Erobere mich ein zweites Mal

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„Fahr mit mir weg.“ Eine Woche will ihr Noch-Ehemann Camden mit Delilah auf einer Privatinsel verbringen, um ihr zu beweisen, dass ihre Ehe doch zu retten ist. Süße Früchte, edler Wein, Massagen und sinnliche Liebe am Strand… Camden braucht sie nur anzusehen, schon steht Delilah in Flammen. Die Anziehung zwischen ihnen war nie das Problem. Trotzdem muss Delilah ihr Herz schützen! Schließlich weiß sie nicht, ob Workaholic Camden ihr wirklich das geben kann, wonach sie sich zutiefst sehnt …


  • Erscheinungstag 09.05.2023
  • Bandnummer 2288
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515597
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Korsett saß viel zu eng, aber daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Delilah war bereits auf der Party. Und leider war das schlecht sitzende Kostüm ihre geringste Sorge an diesem Abend. Warum nur hatte sie diesem Blind Date zugestimmt? Schließlich steckte sie mitten in einer Scheidung. Aber Alisha Martin war äußerst überzeugend gewesen und hatte kein Nein akzeptiert.

Hier stand Delilah also nun, ganz in Schwarz in ein Korsett, Lederhosen und Stöckelschuhe gekleidet und eine Maske über den Augen. Sie hatte sogar schwarzen Nagellack aufgetragen. Statt sich ein neues Kostüm zu kaufen, das sie nur ein Mal tragen würde, hatte sie sich als Schatten verkleidet. Die Idee hatte ihr gefallen. Und vielleicht könnte sie sich so einfach hinausschleichen, wenn sie irgendwann gehen wollte. Schon seit ein paar Monaten war sie einfach nicht in Partylaune. So war das nun mal, wenn die eigene Ehe nur noch ein Scherbenhaufen war.

Aber das hier war ihre erste Party des Monats, und sie hatte einfach mal wieder ausgehen müssen. Sonst wäre sie noch wahnsinnig geworden. Es wurde mit jedem Tag deprimierender, abends allein zu Hause zu sitzen und eine Serie nach der anderen zu schauen.

Alisha Martin war eine neue Kundin von Angels’ Share, der Bourbon-Destillerie, die Delilah und ihren Schwestern gehörte. Vor über zehn Jahren hatten Elise, Sara und Dee ein altes Schloss in Kentucky gekauft. Während ihrer Highschool-Zeiten war das beeindruckende Steingebäude noch ein beliebter Teenie-Treffpunkt gewesen. Aber als die Schwestern sich entschlossen, eine Destillerie zu gründen, war klar: Sie brauchten ein Alleinstellungsmerkmal, um in dieser von Männern dominierten Branche eine Chance zu haben. Und was eignete sich da besser als ein altes, verlassenes Schloss?

Einen geeigneten Namen zu finden war ebenfalls ein Kinderspiel gewesen: Während der Bourbon in seinen Fässern reifte, verdunstete ein Teil der Flüssigkeit. Einem alten Sprichwort zufolge ging dieser verlorene Anteil direkt an die Engel.

Delilah liebte einfach alles an dieser Welt, die sie sich aufgebaut hatten. Im Laufe der Jahre hatten sie so viele tolle Menschen kennengelernt. Und sie hatten sich einen soliden Kundenstamm gesichert und durch ihre Verbindungen viele Freundschaften geschlossen.

Im Lauf des letzten Monats hatte Alisha die Destillerie mehrmals besucht, um passende Bourbons und Gin für ihre Wohltätigkeitsveranstaltung „Home Sweeter Home“ zu bestellen. Sie war eine so großzügige, fürsorgliche Person. Als sie Delilah zu der Kostümparty für das Waisenhaus eingeladen hatte, war es unmöglich gewesen, Nein zu sagen.

Und dann hatte Alisha ihr in letzter Minute noch eine Nachricht geschrieben: Sie kannte einen echt netten Kerl, der auch zu der Party käme und den Delilah unbedingt kennenlernen sollte. An der Stelle hätte Delilah gern abgelehnt, aber bisher hatte Alisha nicht auf ihre Antwort reagiert.

Nun gut. Sie musste nur hineingehen, Alisha begrüßen und ihre Spende loswerden – dann könnte sie wieder gehen. Das schwarze Schattenkostüm war einfach perfekt dazu geeignet, möglichst unauffällig im Hintergrund zu bleiben. Sie hätte wirklich Sara oder Elise herschicken sollen, statt selbst zu kommen, aber ihre Schwestern waren voll und ganz mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.

Delilah atmete tief ein und stieg die Betontreppe hinauf, die zu den gläsernen Flügeltüren von The Grandeur führten, einer alten Villa, die mittlerweile als Veranstaltungsort genutzt wurde. Das Empfangspersonal öffnete ihr die Türen.

Kaum war sie eingetreten, hörte sie laute Musik, Gelächter und Gesprächsfetzen. Partys waren wirklich nichts für sie. Viel lieber verbrachte sie ihre Zeit in ihrem ruhigen Büro, wo sie sich aufs Geschäft und ihre neuen Kunden konzentrieren konnte. Sie hatte es gern ruhig und friedlich – was einer gewissen Ironie nicht entbehrte. In letzter Zeit war ihr Leben nämlich alles andere als friedlich gewesen.

Während sie dem Drang widerstand, an ihrem Kostüm zu zerren – war das verdammte Korsett geschrumpft? –, trat Delilah in den Ballsaal und sah sich in der Menge um. Sie hätte Alisha fragen sollen, wie sie sich verkleiden wollte. Es könnte eine Weile dauern, sie zu finden, weil beinah alle Anwesenden eine Maske trugen.

Das hatte allerdings auch Vorteile: Dank der Maskerade würde Delilah hoffentlich ihren überheblichen Schwiegereltern aus dem Weg gehen können. Die beiden waren zweifellos hier und hatten sicher einmal mehr ihren Namen und ihr Geld genutzt, um als Erste eingelassen zu werden. Das taten sie immer. Im Geiste malte Delilah sich deren Reaktion aus, als ihr einziges Kind eine Frau aus bescheidenen Verhältnissen geheiratet hatte.

Sie klemmte sich die schwarze Clutch unter den Arm und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Wenn sie nach vorn zur Bühne ging, sollte sie Alisha hoffentlich dort finden. Und dann könnte sie ihr ihre Spende zustecken, ehe sie gleich wieder verschwand. Keine unangenehme Begegnung mit Cams Eltern, kein Kennenlernen des mysteriösen Mannes, von dem Alisha gesprochen hatte.

„Delilah?“

Sie wirbelte herum und zwang sich zu einem Lächeln. „Alisha.“

In ihrem weiß-goldenen Göttinnen-Kostüm sah ihre neue Kundin und Freundin absolut umwerfend aus. Mit dem langen blonden Haar und den leuchtend grünen Augen wirkte sie ganz wie eine Schauspielerin an einem Film-Set.

„Dachte ich mir doch, dass du das bist“, meinte Alisha und trat näher. „Ich weiß nicht, als was du dich verkleidet hast, aber bei der Figur werde ich glatt neidisch.“

Delilah lachte. „Ich bin ein Schatten. Und glaub mir, das Korsett kaschiert bloß meine ganzen Röllchen. Ich habe nicht so tolle Kurven.“

Manche Leute mochten nach einer Trennung abnehmen – nicht so Delilah. Nein, sie legte immer mehr zu. Was konnte sie schon dafür, dass Biskuitkuchen mit Sahne sie in den letzten Monaten am besten hatte trösten können?

„Wie auch immer. Ich freue mich, dass du gekommen bist.“ Alisha lächelte. „Ich habe gerade noch mit dem Kerl gesprochen, von dem ich dir erzählt hatte. Er ist kurz vor dir eingetroffen. Perfektes Timing.“

Delilah zuckte zusammen. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich verkuppeln willst, aber ich bin noch nicht so weit. Ich bin ja noch nicht mal geschieden.“

Alisha legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ironie des Schicksals: Genau das hat er mir auch gerade gesagt. Er ist wirklich supernett. Vielleicht könnt ihr einander ja unterstützen, während ihr eure Scheidungen durchmacht. Es kann sehr befreiend sein, sich mit einem Fremden zu unterhalten.“

Vielleicht stimmte das sogar. Bisher waren die einzigen Menschen, die über ihre Situation im Bilde waren, ihre Schwestern. Delilah verabscheute es, zu versagen. Sie hatte sich nie eingestehen wollen, dass ihre Ehe tatsächlich gescheitert war. Aber sie und Camden lagen einfach nicht mehr auf derselben Wellenlänge – da konnte auch die Chemie zwischen ihnen nichts dran ändern.

Alisha strich sich das Haar aus dem Gesicht, und Delilah bemerkte einen beeindruckenden Ring an einem allzu bedeutenden Finger.

„Ist der neu?“, fragte sie und griff nach Alishas Hand. „Der ist ja umwerfend.“

Alisha strahlte. „Ja, das ist er. Ich bin gerade erst von einer spontanen Urlaubsreise zurück. Dabei gab’s eine Wendung, mit der ich nicht gerechnet hatte.“

„Klingt spannend.“ Lächelnd ließ Delilah ihre Hand los. „Ich freue mich schon, sie bei Gelegenheit mal zu hören.“

„Wir können uns ja demnächst mal zum Essen treffen, dann erzähle ich sie dir.“

Alle Menschen in ihrem Leben schienen gerade Glück in der Liebe zu haben, und Delilah freute sich aufrecht für sie. Sie wünschte bloß, ihre eigene Ehe würde nicht in Scherben liegen.

„Oh, da ist er.“ Alisha sah Delilah über die Schulter und winkte lächelnd. „Der in dem Piratenkostüm. Mit der Augenklappe.“

Delilah blickte sich um und entdeckte den Fremden, den Alisha beschrieben hatte. Mit seiner engen schwarzen Hose und dem weiten weißen Hemd war er äußerst sexy. Sein markantes Kinn war von Bartstoppeln bedeckt, und das eine sichtbare Auge war dunkelbraun – und starrte sie an.

Verdammt. Das war kein Fremder, sondern ihr Ehemann.

Camden bahnte sich seinen Weg durch die Menge zu Alisha. Er würde ihr sagen, dass er die Einladung sehr zu schätzen wusste, aber jetzt wirklich lieber gehen wollte. Er war einfach noch nicht bereit dazu, jemanden kennenzulernen. Eigentlich hatte er gedacht, ein wenig Gesellschaft würde ihm guttun. Doch kaum war er in den Ballsaal getreten, hatte er seinen Irrtum erkannt. Seine Eltern waren glücklicherweise momentan nicht in der Stadt. Zumindest die Begegnung mit ihnen war ihm also erspart geblieben. Es reichte ihm, ständig ihren Anrufen ausweichen zu müssen. Da wollte er ihnen nicht auch noch auf einer Party aus dem Weg gehen müssen.

Er steuerte auf Alisha zu und bemerkte eine Frau neben ihr. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, eine schwarze Maske über den Augen. Verdammt …

Sie mochte sich verkleidet haben, damit niemand sie erkannte, aber er tat es trotzdem. Camden kannte jede einzelne Kurve, jeden Zentimeter dieses Körpers. Schließlich hatte er fünf Jahre lang jede Nacht neben ihm gelegen.

„Delilah, das ist Camden, der Mann, von dem ich dir erzählt hatte.“

Cam wartete ab, bis Alisha ihren Satz beendet hatte, ehe er die Hand ausstreckte. „Freut mich.“

Dee stand der Mund offen. Er musste unwillkürlich lächeln, als sie seine Hand ergriff. Dieses alte Knistern verlor einfach nie seinen Reiz. Sie hatten sich schon immer zueinander hingezogen gefühlt. Wäre Sex allein genug für eine erfüllende Ehe, wären sie nie in der Situation gelandet, in der sie sich jetzt befanden.

Aber ihre Jobs, ihre Familien und die fehlende Kommunikation zwischen ihnen hatten sie auf einen Pfad geführt, von dem Camden nie gedacht hätte, dass sie ihn jemals betreten würden.

Camden wollte seine Ehefrau zurück. Daraus machte er kein Geheimnis. Aber Delilah beharrte darauf, dass sie nun wahrlich genug ertragen hatte. Laut ihr machten sie keinerlei Fortschritte, zumindest nicht in die gewünschte Richtung. Sie konnten sich einfach nicht darauf einigen, wie ihre Zukunft aussehen sollte – und aus ebendiesem Grund hatte sie ihn gebeten, die Scheidung einzureichen. Und er hatte es widerwillig getan.

Die Ironie an der Situation war: Er war selbst Scheidungsanwalt, hätte aber niemals gedacht, dass seine Kanzlei sich je seiner eigenen Scheidung annehmen müsste.

„Oh, entschuldigt mich bitte“, sagte Alisha. „Der Caterer winkt mich zu sich.“

Kaum war sie in der Menge verschwunden, löste Delilah sich von ihm und faltete die Hände. Versuchte sie, seine Berührung fortzuwischen oder die Erinnerung daran festzuhalten? So oder so: Seine Berührung hatte einen gewissen Effekt auf sie gehabt. Und es war umgekehrt genauso. Hätte bloß dieser ganze Ballast, den sie beide jahrelang mit sich herumgetragen hatten, sie nicht irgendwann erdrückt. Versagen war für ihn einfach keine Option. Dieses Gefühl gefiel ihm gar nicht.

„Was machst du hier?“, flüsterte sie und beugte sich vor.

„Alisha ist die Schwester unseres neuesten Angestellten“, antwortete er. „Woher kennst du sie?“

Delilah deutete auf einen Kellner, der mit einem Tablett vorbeiging. „Sie schenkt heute Abend unsere Spirituosen aus.“

„Wo sind Sara und Elise?“

„Sie waren heute Abend beide beschäftigt. Deswegen bin ich hier.“

Und das ärgerte sie zweifellos. Seine Delilah mochte es ruhig und agierte lieber im Hintergrund. Jedem Aspekt ihres Lebens widmete sie sich mit jeder Menge Hingabe und Leidenschaft – sowohl was die Arbeit als auch was ihre Ehe betraf. Und das hatte er nicht zu schätzen gewusst, bevor es irgendwann zu spät gewesen war.

Die Musik wechselte von einer schnellen Tanznummer zu einem langsameren Song mit einem sinnlichen Beat – natürlich. Als wäre die Situation nicht schon unangenehm genug gewesen.

Camden musterte Delilahs enganliegendes Outfit, die Maske, die den Blick auf ihre roten Lippen freiließ … und ihn damit allzu sehr in Versuchung brachte. Der Kontrast zwischen ihrer dunklen Haut und rotem Lippenstift hatte ihm schon immer gefallen. Und das wusste sie. Jedes Mal, wenn sie ausgegangen waren, hatte sie seinen Lieblingsfarbton aufgetragen – genau den Farbton, den sie auch jetzt trug. Wie oft hatte sie ihn wohl schon seit ihrem Auszug getragen? Ein weiterer Streitpunkt: Sie war ausgezogen und hatte ihm das Haus überlassen.

Camden griff nach ihr und legte ihr die Hand auf die Taille. Sie erstarrte, und er verfluchte sich dafür, dass er es so weit hatte kommen lassen. Seine eigene Frau verunsicherte es, von ihm berührt zu werden. „Tanz mit mir.“

Aus dunklen Augen starrte sie ihn an. Er wollte ihr die Maske herunterreißen, damit er ihr ganzes Gesicht sehen konnte – doch irgendwie gefiel ihm die Maskerade. Und vielleicht gefiel sie ihr ja auch. Noch war sie nicht gegangen, und sie hatte auch nicht Nein gesagt. Das war immerhin eine Verbesserung im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung, als er sie im Hinterzimmer einer anderen öffentlichen Veranstaltung geküsst hatte. Seit der Angels’-Share-Gala, bei der ihr zehnjähriger Bourbon vorgestellt worden war, hatte er sie nicht mehr gesehen, und sie hatten keine Chance gehabt, über diesen Kuss zu reden.

„Cam.“

Er nahm ihr die Clutch ab, die sie sich unter den Arm geklemmt hatte, und führte sie auf die Tanzfläche. Dabei stoppte er nur kurz an seinem Tisch, um die Handtasche dort abzulegen. Dee zögerte keine Sekunde, aber er kannte sie nur zu gut. Im Geist ging sie gerade garantiert all die Gründe durch, warum das hier eine schlechte Idee war. Tja, ihm fielen nur Gründe fürs Gegenteil ein.

Gekonnt wirbelte er sie zu sich herum und zog leicht an ihrer Hand, sodass seine Noch-Ehefrau an seiner Brust landete. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, die Berührung selbst durch das Hemd hindurch beinah sengend heiß.

„Wir sollten das nicht tun“, murmelte sie, ohne jedoch irgendwelche Anstalten zu machen, ihn loszulassen.

Camden begann, sich zur Musik zu wiegen, und sie folgte ihm in perfektem Einklang. Sie würde ihm keine Szene machen, nicht hier. Sie mochte weglaufen wollen, so wie letzten Monat auf der Gala von Angels’ Share, doch diesmal wäre das wesentlich schwieriger.

„Und warum nicht?“, fragte er und beugte sich vor. „Weil du Angst hast?“

„Ich habe vor rein gar nichts Angst.“

„Ach nein? Warum hast du dann seit dem Kuss all meine Nachrichten ignoriert?“

Sie sah zu Boden. Dagegen konnte sie nicht widersprechen. Und es mochte sein Job sein, genau solche Argumente zu liefern, aber eigentlich wollte er dieses Talent nicht gegen seine Frau einsetzen. Er wollte, dass sie ein Team waren – für immer.

Doch dann hatte sie irgendwann mehr gewollt, als er ihr geben konnte. Seine Karriere beanspruchte einen Großteil seiner Zeit, und Delilah geriet immer mehr in den Hintergrund. Hinzu kam, dass seine Eltern stets ein unsichtbarer Keil zwischen ihnen gewesen waren. Bei jeder Gelegenheit ließen sie Andeutungen fallen, dass Delilahs sozialer Hintergrund nicht zu ihnen passte. Er hatte diese kleinen Sticheleien einfach ignoriert – und dabei völlig übersehen, wie sehr Delilah sie sich zu Herzen nahm.

Jahrelang hatten all diese Differenzen zugenommen, bis Dee eines Tages genug davon hatte. Wenn sie nun zu viel Zeit miteinander verbrachten, würden diese Differenzen nur wieder zu Streit führen, und der Kreislauf begänne von Neuem.

Er wollte dieses schreckliche Muster durchbrechen, in das sie da geraten waren. Zwar hatte er keine Ahnung, wie, aber er musste ihr einfach zeigen, dass sie zusammengehörten. Nie zuvor in seinem Leben hatte er etwas verloren, das ihm am Herzen lag, und er würde ganz bestimmt nicht mit seiner Ehefrau anfangen.

„Der Kuss war ein Fehler“, stieß sie nun zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

„Hat sich aber nicht so angefühlt.“ Camden ließ die Hand auf ihrem Rücken nach unten gleiten und zog sie näher an sich. „Auf mich wirkte es eher so, als hättest du mehr gewollt.“

Sie sah zu ihm auf. „Was ich will und was ich haben kann, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.“

Dann wollte sie ihn also immer noch. Dieser Teil ihrer Beziehung würde sich niemals ändern. Wenn er nur einen Weg fände, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, ohne sich dabei selbst zu verlieren, könnte er ihre Ehe vielleicht doch noch retten …

Möglicherweise war das alles, was nötig war. Vielleicht sollten sie sich einfach auf das Wesentliche besinnen, neu anfangen und diesmal eine gesunde Basis schaffen. Bisher war ihr gemeinsames Leben immer sehr hektisch gewesen. Er war ständig unterwegs, reiste zu seinen prominenten Klienten und baute seine eigene Kanzlei auf, während sie damit beschäftigt war, zusammen mit ihren Schwestern Angels’ Share am Markt zu etablieren. Er war verdammt stolz auf sie und all ihre Errungenschaften. Aber vielleicht hatte er es versäumt, ihr das auch zu zeigen.

Wie, zur Hölle, sollte er es also schaffen, ihre Ehe zu retten?

„Es ist nichts falsch daran, dem eigenen Verlangen nachzugeben.“ Er konzentrierte sich wieder auf den Augenblick, auf die Frau in seinen Armen. Genau dort sollte sie sein. „Wir sind zwei erwachsene Menschen, die einander wollen.“

„Das ist einfach nicht richtig.“

Camden wirbelte sie herum und dirigierte sie zu einem der Tische, den seine Kanzlei gesponsert hatte. Sie hatte tatsächlich zugegeben, dass sie ihn wollte. Das war ein kleiner Sieg, den er feiern und nutzen sollte.

„Ich sag dir, was nicht richtig ist: Einander ständig zu ignorieren, weil wir uns gegenseitig die Kleider vom Leib reißen, wann immer wir uns nahekommen.“

Abrupt blieb Delilah stehen, und er tat das Gleiche. Sie erwiderte seinen Blick, und er wusste genau, was sie dachte. Sie waren seit fünf Jahren verheiratet. Sie konnte ihn nicht belügen – und sich selbst auch nicht.

Camden wusste genau, wie viele Gedanken ihr gerade durch den Kopf schossen. Zweifellos dachte sie darüber nach, wie es wohl wäre, noch einmal mit ihm zu schlafen. Wäre es das Risiko wert? Würden sie in alte Muster verfallen und am Ende weiter in einer kaputten Ehe feststecken?

Mittlerweile war er an einem Punkt, an dem er nur diese eine Nacht wollte. Er wollte seine Frau wieder in seinem Bett haben. Über den Rest könnte er sich später immer noch den Kopf zerbrechen. Er war schon viel zu lange ohne sie, und dieser Kuss letzten Monat hatte ihm den Rest gegeben.

Das war wohl der Knackpunkt: Er hatte noch nie genug von Delilah bekommen können. Und das jagte ihm die größte Angst ein. Selbst nach mehreren gemeinsamen Jahren verzehrte er sich immer noch nach ihr.

„Du bist die attraktivste Frau, die ich kenne“, fügte er hinzu. „Nur eine Nacht. Eine Nacht, ohne über die Scheidung oder sonst irgendwas zu reden.“

Sie schloss die Augen und atmete tief ein. „Genau so sind wir doch erst in diesen Schlamassel geraten, Cam. Wir können nicht ständig unserem Verlangen nachgeben, ohne über die Konsequenzen oder die Umstände nachzudenken.“

„Welche Konsequenzen denn? Und die Umstände sind denkbar unkompliziert: Die Scheidung läuft bereits. Da machen wir uns beide nichts vor. Es ist doch nur eine Nacht, Dee. Bei dir oder bei mir. Wo du willst.“

Als sie die Augen öffnete, entdeckte er darin eine altbekannte Leidenschaft. Er hatte sie am Haken. Sie hatten noch nie die Finger voneinander lassen können. Die Chemie zwischen ihnen übertraf alles, was er je erlebt hatte. Und sollte er sie wirklich verlieren, würde er nie etwas Vergleichbares finden.

Camdens Körper reagierte. Sie sollten wirklich bald gehen, sonst würde er noch eine Szene machen, indem er seine Frau küsste und versuchte, ihr das Korsett zu öffnen. Er hatte es schon mehrmals in ihrem Schrank hängen sehen und sich gefragt, wann sie es wohl tragen würde – und wie es sich öffnen ließ. Eigentlich hatte er immer gehofft, sie würde es ihm unter vier Augen vorführen.

„Bei mir“, sagte sie. „Ich kann nicht zurück …“

Nach Hause. Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, beinah als hätte sie sie ausgesprochen. Nach der Trennung hatte eigentlich er ausziehen wollen. Doch sie sagte ihm, sie bräuchte einen Neuanfang – ohne die ganzen alten Erinnerungen.

Ein weiteres Zeichen, das sie ihn immer noch liebte. Wäre sie in dem Haus geblieben, das er schon vor ihrer Hochzeit gekauft hatte, hätte sie das bloß an all die Dinge erinnert, die sie zusammen erlebt hatten. Verdammt, genau das machte er nun jeden einzelnen Tag durch. Und aus diesem Grund bemühte er sich stets, beschäftigt zu bleiben und so wenig Zeit wie möglich zu Hause zu verbringen.

Delilah mochte ihn aus ihrem Leben auslöschen und weiterziehen wollen, aber das würde er nicht zulassen. Am Anfang waren sie so scharf aufeinander gewesen, dass sie glatt die Kennenlernphase übersprungen hatten. Stattdessen waren sie lieber gleich vor den Altar getreten. Und ja, das mochte ein wenig überstürzt gewesen sein, aber hieß das gleich, dass ihre Beziehung ein Fehler war? Nein. Er weigerte sich, das zu glauben.

Hatte er die Scheidung eingereicht? Ja. Und gab es Dinge, die er im Nachhinein bereute? Ja, verdammt.

Seine Eltern hatten ihr vorgeworfen, nur hinter seinem Geld her zu sein, aber sie kannten Delilah einfach nicht. Sie hatte nie auch nur einen Cent von ihm angenommen, um Angels’ Share weiter aufzubauen. Sie war viel zu stolz und zu eigensinnig, um irgendwelche Almosen zu akzeptieren, und er bewunderte sie dafür – auch wenn ihre Entschlossenheit manchmal äußerst frustrierend sein konnte.

Jahrelang hatte er den Vermittler zwischen seiner Familie und seiner Frau gespielt. Delilah hatte sich mehrfach bei ihm entschuldigt, weil sie dachte, sie habe endgültig einen Keil zwischen ihn und seine Familie getrieben. Dabei hatte sie ihm nur die Augen geöffnet, was seine Eltern betraf. Erst durch sie erkannte er, wie kontrollsüchtig und oberflächlich die beiden doch waren.

Und jetzt, da er und Delilah sich getrennt hatten, hatte sein Beschützerinstinkt ihr gegenüber nur weiter zugenommen. Sie musste gerade viel durchmachen: Einerseits ging ihre Ehe immer mehr den Bach hinunter, und andererseits war Milly erst vor Kurzem gestorben. Sie hatte Dee und ihre Schwestern großgezogen und war die einzige Mutter, die die drei je gekannt hatten. Nach einem solchen Verlust war es kein Wunder, dass Delilah keine Energie mehr übrig hatte, um für ihre Ehe zu kämpfen. Sie war vollkommen ausgelaugt und erschöpft von all dem Kummer, den sie Tag für Tag mit sich herumtrug.

Die Scheidung war noch nicht vollzogen, aber die Uhr tickte. Die abschließenden Unterlagen konnten jederzeit eintreffen, und dann müsste er sich der Tatsache stellen, dass er Dee womöglich für immer verloren hatte. Ein glücklicher Zufall hatte ihm dabei noch ein wenig Zeit verschafft. Im ursprünglichen Entwurf hatte es ein paar Fehler gegeben, sodass die Papiere neu hatten aufgesetzt werden müssen. Er war nur froh, dass er die Fehler bemerkt hatte, ehe er unterschrieb.

Aber Camden hatte nicht gelogen: Heute Abend wollte er nicht darüber sprechen, nicht einmal daran denken. Er schnappte sich die Clutch von seinem Tisch, griff nach Delilahs Hand und marschierte mit ihr zum nächsten Ausgang.

2. KAPITEL

Was dachte Delilah eigentlich, was sie hier tat?

Es gab nur einen Weg, über ihren zukünftigen Exmann hinwegzukommen: Sie musste ihm aus dem Weg gehen. Wieso fand sie sich nun also auf dem Beifahrersitz seines SUVs wieder?

Als Camden sie aus dem überfüllten Saal geführt hatte, schien das hier noch eine gute Idee gewesen zu sein. Doch nun schrillten die Alarmglocken in ihrem Kopf, und sie sollte wirklich darauf hören. Genau durch dieses leichtsinnige Verhalten war sie in einer Ehe ohne ausreichende Basis gelandet.

„Hör auf, so viel nachzudenken“, sagte er, während er durch die Stadt fuhr. „Ich kann beinah hören, wie die Rädchen in deinem Kopf rattern.“

Daran bestand kein Zweifel. Camden Preston kannte sie besser als sonst irgendjemand – ihre Schwestern und Milly eingeschlossen.

Ihre Schwestern … Das war ein weiteres Thema, das schwer auf ihr lastete. Erst vor ein paar Wochen hatte sie herausgefunden, dass ihre Adoptivschwestern in Wirklichkeit ihre Halbschwestern waren. Die Neuigkeit hatte sie immer noch nicht verarbeitet.

Bisher hatte sie noch niemandem davon erzählt. Im ersten Moment hatte sie instinktiv zu Camden laufen wollen, aber diese Tage waren vorbei. Eine Trennung bedeutete genau das: Sie mussten alle Bande durchtrennen und neu anfangen.

Und doch saß sie nun in seinem Wagen und war auf dem Weg zu ihrem Mietshaus, weil sie in seinem Haus bloß von Erinnerungen überwältigt werden würde. Dort hatten sie sich vor fünf Jahren ein gemeinsames Leben aufgebaut. Sie hatten sich geliebt, zusammen gelacht – und sich dort letztendlich auch auseinandergelebt. Jedes Zimmer steckte voller Erinnerungen und weckte Gefühle in ihr.

Sie wollte Cam. Natürlich wollte sie ihn. Seit ihrem Auszug war kein einziger Tag vergangen, an dem sie sich nicht nach seiner Berührung sehnte, sich nicht wünschte, im Bett neben ihm zu liegen. Als sie ihn letzten Monat auf der Gala gesehen hatte, war das nur ein weiterer Schlag ins Gesicht gewesen, denn es hatte ihr einmal mehr bewusst gemacht, was sie verloren hatte.

Autor

Jules Bennett
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