Im Bett des wilden Highlanders

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Schottland im Mittelalter: Um den Nachstellungen des lüsternen Laird Oglivie zu entgehen, flüchtet Roses aus seinem Clan, in dem sie niedere Dienste verrichten muss. In den stürmischen Weiten der Highlands trifft sie auf den Krieger Wilkie Mackenzie, der ihr Schutz auf seiner Burg gewährt. Vom Rest seines Clans wird die schöne Highlanderin misstrauisch empfangen. Doch Roses hat ohnehin nur Augen für den betörenden Wilkie, in dessen Armen sie bald Nacht für Nacht verbotene Wonnen erlebt, hin- und hergerissen zwischen glühender Leidenschaft und Furcht, dass der geliebter Krieger ihr dunkelstes Geheimnis entdeckt – und sie Oglivies Häschern ausliefert ...


  • Erscheinungstag 22.11.2022
  • Bandnummer 65
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511506
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Wüstling sprang mich an.

Seine gierigen Finger waren nur noch wenige Zoll von dem groben Stoff der Männerhosen entfernt, die ich trug. Ich gelangte rasch aus seiner Reichweite, heilfroh darüber, dass ich an diesem Morgen diese nicht gerade schmeichelhafte Montur gewählt hatte statt der Dienstmädchenkleidung, die sehr viel leichter zu packen gewesen wäre.

Doch Laird Ogilvie war für einen etwas übergewichtigen Unhold mittleren Alters ziemlich schnell. Aus seinem geröteten Gesicht sprach wilde Entschlossenheit.

„Deine Mutter konnte mir nur durch den Tod entfliehen.“ Seine Stimme war völlig gefühllos. „Du hast nicht so viel Glück.“

Er stürzte sich erneut auf mich, und diesmal krallten seine Finger sich hinten in meiner Tunika fest. Er zerrte an dem Stoff, was dazu führte, dass der Ausschnitt sich so fest an meinen Hals presste, dass ich anfing zu würgen. Er nutzte seine Chance und drückte mich mit dem Gesicht voran in die dicken Felle, die über sein riesiges Bett gebreitet waren. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und schnappte nach Luft, während ich versuchte, mich aus seinem Griff zu winden.

„Warum ziehst du nur immer diese schrecklichen Männerkleider an, Mädchen? Warte, ich helfe dir dabei, sie auszuziehen.“

Ich hatte den schlechtesten Zeitpunkt gewählt, um die Gemächer des Laird aufzusuchen. Es gehörte zu meinen Pflichten, seine Räume jeden Morgen sauber zu machen und die Becher und Schüsseln des Gelages vom Vorabend einzusammeln und in die Küche zu tragen. Seit fast fünf Jahren erledigte ich diese Aufgabe nun schon, und während dieser Zeit hatte ich stets sorgfältig darauf geachtet, ihn dabei nicht anzutreffen. Doch heute hatte er auf mich gewartet und sich so lange versteckt, bis er sicher sein konnte, dass er allein mit mir war – hinter verschlossener Tür. Es war zu spät, vor ihm zu flüchten.

„Hinter diesen Mauern ist mein Wort Gesetz, und ich sorge dafür, dass du das nicht wieder vergisst“, sagte er schroff. Mit einer Hand umfing er meine Handgelenke, mit der anderen schob er meine Tunika weiter nach oben. „Du scheinst dich immer noch nicht mit der Veränderung deines Standes abgefunden zu haben. Du bist nicht mehr die Tochter eines Grundbesitzers und hast demzufolge keinen Anspruch auf die Privilegien, die ein solcher Rang mit sich bringt. Deine Mutter war genauso vergesslich. Auch sie hatte Schwierigkeiten, sich in die Herabwürdigung ihres Standes zu schicken. Dabei hätte sie weiter auf eurem Gehöft leben können. Aber sie hat mich abgewiesen. Sie war widerspenstig. Begehrenswert, aber widerspenstig.“

Ich versuchte, das Gewicht, das auf mir lastete, abzuwerfen.

„Und ja, ich habe ihr das Land weggenommen, weil ich hoffte, sie würde sich mir dann endlich unterwerfen. Doch sie hat sich immer noch gewehrt.“ Noch immer hielt er meine Handgelenke mit eisernem Griff fest, während seine andere Hand über meine entblößte Hüfte strich, der Kurve meiner Taille folgte und dann weiter nach oben wanderte. „Erst kurz vor ihrem Tod, als ich ihr damit drohte, an ihrer Stelle dich zu nehmen, gab sie ihren nutzlosen Widerstand auf. Du solltest ihr dankbar sein, Mädchen. Sie hat alles getan, um mich davon abzuhalten, dir nachzustellen. Wirklich alles. Aber nun, da sie von uns gegangen ist, kann mich nichts mehr daran hindern. Ich beobachte dich schon eine ganze Weile, Roses. Aber das weißt du ja, nicht wahr?“

Oh ja, ich wusste es. Meine Mutter hatte noch auf ihrem Sterbebett versucht, mich zu warnen. Das war einer der Gründe, warum ich meinen Körper unter weiten Männerkleidern versteckte und dem Laird aus dem Weg ging.

„Du bist eine Küchenmagd“, fuhr er fort. „Aber du könntest so viel mehr sein. Höchste Zeit, dass du dich endlich nützlich machst. Die Geliebte des Lairds genießt gewisse Vorteile. Private Räumlichkeiten, weniger Pflichten, hübsche Kleider und die Gelegenheit, frei und gut beschützt durch meine Gärten zu spazieren.“

Hatte er mit diesen verlockenden Worten auch um meine Mutter geworben?

„Nein.“

„Nein?“

„Ich willige nicht ein.“

Er schwieg einen Moment, dann lachte er leise und niederträchtig. „Ich habe nicht um deine Einwilligung gebeten, Mädchen. Du gehörst mir, und ich habe vor, mir zu nehmen, was ohnehin mein ist.“

Mir entfuhr ein leises Wimmern, denn mir war klar, dass ich keine Wahl hatte – außer jene, von dem Messer in meinem grob genähten Lederbeutel Gebrauch zu machen. Eigentlich durfte ich es nur für Aufgaben in der Küche und im Garten benutzen, aber ich trug es immer bei mir als Schutz vor Angriffen. Bis jetzt hatte ich es noch nie zu diesem Zweck einsetzen müssen. Allerdings tröstete das Wissen, dass es da war und sich gerade schmerzhaft in meine Hüfte drückte, nur bedingt darüber hinweg, dass der Laird sich gerade am Bund meiner Hose zu schaffen machte. Sein Griff um meine Handgelenke lockerte sich, während er meine Tunika weit hochschob.

Dann erstarrte der Laird. „Was ist das? Was ist das für ein Mal?“

Darauf konzentriert, mit der linken Hand so unauffällig wie möglich nach dem Messer zu greifen, antwortete ich nicht.

Ogilvie zeichnete mit den Fingern ein kreisförmiges Muster auf die Mitte meines Rückens. Er schien verwundert, doch dann fand er zu seinem harschen Ton zurück.

„Wer hat dir dieses Zeichen in die Haut geritzt? Antworte!“

„Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht“, keuchte ich.

Aber das war gelogen.

Ich hatte die winzige Tätowierung zwischen meinen Schulterblättern vor fremden Augen immer zu verbergen gewusst. Ich wusch mich nur dann, wenn ich allein war. Ich trug mein Haar lang und offen. Ich hüllte mich in weite, unförmige Kleidungsstücke. Und nun war ich über die Enthüllung des Mals ebenso entsetzt wie über die Entblößung meines Leibes. Während ich mich nach Kräften wand und drehte, um den Händen des Lairds zu entkommen, wanderte mein Geist unwillkürlich zu der vagen Erinnerung an jene Szene, die einst unauslöschlich Furcht im Herzen eines verlorenen Kindes geweckt hatte.

Meine Eltern hatten eine uralte abergläubische Heilerin gerufen, als ich die Masern bekam. Ich war noch sehr klein. Aber das welke Gesicht prägte sich tief in mein Gedächtnis. Ein gekrümmter Finger, der anklagend auf mich deutete. Eine Warnung, vorgebracht mit schriller Stimme, niemals vergessen. „Ein Hexenmal! Sie wird geschlagen, gehäutet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden! Verbergt dieses Mal! Verbergt es um jeden Preis!“

Laird Ogilvie studierte weiter meinen Rücken, fuhr mit der Fingerspitze über die Konturen der Tätowierung. „Es sieht aus wie ein Siegel. Eine Markierung …“

Auf einmal senkte sich eine bedeutungsschwere Stille über den Raum. Es war diese Art von Stille, die normalerweise dann eintrat, wenn Ogilvie und die Anführer seiner Truppen bei einer ihrer Besprechungen in just dem Moment von einem Bediensteten unterbrochen wurden, in dem eine besonders wichtige Information weitergegeben werden sollte.

Ich wusste nicht, ob er gerade überlegte, ob er mich häuten oder verbrennen lassen sollte, oder ob ihm etwas ganz anderes durch den Kopf ging. Doch worüber der Laird auch nachgedacht haben mochte, es steigerte seine Begierde nur noch. Er fummelte nun hastig an den Bändern seiner eigenen Hose herum.

In diesem Augenblick stach ich zu. Ich hatte die scharfe Klinge mit solcher Kraft geführt, dass sie sich in die Seite seines Bauches bohrte. Seit vielen Monaten übte ich mich mit den jungen Kriegern des Clans heimlich im Schwertkampf, und offenbar hatte dieses Training mir die Fähigkeit geraubt, zurückhaltend zuzustoßen. Zum Glück für den Laird war die Messerklinge nicht besonders lang. Auch wenn ihm momentan vermutlich nicht danach war, hatte er allen Grund, sich über seinen Hang zur Völlerei zu freuen, denn der hatte ihm jetzt wohl das Leben gerettet.

Ich zog das Messer aus der Wunde und nutzte den Schrecken des Lairds, um unter ihm hervorzuschlüpfen und vom Bett zu springen. Er drückte die Hand auf seinen Bauch und betrachtete verwirrt das Blut, das zwischen seinen Fingern hervorquoll, fassungslos, dass seine eigene Bedienstete gewagt hatte, ihm das anzutun.

Ich rannte aus dem Gemach, so schnell mich meine Füße trugen.

In die Verblüffung über meinen rebellischen Akt und die Ruhe, mit der ich dabei vorgegangen war, mischte sich echte Panik. Wozu hatte ich mich eben verdammt? Zu strengster Bestrafung, verhängt von einem rachsüchtigen Laird, oder gar zum Tode. Oder aber zu einem Dasein als clanlose Vagabundin. Ich entschied mich für Letzteres.

Die Angst verlieh mir Flügel. Ich flog förmlich die Treppe hinunter und durch die Flure, die zur Küche führten. Bevor ich eintrat, blieb ich jedoch einen Moment stehen. Ich merkte erst jetzt, dass ich noch immer das blutige Messer in der Hand hielt, und steckte es hastig zurück in den Lederbeutel, wobei ich sorgfältig darauf achtete, dass kein Blut mehr zu sehen war. Dann brachte ich meine Kleidung in Ordnung und zwang mich, so ruhig zu wirken wie nur irgend möglich. Schließlich waren die Küchenmägde an meinen seltsamen Aufzug gewöhnt und auch daran, dass ich eigentlich immer hetzen musste, um meine Aufgaben pünktlich zu erledigen. In der Küche schnappte ich mir rasch eine große Tasche und stopfte mehrere Brotlaibe hinein, eine kleine Holzschüssel und, einer momentanen Eingebung folgend, auch Nadel und Faden und den kleinen Topf mit Heilsalbe, die ich erst gestern für Ismay zusammengerührt hatte.

Ismay stand neben einem der Tische und sortierte ihre Kräuter. Sie war meine engste Freundin und meine heimliche Lehrmeisterin in der Heilkunde. Sie sah mich erschrocken an, ihr war mein seltsames Verhalten aufgefallen. Ich umarmte sie kurz. Der Gedanke, dass ich sie vielleicht nie wiedersehen würde, schmerzte sehr. Verwirrt erwiderte sie die Umarmung und blickte mich aus ihren braunen Augen fragend an.

Die Hauptköchin Matilda war gerade damit beschäftigt, Befehle auf ihre Untergebenen niederprasseln zu lassen. Als ich an ihr vorbeiging, starrte sie mich mit der üblichen Missbilligung an. Misstrauisch musterte sie die Tasche, die ich trug.

„Der Laird braucht Hilfe“, sagte ich und schlüpfte, bevor sie weiter nachfragen konnte, durch die Tür ins Freie.

Ich rannte zu den Ställen. Jetzt, mitten am Vormittag, waren die Männer der Burg entweder beim Kampftraining, auf der Jagd oder auf den Feldern. Ich schnappte mir eine zweite Tasche, die ich hier versteckt und im Laufe der Zeit mit allen möglichen Dingen gefüllt hatte, die ich vielleicht einmal gut brauchen könnte. Sie enthielt einen pelzgefütterten Mantel, einen langen Strick, einen Feuerstein und ein kleines Schwert. Es war die Waffe, die ich benutzte, wenn ich mit Ronan und Ritchie übte. Die beiden Rotschöpfe waren Brüder, ungefähr in meinem Alter, und fanden mein Interesse am Training der Krieger unterhaltsam. Sie hatten viele Stunden damit zugebracht, mir das Kämpfen und Reiten beizubringen. Fähigkeiten, die mir nun sehr zugute kommen würden.

Ich wusste seit Langem, dass mein Schicksal anderswo zu suchen war, auch wenn die meisten Mitglieder meines Clans inzwischen vergessen hatten, auf welch geheimnisvolle Weise ich einst als kleines Mädchen von drei, vier Jahren zu ihnen gekommen war. Sie hatten mich längst akzeptiert, erst als Tochter eines Clan-Mitglieds, dann als Dienerin, die gut arbeiten konnte. Gelegentlich machte jemand eine Bemerkung über mein ungewöhnliches Aussehen: Mein Haar war so hell, dass es beinahe weiß wirkte, und meine Augen waren grün – damit stach ich zwischen meinen eher dunkleren Eltern und Freunden deutlich heraus. Aber alle hatten viel zu viel zu tun, um über meine fremdartigen Merkmale nachzugrübeln. Es galt, hungrige Mäuler zu stopfen, robuste Mauern zu errichten und ausreichend Getreide anzubauen. Da blieb wenig Zeit, um sich mit der Herkunft eines Findelkinds auseinanderzusetzen.

Aber ich hatte es nicht vergessen. Die Ungewissheit nagte an mir, die vielen ungeklärten Fragen beschäftigten mich am Tag und suchten mich nachts in meinen Träumen heim. Und ich war nicht willens, zu akzeptieren, dass es mir bestimmt war, als Dienerin eines tyrannischen Lairds zu enden, dessen unredliche Absichten ich aus jedem seiner Blicke lesen konnte, die er mir zuwarf, seit ich mündig war. Ich hatte immer gewusst, dass es einmal so weit kommen würde wie heute. Ich hatte auf diesen Tag gewartet.

Und nun war er da.

Im letzten Moment nahm ich noch einen der Kriegerhelme und stopfte ihn zu den anderen Sachen in meine Tasche.

Etliche Pferde grasten auf der Weide neben den Ställen. Ich zog einem kleinen Fuchs, den ich schon öfter geritten hatte, das Zaumzeug über und legte eine Satteldecke auf. Dann führte ich ihn neben einen Baumstumpf, den ich als Aufstiegshilfe nutzte, und schwang mich auf seinen Rücken. Der Fuchs spürte meine Aufregung und tänzelte verstört. Ich war dankbar dafür, dass die Stallburschen daran gewöhnt waren, mich reiten zu sehen. Zwar blickten sie kurz auf, widmeten sich dann aber sofort wieder ihren Aufgaben, ohne weiter auf mich zu achten.

Das Wichtigste war jetzt, die Ruhe vor dem Sturm zu nutzen und mich so weit wie möglich vom Ort meines Verbrechens zu entfernen. Der Laird war geschwächt durch den Blutverlust, vielleicht sogar bewusstlos und daher nicht in der Lage, den Befehl zu geben, mich zu verfolgen, einzufangen, zu schlagen und zu töten. Aber diese Schonfrist würde nicht lange währen. Ich war ganz sicher, dass er sich bald erholen würde, sofern ihn kein Fieber niederstreckte. Schließlich wusste keiner besser als ich, was für eine begnadete Heilerin Ismay war. Immerhin hatte sie mich die Kräuter sammeln lassen, die sie für ihre starken und wirkungsvollen Salben benötigte.

Ich trieb das Pferd an. Wir wurden immer schneller. In vollem Galopp preschten wir um den kleinen Teich herum und durch das weit geöffnete Tor aus dem Burghof.

Ich schaute nicht zurück.

Noch nie war ich so schnell geritten. Bald war das Fell meines Fuchses von weißem Schweiß bedeckt. Zum Glück war der Boden trocken, und es blies eine frische Brise. Wir würden also keine tiefen Hufspuren hinterlassen, und vielleicht waren sie schon vom Wind verweht, bevor unsere Verfolger aufbrachen. Ich ritt weiter. Der Himmel wurde erst rot und dann schwarz. Und noch immer trieb ich den Fuchs weiter an. Erst als er stolperte und mich dadurch fast abwarf, erlaubte ich ihm eine gemächlichere Gangart. Abgesehen vom Geräusch seiner Hufe bewegten wir uns nun fast lautlos durch die sternklare Nacht. Schließlich erreichten wir einen schmalen Bach, der sich im Mondschein durch die bewaldete Landschaft wand.

Ich stieg ab, um zu trinken und das Pferd eine Weile rasten zu lassen. Es fand einen kleinen Flecken Gras und fing emsig an zu rupfen und zu kauen. Das erinnerte mich an meinen eigenen Hunger, und ich aß fast das ganze Brot auf, das ich aus Matildas Küche gestohlen hatte. Ich fragte mich, wie es dort wohl gerade zugehen mochte. Vermutlich waren noch alle wach und redeten über meine skandalöse Tat und meine Flucht.

Ich legte mich für einen Augenblick hin. Die Tasche diente mir als Kissen, die Zügel wickelte ich fest um meine Hand. Ich schlief eine Weile und fuhr auf, als das Pferd am Zaumzeug zog.

Außer dem leisen Plätschern des Baches und den mahlenden Kaugeräuschen des Fuchses war nichts zu hören. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Schergen des Lairds mir auf der Spur waren. Dennoch fühlte ich mich alles andere als sicher: allein, heimatlos, eine Ausgestoßene. Mit Blut an den Händen und nur noch einem kleinen Brotlaib in der Tasche. Ich hatte keinen Unterschlupf und keinen Clan, der mir Schutz bot.

Natürlich hatte ich mir schon öfter überlegt, wohin ich mich wenden könnte, wenn ich einmal gezwungen sein sollte, aus der Burg zu fliehen. Keine der Möglichkeiten war besonders verlockend, aber ich beschloss, mich zu den Macduffs im Norden durchzuschlagen. Laird Ogilvies Nichte Una hatte vor ein paar Jahren eines der hochrangigen Mitglieder des Clans geheiratet. Vielleicht erinnerte sie sich noch an mich und würde mir erlauben, bei ihrem Clan zu bleiben und in der Küche zu arbeiten. Doch es konnte mehrere Wochen dauern, bis ich das Land der Macduffs erreichen würde.

Ich führte das Pferd zu einem umgestürzten Baumstamm und saß auf. Höchste Zeit, die Reise fortzusetzen. Ich war einigermaßen sicher, dass ich während meiner Flucht nach Nordwesten geritten war, und versuchte, mir die Karten ins Gedächtnis zu rufen, die der Laird und seine Männer so oft auf dem großen Tisch ausgerollt hatten, um über Scharmützel, Versammlungen, Hochzeiten und Verhandlungen zu debattieren. An manchen Tagen lagen diese Karten noch ausgebreitet da, wenn ich in den verlassenen Raum geschickt wurde, um ihn zu reinigen, und ich hatte darauf gestarrt, während ich die Kerzenhalter aus Zinn polierte. Die Namen klangen vertraut, ich hatte sie oft bei Tischgesprächen gehört, wenn ich das Essen auftrug. Ogilvie. Machardie. Stuart. Macduff. Mackenzie. Buchanan. Campbell. Macsorley. Morrison. Munro. Macintosh. Macallister. Weniger vertraut war ich allerdings mit der Lage der jeweiligen Territorien dieser Clans.

Ich zermarterte mir den Kopf, um den Verlauf der Grenzlinien, die die gezeichnete Landschaft durchschnitten, vor meinem geistigen Auge heraufzubeschwören. Ich hatte mich damals darum bemüht, zu entziffern, was auf den Karten stand, und die Form der Buchstaben mit den Namen der Clans zu vergleichen, die ich kannte, aber es war zu schwierig gewesen. Meine Mutter hatte zwar damit angefangen, mir das Lesen beizubringen, aber es gab kaum Zeit zum Üben, daher waren meine Kenntnisse begrenzt. Tatsächlich hatte meine Erziehung im Wesentlichen aus Gartenarbeit, Kochen, Putzen und anderen Haushaltspflichten bestanden. Und nachdem mein Vater gestorben war, verlangte mein neuer niedriger Rang von mir vor allem, stets demütig, freundlich und unterwürfig zu sein. Ich bin allerdings die Erste, die einräumt, dass es mir nie gelungen ist, diese Anforderungen zu erfüllen.

Es fiel mir leichter, mich an die Geschichten zu erinnern, die Laird Ogilvie und seine Männer sich über die Clans und über die Stärken und Schwächen ihrer Lairds erzählten. Sie sprachen oft über diese Dinge und machten mich so ohne ihr Wissen zur Eingeweihten. Ich saugte die Fülle an Informationen geradezu in mich auf, während ich ihnen Bier nachschenkte, ihre Teller auffüllte, ihre Befehle ausführte und geschickt ihren Grapschereien auswich.

Ich wusste aus diesen Erzählungen, dass die Ländereien des Mackenzie-Clans nördlich von Ogilvies Refugium lagen und sich weit nach Osten ausbreiteten. Laird Ogilvie hatte gesagt, dass die Mackenzies über ausgedehnte Felder und Wälder verfügten, ihr Gebiet war größer als sein eigenes. Von meinem jetzigen Aufenthaltsort aus musste es das nächstgelegene sein, vermutete ich.

Mackenzie.

Der Name bereitete mir Unbehagen.

Ich musste an eine Versammlung denken, bei der Laird Ogilvie und seine ranghöchsten Männer sich vor allem über die Mackenzie-Männer unterhalten hatten. Der Abend war bereits weit vorangeschritten, die Zungen entsprechend gelöst.

„Letztes Jahr, im Scharmützel um das begehrte Stück Land am Loch Ossian“, hatte einer der Männer gesagt. „Vollkommen tödlich, dieser Laird Mackenzie. Er sah seinen Vater unter dem Schwert eines Feindes sterben, und als Antwort hieb er eine Schneise durch Campbells Truppen, dass mir das Blut in den Adern gefror. Er ist verrückt. Bösartig und absolut tödlich.“

„Ja“, fügte ein anderer hinzu. „Er ist groß, und seine wilde schwarze Mähne lässt ihn noch gefährlicher aussehen.“

Laird Ogilvie teilte die Meinung seiner Leute. „Knox Mackenzie ist gefährlich, vorsichtig und darüber hinaus ein schrecklicher Griesgram. Es mag ja sein, dass seine Leute begnadete Bauern sind. Ihre Felder und Obstgärten sind fruchtbar, und ihre Ernte ist stets so reich, dass sie damit nicht nur ihren gesamten Clan durchfüttern, sondern auch noch einen guten Teil davon bei den anderen Clans gegen wertvolle Waren eintauschen können. Aber er selbst ist schroff und abweisend, zeigt keine Spur vom Verhandlungsgeschick seines Vaters. Und wie heißt doch gleich der zweitälteste Bruder? Wilkie, stimmt’s? Ich halte ja das, was man über seine Schwertkunst erzählt, für übertrieben. Aber die Frauen liegen ihm zu Füßen. Sie umflattern ihn wie aufgeregte Vögelchen. Daher dürfte es ein Leichtes sein, ihn zu besiegen. Er ist zu abgelenkt.“ An dieser Stelle waren die Männer in lautes Gelächter ausgebrochen. „Ja, und dann ist da noch der jüngste Bruder, Kade“, fuhr Ogilvie fort. „Ein Wilder. Immer bis an die Zähne bewaffnet. Er schaut jeden Mann so an, als würde er ihn am liebsten umbringen.“

„Die Schwestern hingegen“, warf einer der Männer mit schwerer Zunge ein, „sind sehr erfreulich anzusehen.“ Diese Bemerkung wurde mit einem nur allzu vertrauten lüsternen Lachen kommentiert. Dann sprach der Laird weiter: „Ich bin ja schwer versucht, ihre Burg zu überfallen und mir einen Teil ihrer Vorräte zu holen.“

„Nur zu!“, rief der andere. „Und wenn wir schon dabei sind, dann schnappe ich mir die Schwestern.“

Die Vorstellung, über einen der Mackenzie-Brüder zu stolpern, während ich mich an ihrem Wohnturm vorbeischlich, war nicht gerade verlockend. Aber mir ging dieser Satz von Laird Ogilvie nicht aus dem Sinn: Ihre Felder und Obstgärten sind sehr fruchtbar.

Schon allein bei dem Gedanken fing mein leerer Magen an zu knurren. Und plötzlich war mir egal, wie bedrohlich die Mackenzie-Brüder waren. Der Plan, der in mir heranreifte, sah keine persönliche Begegnung mit ihnen vor. Sie würden gar nichts von meiner Anwesenheit mitbekommen. Ich hatte es allein auf ihre reiche Ernte abgesehen. Der Hunger bekräftigte meinen Entschluss: Ich würde mich zur Burg der Mackenzies aufmachen – und so viel von ihren Vorräten stehlen, dass ich in den nächsten Tagen und Wochen auf meiner Reise in den Norden genug zu essen hätte. Ein riskantes Unterfangen, gewiss, aber ich hatte keine andere Wahl – es gab in den windgepeitschten Highlands keine andere Nahrungsquelle für mich. Ich bereute jetzt, dass ich Ritchie und Ronan nie gebeten hatte, mir das Bogenschießen beizubringen. So hätte ich zumindest jagen können. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als mich in den Gärten der Mackenzies zu bedienen – falls ich sie finden würde.

Das ist also nun aus mir geworden, dachte ich bitter. Eine diebische, heimatlose Herumtreiberin. Und dies nur deshalb, weil ich die Zudringlichkeiten von Laird Ogilvie nicht ertragen konnte. Offenbar schien mir das Schicksal einer Vagabundin erstrebenswerter zu sein als das einer Mätresse. War ich komplett übergeschnappt? Immerhin hatte ich oft über diese Frage nachgedacht, seit mir klar war, dass der Laird unredliche Absichten hegte. Letztlich war ich meinem Gefühl gefolgt und hatte meine Entscheidung mit Leib und Seele getroffen. Ich spürte einfach, dass es mir nicht gegeben war, mich zu fügen.

Demzufolge hatte es jetzt auch keinen Sinn, mich über meine Situation zu beklagen. Schließlich hatte ich alles kommen sehen. Und mich entsprechend vorbereitet. Ich war noch immer verblüfft darüber, wie schnell, geschickt und – bis jetzt – erfolgreich ich meine Flucht organisieren konnte. Weder Selbstmitleid noch Selbstverachtung würden meine Lage verbessern. Mir blieb nichts anderes übrig, als zur Burganlage der Mackenzies zu reiten, einen günstig stehenden Baum zu finden und dann im Schutz der Dunkelheit über die Mauer zu klettern, die den Wohnturm umgab.

Plötzlich hörte ich das Geklapper von Pferdehufen. Es kam von Süden, aus der Richtung, aus der ich gekommen war.

Keine Frage, Ogilvies Schergen waren mir dicht auf den Fersen.

Ich trieb meinen Fuchs zu größter Eile an, vorbei an vereinzelt stehenden Kiefern. Auf der rechten Seite lag ein weites, mit struppigem Heidekraut bewachsenes Feld, auf der anderen Seite erhob sich ein felsiger Hang. Er war zu steil für ein Pferd, aber ich konnte auf keinen Fall über das offene Feld reiten; man würde mich schon von Weitem sehen. Und wenn ich auf dem geraden Weg bliebe, hätten mich meine Verfolger bald eingeholt – ihre Pferde waren größer und schneller. Sie ritten Kriegsrösser, ich hatte nur einen kleinen Fuchs.

Der jetzt plötzlich ohne Vorwarnung wieherte, stieg und mich abwarf. Ich landete hart, sprang aber rasch wieder auf, viel zu verängstigt, um mich mit blauen Flecken aufzuhalten.

Männerstimmen kamen näher. „Schwärmt aus!“, rief einer.

Ich packte die Zügel des scheuenden Fuchses, zog die Satteldecke von seinem Rücken und wedelte damit vor ihm herum. Das Tier galoppierte davon, auf den Suchtrupp zu. Ich rannte nach links und begann, den Felshang zu erklimmen.

„Das Pferd!“, schrie einer der Männer. Er war noch zu weit entfernt, um mich entdecken zu können – zumindest hoffte ich das.

Aber ein anderer Verfolger war näher herangekommen und preschte nun direkt auf mich zu. Ich konnte mich nirgends verstecken, die knorrigen Bäume standen nicht dicht genug.

Nach ein paar Sekunden hatte der Krieger mich erreicht. Ich packte mein kleines Schwert und stellte mich ihm entgegen. Ich wusste, dass jeder Widerstand zwecklos war, sobald er die anderen herbeigerufen hatte. Sie würden mich überwältigen, verprügeln und zu Ogilvie zurückbringen, damit er mich bestrafen konnte.

Aber der Krieger griff nicht nach seinem Schwert. Stattdessen nahm er den Helm ab, unter dem zerzaustes feuerrotes Haar zum Vorschein kam. „Roses! Ich bin’s, Ritchie.“

Ritchie. Mein Freund und Lehrmeister, der mir beigebracht hatte, wie man kämpft und wie man die Waffe richtig hält, so wie ich es jetzt tat.

„Gute Technik.“ Er lächelte kurz, wurde aber gleich wieder ernst. „Ich werde dich nicht verraten, Roses. Aber du musst schnell sein. Tu alles, was in deiner Macht steht, um zu entkommen. Du darfst auf keinen Fall zurückkehren. Ich weiß nicht, was du angestellt hast, um Laird Ogilvie derartig gegen dich aufzubringen, aber er ist wild entschlossen, dich wieder einzufangen. Er hat Suchtrupps in alle Richtungen losgeschickt. Er will, dass du gefunden wirst, um jeden Preis.“ Er schaute über die Schulter zu den sich nähernden Kriegern. „Lauf! Bevor die anderen dich erwischen.“

„Ritchie“, sagte ich und rang erleichtert und dankbar nach Atem.

„Lauf!“ Sein Ton wurde dringlicher. „Alles Gute, Roses.“

Die unmissverständliche Warnung in seiner Stimme trieb mich zur Flucht. Ich wandte mich noch einmal um, denn ich wollte ihm danken, sah aber nur noch das Hinterteil seines Pferds. Dann waren Ross und Reiter in einer Lichtung verschwunden.

Ich kletterte so schnell ich konnte über die zerklüftete Felswand, hoch und immer höher, es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis ich schließlich eine geschützte grasbewachsene Felsnische erreichte. Meine Brust und meine Beine brannten vor Anstrengung, und ich setzte mich kurz hin, um Atem zu schöpfen. Ich befand mich inzwischen so hoch über den Weiden und Wiesen, dass ich einen herrlichen Ausblick über die Felder hatte.

Mein Herz setzte einen Moment aus, als ich auf einem Hügel, der sich ganz in der Nähe erhob, die hoch aufragende, aus Stein errichtete Hauptburg der Mackenzies entdeckte … Kinloch Castle, wenn ich mich recht erinnerte. Ich konnte sogar winzig kleine Gestalten erkennen, die sich über das weite Burggelände bewegten. Rund um den Wohnturm befanden sich weitere kleinere Gebäude aus Holz oder Stein. Und ich sah viele Morgen Land: grün und golden gestreifte Getreidefelder, unterbrochen von kunstvoll angelegten Obstgärten und Weinreben, die das farbenfrohe Bild um orangefarbene, rote, grüne und gelbe Tupfer bereicherten. Wie es aussah, stand die Ernte unmittelbar bevor. Alles wirkte auf mich viel fruchtbarer und gepflegter als in Ogilvies Burg – und ausgesprochen einladend, vor allem wenn ich an meinen knurrenden Magen dachte.

Die Mauer, die sich um den Burghof und die Gärten zog, war mindestens zwei Mann hoch. Doch wenn es mir gelang, aus ein paar Ästen und dem Seil, das ich dabeihatte, eine Leiter zu fertigen, könnte ich sie wohl überwinden.

Ich wollte die verbleibenden Stunden des Tages dazu nutzen, mir einen Unterschlupf zu suchen, in dem ich nach meinem Raubzug die Nacht verbringen würde. Zu meiner großen Erleichterung fand ich rasch eine geeignete Stelle. Der Steilhang war durchzogen von kleinen Höhlen, die durch gewaltige Felsbrocken und eng stehende Bäume vor Wind geschützt wurden. Ich suchte mir eine aus, die nicht allzu eng war und tief in den glatten Fels hineinschnitt. Im hinteren Teil führt ein schmaler Spalt im Gestein nach oben ins Freie, sodass mein behagliches Versteck sogar über etwas Tageslicht verfügte.

Aufgeheitert durch diesen Erfolg und die Aussicht auf eine Mahlzeit machte ich mich auf die Suche nach passendem Holz für meine Leiter. Zunächst stieß ich auf einen Wasserfall, der sich in ein natürliches Becken ergoss. Ich löschte meinen Durst, wusch meine Hände und mein Gesicht und fing an, dünne, aber kräftige Zweige zu sammeln.

Dann kehrte ich in die Höhle zurück und wand das Seil um die Längsseiten und Sprossen meiner behelfsmäßigen Wurfleiter – die mir hoffentlich Zugang zu den Gärten der Mackenzies verschaffen würde.

Nun blieb nichts mehr zu tun, als darauf zu warten, dass sich die Dunkelheit schützend über meine neue und recht angenehme Bleibe senkte. Ich packte die notwendigen Dinge in meine Tasche und überprüfte noch einmal die Tragfähigkeit der Leiter. Dann schnallte ich meinen Gürtel, an dem Messer und Schwert hingen, fester um die Taille, flocht meine Haare zu einem lockeren Zopf, den ich im Nacken zusammenrollte, und setzte den Kriegerhelm auf. Sollte mich jemand beobachten, wollte ich nicht als Frau erkannt werden. Dann machte ich mich auf den Weg.

Die Mauer um den Burghof war weiter entfernt, als ich angenommen hatte. Erst nach einer Stunde Fußmarsch erreichte ich erschöpft und hungrig mein Ziel. Ich versuchte, beides zu ignorieren, und warf die Leiter über die Mauer. Oben angekommen kauerte ich mich hin und lauschte gespannt, doch nichts rührte sich. Dann spähte ich vorsichtig über das Burggelände. Ich konnte niemanden entdecken, zog vorsichtig die Leiter hoch und versteckte sie an der Innenseite der Mauer – mein Fluchtweg. Dann kletterte ich in den Burghof hinunter und fand mich am Ufer eines Gewässers wieder. Am anderen Ende des kleinen Teiches erhob sich der mächtige Wohnturm der Mackenzies. Außerdem erkannte ich die Silhouetten von Gartenhecken und die Umrisse von knorrigen, mit Obst beladenen Bäumen. Ich schlich am Ufer entlang, bis ich mein Ziel erreicht hatte, und fing an zu ernten. Von der ersten Birne musste ich gleich ein paar hastige Bissen nehmen. Sie war unbeschreiblich süß. Ich pflückte so viele Früchte, wie ich tragen konnte, und eilte dann am Wasser entlang zurück zu meiner Leiter.

Überrascht stellte ich fest, dass am Horizont der Morgen graute. Ich hatte mir zu viel Zeit gelassen. Sehr bald würden Bedienstete auftauchen, um den ersten Pflichten des neuen Tages nachzugehen. Und ich befand mich noch immer innerhalb der Burgmauern! Ich ging schneller und zog meinen Helm fester. Endlich hatte ich das Versteck der Leiter erreicht. Ich zog sie heraus und warf sie wieder über die Mauer. Doch als ich meinen Fuß auf die unterste Sprosse setzte, hörte ich hinter mir ein Geräusch.

Ein Platschen.

Ich drehte mich um und erblickte einen Mann, der aus dem Teich stieg.

Einen sehr großen muskulösen Mann.

Er war nackt.

Und er sah direkt zu mir herüber.

Schweigend starrten wir uns erschrocken an. Doch er fing sich rasch wieder und kam auf mich zu. Das brachte mich in Bewegung. So schnell ich konnte erklomm ich die Wurfleiter und zog sie hinter mir hoch. Dann sprang ich auf den Boden. Die Tasche mit den Früchten hatte ich mir auf den Rücken geschnallt. Ich ließ die Leiter liegen und rannte um mein Leben. Ich schaute nicht zurück, aber ich wusste, dass dieser Mann mir folgte.

Ich lief, bis meine Beine unter mir nachzugeben drohten. Mein Rücken schmerzte unter dem Gewicht des Diebesguts. Mühsam taumelte ich den Hang hinauf.

Ich hörte, wie der Mann aufholte.

„Halt!“, brüllte er, und seine Stimme schien sich in meinen Körper zu bohren und mein Herz zu packen. Ich war außer mir vor Angst. Sein Befehl war nicht nur lautstark gewesen, er kam auch aus nächster Nähe.

Ich blieb stehen.

Meine Höhle lag gleich auf der anderen Seite des Felsvorsprungs, der vor uns aufragte. Ich ließ meine Tasche fallen und drehte mich um. Dann zog ich das Schwert aus dem Gürtel.

Der Mann war jetzt vollständig bekleidet. Und er trug ebenfalls ein Schwert. Es war viel größer als meins.

Und soweit ich sehen konnte, war er allein.

Das Erste, was mir an ihm auffiel – dass er sehr groß war, und zwar in jeder Hinsicht, hatte ich ja bereits gesehen –, war seine betörende Erscheinung. Das feuchte schwarze Haar reichte bis zu seinen Schultern. Wie bei Angehörigen eines Clans üblich, hatte er an beiden Schläfen einen dünnen Zopf abgeteilt und zurückgesteckt. Obwohl etwa zehn Schritte zwischen uns lagen, konnte ich erkennen, dass seine Augen leuchtend blau waren. Die wilde Schönheit seiner Gesichtszüge machte mich ganz schwindlig – und nicht nur vor Furcht.

„Wer bist du?“, wollte er wissen. Seine breite Brust hob und senkte sich unter seinen tiefen, schnellen Atemzügen.

Ich schwieg, denn ich hatte keineswegs die Absicht, meine Identität preiszugeben, denn womöglich würde er mich zu Laird Ogilvie zurückbringen.

Er hob das Schwert und wiederholte seine Frage, ruhiger diesmal, aber nicht minder herrisch. „Ich habe gefragt, mit wem ich spreche.“

Auch ich hob meine Waffe. Sie war weniger beeindruckend als seine, aber ich wusste sie zu gebrauchen. Ich hatte schließlich monatelang mit Kriegern trainiert und dabei gelernt, dass ein kurzer Stoß ebenso wirkungsvoll sein kann wie ein weit ausholender Schwung.

„Du willst tatsächlich mit mir kämpfen?“ Sein Ton war leicht spöttisch. Es war dumm von mir, ihn herauszufordern. Aber ich wollte nicht auf diesem Hügel hier sterben, unter den Händen dieses schönen Kriegers, und so hatte ich keine andere Wahl, als zu kämpfen.

„Zeig dein Gesicht“, forderte er.

Ich ließ den Helm, wo er war.

„Bitte geht.“ Ich versuchte, meine Stimme tiefer tönen zu lassen.

Zwischen seinen Brauen bildete sich eine kleine Falte, so als könne er sich keinen Reim auf die Situation machen. „Ich werde nicht gehen, bevor du dich mir nicht offenbart hast“, sagte er.

„Das kann ich nicht.“

„Dann müssen wir wohl kämpfen. Du bist dabei erwischt worden, wie du von unserem Grund und Boden gestohlen hast. Diebstahl wird mit dem Tode bestraft. Wenn du ein Motiv für dein Vergehen hast, dann solltest du es nennen.“

„Ich hatte Hunger“, bekannte ich mit tiefer, durch den Helm gedämpfter Stimme.

Sein herzzerreißend schönes Gesicht nahm einen verwirrten Ausdruck an. „Das ist ein guter Grund. Sag mir, wer du bist, dann darfst du deine Beute behalten. Aber nur wenn du versprichst, uns nicht noch einmal zu bestehlen. Zeig dein Gesicht.“

„Das kann ich nicht.“

Er schien leicht belustigt und lächelte, was mich ärgerte. „Du kannst nicht?“, wiederholte er. „Warum denn nicht?“

Meine Furcht und noch etwas anderes ließen meine Selbstbeherrschung schwinden. Ich versuchte, mich zusammenzureißen. „Geht jetzt! Lasst mich in Ruhe! Hier, nehmt Euer Obst. Ich werde verschwinden und Euch nicht weiter belästigen.“

Sein Lächeln erstarb, und mir fiel zu spät ein, dass ich vergessen hatte, meine Stimme zu verstellen. Er sprach jetzt ganz langsam, als wolle er sicher sein, dass ich ihn verstand. „Ich fürchte, dass ich nicht gehen werde. Jedenfalls nicht, bevor ich weiß, mit wem ich es zu tun habe.“

Wir standen einander gegenüber, mit erhobenen Schwertern.

Er trat einen Schritt vor. Ganz offensichtlich fühlte er sich nicht im Geringsten von mir bedroht. Er hob sein Schwert leicht an, es sah aus, als wolle er damit meinen Helm zurückschieben.

Ich ließ meine Waffe auf seine krachen.

Der Schlag hatte ihn überrascht, und er erwiderte ihn so schnell, dass ich kaum Zeit hatte, darauf zu reagieren. Wir standen jetzt nahe beieinander, sodass seine Klinge beim Gegenangriff über meinen Arm schnitt. Ein scharfer Schmerz schoss durch mich hindurch. Während ich zu Boden stürzte, streifte meine Klinge seine Seite. Er knurrte und hieb mit solcher Wucht auf mein Schwert, dass es mir in hohem Bogen aus der Hand flog. Ich konnte hören, wie es sich ein paarmal sirrend in der Luft drehte, bevor es mit einem Klirren weit außerhalb meiner Reichweite landete.

Ich lag benommen da, kämpfte gegen den Schmerz und versuchte, nicht ohnmächtig zu werden. Er stand über mir. Aus seiner Wunde strömte das Blut. Er kniete sich hin und nahm mir den Helm ab. Mein Zopf hatte sich gelöst, und mein Haar fiel über meine Schultern.

Mit offenem Mund starrte er mir ins Gesicht. Sprachlos ließ er seinen Blick über mich gleiten. Er nahm eine Strähne meines Haars und rieb sie sanft zwischen zwei Fingern, offenbar fasziniert von der Farbe.

„Du bist ein Mädchen“, sagte er dann.

„Stimmt.“

In seiner Miene lag ein eigenartiger Ausdruck von Ehrfurcht, und mir war, als berührte dies mich an Stellen, die nie zuvor berührt worden waren. Es fühlte sich an, als öffne sich ihm ein Teil meines Wesens wie eine Blume, die zum ersten Mal die Sonne sieht. Ich sehnte mich danach, mehr von dieser Verbindung zu spüren, wollte seinen Duft und seinen Anblick mit allen Sinnen in mich aufnehmen. Doch sein Antlitz war zu schön, zu wunderbar. Ich war geblendet und wie betäubt. Und auch er wirkte in diesem Augenblick völlig überwältigt.

Erst nach einer ganzen Weile fand er die Sprache wieder. Seine Stimme klang heiser. „Du bist ein Engel“, sagte er fassungslos.

„Nein, das bin ich nicht.“

„Ein Engel, der so schön ist, dass er mir den Verstand raubt. Und der Männerkleidung trägt.“

Er hockte sich neben mich. Der vordere Teil seiner Tunika war jetzt blutdurchtränkt.

„Warum habt Ihr mich angegriffen?“, fragte ich. „Nun habe ich Euch verwundet.“ Ich war im Nachhinein entsetzt darüber, dass es meine Hand, meine Waffe gewesen war, die diesem überirdischen Wesen Schaden zugefügt hatte.

„Das hätte ich nicht getan“, gab er zurück, „wenn du meinem Befehl gefolgt wärst.“

Meine Lider fühlten sich ungewohnt schwer an. „Stimmt“, gab ich zu. „Das ist eine meiner Schwächen. Ich bin nicht besonders gut darin, Befehle zu befolgen.“

Seine Hände lagen auf meinem Arm, nahe der Wunde, unter der sich bereits eine rote Lache gebildet hatte. „Du bist auch verletzt.“

„Nicht so schlimm wir Ihr, glaube ich.“

Wie es aussah, musste seine Wunde genäht werden. Hatte ich Nadel und Faden dabei? Ich konnte mich nicht erinnern. Eine Art Nebel hatte sich über mein Gedächtnis gelegt.

„Die Höhle“, sagte ich.

Er beäugte mich misstrauisch, und trotz der misslichen Umstände lag noch immer ein Anflug von Belustigung in seinem Blick. „Von welcher Höhle sprichst du, Mädchen?“

Ich zeigte in die entsprechende Richtung, und er beugte sich vor, um mir aufzuhelfen. Sein Duft und die Hitze, die er ausströmte, umfingen mich nicht nur, sie schienen mich zu durchdringen. Ich konnte den Druck seines warmen, kräftigen Schenkels durch die Schichten meiner Kleidung hindurch spüren, als er mich stützte. Mit letzter Kraft führte ich ihn zur Höhle, und er, so groß und wild er auch war, schwankte ebenfalls leicht.

„Dort ist es.“ Ich war nicht sicher, ob ich nicht im nächsten Moment ohnmächtig und hilflos vor ihm niedersinken würde. Vorsichtig kroch ich auf Händen und Knien durch den Eingangsspalt und ließ mich erleichtert auf das einladend warme Lager fallen, das ich hergerichtet hatte. Der blutüberströmte Krieger folgte mir und legte sich neben mich. Wir sahen einander an, und das leuchtende Blau seiner Augen schien sich in mich hinein zu ergießen. Sein Blick schenkte mir Trost und Freude, wie ich sie seit Langem nicht mehr empfunden hatte, vielleicht sogar noch nie. Sollte ich jetzt sterben müssen, so war es mir doch zumindest vergönnt, in der Gegenwart dieses wunderbaren Kriegers dahinzuscheiden, und dafür war ich unendlich dankbar.

„Ich bin Wilkie Mackenzie“, ließ er mich wissen.

Das war also Laird Mackenzies berüchtigter Bruder! Ich konnte nur allzu gut verstehen, warum man sich erzählte, dass ihm alle Frauen zu Füßen lagen.

Ermutigt durch sein Bekenntnis offenbarte ich meinen Namen. „Ich bin Roses.“ Ich war den größten Teil meines Lebens eine Ogilvie gewesen, doch nun hatte ich alle Bande zu diesem Clan zerschnitten. Ich war allein.

„Roses“, wiederholte er. Es klang, als befriedige ihn diese Auskunft. Er hakte nicht weiter nach. „Ein ungewöhnlicher Name.“ Seine Augen glitzerten in dem gedämpften Licht. „Es ist mir ein Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen, Roses.“

„Jetzt übertreibt Ihr aber, Krieger“, flüsterte ich. „Ich glaube kaum, dass ich Euch Vergnügen bereitet habe.“

Seine Lider waren jetzt ebenfalls schwer. „Wenn wir überleben“, murmelte er schläfrig, „sollten wir das unbedingt wiedergutmachen.“

„Ja“, antwortete ich noch. „Das sollten wir unbedingt.“

Und dann überwältigte mich die Dunkelheit.

2. KAPITEL

Als ich erwachte, brauchte ich eine Weile, um mich zu erinnern, wo ich war. Mein Körper schien unter einem schweren Gewicht gefangen, und in meinem Arm pochte ein dumpfer Schmerz.

Ich blinzelte, um meine Augen an die dämmrige Umgebung zu gewöhnen.

Die Höhle.

Durch den schmalen Spalt fiel schräg das helle Licht des späten Nachmittags. Ich hatte mehrere Stunden geschlafen.

Der Krieger lag so dicht neben mir, dass ich die Bartstoppeln auf seinem jetzt friedlichen Gesicht sehen konnte, das von dunklem langem Haar umrahmt war. Ich konnte mich nicht zurückhalten und streckte den Arm aus, um die dichte, seidige Pracht zu berühren. Ich strich ihm die Strähnen aus der hohen Stirn und zeichnete mit den Fingern die geflochtenen Zöpfe an seinen Schläfen nach. Seine Züge waren kühn und markant, so scharf und doch sanft im Dämmerlicht hier an unserem Zufluchtsort. Oder in unserem Grab, je nachdem, was die Zukunft bereithielt.

Er hatte den Arm um mich geschlungen, sodass ich gegen seinen großen erhitzten Leib gedrückt wurde. Ich versuchte, mich wegzurollen, aber er packte mich nur noch fester und stöhnte leise auf. Er war bewusstlos. Ich machte erneut Anstalten, mich zu befreien, aber er ließ sich nicht von der Stelle bewegen.

Sollte ich versuchen, mich aus seiner Umarmung zu schleichen, die Tasche mit dem Proviant zu schnappen und Richtung Norden zu fliehen?

Ich verwarf diesen Gedanken sofort. Ich war zu schwach und wusste nicht, wie schwer meine Verletzung war. Oder seine. Und ich hatte keineswegs die Absicht, ihn hier seinem Schicksal zu überlassen. Ich erinnerte mich noch allzu gut an seinen Gesichtsausdruck, nachdem er meinen Helm entfernt hatte, daran, wie fasziniert er mich ansah, wie der Blick seiner blauen Augen förmlich in mich drang und ganz neue prickelnde Gefühle auslöste. Ich musste daran denken, wie ich plötzlich meine eigene Hitze spüren konnte, meiner eigenen Haut gewahr wurde wie nie zuvor, ja, mehr noch: meines eigenen Lebens.

Ich würde es riskieren.

„Krieger“, sagte ich, um ihn zu sich kommen zu lassen.

Er reagierte nicht.

„Wilkie“, versuchte ich es erneut. „Ihr müsst mich loslassen, damit ich mich um Eure Wunde kümmern kann und um meine eigene. Ich hole Wasser, damit Ihr trinken könnt.“

Er schlug die Augen auf. Sie leuchteten sogar im Halbdunkel blau.

„Roses“, murmelte er.

„Ja. Ich bin’s. Lasst mich los, Krieger.“

„Küss mich, Engel. Bevor ich mein Leben aushauche.“

Sein Blick wurde klarer, und es schien mir, als könne ich ein kurzes Funkeln darin erkennen. Ich war auf der Hut vor ihm, vor allem seiner Größe und Stärke wegen, aber auch, weil er mich auf eine Weise berührte, die ich nicht kannte. Ich wollte mich aus seinem Griff lösen und mich gleichzeitig noch enger an ihn schmiegen.

„Lasst Ihr mich dann los?“

In seinen Augen sah ich den Anflug eines Lächelns, das jedoch nicht seine Lippen erreichte. „Ja“, flüsterte er.

Ich drückte meine Lippen sanft an seine. Es sollte ein flüchtiger, schneller Kuss sein, nichts anderes als das Mittel zum lebenswichtigen Zweck, möglichst schnell unsere Verletzungen zu versorgen. Doch als ich seinen Mund auf meinem spürte und seinen warmen Atem auf meinem Gesicht, brachte ich es nicht fertig, mich von ihm zu lösen. Ich ließ meine Lippen, wo sie waren, und genoss die zarte Berührung. Dann küsste er mich zurück, ganz sanft. Ich hob den Kopf, alarmiert von dem, was ich empfand.

„Lasst mich los, Krieger!“

Er gehorchte und löste seinen Arm von meinem Körper. Doch die Bewegung verursachte ihm große Pein. Er stöhnte, schloss die Augen und ließ sich auf unser behelfsmäßiges Lager zurücksinken. Ich erkannte, dass er tatsächlich ziemlich schwer verletzt war. Der gesamte vordere Teil seiner Tunika war blutgetränkt. Ihm schwanden erneut die Sinne.

Ich sprang auf, ohne auf den brennenden Schmerz in meinem linken Arm zu achten. Mit meinem Messer schnitt ich Wilkies Tunika auf und legte die klaffende Wunde frei, die ich ihm mit eigener Hand zugefügt hatte. Der Schnitt war länger als gedacht, aber nicht ganz so tief, wie ich befürchtet hatte, und verlief in einer schrägen Linie seitlich unter seiner Brust. Erleichtert stellte ich fest, dass es eine saubere Wunde war, die ich einigermaßen leicht nähen konnte. Ismay hatte mich oft beim Versorgen und Nähen von Verletzungen helfen lassen, obwohl Laird Ogilvie es ihr einmal verbot. Sie aber konnte kein Arg darin finden und freute sich, eine so eifrige Schülerin zu haben.

Ich war unendlich dankbar dafür, dass ich in der Hast meines Aufbruchs daran gedacht hatte, Nadel, Faden und die Heilsalbe mitzunehmen; ich würde jetzt alles sehr gut brauchen können. Doch zunächst musste ich seine Wunde reinigen. Ich schaute mich nach einem geeigneten Gefäß um, mit dem ich Wasser transportieren konnte, und entdeckte die Holzschüssel. Ich schnappte sie mir, lief nach draußen zu dem Wasserfall, füllte sie und eilte zur Höhle zurück.

Wilkie war noch immer bewusstlos – gut für das, was ich vorhatte. Ich musste mehrmals zum Wasserfall gehen, bis ich das ganze Blut von seinem Leib gewaschen hatte. Anschließend nähte ich die lange Wunde sehr sorgfältig, bevor ich die Heilsalbe darauf verteilte. Der Prozess strengte mich an, und als ich fertig war, fühlte ich mich matt und erhitzt. Ich schnitt einen sauberen Streifen von seiner Tunika ab, um die Wunde damit zu verbinden, aber er rührte sich nicht trotz meiner Versuche, ihn anzuheben. Der Mann war ungefähr doppelt so schwer wie ich, und ich war mit meiner Kraft am Ende. So legte ich den Stoffstreifen fürs Erste über ihn und schob die Enden unter seinen Rücken. Ich würde sie zusammenbinden, wenn er erwachte.

Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um die eleganten Linien seines Oberkörpers zu bewundern. Er war so kräftig, die Muskeln waren fein geschwungen und wohlgeformt. Auf Brust und Armen hatte er viele Narben, helle Linien auf seiner sonnengebräunten Haut. Ich zeichnete einige davon sanft mit dem Finger nach und stellte mir die Schlachten vor, die er geschlagen hatte: um Land, Ehre und Frauen. Ich war eindeutig nicht die erste Person, die sich mit diesem kampferprobten Highlander angelegt hatte.

In diesem Moment spürte ich meine eigene Verletzung wieder. Ich war so vertieft gewesen in die Aufgabe, den Krieger zu behandeln, dass ich mich selbst ganz vergessen hatte. Doch jetzt flackerte der Schmerz wieder auf. Mein Körper fühlte sich ungewöhnlich heiß an, ja, an manchen Stellen schien er zu kribbeln.

Ich ging erneut zum Wasserfall, kauerte mich an den Rand des felsigen Beckens und zog rasch meine Tunika aus, allerdings nicht, ohne vorher die kleine Schmucknadel zu entfernen, die daran steckte. Sie hatte meiner Mutter gehört, mein Vater hatte sie ihr am Tag ihrer Hochzeit geschenkt. Die Nadel war das Einzige, was mir von meinen Eltern geblieben war, und ich trug sie jeden Tag. Ich hielt kurz inne, um sie zu betrachten und meine Finger über die glatte Oberfläche gleiten zu lassen. Es war ein Gänseblümchen mit geschwungenen Blütenblättern aus Silber. In der Mitte saß ein Bernstein, der jetzt in der Sonne funkelte. Der Name meiner Mutter war Daisy gewesen, Gänseblümchen. „Die hübscheste, süßeste aller Blumen“, pflegte mein Vater zu sagen. „Meine Daisy, meine Roses. Ich habe meinen eigenen Blumengarten hier im Haus. Meine beiden schönen Mädchen.“

Ich legte die Nadel auf einen kleinen Stein an der Seite des Beckens und schrubbte meine Tunika im Wasser, um das Blut auszuwaschen. Die Erinnerung an meine Eltern war friedlich und doch schmerzhaft. Ihre Freundlichkeit und Großzügigkeit waren für immer verloren. Ich hängte die Tunika über einen Zweig, damit sie im Wind trocknen konnte.

Ich wusch mir den Schweiß vom Gesicht, formte die Hände zur Schale, schöpfte Wasser und trank. Dann reinigte ich sorgfältig meine Wunde. Es brannte wie Feuer und trieb mir das Wasser in die Augen. Doch das Schwert hatte die Haut eher geritzt als geschlitzt, die Verletzung würde wohl nicht genäht werden müssen. Ich konnte den Schnitt mit Heilsalbe einreiben, verbinden und dann sich selbst überlassen. Und ich würde die Narbe, die mir Wilkie Mackenzie zugefügt hatte, für immer tragen. Wie ein Siegel.

Es sieht aus wie ein Siegel.

Ich schüttelte die unangenehme Erinnerung ab und konzentrierte mich darauf, trocken zu werden, und zwar möglichst schnell. Der Krieger konnte jeden Augenblick zu sich kommen. Vielleicht waren seine Clan-Angehörigen ihm längst auf der Spur – oder mir. Ganz bestimmt hatten sie sein Verschwinden inzwischen bemerkt. Schließlich war es Stunden her, seit er mich an der Mauer erwischt hatte – als er aus dem Teich gestiegen war. Ich verweilte noch ein wenig bei dieser Erinnerung. Trotz meiner Panik war mir nicht entgangen, wie prachtvoll er war. Ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der so schön war und so … nackt. Und nicht ein Hauch von Schamgefühl besaß. Nur Selbstgewissheit.

Ich trug jetzt nur noch mein dünnes ärmelloses Hemd, das ich kürzer gemacht hatte, damit es zur Reitkleidung eines Mannes passte. Vorerst verzichtete ich darauf, die Tunika wieder anzulegen. Ich wollte meine Wunde, die wieder blutete, nicht mit dem dickeren Stoff reizen. Ich nahm das Oberteil in die Hand, packte die mit frischem Wasser gefüllte Schüssel und ging zur Höhle zurück.

Er war immer noch bewusstlos, was mich leicht beunruhigte.

Ich bestrich meine Wunde mit Heilsalbe. Als der brennende Schmerz abklang, wickelte ich einen Stoffstreifen, den ich ebenfalls von der Tunika des Kriegers abgeschnitten hatte, mehrfach fest um den Arm. Ich hatte nichts anderes außer meiner eigenen Kleidung, und sein Gewand war ohnehin nicht mehr zu retten.

Ich ließ mich neben dem Lager nieder und legte die Hand auf Wilkies Stirn. Noch fieberte er nicht.

Er brauchte eine erfahrene Heilerin, die über ausreichend Wissen, Kräuter und Tinkturen verfügte. Würde er bald aufwachen? Wäre er imstande, den Rückweg durch die Berge zu meistern? Er sollte etwas trinken.

Ich hob seinen Kopf behutsam in meinen Schoß.

„Krieger“, flüsterte ich in sein Ohr. „Ihr müsst trinken. Wacht auf! Ich habe frisches Wasser.“

Er stöhnte leise und blinzelte. Ich hielt die Schale an seine Lippen.

„Los, trinkt! Das Wasser ist kalt und wird Euren Durst stillen.“

Er schluckte gierig und trank die Schüssel fast leer. Das erleichterte mich. Ich stellte das Gefäß ab und strich ihm das Haar aus der Stirn. Er sah mich an. Sein Blick war unergründlich. Eine gewisse Wildheit lag darin und noch etwas anderes. War er immer noch wütend auf mich? Wenn ich ihn versorgte und tröstete, würde er mir mein Verbrechen vielleicht verzeihen. Ich verstieg mich sogar zu der Vorstellung, dass er mich gehen lassen würde und ich meine Schuld bei ihm abarbeiten könnte, indem ich Aufgaben für ihn erledigte wie nähen oder Heilsalbe anrühren oder … sogar Gartenarbeit. Hochfliegende Hoffnungen, das war mir klar. Denn es war höchst unwahrscheinlich, dass er mir in den Grenzen seines Besitzes vertrauen würde. Und was war mit mir? Durfte ich diesem Krieger und seiner Sippe vertrauen? Schließlich waren mir die Absichten und Vorgehensweisen tyrannischer Lairds und ihrer Gefolgsleute nicht fremd, und ich war misstrauisch.

Der Krieger streckte den Arm aus, zuckte vor Schmerz zusammen, ließ sich aber nicht davon abbringen, mein Haar zu berühren. Ich hatte es noch nicht wieder geflochten, seit es sich während unseres Kampfes gelöst hatte. Die langen, fast weißen Strähnen ergossen sich offen über meine Schultern und streiften seinen Arm. Er vergrub seine Finger darin. Dann hielt er mein Haar an seine Wange und rieb es sanft an seiner Haut.

„Du hast mich allein gelassen“, klagte er.

„Nur für einen Moment“, erwiderte ich. „Um meine Wunde zu waschen.“

Sein Blick wanderte zu meinem Arm.

„Ich habe dich verletzt.“ Es klang, als fiele es ihm erst jetzt wieder ein.

„Ja, aber ich werde es überleben. Und ich habe Euch verletzt. Nun muss ich Euch versorgen.“

Er drehte den Kopf ganz leicht, sodass seine Wange meine Brust berührte. Ich errötete ob dieser Nähe, denn ich war noch nicht dazu gekommen, meine Tunika überzuziehen. Unter anderen Umständen wäre die Tatsache, dass ich nur ein dünnes Hemd trug, geradezu skandalös unschicklich gewesen. Der Krieger atmete jetzt heftiger, sodass ich die heißen Atemzüge durch den hauchdünnen Stoff spüren konnte. Wo seine Hitze mich traf, löste sie ein intensives Prickeln aus, das sich auf meiner Haut erst zu glühenden Inseln zusammenzog und dann ausbreitete – bis in meinen Bauch hinein und noch tiefer. Obwohl ich es nicht wollte, reagierte mein Körper. Meine Brustwarzen, seinem Mund so nahe, richteten sich hart und spitz auf, es war ein beinahe schmerzhaftes Gefühl.

Und er bemerkte es. Seine Pupillen weiteten sich, schluckten das Blau seiner Augen. Dieser plötzlich so dunkle Blick ließ ihn umso gefährlicher wirken.

Ich war verunsichert, sodass ich schon überlegte, wie ich mich aus seiner Nähe zurückziehen konnte, aber seine Finger ließen mein Haar nicht los.

„Es ist so hell“, sagte er. „Wie Weizen. Wie Honig. Wie Gold.“

In Wahrheit wollte ich gar nicht weglaufen. Seine Berührung war zu köstlich. Ich wusste, dass es sündig war, an solchen Dingen Vergnügen zu haben, aber das war jetzt wahrlich nicht meine größte Sorge. Ich war eine Diebin und Verräterin. In den letzten beiden Tagen hatte ich zwei Männern Stichwunden zugefügt, so viel Essen gestohlen, wie ich tragen konnte, und nun war ich hier mit einem furchterregenden Krieger gefangen, der mich genauso gut töten wie retten konnte. Die Liste meiner Untaten wurde stündlich länger. Einen attraktiven Fremden zu küssen, war eine vergleichsweise harmlose Verfehlung. Überrascht von meinem eigenen Verlangen beugte ich mich gerade so weit vor, dass sein Mund nur ein winziges Stückchen näher kam …

… und hörte auf zu denken, als seine Lippen sich um eine meiner Brustwarzen schlossen. Selbst durch den dünnen Stoff meines Hemdes hindurch spürte ich einen köstlichen Druck, während er meine harte Brustspitze tiefer in seinen Mund zog, sie mit der Zunge umspielte und mit den Zähnen sanft daran knabberte. Die Reibung entfachte eine Glut, die durch meinen Körper strömte und sich zwischen meinen Schenkeln sammelte. Meine Mitte erblühte unter der flirrenden Hitze und fing an, erwartungsvoll zu pochen.

Ich seufzte, und auch ihm entschlüpfte ein leises Stöhnen, als er nach meiner anderen Brust griff. Er umfing sie mit seiner großen Hand, streichelte sie, und mein Leib erbebte unter dem sanften Druck seiner kreisenden Finger.

Das Verlangen, das er in mir weckte, verwirrte mich. Aber ich leistete keinen Widerstand, als er mein Hemd anhob und meine Brüste entblößte. Er keuchte, es klang tief und wild, doch er berührte mich ganz behutsam, rieb zärtlich an meinen Brustwarzen, umfing sie mit den Lippen. Nun war kein Hindernis mehr zwischen meiner Haut und seiner geschmeidigen Zunge, und das süße, aufregende Sehnen, das ich empfand, seit ich das erste Mal in seine Augen geblickt hatte, steigerte sich ins Unermessliche. Während er die harten Spitzen meiner Brüste mit Zunge und Zähnen reizte und liebkoste, schwoll das beinahe schmerzhafte Pochen darin zu einer pulsierenden Wonne an, die mein Herz, meine Mitte, meine Seele erreichte und mich völlig überwältigte. Ich hielt seinen Kopf in meinen Händen, streichelte sein Haar, bot mich ihm dar.

„Engel“, flüsterte er rau. „Du bist ein Traum, und doch kann ich dich spüren. Ich habe niemals so viel gespürt. Spürst du mich auch?“

„Ich spüre dich, Krieger. Ich spüre dich ganz und gar. Überall.“

„Wie kannst du hier sein, in meinen Armen, und mich so verbrennen? Du kannst nicht wahr sein. Wer hätte gedacht, dass der Tod so bezaubernd und so schmerzlich schön ist?“

Das Ende des Satzes war kaum mehr verständlich, und mir ging auf, dass er fantasierte und sein schwerer Atem und sein Seufzen nicht unbedingt ein gutes Zeichen waren. Außerdem musste er aufpassen, dass seine Wunde sich nicht wieder öffnete, was durchaus passieren konnte, wenn er seinen Arm weiter so fest um meine Taille schlang. Ich löste mich aus seinem Griff – was mir wohl nur deshalb gelang, weil er so schwer verletzt war –, legte seinen Kopf sanft auf den Fellen unseres Lagers ab und streckte mich neben ihm aus.

„Du musst dich ausruhen, Krieger. Ich bleibe bei dir.“ Ich glättete sein zerzaustes Haar mit den Fingern.

„Roses“, murmelte er und sah mich unverwandt an.

„Ja, ich bin hier.“

„Wo kommst du her?“, fragte er. „Warum bist du allein?“

Vor ein paar Stunden erst hatte ich mein Schwert gegen ihn erhoben, um ihm genau dieses Wissen vorzuenthalten. Aber nun lag ich neben ihm und berührte zärtlich seine Brust, und seine Hand lag liebevoll an meiner Wange. Und plötzlich war ich bereit, ihm alles zu geben, was er von mir verlangte. Ich wollte seine Neugier befriedigen und noch viel mehr.

„Ich bin vom Ogilvie-Clan.“

„Ogilvie?“ Er betrachtete mich nachdenklich. „Du siehst nicht aus wie eine Ogilvie.“

„Ich bin auch nicht als Ogilvie zur Welt gekommen. Man hat mich an Kindes statt angenommen, als ich drei oder vier Jahre alt war.“

„Woher stammst du ursprünglich?“

„Das weiß ich nicht, Krieger. Meine Herkunft ist ein Rätsel.“ Die einzigen verdammten Hinweise waren eine kleine Tätowierung und mein unstetes Wesen. „Und nun arbeite ich auf Ogilvies Burg als Küchenmagd. Oder vielmehr habe ich das getan. Bis gestern.“

Er strich mit dem Daumen über meine Unterlippe und musterte mich ebenso eindringlich wie ich ihn. Ich konnte seine fast unerträgliche Schönheit bis in die Magengrube spüren.

„Ich habe noch viele Fragen, geheimnisvoller Engel“, raunte er. „Aber vorher musst du mich noch einmal küssen. Deine Lippen sind so süß. Wenn ich sterben muss, dann möchte ich dich dabei schmecken. Küss mich, Engel, dann sterbe ich als glücklicher Mann.“

„Du stirbst nicht, Krieger.“ Allein der Gedanke war mir unerträglich. Ich musste Hilfe holen. Ich legte die Hand auf seine Stirn. Sie fühlte sich heiß an.

Er murmelte etwas, das wie bitte klang.

Ich beugte mich über ihn und strich mit dem Finger über sein raues Kinn. Seine blauen Augen waren wie ein Traum, seine Lippen eine einzige Verlockung. Ich legte meinen Mund auf seinen, wie ich es schon einmal getan hatte. Er hob die Hand und umfasste meinen Nacken, und trotz seines geschwächten Zustands war sein Griff unwiderstehlich fest. Er hielt mich und erwiderte den Kuss. Ich spürte seine Zunge über meine Oberlippe streichen und dann sanft zwischen meine Lippen gleiten, die sich unwillkürlich öffneten und ihn tiefer einließen. Er schmeckte nach Begehren und einem süßen, erregenden Hunger. Ich gab mich der Liebkosung hin, genoss die Vereinigung unserer Münder und wünschte mir, sie würde niemals enden. Noch nie hatte ich etwas empfunden, das dem Gefühl glich, das dieser Krieger in mir auslöste, indem er meine Zunge mit seiner umtanzte.

Er schien alles um sich herum zu vergessen und versuchte, sich über mir aufzurichten und mich enger an seine Brust zu ziehen. Doch die Bewegung war zu qualvoll. Er fiel zurück, und sein Griff löste sich.

„Krieger?“, flüsterte ich, aber er reagierte nicht.

Ich konnte hierbleiben und über ihn wachen und mein Bestes geben, um ihm zu helfen. Aber ich war keine erfahrene Heilerin. Ismay hatte mir in unseren vielen gestohlenen Augenblicken einiges beigebracht und immer wieder meine natürlichen Fähigkeiten gelobt. Doch ich wusste, dass ich noch viel lernen musste.

Ich musste seine Familie aufsuchen, und zwar schnell. Sie würden ihn nach Hause holen, in seine bequemen Gemächer, zu ihren Heilern, die über einen ganzen Vorrat an hilfreichen Mitteln verfügten, und zu ihren Köchen, die herzhafte Brühen und Bier für ihn bereithielten. Dort würde er die beste Pflege bekommen, die ein Mann haben konnte.

Autor

Juliette Miller
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Der Mackenzie Clan