besonders stolz gewesen wäre. Aber so war es nun mal gewesen.

Jetzt wusste er endlich, was der Unterschied zwischen schnellem Sex und tiefem Begehren war. Bei Georgia empfand er es zum ersten Mal. Und während er das Interesse an seinen früheren Bekanntschaften rasch verloren hatte, war er sich sicher, dass es dieses Mal ganz anders sein würde: Von Georgia würde er nie genug bekommen.

Als er wieder zu Atem gekommen war, stützte er sich auf einen Ellbogen und schaute sie an. „Na, wie geht’s dir?“, fragte er schmunzelnd.

„Mir ist ganz schwindlig, und meine Knie sind total weich. Also im Moment könnte ich gar nicht aufrecht stehen.“

„Hm.“ Er runzelte die Stirn. „Das hört sich nicht gut an. Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen?“

„Wollen Sie jetzt Doktorspiele mit mir machen?“, schmunzelte sie.

„Ist mir egal, wie du es bezeichnest …“ Sanft streichelte er ihre Brust, bis sie sich erneut unter seinen Berührungen wand. „Solange du mich spielen lässt.“

Georgia erschauerte. „Im Moment fällt mir nichts ein, was dagegen spricht.“

Seine Hand wanderte über ihren Bauch und zwischen ihre Schenkel. „Ich mag Frauen, denen nichts einfällt.“

Sie schlug ihm auf die Hand, die er sofort wegzog. „Ich weiß nicht, ob ich deswegen jetzt beleidigt sein soll oder nicht. Auf jeden Fall wäre ich beleidigt, wenn du deine Hand nicht sofort wieder dorthin legst.“

„Dieses Risiko will ich auf keinen Fall eingehen“, entgegnete er. Und sofort trat er den Beweis für seine Worte an.

Georgia hatte damit gerechnet, dass Matt ein guter Liebhaber war. Wer sich so fürsorglich und liebevoll im Alltagsleben verhielt, konnte im Bett kein Versager sein. Sie hatte zwar nicht viele Vergleichsmöglichkeiten – Eigentlich hatte sie nur Phillip richtig gekannt –, Aber das wollte sie Matt nicht auf die Nase binden. Jedenfalls nicht in dieser Nacht.

Gähnend reckte Georgia die Arme über den Kopf und drehte sich zur Seite. Überrascht stellte sie fest, dass der Platz neben ihr leer war.

Offenbar hatte Matt sich entschlossen, nach Hause zu gehen. Obwohl sie unsagbar enttäuscht war, sagte sie sich, dass es wohl so besser wäre. Sie hatten nicht viel miteinander geredet, ehe sie ins Bett gegangen waren. Wahrscheinlich war es für beide gut, erst einmal über alles nachzudenken und sich zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Obwohl sie schon ziemlich weit gegangen waren, als sie nackt nebeneinander im Bett gelegen hatten …

Auf dem Weg ins Badezimmer bemerkte sie einen Lichtschein, der durch die halb geöffnete Tür zu Pippas Zimmer fiel. Auf Zehenspitzen schlich sie leise – und entdeckte Matt, der im Schaukelstuhl saß und Pippa ein Fläschchen gab.

Er hatte nur seine Hose angezogen, und der Anblick ihres Babys an der nackten, muskulösen Brust dieses Mannes nahm ihr fast den Atem. Eigentlich passte er gar nicht in dieses Ambiente – es hatte sowohl etwas sehr Mädchenhaftes als auch Feminines –, und trotzdem wirkte er so, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Babys zu füttern.

„Ich habe wieder deinen Kühlschrank geplündert“, flüsterte er, als er sie im Türrahmen stehen sah.

„Ich habe gar nicht gehört, wie sie wach geworden ist.“

„Sie war ganz leise“, versicherte er ihr.

„Du hättest mich wecken sollen.“

„Ich habe mir gedacht, dass ich zum Teil für deine Erschöpfung verantwortlich war. Deshalb wollte ich dich schlafen lassen.“

Eigentlich war sie schon lange in ihn verliebt, wenn sie es sich auch nicht hatte eingestehen wollen. Aber nun, da sie ihn hier mit Pippa im Arm sitzen sah, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass Matt Garrett ein Teil ihres Lebens werden würde. Und des Lebens ihrer Kinder. Allerdings hatte sie selbst zu viele Stiefväter erlebt, um besonders zuversichtlich zu sein. Nichts dauerte ewig, und je eher sie solchen dummen Tagträumen ein Ende bereitete, umso besser.

Als er sich erhob, um das Baby in seine Wiege zu legen, wandte sie sich ab, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah. Aber irgendwie schien er ihren Stimmungsumschwung mitbekommen zu haben, denn als er ihr aus dem Zimmer folgte, stellte er sich vor sie, legte die Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, sodass sie ihn anschauen musste.

„Was ist los, Georgia?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Du hast recht – ich bin wirklich ziemlich erschöpft, und ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“

Ihr spontaner Vorschlag schien ihn mehr zu amüsieren, als dass er ihn vor den Kopf stieß. „Wohin soll ich gehen?“

„Nach Hause.“

„Warum?“

Weil er sie so arglos fragte, hätte sie fast laut aufgeschrien. Wie konnte er so ruhig bleiben, wo sie praktisch am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand?

„Weil es schon spät ist“, antwortete sie knapp.

Er lächelte nur. „Auf mich wartet nichts und niemand.“

„Und was ist mit den Hunden?“, erinnerte sie ihn, froh, eine Ausrede gefunden zu haben. „Müssen die nicht raus?“

„Die waren schon draußen“, antwortete er.

„Haben sie keine Angst – so ganz allein im Haus?“

„Denen geht’s gut.“ Er nahm sie in Arme. „Die Frage ist doch vielmehr, ob du plötzlich Angst hast, weil ich in deinem Haus bin.“

„Ich habe keine Angst“, log sie. „Ich denke bloß, wir sollten es etwas langsamer angehen lassen.“

Er wurde ernst. „Du willst es langsamer angehen lassen?“

Sie nickte. „Sex ist Sex, aber wenn man in einem Bett übernachtet, ist das doch wieder etwas anderes. Es ist viel intimer.“

„Da hast du wohl recht“, pflichtete er ihr bei. „Aber genau das will ich tun – mit dir im Arm einschlafen und mit dir morgen früh aufwachen.“

Das wollte sie auch – mehr, als sie zuzugeben bereit war. Doch wenn sie ihn heute bei sich schlafen ließ, bedeutete dies, dass sie ihn auch in der nächsten Nacht bei sich haben wollte – und in der Nacht darauf und in der folgenden … Und irgendwann würde sie es für ganz selbstverständlich halten, ihn immer bei sich zu haben.

„Soll ich etwa darum flehen?“ Er klang beiläufig, aber sein Blick sprach Bände: Er wusste, dass es ihr sehr viel bedeutete.

„Würdest du das wirklich tun?“, fragte sie erstaunt.

Er sah ihr fest in die Augen. „Ich würde alles für dich tun, Georgia. Das müsstest du doch inzwischen wissen.“

„Ja, ich glaube, ich weiß es. Und genau das macht mir ja Angst.“

„Gab es wirklich so viele Menschen in deinem Leben, die dich im Stich gelassen haben?“

„Alle vier Ehemänner meiner Mutter, inklusive meines eigenen Vaters. Jeder hatte ihr hoch und heilig geschworen, sie und die Kinder zu lieben, und jeder von ihnen hat sich irgendwann aus dem Staub gemacht.“

„Und dann hat dein Mann das Gleiche getan“, bemerkte Matt einsichtig. „Es war zwar nicht sein Wille – aber am Ergebnis hat das ja nichts geändert. Er hat versprochen, für immer bei dir zu bleiben, und dann hat er dich doch mit den Kindern allein gelassen.“

Sie nickte.

„Wenn selbst er nicht bei dir geblieben ist, warum solltest du dann darauf bauen, dass ich es tue?“

Wieder nickte sie. „Und ehe du es ausdrücklich erwähnst … ja, dieses Mal war ich es, die dich hinauswerfen wollte.“

„Weil es dann nämlich deine Entscheidung wäre“, betonte er.

Das war ihr bis jetzt noch gar nicht bewusst geworden. Aber natürlich hatte er recht. Ihre Mutter hatte ihre Ehemänner sitzen gelassen. Es war ihre Wahl gewesen, und ihren Töchtern war nichts anderes übrig geblieben, als ihr zu folgen.

„Okay, jetzt entscheidest du“, sagte er. „Möchtest du, dass ich bleibe – oder soll ich gehen?“

Eigentlich hätte sie froh darüber sein müssen, dass er ihr die Entscheidung überließ, denn sie hatte bereits ihre Wahl getroffen. Obwohl sie sich inzwischen fragte, ob es wirklich eine so gute Entscheidung war, ihn fortzuschicken. Er hatte schließlich schon bewiesen, dass er sie so gut verstand, wie es bisher noch niemand getan hatte – und er würde gerne bei ihr bleiben. Und die Tatsache, dass er genug Vertrauen in sie hatte, um ihr die Wahl zu überlassen, verlieh ihr den Mut, auf ihr Herz zu hören.

Sie streckte die Hand aus und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Bleib.“

Matt wusste, wie schwer es Georgia fallen musste, dieses eine Wort auszusprechen. Denn es war weit mehr als eine nur schnell dahingesagte Antwort auf eine einfache Frage.

Dass sie ihn bat zu bleiben, war, als würde sie ihm ihr Herz anvertrauen. Und er war ebenso dankbar wie erleichtert, dass sie mutig genug war, ebendas zu tun. Denn er hatte sein Herz längst an sie verloren – ob ihr das nun klar war oder nicht.

Er trug sie ins Bett und sagte ihr dann all die Dinge, die sie noch nicht zu hören bereit war, mit seinen Händen, seinem Mund, seiner Zunge, sodass ihr klar wurde, welche Gefühle er für sie empfand. Glücklich und erschöpft schlief sie in seinen Armen ein, und als sie am nächsten Morgen erfrischt, aber immer noch glücklich aufwachte, zweifelte Matt nicht im Geringsten daran, dass dies genau die Art war, wie er für den Rest seines Lebens jeden Morgen wach werden wollte.

Während der kommenden Tage blieben sie bei ihrem normalen Tagesablauf – abgesehen von einigen wenigen Veränderungen. Der Korb der Welpen wurde abends in Georgias Küche gestellt, Matt verbrachte die Nächte in Georgias Bett – und sie tat nicht länger so, als ob sie ihn dort nicht haben wollte.

Es war nicht nur der Sex, der ihn zu seiner Nachbarin zog. Er wusste so wenig über sie und wollte doch alles erfahren, und manchmal blieben sie bis spät in die Nacht wach, um sich zu unterhalten.

Eines Nachts, als er ihr von seinem Besuch mit den Hunden in der Praxis seines Bruders erzählte, sagte sie unvermittelt: „Du und deine Brüder, ihr habt ja ein fantastisches Verhältnis. Aber ich habe dich noch nie von anderen Familienmitgliedern reden hören.“

„Das liegt daran, dass meine Eltern vor einigen Jahren gestorben sind.“

Sie zuckte zusammen. „Tut mir leid – ich sollte nicht so neugierig sein.“

„Das ist ja kein großes Geheimnis“, antwortete er – jedenfalls nicht so groß wie das, welches er ihr noch gestehen musste. Nicht, weil er nicht darüber reden wollte, sondern weil er wusste, dass er den richtigen Ort und Zeitpunkt abwarten musste, damit sie ihn verstand.

Wann willst du es ihr denn sagen? wisperte eine Stimme in seinem Ohr.

„Was ist denn passiert?“

Er brauchte einige Sekunden, um sich darüber klar zu werden, dass sie nach dem Tod seiner Eltern und nicht nach seiner verkorksten Ehe fragte. „Als mein Dad in Rente gegangen ist, beschlossen sie, eine Weltreise zu machen. Sie wollten die chinesische Mauer sehen, das australische Outback, die Serengeti, und sie hatten viel Spaß. Als Nächstes hatten sie sich vorgenommen, um Kap Horn zu segeln, aber der Kapitän hatte zu wenig Erfahrung, um das Boot sicher durch den Sturm zu bringen, in den sie gerieten. Meine Eltern sind mit der gesamten Besatzung ertrunken.“

Spontan griff sie nach seiner Hand, um ihn zu trösten. „Das muss schrecklich für dich und deine Brüder gewesen sein – Vater und Mutter gleichzeitig zu verlieren“, murmelte sie.

Er nickte. „Anfangs war es sehr schwer, aber als wir den ersten Schock überwunden hatten, sagten wir uns, dass es doch auch irgendwie ein Glücksfall für die beiden gewesen sein muss, zusammen zu sterben – wie schlimm dieser Tod auch immer war. Denn nach vierzig Jahren Ehe hätte keiner ohne den anderen glücklich weiterleben können.“

„Meine Mutter hat eine solche Liebe nie erlebt“, sinnierte Georgia. „Sie hat zwar immer danach gesucht. Und sie glaubt auch immer noch daran, dass es sie gibt.“

„Die gibt es auch“, entgegnete er und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken.

„Hast du gehofft, sie bei deiner Frau zu finden?“

„Willst du uns die Stimmung vermiesen?“

„Ich bin einfach nur neugierig“, antwortete sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du geheiratet hast ohne die Hoffnung, dass es für immer sein könnte. Deshalb ist die Scheidung doch bestimmt nicht leicht gefallen, oder?“

„Es war nicht einfach“, gab er zu und wollte gerade die schmutzige Geschichte seiner betrügerischen Ehefrau erzählen.

Doch genau in diesem Moment begannen die Hunde zu bellen und zu jaulen. Es war zwei Uhr – mitten in der Nacht. Irgendetwas stimmte nicht.

Georgia erstarrte. Matt schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Bevor er loslaufen konnte, packte Georgia ihn am Arm.

Über das hektische Gebell hinweg hörten sie die Stimme einer Frau. Matt verstand die Worte nicht, aber sie klangen wie „Sie hätte mir wenigstens sagen können, dass sie Hunde hat“.

„Du bleibst hier“, befahl Georgia und griff nach ihrem Bademantel. „Ich gehe.“

„Aber wenn es ein Einbrecher ist …“

„Es ist kein Einbrecher“, unterbrach sie ihn. „Es ist meine Mutter.“

Georgia hatte in ihrem Leben schon einigen Problemen gegenübergestanden. Dass ihre Mutter unangemeldet in ihrem Haus auftauchte, war nur das jüngste in einer langen Reihe.

Als sie die Treppe hinunterging, kamen ihr die Hunde entgegengelaufen, und sie tätschelte ihnen den Kopf. „Ihr seid gute Wachhunde“, lobte sie die Welpen, ehe sie ihre Mutter begrüßte.

„Das ist aber eine Überraschung, Mom.“

Charlotte küsste ihre Tochter auf beide Wangen, ehe sie sie mit einem Lächeln anschaute, das ein bisschen verkrampft wirkte.

„Genau das war mein Plan – dich zu überraschen. Aber ich wollte dich nicht aufwecken, Schätzchen“, sagte sie schuldbewusst. „Ich war es ja auch gar nicht – sondern die Hunde. Warum hast du mir nicht erzählt, dass du aus deinem Haus einen Zwinger gemacht hast?“

„Es sind nur zwei Welpen, und die gehören mir nicht einmal.“

„Warum sind sie dann hier?“

„Ich habe einem Freund geholfen“, antwortete sie ausweichend. „Warum bist du hier?“

„Soweit ich weiß, ist das immer noch mein Haus.“

„Das stimmt. Aber warum tauchst du um zwei Uhr morgens hier auf?“

„Weil die Fahrt vom Flughafen hierher fast drei Stunden dauert“, entgegnete sie, als würde das alles erklären.

„Aha.“ Georgia bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Und warum bist du überhaupt um diese Zeit von Montana losgeflogen?“

„Ich habe meine Enkel so sehr vermisst, dass ich keinen Tag länger warten wollte, um sie in den Arm zu nehmen. Also hat Trigger mir sofort ein Flugticket besorgt, und jetzt bin ich hier.“

Etwas an Charlottes Erklärung kam Georgia merkwürdig vor. Oder war es der bewusst beiläufige Ton, der sie die Ohren spitzen ließ? Was immer der Grund für Charlottes Auftauchen sein mochte – Georgia war fest davon überzeugt, dass mehr dahintersteckte als ihr Wunsch, die Kinder in den Arm zu schließen. Und sie ahnte auch bereits, was es sein könnte.

„Du hast ihn verlassen, stimmt’s?“

„Wovon redest du?“

„Von Trigger – deinem Mann. Bei dessen Anblick du das Gefühl hattest, deine Finger in eine Steckdose gesteckt zu haben“, rief Georgia ihr ins Gedächtnis.

Charlotte drückte die Hand mit den perfekt manikürten Fingernägeln an ihre Brust. „So war es auch“, beteuerte sie.

„Und wo ist er jetzt?“

„Natürlich auf seiner Ranch. Er kann schließlich seine Tiere nicht allein lassen, nur weil ich auf einmal den Wunsch habe, mein Mädchen und meine Enkel zu besuchen.“

„Und du willst wirklich bei dieser Geschichte bleiben?“

„Also wirklich, Georgia May, ich weiß nicht, warum du dich so aggressiv verhältst.“

Eine Etage höher begann Pippa zu schreien, weil sie gefüttert werden wollte, und Georgia wollte unbedingt zu ihrem Baby, ehe ihre Mutter nach oben ging.

„Wir sollten morgen weiterreden.“

„Einverstanden“, sagte Charlotte. „Es war ein langer Tag, und ich kann ein bisschen Schlaf gebrauchen.“

Georgia nickte, obwohl sie bezweifelte, dass sie so schnell würde Schlaf finden können. Zuerst musste sie sich um Pippa kümmern, und wenn Charlotte eingeschlafen war, musste sie dafür sorgen, Matt unbemerkt aus dem Haus zu bringen. Er würde hoffentlich nichts dagegen haben, dass er durch die Hintertür hinauskomplimentiert wurde. Obwohl sie einunddreißig war, wollte sie nicht das Risiko eingehen, von ihrer Mutter mit einem Mann im Bett erwischt zu werden.

Das Geschrei verstummte und wich einem fröhlichen Jauchzen. Das bedeutete, dass Matt das Baby ebenfalls gehört hatte und ins Kinderzimmer gegangen war.

„Jetzt, wo das Baby wach ist, kann ich doch vielleicht einen Blick darauf werfen“, meinte Charlotte hoffnungsvoll.

„Warum wartest du nicht bis morgen früh?“, schlug Georgia hastig vor. „Wenn sie dich jetzt sieht, kann sie bestimmt nicht mehr schlafen.“

Charlotte machte eine abwehrende Handbewegung. „Unsinn. Sie wird sofort wieder einschlafen, wenn sie müde ist.“

Georgia wusste, dass es zwecklos war, Charlotte von ihren Absichten abzubringen. Was bedeutete, dass sie ihren Nachbarn auf jeden Fall zu Gesicht bekommen würde …

„Matthew Garrett“, sagte Charlotte unvermittelt. Sie klang ebenso erstaunt wie begeistert. „Ich habe mich schon gefragt, wem die riesigen Schuhe neben der Tür gehören, über die ich fast gestolpert wäre.“

„Na ja, das war ja nicht halb so schlimm, wie ich befürchtet habe“, sagte Matt, nachdem Pippa versorgt und Charlotte in ihrem Schlafzimmer verschwunden war.

„Für mich war’s schon ein bisschen peinlich“, gestand Georgia.

„Aber nur, weil deine Mutter beide Daumen in die Luft gestreckt hat, bevor sie dir eine gute Nacht gewünscht hat“, neckte er sie.

„Dass sie unsere Beziehung gutheißt, macht mich eher misstrauisch“, konterte sie. „Meine Mutter hat einen ziemlich schlechten Geschmack, was Männer angeht.“

„Sagst du das, weil ihre Ex-Männer einen fragwürdigen Charakter hatten oder weil ihre Beziehungen gescheitert sind?“

„Ich weiß nicht, ob das einen Unterschied macht.“

„Selbstverständlich. Wenn sie wirklich immer eine schlechte Wahl getroffen hat, dann solltest du misstrauisch sein. Aber wenn es anständige Männer waren, kann es viele Gründe geben, warum die Ehen gescheitert sind.“

„Weil sie bei Problemen immer weggelaufen ist, anstatt nach einer Lösung zu suchen?“, meinte sie.

„Zum Beispiel“, stimmte er zu.

„Ich glaube nicht, dass sie zu Besuch gekommen ist“, sagte Georgia schließlich. „Ich glaube, sie hat Trigger verlassen.“

„Hätte sie dir das nicht gesagt, wenn es so wäre?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht bevor sie sich eine Geschichte ausgedacht hat, die sie unschuldig erscheinen lässt.“

„Das ist ziemlich hart, findest du nicht?“

Sie seufzte. „Möglich. Und vielleicht irre ich mich ja auch. Ich hoffe, dass ich es tue, denn wenn diese Ehe auch gescheitert ist, muss sie am Boden zerstört sein. Sie lässt es sich nur nicht anmerken.“

Er musterte sie prüfend. „Du bist ja doch nicht so hartherzig.“

„Du hältst mich für hartherzig?“

„Nach außen, ja. Aber im Inneren bist du weich wie Wachs.“ Er glitt mit der Hand unter ihre Bluse und streichelte die harten Spitzen ihrer Brüste. „Mit einigen Ausnahmen vielleicht“, schmunzelte er.

Sie erschauerte. „Die sind ja auch nicht im Inneren“, murmelte sie.

„Stimmt“, erwiderte er und drückte sie sanft aufs Bett.

Am nächsten Morgen musste Matt früh ins Krankenhaus und ließ Georgia allein mit ihrer Mutter, die das Gespräch noch vor dem Frühstück sofort auf den nächtlichen Besucher brachte. „Du hast dir einen guten Mann ausgesucht, Schätzchen.“

Da Matt erst ins Nachbarhaus gezogen war, nachdem ihre Mutter nach Las Vegas geflogen war, fragte Georgia: „Woher willst du das wissen?“

„Die Garrett-Jungs waren in ihrer Jugend regelrechte Herumtreiber. Aber inzwischen sind sie alle verantwortungsbewusste Männer geworden.“

„Und woher hast du diese Informationen?“

„In der Gerüchteküche von Pinehurst wurde noch nie auf Sparflamme gekocht“, schmunzelte Charlotte. „Und über Matt Garrett habe ich nur Gutes gehört. Wusstest du, dass er Arzt ist?“

Glaubte ihre Mutter tatsächlich, sie würde mit einem Mann ins Bett gehen, von dem sie überhaupt nichts wusste? „Ja, das ist mir bekannt“, antwortete sie gereizt. „Nach Shanes Unfall hat er seinen Arm eingegipst.“

Ihre Mutter nickte. „Er ist klug, charmant und sieht gut aus. Da wagt man ja kaum zu hoffen, dass er auch noch gut im Bett ist.“

„Mutter!“ Jetzt war Georgia wirklich empört. Ihr Gesicht brannte fast so heiß wie die Herdplatte.

„Aha.“ Charlotte schmunzelte. „Mein kleines Mädchen entdeckt allmählich seine Leidenschaften.“

„Eine wirklich scharfsinnige Beobachtung – nachdem ich drei Kinder zur Welt gebracht habe“, konterte Georgia trocken.

„Die Erde muss nicht beben, damit eine Frau schwanger wird“, meinte Charlotte, während sie den Frühstückstisch deckte. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass Phillip ein guter Mann war. Aber war er auch ein guter Ehemann?“

„Wie kommst du denn darauf?“ Georgia war schockiert.

„Weil ich nicht einmal erlebt habe, dass er dich so angeschaut hat, wie Matt dich andauernd anschaut – und umgekehrt.“

Georgia gab nur ungern zu, dass das möglicherweise stimmte. Phillip war ein fürsorglicher Mann gewesen, und sie hatten sich auch gut verstanden. Aber so richtig gefunkt hatte es zwischen ihnen nie, das hatte Georgia sich eingestehen müssen. Jedenfalls nie so wie zwischen ihr und Matt. Doch das ihrer Mutter gegenüber zuzugeben, hätte sie fast als Verrat an ihrem Mann empfunden. „Ich habe ihn geliebt.“

„Das weiß ich“, antwortete Charlotte. „Aber liebst du Matt?“

Sie verquirlte die Eier in der Pfanne. „Ich kenne ihn doch erst seit ein paar Monaten.“

„Ich habe Trigger nur ein paar Tage gekannt“, sagte Charlotte. „Aber das war lange genug um zu wissen, dass ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen will.“

Abgesehen von dem Umstand, dass sie aus irgendeinem Grund hier und ihr Mann in Montana war. Doch dieses Thema wollte Georgia jetzt nicht zur Sprache bringen. Stattdessen sagte sie: „So weit bin ich noch nicht.“

„Warte nicht zu lange“, riet Charlotte ihr. „Wenn du dir diesen attraktiven Doktor nicht schnell genug schnappst, wird es eine andere tun.“

„Wenn er sich so schnell von einer anderen schnappen lässt, bin ich bestimmt besser ohne ihn dran.“

Dem wusste Charlotte nichts entgegenzusetzen, und Georgia nutzte den Moment der Stille, um die Zwillinge zum Frühstück zu rufen.

Sie saßen gerade am Tisch, als es klingelte. Nicht einmal, sondern dreimal kurz hintereinander, und noch ehe Georgia an der Tür war, hämmerte der Besucher ungeduldig mit der Faust dagegen.

Als sie vom Tisch aufstand, bemerkte sie, dass ihre Mutter kreideweiß geworden. Georgia öffnete die Tür und sah sich einem breitschultrigen Mann gegenüber, der wie ein Cowboy gekleidet war. „Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann riss sich den Stetson vom Kopf. Darunter kam graues Haar zum Vorschein. „Ich bin Henry Branston und gekommen, um meine Frau zu holen.“

10. KAPITEL

„Deine Einfahrt sieht aus wie der Hof einer Autovermietung“, meinte Matt, als er am Nachmittag aus dem Krankenhaus kam.

„Ich weiß. Deshalb bin ich auch zu Fuß einkaufen gegangen; ich hatte keine Lust, drei Autos hin und her zu rangieren. Außerdem konnte ich so dem Drama für eine Weile entkommen.“

„Du kannst gerne bei mir wohnen“, bot er ihr an.

„Wenn sie nicht bald wieder nach Montana fliegen, nehme ich das Angebot sogar an. Erst haben sie sich fürchterlich gestritten, dann sind sie im Schlafzimmer verschwunden, und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Aber gehört!“

„Heißt das, sie haben Tabula rasa gemacht?“, fragte Matt vorsichtig.

„Ich glaube ja. Aber nach allem, was ich mitbekommen habe, kann ich jetzt sogar verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Ich stimme zwar nicht mit ihrer Entscheidung überein, aber ich kann sie verstehen.“

„Willst du es mir erklären?“

„Meine Mutter hatte das Gefühl, die Einzige zu sein, die Opfer für diese Ehe gebracht hat. Sie hat ihr Haus und ihre Familie verlassen und ist in eine ihr völlig unbekannte Gegend gezogen, um mit dem Mann zusammen sein zu können, den sie liebt. Und je länger sie in Montana war, desto deutlicher erkannte sie, dass sein Leben sich überhaupt nicht geändert hat. Sie wollte zwar nicht unbedingt, dass es auch Veränderungen für ihn gibt. Sie wollte nur herausfinden, ob er sie so sehr liebt, dass er bereit wäre für Veränderungen. Dass er nun durchs halbe Land gefahren ist, um sie zurückzuholen, scheint für sie Beweis genug zu sein, dass er sie wirklich liebt.“

„Und jetzt ist alles wieder in Ordnung?“

„Offenbar.“

„Wann fahren sie denn zurück nach Montana?“

„Nicht so bald, fürchte ich.“

Er lachte glucksend. „Na ja, solange sie nicht auf der Stelle abreisen, brauche ich unsere Pläne für heute Abend wenigstens nicht zu ändern.“

„Unsere Pläne?“

„Gestern Abend, als du Pippa versorgt hast, hat deine Mutter angeboten, auf die Kinder aufzupassen, damit ich dich zu einem echten Date einladen kann.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ach – unsere bisherigen Verabredungen waren also nicht echt?“

Mit der Schulter stieß er sie an. „Du weißt genau, was ich meine.“

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich das tue“, entgegnete sie. „Was ist denn ein echtes Date?“

„Dinner in einem Restaurant ohne Kindermenü auf der Speisekarte, ein Film mit richtigen Menschen und keinen Zeichentrickfiguren.“

„Von solchen Dingen habe ich überhaupt keine Ahnung mehr“, warnte sie ihn.

„Bist du denn bereit, sie kennenzulernen?“

„Wir könnten es versuchen“, sagte sie. „Wir könnten allerdings auch eine schön scharfe Pizza bestellen und einen Film in deinem Schlafzimmer anschauen.“

„Wie kommst du darauf, dass ich einen Fernseher im Schlafzimmer habe?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Sie grinste. „Falls nicht, finden wir bestimmt etwas anderes, mit dem wir uns die Zeit vertreiben können.“

Er beschloss, ihren Vorschlag in die Tat umzusetzen. Aber da es ein besonderer Abend werden sollte, deckte er den Tisch mit Kerzen und stellte Champagnergläser neben die Teller. Und für den Nachtisch besorgte er einige Süßigkeiten in einem Delikatessengeschäft.

Nachdem sie die Pizza verspeist hatten, wollte Matt wissen, was ihre Mutter zu tun gedachte.

„Sie planen, zwei Wochen zu bleiben.“ So wie Georgia es sagte, schien es für sie viel zu lang zu sein.

„Charlotte vermisst ihre Enkel“, gab er zu bedenken.

„Das tut sie bestimmt, aber es war Triggers Idee, eine Weile zu bleiben, um seine neue Familie kennenzulernen.“ Worüber sie allerdings gar nicht begeistert zu sein schien.

„Befürchtest du vielleicht, du könntest ihn mögen, wenn du ihn erst besser kennst? Und dann verlässt deine Mutter ihn, und du siehst ihn nie wieder?“

„Wenn sie sich an die Familientradition halten …“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber Trigger scheint nicht so zu sein. Ich glaube, meine Mutter könnte ihn ein Dutzend Mal verlassen, und er würde ihr immer hinterherfahren, um sie zurückzuholen.“

„Du glaubst also, diesmal ist es wahre Liebe?“

„Sieht so aus.“

„Dann ist es ja nicht völlig ausgeschlossen, dass ein Mann sich in seine Nachbarin verliebt, wenn sie sich ein paar Monate lang kennen und nicht nur einen Abend im Spielcasino?“

„Schon möglich – aber auf dem Gebiet bin ich keine Expertin.“

„Okay, dann frage ich dich als Nicht-Expertin: Besteht die Aussicht, dass sie eines Tages genauso empfindet wie ihr Nachbar?“

Sie nagte an ihrer Unterlippe, während sie über eine Antwort nachdachte. Matt hatte den Eindruck, dass sie eine Ewigkeit dafür brauchte.

„Es ist durchaus möglich, dass sie es bereits tut“, erwiderte sie schließlich, und erleichtert atmete Matt aus.

„Ich weiß, du glaubst, ich dränge zu sehr – was ich ja auch getan habe“, gab er zu. „Aber Charlotte hat mich davon überzeugt, dass das Herz manchmal genau weiß, was es will.“

„Du nimmst Ratschläge von einer Frau an, die fünf Mal geheiratet hat und vier Mal geschieden wurde?“

„Man braucht Mut, um seinem Herzen zu folgen.“

„Dann ist sie die mutigste Frau, die ich kenne.“

„Vielleicht ist sie das sogar“, stimmte Matt ihr zu.

„Und du hältst mich für einen Feigling?“

„Ich glaube, du bist vorsichtig“, erwiderte er. „Und ich verstehe auch, warum du es bist.“

„Meine Kinder kommen für mich an erster Stelle.“

„Damit habe ich kein Problem“, versicherte er ihr. „Und ich glaube auch nicht, dass unsere Kinder ein Problem haben, wenn wir zusammen wären.“

„Das haben sie auch nicht. Sie hätten dich sogar gern als ihren neuen Daddy. Aber sie haben bereits einen Vater verloren – wie werden sie sich fühlen, wenn es nicht klappt?“

„Ich bin achtunddreißig Jahre alt und weiß ziemlich genau, was ich will. Ich würde nicht mit dir zusammen sein – und eine so enge Verbindung zu deinen Kindern haben –, wenn es mir nicht ernst wäre.“ Er steckte die Hand in die Tasche und zog eine kleine Schachtel hervor, auf der der Name eines stadtbekannten Juweliers gedruckt war. Er stellte sie vor sie auf den Tisch. „Sogar sehr ernst.“

11. KAPITEL

Georgia stockte der Atem, als sie den Schriftzug sah. Matt hatte das Kästchen nicht geöffnet, aber das musste er auch gar nicht. Es war ihr egal, was für einen Ring er für sie ausgesucht hatte. Es war die Schachtel selbst, die für sie ungeheuer wichtig war und bei deren Anblick ihr ganz schwindlig wurde.

„Ich hatte mir diesen Moment eigentlich etwas anders vorgestellt“, gab er zu. „Aber ich wollte auch nicht, dass du das hier weiterhin nur für einen unverbindlichen Flirt hältst. Das ist es nämlich nicht. Jedenfalls nicht für mich.“

„Der Flirt hat mir durchaus gefallen“, versuchte sie zu scherzen. „Ich habe nämlich schon lange nicht mehr geflirtet.“

„Du bist nicht der Typ Frau, die ihren Körper ohne ihr Herz verschenkt. Jedenfalls hoffe ich, dass du es nicht bist.“

Dieses Herz schlug im Moment so gewaltig, dass Georgia befürchtete, es könnte ihr aus der Brust springen. „Ich bin auch nicht der Typ Frau, der glaubt, dass eine Beziehung unbedingt vor dem Altar enden muss.“

„Und ich habe mich nie verpflichtet gefühlt, einer Frau einen Antrag zu machen, nur weil ich mit ihr geschlafen habe“, fuhr er fort. „Aber ich war schon einmal verheiratet, und wenn mich das Scheitern dieser Ehe eines gelehrt hat, so ist es die Tatsache, dass es im Leben keinerlei Garantien gibt. Nach der Scheidung habe ich gelernt, jeden Augenblick zu schätzen und mir geschworen, dass ich die Betreffende niemals würde gehen lassen, falls ich jemals das Glück haben sollte, jemanden zu finden, mit dem ich diese Augenblicke teilen möchte.“ Er streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. „Ich möchte jede Minute meines Lebens mit dir teilen.“

Seine aufrichtigen Worte trieben ihr die Tränen in die Augen. Und obwohl sie wusste, dass er alles auf eine Karte setzte, war sie zu feige, um das Gleiche zu tun.

„Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet“, protestierte sie. „Ich bin überhaupt nicht darauf vorbereitet.“

Er ließ ihre Hand los und steckte das Kästchen zurück in seine Tasche. Doch das machte ihre Entscheidung nicht einfacher, denn sie wusste ja, dass es da war.

„Ich will dich nicht zu einer Antwort drängen. Nicht jetzt“, sagte er. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich gerne eine gemeinsame Zukunft für uns – für uns alle – hätte.“

„Und ich wollte eine gemeinsame Nacht – nur für uns zwei.“

Sie sah die Enttäuschung in seiner Miene. Doch sie hatte einfach zu viel Angst vor den Gefühlen, die sie Matt gegenüber empfand und die so intensiv waren, dass sie selbst davor erschrak.

Er fasste sich schnell. „Dann lass uns mit heute Nacht beginnen“, schlug er vor. Während er sie nach oben in sein Schlafzimmer führte, erinnerte sie sich an seine Worte: Ich möchte jede Minute meines Lebens mit dir teilen.

Unvermittelt wurde ihr klar, dass sie genau das Gleiche wollte.

Später, als sie wieder zu Atem gekommen war und sich an ihn schmiegte, wusste sie, dass dies einer der Momente war, von denen Matt gesprochen hatte. Einer dieser Momente, die sie nur mit ihm teilen wollte. Nicht nur, weil der Sex die Erde zum Beben gebracht hatte, sondern weil sie sich in seinen Armen beschützt und zu Hause fühlte. Und weil es keinen Platz auf der Erde gab, wo sie in diesem Moment lieber gewesen wäre.

Dank dieser Gewissheit fand sie endlich auch den Mut zuzugeben, was sie wirklich wollte. „War wirklich ein Ring in dem Kästchen, das du mir eben gezeigt hast?“

„Ah, jetzt willst du doch sehen, was drin ist, nicht wahr?“, schmunzelte er.

„Nein, ich will ihn nicht sehen. Ich will ihn tragen. Aber nur, wenn ich zuvor einen Antrag bekomme.“

Sein Grinsen wurde breiter. „Heißt das, dass ich mich anziehen muss?“

Sie schüttelte den Kopf. „Das heißt nur, dass du fragen musst.“

Er suchte in der Tasche seiner Hose, die er achtlos neben das Bett geworfen hatte, nach dem Kästchen. Als er wieder auftauchte, sagte er: „Jetzt bin ich richtig nervös.“

Sie lächelte erleichtert, weil es nicht nur ihr so erging. „Würde es dir helfen, wenn ich dir verrate, dass ich wahrscheinlich Ja sagen werde?“

„Wahrscheinlich?“, echote er. „Das klingt nicht gerade ermutigend.“

„Na ja, ich kann schließlich nichts sagen, bevor ich die Frage nicht gehört habe.“

„Also, so habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich wollte mir zuerst die richtigen Worte aussuchen, um dir zu sagen, wie viel du mir bedeutest, dass sich mein Leben vollkommen verändert hat, seit ich dich kenne und mir jeder Tag ein bisschen schöner erscheint.“

„Das ist doch schon mal ein guter Anfang“, meinte sie.

„Ich bin glücklich, wenn ich mit dir zusammen bin“, fuhr er fort. „Aber ich wäre noch glücklicher, wenn du meine Frau wärst. Ich will aber nicht nur dein Ehemann sein, sondern ein Partner und Freund in all deinen Lebenslagen. Ich möchte deine Hoffnungen und Träume teilen, mit dir feiern, wenn du glücklich bist, und dich trösten, wenn du traurig bist. Kurz gesagt, ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, und deshalb frage ich dich, Georgia Reed: Willst du mich heiraten?“

Sie atmete tief durch. „Ich finde keine Worte, um das zu überbieten.“

„Ich will nur ein einziges Wort hören.“

„Ja.“ Sie küsste ihn. „Ja, Matthew Garrett, ich will dich heiraten.“

„Aber du hast dir doch noch gar nicht den Ring angesehen.“ Er öffnete das Kästchen, und ihr stockte der Atem, als sie den prächtigen Diamanten erblickte, der in einen Platinring gefasst war. „Der ist ja wunderschön“, staunte sie.

Er schob ihn ihr über den Finger, und sie hielt ihn ins Licht, sodass er funkelte und blitzte. „Er ist wirklich fantastisch.“ Dann nahm sie Matts Gesicht in die Hände und schaute ihm tief in die Augen. „Aber das Allerfantastischste bist du!“

Matt war überrascht, als Georgia ihm vorschlug, bereits in zwei Wochen zu heiraten, aber er hatte auch nichts dagegen. Und während Georgia sich mit Hilfe ihrer Mutter um das Hochzeitskleid und die Vorbereitungen für die Feier kümmerte, sorgte er dafür, dass die oberen Zimmer in seinem Haus zu Kinderzimmern umgebaut wurden. Dabei konnte er sich auf die Unterstützung seiner Brüder verlassen.

Am Abend kam Georgia zu ihm herüber, um den Fortschritt der „Bauarbeiten“ zu begutachten. „Wo sollen denn die Betten stehen?“, fragte sie, während sie sich im künftigen Zimmer der Zwillinge umschaute.

„Hier vielleicht?“ Matt deutete auf die Wand gegenüber dem Fenster, während er eine Leiter zusammenklappte.

„Hm. Passen sie dahin?“ Georgia ging mit weit ausholenden Schritten an der Wand entlang.

„Nichts gegen dein Augenmaß“, schmunzelte er. „Aber bei solchen Dingen würde ich mich doch lieber auf einen Zollstock verlassen.“

„Und wo finde ich einen?“

„Unten in meinem Schreibtisch. Oberste Schublade links.“ Er wollte die Leiter abstellen, aber sie kam ihm zuvor.

„Lass nur. Ich hole ihn schon.“

Als sie fast unten war, fiel Matt plötzlich das Foto ein, das in derselben Schublade lag. Panisch lief er die Treppe hinunter, doch als er sein Arbeitszimmer betrat, sah er, dass es zu spät war. Sie hielt das gerahmte Bild bereits in den Händen und starrte verwirrt auf das Foto eines sechs Jahre alten Jungen mit dunklem Haar, dunklen Augen und einem breiten Grinsen. Es zeigte Liam an seinem letzten Tag im Kindergarten.

Vorsichtig betrat Matt das Zimmer. „Georgia?“

Sie schaute hoch. „Wer ist das?“

Er atmete tief durch. „Er heißt Liam. Er … war mein Sohn.“

Verständnislos starrte Georgia ihn an. Hatte er tatsächlich „mein Sohn“ gesagt? Unmöglich! Er hätte ihr doch bestimmt längst erzählt, dass er einen Sohn hatte. Als sie jedoch seine schuldbewusste Miene sah, sank sie auf den Schreibtischstuhl. „Du hast … ein Kind?“

„Ja“, antwortete er. „Fast drei Jahre lang.“

„Drei Jahre?“ Das ergab doch keinen Sinn. Der Junge auf dem Foto sah viel älter aus.

„Vielleicht kannst du mir etwas mehr erzählen …“ Noch immer war sie vollkommen fassungslos über diese Entdeckung.

Er räusperte sich, um Zeit für die richtigen Worte zu gewinnen. „Ich habe Lindsay geheiratet, weil sie schwanger war“, begann er. „Und weil sie mir versichert hat, dass es mein Kind wäre. Aber sie hatte mich angelogen.“

Seine Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz. „Wie hast du es herausgefunden?“

„Nachdem Liams leiblicher Vater seinen Einsatz im Irak beendet hatte, wollte er seine Exfreundin ausfindig machen und musste feststellen, dass sie geheiratet hatte – kurz nachdem er um die halbe Welt geschickt worden war.“

„Wusste er, dass sie schwanger war?“

„Nein. Lindsay wusste es wohl selbst noch nicht, als er gefahren ist. Und selbst als sie sicher war, wollte sie es ihm nicht sagen, weil sie davon überzeugt war, dass er nicht nach Hause zurückkommen würde. Stattdessen beschloss sie, einen anderen Vater für ihr Baby zu finden. Und hat mich ausgewählt. Wir kannten uns vom College, genauer gesagt, durch Kelsey, mit der ich schon damals befreundet war. Lindsay und ich hatten uns aber lange nicht gesehen. Und dann stand sie eines Tages vor meiner Tür, machte mir schöne Augen … na ja, und ich bin darauf reingefallen.“

„Sie wusste, dass du das Richtige tun würdest“, meinte Georgia.

„Vermutlich. Ich habe sie nicht geliebt, aber das Baby, das wir gemeinsam haben würden, das habe ich von Anfang an geliebt. Ich hatte darauf gehofft, dass es mit unserer Liebe auch klappen würde, wenn wir erst einmal miteinander verheiratet waren.“

„Das tut mir so leid, Matt“, murmelte Georgia.

„Als Lindsay mir sagte, sie wolle die Scheidung, um mit Liam nach Kalifornien zu seinem richtigen Vater zu ziehen, war ich wie vor den Kopf gestoßen. Ich wollte sogar um das Sorgerecht kämpfen.“

„Und warum hast du es nicht getan?“

„Weil ich die drei zusammen erlebt habe. Mir war sofort klar, dass Lindsay und Jarrod einander liebten, wie wir es niemals getan hatten. Und als er Liam gesehen hat und ihm klar wurde, dass das sein Sohn war …“ Matt räusperte sich. „Ich wollte ihnen nicht im Weg stehen. Sie waren eine Familie.“

„Hast du ihn denn noch einmal gesehen?“

„Nicht, seitdem sie in Kalifornien leben. Lindsay schickt mir hin und wieder eine Karte oder ein Foto … aber Liam erinnert sich gar nicht mehr an mich.“

„Und das hier …“, sie zeigte auf das Bild in ihren Händen, „… ist ziemlich neu?“

„Ja. Sein letzter Tag im Kindergarten. Ich habe es vor ein paar Wochen bekommen.“ Als Georgia schwieg, fuhr er fort: „Ich weiß, ich hätte es dir erzählen müssen …“

Georgia legte das Bild zurück in die Schublade und schloss sie langsam. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster.

„Bitte, sag doch etwas, Georgia“, flehte er, als er die Stille im Raum nicht länger aushielt.

Sie sah ihn an. „Ja. Du hättest es mir erzählen müssen.“

Damit stand sie auf und verließ den Raum.

Als Charlotte den Zwillingen erzählte, dass Henry ihr neuer Mann sei, bestanden sie darauf, ihn „Grampa“ zu nennen. Henry hatte nichts dagegen; im Gegenteil, er fühlte sich geschmeichelt, und er liebte es, zusammen mit Charlotte auf die Kinder aufzupassen.

„Du kannst gerne jeden Abend mit Matt ausgehen“, hatte sie ihrer Tochter angeboten. „Nutze die Gelegenheit, solange wir noch hier sind.“

Aber Georgia stand der Sinn nicht nach Ausgehen. Matts jüngste Enthüllung beschäftigte sie so sehr, dass sie an kaum etwas anderes denken konnte. Was bedeutete es für ihre gemeinsame Zukunft? Hatte seine Vergangenheit überhaupt eine Bedeutung für die Zukunft?

Es erschien ihr wie ein Wink des Schicksals, als sie eines Mittags im Supermarkt Kelsey an der Kasse traf. Nachdem beide Frauen gezahlt hatten und ihre Einkaufswagen zum Parkplatz schoben, schlug Georgia vor, einen Kaffee zu trinken. Kelsey stimmte sofort zu, und kaum hatten sie an einem Tisch in einem nahegelegenen Coffeeshop Platz genommen, fragte Kelsey: „Also, was hat Matt getan?“

Georgia war nicht einmal überrascht, dass Kelsey mit der Tür ins Haus fiel, und deshalb redete auch sie nicht um den heißen Brei herum. „Er hat vergessen, mir zu erzählen, dass er einen Sohn hat.“

„Willst du damit sagen, dass du es erst seit heute weißt?“

Georgia berichtete kurz, wie sie hinter sein Geheimnis gekommen war, und Kelsey schüttelte den Kopf. „Er ist einfach zu gutmütig. Deshalb konnte Lindsay ihn auch so leicht um den Finger wickeln.“

„Du kennst sie wohl recht gut?“

„Was hat er dir über meine Verbindung zu seiner Exfrau erzählt?“

„Nur, dass er sie durch dich kennengelernt hat. Wart ihr Freundinnen?“

Kelsey schüttelte den Kopf. „Lindsay ist meine Schwester.“

Georgia riss die Augen weit auf. „Darauf wäre ich nie gekommen.“

„Wie auch? Du hast sie ja nie gesehen. Aber was genau ist dein Problem?“

„Ich bin mir nicht mehr sicher, warum Matt mich heiraten will.“

„Das kann ich dir sagen: Er liebt dich abgöttisch. Reicht dir das nicht?“

„Tut er das wirklich?“

Kelsey sah sie erschrocken an. „Du zweifelst daran?“

„Er hat Lindsay geheiratet, um der Vater ihres Babys zu sein. Wie kann ich mir sicher sein, dass er mich nicht nur deshalb heiratet, um der Vater meiner Kinder zu sein?“ Dieser Gedanke war ihr seit seinem Geständnis unentwegt durch den Kopf gegangen.

Kelsey hatte eine sehr vernünftige Antwort für sie. „Frag ihn. Nur so kannst du dir sicher sein.“

Es war ein guter Ratschlag. Georgia war schon selbst zu dem Schluss gekommen, dass sie und Matt noch viel mehr miteinander zu besprechen hatten. Nach dem Abendessen würde sie zu ihm hinübergehen, sagte sie sich, während sie ihre Haustür aufschloss und die Einkaufstüten in die Küche trug.

Dort saß Charlotte und kümmerte sich um das Essen. Aus dem Garten kamen lautes Johlen und Lachen. „Grampa“ spielte mit den Zwillingen.

„Hast du auch dein Hochzeitskleid mitgebracht?“, fragte Charlotte, während sie das Gemüse putzte.

Georgia schüttelte den Kopf. „Das habe ich vergessen.“

„Vergessen?“ Charlotte lachte ungläubig. „Wie kannst du dein Hochzeitskleid vergessen? Du brauchst es doch in drei Tagen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine Hochzeit geben wird“, gestand sie leise.

„Rede keinen Unsinn“, empörte sich Charlotte. „Selbstverständlich wird es eine Hochzeit geben. Die Kirche ist gebucht, Kuchen und Blumen sind bestellt, und ich kenne zwei sehr hübsche Jungs, die darauf brennen, ihre Mama zum Altar zu führen.“

Georgias Augen füllten sich mit Tränen. „Das geht alles viel zu schnell. Philipp kannte ich drei Jahre, ehe wir geheiratet hatten. Und Matt kenne ich gerade mal drei Monate.“ Sie versuchte, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken. „Und inzwischen bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich ihn überhaupt kenne.“

Charlotte machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Du hast nur Lampenfieber; das ist vor einer Hochzeit ganz normal. Mach dir keine Sorgen – das geht jeder Braut so.“

„Mom, ich bin keine Braut, die Bammel vor der Hochzeitsnacht hat“, antwortete Georgia mutlos.

„Was ist es denn dann?“

Schweigend hörte Charlotte Georgia zu, als sie ihr von Liam erzählte, und sie schwieg auch noch sehr lange, als Georgia ihren Bericht beendet hatte. Schließlich fragte sie nur: „Liebst du ihn?“

„So einfach ist es nicht“, wich sie aus.

„Liebst du ihn?“, wiederholte ihre Mutter.

„Ich hätte niemals einen Ring von ihm angenommen, wenn ich es nicht täte.“

Charlotte nickte verständnisvoll. „Bei einer Heirat ist immer viel Vertrauensvorschuss im Spiel.“

„Aber wie soll ich einem Mann vertrauen, der nicht aufrichtig mir gegenüber war?“

„Er hätte wirklich ein bisschen mitteilsamer sein können“, gab Charlotte zu. „Aber du kannst ihm nicht vorwerfen, unehrlich zu sein. Ich meine, er hat dir niemals erzählt, keinen Sohn zu haben, nicht wahr?“

„Das macht es auch nicht besser.“

„Ich sage nicht, dass es das besser macht.“ Ihre Mutter klang besänftigend. „Ich finde nur, du solltest nicht so streng mit ihm sein. Niemand ist vollkommen, Schatz, und wenn du das erwartest, wirst du nur enttäuscht sein.“

„Das stimmt.“

„Ich verstehe, dass du an seinen Motiven zweifelst. Aber du musst auch berücksichtigen, dass er wahrscheinlich viel zu sehr mit seiner Zukunft mit dir beschäftigt war, um über seine Vergangenheit nachzudenken. Seine Exfrau und sein Sohn sind seine Vergangenheit; du und deine Kinder sind seine Zukunft. Natürlich kannst du die Hochzeit verschieben oder auch absagen, wenn du glaubst, dass du das tun musst“, fuhr ihre Mutter fort. „Doch ehe du eine solche Entscheidung triffst, solltest du gründlich über die Konsequenzen nachdenken.“

„Die Jungs wären furchtbar enttäuscht“, sagte Georgia.

Charlotte schüttelte den Kopf. „Natürlich. Aber hier geht es nicht in erster Linie um sie, sondern um dich. Warum hast du Ja gesagt, als er dir einen Heiratsantrag gemacht hat?“

„Weil ich ihn liebe.“

Ihre Mutter schaute ihr in die Augen. „Und hast du vor, mit dem Mann, den du liebst, für den Rest deines Lebens zusammenzubleiben?“

Nach dem Gespräch mit ihrer Mutter fühlte Georgia sich ein wenig erleichtert. Sie beschloss, Matt einen Besuch abzustatten. Er saß auf der Veranda, und die Welpen stürzten freudig bellend auf sie zu, um sie zu begrüßen.

„Hallo“, begrüßte er sie. Es sollte locker klingen, aber sie spürte seine Anspannung.

„Selber hallo“, erwiderte sie.

„Setz dich doch.“ Er rückte zur Seite, um ihr auf der Bank Platz zu machen. „Bist du immer noch sauer?“, fragte er nach einer Weile.

Georgia dachte an das Wechselbad der Gefühle, das sie in den vergangenen Stunden erlebt hatte. Sauer war nicht dabei gewesen.

„Wenn du es als sauer bezeichnest, dass ich wütend auf deine Exfrau war für das, was sie dir angetan hat … Ja, dann war ich sauer“, gestand sie.

„Ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen oder tun oder erklären“, begann er hilflos. „Aber ich wüsste nicht einmal, wie ich es dir erklären könnte.“

„Du bist doch ein intelligenter Mensch“, meinte Georgia.

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Dummkopf. Denn dir etwas zu verheimlichen war das Letzte, das ich wollte.“

„Ja, das war es“, bestätigte Georgia. „Aber jetzt ist es ja raus.“

Matt nickte nur. Er schien erleichtert zu sein.

Georgia schaute ihm in die Augen. „Kann ich dich etwas fragen?“

„Alles.“

„Warum hast du mich gebeten, dich zu heiraten?“

Erstaunt sah er sie an. „Das ist deine Frage?“

Wieder nickte sie.

„Dann muss ich mich ja noch dämlicher angestellt haben, als ich dachte, wenn du immer noch nicht weißt, wie sehr ich dich liebe.“

„Ich weiß, dass du das gesagt hast“, erwiderte sie. „Aber ich muss wissen, dass du mit mir zusammen sein möchtest und dass du in mir nicht nur die Witwe von nebenan und ihre Kinder siehst – als Chance, wieder eine Familie zu haben.“

„Du weißt, wie sehr mir Pippa und die Zwillinge am Herzen liegen. Aber ich hätte dir niemals einen Antrag gemacht, wenn ich nicht in erster Linie mit dir zusammen sein wollte. Wir waren beide schon einmal verheiratet. Ich weiß nicht, wie du es mit dem Treueschwur hältst, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es heißt ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ und nicht ‚Bis eure Kinder aufs College gehen‘.“

Jetzt musste sie doch lachen. „Der Unterschied diesmal besteht allerdings darin, dass die Kinder bereits Realität und keine Pläne sind.“

„Ich liebe Quinn, Shane und Pippa, als wären es meine eigenen Kinder. Aber als ich dir den Antrag gemacht habe, habe ich nicht an sie gedacht“, versicherte er ihr. „Als ich dich um deine Hand gebeten habe, habe ich nicht überlegt, wie ich Quinn und Shane das Baseballspielen beibringen werde – und auch nicht an die große Prinzessinnengeburtstagsparty, wenn Pippa ein Jahr alt wird.“

„Obwohl du über all das nachgedacht hast.“

„Wenn ich an die Zukunft mit dir denke, enthält sie alles, was ich mir jemals gewünscht habe, aber sie wäre nichts ohne dich.“ Er ergriff ihre Hand. „Ich habe dich gebeten mich zu heiraten, weil ich mir eine Zukunft ohne dich nicht vorstellen kann. Die Kinder sind ein Bonus, das will ich gar nicht abstreiten, aber du bist es, die ich für den Rest meines Lebens an meiner Seite haben möchte.“

Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme ließ ihr die Tränen in die Augen treten.

„Wenn du allerdings die Hochzeit verschieben willst, ist das in Ordnung“, fuhr er fort. „Solange du mich nicht aus deinem Leben verbannst. Gib mir die Chance, dir zu beweisen, wie sehr ich dich liebe. Bitte.“

„Möchtest du die Hochzeit verschieben?“

„Nein“, antwortete er, ohne zu zögern. „Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, und ich möchte, dass das so schnell wie möglich offiziell ist. Wenn du allerdings Zweifel hast …“

Energisch schüttelte sie den Kopf. Sie hatte keine Zweifel. Nicht mehr. „Ich möchte die Hochzeit nicht verschieben“, erwiderte sie. „Ich möchte dich heiraten, weil ich dich liebe, und ich möchte auch, dass der Rest unseres Lebens so bald wie möglich beginnt.“

Er nahm sie in die Arme und küsste sie lange und stürmisch. Als er sich von ihr löste, sagte er: „Um dir die volle Wahrheit zu sagen …“

Georgia erstarrte. „Gibt es noch mehr Geheimnisse aus deiner Vergangenheit?“

„Nein. Es ist eine Idee für die Zukunft.“

Sie atmete erleichtert aus. „Okay.“

„Du sollst wissen, dass ich mir auch Gedanken über die Vergrößerung unserer Familie gemacht habe.“

„Du möchtest noch mehr Kinder haben?“ An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht. Aber jetzt, da Matt es erwähnte, wurde ihr bewusst, dass sie gerne noch ein weiteres Kind haben wollte – Matts Kind.

„Natürlich nur, wenn du willst“, fügte er hastig hinzu. „Ich habe mir überlegt, da wir schon zwei Jungs haben, wäre es doch nett, wenn Pippa eine Schwester bekäme.“

Das wir in seinem Vorschlag ließ ihr erneut die Tränen in die Augen treten. Und es verriet ihr seine wahren Gefühle. Er hatte ihr den Ring nicht an den Finger gesteckt, damit sie eine Familie wurden – sie waren bereits eine Familie. Der Ring sollte nur ein Zeichen seiner Liebe sein.

„Lass uns doch über ein weiteres Kind reden, wenn die Kleine aus dem Gröbsten heraus ist“, schlug sie vor.

„Das klingt vernünftig“, stimmte er ihr zu.

„Außerdem haben wir im Moment wichtigere Dinge zu tun, wenn wir in drei Tagen nach der Hochzeit in dein Haus umziehen wollen.“

„Das Zimmer der Zwillinge ist übrigens fertig“, sagte er. „Soll ich es dir zeigen?“

„Das ist doch nur eine Ausrede, um mich in die Nähe des Schlafzimmers zu bekommen“, vermutete sie.

Er lächelte. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“

Sie nahm sein Gesicht in die Hände und schaute ihm in die Augen. „Ja, das bist du“, sagte sie, bevor sie ihn küsste.

„Ich liebe dich, Georgia Reed.“

„Und ich liebe dich, Matt Garrett“, sagte sie. „Und jetzt zeig mir das Zimmer der Jungs.“

Er nahm ihre Hand und führte sie in das Haus, das nicht länger nur seines war, sondern das sie ab sofort miteinander teilen würden – genau wie den Rest ihres Lebens.

– ENDE –

IMPRESSUM

Verliebt in einen Playboy-Daddy erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2013 by Brenda Harlen
Originaltitel: „His Long-Lost Family“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 58 - 2018 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Meike Stewen

Umschlagsmotive: Getty Images / Carther

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733728205

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

Kelly Cooper blickte auf die Uhr und stöhnte innerlich auf. Jeden Tag das Gleiche! Da konnte sie ihre Tochter noch so früh wecken, am Ende waren sie doch immer zu knapp dran. „Jetzt mach schon, Ava, wir kommen sonst zu spät!“

Immerhin kam die Zwölfjährige gleich mit ihrem Rucksack den Flur heruntergestürmt. In der einen Hand hatte sie einen Zettel. „Sorry Mom. Ich musste noch was raussuchen, ich brauche hier nämlich deine Unterschrift.“

In ihrer Handtasche suchte Kelly nach einem Kugelschreiber. Auch das war nichts Neues. Wenn die Eltern Einverständniserklärungen für Klassenausflüge oder Bestellungen für das Mittagessen in der Schule unterschreiben mussten, ließ sich ihre Tochter damit gern bis zur letzten Sekunde Zeit.

Ava legte den Zettel auf den kleinen Tisch neben der Wohnungstür und strich ihn glatt, damit ihre Mutter auf der gepunkteten Linie unterschreiben konnte. Dabei hatte sie allerdings ihre Hand flach auf den oberen Teil des Papiers gelegt, und das kam Kelly verdächtig vor. Blitzschnell zog sie Ava den Zettel weg und warf einen Blick auf die Überschrift und las dort: Einverständniserklärung für Piercing bei Minderjährigen.

„Du bist ja nicht ganz bei Trost!“, sagte sie, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

„Ach, komm schon, Mom. Bitte!

„Nein.“ Sie riss den Zettel in kleine Fetzen, dann öffnete sie die Tür und verließ die Wohnung. „Und jetzt komm endlich.“

Avas tiefgrüne Augen, die denen ihres Vaters so ähnlich sahen, füllten sich mit Tränen. „Es ist doch nur am Bauchnabel.“

„Ava, das habe ich dir schon letzte Woche erklärt: Von mir bekommst du bestimmt nicht die Erlaubnis, dich mit Piercings oder Tattoos verunstalten zu lassen.“

„Und warum nicht?“

„Weil du zwölf bist.“ Kelly schloss die Wohnungstür ab und ging ihrer Tochter voran zum Fahrstuhl.

„Ich bin aber schon fast dreizehn.“

Tatsächlich war sie vor ein paar Monaten erst zwölf geworden. „So oder so bist du noch lange nicht volljährig“, betonte Kelly. „Wenn du dir mit achtzehn immer noch ein Bauchnabelpiercing machen lassen willst, dann kann ich nichts mehr dagegen unternehmen. Aber bis dahin bin ich definitiv dagegen!“

„Du bist so gemein.“

„Ich weiß, das hast du mir schon ein paarmal gesagt“, erwiderte sie. Inzwischen war der Fahrstuhl im Erdgeschoss angekommen und die beiden stiegen aus.

„Aber Miranda und Corinne haben auch Bauchnabelpiercings, und Rachel hat an ihrem Geburtstag einen Termin.“ Ava stieg auf der Beifahrerseite ins Auto und schnallte sich an. „Ihre Mutter ist nämlich echt cool. Sie hat gesagt, dass Rachel damit ihre individuelle Persönlichkeit zum Ausdruck bringen kann.“

„Ich verstehe nicht, was daran so individuell sein soll, wenn alle anderen genau das gleiche Piercing haben“, gab Kelly zurück.

Ava schnaubte leise. „Du behandelst mich wie ein Baby.“

„Du bist doch auch mein Baby.“

Darauf schwieg Ava eine Weile, was allerdings noch lange nicht hieß, dass sie aufgegeben hatte, das wusste Kelly. Und tatsächlich: „Wenn ich einen Dad hätte, würde der mir das Piercing bestimmt erlauben.“

Diesen Schachzug kannte Kelly bereits: Wenn Ava ihren Willen nicht durchsetzen konnte, dann machte sie einen auf vaterloses Kind. Und obwohl Kelly sich davon grundsätzlich nicht umstimmen ließ, fühlte sie sich jedes Mal unendlich schuldig. In Wirklichkeit hatte Ava nämlich einen Vater, sie hatte ihren Erzeuger bloß noch nicht kennengelernt. Und er wusste seinerseits nichts von seiner Vaterschaft.

Normalerweise versuchte sie nicht an ihn zu denken, aber sie hatte ihn keinesfalls vergessen. Am Abend ihres sechzehnten Geburtstags hatte er sie zum ersten Mal geküsst … und von diesem Moment an hatte ihm ihr Herz gehört. Erst einige Jahre danach hatte sich ihre Beziehung über diesen einen Kuss hinaus an einem Wochenende entwickelt, das ihr ganzes Leben verändern sollte.

Er war der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Als er sich dann für eine andere Frau entschieden hatte, war Kelly mit gebrochenem Herzen und ihrem ungeborenen Kind so weit weggezogen, wie sie konnte. Doch obwohl jetzt Tausende von Kilometern zwischen ihnen lagen – ihre Erinnerungen und Schuldgefühle waren ihr trotzdem gefolgt.

„Darüber lasse ich nicht mit mir verhandeln“, erwiderte Kelly mit fester Stimme.

Darauf sagte Ava nichts mehr, sondern machte einfach nur einen Schmollmund.

Auf dem Weg zur Schule ihrer Tochter rief Kelly sich ins Gedächtnis, wie sie selbst damals als Zwölfjährige gewesen war. Eigentlich war sie fast ihre ganze Kindheit lang schüchtern und zurückhaltend gewesen und hatte die große, für sie fremde Welt sehr vorsichtig erkundet, Schritt für Schritt. Zum Glück hatte sie dabei Lukas Garrett an ihrer Seite gehabt, ihren besten Freund. Für Make-up oder schicke Kleidung hatte sie sich nie besonders interessiert, sie hatte auch nie einen besonderen Eindruck auf Jungen machen wollen. Und am allerwenigsten hatte sie sich für solche Dinge wie Piercings oder Tattoos interessiert.

Klar, früher war alles noch ein bisschen anders gewesen als heute, in ihrer Heimatstadt Pinehurst im Bundesstaat New York sowieso. Und obwohl sie die Stadt schon vor fünfzehn Jahren verlassen hatte, um aufs College zu gehen, und die Einwohnerzahl seitdem ordentlich in die Höhe geschossen war, wusste sie, dass sich dort sonst nicht besonders viel verändert hatte. Pinehurst hatte sich den Charme einer Kleinstadt bewahrt und würde ihn wohl auch immer behalten. Dort unterhielten sich die Nachbarn auf der Straße miteinander, die Einwohner begrüßten Neuankömmlinge mit selbstgebackenen Keksen und hielten beharrlich an traditionellen Werten fest. Und in letzter Zeit dachte Kelly immer wieder darüber nach, wie schön es wäre, wenn ihre Tochter in genau so einer Stadt aufwachsen könnte.

Als sie mit dem Wagen vor Avas Schule hielt, musste sie wieder an die E-Mail denken, die Lukas ihr gestern geschickt hatte. Darin hatte er ihr einen Link zu einer Stellenausschreibung bei Richmond Pharmaceuticals weitergeleitet, einem Pharmaunternehmen mit Sitz in Pinehurst, und die hatte sehr verlockend geklungen. Insgeheim verfluchte sie Lukas für den Hinweis. Wenn sie wirklich nach Pinehurst zurückkehrte, konnte sie das Geheimnis um ihre Tochter nämlich nicht mehr für sich behalten.

Wenn sie allerdings in Seattle an der Westküste der USA blieb, dann würde sich ihre gegenwärtige Lage nicht verändern. Dummerweise war diese alles andere als optimal, gerade was Kellys Arbeitssituation anging. Und obwohl Ava bestimmt nicht begeistert davon wäre, an die Ostküste des Landes zu ziehen, hielt es Kelly für das Beste für sie beide – jedenfalls langfristig gesehen.

In Pinehurst könnten sie beide noch einmal von vorn anfangen. Dort würde Ava eine neue Schule besuchen, neue Freunde kennenlernen … und vielleicht sogar endlich auch ihren Vater.

1. KAPITEL

Vier Monate später

„Und, was sagst du zu dem Fall?“, sagte Jackson Garrett. „Meinst du nicht, dass man dem Jungen noch mal eine Chance geben sollte?“

Jackson saß mit Gord Adamson in einer kleinen Kneipe gegenüber dem Gerichtsgebäude. Die beiden hatten zusammen Jura studiert, jetzt begegneten sie sich in ihrer Heimatstadt Pinehurst hin und wieder vor Gericht: Jackson als Anwalt und Gord als Bezirksstaatsanwalt. Auch in diesem Moment unterhielten sie sich über einen aktuellen Fall. Jackson hatte die Verteidigung von Travis Hatcher übernommen. Der junge Mann hatte mit einem Baseballschläger auf den Mercedes seines Vaters eingedroschen, und zwei weitere Fahrzeuge waren in Mitleidenschaft gezogen worden. „Travis Hatcher ist ein wirklich guter, verantwortungsbewusster junger Mann. Und ich habe dir ja eben erklärt, was sein Vater ihm angetan hat.“

Gord seufzte. „Und du meinst wirklich, dass du eine Bewährungsstrafe für ihn rausholen kannst?“

„Mit der entsprechenden Unterstützung durch den zuständigen Bezirksstaatsanwalt schon“, sagte Jackson.

„Gut, darauf würde ich mich einlassen … aber nur mit der Auflage, dass er ein Aggressionsbewältigungstraining absolviert. Und letztlich hat das natürlich die zuständige Richterin zu entscheiden.“

„Natürlich.“

Gord trank einen weiteren Schluck. „Läuft da eigentlich noch was zwischen dir und Angela vom Einwohnermeldeamt?“

„Nein, das ist längst vorbei.“

„Du willst dich wohl immer noch nicht niederlassen und eine Familie gründen.“

„Auf keinen Fall!“ Dass seine Ehe in die Brüche gegangen war, war zwar schon eine Weile her, aber die Erinnerung daran verfolgte ihn bis heute.

Sein Freund lachte leise. „Willst du dir für die Antwort nicht etwas Bedenkzeit nehmen?“

„Die brauche ich nicht, ich war nämlich schon mal verheiratet. Als ich noch jung und naiv war.“

„Etwa mit der Frau, mit der du damals in Chicago zusammen warst?“

Gerade wollte Jackson die Bierflasche an die Lippen setzen, als er innehielt. Er hatte ganz vergessen, dass Gord vor über zwölf Jahren ebenfalls an der Konferenz in Chicago teilgenommen hatte. „Nein“, sagte er. „Mit einer anderen.“

„Und wer war die Frau in Chicago?“, hakte Gord nach. „Zwischen euch hat es ja kräftig geknistert.“

Jackson runzelte die Stirn und tat, als versuchte er angestrengt, sich an die drei wunderschönen Tage zu erinnern. In Wirklichkeit hatte er bis heute kein einziges Detail vergessen. „Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

Gord schnaubte leise. „Alles klar, und ich bin der Weihnachtsmann.“

„Jedenfalls heirate ich nicht noch einmal“, sagte Jackson.

„Sag niemals nie.“

Jackson gab sich unbeeindruckt. Inzwischen war er siebenunddreißig und genoss sein Singleleben. Natürlich fing er hin und wieder etwas mit Frauen an, wenn auch nicht mehr ganz so häufig. Doch früher oder später verabschiedete er sich wieder von ihnen und bisher hatte er noch keine von ihnen vermisst. Mit einer Ausnahme: Kelly Cooper, mit der er in Chicago ein unvergessliches Wochenende verbracht hatte.

Warum hatte er damals auch ausgerechnet die Four Brothers Bar in Chicago besuchen müssen? Beziehungsweise warum war er nicht gleich umgedreht, als er festgestellt hatte, dass die umwerfende junge Frau hinter dem Tresen niemand anders war als das Mädchen, das in seiner Jugend im Nachbarhaus gewohnt hatte?

Und dann hatte er der Versuchung nicht widerstehen können. Er hatte ihren vorlauten Mund geküsst, mit dem sie ihn so viele Jahre lang geneckt hatte. Er hatte jeden Zentimeter ihrer glatten seidigen Haut erkundet … und dann hatte er sich immer wieder in ihr verloren. All das bereute er inzwischen. Und am allermeisten bereute er, dass er sie so einfach hatte gehen lassen.

„Apropos Familie, ich muss allmählich nach Hause“, sprach Gord in seine Gedanken hinein und holte ihn damit wieder in die Gegenwart zurück. „Sheila und die Jungs warten schon auf mich.“

Gerade wollte Gord nach der Kellnerin rufen, da hielt Jackson ihn zurück. „Fahr ruhig schon los, ich übernehme das heute.“

„Vielen Dank.“ Gord stand auf und reichte Jackson die Hand. „Um deinen Fall kümmere ich mich am Mittwoch, wenn Richterin Parrish Dienst hat.“

„Das hört sich doch gut an!“ Soweit Jackson sich erinnern konnte, war die Richterin bisher immer auf gemeinsame Vorschläge durch Verteidigung und Staatsanwaltschaft eingegangen.

Nachdem sein Kollege die Kneipe verlassen hatte, bestellte Jackson noch ein zweites Bier. So dankbar er ihm für seine Kooperationsbereitschaft auch war, so sehr ärgerte er sich darüber, dass Gord ihn ausgerechnet an Kelly Cooper und die Zeit in Chicago erinnert hatte. Jetzt saß er hier, und die Sache ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Gut, eigentlich musste er sowieso immer wieder an Kelly denken. In letzter Zeit umso häufiger – seit sein Bruder ihm erzählt hatte, dass sie bald wieder nach Pinehurst ziehen würde.

Sie war die einzige Frau, die er nicht hatte vergessen können, und er wusste nicht warum. Obwohl sie ein unvergessliches Wochenende miteinander verbracht hatten, war nie die Rede davon gewesen, dass mehr daraus werden könnte. Als Kelly ihn also einige Monate nach besagtem Wochenende angerufen hatte, hatte sie ihn völlig überrumpelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine damalige Exverlobte Sarah gerade beschlossen, dass sie die Verlobung doch nicht lösen wollte. Kaum hatte er Kellys Stimme am Telefon gehört, waren seine Erinnerungen an das gemeinsame Wochenende wieder lebendig geworden. Doch dann war Sara ins Zimmer gekommen und hatte stumm auf ihre Armbanduhr gedeutet. Also erklärte er Kelly wiederum, dass er und Sara gleich einen Termin bei einer Hochzeitsplanerin hatten, woraufhin einige Sekunden lang betretenes Schweigen geherrscht hatte. Dann gratulierte Kelly ihm schnell und legte sofort wieder auf.

Ein halbes Jahr danach hatte er Sara geheiratet. Und wiederum zwei Jahre später hatte Kelly irgendjemandem in Seattle ihr Jawort gegeben. Inzwischen waren sie beide wieder geschieden. Und obwohl das alles eine halbe Ewigkeit her war, hatte er Kelly nicht vergessen können.

Vielleicht fühlte er sich einfach schuldig, weil er mit der Frau geschlafen hatte, mit der sein Bruder Lukas von klein auf eng befreundet war – wenn auch nur rein platonisch?

Ja, wahrscheinlich liegt es daran, sagte er sich.

Als das Flugzeug auf die Landebahn aufsetzte, zog sich Kelly der Magen zusammen. Jetzt gab es für sie kein Zurück mehr, allerdings hätte sie das auch nicht gewollt. Schließlich war und blieb Pinehurst ihr eigentliches Zuhause.

Als sie damals nach Seattle gezogen war, hatte sie große Pläne gehabt. Dort hatte sie geheiratet und einen neuen Job angenommen. Und sogar nach der Trennung von Malcolm hatte sie die Stadt nicht verlassen wollen – wohl auch wegen Malcoms Mom, der einzigen Großmutter, die Ava je gehabt hatte. Ohne Beverly Scott hätte Kelly die ersten Jahre als junge Mutter gar nicht überstanden. Ihre Schwiegermutter war immer bereitwillig eingesprungen, wenn Kelly dringend einen Babysitter für Ava gebraucht hatte. Nach Beverlys Tod war Kelly völlig verzweifelt gewesen – vor allem deswegen, weil die ältere Frau zu ihrer besten Freundin in Seattle geworden war.

Als das Flugzeug am Gate zum Stehen kam, wurde sie nur noch nervöser. Ich tue das alles für Ava, rief sie sich ins Gedächtnis. Genau wie bei allen anderen Entscheidungen, die sie seit dem positiven Schwangerschaftstest gefällt hatte, wollte sie auch diesmal nur das Beste für ihre Tochter. Selbst wenn Ava das anders sah.

„Wenn wir schon aus Seattle wegziehen mussten – mussten wir dann unbedingt hierher kommen?“, meldete Ava sich jetzt prompt zu Wort.

Kelly seufzte innerlich. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ihre Tochter sich inzwischen mit der Entscheidung abgefunden hatte. „Wenn du etwas weniger Kraft in deine Abwehrhaltung stecken würdest, dann hättest du vielleicht etwas mehr Energie dafür übrig, dich auf die neue Umgebung einzulassen“, erwiderte sie.

„Das glaube ich nicht.“

„Nimm deinen Koffer, dann können wir endlich weiter.“

Sie hatten erst einmal nur das Nötigste eingepackt, den Rest ließen sie sich hinterherschicken.

Ava zog ihren Koffer vom Transportband. „Und wie kommen wir von hier nach Pinecone?“

„Die Stadt heißt Pinehurst“, korrigierte Kelly sie. „Außerdem wollte Onkel Lukas uns abholen.“

„Und wann kriegen wir ein eigenes Auto?“

„Noch vor dem fünfzehnten August“, versicherte Kelly. Dann würde sie nämlich bei dem Pharmaunternehmen Richmond Pharmaceuticals als Buchhalterin anfangen.

Ava rollte mit den Augen. Mit ihrer düsteren Miene und den lilafarbenen Haarsträhnen, die sie von ihrem letzten Übernachtungsbesuch bei Rachel mitgebracht hatte, sah sie aus wie ein typischer Teenager – und dabei war sie erst zwölf.

„Wie weit ist es denn von hier bist Pinetree?“, wollte sie jetzt wissen.

„Eine Stunde mit dem Auto.“ Diesmal gab sich Kelly nicht erst die Mühe, ihrer Tochter den eigentlichen Namen der Stadt zu nennen. „Komm, wir suchen Onkel Lukas.“ Sie verließ den Rückgabebereich des Gepäcks … und blieb dann so abrupt stehen, dass Ava ihr in den Rücken lief.

„Mom, was soll das?“

Kelly schwieg. Es hatte ihr glatt die Sprache verschlagen.

Dort drüben bei den Leihwagentresen, wo sie sich eigentlich mit Lukas verabredet hatte, wartete stattdessen sein Bruder Jackson.

„Mom?“ Ava klang ernsthaft besorgt. „Was ist denn los?“

Kelly atmete langsam aus. „Gar nichts“, log sie, schließlich wollte sie ihre Tochter nicht beunruhigen.

„Okay, schaltest du beim nächsten Mal bitte das Bremslicht an?“ Ava schaute sich um. „Wo ist denn Onkel Lukas? Ich sehe ihn nicht.“

„Ich glaube, der hat sich das anders überlegt“, sagte Kelly und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sauer sie gerade auf Lukas Garrett war.

„Heißt das, dass wir uns jetzt einen Leihwagen nehmen?“, hakte Ava nach.

„Nein, das heißt, dass du gleich Onkel Lukas’ Bruder kennenlernst.“

Und zwar viel früher als gedacht.

Etwa eine Minute lang stand Kelly einfach nur da und betrachtete Jackson aus der Ferne. Dreizehn Jahre lang hatte sie ihn nicht mehr gesehen und trotzdem gleich erkannt. Das lag nicht nur an seinem dunkelbraunen Haar, das wie immer perfekt geschnitten war. Es lag auch nicht allein an seinem sinnlich geschwungenen Mund, von dem sie als Teenager so oft geträumt hatte, oder an seinen tiefgrünen Augen. Ebenso wenig lag es an seiner Körpergröße oder seiner durchtrainierten Figur, den breiten Schultern und den muskulösen Armen, in denen sich wohl jede Frau sicher und geborgen fühlen würde. Dass dort drüben Jackson Garrett stand, merkte sie vor allem an ihrer eigenen Reaktion auf den Mann – daran, dass ihr schlagartig heiß wurde, dass es ihr am ganzen Körper kribbelte und dass es ihr die Sprache verschlug.

Was war bloß los mit ihr? Sie war doch keine sechzehn mehr! Sie zwang sich, einen Schritt auf ihn zuzugehen.

In diesem Moment blickte er von dem Buch auf, das er gerade las – offenbar irgendetwas Juristisches. Als hätte er gespürt, dass sie auf ihn zukam. Dann ließ er den Blick über sie gleiten, von Kopf bis Fuß. Zwar nur flüchtig, trotzdem schoss ihr das Blut dabei heiß durch die Adern. Damit hätte sie nicht gerechnet: dass er nach so langer Zeit noch eine solche Wirkung auf sie haben würde!

Und ausgerechnet jetzt, wo sie völlig übermüdet war und ihr langes dunkles Haar wie angeklatscht aussah, begegneten sie sich zum ersten Mal wieder. Für den langen Flug war sie bloß in bequeme Jeans und ein altes Sweatshirt geschlüpft, dazu hatte sie sich kaum geschminkt.

Eigentlich sollte ihr ja egal sein, wie sie gerade aussah, allerdings … war es das einfach nicht. Wenn sie ihrem Exlover über den Weg lief, dann wollte sie ihm wenigstens einen beeindruckenden Anblick bieten. Davon war sie dummerweise gerade weit entfernt.

Erneut blickte er sie mit seinen tiefgrünen Augen an. „Hallo, Kelly.“ Es waren nur zwei kurze Worte, aber sie fühlten sich an wie eine sanfte Umarmung.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Hallo, Jackson“, erwiderte sie, dabei gelang es ihr sogar, erstaunlich ruhig zu klingen.

Es zuckte kaum merklich um seine Mundwinkel. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass ihn außer seiner Mutter sonst niemand mit seinem vollen Namen ansprach: Jackson. Fast alle anderen nannten ihn einfach Jack. Für Kelly war das aber nie infrage gekommen. Sie fand den Namen Jack viel zu gewöhnlich, und Jackson war alles andere als gewöhnlich.

Er wandte sich ihrer Tochter zu. „Du bist bestimmt Ava.“

Das Mädchen nickte, dann blickte sie von ihrer Mutter zu Jackson und wieder zurück – als würde sie die seltsame Spannung zwischen den beiden spüren.

Kelly hielt die Luft an und rechnete jeden Moment damit, dass Jackson etwas an Ava bekannt vorkam … so, wie auch Kelly immer wieder die äußerliche Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Vater sah.

„Ich bin Jack Garrett, der Bruder von Lukas“, begrüßte er Ava.

Als die beiden sich die Hand reichten, musste Kelly mit den Tränen kämpfen. Dass sie sich gerade begegneten wie zwei Fremde, brach ihr das Herz. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Schließlich war es ihre eigene Schuld, dass sie nichts von ihrer Verbindung wussten.

Vor dreizehn Jahren hatte sich Jackson in allererster Linie für seine Karriere interessiert. Dabei hatte er deutlich durchblicken lassen, dass er auf keinen Fall eine Familie gründen wollte, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Genau deswegen war Kelly auch so überzeugt davon gewesen, sich richtig entschieden zu haben. Inzwischen war sie sich da nicht mehr so sicher.

Auf dem Weg zum Ausgang wandte Jackson sich erneut an Kelly. „Mit mir hast du wohl nicht gerechnet.“

Das war noch sehr vorsichtig ausgedrückt, in Wirklichkeit hatte er sie völlig aus dem Konzept gebracht. „Stimmt, eigentlich hatte ich mit Lukas gerechnet“, sagte sie so ruhig sie konnte.

„Er wollte dir doch noch Bescheid geben, das hat er mir jedenfalls gesagt.“

„Kann sein, dass er mir eine Nachricht geschickt hat.“ Sie zog das Smartphone aus der Handtasche. „Beim Boarding in Seattle habe ich das Telefon runtergefahren.“

Sie schaltete es wieder ein, und kaum war es einsatzbereit, hörte sie auch schon den Signalton, der eine neue Nachricht ankündigte, formuliert in Lukas’ typischer Kurzschrift, ohne Punkt und Komma. Erst beim zweiten Lesen konnte sie sich einen Reim darauf machen:

sorry, notf. in klinik, j holt ab, komme noch vorb., wenn nicht zu spät

Na, vielen Dank auch, Lukas, dachte Kelly.

„Das war dann wohl die Nachricht.“ Jackson lachte leise und öffnete den Kofferraum, um Kellys und Avas Gepäck einzuladen.

„Richtig geraten“, gab sie zurück, dann setzte sie sich auf den weichen Ledersitz seines teuren Wagens.

Ihre Tochter hatte es sich in der Zwischenzeit längst auf der Rückbank mit ihrem MP3-Player bequem gemacht und es damit ihrer Mutter überlassen, sich mit Jackson zu unterhalten. Zu dumm, dass sie nicht wusste, was sie mit ihm reden sollte.

Ziemlich unangenehm, das Ganze, dachte Jackson, als er auf den Highway nach Pinehurst fuhr. Im Grunde hatte er sich das nicht anders vorgestellt, immerhin waren Kelly und er beide splitternackt gewesen, als sie sich zuletzt gesehen hatten. Daran durfte er jetzt auf keinen Fall denken, erst recht nicht, weil gerade ihre Tochter auf dem Rücksitz saß.

Er umklammerte das Lenkrad. Doch das glatte, warme Leder erinnerte ihn wieder daran, wie weich und warm sich Kellys Haut damals angefühlt hatte. Und dass sie sich ihm voller Verlangen hingegeben hatte.

Aber dann hatte das wunderbare gemeinsame Wochenende geendet, und sie waren wieder ihrer Wege gegangen. Seitdem hatten sie beide jeweils andere Partner geheiratet … und sich wieder scheiden lassen. Mit dem einzigen Unterschied, dass Kelly eine Tochter aus der Ehe mitgebracht hatte. Wie alt war Ava noch mal? Jackson konnte sich nicht daran erinnern, dass Lukas ihm irgendetwas von einer Schwangerschaft erzählt hatte. Er hatte das Mädchen irgendwann einfach erwähnt, als wäre sie schon immer da gewesen.

Jackson blickte in den Rückspiegel, um sicherzugehen, dass Ava immer noch ihre Musik hörte und von dem bevorstehenden Gespräch nichts mitbekam. „Deine Tochter ist ganz schön groß für ihr Alter, oder?“

Kelly wirkte überrascht, vielleicht sogar etwas misstrauisch. „Wieso, was glaubst du denn, wie alt sie ist?“

„Na ja, vor etwas über elf Jahren hast du geheiratet. Da ist sie wohl kaum älter als zehn.“

„Das klingt logisch“, befand Kelly, ohne seine Vermutung zu bestätigen. Aber statt weiter nachzufragen, lenkte er das Thema lieber auf das Haus in Pinehurst, das Kelly für sich und Ava angemietet hatte. Es stand direkt neben dem Haus seines zweiten Bruders Matthew, der dort mit seiner Frau Georgia und ihren drei Kindern aus erster Ehe eingezogen war.

Jackson wusste immer noch nicht, warum Kelly nach Pinehurst zurückgekommen war. Wahrscheinlich war es für ihre Tochter nicht gerade einfach, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und sich auf der anderen Seite der Vereinigten Staaten völlig neu einzuleben.

Erneut warf er einen Blick in den Rückspiegel. Ava war sehr hübsch, genau wie ihre Mutter hatte sie langes dunkles Haar – allerdings mit lilafarbenen Strähnen. Auch ihre Augen waren ähnlich geschnitten. Die Augenfarben wiederum hatte sie nicht von ihrer Mutter geerbt: Während Kellys in einem warmen goldbraunen Ton schimmerten, waren Avas Augen tiefgrün.

Irgendetwas an dem Mädchen beunruhigte ihn. Er konnte nur nicht sagen, was …

„Dann kommt Ava wahrscheinlich auf die Parkdale School“, sagte er.

„Genau“, erwiderte Kelly. „Hoffentlich findet sie da schnell Anschluss und fühlt sich so wohl wie ich mich früher.“

„Ich schätze, es war nicht leicht für sie, aus Seattle wegzuziehen.“

„Immerhin leichter, als wenn wir dageblieben wären.“ Mehr sagte sie nicht dazu, und er bohrte nicht weiter nach.

Stattdessen sprach er über die Schule, an der sie gerade zufällig vorbeifuhren: „Zum Glück ist Mrs. Vanderheide vor ein paar Jahren in Rente gegangen.“

Kelly lächelte. „Da hat Ava wirklich Glück gehabt.“

„Und alle anderen Schülerinnen und Schüler auch“, fügte er hinzu. „Fast die ganze Stadt ist zu ihrer Verabschiedung gekommen. Sie dachte wohl, dass alle mit ihr feiern wollten, aber in Wirklichkeit wollten die Leute nur sichergehen, dass sie auch wirklich keine Kinder mehr unterrichtet. Das ist jedenfalls meine Meinung.“

Kelly lachte leise und sehr sinnlich und jagte ihm damit einen heißen Schauer durch den Körper.

Er krallte die Finger um das Lenkrad und bog in den Larkspur Drive ein. Endlich waren sie da, ein Glück!

„So, hier sind wir.“ Er fuhr in eine breite asphaltierte Auffahrt neben einem alten Holzhaus mit asymmetrischem Schrägdach hinein. Das Haus war vorn zweigeschossig, hinten reichte das Dach fast bis zum Boden hinunter, sodass dort nur ein Stockwerk Platz fand. Sowohl an der Haustür als auch am Seiteneingang brannte Licht. Wahrscheinlich hatte Matthews Frau Georgia die Beleuchtung eingeschaltet, damit Kelly und Ava sich hier gleich willkommen fühlten. Das Haus gehörte Georgias Mutter Charlotte.

„Georgia hat dir den Schlüssel in den Briefkasten gelegt“, erklärte Jackson. „Außerdem hat sie gestern alles gründlich reinigen lassen und heute selbst dafür gesorgt, dass die Betten frisch bezogen sind.“

„Dafür muss ich mich morgen unbedingt bei ihr bedanken“, sagte Kelly. „Jetzt kann ich leider nur noch direkt aufs nächstbeste Bett fallen und sofort einschlafen.“

Er parkte den Wagen und schaute erneut in den Rückspiegel. „Deine Tochter braucht dafür nicht mal ein Bett.“

Kelly drehte sich um und betrachtete Ava, die mit dem Kopf an der Scheibe eingeschlafen war. Sie streckte die Hand nach hinten und tippte dem Mädchen auf die Schulter. „Ava, aufwachen. Wir sind zu Hause.“

Zu Hause. Sie hatte zu Hause gesagt. Jackson runzelte die Stirn. Komisch – obwohl Kelly schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr hier gewesen war, betrachtete sie Pinehurst offenbar trotzdem als ihr Zuhause. Er hatte keine Ahnung, ob sie nur einen Zwischenstopp machen oder ganz hierbleiben wollte, und wollte sich nicht eingestehen, dass das für ihn eine Rolle spielte. Natürlich könnte er seinen Bruder Lukas darüber ausfragen, der war wahrscheinlich eingeweiht. Allerdings hatte er bisher immer vermieden, ihn auf Kelly anzusprechen, also machte er sich dadurch wahrscheinlich verdächtig.

Und obwohl er vor seinen Brüdern kaum Geheimnisse hatte: Das leidenschaftliche Wochenende mit Kelly hatte er trotzdem dreizehn Jahre lang für sich behalten. Und das sollte auch so bleiben.

2. KAPITEL

Während Kelly ihre Tochter weckte, holte Jackson das Gepäck aus dem Kofferraum und trug es nach oben. Den Koffer mit Kellys Namensschild stellte er im größeren Schlafzimmer ab, den ihrer Tochter in dem kleineren Zimmer direkt gegenüber. Er warf einen kurzen Blick auf den Anhänger – und stutzte.

Ava Cooper stand da auf Namensschild. Cooper, das war Kellys Nachname. Dabei war er fest davon ausgegangen, dass Ava den Nachnamen ihres Vaters erhalten hatte, wie auch immer er geheißen hatte. Welche Gründe wohl hinter Kellys Scheidung steckten? Und warum sie mit Ava wohl so weit von Seattle weggezogen war?

Es ging ihn letztlich nichts an. Er lief wieder die Treppe hinunter, und als er Stimmen aus der Küche hörte, ging er dorthin.

„Du willst ja bloß deswegen mit Champignons bestellen, weil du weißt, dass ich sie nicht mag“, sagte Kelly gerade.

„Falsch, ich will Champignons bestellen, weil sie mir so gut schmecken und ich sie gern auf meiner Pizza hätte“, erwiderte ihre Tochter.

„Da bist du aber die Einzige, also gibt es keine Pilze.“

Obwohl Jackson wusste, dass er sich besser zurückhalten sollte, und er eigentlich gleich wieder fahren wollte, meldete er sich doch zu Wort: „Ich esse auch sehr gern Champignons.“

Das Lächeln, das Ava jetzt für ihre Mutter bereithielt, wirkte ganz schön selbstgefällig.

Kelly wiederum schien weniger verärgert zu sein als vielmehr … verunsichert, was sich Jackson überhaupt nicht erklären konnte.

„Magst du auch Speck?“, erkundigte sich Ava bei ihm.

„Ja, das klingt gut.“

„Okay, dann lasse ich die eine Hälfte mit Speck und Champignons belegen“, lenkte Kelly ein. Sie schaute zu Jackson herüber. „Du bleibst also zum Essen hier, wenn ich das richtig verstanden habe.“

Während Kelly mit dem Pizzaservice telefonierte, lief Ava nach oben, um sich schon einmal ihr neues Zimmer anzusehen und ihren Koffer auszupacken. Nachdem sie die Pizza bestellt hatte, sah Kelly sich in der Küche und dann im restlichen Haus um. Jackson beantwortete in der Zwischenzeit E-Mails auf seinem Smartphone.

Nicht einmal zehn Minuten später war sie schon wieder durch mit ihrer Besichtigung und wirkte sehr zufrieden. „Lukas hat mir ja erzählt, dass es ein vollständig möbliertes Haus ist, aber mit so einer tollen Ausstattung hätte ich natürlich nicht gerechnet. Es ist ja wirklich alles da: Töpfe, Pfannen, Geschirr und Besteck, und in den Badezimmern gibt es sogar Toilettenpapier. Das habe ich alles nicht in meinen Koffer gepackt, und unsere anderen Sachen werden später nachgeliefert.“

Sie seufzte. „Hoffentlich kommen die Sachen pünktlich an“, fuhr sie fort. „Meine Bürokleidung habe ich nämlich auch noch nicht dabei, und meine neue Stelle fängt schon am fünfzehnten August an.“

„Bist du deswegen nach Pinehurst zurückgekommen? Wegen dieser Stelle?“

„Na ja, die hat den Ausschlag gegeben, aber eigentlich habe ich schon etwas länger darüber nachgedacht“, erwiderte sie. „Ich wollte mit Ava noch mal ganz neu anfangen.“

Jackson legte ihr einen Finger unters Kinn und brachte sie auf diese Weise dazu, ihm in die Augen zu sehen. Und obwohl er sie nur kurz berührt hatte, hätte er schwören können, dass er dabei eine deutliche elektrische Spannung gespürt hatte. Kellys Pupillen weiteten sich, offenbar hatte sie es ähnlich empfunden.

Schnell ließ er die Hand sinken und stellte ihr die Frage, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigte: „War er gewalttätig?“

Sie blinzelte. „Wie bitte? Wer?“

„Dein Exmann“, sagte Jackson. „Ich frage mich, warum du mit Ava sonst mehrere Tausend Kilometer von ihrem Vater wegziehen solltest.“

Kelly senkte den Kopf. „Nein, Malcolm war nicht gewalttätig.“

Das war immerhin beruhigend. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass Kelly ihm irgendetwas verschwieg. Als sie wieder zu ihm hochblickte, bestätigte sie seinen Verdacht: „Außerdem ist er gar nicht Avas Vater.“

Kelly hielt die Luft an und wartete auf Jacksons Reaktion auf ihre plötzliche Enthüllung. Doch bevor er sich dazu äußern konnte, klingelte es an der Tür, und Ava kam die Treppe heruntergestürmt. „Die Pizza ist da!“, rief sie.

Allerdings hatte gar nicht der Pizzabote geklingelt, sondern Lukas. Und der hatte beide Arme voller Einkäufe. Erst stellte er die Tüten hinter der Tür ab, dann umarmte er Ava und drückte sie fest. „Da ist ja mein Lieblingsmädchen!“

Hätte ihre Mutter sich ihr gegenüber so aufgeführt, hätte Ava wahrscheinlich das kalte Grausen bekommen. Doch ihr geliebter Onkel Lukas konnte sich einiges herausnehmen. Er fuhr ihr durch das Haar. „Du hast ja lila Strähnen!“

„Ja, aber das Bauchnabelpiercing hat Mom mir verboten.“

„Klingt vernünftig. Und wo du gerade von deiner Mom sprichst …“ Er drehte sich um und schlang beide Arme um Kelly – so fest, dass diese kaum noch Luft bekam. Trotzdem fühlte sie sich dabei so unendlich geborgen, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.

„Ich habe dich so vermisst“, brachte sie hervor. „Das merke ich jetzt erst richtig.“

„Ich freue mich einfach, dass du endlich wieder nach Hause gekommen bist.“ Offenbar fiel es ihm schwer, sie wieder loszulassen. Danach schaute er zu seinem Bruder hinüber. „Danke, dass du am Flughafen für mich eingesprungen bist.“

„Na, du kennst mich doch. Schöne Frauen dürfen immer gern bei mir landen.“

Lukas lachte leise. „Das stimmt allerdings.“

Erneut zog sich Kelly der Magen zusammen. Was hatte Jackson damit wohl gemeint? War das bloß ein Witz gewesen oder hatte er signalisieren wollen, dass sie ihm nie mehr bedeutet hatte als seine anderen One-Night-Stands? Und warum kümmerte sie das überhaupt? Schließlich war sie nicht nach Pinehurst zurückgekehrt, um ihre Beziehung zu Jackson aufzufrischen, sondern damit Ava endlich eine Beziehung zu ihrem leiblichen Vater aufbauen konnte.

Allerdings – wenn der immer noch so ein Gigolo war wie damals, dann war er wohl nicht der richtige Umgang für ihre Tochter.

„Hätt ich’s mir doch denken können, dass du genau dann hier ankommst, wenn die Pizza geliefert wird“, wandte sie sich an Lukas, als gerade der Lieferwagen vor der Tür hielt.

„Wirklich?“ Er folgte ihrem Blick und grinste. „Perfektes Timing, wie immer.“

Während Kelly in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie suchte, ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass sein Timing noch viel besser gewesen wäre, wenn er sie gleich vom Flughafen abgeholt hätte …

Sie nahm die Pizza entgegen und forderte Jackson mit einer kurzen Kopfbewegung auf, ihnen in die Küche zu folgen.

Doch der lehnte ab. „Ich muss jetzt los.“

„Wolltest du nicht noch mit uns essen?“, hakte Kelly nach.

„Ich muss mich noch durch ein paar Akten wühlen. Morgen habe ich einen Gerichtstermin.“

Lukas hob die Einkaufstüten hoch, die er eben im Eingangsbereich abgestellt hatte. „Wie du meinst – dann bleibt eben mehr Pizza für mich übrig.“ Dann ging er weiter in die Küche.

Kelly war sich nicht sicher, ob sie nun erleichtert oder enttäuscht darüber war, dass Jackson sich verabschiedete. Sie begleitete ihn zur Haustür. „Vielen Dank noch mal dafür, dass du uns vom Flughafen abgeholt hast.“

„Kein Problem.“

Ihr Herz hämmerte so heftig, dass sie sich fragte, ob er etwas davon mitbekam. Schnell fuhr sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Was ich eben in der Küche noch über Avas Vater sagen wollte …“

„… das geht mich nichts an“, schloss er.

Doch, das tut es sehr wohl, hätte sie am liebsten erwidert. Stattdessen sagte sie bloß: „Darüber würde ich gern noch mal mit dir sprechen. Ich muss dir nämlich etwas sagen.“

Jackson runzelte die Stirn. „Geht es um das Sorgerecht? Möchtest du eine rechtliche Auskunft von mir?“

Er schien wirklich überhaupt nichts zu ahnen, und das war für Kelly unbegreiflich. Oder erwartete sie etwa zu viel von ihm? Immerhin hatten sie sich seit dreizehn Jahren nicht gesehen, wie sollte er da ahnen, dass sie mit einem einzigen Satz sein ganzes Leben auf den Kopf stellen könnte, und ihr eigenes und das von Ava noch dazu?

„Nein, darum geht es nicht“, sagte sie einfach. „Ich brauche dich nicht als Anwalt, sondern als … Freund.“

„Okay“, erwiderte er. „Dann ruf mich doch einfach an, wenn du so weit bist.“

Wenn sie wirklich warten wollte, bis sie so weit war, dann würden wahrscheinlich noch dreizehn weitere Jahre vergehen. Trotzdem nickte sie. „In Ordnung, vielen Dank.“

„Dann bis dann“, sagte er und ging zur Tür hinaus.

Als Kelly in die Küche kam, aßen Lukas und Ava jeweils ihr zweites Stück Pizza und tranken Softdrinks, die Lukas offenbar aus dem Supermarkt mitgebracht hatte. Neben Kellys Teller standen ein volles Glas und eine Flasche ihres Lieblingsrotweins.

„Schon gut, ich verzeihe dir ja, dass du uns nicht vom Flughafen abgeholt hast“, sagte sie.

Er lächelte. „Du hast einen langen Flug hinter dir, da wollte ich dafür sorgen, dass du dich besser entspannen kannst.“

„Dass du vorbeigekommen bist und Essen mitgebracht hast, ist schon eine große Hilfe, aber der Wein ist das i-Tüpfelchen.“ Sie hob das Glas an die Lippen und trank einen Schluck.

„Und jetzt iss.“ Er schob ihr den Teller zu. „Wenn du auf nüchternen Magen trinkst, schläfst du uns gleich am Tisch ein.“

Folgsam nahm Kelly ein Stück Pizza und biss ab.

Inzwischen hatte Ava ihr drittes Stück verputzt. Sie wischte sich die Finger an einer Papierserviette ab. „Kann ich jetzt in mein Zimmer?“

„Vielen Dank für die Pizza, Mom“, ahmte Kelly den Tonfall ihrer Tochter nach. „Sehr gern doch, mein Schatz. Dürfte ich vielleicht nach oben gehen? Natürlich.“

Lukas versteckte sein Grinsen hinter der Getränkedose, und Ava verdrehte die Augen, ganz wie erwartet. „Vielen Dank für die Pizza, Mom. Dürfte ich vielleicht nach oben gehen?“

„Natürlich“, erwiderte Kelly. „Aber erst nachdem du deinen Teller in den Geschirrspüler gestellt hast.“

Lukas nahm sich ein weiteres Stück Pizza, während Ava nicht gerade leise die Treppe hochstapfte. „Dann erzähl doch mal“, sagte er, sobald das Mädchen außer Hörweite war, „wie ist es für dich, wieder in Pinehurst zu sein?“

„Das kann ich nicht sagen“, gestand sie. „Ich war schon so lang nicht mehr hier … Ich weiß noch nicht, ob ich die richtige Entscheidung für sie und für mich gefällt habe.“

„Sie ist wohl nicht so angetan davon?“

„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!“

Er hob eine Schulter. „Na ja, sie ist ja erst zwölf, sie lebt sich schon noch ein.“

„Hoffentlich.“

„Und sie wollte sich wirklich ein Bauchnabelpiercing machen lassen?“

„Unglaublich, oder? Die Idee hat sie von der großen Schwester ihrer besten Freundin. Die hat ihr auch die lila Strähnen ins Haar gefärbt, während ich Überstunden gemacht habe.“ Sie seufzte. „Ich bin also nicht ganz unschuldig an der Sache. Ich hatte mich so sehr von meinem Job vereinnahmen lassen, dass ich mir schon gar nicht mehr bewusst war, wie wenig Kontakt ich in der Zeit noch zu Ava hatte. Dabei war unsere Beziehung früher immer sehr eng.“

Sie schluckte, dann sprach sie weiter: „Irgendwann ist mir zum Glück klar geworden, dass ich mein ganzes Leben hintangestellt hatte, nur um meine Stelle behalten zu können.“ Dass sich ihre Tochter in letzter Zeit so bockig aufführte, war wohl auch darauf zurückzuführen.

„Ich glaube, du bist genau rechtzeitig hierher zurückgekommen“, sagte Lukas.

„Das hoffe ich jedenfalls.“

„Irgendetwas verschweigst du mir doch, oder?“

Kelly trank noch einen Schluck Rotwein und überlegte, was sie ihm darauf antworten sollte.

„Ich weiß doch, dass noch mehr hinter diesem Umzug steckt als das, was du mir eben erzählt hast“, hakte er nach, nachdem sie mehrere Sekunden lang geschwiegen hatte.

„Das stimmt. Ich bin zwar einerseits wegen der neuen Stelle hergekommen und damit Ava in einem anderen Umfeld aufwächst … aber andererseits auch, damit sie endlich ihren Vater kennenlernt.“

Lukas zog die Augenbrauen hoch. „Dann wohnt er also in Pinehurst!?“

„Allerdings.“

„Kenne ich ihn?“

Wenn sie diesen Unterton hörte, der jetzt in seiner Stimme mitschwang, dann wusste sie wieder ganz genau, warum sie ihm die Wahrheit bisher verschwiegen hatte. „Hier kennt doch fast jeder jeden“, gab sie zurück.

„Und wer ist es?“

Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Bitte, Lukas … Ich möchte ihm das erst einmal selbst sagen, bevor ich es dir erzähle.“

Er runzelte die Stirn. „Soll das heißen, dass der Kerl nichts von seiner zwölfjährigen Tochter weiß?“

„Ich hab’s ihm bisher noch nicht sagen können“, erinnerte sie ihn. „Als ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin, war er schon mit einer anderen Frau zusammen.“

Damals, als sie sich endlich dazu durchgerungen hatte, Jackson anzurufen, hatte er ihr erzählt, dass er doch wieder mit Sara Ross verlobt war. Sara war die Tochter eines Seniorpartners in der Kanzlei, für die er damals tätig gewesen war. Kelly war zwar nicht davon ausgegangen, dass er sie nur seiner Karriere wegen heiraten wollte … allerdings hätte er wahrscheinlich seinen Job aufs Spiel gesetzt, wenn er Sara den Laufpass gegeben hätte. Und Kelly wusste, dass sein Beruf ihm mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. Also hatte sie ihm nur kurz zur Verlobung gratuliert und schnell wieder aufgelegt – mit gebrochenem Herzen und ohne ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen.

„Ich weiß, das hast du mir alles schon erzählt“, sagte Lukas jetzt. „Nur nicht, wer der Vater ist.“

„Allerdings. Und das erzähle ich dir auch erst, nachdem ich mit ihm gesprochen habe.“

Jackson galt in der Gegend als hervorragender Anwalt. Trotzdem verlor er am nächsten Morgen mitten im Kreuzverhör zu einer Sorgerechtsverhandlung völlig den Faden. Zwar nur kurz, und wahrscheinlich hatte auch niemand im Gerichtssaal sein Zögern mitbekommen, aber ihm selbst war es sehr bewusst gewesen. Und er wusste auch, woran das lag: einzig und allein an Kelly Cooper.

„Hallo Jackson.“

Er blinzelte. Dass sie ausgerechnet jetzt im Türrahmen zu seinem Büro auftauchte, konnte nur Einbildung sein – oder etwa nicht? Vielleicht verschwand sie ja, wenn er kurz die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, war sie allerdings immer noch da … und sah dabei sogar noch heißer aus als die Frau, die ihn gestern die ganze Nacht in seinen Träumen verfolgt hatte. Und die Nacht davor ebenso. Genauer gesagt – alle fünf Nächte, die seit ihrer Rückkehr nach Pinehurst vergangen waren.

Jetzt kam sie zu ihm ins Büro, setzte dabei einen schmalen Fuß vor den anderen … und sah dabei einfach umwerfend aus. In ihrem schmalen weinroten Rock, der seidig glänzenden weißen Bluse mit V-Ausschnitt und den Peeptoes mit den hohen Absätzen wirkte sie kompetent, selbstbewusst … und sehr gefährlich für ihn.

Ja, genau so war es. Kelly Cooper ließ ihm schon seit Jahren keine Ruhe. Damals, als sie noch das kleine Mädchen von nebenan gewesen war, war es noch einfach gewesen, sie zu ignorieren. Aber dann war sie in die Pubertät gekommen, und ihre schmale, flache Mädchenfigur hatte sich langsam in einen Frauenkörper mit Rundungen an den richtigen Stellen verwandelt. Und auf einmal hatte er sich dabei ertappt, dass er ziemlich unangebrachte Fantasien über die beste Freundin seines kleinen Bruders hatte.

„Du hattest mich doch gebeten, dich anzurufen, aber bisher hast du dich kein einziges Mal zurückgemeldet“, beschwerte sie sich.

„Tut mir leid, aber ich hatte viel zu tun.“

„Dafür habe ich ja Verständnis“, erwiderte sie. „Ich wäre auch nicht hier, wenn die Sache nicht so wichtig wäre.“

„Wie bist du überhaupt an meiner Sekretärin vorbeigekommen?“ Normalerweise verteidigte Colleen das Büro ihres Chefs wie eine Löwin.

Kelly lächelte müde. „Ach, Colleen und ich kennen uns noch aus der Schule.“

„Okay, dann wäre das Wie jetzt geklärt. Fehlt nur noch das Warum.“

Kelly nahm ihm gegenüber auf einem der Stühle Platz, auf denen normalerweise seine Klienten saßen, und schlug die schlanken Beine übereinander. „Ich wollte in Ruhe mit dir sprechen, ohne dabei von meiner Tochter oder deinem Bruder gestört zu werden. Also habe ich Colleen gebeten, mich noch irgendwie in deinen vollen Terminkalender zu quetschen.“

„Jetzt machst du mich aber neugierig.“

„Dein Bruder Lukas war früher mein bester Freund, und das ist er immer noch“, begann sie. „Du und ich, wir waren nie eng befreundet, doch wir haben uns gut verstanden. Und dann, an diesem einen ganz besonderen Wochenende vor dreizehn Jahren ist zwischen uns noch viel mehr passiert.“

Er runzelte die Stirn. „Was willst du damit sagen?“

„Na ja, ich hatte gehofft, dass wir jetzt, wo ich auch in Pinehurst wohne, wieder freundlich miteinander umgehen können.“

„Wieso, bin ich bisher unfreundlich zu dir gewesen?“

„Eigentlich nicht“, erwiderte sie. „Bloß irgendwie … distanziert.“

„Wie gesagt, ich hatte viel zu tun“, wiederholte er.

„Dein Bruder Matthew und deine Schwägerin Georgia haben Ava und mich gestern Abend zum Abendessen zu sich eingeladen. Da hat einer von Georgias Söhnen gefragt, warum Onkel Jack so lange nicht mehr zu Besuch gekommen ist. Matt hat ihm erklärt, dass du dich gerade auf einen wichtigen Gerichtstermin vorbereitest. Dabei hat er mich aber so komisch angeguckt, als wäre das nur eine Ausrede.“

„Es stimmt aber.“

„Ich will nicht, dass es dir unangenehm ist, deinen Bruder und seine Familie zu besuchen, bloß weil ich nebenan wohne.“

„Das ist es nicht.“

Kelly beugte sich ein Stück vor, sodass er ihren Brustansatz im V-Ausschnitt erkennen konnte. „Du befürchtest also nicht, dass das, was vor dreizehn Jahren zwischen uns passiert ist, noch einmal hochkochen könnte?“

„Nein“, log er.

„Dann ist es ja gut.“

„Das ist doch schon so lang her“, sagte er – auch um sich selbst davon zu überzeugen.

Sie nickte. „Ich fand es schon immer völlig verwirrend, dass Lukas und ich uns körperlich so nahe kommen konnten, ohne dass sich dabei irgendetwas getan hat. Ich meine, wir haben uns beim Fernsehen aneinandergekuschelt und oft rein freundschaftlich Händchen gehalten … aber es hat zwischen uns nie geknistert. Nicht so wie mit dir, wenn wir auch nur im selben Zimmer waren.“

„Die Chemie ist eben von Person zu Person unterschiedlich“, bemerkte Jackson.

Kelly blickte zu ihm hoch. „Hattest du so etwas denn schon einmal mit einer anderen Person? So eine starke Chemie?“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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