Ein Marquess und kein Gentleman?

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Für Lady Belinda ist es Beruf und Herzensangelegenheit zugleich, Ehen zu stiften. Um leichtfertige Lebemänner wie Nicholas Trubridge macht die schöne junge Witwe dabei normalerweise einen großen Bogen. Doch der umtriebige Marquess braucht dringend eine reiche Braut, und so lässt Belinda sich widerwillig als Kupplerin anheuern. Ihr geheimer Plan: Dem unverschämt attraktiven Mitgiftjäger genau das Mädchen zuzuführen, das er verdient. Doch je mehr kratzbürstige Kandidatinnen sie für ihn auswählt, desto mehr erliegt sie selbst Nicholas' gefährlichem Charme. Als sie sich plötzlich in seinen Armen wiederfindet und unter seinen heißen Küssen dahinschmilzt, ahnt sie, dass ihre Aufgabe nicht so leicht ist, wie sie dachte …


  • Erscheinungstag 06.11.2015
  • Bandnummer 81
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761066
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Freundin und wunderbare Autorenkollegin Elizabeth Boyle, die stets einen Weg findet, mich zu inspirieren, vor allem, wenn sie Dinge dahinsagt wie: „Warum schreibst du nicht mal was über eine Heiratsvermittlerin?“ Dieses Buch, liebe Freundin, ist für dich.

1. KAPITEL

Die größten Herausforderungen, mit denen sich eine Heiratsvermittlerin herumschlagen musste, waren nicht etwa die wankelmütige menschliche Natur oder die Widersprüchlichkeit der Liebe. Nicht einmal Eltern, die sich überall einmischten. Nein, Lady Belinda Featherstone – für die reichen Familien Amerikas die renommierteste Ehestifterin Englands – sah das eigentliche Hemmnis ihrer Tätigkeit in der romantischen Veranlagung achtzehnjähriger Mädchen. Rosalie Harlow stellte das perfekte Beispiel dar.

„Sir William wäre gewiss jeder Frau ein ausgezeichneter Gatte“, bekannte Rosalie mit ungefähr so viel Enthusiasmus, als ginge es um einen unliebsamen Zahnarztbesuch. „Aber …“ Seufzend verstummte sie.

„Aber du magst ihn nicht?“, beendete Belinda den Satz an ihrer Stelle. Auch sie verspürte den Drang, zu seufzen. Sir William Bevelstoke war nur einer von vielen einflussreichen Gentlemen, die ein romantisches Interesse an der amerikanischen Erbin bekundet hatten, seit Rosalie vor sechs Wochen in London eingetroffen war. Und er war nicht der Einzige, den sie achtlos abgefertigt hatte. Schlimmer noch – Belinda argwöhnte, dass Sir Williams Gefühle über eine rein oberflächliche Zuneigung hinausgingen.

„Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht mag“, entgegnete Rosalie. „Vielmehr liegt es daran, dass …“ Abermals brach sie ab und sah Belinda über den Teetisch hinweg mit braunen Augen unglücklich an. „Er ist nicht gerade aufregend, Tantchen Belinda.“

Belinda war nicht wirklich die Tante des Mädchens, stand der Familie Harlow jedoch so nahe wie eine Blutsverwandte. So wie ihr eigener Vater war auch Elijah Harlow einer der zahlreichen amerikanischen Millionäre, die durch Investitionen in Eisenbahn oder Goldminen zu Vermögen gelangt, den Lockungen der Wall Street erlegen und mitsamt Familie nach New York gezogen waren, nur, um dort mit ansehen zu müssen, wie Gattin und Töchter von der dortigen Gesellschaft geächtet wurden.

Wie die Harlows hatte Belinda dies am eigenen Leib erfahren müssen, als ihr Vater sie aus Ohio mit nach New York nahm. Damals war sie gerade einmal vierzehn gewesen. Die liebenswürdige, warmherzige Mrs Harlow hatte sich überaus mitfühlend gezeigt mit ihrer ebenfalls ausgestoßenen Leidensgenossin und das junge, mutterlose und damals furchtbar schüchterne Mädchen unter ihre Fittiche genommen. Diesen Akt der Güte würde Belinda ihr niemals vergessen.

Im Sommer ihres siebzehnten Lebensjahres hatte Belinda den äußerst gut aussehenden Earl of Featherstone geehelicht, nachdem dieser in nur sechs Wochen ihr Herz im Sturm erobert hatte. Die Verbindung erwies sich als desaströs, doch Belinda war es immerhin gelungen, sich erfolgreich in der britischen Gesellschaft zu etablieren. Fünf Jahre darauf bat Mrs Harlow sie darum, ihre älteste Tochter Margaret dabei zu unterstützen, in der Londoner Gesellschaft Fuß zu fassen, um ihr die brüskierende Zurückweisung eines New Yorker Debüts zu ersparen.

Obwohl Belinda liebend gern geholfen hatte, war sie sich der Gefahr einer überhasteten Eheschließung mit einem verarmten Halunken bewusst gewesen. Deshalb verbandelte sie das Mädchen mit dem zuvorkommenden, warmherzigen Lord Fontaine. Als Folge dieser Bekanntschaft hatte Margaret nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene brilliert, sondern war heute zudem eine glücklich verheiratete Baroness. Damit war Belindas Ruf als Ehestifterin geboren.

Seitdem hatten viele neureiche amerikanische Mädchen, denen man in der rigiden sozialen Hierarchie des traditionsverhafteten New York bloß die kalte Schulter zeigte, den Weg zu Belindas bescheidenem Haus in der Berkeley Street in London gefunden. Sie alle kamen in der Hoffnung, in Margaret Harlows Fußstapfen zu treten. Rosalie war mit demselben Ziel frisch von einem französischen Mädcheninternat gekommen, doch Belinda fürchtete, dass der Fall hier schwieriger lag als bei ihrer vernünftigen Schwester Margaret.

Belinda stellte die Teetasse zurück auf den Unterteller und suchte nach einer passenden Erwiderung auf Rosalies Kommentar. Obgleich sie seit geraumer Zeit verwitwet und überaus dankbar für diesen Umstand war, hatte sie klar vor Augen, dass gesellschaftliche Akzeptanz für Mädchen wie Rosalie allein über eine Ehe zu erreichen war. Somit war ihr sehr daran gelegen, den jungen Frauen stets zweckmäßige Ansichten in puncto Gattensuche zu vermitteln, ohne ihnen ihre romantischen Ideale zu nehmen. Und Rosalie hegte gleich einen ganzen Haufen solcher Ideale.

„Sir William mag nicht der aufregendste aller Gentlemen sein“, sagte Belinda nach einem Moment. „Aber, meine liebe Rosalie, zu einer glücklichen Ehe gehört weit mehr als Herzklopfen.“

„Ja, aber sollte eine Ehe nicht auf Liebe fußen? Und“, fuhr Rosalie hastig in einem Ton fort, der keinen Widerspruch duldete, „kann es Liebe ohne Herzklopfen geben? Liebe bedeutet doch, zu entflammen! Sie muss doch dem Gefühl gleichen, von einem inneren Feuer verzehrt zu werden. Sir William“, fügte sie mit einem weiteren Seufzer an, „entflammt mich kein bisschen.“

Ehe Belinda auf die Gefahren hinweisen konnte, die eine solche Denkart barg, betrat Jervis, der Butler, das Zimmer. „Der Marquess of Trubridge wünscht Ihnen seine Aufwartung zu machen, Mylady“, teilte er ihr mit. „Soll ich ihn hereinbitten?“

„Trubridge?“, fragte sie erstaunt. Sie kannte den Marquess nur vom Hörensagen, und sein Leumund weckte nicht eben das Verlangen in ihr, ihn kennenzulernen. Trubridge war der Sohn des Duke of Landsdowne und ein berüchtigter Schwerenöter. Wie sie wusste, verbrachte er den Großteil seiner Zeit damit, Paris unsicher zu machen und sein Geld an Spieltischen, für Alkohol und Frauen mit fragwürdiger Moral zu verprassen. Zudem war er ein Freund von Jack, dem Bruder ihres verstorbenen Gatten. Diese Tatsache allein schon mehrte ihren Widerwillen dagegen, seine Bekanntschaft zu machen. Jack Featherstone war ebenso zügellos, wie ihr Ehemann es gewesen war. Beide Männer hatten gemeinsam mit Trubridge jenseits des Ärmelkanals ausgiebig der Zecherei gefrönt.

Es überraschte Belinda keineswegs, dass Trubridge gegen die Etikette verstieß und bei einer Frau vorstellig wurde, die nicht zu seinem Bekanntenkreis zählte. Allerdings war ihr schleierhaft, welchen Anlass sein Besuch haben könnte. Trubridge war eingefleischter Junggeselle, und solche Herren mieden ihr Haus gemeinhin wie die Pest.

Doch welches Motiv er auch haben mochte, sie war nicht geneigt, es zu ergründen. „Jervis, bitte teilen Sie dem Marquess mit, dass ich nicht zu Hause bin.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Jervis ging, und Belinda widmete sich wieder der anstehenden Aufgabe.

„Verwirf Sir William nicht leichthin, Rosalie. Er hat einen hohen Posten in der Regierung Ihrer Majestät inne. Die Ritterwürde wurde ihm für sein herausragendes diplomatisches Geschick in irgendeiner verzwickten Angelegenheit auf Ceylon verliehen.“

„Ceylon?“ Rosalie wirkte beunruhigt. „Am Ende muss ich im Ausland leben, wenn ich Sir William heirate?“

Die Tatsache, dass sie genau genommen längst im Ausland und obendrein in einem Hotel lebte, schien Rosalie nicht zu bekümmern. Dennoch konnte Belinda ihre Besorgnis nachvollziehen. „Vermutlich“, räumte sie ein. „Doch solche Ämter sind selten von langer Dauer und stellen eine exzellente Gelegenheit für jemanden in deiner Position dar, Eindruck zu machen. Die ehrbare Gattin eines Diplomaten ist überall willkommen.“

„Ich möchte aber nicht auf Ceylon leben, sondern in England. Verfügt Sir William über ein Anwesen hier?“

„Derzeit nicht, doch wenn er heiratet, würde er sich gewiss überreden lassen, eins zu erwerben. Allerdings ist es noch zu früh, an derlei Dinge zu denken. Wichtiger ist, dass er ein höchst sympathischer junger Mann mit guten Manieren und anständiger Herkunft ist. Und …“

Sie wurde durch ein diskretes Hüsteln unterbrochen, abermals entdeckte sie den Butler im Türrahmen. „Ja, Jervis? Was gibt es?“

Er blickte zerknirscht drein. „Der Marquess of Trubridge, Mylady. Er bat mich, Eure Ladyschaft davon in Kenntnis zu setzen, er wisse trotz Ihrer anders lautenden Aussage, dass Sie zu Hause seien.“

„Ach, tatsächlich?“ Belinda war empört. „Was verleitet ihn bloß zu der Annahme, etwas Derartiges wissen zu können?“

Es war eine rein rhetorische Frage, aber Jervis antwortete dennoch. „Er wies mich darauf hin, dass an diesem düsteren Nachmittag bei Ihnen Licht brenne, die Vorhänge jedoch nicht zugezogen seien, sodass er Sie von der Straße aus mühelos durchs Fenster habe erspähen können. Er bittet Sie erneut um einige Momente Ihrer Zeit.“

„Welch himmelschreiende Arroganz!“ Sie kannte den Mann nicht, verspürte auch kein Verlangen danach, ihn kennenzulernen, und sah folglich keinerlei Anlass, ihn zu empfangen. „Wenn eine Dame sagt, sie sei nicht zu Hause, mag sie sich sehr wohl im Gebäude befinden, ohne jedoch für Besucher zu sprechen zu sein. Ein Marquess sollte hinreichend kultiviert, also mit dieser Gepflogenheit vertraut sein. Bitte seien Sie so gut, ihm das auseinanderzusetzen. Gemahnen Sie ihn ebenfalls daran, dass wir einander noch nicht vorgestellt wurden und ich ihn schon allein aus diesem Grunde nicht empfangen kann.“

„Jawohl, Mylady.“

Wieder ging der Butler, und Belinda richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf Rosalie. „Also, zurück zu Sir William …“

„Wer ist dieser Marquess of Trubridge?“, fiel Rosalie ihr ins Wort. „Er legt eine ziemliche Beharrlichkeit an den Tag, was seinen Wunsch angeht, dich zu sehen.“

„Ich habe keine Ahnung, wieso. Ich kenne den Herrn nicht einmal.“

„Ist er ledig? Falls das zutrifft, liegt wohl auf der Hand, weshalb er hier ist.“

„Trubridge ist Junggeselle, ja, und zwar ein überzeugter. Es ist allgemein bekannt, dass er nicht den Wunsch verspürt, sich zu binden. Darüber hinaus ist er ein Mann, von dem sich eine respektable junge Dame fernhalten sollte. Um noch einmal auf Sir William zu kommen …“

Kaum hatte Belinda sich in eine glühende Lobrede auf die potenzielle Diplomatenzukunft des biederen jungen Mannes gestürzt, als eine Bewegung von der Tür her sie ablenkte. Als sie aufschaute, stand abermals Jervis auf der Schwelle. „Oh, um Gottes willen!“, entfuhr es ihr. „Ist dieser Mensch noch immer nicht fort?“

„Ich fürchte nein, Mylady. Er hat mir aufgetragen, Ihnen Folgendes auszurichten: Er wisse nicht, was er verbrochen habe, dass Sie ihn schneiden, indem Sie vorgeben, ihn nie zuvor getroffen zu haben. Aber wie immer er Sie gekränkt habe – er wünsche sich aufs Alleraufrichtigste zu entschuldigen. Er bittet Sie abermals um einen Augenblick Ihrer Zeit.“

„Welch ein Unfug! Ich habe diesen Mann noch nie im Leben gesehen. Außerdem ist mir ein Rätsel, was so dringlich sein soll, dass …“ Sie verstummte, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss und alle anderen überlagerte.

Vielleicht war Jack etwas zugestoßen. Ihr Schwager und Trubridge teilten sich die Miete für ein Pariser Stadthaus. Hätte Jack einen Unfall, wäre der Marquess der Erste, der es erführe. Jack war berüchtigt für seine tollkühnen, törichten Unternehmungen, und so würde sein frühzeitiges Ableben sie nicht wundern. Das könnte auch erklären, warum Trubridge hergekommen war, ohne ihr vorher vorgestellt worden zu sein.

Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte kurz nach, ehe sie sagte: „Fragen Sie Lord Trubridge, ob er hier sei, weil Jack etwas passiert ist. Lord Featherstone, meine ich.“

„Ich werde mich erkundigen, Mylady.“ Jervis, der sich in Belindas Augen heute als der langmütigste Butler in ganz London erwies, verbeugte sich und ging. Während seiner Abwesenheit wandte Belinda sich nicht wieder Rosalie zu, sondern starrte auf die Tür und wartete auf Jervis’ Rückkehr. Vor Unbehagen zog sich ihr der Magen zusammen.

Sie war nicht gerade angetan von Jack, im Gegenteil. Zu sehr ähnelte er seinem Bruder – zu sehr frönte er Gelagen in schlechter Gesellschaft und einem ausschweifenden Lebenswandel. Darüber vergaß er seine Pflichten zu Hause. Doch obwohl sie dem Bruder ihres verblichenen Mannes nicht gerade Sympathie entgegenbrachte, hoffte sie aufrichtig, dass ihm kein Unglück zugestoßen war.

„Nun?“, hakte sie nach, als Jervis wiederauftauchte. „Was hat er gesagt? Ist Jack … Ist er tot?“

„Lord Trubridge wünscht zu erfahren …“ Jervis zögerte, als wäre die Botschaft derart bedeutsam, dass sie so wortgetreu wie möglich wiedergegeben werden müsste. „Er bat mich, Sie zu fragen, ob Sie ihn empfingen, sollte Lord Featherstone einen Unfall erlitten haben. In diesem Fall sei Lord Featherstone in der Tat zu Schaden gekommen.“

Rosalie neben ihr unterdrückte ein Kichern ob dieser absurden Nachricht, aber Belinda konnte diese Erheiterung nicht teilen. Wie Rosalie argwöhnte auch sie, dass Trubridges Worte ironisch gemeint waren, aber vergewissern musste sie sich dennoch.

„Also schön“, erwiderte sie, sich dem Unausweichlichen beugend. „Führen Sie ihn in die Bibliothek, lassen Sie ihn zehn Minuten schmoren und bringen Sie ihn dann herauf.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Jervis ging, um zu verfahren wie geheißen, und Belinda wandte sich an Rosalie.

„Es tut mir leid, dass unsere Zusammenkunft ein solch abruptes Ende findet, meine Liebe. Doch wie es aussieht, bin ich gezwungen, Lord Trubridge zu empfangen. Sei es nur, um sicherzustellen, dass meinem Schwager nichts widerfahren ist.“

„Aber wieso lässt du den Marquess in der Bibliothek warten? Warum bittest du ihn nicht einfach herauf?“

Diesen Burschen auch nur in die Nähe einer liebreizenden Unschuld wie Rosalie zu lassen, kam überhaupt nicht infrage. „Ich darf nicht zulassen, dass du mit ihm zusammentriffst. Lord Trubridge ist kein Gentleman.“

„Kein Gentleman? Aber er ist ein Marquess!“ Rosalie, verständlicherweise verwirrt, lachte leise. „Ich dachte, ein britischer Adeliger mit Titel wäre stets ein Gentleman.“

„Trubridge mag dem Namen nach einer sein, aber sein Verhalten spricht eine andere Sprache. Vor einigen Jahren hat er für einen Skandal gesorgt, indem er ein Mädchen kompromittierte, es jedoch nicht heiratete. Es handelte sich um eine junge Dame aus gutem Hause. Und …“ Sie verstummte, bemüht, sich an das zu erinnern, was ihr über den Marquess zu Ohren gekommen war. „Ich glaube, es gab da noch eine junge Frau – eine Irin, die seinetwegen nach Amerika geflohen ist. Die Einzelheiten sind mir nicht bekannt, weil sein Vater die Angelegenheit erfolgreich vertuscht hat.“

„Oh“, hauchte Rosalie. Ihre Augen wurden immer größer; offenbar war ihre Neugier entfacht. „Klingt nach einem schrecklich anrüchigen Mann.“

Belinda musterte die verzückte Miene der Kleinen und fragte sich nicht zum ersten Mal, was junge Mädchen an Lebemännern derart faszinierte. Eigentlich hätte Rosalie abgestoßen sein sollen, doch dem war nicht so: Der Nimbus des Verruchten ließ sie nur noch erpichter darauf drängen, den Herrn kennenzulernen. Belinda hätte sich auf die Zunge beißen mögen dafür, dass sie überhaupt zur Sprache gebracht hatte, was sie über den Kerl wusste. Nun gut, der Schaden war einmal angerichtet. Jetzt konnte sie ihn allenfalls begrenzen und Rosalie so geschwind wie möglich aus dem Haus schaffen.

„Er ist keineswegs anrüchig genug, um interessant zu sein“, entgegnete sie und lächelte herablassend. „Lediglich ein garstiger Mensch mit einem verwerflichen Hintergrund, der kein Recht hat, bei mir zu erscheinen, da wir einander nie vorgestellt wurden.“

„Aber er behauptet, dich zu kennen.“

„Ich bin sicher, er täuscht sich oder foppt mich aus unerfindlichen Gründen. So oder so, ich muss ihn empfangen, wie es aussieht.“ Sie erhob sich und zog auch Rosalie auf die Füße. „Und du, meine Liebe, musst ins Hotel zurückkehren.“

„Oh, muss das sein?“ Rosalie stöhnte. „Warum darf ich diesen Lord Trubridge nicht zu Gesicht bekommen? Ich soll mich doch in die britische Gesellschaft einbringen. Dieser Mann ist ein Marquess, also sollte ich ihn doch kennenlernen, meinst du nicht?“

Ganz und gar nicht. Nach wie vor lächelnd und Gleichgültigkeit vortäuschend, hob sie Rosalies Handschuhe vom Sofa auf und reichte sie ihr. „Ein andermal vielleicht“, sagte sie, während sie das Mädchen zur Tür führte. „Aber nicht heute.“

Sie ignorierte die Proteste und führte Rosalie durch die Salontüren und den Korridor entlang zur Treppe. „Außerdem kann ich dich schlecht einem Herrn vorstellen, dem ich selbst noch nicht vorgestellt wurde. Das gehört sich nicht.“

Nahe dem oberen Treppenabsatz blieb sie stehen und warf einen raschen Blick nach unten ins Vestibül, um sich zu vergewissern, dass Jervis ihren Anweisungen Folge geleistet hatte und Lord Trubridge sicher in der Bibliothek verborgen war. Zufrieden schritt sie die Stufen hinab, eine widerwillige Rosalie im Schlepptau. „Und ich kann dir versichern, dass der Mann dein Interesse nicht verdient.“

„Oh, wie könnte er bei einer solchen Vergangenheit nicht interessant sein? Ach, bitte, bitte, lass mich ihn kennenlernen! Ich hatte noch nie mit einem anrüchigen Menschen zu tun.“

Belinda erkannte, dass weitere Ausflüchte nötig waren, um Rosalies Neugier zu ersticken. „Mein liebes Mädchen, du hast den Wunsch geäußert, in England zu leben“, erinnerte sie Rosalie auf dem Weg die Treppe hinunter. „Trubridge lebt in Paris.“

„Verfügt er über Landbesitz in England?“

„Ich glaube, er hat ein Anwesen in Kent“, räumte Belinda widerwillig ein. „‚Honey-irgendwas‘. Aber ich denke nicht, dass er je dort ist. Jedenfalls lebt er dort nicht.“

„Das könnte sich aber ändern, wenn er heiratet …“

„Was ich stark bezweifle. Sein Vater und er haben sich schon vor Jahren überworfen.“

„Auch an dem Zerwürfnis könnte sich etwas ändern, wenn der Marquess eine Frau findet.“ Am unteren Treppenabsatz blieb Rosalie stehen und zwang damit auch Belinda, innezuhalten. Störrisch presste sie die Lippen aufeinander.

Meine Unnachgiebigkeit macht den Marquess nur umso verlockender, dachte Belinda besorgt. Ihr musste dringend irgendetwas einfallen, das seinen Reiz schmälerte.

„Wie ich gehört habe …“ Fieberhaft überlegte sie. „Wie ich gehört habe, ist er ziemlich füllig geworden.“ Das mochte immerhin stimmen, sagte sie sich, um ihr Gewissen zu beruhigen.

„Füllig?“

„Regelrecht fett.“ Sie zog Rosalie weiter Richtung Portal. „Und ich weiß, dass er trinkt“, fügte sie an, während sie die Eingangshalle durchquerten. „Weshalb er zweifellos inzwischen gichtkrank sein dürfte. Ich schätze, er raucht auch Zigarren, sodass sein Atem …“ Schaudernd verstummte sie. „Pfui!“

„Nach deiner Schilderung muss er ja regelrecht abstoßend sein.“

„Nun, der Zahn der Zeit nagt auch an ihm. Tja, er muss mindestens über dreißig sein.“

Falls sie geglaubt hatte, dass Rosalie einen Mann von dreißig Jahren für zu betagt befand, um attraktiv zu sein, hatte sie sich getäuscht. „Ach, Tantchen, dreißig ist doch kein Alter. Du mit deinen achtundzwanzig könntest mühelos als Debütantin durchgehen.“

„Das ist lieb von dir, mein Schatz, danke. Aber was ich sagen will, ist, dass Trubridge einem liederlichen Lebenswandel frönt. Und wenn ein solcher Mann in ein gewisses Alter kommt, wird er höchst unansehnlich.“

„Vielleicht hast du recht.“ Rosalie wirkte schon weniger angetan, sehr zu Belindas Erleichterung. „Ach, wie schade.“

„Nun, das Dinner heute Abend bei Lord und Lady Melville dürfte dich aufheitern. Ihr zweitältester Sohn Roger ist recht gut aussehend, und charmant noch dazu.“ Sie wandte sich dem Bediensteten zu, der ihnen die Tür geöffnet hatte. „Samuel, bitte geleiten Sie Miss Harlow zum Hotel – es ist das Thomas’ – und sorgen Sie dafür, dass sie sicher dort ankommt.“

„Du lieber Himmel“, warf Rosalie ein, „ich brauche keine Eskorte. Der Berkeley Square liegt ja gleich jenseits der Straße. Ich begreife nicht, weshalb man sich hier so viele Umstände macht und überall nur in Begleitung eines Anstandswauwaus hindarf.“

„Das begreifst du nicht, weil du Amerikanerin bist, Liebes. Hier drüben ist alles anders.“ Belinda küsste Rosalie auf die Wange, schob das Mädchen sanft auf den Gehsteig hinaus und richtete das Wort abermals an den Lakaien. „Nicht nur bis zum Anfang des Berkeley Square, ja? Begleiten Sie sie bis ins Hotel.“

„Jawohl, Mylady. Sie wird mir nicht abhandenkommen.“

„Danke, Samuel.“

Obgleich der Diener äußerst zuverlässig war, schaute Belinda den beiden nach, als sie die Hay Hill überquerten und zum Berkeley Square gelangten. Sie fühlte sich in hohem Maße verantwortlich für die jungen Amerikanerinnen, die sie um Hilfe baten. Wenn es um den Ruf der Mädchen ging, hielt sie sich an den Grundsatz, Vorsicht sei besser als Nachsicht. Dies galt vor allem für die Töchter der Harlows, die ihr wie eine Familie waren.

Als Jervis’ Schritte auf den Fliesen des Vestibüls erklangen, erinnerte sie sich an ihren anderen Besucher. Da Rosalie aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, kehrte Belinda ins Haus zurück. Als der Butler sie fragend ansah, nickte sie.

Er wandte sich dem Korridor zu, um den Marquess zu holen, während Belinda nach oben in den Salon eilte. Ihr blieb gerade noch Zeit, sich mit einer Tasse Tee auf dem Sofa niederzulassen und durchzuatmen, ehe Jervis hereinkam. „Der Marquess of Trubridge“, verkündete er und trat beiseite.

Der Besucher schritt am Butler vorbei in den Salon, und zwar mit der lässigen Eleganz eines Mannes, der in weiblicher Gesellschaft nie daran zweifelte, willkommen zu sein.

Belinda stand auf und musterte ihn, während er auf sie zukam. Zu Rosalies Wohl hatte sie das Bild eines verlebten Wüstlings heraufbeschworen, doch dieses wurde von dem Herrn, der vor ihr stand, zunichtegemacht. Mochten ihm auch all die liederlichen Wesenszüge eigen sein, die sie aufgelistet hatte, so sah man ihm diese nicht an. Er war groß, hatte jedoch offenbar nicht ein Gramm Übergewicht. Seine breitschultrige Gestalt wirkte athletisch und kraftstrotzend – die perfekte Kombination, um einer Frau das Gefühl zu geben, in seiner Gegenwart geborgen und sicher zu sein. Aber Belinda wusste, dass dieser Eindruck pure Illusion war. Laut seinem Leumund war Trubridge so ungefährlich wie ein ungezähmter Löwe.

Auch seine Schönheit hatte etwas Löwenartiges; er besaß die lohfarbene, windzerzauste Erhabenheit des stolzen Tieres. Seine Augen waren haselnussfarben, und in den braunen Tiefen glommen goldene und grüne Funken. Er trug das dichte, leicht gewellte Haar kurz, im Schein der Salonlampen schimmerte es wie poliertes Gold so musste die Serengeti-Savanne aussehen, wenn sie in Sonnenschein getaucht war. Mit einem Mal war der trübe, verregnete englische Nachmittag von exotischer Wärme und strahlendem Sonnenlicht erfüllt. Sogar Belinda, die genau wusste, wie trügerisch die äußere Erscheinung sein konnte, geriet angesichts einer solch außergewöhnlich männlichen Ausstrahlung ins Wanken.

Der Marquess war frisch rasiert, eine Rarität heutzutage; doch dass er gegen das Gebot der Mode verstieß, gereichte ihm keineswegs zum Nachteil. Dadurch, dass er keinen Bart trug, kam sein schmales Gesicht mit der markanten Kieferpartie umso vorteilhafter zur Geltung. Wieso nur, fragte Belinda sich entnervt, waren ausgerechnet Schwerenöter oft so verflixt attraktiv?

„Lady Featherstone.“ Er verbeugte sich. „Welch Freude, Sie wiederzusehen.“

„Wiederzusehen?“ Nun, da sie ihn vor sich hatte, war sie überzeugter denn je, ihm nie zuvor begegnet zu sein. Denn sosehr es sie wurmte, es zuzugeben, war Trubridge gewiss kein Mann, den eine Frau vergaß. „Ich glaube kaum, dass wir einander schon vorgestellt wurden, Lord Trubridge.“ Sie hoffte, dass ihre Worte und ihr beißender Tonfall ihn daran gemahnten, dass er bereits jetzt gegen mehrere Regeln des guten Tons verstoßen hatte.

„Es ist verständlich, dass Sie sich nicht an mich erinnern.“ Er lächelte. Es war ein entwaffnendes Lächeln, so lausbubenhaft, dass es über seinen Ruf hätte hinwegtäuschen können, wäre es nicht zugleich so verführerisch gewesen, dass es diesen untermauerte. „Wir wurden auf dem Hochzeitsessen im Anschluss an Ihre Trauung mit Lord Featherstone miteinander bekannt gemacht.“

Himmel, ihre Hochzeit lag ein Jahrzehnt zurück. Das mochte erklären, warum sie sich nicht an ihn erinnerte. Am Tag ihrer Vermählung war sie kaum achtzehn gewesen und gerade erst in das Labyrinth der britischen Gesellschaft vorgedrungen, in dem sie umhergeirrt war wie eine Motte im Lampenlicht. Sie war schrecklich befangen gewesen und obendrein bis über beide Ohren verliebt in den ihr frisch angetrauten Gatten – und sie hatte in ständiger Furcht davor gelebt, einen unverzeihlichen Fauxpas zu begehen, der ihn beschämen mochte. Durch ihre Nervosität damals erinnerte sie sich kaum noch an jenen Tag, nicht einmal an einen Mann wie Trubridge. Bemerkenswert, dass er sich seinerseits an sie erinnerte. Vermutlich war seine Gabe, sich an Frauen zu erinnern, ein weiterer Grund für seinen großen Erfolg bei ihnen. „Natürlich“, murmelte sie in Ermangelung einer passenderen Erwiderung. „Verzeihen Sie mir.“

„Da gibt es nichts zu verzeihen. Es ist lange her, und seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen, was ich zutiefst bedauere. Sie sind heute schöner denn damals als Braut.“

„Sie schmeicheln mir.“ Eines Ihrer größten Talente, wie ich annehme, war sie versucht hinzuzufügen, doch sie schluckte die bissige Bemerkung hinunter. „Vielen Dank.“

Sein Lächeln wich einem ernsten Ausdruck, der ihr aufrichtig vorkam. „Mit Bedauern habe ich vom Hinscheiden Ihres Gatten gehört. Er schien mir ein überaus passabler Bursche gewesen zu sein.“

Wahrscheinlich hätten sich alle Männer seiner Meinung über Charles Featherstone angeschlossen. Als Ehemann war er lausig gewesen, aber aus männlicher Perspektive in der Tat ein überaus passabler Bursche. Er hatte den übrigen Herren in nichts nachgestanden, wenn es ums Spielen, Feiern und Zechen ging – bis zu jener Nacht vor fünf Jahren, in der er auf seiner Lieblingsmätresse zusammengebrochen und im Alter von sechsunddreißig Jahren an Herzversagen gestorben war.

Belinda bemühte sich, eine nichtssagende Miene zu wahren und zu verbergen, wie sehr sie ihren verstorbenen Mann verabscheut hatte und wie wenig sie seinen Tod betrauerte. In England gehörte es sich nicht, zu viele eigene Gefühle preiszugeben. „Ich weiß Ihr Beileid zu schätzen“, entgegnete sie leise. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht hier sind, um mir auch zum Ableben meines Schwagers zu kondolieren?“

Sein Mund zuckte leicht. „Glücklicherweise bin ich das tatsächlich nicht. Jack war gesund und munter, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, und zwar erst vor wenigen Tagen in unserem Domizil in Paris.“

„Das dachte ich mir. Es überrascht mich nicht, Sir, dass ein Mann mit Ihrem Renommee sich einer solchen List bedient, um sich Zugang zu erschleichen. Ratlos bin ich allerdings, was Ihr Motiv angeht. Aus welchem Grund haben Sie mich aufgesucht?“

„Natürlich aus demselben, aus dem viele Junggesellen Sie aufsuchen.“

„Sie meinen hoffentlich nicht das, was ich denke.“

Wieder lächelte er breit, diesmal jedoch eine Spur zerknirscht. Es war ein Lächeln, dem das weibliche Herz nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte. „Lady Featherstone, ich möchte, dass Sie eine Frau für mich finden.“

2. KAPITEL

Nicholas’ erste Reaktion auf Belinda Featherstones Anblick bestand darin, sowohl ihren verblichenen Gatten als auch ihren Vater zu verfluchen – Ersteren für den Hang zu ausschweifendem Glücksspiel, Letzteren für die Neigung zu finanziell riskanten Unterfangen. Wäre Charles Featherstone nicht derart besessen von Karten und Rennpferden gewesen, und hätte Jeremiah Hamilton nicht sein gesamtes Vermögen an Amerikas Wall Street aufs Spiel gesetzt und verloren, so hätte die Lösung für Nicholas’ Probleme womöglich direkt vor ihm gestanden. Denn Belinda Featherstone war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte.

Damit hatte er nicht gerechnet.

Er war zwanzig gewesen, als er ihrem Hochzeitsessen beigewohnt hatte. Seitdem war ein Jahrzehnt ins Land gezogen, und er entsann sich kaum noch an jenes Ereignis. Entgegen seiner Behauptung waren sie keineswegs miteinander bekannt gemacht worden, doch er hatte keine Zeit darauf verschwenden wollen, eine formelle Vorstellung zu arrangieren. An jenem Tag vor zehn Jahren hatte er sie nur aus der Ferne erblickt, und seine Erinnerung an sie war vage – ein gertenschlankes Mädchen, in ein fantastisch anmutendes seidiges Machwerk gehüllt, in dem sie zu ertrinken drohte. Und mit viel zu vielen Diamanten behängt. Seither hatte er sie nicht wiedergesehen, denn er verbrachte wenig Zeit in England. War er einmal hier gewesen, so war er ihr nie über den Weg gelaufen. Lady Featherstone verkehrte in Zirkeln, die für Männer seines Schlages bei Weitem zu respektabel waren.

Als er sich entschieden hatte, mit seinem Eheanliegen an sie heranzutreten, war ihm nicht eingefallen, sich zu fragen, wie sie wohl heute aussehen mochte. Andernfalls wäre ihm vermutlich nur eine ältere Version der wenig bemerkenswerten Braut von damals in den Sinn gekommen. Falscher hätte er nicht liegen können, denn im Laufe der Zeit war aus dem schlaksigen Backfisch seiner Erinnerung eine bezaubernde Frau geworden. Diesen Umstand hatte Jack zehn Jahre lang verabsäumt zu erwähnen.

Sie schaute ihn aus großen Augen an, Augen von einem klaren Himmelblau, gesäumt von dichten, kohlschwarzen Wimpern. Irische Augen. Noch etwas, das er in Bezug auf sie nicht erwartet hatte.

Abermals stiegen Bilder aus der Vergangenheit in ihm auf, neun statt zehn Jahre alte Bilder dieses Mal. Er sah eine andere dunkelhaarige junge Frau mit blauen irischen Augen vor sich, und ihm zog sich das Herz zusammen, ein kleines bisschen nur. Kurz war ihm, als wäre er wieder einundzwanzig und steckte voller Träume und Ideale und all den Flausen, die nur die junge Liebe einem eingibt.

Er verscheuchte das Gefühl. Dies war kein irischer Hügel, er war nicht länger ein Grünschnabel, und seine Träume und Ideale waren – wie seine Liebe – schon vor langer Zeit zu Staub zerfallen.

Trotz der oberflächlichen Ähnlichkeit durch Haar- und Augenfarbe unterschied sich diese Frau gründlich von Kathleen. Ihr schwarzes Haar war kein wilder Schopf aus Korkenzieherlocken, die ungebunden im Wind der Irischen See wehten. Es war glatt, glänzte geschmeidig und war zu einem so eleganten wie komplizierten Chignon aufgesteckt, der das Werk einer Zofe sein musste. Sie trug ein Nachmittagskleid aus schieferblauem Kaschmir und kein raues, praktisches halbwollenes Kleid mit einer Schürze. Und obgleich Belindas Haus klein und bescheiden war, hatte es nichts mit der reetgedeckten Kate im irischen County Kildare gemein. Zudem war Nicholas bekannt, dass Lady Featherstone durch und durch sittenstreng und rechtschaffen war – zwei Eigenschaften, die Kathleen Shaughnessy nie besessen hatte.

Es gab kaum jemanden in London, der einen tadelloseren Ruf genoss als Lady Featherstone. Das würde Nicholas zwar für seine Zwecke entgegenkommen, doch in diesem Moment bedauerte er es, denn ihr Mund war von einem satten Roséton und verlangte förmlich danach, geküsst zu werden. Die unverkennbare Sinnlichkeit ihrer Lippen war ihrem untreuen Gatten offenbar verborgen geblieben.

Nicholas ließ den Blick an ihrer Figur hinabgleiten. Das einst dürre, in Tüll gehüllte Mädchen war zu einer Frau mit sehr viel üppigeren Proportionen gereift. Nicht einmal das weit geschnittene Nachmittagskleid vermochte den vollen Busen und die wohlgeformten Hüften zu verbergen. Nein, entschied er, an Lady Featherstone war nichts Schlaksiges mehr.

An ihrem Hals ließ er den Blick verharren, im Anblick der nackten Haut schwelgend, die der mit Spitze gesäumte Ausschnitt preisgab. Als er ihr wieder in die Augen schaute, spürte er Hitze in sich aufwallen, die unverkennbare Hitze des Verlangens. Dass eine Frau ihn erregte, war nichts Ungewöhnliches, zumal schwarzes Haar und blaue Augen eine Kombination darstellten, für die er besonders empfänglich war. Vor dem Hintergrund seines Anliegens allerdings kam es ihm verdammt ungelegen, dass Belinda Featherstone Begehren in ihm weckte.

Wobei seine Gefühle ohnehin keine Rolle spielten, dachte er erheitert, als er sah, wie sich ihre atemberaubenden blauen Augen verengten. Es lag auf der Hand, dass sie bemerkt hatte, was in ihm vorging, und seine Empfindungen weder erwiderte noch annähernd guthieß.

Wie auch immer, vermutlich war es besser so. Es gab Witwen zuhauf, die nur zu gern jeden Anstand fahren ließen, der ihnen während der Ehe abverlangt worden war. Lady Featherstone hatte seines Wissens nie zu diesen freizügigen Damen gehört. Zudem war ihm bekannt, dass sie nur über bescheidene Mittel verfügte; und dank des neuesten Versuches seines Vaters, ihn an die Kandare zu nehmen, konnte Nicholas es sich nicht leisten, mit unzureichend versorgten Frauen zu schäkern.

„Welch unerwartete Überraschung, Lord Trubridge.“

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen, mit Bedauern ließ er von seinen lüsternen Gedanken ab und rief sich den Grund seines Besuches wieder in Erinnerung. „Eine Überraschung vielleicht, aber eine angenehme, wie ich hoffe?“

Sie antwortete mit einem aufgesetzten Lächeln, und umgehend bereute er, gefragt zu haben. Obwohl sie eingeräumt hatte, überrascht zu sein, war in ihrer Miene keinerlei Neugier zu lesen. Als sich abermals Schweigen zwischen sie senkte, begann Nicholas, sich verflucht unbehaglich zu fühlen.

Vielleicht war es anmaßend, eine gefälligere Reaktion von einer Angehörigen des weiblichen Geschlechtes zu erwarten. Falls ja, erhielt er die gerechte Strafe für seine Arroganz. Die Verachtung, die Lady Featherstone verströmte, war schier greifbar.

Allerdings traf er, wie gesagt, nicht oft auf Damen wie sie. Zweifellos fühlte sie sich moralisch verpflichtet, einen Mann wie ihn schon aus Prinzip zu missbilligen. Die Frauen, mit denen er sich gemeinhin abgab, waren um einiges nachsichtiger. Vermutlich hatte seine nonchalante Art, sich Zugang zu ihrem Salon zu verschaffen, die Sache nicht gerade besser gemacht. Aber nachdem sie anfangs rundheraus abgelehnt hatte, ihn zu empfangen, hatte er keine andere Möglichkeit gesehen, um mit ihr zu reden. Schließlich bewegten sie beide sich in völlig unterschiedlichen Kreisen.

Nun jedoch war er hier. Sie kannte sein Anliegen, und die Höflichkeit gebot, dass sie ihn einlud, Platz zu nehmen. Er wartete, ohne dass sie eine solche Einladung aussprach. Während das Schweigen sich hinzog, nur durchbrochen vom Ticken der Wanduhr, wurde ihm klar, dass er die Initiative würde ergreifen müssen. Er hüstelte. „Können wir uns setzen?“

„Wenn es sein muss.“

Keine besonders ermutigende Erwiderung, aber mit einer besseren brauchte er offenbar nicht zu rechnen. Mit einem fragenden Blick wies er auf das seladongrüne Sofa hinter ihr. Sie zauderte, als suchte sie nach einem Weg, sich dem anstehenden Gespräch zu entziehen. Endlich ließ sie sich nieder, wenn auch auf der Kante, als wartete sie nur auf den erstbesten Vorwand, um wieder aufspringen und ihm die Tür weisen zu können.

Um sie nicht zu brüskieren, hielt Nicholas es für das Beste, seine Situation auf behutsame, taktvolle Weise zu erläutern. „Lady Featherstone“, setzte er an, während er auf dem Chintzsessel ihr gegenüber Platz nahm, „vor vier Tagen bin ich dreißig geworden.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

Der Sarkasmus des oberflächlichen Kommentares entging ihm nicht, doch er blieb beharrlich. „Wenn ein Mann dreißig wird, ist er oft gezwungen, seine Zukunft von einem völlig neuen Blickwinkel aus zu betrachten. An diesem Punkt befinde ich mich gerade.“

„Verstehe.“ Betont schaute sie auf die Uhr und begann, mit den Fingern rhythmisch auf den Knien zu trommeln.

„Daher habe ich mich entschieden“, kämpfte er sich wacker weiter, „dass es an der Zeit ist, zu heiraten.“

Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte ihn skeptisch. „Nach dem zu urteilen, was ich gehört habe, zählen Sie nicht zu der Sorte Mann, die der Ehe etwas abgewinnen kann.“

„Ich nehme an, das hat Jack Ihnen erzählt.“

„Nein, aber das war auch nicht nötig. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Sir.“

Er hatte seine Gründe dafür gehabt, sich genau diesen Ruf aufzubauen, und bereute es keineswegs. Wäre er noch vor wenigen Tagen froh darüber gewesen, von einer Ehestifterin als ungeeigneter Heiratskandidat angesehen zu werden, standen die Dinge heute jedoch anders.

„Ich war dem Gedanken an eine Ehe nicht sonderlich zugetan, das stimmt“, erwiderte er. „Aber inzwischen habe ich mich besonnen.“

„Tatsächlich?“ Sie hob eine ihrer zart geschwungenen schwarzen Brauen. „Bloß weil Sie Geburtstag hatten und ein wenig in sich gegangen sind, wollen Sie einen solchen … Sinneswandel erfahren haben?“

Nicholas schlug alle Zurückhaltung in den Wind. „Lady Featherstone, mir ist bewusst, dass die Gepflogenheiten bei derlei Unterredungen Taktgefühl vorschreiben. Aber es hat mir nie gelegen, um den heißen Brei herumzureden. Darf ich daher offen sprechen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, breitete er die Arme aus und bekannte die Wahrheit. „Vor vier Tagen hat mein Vater, der Duke of Landsdowne, mir den Zugriff auf meinen Treuhandfonds verwehrt. Die Umstände zwingen mich zu einer Heirat.“

„Wie furchtbar für Sie“, entgegnete sie gelassen. „Und auch noch an Ihrem Geburtstag.“

„Mehr als nur furchtbar, Mylady. Es ist verwerflich. Meiner Meinung nach sollte niemand gezwungen sein, aus materiellen Gründen zu heiraten. Aber ich habe keine Wahl. Ich beziehe mein Einkommen aus einem Treuhandfonds, den meine Mutter mir in ihrem Testament vermacht hat. Sie starb, als ich klein war. Ohne mein Wissen ist es meinem Vater gelungen, sie dazu zu überreden, kurz vor ihrem Tod einen Nachtrag in ihr Testament einzufügen, der ihn zum alleinigen Treuhänder des Fonds macht. Von diesem Nachtrag habe ich nichts gewusst, bis Landsdownes Anwalt mich vor vier Tagen schriftlich davon in Kenntnis setzte. Er teilte mir ebenfalls mit, dass Landsdowne beschlossen habe, mir den Zugriff zu verwehren.“

„Ah, so sind Ihre Zukunftsbetrachtungen eher einem Wandel Ihrer finanziellen Situation denn einem Sinneswandel zu verdanken?“

Unruhig rutschte er auf seinem Sessel nach vorn, bemüßigt, sich zu verteidigen. „Das Erstere hat Letzteres bedingt. Ein Junggesellendasein ist mir nicht länger möglich, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin.“

Sie runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht recht, ob ich das verstehe. Was habe ich damit zu tun, wen Sie ehelichen?“

„Verehrteste, die gesamte gehobene Gesellschaft weiß, dass Sie derlei Dinge arrangieren.“

Sie löste die Arme aus der Verschränkung und neigte sich vor. Ihr Blick schien ihn zu durchbohren wie ein Eiszapfen. „Mit ‚derlei Dinge arrangieren‘ meinen Sie, dass ich Ihnen eine Frau suchen soll, die reich genug ist, Sie mit dem Einkommen zu versorgen, das Ihr Vater Ihnen vorenthält?“

Er nahm ihre feindselige Miene wahr und fragte sich, wie diese Frau sich als Heiratsvermittlerin betätigen konnte, wo sie dem Konzept doch offenbar ablehnend gegenüberstand. „Nun, das tun Sie doch, oder nicht? Sie holen begüterte Mädchen ohne besondere Herkunft aus Amerika herüber und verkuppeln sie mit heiratswilligen Aristokraten, die knapp bei Kasse sind.“

Sie versteifte sich; die Auffassung, die er hinsichtlich ihrer Profession vertrat, kränkte sie offenbar.

„Ihre Empörung ist überflüssig, Lady Featherstone. Sie haben sich eine sinnvolle Rolle in der Gesellschaft geschaffen – und, im Lichte der schauderhaften Agrarkrise betrachtet, eine unerlässliche obendrein. Ich schätze, dass so manches Adelsanwesen allein durch Ihre Bemühungen von einer Katastrophe verschont geblieben ist.“

Kaum merklich reckte sie das Kinn. „Ich bin einigen amerikanischen Bekannten dabei behilflich gewesen, in der britischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Dabei trieb mich allein die Hoffnung, dass ich auf meine bescheidene Weise dazu beitragen kann, ihnen den Weg zu ebnen. Ob meine Bemühungen den glücklichen Ausgang der Ehe nehmen, unterliegt nicht meiner Kontrolle.“

„Lässt sich die Ehe je als ‚glücklicher Ausgang‘ bezeichnen?“, witzelte er, ohne nachzudenken. Kaum waren ihm die unbesonnenen Worte über die Lippen gekommen, wurde Lady Featherstones kühler Blick zutiefst frostig. Nicholas hielt sich vor Augen, dass es vermutlich keine gute Idee war, sich gegenüber einer Heiratsvermittlerin übers Heiraten zu mokieren. „Ich muss mir eine Frau nehmen. Ich habe keine Wahl, sofern ich mein Auskommen haben will.“

„Sie besitzen ein Anwesen.“

„Nun ja, Sie müssen wissen, dass sich ein Anwesen heutzutage nicht mehr unbedingt allein durch Pachteinnahmen trägt. Der Erlös aus dem Verkauf von Honeywoods Gerste, Weizen und Hopfen deckt zusammen mit der Pacht für die Ländereien und der Miete für das Haus gerade einmal die laufenden Kosten. Es bleibt nichts übrig, von dem ich leben könnte.“

Sie zuckte mit den Schultern, offenbar völlig ohne Mitgefühl. „Ich nehme nicht an, dass Sie geneigt wären, sich Ihren Lebensunterhalt zu verdienen?“

„Durch eine Anstellung, meinen Sie? Vorsicht, Mylady. Sie zeigen Ihre amerikanische Seite, wenn Sie derlei Aspekte anregen. Sie wissen, dass der Sohn eines Dukes keiner Arbeit nachgehen kann. Das gehört sich schlicht nicht.“

„Und auf die Meinung der Leute legen Sie ja größten Wert.“

Er lächelte über ihren Sarkasmus. „Die schert mich keinen Deut“, gestand er ungeniert. „Und was das Finden einer Anstellung betrifft, bin ich offen für Vorschläge.“ Er rang sich ein Lachen ab. „Aber wofür um alles in der Welt sollte irgendwer einen Burschen wie mich einstellen?“

Sie legte den Kopf schräg. „Da will mir tatsächlich nichts einfallen.“

Seltsamerweise versetzte ihm das einen Stich. Er kannte sie nicht einmal; und doch trafen ihre Worte ihn tief im Innern, dort, wo ihn einst wunderbare Träume erfüllt hatten und jetzt nur noch Leere herrschte. Doch er ließ sich nichts anmerken, denn dank Landsdowne hatte er gelernt, Schmerz zu verbergen. Sein Lächeln verblasste keine Spur. „Ganz genau. Und selbst wenn ich in der Lage wäre, irgendeine Arbeit zu finden, würde diese schwerlich genug abwerfen, um meine Existenz zu sichern.“

„Vermutlich nicht, in Anbetracht Ihres vergnügungssüchtigen Lebenswandels.“

Dieses Weibsbild stellte ihn wie ein verkommenes Subjekt dar! „Lady Featherstone, ich bin mir im Klaren darüber, dass meine Vergangenheit recht … bewegt ist. Aber das allein macht mich ganz gewiss nicht zu einer unerwünschten parti. Immerhin bin ich ein Marquess und der einzige Sohn eines Dukes.“

„Meinen Sie nicht, dass es weit ehrenvoller wäre, Ihren Vater darum zu bitten, Ihnen den Zugriff auf Ihr Einkommen wieder zu gewähren?“

Er lachte laut auf. „Kennen Sie meinen Vater, Lady Featherstone?“

„Flüchtig. Ich bin ihm schon begegnet, wenn auch nur kurz. Allerdings sehe ich nicht, weshalb es erstrebenswerter sein sollte, aus finanziellen Gründen zu heiraten, als mit ihm zu reden.“

„Ich bin nicht der erste Mensch, der aus materiellen Gründen das Band der Ehe einzugehen gedenkt, Madam“, konterte er. Es fuchste ihn, dass sie ausgerechnet ihm derart abweisend begegnete, obwohl sicherlich viele ihrer Klienten aus demselben Motiv wie er zu ihr kamen. „Was meinen Vater angeht, so haben er und ich seit acht Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Und seien Sie versichert, dass wir beide dieses Schweigen begrüßen. Ihn zu überreden …“ Nicholas verstummte, neigte sich vor und bedachte sie seinerseits mit einem stählernen Blick. „Ich würde eher vor dem Teufel zu Kreuze kriechen, als diesen Mann auch nur um einen Penny zu bitten. Mir ist bewusst, dass eine auf materiellen Gesichtspunkten basierende Ehe nicht ideal ist. Aber wenn beide Parteien von Anfang an aufrichtig zueinander sind, was ihre Gründe für die Heirat anbelangt, und sich aus eben diesen Gründen zu heiraten entschließen, gibt es nichts zu beanstanden. Zudem habe ich, wie gesagt, keine Wahl. Eine Weile kann ich von meinem Kredit leben, aber danach werde ich am Hungertuch nagen. Normalerweise würde ich keine Heiratsvermittlerin aufsuchen, um eine Frau zu finden, aber mir bleibt kaum eine andere Möglichkeit. Es …“

„Wie würden Sie denn vorgehen?“, fiel sie ihm ins Wort. „Um eine Frau zu finden, meine ich. Normalerweise.“

„Ich würde nicht den konventionellen Weg gehen.“ Ehe sie nachhaken konnte, fuhr er fort: „Und ich wüsste nicht, inwiefern dies in meiner derzeitigen Situation von Belang sein soll. Wie ich schon sagte, muss ich heiraten, und zwar so rasch wie möglich. Ich habe weder Zeit noch – wie ich zugeben muss – Lust, mich in den ermüdenden Ritualen einer ordnungsgemäßen Brautwerbung zu ergehen.“

„Und Sie glauben, diese Rituale umgehen zu können, indem Sie zu mir kommen?“ Sie starrte ihn an, als könnte sie das Vernommene nicht fassen. „Glauben Sie, dass es so einfach ist?“

„Ist es das nicht?“ Nicholas blinzelte verwirrt. „Sie sind doch Ehestifterin. Ich bin der Sohn eines Dukes. Ich möchte Sie mit der Aufgabe betrauen, mir eine passende Gattin zu suchen – also eine, die reich, vorzugsweise hübsch und bereit ist, einen Teil ihres Vermögens zu opfern, um im Gegenzug gesellschaftlich aufzusteigen und später gar die Adelskrone einer Duchess zu tragen. Selbstverständlich werde ich Ihnen eine erkleckliche Provision aus der Mitgift zugestehen. Auf mich wirkt das Ganze wie ein geradliniges geschäftliches Abkommen, wie Sie es schon viele Male abgewickelt haben dürften. Nennen Sie mich ruhig geistig beschränkt, aber ich verstehe nicht, was daran kompliziert sein soll.“

Sie gab einen verächtlichen Laut von sich. „Sie, Sir, sind nichts anderes als ein Mitgiftjäger.“

„Aber zumindest bin ich bereit, ein ehrlicher Mitgiftjäger zu sein“, hielt er dagegen. „Ich bin willens, meiner zukünftigen Braut gegenüber mit offenen Karten zu spielen. Wenn es Ihnen gelingt, eine für mich zu finden, die ihrerseits geneigt ist, keinen Hehl aus ihren Motiven zu machen, sollte es keinen Anlass für Bedenken geben. Es ist ja nicht so, dass Sie in der Vergangenheit Skrupel gehabt hätten, materiell motivierte Ehen zu arrangieren. Da wären beispielsweise der Duke und die Duchess of Margrave oder auch …“

„Der Duke und die Duchess haben keineswegs ein materielles Arrangement getroffen! Ebenso wenig wie eines der anderen Paare, die ich zusammengebracht habe.“

„Das glauben Sie doch nicht im Ernst“, wandte er ein. Als sie ihn förmlich mit dem Blick erdolchte, schnaubte er entgeistert. „Grundgütiger, vielleicht glauben Sie es tatsächlich. Lady Featherstone, wie können Sie so lange in England gelebt, unzählige Aristokraten verkuppelt und sich dennoch den Irrglauben bewahrt haben, dass eine Ehe diesseits des großen Teiches etwas anderes als eine materielle Übereinkunft wäre? Das Herz jedenfalls spielt keine Rolle, das kann ich Ihnen versichern“, fügte er hinzu und schaffte es nicht ganz, die Verbitterung aus seiner Stimme herauszuhalten. „Ich weiß, wovon ich rede.“

„Auch ich weiß alles über die Ehe diesseits des großen Teiches, Sir. Sie müssen mir nichts erklären. Und lassen Sie mich Ihnen meinerseits versichern, dass ich nicht im Mindesten romantisch, sondern höchst praktisch veranlagt bin. Mir ist durchaus klar, dass Geld eine gewisse Rolle bei britischen Vermählungen spielt. Aber meine Bekannten schlossen mit ihrem jeweiligen Bräutigam eine Verbindung, die auf weit mehr fußt als auf finanziellen Erwägungen. All diese Paare verbindet Zuneigung …“

„Zuneigung?“, unterbrach er sie. Ihre Wortwahl amüsierte ihn so sehr, dass er vom Thema abkam. „Tja, Zuneigung dürfte natürlich jeden Mann zum Altar locken.“

Trotzig reckte sie das Kinn. „Lachen Sie ruhig.“

Sofort unterdrückte er seine Erheiterung. „Nein, nein, Ihre Herangehensweise klingt schon schlüssig“, meinte er, um einen angemessen ernsten Ton bemüht. „Aber da stellt sich mir die Frage …“ Er verstummte und ließ den Blick zu ihrem herrlichen Mund gleiten. „Was ist mit Leidenschaft?“

Sie errötete zart und zeigte damit, dass er ihrer kühlen Selbstgefälligkeit endlich einen Dämpfer verpasst hatte. „Leidenschaft ist für eine Ehe kaum relevant.“

Wieder lachte er. Ihre Bemerkung war derart absurd, dass er nicht anders konnte. „Da die meisten britischen Adeligen in der Hoffnung heiraten, einen Erben zu zeugen, halte ich Leidenschaft für überaus relevant.“

Ihre Miene verhärtete sich. „Leidenschaft ist vergänglich. Daher stellt sie eine ungeeignete Basis für eine Ehe dar. Denen, die mir die Ehre erweisen, meinen Rat einzuholen, empfehle ich, die Ehe auf einem soliden Fundament zu errichten: auf aufrichtiger Zuneigung, gemeinsamen Interessen und einer wesensgleichen Gesinnung.“

Er erkannte, dass er sich keinen Gefallen damit tat, sie aufzuziehen. „Könnten wir uns zumindest darauf einigen, dass eine Eheschließung vernunftbetont angegangen werden sollte? Von diesem Standpunkt aus wären Sie gewiss in der Lage, mich mit gleich mehreren passenden Partien bekannt zu machen.“

„Ich denke nicht.“ Sie stand auf. „Ich unterstütze keine Glücksritter, nicht einmal vermeintlich ehrliche. Ich kann Ihnen nicht helfen, Lord Trubridge. Es entzieht sich mir, wie Sie annehmen konnten, dass ich bereit dazu wäre.“

Nicholas legte den Kopf in den Nacken und schaute sie an. „Und mir entzieht sich, warum ich derart schroff abgefertigt werde, nur weil ich dieselbe Art von Arrangement anstrebe wie so viele andere, die bereits in eben diesem Salon gesessen haben.“

Darauf erwiderte sie nichts. Ihr versteinerter Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass weitere Argumente fruchtlos wären. Schade, sie hätte ihm den Weg zurück in die Gesellschaft ebnen und die Angelegenheit erheblich erleichtern können. Aber es sollte wohl nicht sein. Er würde auf andere Weise eine Frau finden müssen.

„Also schön.“ Er erhob sich. „Dann werde ich ohne Ihre Hilfe auf die Suche gehen müssen.“

„Ich weiß, es ist unerhört von mir, von Ihnen zu erwarten, sich auf eigene Faust eine Gattin zu suchen“, sagte sie mit honigsüßem Sarkasmus. „Ich fürchte, nun werden Sie sich doch in eben den ermüdenden Ritualen einer ordnungsgemäßen Brautwerbung ergehen müssen, die Sie so sehr verabscheuen. Ich muss gestehen, dass ich es genießen werde, Ihre Bestrebungen zu verfolgen, Lord Trubridge.“

„Ich werde mich redlich bemühen, diese um Ihretwillen so unterhaltsam wie möglich zu gestalten.“

„Besten Dank, ich bitte darum.“ Sie ließ sich zu einem Lächeln herab, einem zufriedenen Lächeln, als hätte sie soeben einen Sieg errungen. „Allerdings sehe ich mich veranlasst, Sie zu warnen. Ich werde Ihnen die Sache nicht leicht machen.“

„Verstehe ich das richtig – Sie weigern sich nicht nur, mir zu helfen, sondern haben dazu auch noch vor, mein Streben zu vereiteln?“

Ihr Lächeln wurde strahlender. „Ich werde Ihren Plan auf jede nur erdenkliche Weise durchkreuzen.“

Falls sie darauf spekuliert hatte, ihn mit diesen Worten von seinem Vorhaben abzubringen, hatte sie sich gründlich verrechnet. „Drohen Sie mir etwa, Mylady?“, fragte er, ihr Lächeln auf dieselbe Weise erwidernd.

„Das können Sie verstehen, wie Sie wollen.“

„Nun denn, ich nehme die Herausforderung an, da ich einer solchen noch nie habe widerstehen können. Jedoch weiß ich nicht recht, wie Sie mich aufhalten wollen“, fügte er an in der Hoffnung, ihr eine Strategie zu entlocken, damit er wusste, worauf er sich einließ. „Ich respektiere, dass Sie abgeneigt sind, mich zu unterstützen. Dabei entzieht sich mir aber, wie Sie verhindern wollen, dass ich mir eigenhändig eine Gattin suche. Wie wollen Sie das anstellen?“

Ihr Lächeln erstarb, und ihre Augen blitzten wie polierter Stahl. „Ich werde dafür sorgen, dass jede junge Dame, die Sie ins Auge fassen, erfährt, zu welcher Sorte Mann Sie gehören. Sie wird von Ihrer skandalösen Vergangenheit Kenntnis erhalten, von den unehrenhaften Motiven Ihres Werbens, von Ihren geldgierigen Absichten … und selbstverständlich auch davon, welch grässlichen Gatten Sie abgeben würden.“

Ihr vernichtendes und völlig ungerechtfertigtes Resümee seines Charakters traf ihn, wenngleich er es nicht zeigte. „Sie sollen natürlich so handeln, wie Ihr Ehrgefühl es Ihnen gebietet“, entgegnete er in liebenswürdigstem Ton. „Doch nun, da mir der Fehdehandschuh hingeworfen wurde, lassen Sie mich Ihnen noch sagen, dass Ihre Mission meiner Meinung nach nicht gar so erfolgreich enden wird, wie Sie sich das vorstellen.“

„Nicht?“

„Nein. Sie gehen davon aus, dass ich mich an die etablierten Gepflogenheiten des Brautwerbens halte. Aber ich habe nicht die Absicht, das zu tun.“

„Wie darf ich das verstehen?“

„Ich werde keineswegs auf anständige Weise werben. Im Gegenteil“, fügte er hinzu, und sein Grinsen wurde breiter. Wie er ihre schockierte Miene genoss! „Ich denke, ich werde so herrlich unanständig vorgehen, wie ich nur kann.“ Er zwinkerte ihr zu. „Das ist viel amüsanter.“

„Oh, was sind Sie doch für ein Teufel“, hauchte sie und ballte seitlich die Fäuste. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht kündete von mühsam bezähmter Rage. „Sie ruchloser, niederträchtiger Wüstling!“

„Das zu leugnen wäre sinnlos“, meinte er schulterzuckend. „Zu diesem Schluss sind längst schon eine Menge Menschen gelangt – darunter Sie, wie es aussieht.“

„Aus gutem Grund, Sir!“

Sie wusste rein gar nichts über die Umstände, die dazu geführt hatten, dass es um seinen Ruf derart desolat stand. Ebenso wenig wusste sie, weshalb er nichts gegen die diffamierenden Gerüchte unternommen hatte, und er würde nicht hier und jetzt damit anfangen, sich zu rechtfertigen. „Wie auch immer, es macht nicht den geringsten Unterschied“, fasste er zusammen. „Frauen lieben einen Wüstling, der bereit ist, geläutert zu werden. Vor allem, wenn er ihre Leidenschaft zu entfachen versteht.“ Er ließ den Blick langsam zu ihrem Mund gleiten. „Zur Hölle mit aufrichtiger Zuneigung, gemeinsamen Interessen und einer wesensgleichen Gesinnung.“

Damit machte er auf dem Absatz kehrt und überließ die prüde, ach so sittsame Lady Featherstone ihrem heiligen Zorn.

Als Belinda vor einem Jahrzehnt in England eingetroffen war, hatte die Viscountess of Montcrieffe (ehemals Miss Nancy Breckenridge aus New York) die Freundlichkeit besessen, sie durch die ersten heiklen Jahre in der britischen Gesellschaft zu führen. Sie hatte Belinda die drei wichtigsten Grundsätze einer echten Dame beigebracht, als da wären: sich niemals schockiert oder überrascht zeigen, sich unter keinen Umständen einem Temperamentsausbruch hingeben und einem Gentleman nie, niemals vor dem Dinner widersprechen.

In jenen Tagen war Belinda ein junges, zurückhaltendes, furchtbar schüchternes Mädchen gewesen und hatte daher keinerlei Mühe gehabt, diese Prinzipien zu beherzigen. Als sie nun jedoch auf den leeren Türrahmen starrte, durch den der Marquess of Trubridge soeben entschwunden war, erkannte sie, dass sie alle drei Grundsätze so leichthin zerschlagen hatte wie ein Ei.

Bedauerlich fand sie dies nicht, denn dass er im Sinn hatte, auf unanständige Weise zu werben, konnte nur eines bedeuten: Er hegte die Absicht, eine junge Frau zu verführen und zu kompromittieren, auf dass diese ihn würde heiraten müssen. Angesichts dessen hätte wohl jede Frau – Dame oder nicht – die Beherrschung verloren. Doch Belinda wusste, dass Empörung in diesem Fall wenig dienlich war. Sie brauchte einen klaren Kopf, um nachdenken, strategisch planen und Trubridge aufhalten zu können.

Frauen lieben einen Wüstling.

Seine Worte schienen sie zu verspotten. Seufzend ließ sie sich aufs Sofa sinken. Trubridge hatte recht: Gerade sie wusste das, denn eine solche Erfahrung hatte sie auf schmerzhafte Weise selbst gemacht.

Auch Charles war ein Wüstling gewesen, schön wie die Sünde und charmant wie der Teufel. Sein Blut war blauer gewesen als das all jener alteingesessenen New Yorker, die Miss Belinda Hamilton aus Cleveland, Ohio, von oben herab beäugt hatten.

Die Rennwoche auf der Saratoga-Pferderennbahn war einer der wenigen Anlässe, bei denen ein Mädchen ohne Herkunft und Geld sich unter die feinere amerikanische Gesellschaft mischen durfte. An ein Mädchen wie die Belinda von damals war eine solche Gelegenheit im Grunde verschwendet, denn sie war zu gehemmt gewesen, um sie zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Sie hatte auf der Veranda des Grand Union Hotel in Saratoga gestanden, als der siebte Earl of Featherstone, der damals durch die Staaten gereist war, sie erblickt hatte. Eine fünfzehnminütige Unterhaltung – vorwiegend von ihm bestritten – hatte genügt, und Belinda war bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen.

Knapp sechs Wochen nach ihrer ersten Begegnung hatte er sie während eines Balles in einen schummrigen Winkel des Gartens entführt. Nie zuvor hatte etwas sie stärker berauscht als seine stürmische Verführungskunst und seine sinnlichen Küsse. Nach seinem kurzen, aber feurigen Werben hatte er sie gefragt, ob sie die Countess of Featherstone werden und gemeinsam mit ihm auf einem englischen Schloss leben wolle. Er hatte ihr das Ganze als ein solch romantisches, traumgleiches Märchen präsentiert, dass sie sogleich Ja gesagt hatte. Ihr war nicht aufgefallen, dass sein Antrag keine Liebeserklärung im eigentlichen Sinne enthalten hatte.

Er hatte ihrem Vater gegenüber beteuert, dass sein Wunsch, sie zu ehelichen, nichts mit ihrem Vermögen zu tun habe. Ihr Vater, der anderen Menschen selten Schlechtes zutraute, hatte ihn beim Wort genommen. Was sie selbst anging, so war sie jung und vernarrt in Charles gewesen und völlig geblendet von der britischen Aristokratie, die er verkörperte. Dadurch hatte sie, was ein Dasein als seine Gattin und Countess anging, alle möglichen romantischen Grillen im Kopf gehabt.

Sowohl sie als auch ihr Vater hatten zu spät von Featherstones prekärer finanzieller Lage und seinem frivolen Charakter erfahren. Erst nach der Hochzeit hatte Belinda herausgefunden, dass seine vier Anwesen mit Hypotheken belastet waren, er sich zwei Mätressen hielt und auf einem Schuldenberg in Höhe von dreihunderttausend Pfund saß. Da ihr Vater an den Ehevertrag gebunden gewesen war, hatte er Featherstones Schulden beglichen und ihm auch die übrige Mitgift überlassen, die sein Schwiegersohn mit großem Behagen verprasst hatte.

Als ihr Vater sein Vermögen verlor, war das Geld aus der Mitgift bereits fort. Schon davor hatte Charles seine Gentleman-Maske fallen lassen und Belinda gegenüber nicht länger den treu sorgenden Gatten gemimt. Überdies ließ er nur zu deutlich anklingen, dass er keineswegs beabsichtige, ihr Geld zuzugestehen, über das sie frei verfügen konnte.

Autor

Laura Lee Guhrke
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