Entführe mich in deine Welt

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Diese Glamourpartys sind einfach nichts für mich, denkt Caleb Wilde gelangweilt … doch dann sieht er SIE: blond, schön und mit einer Haltung, die ihren unbändigen Stolz verrät, elektrisiert sie ihn - und lässt ihn kühl abblitzen. Aber als Caleb sie vor einem zudringlichen Gast rettet, ist ihre Arroganz verschwunden. Stattdessen entdeckt er Tränen der Dankbarkeit in ihren Augen. Kurz darauf bringt er sie galant zu ihrem Apartment. Als Fremde betreten sie es und verlassen es am nächsten Morgen als Liebespaar: Er, der Millionär, und Sage Dalton, die bildhübsche Kellnerin …


  • Erscheinungstag 26.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778484
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Caleb Wilde gab sich alle Mühe, wie ein Mann auszusehen, der sich gut amüsierte.

Das sollte er eigentlich auch. Er war in New York, einer seiner Lieblingsstädte, auf einer Party in einem Club in SoHo, der so trendy war, dass auf ein Schild am Eingang verzichtet wurde.

Nicht, dass „trendy“ der Ausdruck wäre, den er gewählt hätte. „Großspurig“ war die Bezeichnung, die ihm viel näher an der Wahrheit schien. Aber was wusste er schon?

Caleb unterdrückte ein Gähnen. Sein Hirn hatte längst abgeschaltet.

Nicht unbedingt wegen der Lautstärke in dem riesigen Raum, auch wenn die weit über einem erträglichen Dezibelwert lag. Nun, man konnte schließlich nichts anderes erwarten, wenn der DJ so berühmt war, dass er während des Auflegens Autogramme geben musste.

An zu viel Alkohol lag es ebenfalls nicht, denn Caleb hielt sich schon den ganzen Abend an einem Glas Scotch fest.

Und langweilig konnte man die Party auch nicht nennen. Der Mandant, dessentwegen Caleb hergeflogen war, feierte seinen vierzigsten Geburtstag. Im Raum hatte sich das Who’s who der Finanzwelt versammelt. Hedgefond-Manager, internationale Banker, Medienmogule, zudem Hollywood-Sternchen und europäische Royals. Zwar aus der zweiten Linie, nichtsdestotrotz Royals.

Und natürlich das entsprechende Aufgebot an umwerfend aussehenden Frauen.

Das Problem war nur … Caleb war viel zu müde, um irgendetwas davon würdigen zu können. Seit dem Morgengrauen war er auf den Beinen. Um sieben das Meeting mit einem Mandanten in Dallas. Um zehn Treffen mit seinen Brüdern auf der Wilde-Ranch. Dann in einem der Privatjets der Familie nach New York. Lunch mit dem Geburtstagskind, danach Drink und Dinner mit einem alten Kollegen aus seiner dunklen Zeit bei Der Firma.

Caleb unterdrückte das nächste Gähnen.

„Müde“ beschrieb es nicht einmal annähernd. Er schlief praktisch im Stehen ein. Nur aus Höflichkeit war er heute Abend hergekommen.

Nun, Höflichkeit und Neugier.

Es war noch nicht lange her, dass er den eigenen Geburtstag gefeiert hatte. Ein Grillabend auf der Ranch, zusammen mit seinen Brüdern und seiner neuen Schwägerin. Seine Schwestern hatten die Glückwünsche telefonisch übermittelt. Der General auch. Zwei Tage später. Aber hey, wenn man die Geschicke der Welt zu lenken hatte, war man eben beschäftigt.

Es hatte Spaß gemacht, war richtig gemütlich gewesen. Und lässig. Nicht wie das hier.

„Der Typ ist eigentlich viel zu alt für trendige Clubs“, hatte Caleb noch am Morgen zu seinen Brüdern gesagt.

„Du bist es auf jeden Fall“, hatte Travis’ Erwiderung darauf gelautet.

„Nun ja, ich meine … vielleicht nicht wirklich, aber …“

„Wir wissen genau, was du meinst.“ Jacob nutzte den gleichen ernsten Tonfall. „Du bist ein Tattergreis.“

„Genau. Bei jeder Bewegung hört man deine Knochen knirschen.“

Die Brüder hatten vielsagende Blicke getauscht und waren dann in Lachen ausgebrochen.

„Ihr hört euch an wie alte Klatschweiber.“ Caleb hoffte, dass er empört genug klang.

„Klatsch und Tratsch … das Salz des Lebens“, kam es von Jake.

Und damit stießen die Brüder sich grinsend die Ellbogen in die Rippen, so wie erwachsene Männer es machten, die tiefe Zuneigung zueinander empfanden, und Caleb sagte seufzend, dass er sich dann eben in Gottes Namen auf der Party blicken lassen würde.

„Wir erwarten einen vollständigen Bericht“, fügte Travis grinsend hinzu. „Denn wir anderen Tattergreise sind sehr an den Details interessiert …“

Caleb hob sein Glas an den Mund und nippte an dem Scotch. Bis jetzt entsprachen die Details genau den Erwartungen.

Von der Galerie aus, auf die er sich geflüchtet hatte, nachdem er die Begrüßung mit dem Gastgeber hinter sich gebracht hatte, konnte er den gesamten Raum und die Tanzfläche überblicken.

Der DJ auf dem überdimensionalen Pult. Die pulsierenden Lichter. Die zuckenden Leiber, die sich schwitzend unter den Spotlights bewegten. Und die Frauen, fantastisch aussehende Frauen, viele davon nicht abgeneigt, wie ihre Blicke und ihr Lachen signalisierten.

Aber das war nichts Neues.

Dafür konnte er nichts, das lag an den Wilde-Genen, eine Mischung aus römischem Krieger, Wikinger und einem nicht unerheblichen Anteil Komantsche.

Die Wilde-Schwestern zogen ihn und seine Brüder erbarmungslos damit auf.

„Ooooh“, würde Jamie seufzen und einen perfekten viktorianischen Ohnmachtsanfall vortäuschen.

Und Emily würde sich die Hand auf die Brust pressen und theatralisch murmeln: „Still, mein Herz.“

„So groß und stark. Und so gefährlich.“ Das war Lissas Spruch, der Theatralik einer Filmdiva aus den Dreißigerjahren in nichts nachstehend.

Der Club hier war definitiv Wilde-Territorium. So viele schöne Frauen …

Nur war Caleb nicht interessiert.

„Ich bin nur ein Landei aus Texas“, hatte er der Blondine, die sich vorhin an ihn hatte heranmachen wollen, in breitestem Singsang gebeichtet.

Das hatte sie sofort verscheucht. Aber welche Frau kam auch mit klimpernden Wimpern auf einen Mann zu und hauchte – wahrscheinlich hatte es verführerisch klingen sollen –, ob er so reich und berühmt sei, dass sie ihn kennen müsse?

Um genau zu sein, er war beides. Reich auf jeden Fall und berühmt in der Finanzwelt und unter Juristen.

Zumindest war ihre Anmache ehrlich gewesen. Was immerhin neu war. Und normalerweise hätte er wohl lächelnd geantwortet, dass er beides sei, und gefragt, was sie nun mit dieser Erkenntnis anzufangen gedenke.

Doch heute nicht.

Er sah auf seine Armbanduhr. Noch maximal eine halbe Stunde, dann würde er sich auf die Suche nach dem Gastgeber machen und ihm sagen – falls er ihn fand –, wie leid es ihm tat, aber er hätte nun mal früh am Morgen einen wichtigen Termin in Dallas …

„… für Sie?“

Caleb drehte sich um. Hinter ihm stand eine Frau. Hübsch. Nicht überwältigend, zumindest nicht in einer solchen Menge wie dieser hier, aber hübsch. Groß, blond, blaue Augen.

Viel Make-up. Zu viel für seinen Geschmack.

Aber ob hübsch oder nicht, er war nicht in Stimmung. „Tut mir leid, ich wollte sowieso gleich gehen.“

Sie lehnte sich näher zu ihm herüber. Ihre Brust streifte seinen Arm, und sie zog sich sofort zurück, trotzdem wirkte der flüchtige Kontakt wie ein Stromstoß auf ihn.

Sie sagte wieder etwas, nur verstand er es bei der Lautstärke nicht. Aber ein zweiter Blick lohnte sich vielleicht …

Was trug sie da eigentlich? Der Fummel wäre nur Kleid zu nennen, wenn man mindestens noch einen Meter Stoff drannähen würde. Schwarz. Oder dunkelblau. Irisierend. Vielleicht lag das ja auch nur an den Spotlights … Auf jeden Fall schmiegte es sich um ihren Körper, als wäre es angeklebt. Der sündhaft tiefe Ausschnitt gab den Blick auf ein perfektes Dekolleté frei.

Zum eigenen Erstaunen fuhr sein Hirn wieder hoch, die Müdigkeit verflog.

Er lächelte. Sie nicht.

„Ich heiße Caleb“, sagte er. „Ihren Namen habe ich leider nicht verstanden …“

Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. „Weil ich ihn nicht genannt habe.“

Nun, sie mochte in der Stimmung für Spielchen sein, er nicht. „Wieso sprechen Sie mich dann an?“, fragte er in seinem besten Zeugen-Einschüchterungs-Ton.

„Weil ich dafür bezahlt werde, Sie anzusprechen“, entgegnete sie schroff.

„Offen sind Sie ja. Ich kann Ihnen versichern, ich bin nicht interess…“

„Ich werde dafür bezahlt, dass ich Sie frage, was Sie trinken möchten. Ich bin die Kellnerin, Sir. Glauben Sie mir, ansonsten hätte ich Sie bestimmt nicht angesprochen.“

Caleb blinzelte. Bisher hatten ihm in seinem Leben nur zwei Frauen eine Abfuhr erteilt. Da war dieses Mädchen in der fünften Klasse gewesen, Carrie oder Corey, und eine seiner Gespielinnen, die ihn sehr deutlich hatte wissen lassen, was er mit seinem Abschiedsgeschenk in Form von Saphirohrringen machen konnte. Keiner der beiden war es so gründlich gelungen, ihn auf seinen Platz zu verweisen.

Vielleicht sollte er wütend sein. War er aber nicht. Offen gesagt, er bewunderte ihren Mumm. Mit dem Gesicht und dem Körper … vermutlich hatte man ihr an diesem Abend Dutzende doppeldeutiger Angebote gemacht, und ihr reichte es einfach.

Und das mit dem Kleid … Er hatte sich das Studium selbst finanziert, anstatt Geld von seinem Vater anzunehmen oder das Erbe seiner Mutter anzutasten. Er hatte in genügend Restaurants und Bars gekellnert, und in jedem Job hatte es einen Dresscode gegeben. Für Männer hieß das: schwarze Hose, schwarze Fliege, weißes Hemd. Für die Frauen: schwarzes Samtband um den Hals, weiße Bluse, mindestens eine Nummer zu klein, und schwarzer Rock, der kaum den Po bedeckte. Hielt man sich nicht daran, stand man sofort auf der Straße.

Im einundzwanzigsten Jahrhundert war die Diskriminierung der Frau subtiler denn je. Als Anwalt wusste Caleb das. Trotzdem hatte er etwas Besseres verdient, als wie der letzte Schürzenjäger behandelt zu werden.

Das sagte er seinem Gegenüber auch.

„Heißt das, Sie möchten nichts mehr trinken?“, fragte sie ihn kalt.

„Genau das heißt es.“ Damit drehte er ihr den Rücken zu, trank seinen Scotch aus und beobachtete weiter die Menge unten im Raum.

Viel hatte sich an dem Bild nicht geändert, nur dass die Zuckungen auf der Tanzfläche vielleicht ekstatischer geworden waren. Heißer. Viele der Bewegungen, die da unten vollzogen wurden, machten sowohl vertikal als auch horizontal Spaß.

Die Gäste hatten sich regelrecht hineingesteigert. Das Personal übrigens auch. Vorhin waren sie ihm nicht aufgefallen – die jungen, gut aussehenden Kellner in den engen schwarzen Hosen, mit bloßem Oberkörper, aber mit Fliege. Sie lachten und flirteten mit den weiblichen Bedienungen, Frauen in dem gleichen Aufzug wie seine Kellnerin, aber keine von ihnen so hübsch.

Oder vielleicht besaß einfach keine von ihnen die gleiche würdevolle Haltung wie sie.

Sie war leicht auszumachen mit der hochgesteckten Lockenmähne. Caleb stellte fest, dass er plötzlich jede ihrer Bewegungen verfolgte.

Sie näherte sich einem der Tische, die um die Tanzfläche standen. Einer der Typen sagte etwas, lachte und legte seine Hand an ihre Hüfte. Sie zuckte angewidert zurück. Dann beobachtete Caleb, wie sie sich, ein Tablett mit vollen Gläsern balancierend, ihren Weg durch die Menge bahnte. Einer von diesen Clowns begrabschte ihr Hinterteil, und irgendwie schaffte sie es, ihm ihren Stiletto-Absatz in den Fuß zu rammen, ohne auch nur einen Tropfen von den Drinks zu vergießen.

Caleb grinste. Die Lady konnte auf sich aufpassen.

Zumindest, bis der Getretene ihr folgte, sie in eine Ecke drängte und etwas zu ihr sagte.

Sie schüttelte den Kopf. Der Typ flüsterte ihr etwas ins Ohr. Und fasste ihr an die Brust.

Caleb lächelte nicht mehr. Er richtete sich gerader auf, um besser sehen zu können, was da vor sich ging. Doch es standen immer wieder Leute im Weg, versperrten die Sicht …

Gut. Sie war dem Typen entkommen, hatte das Tablett irgendwo abgestellt und eilte auf die Personaltür zu, so schnell sie konnte. Der Typ rannte ihr nach, kam zur gleichen Zeit bei der Tür an wie sie. Packte das Mädchen bei der Schulter, riss sie zu sich herum. Drängte sich an sie.

Sie wehrte sich vergeblich. Der Mann war zu groß, zu stark und wahrscheinlich zu betrunken. Er schob eine Hand zwischen ihre Beine …

Wut flackerte in Caleb auf. Sah denn niemand, was da unten passierte? Erkannte denn niemand, dass dieser Typ da nicht nur einfach einen Narren aus sich machte, sondern dass es sich hier eindeutig um versuchte Vergewaltigung handelte?

Er stieß sich vom Geländer ab, stellte sein Glas auf den nächstbesten Tisch und steuerte die Treppe an.

Wo war das Mädchen? Er war ein Meter neunzig groß, trotzdem konnte er bei dieser wogenden Menge nichts erkennen.

Die Personaltür war links am Ende des Raumes gewesen. Caleb drängte sich durch die Menge, wie er sich früher am College im Football-Team durch die Verteidigung gedrängt hatte, hielt sich nicht unnötig mit Entschuldigungen auf. Er musste schnellstmöglich dorthin kommen, wo er gebraucht wurde.

Er konnte die Tür sehen. Mehr nicht.

Die Kellnerin war verschwunden. Der Typ auch.

Umso besser. Irgendein barmherziger Samariter musste wohl dazwischengegangen sein. Oder der Typ hatte eingesehen, wie unsinnig es war, und hatte aufgegeben. Oder …

Verdammt!

Jemand zog die Tür auf, sagte etwas und ließ sie wieder zurückschwingen. Es dauerte vielleicht zwei Sekunden, aber das reichte Caleb, um die Situation zu erfassen.

Die Tür führte nicht in die Küche, sondern in einen schwach beleuchteten Vorratsraum. Die blonde Bedienung stand mit dem Rücken zur Wand und wehrte sich gegen den großen Kerl.

Caleb spurtete los. Riss die Tür auf. Verlangte laut zu wissen, was dort vorging.

Der Mann fuhr zu ihm herum. „Geht Sie das was an? Ziehen Sie ab, Mann!“

Caleb sah die Frau an. In ihren Augen las er nackte Panik, und trotz des übertriebenen Make-ups war sie bleich wie ein Geist. Einer der Träger ihres Kleides hing zerrissen an ihrem Arm herab. „Ist alles in Ordnung?“

„Er wollte …“ Ihre Stimme brach. „Er wollte mich …“

„Hey, Freundchen, sind Sie taub? Ich sagte, Sie sollen verschwinden …“

Der Mann war ungefähr so groß wie Caleb, ebenso muskulös und durchtrainiert. Dennoch gab es da einen entscheidenden Unterschied. Der andere wurde getrieben von Lust und purem Egoismus, Caleb hingegen von wütender Empörung.

Er stürzte sich auf ihn. Dann ging alles sehr schnell. Zwei rechte Schwinger, mit links ein Schlag in den Magen, und der Widerling krümmte sich.

„Hey, ich wollte doch nur ein bisschen Spaß haben.“

Caleb bleckte die Zähne. „Den habe ich jetzt“, sagte er und schlug ein letztes Mal zu.

Der Mann sackte zusammen, und dann lag er dort, wo er hingehörte – auf dem Boden, der Kellnerin zu Füßen.

Caleb wischte sich die Hände ab und sah das Mädchen an. Sie war jetzt noch bleicher als vorhin.

„Hey …“, sagte er leise, und sie starrte ihn an. Er sah sie verkrampft schlucken.

„Er hat mir den ganzen Abend nachgestellt.“

Ihre Worte waren nur ein raues Flüstern. Sie begann zu zittern. Caleb fluchte unterdrückt, zog sein Jackett aus und hielt es ihr hin.

„Hier, ziehen Sie das über.“

„Ich konnte ihn nicht loswerden …“ Ein Schauder überlief sie. „Und dann … er packte mich und … hat mich hier reingeschoben … und …“

Caleb wollte ihr das Jackett um die Schultern legen. Als er einen Schritt vor machte, zuckte sie zusammen. „Langsam …“ Er sprach leise, so als wäre sie eines der schreckhaften Fohlen, die er früher gezähmt hatte, als er noch mit den Stallknechten zusammen auf El Sueño gearbeitet hatte. „Kommen Sie, ziehen Sie das über.“

Sie steckte die Arme in die Jackettärmel. Die Jacke reichte ihr fast bis zu den Knien. Vorsichtig, damit er sie nicht berührte, schloss er die Knöpfe. Sie zitterte, aber sie ließ ihn gewähren.

Der Mann auf dem Boden stöhnte. Caleb sah auf ihn hinunter. Blut lief aus seiner Nase, die seltsam schief in dem Gesicht saß, ein Auge war bereits zugeschwollen.

Lange nicht genug, dachte Caleb kalt.

Die Frau schien es zu spüren. Sie berührte seinen Arm. „Bitte … können Sie mich von hier wegbringen?“

„Soll ich die Polizei rufen?“

„Nein. Kein Aufsehen … Und … und er hat ja auch nicht … Er ist nicht dazu … er hat mich nur betatscht. Sie waren hier, bevor er …“ Sie holte tief Luft. „Ich will nach Hause.“

Caleb nickte. Gute Idee. Doch dann dachte er an die Menge da draußen, durch die sie sich würden drängen müssen. „Gibt es hier einen Hinterausgang?“

„Ja. Die Tür hinter Ihnen führt zur Lieferantenauffahrt.“

In seiner Wut war ihm die Tür gar nicht aufgefallen. „Ich werde jetzt meinen Arm um Ihre Schultern legen, okay? Nur um sicher zu sein.“

Sie blickte ihn an. Ihre Wimperntusche war verschmiert, ihre Lippen bebten, und er dachte, dass er nie eine schönere Frau gesehen hatte.

„Einverstanden?“, fragte er noch einmal.

„Ja.“

Sie verkrampfte sich, als er den Arm um sie legte, aber sie wich ihm nicht aus. Caleb zog die Tür auf. Die Straße draußen war unbeleuchtet und menschenleer. Während seiner Zeit bei Der Firma hatte er oft genug ähnlich düstere Ecken aufsuchen müssen, und er spürte, wie seine Sinne hellwach wurden.

„Bleiben Sie nah bei mir“, sagte er leise.

Sie rückte enger an ihn heran, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel. In seinem Arm fühlte sie sich fast zerbrechlich an. Er wollte zurück in den Club gehen und den Mistkerl fertigmachen, damit er ihr nie wieder wehtun würde.

Aber das ging nicht. Sie brauchte ihn.

Und er brauchte ein Transportmittel. Er war mit einem Taxi hergekommen, aber so verlassen, wie die Gegend hier erschien, konnte es lange dauern, bevor zufällig eins vorbeifuhr.

Sie gingen bis zur Straßenecke. Caleb drückte eine Kurzwahl auf seinem Handy. Er hatte Glück. Ein Fahrer der Firma, bei der er öfter eine Limousine mietete, wenn er in New York war, hatte gerade einen Kunden nur ein paar Straßen weiter abgesetzt.

Er hielt sie an seine Seite gepresst, während sie auf den Wagen warteten. Nur Minuten später stoppte eine schwarze Limousine am Straßenrand, der Chauffeur sprang heraus und zog die hintere Tür für seine Gäste auf.

Die Frau drehte Caleb das Gesicht zu. „Danke.“

Er lächelte. „Keine Ursache.“

„Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.“

Beinahe hätte er sie daran erinnert, dass er sich bereits vorgestellt hatte, aber er war nicht gerade stolz auf die Szene. „Caleb“, sagte er. „Und Sie sind …?“

„Sage.“

Der Name passte zu ihr. Sage – Salbei. Salbei wuchs wild überall auf El Sueño. Unverwüstlich, haltbar. Und schön. Genau wie sie. Wie hatte er denken können, sie sei nur hübsch? Selbst mit den schwarzen Rändern unter den Augen sah sie hinreißend aus.

„Nun … nochmals danke für …“ Sie hielt inne, ihre Wangen färbten sich rot. „Oh.“

„Was ist?“

„Wie viel kostet so eine Limousine?“ Sie fasste an ein breites Band an ihrem Handgelenk. „Geld und Schlüssel trage ich immer bei mir. Niemand verlässt sich auf die Spinde. Ich habe also Geld dabei, aber ich glaube nicht, dass es reicht …“

„Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie zahlen lasse? Ich wollte sowieso eine Limousine bestellen“, log er unverblümt. „Sie zu Hause abzusetzen ist nur ein kleiner Umweg.“

„Sie wollen mich nach Hause bringen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist wirklich nicht …“

„Doch, ist es“, fiel er ihr leise, aber entschieden ins Wort. „Ich begleite Sie bis zu Ihrer Wohnungstür, und dann verabschiede ich mich.“

Sie kaute auf ihrer Lippe. Er wusste genau, was jetzt hinter ihrer Stirn vorging: Würde er sich als der nächste Albtraum entpuppen?

„Pfadfinderehrenwort“, sagte er mit hochgehaltener Hand. Etwas anderes fiel ihm nicht ein, um sie zu überzeugen. Außerdem war es wohl besser, für etwas Entspannung zu sorgen, als dem Ärger nachzugeben, der noch immer in ihm brodelte.

Endlich nickte sie. „Nochmals danke.“ Bevor sie in die Limousine einstieg, drehte sie sich abrupt um. „Ich muss Ihnen noch sagen … ich wohne in Brooklyn.“

Bei ihr hörte sich das an wie die tiefste Mongolei. „Schon in Ordnung“, sagte er so ernst es ihm möglich war. „Meine Impfungen habe ich gerade aufgefrischt.“

Sekundenlang starrte sie ihn an, dann lachte sie. Es war ein schwaches, unsicheres Lachen, trotzdem fühlte er sich gut dabei.

„Sie sind nett“, sagte sie leise.

Nett? Caleb Wilde, Ex-Agent? Caleb Wilde, Wirtschaftsanwalt? Man hatte ihn intelligent genannt, oft brillant. Kühn, sogar skrupellos … „Danke“, erwiderte er und meinte es ernst.

Sie lächelten beide, dann räusperte sie sich.

„Wenn Sie nicht gekommen wären …“

„Denken Sie nicht daran“, sagte er sofort. „Wir reden nicht mehr darüber. Abgemacht?“

Er streckte ihr die Hand hin. Sage starrte darauf, dann schlug sie ein, und ihre schmale Hand verschwand in seiner großen.

Nicht unbedingt eine Überraschung, dachte sie, als sie in den Wagen einstieg. Ihr Retter war groß. Und definitiv muskulös. Sie war auch groß, mit den Stilettos noch größer. Trotzdem musste sie den Kopf leicht zurücklehnen, wenn sie ihm ins Gesicht sehen wollte.

Und was für ein Gesicht. Er sah unglaublich gut aus. Nicht wie die jungenhaft attraktiven Männer in der Stadt, sondern kernig-männlich. Nicht, dass das wichtig wäre.

Groß. Mutig. Furchtlos.

Er war zu ihrer Rettung geeilt, als niemand sonst es überhaupt versucht hatte. Viele hatten gesehen, wie der Typ sie in die Vorratskammer gezerrt hatte. Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt, hatte getreten und mit den Fäusten auf ihren Angreifer eingetrommelt. Aber entweder hatten die anderen gedacht, es handele sich um irgendein abartiges Spielchen, oder sie hatten einfach nicht mit hineingezogen werden wollen. Irgendjemand hatte sogar die Tür aufgezogen und dann gelacht. „Ups, sorry, lasst euch nicht aufhalten.“

Wenn dieser Fremde nicht gekommen wäre …

„Sage?“

Sie blinzelte.

Auf dem Lederpolster legte Caleb seine Hand auf ihre Finger. „Ich gebe Ihnen mein Wort, Sie können mir vertrauen.“

Und Sage, die genug Erfahrung in ihrem Leben gesammelt hatte, um es eigentlich besser zu wissen, lächelte ihren Ritter in der goldenen Rüstung mit bebenden Lippen an und entschied, ja, sie würde ihm vertrauen.

2. KAPITEL

Hinter der Brooklyn Bridge herrschte weniger Verkehr, und so kam die Limousine zügig voran.

Sage gab keinen Ton von sich. Das kleine Lachen, das Caleb ihr entlockt hatte, war längst verstummt. Sie saß so weit wie möglich an die Tür gedrängt und starrte aus dem Fenster. Mehr als ihren Hinterkopf und ihre verspannten Schultern konnte er nicht sehen.

Und ihre endlos langen Beine.

Verflucht! Der denkbar schlechteste Moment, um ihre Beine zu bewundern. Sie hatte gerade eine schreckliche Erfahrung durchgemacht, erotische Anwandlungen waren absolut unangebracht. Was sie jetzt brauchte, war …

Ja, was?

Er fühlte sich hilflos. Sie hatte die Polizei nicht rufen wollen, und das konnte er verstehen, aber irgendetwas brauchte sie doch wohl jetzt …

Heißen Tee? Cognac? Jemanden zum Reden? Jemanden, der sie tröstete und in den Arm nahm?

Für einen kurzen Moment hatte sie zugelassen, dass er den Arm um sie legte. Aber er war ein Fremder. Ein Mann. Und sie würde sich sicher nicht von einem fremden Mann umarmen lassen. Dennoch wollte er sie instinktiv an sich ziehen, ihr über das Haar streichen, ihr etwas von seiner Körperwärme und seiner Stärke geben.

Sie war viel zu still, hatte sich komplett in sich zurückgezogen. Seit sie dem Fahrer ihre Adresse genannt hatte, war sie stumm wie ein Fisch. Irgendwie musste er an sie herankommen, sie dazu bringen, dass sie redete. Aber wie? Krampfhaft suchte er nach einem Thema. Doch ihm fiel nichts ein.

Er war noch immer wütend, weil er diesen Mistkerl zu leicht hatte davonkommen lassen. Ein Mann, der sich einer Frau mit Gewalt aufdrängte, gehörte krankenhausreif geprügelt.

Caleb atmete tief durch. Allerdings hätte es sie noch mehr aufgewühlt, wenn er den Typen richtig in die Mangel genommen hätte. Es war das Beste gewesen, sie so schnell wie möglich da rauszuholen.

Er sah zu ihr. Sie zitterte wie Espenlaub.

Er lehnte sich zum Fahrer vor. „Könnten Sie bitte die Heizung anstellen?“

Sages wandte sich kurz um. „Nicht meinetwegen.“

Caleb setzte ein Lächeln auf. „Hey, ich friere mir hier alles ab. Euch aus dem Norden scheint die Kälte nichts auszumachen.“ Und dann setzte er mit dem breitesten Texas-Singsang hinzu: „Ich jedoch komme aus Dallas, da sind wir an andere Temperaturen gewöhnt.“

Sein Versuch, humorvoll zu sein, misslang kläglich. Sie nickte nur, sagte: „Oh“, und drehte sich wieder zum Fenster.

Caleb wartete zwei geschlagene Minuten, bevor er es erneut probierte. „So, jetzt sind wir also in Brooklyn, richtig?“ Bei seinem übertrieben munteren Ton zuckte er selbst innerlich zusammen.

Eine blöde Frage, die eine blöde Antwort verdient hätte. Dazu jedoch war Sage zu höflich.

„Richtig.“

Er nickte. „In welchem Teil genau leben Sie?“

„Es nennt sich East New York.“

„Interessanter Name.“

Das brachte ihm immerhin ein Zucken um ihre Lippen ein. „Ist auch eine interessante Gegend.“

„Soll heißen?“

„Waren Sie schon mal in Brooklyn?“

„Zählt eine Party für eine Wohnungseinweihung in Park Slope vor sechs oder sieben Jahren?“ Am liebsten hätte er triumphierend die Faust in die Luft gereckt, weil Sage jetzt tatsächlich schmal lächelte. „Wohl eher nicht, was?“

„Nein, definitiv nicht. Park Slope ist die gehobene Gegend. Da wohnen Anwälte, Steuerberater und … Was ist?“

„Bei genau solchen Leuten war ich. Ein Freund, der Anwalt ist, und seine Frau ist Steuerberaterin.“

„Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie Steuerberater sind.“

Er lächelte. „Nein, Anwalt.“

„Hätte ich nicht gedacht.“

„Wieso nicht?“

Wieso? Nun, weil Anwälte kühl und logisch handelten, oder? Dieser Mann jedoch hatte rein instinktiv reagiert. Er hatte sie beschützt. Sie hasste Gewalt, aber zu sehen, wie er ihren Angreifer niederstreckte, hatte sie maßlos erleichtert, regelrecht beglückt.

Er war männlich – rau und gleichzeitig zärtlich. Die anziehendste Kombination überhaupt. Zugegeben, viel verstand sie nicht von Männern. Da war David, den sie anbetete, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er sie gerettet hätte wie Caleb.

Sie war sich ziemlich sicher, dass er der arrogante Typ von der Galerie war, aber er war auch der Einzige, der sich von diesem grässlichen Kleid nicht hatte blenden lassen. Und jetzt versuchte er alles, damit sie sich entspannte. Darum ging es bei diesen Gesprächsanläufen, das war ihr klar. Sie wusste es zu schätzen, auch wenn sie nichts anderes wollte, als sich zusammenzurollen und so zu tun, als wäre sie nicht da. So wie sie es als kleines Mädchen immer gemacht hatte.

Nur würde er das nicht zulassen, und das war wohl auch gut so. Das hatte schon als kleines Mädchen nicht funktioniert, heute würde es erst recht nichts bringen.

„… warte noch immer“, hörte sie ihn sagen.

Sie blinzelte. „Worauf?“

„Ob es gut oder schlecht ist, dass Sie mich nicht für einen Anwalt gehalten hätten.“

Er lächelte, und ihr Herz schlug schneller. Sein Lächeln war absolut hinreißend.

„Ihr rechter Haken … das ist nicht gerade typisch für einen Anwalt.“

Er lachte. „Danke …“

Sie lächelte, aber dann verstummte sie wieder. Sehr schlecht. Irgendwie musste er das Gespräch in Gang halten. Das Reden hatte gutgetan, hatte sie abgelenkt. Noch immer hielt sie sein Jackett eng um sich, die Finger so verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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