Ein Lord entbrennt in Leidenschaft

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Was für eine amüsante junge Dame, denkt Kit, Lord Rasenby. Hat die ehrbare Clarissa Warrington ihm etwa soeben ein höchst pikantes Angebot unterbreitet? Wenn er ihrer törichten Schwester keine Avancen mehr macht, wird er einen besonderen Lohn erhalten: Clarissa selbst! Ein Kuss soll die unmoralische Abmachung besiegeln, doch die Berührung ihrer Lippen stürzt den adligen Lebemann in Verwirrung: Ihr sinnlicher Mund verspricht ihm nicht nur ein amouröses Abenteuer - er verheißt Leidenschaft, wie er sie bisher nie kennenlernte. Aber dann verschwindet Clarissa plötzlich…


  • Erscheinungstag 05.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769185
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG
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Kit fluchte leise, aber herzhaft vor sich hin, denn jäh trat der Vollmond zwischen den treibenden Wolken hervor; in seinem hellen Schein würde die Sea Wolf beim Ansteuern der versteckten Bucht deutlich zu sehen sein.

Abwägend musterte er die beiden zusammengekauert in einem Winkel bei den Aufbauten der Jacht hockenden Gestalten, dann schickte er sie mit einem Wink der Hand unter Deck und bedeutete ihnen, sich still zu verhalten. Kit wusste, dass er seit einiger Zeit beobachtet wurde.

„Noch ist alles ruhig, John“, sagte er leise. Nichts von der Anspannung und prickelnden Erregung klang darin mit, die ihn stets ergriff, wenn sie sich der heimischen Küste näherten. Im Grunde wünschte er fast, dass Jagd auf sie gemacht würde. Teufel auch, so fühlte man sich wenigstens lebendig!

In diesem Moment tauchte steuerbord ein sich rasch näherndes Segel auf. „Da, John, das Zollschiff! Die sind hinter uns her, schätze ich!“ Einer Droge gleich schoss die Aufregung durch sein Blut, während er die Sea Wolf in einem scharfen Manöver wendete. „Aber wir können es schaffen, der Wind ist günstig!“

John, sein Kapitän, lugte durch sein Fernrohr. „Sie haben uns entdeckt, Master Kit!“, grollte er, ohne jedoch die winzigste Beunruhigung zu zeigen, denn er war überzeugt, Kit würde sie schon irgendwie herausmanövrieren, selbst wenn im schlimmsten Fall die Zöllner an Bord zu kommen verlangten. Bewundernd betrachtete er seinen Herrn, dessen kraftvolle Gestalt auch noch unter dem schweren, langen Mantel zu erahnen war. Neben seiner überragenden Körpergröße waren es seine durchdringenden, fast schwarzblauen Augen unter den dichten dunklen Brauen und seine von Entschlossenheit kündenden Züge, die ihn so gebieterisch erscheinen ließen. „Sie werden wissen, wo wir anlegen“, sagte John.

Kit lachte spöttisch. „Sicher, aber dann werden wir längst ausgeladen haben. Ich gehe hinunter und sage unseren französischen Freunden, dass sie sich bereithalten sollen.“

Bald würden seine Ausflüge an die französische Küste ein Ende haben, denn in Frankreich bahnten sich abermals Veränderungen an, das war ihm klar, doch bis dahin tat er, was in seiner Macht stand, um denen, die unter den Folgen der Umstürze litten, die Emigration nach England zu ermöglichen. Mit der Zeit hatten sich seine stets erfolgreichen Rettungsaktionen bei den Verfolgten herumgesprochen, ebenso wie die Tatsache, dass er weder Dank noch Gegenleistung verlangte.

Jetzt richtete Kit sich in makellosem Französisch an die respektvoll lauschenden Passagiere unter Deck und erklärte ihnen mit wenigen Worten, dass sie sich auf schnellstes Verschwinden einrichten sollten. Die Spannung der Jagd, die Geschwindigkeit, die Herausforderung, die Zöllner zu übertölpeln, all das ließ sein scharfgeschnittenes, anziehendes Gesicht vor Begeisterung strahlen.

Die drohende Gefahr tat er ebenso ab wie die Dankesbezeigungen seiner Passagiere. Er hatte ihnen eine sichere Überfahrt versprochen, und dieses Versprechen würde er trotz aller Widrigkeiten halten, das war für ihn Ehrensache, so wenig ehrenhaft er sich auch sonst in seinem Leben aufführte.

Am Anlegeplatz würde eine Kutsche warten, um die Emigranten nach London zu bringen; unwahrscheinlich, dass er sie je wiedersah. Für ihn lag das Vergnügen darin, sie unter Gefahr zu retten; waren sie erst auf englischem Boden, würden sie ohne ihn zurechtkommen müssen.

Wie erhofft, war der Wind ihnen günstig, auch kamen erneut Wolken auf und verhüllten den Mond, während sie mit der Jacht den Liegeplatz ansteuerten. Als daher das Schiff der Zollbehörde sie endlich einholte, waren die Flüchtlinge längst unterwegs. Seine Schmuggleraktivitäten von seinem Londoner Leben strikt getrennt zu halten war Kit überaus wichtig. Als Kit, der Schmuggler, war er völlig ungebunden, in London musste er sich doch ein paar gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen.

Die andere Ladung der Sea Wolf – ein paar Fässchen französischen Cognacs – war mittlerweile sicher in einem geheimen Zwischenboden des Bootshauses verstaut. Kit nahm sich Zeit, auf die Rufe der Zöllner zu antworten.

„Nun, Lieutenant Smith, treffen wir uns also wieder einmal!“ Er lächelte sarkastisch; immerhin hatte er auch heute Nacht wieder gesiegt, und er wusste, der Offizier würde sich nicht die Mühe machen, die Sea Wolf zu durchsuchen. Um gegen den Earl of Rasenby, dem ein Großteil des umliegenden Landes gehörte, vorzugehen, genügte ein bloßer Verdacht einfach nicht.

„Ich vermute, Sie waren wieder einmal fischen, Lord Rasenby. Mitten in der Nacht.“

„Wie Sie sehen, Lieutenant. Kann ich Ihnen etwas gegen die Kälte anbieten? Oder vielleicht ein Stück von meinem Fang für Ihr Abendessen?“ Kit wies auf die Kiste, die John gerade auslud.

Lieutenant Smith verbiss sich eine Antwort. Sein Posten war ihm zu viel wert, als dass er sich mit dem Earl angelegt hätte. „Danke, Mylord, aber ich muss noch arbeiten. Bestimmt war das nicht unser letztes Treffen.“ Der Zolloffizier tröstete sich mit dem Wissen, dass sein Informant ihm wenigstens das richtige Datum genannt hatte. Vielleicht war das Glück beim nächsten Mal auf seiner Seite, zusammen mit dem Wetter.

„Bestimmt nicht“, entgegnete Kit spöttisch. Als er sich für ein paar letzte Anordnungen John zuwandte, erlosch das lebhafte Funkeln seiner Augen, und seine Miene verdüsterte sich. So war es immer. Der Reiz, verfolgt zu werden, weckte seine Lebensgeister wie sonst nichts, doch danach fühlte er sich leer, lustlos und absolut nicht geneigt, sich mit der öden Londoner Gesellschaft abzugeben.

Heute Nacht war es knapp gewesen, zu knapp vielleicht. Es war nicht richtig, John weiterhin dieser Gefahr auszusetzen, und wenn er ehrlich war, begann der Reiz dieser Unternehmungen zu schwinden. Er schmuggelte schon seit Jahren, nicht wegen des Gewinns, sondern zum Vergnügen, üblicherweise Cognac und feine Seide; erst in letzter Zeit hatte er auch Flüchtlinge transportiert. Nun aber lag Krieg in der Luft …

Abwesend schob er John das übliche Entgelt in die Hand, dann sattelte er sein Pferd und ritt querfeldein zurück zu seinem Landsitz. Eine Tour noch, nahm er sich vor, danach würde er sich eine neue Zerstreuung suchen, würde vielleicht in Erwägung ziehen, eine Familie zu gründen.

Bei dem Gedanken an die bemitleidenswerte junge Dame, die den notorischsten Roué des ton heiraten würde, lachte er laut heraus.

1. KAPITEL
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„Amelia! Du willst doch nicht in diesem Aufzug ausgehen?“ Entgeistert betrachtete Miss Clarissa Warrington ihre Schwester. „Es ist anstößig! Ich schwöre, ich kann durch deine Röcke sehen!“

Amelia, mit achtzehn im Vollbesitz ihrer frisch erblühten, strahlenden Schönheit, lachte nur. „Sei nicht so altjungferlich, Schwesterchen. Sich die Röcke ein wenig anzufeuchten ist die neueste Mode. Das würdest auch du wissen, wenn du nur öfter ausgingst.“

„Mit der Gesellschaft zu verkehren, die du pflegst, reizt mich nicht. Und wenn du dich nicht in Acht nimmst, wirst du bald in genau dem Ruf stehen, der Trägerinnen angefeuchteter Röcke anhängt. Ganz zu schweigen davon, dass du dich erkälten wirst“, fügte sie trocken hinzu.

„Wie typisch, Clarrie, immer die Vernünftige. Aber ich erkälte mich nie. Hör also auf damit, und mach mir lieber das Haar.“ Amelia schaute aus ihren großen kornblumenblauen Augen zu ihrer Schwester auf und zog einen Schmollmund. „Du kannst das besser als jede Zofe, und heute Abend muss ich unbedingt gut aussehen.“

Aufseufzend hob Clarissa die Bürste. Selbst wenn sie sich im Recht sah, konnte sie Amelia nie lange böse sein. Schon wieder würde die Schwester eine Gesellschaft besuchen, begleitet von ihrer Freundin Chloe Barrington und deren Mama. Natürlich erhielt sie selbst die gleichen Einladungen, sagte jedoch stets ab, denn selbst wenn man die Kosten außer Acht ließ, hatte sie kein Verlangen, ihre Abende hinzubringen, indem sie mit faden Herren tanzte, die sie mit ihrer geistlosen Konversation zu Tode langweilten, oder noch schlimmer, sich das obligatorische Sticheln der weiblichen Gäste anhören zu müssen.

Ganz anders Amelia. Die letzten Modetorheiten, die neuesten Gerüchte, das alles bedeutete ihr viel, in dieser Welt fühlte sie sich zu Hause. Clarissa liebte ihre Schwester, war aber für deren begrenzten Gesichtskreis nicht blind. Nun, da kam Amelia ganz nach ihrer Mama.

In der Tat wurde es Zeit, dass sie heiratete, nicht etwa, damit sie, wie Mama hoffte, eine fabelhafte Partie machte. Damit war wegen ihrer schmalen Mitgift nicht zu rechnen. Nein, es eilte deshalb, weil Amelia weder die Fähigkeiten noch den Willen hatte, ihren Unterhalt in irgendeiner anderen Form zu bestreiten. Dazu kam, dass sie vermutlich schon in anrüchige Gesellschaft geraten war. Wenn sie jungfräulich vor den Altar treten sollte, musste so rasch wie möglich eine Ehe für sie arrangiert werden.

„Wen möchtest du denn heute Abend so dringend beeindrucken, Amelia?“

Amelia kicherte. „Ich glaube, ich sag’s dir besser nicht. Du bist so prüde. Bestimmt wirst du es sofort Mama erzählen.“

„Als ob ich immer gleich zu Mama liefe!“ Was außerdem völlig nutzlos war, denn Mama würde sagen, sie mache wieder einmal viel Lärm um nichts, Amelia wisse schon, was sie tue. Und selbst dazu fehlte der verwitweten Maria Warrington vermutlich die Energie.

Lady Maria fühlte sich vom Leben enttäuscht. Sie hatte einen jüngeren Sohn geheiratet, der nicht lange nach Amelias Geburt starb und sie mittellos zurückließ; seitdem trieb sie lustlos durchs Leben, und nur zwei Dinge versetzten sie hin und wieder in Lebhaftigkeit: Das Kartenspiel und ihre Fantasien von der wunderbaren Partie, die ihre schöne jüngere Tochter einmal machen würde. Bei der kleinsten Andeutung, dass mehr von ihr erwartet wurde, flüchtete sie sich in Unwohlsein oder gar in eine Ohnmacht. Seit jeher verließ Lady Maria sich voll und ganz auf ihre vernünftige, praktisch veranlagte ältere Tochter.

Ihr Teint wies noch Spuren einstiger Schönheit auf, doch die Jahre waren mit ihr nicht freundlich umgegangen. Amelia hatte ihre blonde Schönheit geerbt, Clarissa hingegen ähnelte mit ihrem üppigen kastanienroten Haar und den leuchtend grünen Augen ihrem Vater, an den sie sich allerdings nur schwach erinnern konnte. Einzig ihre Tante Constance, die seine Lieblingsschwester gewesen war, sprach manchmal über ihn. Wenn man ihn Mama gegenüber erwähnte, hatte das stets nur einen Tränenstrom zur Folge.

Tante Constance war die einzige Verwandte, die die Familie ihres Bruders nicht verleugnete und besonders ihre ältere Nichte sehr liebte. Sie hatte Clarissa den Besuch einer vornehmen Schule ermöglicht und sie stets zum Lesen jedweder Art von Literatur ermuntert – von Geschichte und Politik bis hin zu Dichtung und Romanen. Bei Amelia waren diese Anregungen verpufft, ihr Bildungsdrang endete bei dem obligatorischen Geklimper auf dem Piano. Für ihre Schwägerin hegte Constance, eine energische, intelligente Dame, schon aufgrund ihrer gegensätzlichen Charaktere keine warmen Empfindungen.

Mit einer letzten geschickten Handbewegung vollendete Clarissa Amelias Frisur und musterte die Schwester noch einmal kritisch. Vielleicht war Amelia ein ganz klein wenig zu üppig für die hochtaillierten Gewänder, die gerade in Mode waren, doch ihre freigebig vorgeführten Rundungen würde sicher kein Herr bemäkeln.

„So, fertig. Du siehst entzückend aus, Amelia.“

„Ja, nicht wahr?“

Wohlgefällig betrachtete Amelia ihr Spiegelbild, während Clarissa leise seufzte. Zwar waren tiefe Dekolletés gerade sehr in Mode, doch Amelia zeigte wirklich etwas zu viel von ihren Reizen. „Meinst du nicht, du solltest ein Fichu …“ Als sie den verächtlichen Blick der Schwester sah, brach sie ab, denn wenn man Amelia Vorhaltungen machte, erreichte man gar nichts bei ihr. „Komm, sag mir, wer dein Verehrer ist! Du hast dich heute besonders ins Zeug gelegt.“

„Ach, ich weiß nicht, Clarrie, du wirst ihn missbilligen.“

Der neckische Blick, der dieses Geständnis begleitete, sagte Clarissa, dass hier jemand vor Mitteilungsbedürfnis platzte, doch sie ging auf das Spiel nicht ein, sondern wandte sich zum Gehen, wobei sie murmelte: „Natürlich respektiere ich deine Geheimnisse.“

„Nein, warte, ich sag es dir! Clarrie, du wirst es nicht glauben, aber ich bin mir sicher – also, beinahe sicher – dass Kit Trahern an mir interessiert ist. Was sagst du nun?“

„Kit Trahern? Amelia, das ist nicht dein Ernst! Der Earl of Rasenby? Du musst dich irren.“

„Nein, tue ich nicht“, widersprach Amelia schmollend. „Er ist interessiert! Letzte Woche auf dem Ball der Carruthers hat er drei Mal mit mir getanzt! Und beim Tee hat er sich zu mir gesetzt. Und dann habe ich ihn im Theater getroffen, als ich statt deiner in dieses grässlich langweilige Stück musste. Das, in dem diese alte Frau spielte.“

„Mrs. Siddons?“ Clarissa hätte die Vorstellung an jenem Abend zu gern besucht, sich jedoch in letzter Minute geopfert, um ihre Mutter zu pflegen, die wieder einmal kränkelte. Clarissa glaubte schon längst nicht mehr, dass diese „Anfälle“ etwas anderes als Gewohnheit waren.

„Ja, an dem Abend jedenfalls kam er, speziell um mich zu sehen, in unsere Loge. Und er sprach nur mit mir. Chloe sagte, er hätte überhaupt die ganze Zeit nur Augen für mich gehabt.“

„Du meinst, er hat dich beäugt.“ Was man nur mit solchen Damen tat, denen man nicht die Ehe antrug.

„Und heute“, fuhr Amelia unbekümmert fort, „als er im Park bei uns anhielt, wollte er unbedingt wissen, ob ich am Abend den Ball der Jessops besuche. Also weiß ich natürlich, dass er Absichten hat.“

„Amelia, du weißt auch, welcher Art die sind. Du kennst den Ruf des Earl of Rasenby?“

Die goldenen Locken wurden trotzig zurückgeworfen, die Lippen schmollend verzogen.

Selbst jemandem wie Clarissa, die selten in Gesellschaft ging, konnte der Ruf des Earls nicht verborgen bleiben. Er war ein eiskalter Spieler und notorischer Frauenheld. Er war ungeheuer reich, und man rühmte sein gutes Aussehen, eine Aussage, der Clarissa eher skeptisch gegenüberstand – ihrer Ansicht nach sagte man das immer von reichen Männern. Seine Geliebten waren stets schön und teuer, und trotz aller Verlockungen und Fallstricke blieb er ungebunden. Nachgerade der klassische Bösewicht eines Schauerromans, wenn man es recht bedachte.

„Herrgott, Clarrie, für wie dumm hältst du mich? Natürlich kenne ich seinen Ruf. Besser als du. Prüde wie du bist, wagt vermutlich keiner, dir die ganze Wahrheit zu erzählen. Aber ich weiß, dass er mich mag! Sehr sogar. Ich weiß es!“

Sich der Nutzlosigkeit weiterer Warnungen bewusst, schwieg Clarissa und zog sich sorgenvoll auf ihr Zimmer zurück. Ihre Schwester war jung und naiv und würde für jemanden wie Rasenby ein leichtes Opfer sein. Angesichts der Gesellschaft, mit der Amelia sich abgab, konnte jeder Antrag, den sie bekam, nur unehrenhaft sein. Schlimmer noch, sie würde ohne zu zögern annehmen, wenn er von einem so ungeheuer reichen Mann wie Rasenby kam, auch wenn er sie nur als Mätresse haben wollte.

Clarissa kleidete sich für die Nacht um und legte sich ins Bett, indem sie sich alsbald ruhelos wälzte. Als verarmte Adelige hatte man es nicht leicht, deshalb konnte sie die Versuchung nachempfinden. Einem Mädchen von Amelias Charakter fiel die Wahl nicht schwer, wenn es zwischen einer kurzen Liaison, überschüttet mit Geld, Pelzen, Seide und Diamanten, und einer ehrbaren Heirat mit knappem Auskommen zu wählen galt. Aber der Status als Lord Rasenbys Mätresse wäre ein sehr kurzlebiger. Für einen wie den Earl lag Amelias Reiz in der Neuheit und Frische, die beide seinem verwöhnten Gaumen nur allzu schnell fade würden. Und wo stünde Amelia dann? Danach gab es nur eine Richtung, nach unten. Amelia musste unbedingt so bald wie möglich verheiratet werden, und am besten mit jemandem, der sie fest an die Kandare nahm. Leider wäre ein solcher Mann wahrscheinlich zu gesetzt und zu wenig wohlhabend, weswegen sie für den, geblendet von Rasenbys Reichtum, keinen Blick übrig haben würde – falls sie je auf einen solchen Ausbund an Tugend träfe.

Wenn aber Amelia ruiniert war, war sie selbst es gleichermaßen, dann würde sie nicht einmal mehr eine Stellung als Gouvernante finden. Mit ihren vierundzwanzig Jahren hatte sie sich auf Unabhängigkeit eingeschworen – es schien ihr der einzige Weg, sich die ersehnte Freiheit zu verschaffen. Zwar war Tante Constances Angebot, bei ihr zu leben, verlockend, doch im Grunde wusste Clarissa, dass sie nur eine Verpflichtung mit einer anderen tauschen würde.

Immer war sie die Vernünftige gewesen. Neben der lebhaften jüngeren Schwester mit ihrer blonden Milchmädchenschönheit kam sie sich unscheinbar vor und war mit Sicherheit keine Konkurrenz für sie. Sie hatte sich in der Rolle der betulichen Schwester eingerichtet, nähte die Risse in Amelias Kleidern, spielte den Friedensstifter, wenn Amelia mit ihren Freundinnen stritt, und als sie älter wurden, und Amelia debütieren wollte, sparte und knauserte sie an den Haushaltskosten, um ihr die nötige Ausstattung zu beschaffen.

Seit Jahren nun setzte Lady Maria ihre ganze Hoffnung darauf, dass Amelias Heirat sie alle vor weiterer Armut bewahren würde. Da sie nicht dem zukünftigen Haushalt ihrer Schwester zur Last fallen mochte, suchte Clarissa seit einiger Zeit diskret nach einer Stellung in einem vornehmen Hause. Selbst auf eine Heirat zu verzichten, empfand sie nicht als Opfer. Sie war bisher keinem Mann begegnet, den sie interessant genug gefunden hätte, um ihn näher kennenlernen zu wollen, oder der gar ihr Herz hätte schneller schlagen lassen.

Hinter ihrer pragmatischen Haltung verbarg sich jedoch eine sehr romantische Ader, für die sie sich verachtete, die sie jedoch nicht ausblenden konnte. Sie sehnte sich nach Liebe, Leidenschaft, Feuer, während sie sich zu überzeugen versuchte, dass es das alles nicht gab. Sie träumte davon, dass jemand sie um ihrer selbst willen liebte, sie um ihrer selbst willen schätzte, und nicht wegen ihres Äußeren oder ihrer Abstammung – die gut war, auch wenn Papas Familie das nicht anerkannte – oder gar ihrer Mitgift. Aber ‚und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende‘ war sowieso gerade nicht in Mode. Ihre Träume passten nicht in die reale Welt, in der das Ehegelöbnis wenig Gewicht hatte, und wo einem, wenn erst ein Erbe geboren war, eher der Geliebte als der Ehegatte Zuneigung schenkte. Clarissa fand diese Einstellung schrecklich, mochte man sie auch deswegen als altmodisch und prüde betrachten.

Die beiden Seiten ihres Ichs zu versöhnen fiel ihr schwer. Sogar wenn sie einen der von ihr so geliebten Abenteuerromane las, konnte sie nicht umhin, zu denken, dass ihr ihr gesunder Menschenverstand in der Bedrängnis mehr nützen würde als die Tränen und Ohnmachtsanfälle der jeweiligen Heldin. Aber Eigenschaften wie Findigkeit und Erfindungsreichtum wurden an weiblichen Wesen, ob real oder fiktiv, wenig bewundert und selten von einer Ehefrau gefordert. Von daher war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie je die Rolle der Heldin würde einnehmen können, und so hatte Clarissa sich damit abgefunden, Gouvernante zu werden – eine Rolle, in der sie bestimmt all ihren Erfindungsreichtum brauchen würde.

All diese Überlegungen ließen sie erst spät in der Nacht Schlaf finden.

Am nächsten Morgen beim Frühstück wechselte Amelia zwischen Gähnen und neckischem Kichern. „Oh, Mama, wir hatten einen solchen Spaß, und alle haben mein neues Kleid bewundert.“ Letzteres mit einem verstohlenen Blick zu Clarissa.

„Das kann ich mir gut vorstellen, Amelia, denn es überließ kaum noch etwas der Fantasie.“ Immerhin machte sie die spöttische Bemerkung leise genug, dass ihre Mutter, die in ihre Post vertieft war, sie nicht mitbekam.

Wie zu erwarten zog Amelia eine Schnute und tat, als hätte sie nichts gehört.

„Und? Hat dein Verehrer sich sehen lassen?“

„Wie kannst du daran zweifeln? Er ist vernarrt, das sagte ich dir doch. Er ist mir die ganze Zeit nicht von der Seite gewichen, und alle haben es bemerkt.“

„Amelia, das ist nicht unbedingt gut. Dass er dich so bevorzugt, wird Gerede verursachen. Weißt du, mir scheint, gerade dass er dir derart offen Aufmerksamkeit schenkt, ist Beweis für wenig ehrenhafte Absichten. Wie konnte Mrs. Barrington das zulassen? Ich glaube, sie ist nicht die passende Begleitung für dich. Ich muss mit Mama darüber reden.“

„Dann wirst du etwas erleben, ich schwör’s! Was du über Mrs. Barrington denkst, ist mir gleich, aber sie ist die einzige Begleitung, auf die ich zählen kann, da du und deine versnobte Tante Constance euch stets weigert und unsere liebe Mama sich nicht aus ihrem Salon rührt, außer wenn der Kartentisch lockt.“

Als Amelia die betroffene Miene ihrer Schwester sah, lenkte sie ein. „Du weißt, ich würde nichts Dummes tun. Mrs. Barrington ist ganz ehrbar, wirklich. Und außerdem werde ich Rasenby in den nächsten Tagen sowieso nicht sehen. Du hast recht, es ist nicht gut, ihm zu viel Beachtung zu schenken. Ich will ja, dass er interessiert bleibt.“ Clarissa brauchte jedenfalls nicht zu erfahren, dass sie einen gewissen Edward Brompton viel einnehmender fand als Lord Rasenby mit all seinem Geld. In Wahrheit fühlte Amelia sich von Edward mit seinem jungenhaften, hübschen Gesicht viel stärker angesprochen als von Rasenbys finsteren, scharf geschnittenen Zügen, die zuweilen nachgerade Furcht einflößen konnten. Rasenbys Reichtum verlor im Vergleich ein wenig von seinem Reiz, trotzdem war sie fest entschlossen, ihn zu ködern. Und Edward würde bestimmt immer für sie da sein, dessen war sie sich sicher.

„Amelia, du musst doch wissen, dass der Earl of Rasenby nicht um dich anhalten wird. Sein Ruf, seine offen verkündeten Ansichten über die Ehe sprechen dagegen. Und wenn er je heiraten wird, dann nicht die mittellose Tochter eines verstoßenen jüngeren Sohnes, sondern eine Dame mit Einfluss und Vermögen. Amelia! Hörst du überhaupt zu?“

„Himmel, Clarrie, was weißt du schon?“, rief Amelia scharf. „Mit einem magst du recht haben – ehrliche Absichten hat er wohl nicht.“ In der Tat wusste Amelia das sogar genau, denn er hatte ihr bereits angetragen, seine Mätresse zu werden, und sie hatte empört abgelehnt, nicht willens, so rasch einen so unwiderruflichen Schritt zu tun. „Aber er ist verrückt nach mir, und mit ein wenig Glück wird es doch zur Heirat kommen, ob er will oder nicht.“

„Was meinst du? Was hast du getan?“

„Wieso? Noch nichts, Schwesterchen. Muss ich gar nicht. Er kommt doch gerannt, wenn ich nur mit dem Finger schnippe. Und wenn er dabei in eine – na, sagen wir – kompromittierende Situation stolpert, dann ist das eben sein Pech. Und gut für mich.“

„Amelia! Darauf wird Rasenby kaum hereinfallen. Dazu ist er viel zu erfahren. Himmel, man wird ihm schon Dutzende solcher Fallen gestellt haben, und ist je auch nur von Heirat geflüstert worden? Bitte, ich flehe dich an, triff ihn nicht mehr!“

„Na, werde ich ja nicht. Also wenigstens ein paar Tage lang. Um ihn ein bisschen auf die Folter zu spannen.“

„Sag, liebst du ihn? Ist es deshalb?“ Clarissa wollte diese neue, eisern entschlossene Amelia irgendwie verstehen. Immer schon hatte die jüngere ihren Willen durchzusetzen verstanden, aber noch nie hatte sie so offensichtlich Pläne geschmiedet. Clarissa wäre weniger besorgt gewesen, wenn sie geahnt hätte, dass Amelia nur verzweifelt bemüht war, ihre zarten Gefühle für Edward Brompton zu unterdrücken.

„Ach, Clarrie, im Leben geht es nicht wie in deinen Romanen zu. Liebe in der Ehe ist völlig unmodern. Ich kann ihn gut genug leiden, um mit ihm ins Bett zu gehen, falls du das meinst. Und natürlich macht ihn sein Geld viel attraktiver, als er ansonsten wäre. Immerhin ist er schon recht alt.“

„Alt? Du redest, als wäre er bereits vergreist. Er kann doch höchstens fünfunddreißig sein. Und wenn du ihn liebtest, wäre dir sein Alter gleichgültig. Also sag mir einfach, liebst du ihn?“

„Gerade heraus – nein!“ Amelia genoss Clarissas entsetzten Blick. „Liebe spare ich mir für meinen Hausfreund auf, wenn ich erst mit Rasenby verheiratet bin. So machen es doch alle. Rasenby wird sich zweifellos weiter mit seinen leichten Frauenzimmern amüsieren, warum soll ich dann Trübsal blasen? Na ja, zuerst werde ich ihm wohl einen Erben präsentieren müssen.“ Als sie begriff, dass sie ein wenig zu weit gegangen war, tätschelte sie ihrer Schwester tröstend die Hand. „Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich kann selbst auf mich aufpassen; ich weiß schon, was ich tue.“ Sie würde Clarissa nicht auf die Nase binden, dass sie die Möglichkeit, Rasenbys Mätresse zu werden, als Option betrachtete, falls die Heiratsfalle nicht zuschnappte. So oder so würde sie einen ordentlichen Teil von dem Vermögen des Earls in die Finger bekommen. Ablenkend sagte sie: „Sag, was findet Mama so interessant, dass sie gar nichts von unserem Gespräch mitbekommt?“

Lady Maria war tatsächlich ganz in ihre Post vertieft, und besonders ein Brief fesselte ihre Aufmerksamkeit. Die anderen waren alles Rechnungen, Rechnungen, die zu begleichen sie nicht vorhatte. Die, die die Haushaltsführung betrafen, gab sie sowieso an Clarissa weiter, die sich ihrer annahm – unbedeutende Beträge im Verhältnis zu ihren sich immer höher türmenden Spielschulden, von denen ihre Tochter absolut nichts erfahren durfte. Sie wandte sich wieder dem kurzen Schreiben zu, das vom Inhaber eines diskreten Spielsalons stammte, in dem sie in letzter Zeit häufiger verkehrt hatte. Die Summe, die sie dort schuldete, erschreckte sie ein wenig. Und der Brief klang unterschwellig drohend.

„Mama, was ist an dem Brief so interessant? Clarrie und ich reden und reden hier, und du hast kein einziges Mal aufgesehen.“

So angesprochen zuckte Lady Maria zusammen. „Was? Oh, es ist nichts. Gar nichts. Nichts, was euch Mädchen kümmern müsste.“ Sie klimperte mit den Lidern ihrer ein wenig vorstehenden Augen, fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und setzte ein Lächeln auf. „Also, meine Lieben, um was geht es?“

„Ach, Mamachen, nur darum, was ich heute Abend im Theater tragen soll. Du weißt doch, ich gehe mit Chloe und ihrer Mutter aus. Chloes Bruder und dieser nette Mr. Brompton begleiten uns.“

„Werden sie dich hier abholen, Liebes?“, fragte sie abwesend. Sie raffte ihre Briefe zusammen. „Wenn ihr mich nun entschuldigt. Mein armer Kopf, wieder einmal! Clarrie, wenn du deine Tante Constance besuchst, grüß sie von mir.“

Damit flüchtete sie sich in ihr sorgfältig verdunkeltes Schlafgemach, wo sie sich den Händen ihrer guten, treuen Zofe überließ.

„Du besuchst Tante Constance? Besser du als ich! Ihre Moralpredigten sind unausstehlich. Ich gehe jetzt mit Chloe im Park spazieren.“ Im Hinausgehen warf Amelia ihrer Schwester einen belustigten Blick zu. „Clarrie, schau nicht so ernst! Beruhige dich, ich weiß, was ich tue. Du solltest auch öfter ausgehen. Selbst für dein Alter siehst du noch mehr als passabel aus, solange du nur nicht neben mir stehst. Ich könnte einen passenden Herrn für dich finden.“

„Danke, Schwester“, entgegnete Clarissa trocken, „aber ich bin mit den gegebenen Umständen ganz zufrieden.“

Lady Constance Denby war sehr früh schon verwitwet, und trotz vieler Anträge hatte sie nicht wieder geheiratet. Sie war dem Andenken an ihren geliebten Gatten, der ein aufgehender Stern im House of Lords gewesen war, treu geblieben, nicht nur, indem sie eine neue Heirat ausschloss, sondern auch, indem sie sich weiterhin für Politik interessierte. In der kurzen Zeit ihrer Ehe hatte sie einen beeindruckenden politischen Salon geführt, was sie nach dem Tode ihres Mannes ebenfalls aufgab. Etwas so Besonderes mit ihm geteilt zu haben, erklärte sie ihrer Nichte, genüge ihr für den Rest ihrer Tage.

Takt und angeborene Zurückhaltung versagten es ihr in den folgenden Jahren, Clarissas Mutter und Schwester zu kritisch zu beurteilen, denn sie war sich zu sehr bewusst, wie schlecht ihre Familie an ihnen gehandelt hatte, als James, ihr lieber Bruder, gestorben war. Sie fand Maria ermüdend und Amelia eigensinnig, doch sie mochte Clarissa sehr gern, und es schmerzte sie, dass sie nicht mehr für sie tun konnte, als sie liebevoll aufzunehmen, wann immer sie zu Besuch kam.

Als sie sich heute allerdings in dem hellen Frühstückssalon zum Morgenkaffee einfand, wusste Lady Constance, dass sie ihr Kummer bereiten musste.

„Also, mein liebes Kind“, begann sie, nachdem Clarissa eingeschenkt hatte, „ich muss dir leider sagen, dass deine Schwester peinliches Aufsehen erregt.“ Abwartend sah sie ihre Nichte an, die jedoch nicht reagierte. „Ich erwähnte vielleicht schon einmal, dass Letitia Marlborough, Lord Rasenbys Schwester, zu meinen Freunden zählt. Ich kenne sie schon ewig und stehe immer noch auf gutem Fuß mit ihr. Also, nun, Letitia hat es aus erster Quelle, dass deine Schwester Kits neuester Flirt ist. Ehrlich gesagt, glaubt sie, dass er sie als seine nächste Mätresse auserkoren hat.“

Bedächtig nahm Lady Constance einen Schluck von ihrem Kaffee und fuhr fort: „Offensichtlich ist das für dich keine Überraschung, Clarissa. Hat Amelia Lord Rasenby erwähnt?“

„Ja, Tante, als … einen Bewunderer.“

Das entlockte Lady Constance ein heiseres Lachen. „So nennt sie das also? Liebes, deine Schwester ist anscheinend entschlossen, den Weg nach unten zu nehmen, und wenn du nicht endlich zu mir ziehst, wie ich es dir schon so oft angeboten habe, wird sie dich mit in den Abgrund reißen.“

„Tante, bitte! Du weißt, dein großzügiges Angebot überwältigt mich, aber solange Amelia nicht untergebracht ist und mit ihr Mama, kann ich die beiden nicht im Stich lassen. Bitte, versteh das doch.“ Ihre grünen Augen flehten um Mitgefühl.

Mit diesem Blick ähnelte Clarissa so sehr ihrem Vater, dass Lady Constance einen Augenblick der Atem stockte. Diese großen Augen mit den langen Wimpern, die das herzförmige Gesicht beherrschten, erinnerten so sehr an James. Wenn er doch nur eine stärkere Konstitution besessen hätte – und einen stärkeren Charakter – dann steckten sie alle vielleicht nicht in dieser Klemme. Dass er damals mit Maria, einem wahren Niemand, durchgebrannt war, wo er doch eine gute Partie hätte machen sollen! Nun, es war geschehen, und James war lange tot. Sie konnte nicht mehr tun, als sein Kind vor der harten Welt zu beschützen.

Lady Constance tätschelte Clarissa tröstend eine Hand. „Natürlich verstehe ich das, Liebes. Vergiss nur nie, dass du, was auch kommen mag, hier bei mir immer ein Heim finden wirst.“

„Danke, Tante Constance, das bedeutet mir sehr viel.“

„Aber um auf das unerfreuliche Thema Amelia zurückzukommen – ich sage dir ehrlich, ich bin sehr in Sorge. Du weißt, der Earl of Rasenby steht in extrem schlechtem Ruf.“

„Dessen bin ich mir bewusst, Tante, aber er kann doch unmöglich tatsächlich so schlecht sein.“

„Kind, ich weiß nicht, was du gehört hast, aber glaub mir, was es auch ist, Kit führt sich noch schlimmer auf. Er verkehrt jetzt seit über fünfzehn Jahren zum ton, und noch länger herrscht er über sein riesiges Vermögen, da er noch studierte, als sein Vater unglücklicherweise starb. Ein abscheulicher Mensch, sein Vater; brach sich den Hals bei der Fuchsjagd. Konnte reiten wie der Teufel, aber man sagt, als es geschah, war er angesäuselt. Na ja, eigentlich verging kein Tag, an dem er nicht getrunken hätte. Er war wirklich kein Musterbeispiel für seinen Sohn. Aber ich will nicht ungerecht sein, das Trinken ist nicht Kits Leidenschaft, er ist eher nüchtern und viel scharfsinniger als sein Vater. Trotzdem kommt man nicht drum herum – er hat ziemlich niedere Neigungen. Und es sind nicht nur die üblichen Tänzerinnen und Opernsängerinnen. Er ist einfach ein wilder Bursche. Leicht aufbrausend und selten einlenkend. Wenn du mich fragst, fehlt ihm eine Aufgabe, eine Herausforderung. Ich denke manchmal, er hätte das Zeug zum Politiker.“

Lady Constance versank in Nachdenken. Sie hätte gern selbst einen Sohn gehabt, ein Kind, das vielleicht ihrem geliebten Gatten nachgeeifert hätte. Doch da es nicht hatte sein sollen, versuchte sie, wenigstens Clarissa nach Kräften zu unterstützen, soweit diese es zuließ. Aufblickend sagte sie: „Entschuldige, Kind, wovon sprachen wir? Ah, Lord Rasenby. Allem Tratsch zum Trotz betrachten ihn einige Mütter als guten Fang, doch bisher geht er der Ehe weit aus dem Weg.“

Clarissa schien eher nachdenklich als entsetzt. „Tante, vieles von dem, was du sagst, war mir klar, wenn ich auch kaum glauben kann, dass jemand so durch und durch verdorben sein sollte. Du magst mich für naiv halten, aber ich kann einfach nicht anders, als anzunehmen, dass ein wenig Gutes in jedem Menschen steckt.“

Bedächtig fuhr sie fort: „Tante, die Gerüchte sind nicht ganz aus der Luft gegriffen. Amelia war leider sehr häufig in Lord Rasenbys Gesellschaft, und vermutlich sind seine Absichten nicht ehrbarer Natur, wenn Amelia das auch anders sieht. Nicht, dass sie ihn liebte, aber ich denke, sie ist zutiefst geschmeichelt und glaubt törichterweise, er werde ihr die Ehe antragen.“

„Kind, du irrst dich in deiner Schwester. Ich bin fest überzeugt, sie ist sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass Lord Rasenbys Antrag nicht ehrbar sein kann, und wird ihn trotzdem gern annehmen. Deine Schwester ist vor allem geldgierig. Da hast du es – klare Worte, in der Tat.“

„Ich weiß, dass du nicht gut von Amelia denkst.“ Clarissa senkte den Blick und versuchte, auszublenden, dass Tante Constance nur aussprach, was sie selbst befürchtete, ja, wusste. „Du magst recht haben, Tante, aber sie ist noch ein Kind, sie ist einfach von seinem Charme und seinem Reichtum hingerissen. Aber ich glaube ehrlich, dass ich sie vor dem Ruin bewahren kann.“

„Clarissa, du hast doch wohl keine Narrheit im Sinn!“

„Nein, nein, natürlich nicht.“ Das kleine Lachen, das ihre Verneinung begleitete, fiel ein wenig kläglich aus. Lügen konnte sie einfach nicht. Sie hatte wirklich einen, wenn auch noch recht unfertigen, Plan. „Ach, genug von meiner törichten Schwester. Weißt du, Tante Constance, ich finde Udolpho nicht sonderlich gut.“ Und damit machte sie sich daran, den neuesten Roman Mrs. Radcliffs zu zerpflücken, um ihre Tante von weiteren Fragen abzuhalten, und die, große Verehrerin der Autorin, stürzte sich sofort in eine lebhafte Verteidigungsrede.

Als Clarissa daheim über das vorhergegangene Gespräch nachdachte, festigte sich ihr Entschluss, Amelia irgendwie von Lord Rasenby zu trennen. Dass ihre törichte Schwester Rasenbys unsittliches Angebot annehmen würde, davon war Clarissa mittlerweile ebenso fest überzeugt, wie davon, dass man ihn niemals in die Ehefalle locken könnte. Sonst hätte Tante Constance sich nicht so deutlich geäußert. Es blieb nur, Amelias Pläne zu durchkreuzen.

Bei dem Gedanken an diese Herausforderung fühlte sie sich lebhaft angeregt, so, als wachte sie tatendurstig aus einem tiefen Schlaf auf. Sie sagte sich, dass es die Aufregung war, ihre Schwester retten zu müssen, und nichts damit zu tun hatte, einen so berüchtigten Mann kennenzulernen.

Nur, wie sollte sie nun vorgehen?

Unter Herzklopfen sortierte sie die Einladungen, die auf dem Tisch im Salon lagen. Ja, da, die letzte, das war es! Ein Maskenfest bei Lady Teasborough. Ich werde hingehen, beschloss Clarissa – und zwar allein.

2. KAPITEL
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Kit Trahern, Earl of Rasenby, schaute in die klaren blauen Augen einer weiteren passenden junge Dame und bemühte sich, ein Gähnen zu unterdrücken. Hätte er nur nie dem Drängen seiner Schwester, sie zu diesem Ball zu begleiten, nachgegeben! Er könnte jetzt nach einem gemütlichen Dinner in seinem Club sitzen und ein oder zwei Runden Whist spielen. Stattdessen befand er sich mitten in dem gesellschaftlichen Trubel, den er so verabscheute. Noch dazu angetan mit Maske und einem albernen Domino.

Lady Teasborough glaubte, durch den Kostümzwang ihrem Ball etwas Pfeffer verliehen zu haben, aber Kit fand ihn nicht weniger ermüdend als jede andere Gesellschaft auch. Es war unerträglich heiß im Saal. Die unzähligen Kerzen in den riesigen Kronleuchtern, die hoch auflodernden Feuer in den Kaminen an jedem Ende des Saals – die, wie Kit fand, völlig unnötig brannten – und das Gedränge der Leute erweckten in ihm den Wunsch, sich schleunigst auf die Terrasse und an die frische Luft zu begeben. Wie er sich langweilte! Weder interessierten ihn Literaturgespräche noch der Klatsch darüber, wer der Erzeuger des jüngsten Kindes der Gastgeberin war. Warum sollte es ihn interessieren, wenn es dem Ehemann – der höchstwahrscheinlich irgendwo im Haus über einem Spieltisch hockte – gleichgültig war? Herrgott, ich langweile mich! Trotz der verhüllenden Umhänge und Dominos erkannte er so ziemlich jeden im Saal. Einschließlich der Miss Rosa Domino, die ihm gerade von Letitia vorgeführt wurde.

Kit seufzte verhalten, beugte sich artig über die Hand der jungen Dame und führte sie zögernd aufs Parkett. Mit seiner raubtierhaften Geschmeidigkeit und Anmut, die er seinem ständigen Fechttraining verdankte, stach er unter den anderen Tanzenden sichtbar hervor. Leider konnte er das von seiner ungelenken Partnerin nicht sagen, die permanent aus dem Takt geriet.

Autor

Marguerite Kaye

Marguerite Kaye ist in Schottland geboren und zur Schule gegangen. Ursprünglich hat sie einen Abschluss in Recht aber sie entschied sich für eine Karriere in der Informationstechnologie. In ihrer Freizeit machte sie nebenbei einen Master – Abschluss in Geschichte. Sie hat schon davon geträumt Autorin zu sein, als sie mit...

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