Julia Exklusiv Band 271

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TAUSENDUNDEINE WÜSTENNACHT von STEPHENS, SUSAN
An Märchen glaubt Casey nicht - bis sie Scheich Rafik al Rafar begegnet! Mit heißen Küssen und prickelnden Zärtlichkeiten entführt der feurige Wüstensohn sie ins Reich der Sinne. Casey ist verzaubert und schenkt Rafik ihr Herz. Aber meint er es wirklich ernst mit ihr?

UND PLÖTZLICH IST ES LIEBE! von LANG, KIMBERLY
Die Hochzeit seines besten Freundes birgt für Matt eine explosive Überraschung: Zwischen Trauzeugin Ella und dem überzeugten Single fliegen die Fetzen! Doch heftigen Streitereien folgt eine leidenschaftliche Nacht. Und plötzlich sehnt Matt sich nach einer Beziehung!

VERFÜHRUNG IN LAS VEGAS von RICE, HEIDI
Verzweifelt und nur mit einem Bademantel bekleidet sitzt Kate in einem Luxushotel in Las Vegas fest! In ihrer Not wendet sich Kate an den Hotelier Nicolas Boudreaux. Er ist nicht nur reich, sondern so sexy, dass Kate sich in das größte Liebesabenteuer ihres Lebens stürzt …


  • Erscheinungstag 22.04.2016
  • Bandnummer 0271
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707613
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Stephens, Kimberly Lang, Heidi Rice

JULIA EXKLUSIV BAND 271

1. KAPITEL

Ihr Rucksack war tonnenschwer. Als Casey ihn mit aller Kraft vom Gepäckkarussell riss, hätte sie eine Frau neben sich fast am Auge getroffen. Unzählige Schnallen und Riemen machten das Gepäckstück noch sperriger, unter der Verschlusslasche kämpften ein Seil, ein wasserdichter Schlafsack und ein Paar Sandstiefel um die letzten Millimeter Platz.

Für den Flug hatte Casey sich das lange blonde Haar zurückgebunden und trug eine Baseballkappe, deren Schirm sie nach hinten geschoben hatte, was ihr ein draufgängerisches Aussehen verlieh.

Nachdem sie in letzter Minute erfahren hatte, dass sie als Marketingleiterin zur Entwicklungsagentur von A’Qaban ins Landesinnere geschickt würde, hatte sie Designerkostüm und Stöckelschuhe wieder ausgepackt und dafür einen Safarianzug und praktische Outdoortreter im Rucksack verstaut. Doch hier befand sie sich nicht auf einem Landstreifen in der entlegensten Gegend von A’Qaban, sondern auf dem A’Qaban International Airport, wo nur noch riesige Plakatmotive an die Wüste erinnerten und jedes Sandkorn sofort sorgfältig wegpoliert wurde.

Wie bei allen wichtigen Kunden, die sie für ihre Firma betreute, hatte Casey sich auf diesen Auftrag gründlich vorbereitet. Kurz vor Abflug der Maschine nach A’Qaban hatte man ihr jedoch mitgeteilt, ihre Reiseroute sei geändert worden –, und das von keinem anderen als dem kürzlich gekrönten König Scheich Rafik al Rafar bin Haktari persönlich. Seine Majestät habe darauf bestanden, seine wichtigsten Angestellten in privaten Einzelgesprächen kennenzulernen, ehe die Regierungsgeschäfte ihn zu sehr in Anspruch nehmen würden.

Überrascht, dass einer zukünftigen Mitarbeiterin wie ihr so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, hatte Casey sich erst geschmeichelt gefühlt –, bis man ihr sagte, dass Raffa, wie der Scheich seit seiner Zeit in Eton und der anschließenden militärischen Spezialausbildung genannt wurde, wissen wolle, mit wem er es zu tun hätte, um inkompetenten Angestellten seiner Geschäftsorganisation zu kündigen.

Und nun stand sie hier mitten in einer Art Märchenland – ausstaffiert wie ein Naturparkwärter –, ohne rettende Berufskleidung.

Dabei hatte sie zu Hause einen Schrank voll eleganter Kostüme und Hosenanzüge! Aber es hatte keinen Sinn, wütend auf sich selbst zu sein. Sie war nun einmal hier und musste sehen, wie sie zurechtkam.

Casey rückte sich den Rucksack zurecht, um ihn besser tragen zu können. Es war bekannt, dass der Scheich von A’Qaban seine Angestellten erbarmungslos auf Herz und Nieren prüfte. Darauf hätte sie sich einstellen müssen. Nun saß sie in der Patsche, aber nicht lange. Sobald sie durch den Zoll war, würde sie in der Einkaufspassage ihres Hotels Abhilfe schaffen.

Konnte erotische Ausstrahlung Glas durchdringen? Gebannt verfolgte er, wie Casey Michaels durch die Gepäckhalle ging. Etwas an dieser Frau faszinierte ihn. Sogar in dem Aufzug sah sie toll aus … komisch, aber sexy!

Erstaunlicherweise sogar noch besser als die durchgestylte Modepuppe, deren Foto er in ihrer Mappe vorgefunden hatte. Doch das musste eine alte Aufnahme sein. Inzwischen war sie zu einem aufregenden Geschöpf erblüht –, sie war nicht mehr so dünn, ihr langes blondes Haar quoll seidig unter der hässlichen Baseballkappe hervor. Trotz der unvorteilhaften Kleidung war sie eine Klassefrau … volle, sinnliche Lippen, offener direkter Blick … und dieser entschlossene Gang!

Wie sie gekleidet war, ließ sich leicht ändern. Für seine heutige Begutachtung hatte er sich in Jeans und T-Shirt geworfen. Die offiziellen langen Gewänder trug er nur, wenn die Situation es erforderte. In einem weiblich geschnittenen Designerkostüm würde auch Casey Michaels in eine neue Rolle schlüpfen.

Die Vorstellung, sie von ihrer westlichen Kleidung zu befreien und die wahre Frau darunter zu entdecken, gefiel ihm besser, als er sich eingestehen durfte. Nachdenklich strich er sich über das unrasierte Kinn, versuchte, sich ihren Körper unter dem unförmigen Safari-Outfit vorzustellen.

Eine unschuldige Jungfrau! jubelte sein Herz.

Aber Geschäft ist Geschäft, und Vergnügen …

Er zwang sich, an den eigentlichen Grund für Casey Michaels Besuch zu denken. Konnte sie andere motivieren, führen? War sie bereit, für ihre Leute zu kämpfen? Nur das zählte. Die Existenz Tausender stand auf dem Spiel, und nur die Stärksten seiner leitenden Angestellten würden seine Rationalisierungseinschnitte überstehen.

Doch diese Frau hatte etwas Besonderes an sich. Er verließ seinen Aussichtspunkt. Zeit, ihr nachzugehen, wenn er sie nicht aus den Augen verlieren wollte. Nachdem er sich bei den Zollbeamten bedankt hatte, verließ er den Beobachtungsraum. Er war erregt, wie stets, wenn die Jagd begann. Aber das war in Ordnung. Etwas Verrücktes tat ihm gut, er brauchte frischen Wind in seinem Leben.

In seinem Leben?

Geschäft verbunden mit Vergnügen?

Unauffällig begab er sich in der Flughafenhalle in das Menschengewühl. Einige Leute erkannten ihn, manche reagierten überrascht, viele gar nicht. Die Frage war: Würde sie ihn erkennen?

Seine allgegenwärtigen Leibwächter wussten, dass sie unsichtbar bleiben mussten. Inmitten der Menschenmenge hatten weniger aufmerksame Angestellte ihn für einen normalen Reisenden gehalten –, was ihm nur recht sein sollte. Er suchte Leute, die Neues, Einzigartiges nach A’Qaban brachten, doch bisher war er enttäuscht worden. Außerdem mischte er sich gern unters Volk. So fühlte er den Puls seines Landes, konnte die Stimmung seiner Landesbürger ausloten – und die Tüchtigkeit seiner Angestellten.

Passen Sie auf sich auf, Casey Michaels!

Ein Schauer überlief Casey. Sie spürte, dass sie beobachtet wurde. Jemand ging ihr nach, ein Mann, der mächtiger war als die Flughafenbeamten, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte. Alle Alarmglocken läuteten, es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren.

Unmöglich! versuchte Casey, sich einzureden – und stieß gegen eine Glastür.

Au! Unwillkürlich verzog er das Gesicht und beobachtete, wie Casey sich fing und mit aufrechtem Gang weiter der Menge folgte, die der Einreisekontrolle entgegenstrebte. Wenigstens schien Casey sich nicht wehgetan zu haben. Eins musste er ihr lassen, zimperlich schien sie nicht zu sein.

Ohne sie aus den Augen zu verlieren, ging er ihr auf dem Obergeschoss etwas voraus. Sie arbeitete für ihn und stand unter seinem Schutz. Ihr Besuch gehörte zu seinem Ausleseverfahren, also musste er fair sein. Wie alle Kandidaten musste sie die Feuerprobe bestehen, und wie bei den anderen würde er für ihre Sicherheit sorgen.

Nicht, dass er sich für sie persönlich interessierte. Um Casey Michaels musste er sich nur etwas mehr kümmern. Ansonsten würde er ihr gegenüber ebenso höflich sein wie zu den anderen Kandidaten.

Tatsächlich?

War er von den übrigen Bewerbern auch so fasziniert wie von Casey Michaels?

Im Internet hatte Casey sich die mächtige Konstruktion aus Stahl und Glas des A’Qaban International Airport angesehen, doch auf die Größe der Flughafenanlage war sie nicht gefasst gewesen. Der Prachtbau aus Kristall, Bronze und Glas, die Sauberkeit und der schwache Gewürzduft in der Luft erregten sie und schlugen sie in ihren Bann.

Sie genoss die fremdartigen Laute der arabischen Sprache, das Rascheln der langen Gewänder, die Geräusche nackter Füße in Sandalen. Allein schon die Strecke zur Einreiseabfertigung war eine exotische Einführung in die geheimnisvolle Welt des Orients. Überall von den Wänden blickten offizielle Porträts des mächtigen jungen Landesherrschers auf Casey herab und verursachten ihr Herzklopfen.

Schließlich blieb sie stehen, um sich ein Bild näher anzusehen. Das gleiche Foto hatte sie zu Hause. Es zeigte den prächtig gekleideten Herrscher im traditionellen Gewand eines Beduinenkriegers. In westlicher Kleidung hatte sie ihren zukünftigen Chef noch nirgends abgebildet gesehen. Suchend blickte sie in die Runde und entdeckte die königliche Flagge an einem Mast mitten in der Flughafenhalle: Auf leuchtend blauem Untergrund prangte ein silberner Halbmond, unter dem ein auf den Hinterpranken stehender Löwe warnend brüllte.

Der Löwe war Scheich Rafiks persönliches Wappenzeichen. Es passte zu einem Mann, der für Eton gerudert, für Oxford Rugby gespielt und während seiner Ausbildung bei den Spezialtruppen geboxt hatte, ehe er sich in der Geschäftswelt und seinem Land durchsetzte. Rafik al Rafar war der unumstrittene Alphalöwe im Arabischen Golf, ein Mann, der für seine eigenwilligen, gnadenlosen Methoden bekannt war und von seinen Leuten das Gleiche erwartete.

Ein Schauer überlief Casey. Bald würde sie diesem Mann persönlich gegenüberstehen!

Beeindruckt von der Tüchtigkeit der Flughafenangestellten, hatte Casey sich in die schnell voranrückende Schlange eingereiht und dachte an ihre Funktion in der Organisation des Scheichs. Ihr starkes persönliches Interesse an diesem Land hatte sicher dazu beigetragen, dass man ihr dieses Projekt zutraute. Etwas Aufregenderes, als am Wiederaufbau A’Qabans mitzuarbeiten, hätte sie sich kaum vorstellen können. Der Staat wurde vom türkisfarbenen Meer und Granitbergen gesäumt, seine moderne Hauptstadt konnte es mit jeder anderen Weltmetropole aufnehmen. Casey war entschlossen, dazu beizutragen, dass das Land sich zu einem bedeutenden Touristenmekka entwickelte.

Außerdem verfügte A’Qaban über ein kostbares, bisher noch weitgehend unentdecktes Juwel, das sie für besonders reizvoll hielt: seine von der Zivilisation fast unberührte Wildnis im Landesinneren, wo es nur wandernde Beduinenstämme gab, die unter der besonderen Schirmherrschaft von Scheich Rafik al Rafar standen.

Casey schwebten sorgfältig überwachte Safaris, Öko- und Bildungsausflüge und für die übrige Welt interessante archäologische Ausgrabungen vor, bei denen die Bewegungsfreiheit der Beduinen und ihre Kultur bewahrt wurden.

Enttäuscht presste Casey die Lippen zusammen. Jetzt befände sie sich vermutlich bereits mitten in der Wüste, wenn der Scheich nicht in letzter Minute beschlossen hätte, sie anderweitig einzusetzen. Warum hätte sie sich sonst ausstaffiert wie eine Komparsin aus Indiana Jones, sodass sie mehr Blicke auf sich zog als ein streunendes Kamel? Aber nun, wenn das die einzige Enttäuschung blieb …

Erwartungsvoll zückte Casey ihren Reisepass, als das seltsame Gefühl sie erneut überkam. Jemand beobachte sie. Hier fand eine Jagd statt –, bei der sie die Beute war. Aber vielleicht hatte sie in letzter Zeit auch zu viele Abenteuerfilme gesehen. Der Stapel DVDs, die sie abends in ihrer Wohnung abarbeitete, bewies, dass es ihr an einem aufregenden Privatleben mangelte.

Die Schlange vor der Passkontrolle rückte langsam auf, und Casey rief sich zur Ordnung. Die Kollegen hatten sie gewarnt, dass Rafik al Rafar sich nicht an die üblichen Spielregeln hielt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie das gereizt. Es stellte eine Herausforderung für sie dar. Doch jetzt, mitten im Menschengewühl der fremden Welt, war sie sich ihrer Sache nicht mehr so sicher.

Entschlossen verdrängte sie das Gefühl, verfolgt zu werden. Sie wollte jeden Moment dieser Reise genießen, selbst hier in der Flughafenhalle, die eher wie die Lobby eines Sechssternehotels anmutete. Überall gab es Wasserfontänen, um die Sinne zu beruhigen und die Luft zu kühlen, üppige grüne Pflanzen und sogar Palmen, die ihre spitzen Finger zum glitzernden Glasdach emporreckten.

Dennoch fühlte Casey sich hier irgendwie fehl am Platz. In dieser geschäftigen, zielorientierten Welt kam sie sich wie ein Staubfleck auf einem eleganten Kostüm vor. Natürlich machte sie sich nichts vor. Sie war nur ein unbedeutender Bauer auf dem Schachbrett des Scheichs. Wenn sie den richtigen Zug nicht zur rechten Zeit tat, schied sie im Handumdrehen aus dem Spiel aus.

Eine Gruppe halb verschleierter einheimischer Frauen mit kajalumrandeten Augen zog Caseys Aufmerksamkeit auf sich. Mit ihren wallenden langen Gewändern huschten sie wie Schmetterlinge an ihr vorbei. Als sie ihnen zulächelte, lächelten sie zurück.

Die A’Qabani schienen freundliche Menschen zu sein. Könnte sie doch ihre Sprache verstehen! Zu gern hätte sie Zugang zu ihrer verborgenen Welt gefunden und mehr von ihr erfahren. Doch wie die Wüste im Landesinneren würde die Erfüllung dieses Wunsches warten müssen.

Ohne Zwischenfall passierte Casey die Einreisekontrolle, und auch bei der Zollabfertigung wurde sie zu ihrer Überraschung einfach durchgewinkt. Komisch, dass sie keinerlei Aufmerksamkeit erregte, obwohl sie in ihrem Wüstenaufzug als Einzige nicht hierher passte. Aber musste sie nicht froh darüber sein? Ihr war nicht danach, ihren Vorrat an weiten Slips und Unterhemden vor den Zollbeamten in ihren makellosen einheimischen Gewändern und Kopfbedeckungen ausbreiten zu müssen.

Casey blickte zum Ausgang und beschleunigte den Schritt. Da sie nicht erwartete, abgeholt zu werden, würde sie sich ein Taxi nehmen und sich zum nächsten Hotel fahren lassen. Dort konnte sie sich frisch machen, das Büro anrufen und einige Einkäufe tätigen.

Doch kaum hatte sie die Halle halb durchquert, als die Menge vor ihr zur Seite wich. Im nächsten Moment war sie von Furcht einflößenden Wachen in schwarzen Tuniken und weiten Hosen umringt. Alle trugen tödlich aussehende Dolche am Gürtel.

Entsetzt machte Casey kehrt, doch es gab kein Entrinnen.

Alles Blut wich aus ihrem Gesicht, während die Männer sie mit ausdrucksloser Miene stellten. So etwas war ihr noch nie passiert. Das war die schrecklichste Erfahrung ihres Lebens! Was hatte sie falsch gemacht?

Sie sollte es schnell erfahren. Der Kreis der Wachen öffnete sich, und ein Mann trat vor. Ein umwerfend aussehender Einheimischer in Jeans.

Genauer gesagt: in engen Jeans, Wüstenstiefeln und perfekt sitzendem T-Shirt. Erst auf den zweiten Blick wurde Casey bewusst, dass der Fremde sie scharf musterte. Er hatte zerzaustes dunkles Haar, dunkle Augen und sinnliche Lippen … und trug einen Ohrring!

Im ersten Moment wusste Casey nicht, was sie tun sollte. Der Mann war bedrohlich groß und wie ein kampferprobter Kickboxer gebaut. Sie atmete tief ein und gab sich gefasst. Der Scheich durfte sie nicht auf dem falschen Fuß erwischen!

„Sie sind schneller, als ich dachte, Casey Michaels.“

Scheich Rafik al Rafar hat unglaubliche dunkelbraune Augen, dachte sie benommen und brachte stolpernd einen Hofknicks zustande. „Euer Majestät …“

„Lassen Sie die Floskeln, und nennen Sie mich Raffa.“

Raffa …

Er war der bestaussehende Mann, der ihr seit Langem begegnet war. Seine Stimme ging ihr auf seltsame Weise unter die Haut, er sprach fast akzentfrei. „Raffa.“

Ahlan wa sahlan, Casey Michaels.“

Schwang da ein Hauch von Spott mit? Konnte der berüchtigte Scheich Gedanken lesen? In seinen Augen erschien ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Ihr Herz schlug schneller, als der Herrscher von A’Qaban mit der Hand seine Brust, die Lippen und dann seine Stirn berührte.

Ahlan wa sahlan beek, Euer königliche … Raffa.“ Casey senkte den Blick. Nur gut, dass sie sich zu Hause wenigstens einige grundlegende Redensarten seiner Sprache angeeignet hatte. Als sie den Blick wieder hob, sah sie, dass der Landesherr sie interessiert beobachtete. Gab er ihr eine zweite Chance?

„Kommen Sie“, forderte er sie auf.

Wohin? fragte sie sich beunruhigt. Zur nächsten Maschine nach Hause?

Raffa führte sie zu einem Büro mit einem Schreibtisch und zwei einfachen Stühlen. Aufatmend betrat Casey den Raum, während der Herrscher den Sicherheitsleuten bedeutete, draußen zu warten, und die Tür schloss.

„Was haben Sie in Ihrem Rucksack, Casey?“, fragte er und drehte sich zu ihr um.

Nun verstand sie gar nichts mehr.

„Ihr Rucksack“, drängte er.

Sie stellte das Gepäckstück auf den Boden und lehnte sich an den Schreibtisch.

„Machen Sie ihn auf.“

Ihr schoss das Blut in die Wangen. Scheich Rafar al Rafiks Gesicht wirkte entschlossen. Dieser Mann hatte so gar nichts von einem typischen König an sich. Vor ihr stand ein harter Wüstensohn, bei dem man nicht um Gnade flehte.

Beherzt öffnete Casey den Rucksack und richtete sich auf. Es ist rein geschäftlich, sagte sie sich und kämpfte ihre Unsicherheit nieder. Im Job war sie Spitzenklasse, nur Männer waren das Problem. Wenn es zu privat wurde … Im Geschäftsleben waren Männer ganz normale Menschen wie andere auch. Doch wenn sie dieses Umfeld verließen, änderte sich alles. Männer, die so umwerfend aussahen wie der Scheich, hätten sie unter normalen Umständen gar nicht bemerkt und schon gar nicht mit ihr gesprochen. Genau genommen hatte sie überhaupt keine Erfahrung mit einem so …

Ihr wurde bewusst, dass sie gebannt auf Raffas Lippen blickte, und riss sich zusammen.

„Zeigen Sie mir einfach, was sich darin befindet, Casey.“

2. KAPITEL

„Ich soll Ihnen zeigen, was in meinem Rucksack ist?“ Blitzschnell ging Casey im Geist den Inhalt durch. Ihre Auswahl an weiten weißen Baumwollslips und Unterhemden dürfte Raffa kaum beeindrucken.

„Setzen Sie sich, wenn Sie möchten“, schlug er vor und kam zu ihr herüber.

Damit ich zu Ihnen aufblicken muss? „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber stehen.“

„Wie Sie wollen.“

Und ob sie wollte! Das war ja Teil des Problems! Zu diesem Mann aufblicken zu müssen, war beunruhigend. Raffa brauchte nur mit den Schultern zu zucken, um ihr bewusst zu machen, wie breit sie waren. Unwillkürlich wich Casey ein Stück zurück, als er unmittelbar vor ihr stand.

„Ich wollte mich nur vergewissern, wie weit Sie sich auf die Wüste vorbereitet haben.“

Sein durchdringender Blick, seine Nähe hatten eine elektrisierende Wirkung auf sie. Dieser Mann spielte mit ihr, begutachtete sie, versuchte, ihre Grenzen auszuloten. Er verwirrte und erregte sie zugleich. Natürlich war sie rein geschäftlich hier, doch seine athletische Gestalt in der eng sitzenden Kleidung ließen sie an Dinge denken, die sie sich nicht gestatten durfte.

Auf einmal war sie den Tränen nahe. Casey Michaels, die selbstbewusste Geschäftsfrau, drohte die Fassung zu verlieren. Falls sie diesen Auftrag erhielt, weil sie eine Frau war, sollte sie besser auf der Stelle nach Hause fliegen.

Das hatte er noch nie getan –, einen Kandidaten gleich nach der Landung in ein Büro führen zu lassen, um ihn unter die Lupe zu nehmen. Persönlich. Auch bei Casey Michaels gab es dazu eigentlich keinen Grund. Doch sie interessierte ihn. Vielleicht, weil er befürchtete, sie könnte auch nur eine hirnlose, oberflächliche Blondine sein, wie er sie im Lauf der Jahre zur Genüge kennengelernt hatte. Und für solche Damen war kein Platz in seiner Organisation.

Als sie das erste Ausrüstungsstück aus dem Rucksack nahm, erkannte er, dass Casey Michaels aus anderem Holz geschnitzt war. Das Foto in ihrer Personalakte war ebenso irreführend wie sein eigenes offizielles Porträt. Wenn er ihr den Posten übertrug, würde er sie als Erstes anweisen, Imagekampagnen für die Firmen seines Landes ausschreiben zu lassen.

Casey konnte nur hoffen, alles Wichtige eingepackt zu haben, denn hier stand so viel auf dem Spiel. Als Erstes holte sie einen Plastikbeutel aus dem Rucksack, in dem sie Trinkwasser sammeln konnte.

Raffa lächelte anerkennend.

Als Nächstes hielt Casey einen Spiegel hoch, mit dem sie Blinksignale aussenden konnte, falls sie sich verirren würde.

Der Spiegel trug ihr lobendes Nicken ein.

Ebenfalls zutage kamen Schere, Schnur und Feuerstein.

„Eine Schere?“

„Und mein Schweizer Armeemesser, Klappspaten und Wasserkanister. Hier ist der wasserdichte Reißverschlussbeutel, in dem alles verpackt war.“ Casey hielt die Folie hoch.

Mit einer Handbewegung bedeutete Raffa ihr fortzufahren.

Eine Schachtel Wasseraufbereitungstabletten, sechs Röhren Salztabletten, eine große Dose Insektenschutzmittel, Erste-Hilfe-Kasten.

„Und eine Landkarte haben Sie auch dabei?“, fragte Raffa.

„Natürlich.“ Casey kramte die in einer Klarsichthülle steckende Karte aus dem Rucksack. „Und einen Kompass.“

Diesmal belohnte er sie mit einem Lächeln.

„Und das dicke Bündel?“

„Meine Wäsche zum Wechseln.“

„Wie steht es mit einem Kostüm?“

„Leider nein.“

„Tja, gut, dass wir hier Einkaufspassagen haben“, bemerkte er ironisch.

Casey schoss das Blut in die Wangen. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich in der Stadt lande, hätte ich anders gepackt.“ Sie verstummte, als sie Raffas Gesichtsausdruck sah. Ihn belehrte niemand. Doch hier ergab sich ein neues Problem. Sie konnte sich zurücknehmen, aber ihre Persönlichkeit zu ändern, würde schwieriger sein.

Raffa zuckte mit den Schultern. „Ich wollte Sie hier haben“, sagte er nur, als würde das alles erklären.

Zwischen ihnen knisterte es fast hörbar, und Casey wusste einfach nicht, wie sie sich verhalten sollte.

„Sie können alles wieder einpacken“, erklärte Raffa zufrieden. „Es freut mich, dass Sie sich auf die Wüste bestens vorbereitet haben.“

Erleichtert atmete sie auf. Nur gut, dass Raffa sie nicht aufgefordert hatte, auch den Rest des Rucksacks ans Tageslicht zu befördern: ihre Unterwäsche, die Überfallsirene und die Kondome, die ihre praktisch denkende Mutter ihr dringend geraten hatte einzupacken.

Nachdenklich verfolgte er, wie Casey ihre Habe wieder im Rucksack verstaute. Ihre Qualifikationen und Zeugnisse waren ausgezeichnet, an ihrem Können zweifelte er nicht. Aber er brauchte mehr. Die Person, die sein Marketingteam leiten sollte, musste sich voll für A’Qaban einbringen, analytisch, innovativ, selbstständig und ergebnisorientiert arbeiten können, ohne ständig angeleitet oder überwacht zu werden.

Wieder betrachtete er Casey. Ihr Aufzug war fremdländisch, fast komisch, aber sie gefiel ihm. Ihre Mischung aus Naivität und Entschlossenheit verlieh ihr einen besonderen Charme –, obwohl er vermutete, dass sie notfalls beharrlich sein konnte.

Aber das konnte auch von Vorteil sein, entschied er. Natürlich musste sie außerdem, falls erforderlich, bereit sein zu reisen und sich wechselnden Bedingungen anpassen können. Auch im Landesinneren würde sie sich durchsetzen müssen. Den letzten Kandidaten hatte er wieder ausfliegen lassen, weil der Mann den Anforderungen nicht gewachsen war. Solange er sich in dieser Hinsicht bei Casey nicht sicher war, sollte sie in der Stadt bleiben.

Die Frage war, würde sie auch etwas Größeres bewältigen als die Marketing-Neuorientierung des Wüstenkönigreichs? Er war entschlossen, es herauszufinden.

Komm, Casey Michaels, zeig mir, was du kannst …

Casey war müde von der Reise, und nach der Ankunft hatten die Ereignisse sich überstürzt.

Am meisten mitgenommen hatte sie die Begegnung mit Rafik al Rafar.

Ganz besonders mit ihm.

Er hatte sie völlig durcheinandergebracht.

Allein schon sein Aftershave … Mit kaufhausgeübter Nase konnte sie seine exotischen Ingredienzien ausmachen: Vanille, Sandelholz, ein schweres Gewürz und …

„Gehen wir, Casey?“, drängte er und sah sie eindringlich an. „Ich bringe Sie zu Ihrem Hotel. Dort können Sie Ihren Rucksack abstellen, und dann …“

Verlegen schwieg sie. Jetzt war sie fünfundzwanzig, aber mit Männern kannte sie sich immer noch nicht aus.

„… kaufe ich Ihnen ein Kostüm“, fuhr er zu ihrer Enttäuschung fort.

„Das ist nicht nötig, ich …“

Raffa zog eine Braue hoch. „Von Männern nehmen Sie keine Geschenke an?“

„Ich habe Geld dabei.“

Raffa winkte zu ihrer Überraschung nicht ab. „Wenn Sie selbst bezahlen möchten, von mir aus.“

Immer noch blickte sie ihm in die Augen – wie ein folgsamer Welpe, wurde ihr bewusst. Aber bei diesem Mann war das kein Wunder.

Er hielt ihr die Tür auf und wartete, dass sie mitkam. „Gehen wir“, wiederholte er.

Casey traute ihrer Stimme nicht und nickte nur.

Vor dem Hauptausgang des Flughafens blieb Raffa stehen. Prompt formierten sich seine Sicherheitsleute in Reih und Glied und salutierten.

„Willkommen in A’Qaban“, sagte er zu Casey. „Betrachten Sie mein Land in den nächsten Tagen als Ihres.“

Ihr wurde heiß. Aber das lag nicht am strahlenden Sonnenschein und der Hitze, die sie einhüllte. Gegenüber Raffa, der kühl und frisch wirkte, kam sie sich in ihrem Reiseaufzug staubig und abgekämpft vor. Prüfend und leicht amüsiert betrachtete er sie erneut. Während ihres Aufenthalts in A’Qaban würde sie ständig unter Beobachtung stehen, wurde ihr plötzlich klar. Natürlich ehrte sie das Angebot, das er ihr soeben gemacht hatte, gleichzeitig fühlte sie sich dadurch irgendwie bedroht. Und zwar als Frau. Aber das durfte sie nicht kümmern, solange sie den Posten bekam.

Doch es machte ihr zu schaffen –, mehr, als sie sich eingestehen wollte.

Raffa deutete zu einer Limousine, die am Gehsteig hielt. „Lassen Sie mich Ihnen den Rucksack abnehmen.“

„Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

„Ich bin nicht freundlich.“

Unwillkürlich erschauerte Casey.

Raffas Kampftruppe bildete eine Gasse, um ihn während der wenigen Schritte vom Flughafenausgang zur königlichen Limousine abzuschirmen. Der Wagen hatte uneinsehbare, schwarz getönte Fenster, dahinter befand sich eine hermetisch abgeschlossene, mit weichem Nappaleder gepolsterte Kabine, die sich der übrigen Welt entzog.

Panik überkam Casey, einen Moment lang rührte sie sich nicht von der Stelle. Dann riss sie sich die Schirmmütze herunter und schüttelte sich das Haar aus.

„Damit sollten Sie warten, bis Sie im Schatten sind“, warnte Raffa sie. „Die Sonne hier ist gefährlich. Solange Sie sich in A’Qaban aufhalten, sollten Sie sich ihr möglichst nicht aussetzen.“

Doch wie konnte sie sich vor der Glut in seinen Blicken schützen?

3. KAPITEL

Caseys Nähe wirkte auf ihn wie eine Flamme, die an einem kalten Herzen leckte. So viele Frauen, so wenige Erinnerungen … oder zumindest keine, die er sich hätte bewahren wollen. Vielleicht war er deshalb so zynisch geworden. Er hatte vorgehabt, sein Land auf die gleiche Weise zu modernisieren wie eine Firma: mit Bilanzen, Vorstandskämpfen und kalten, harten Fakten. Auf den Gedanken, dass etwas in seinem Privatleben fehlen könnte, war er noch nie gekommen –, bis Casey Michaels auftauchte. Jetzt fragte er sich, ob sie es schaffen würde, seinem Vorhaben frischen Wind einzuhauchen, wenn sie den Posten übernahm. Doch solange sie so verkrampft neben ihm saß, ließ sich das nicht feststellen.

Betont gelöst lehnte er sich auf dem Limousinensitz zurück. Hoffentlich half ihr das, sich zu entspannen. Eine Weile saß sie weiter steif da, dann wandte sie sich ab und blickte aus dem Fenster. Er atmete den leichten, blumigen Duft ihres Parfüms ein, der in krassem Gegensatz zu der herben männlichen Note seines Aftershaves stand. Er erinnerte ihn daran, dass es möglicherweise Zeit war, jemanden ins Spiel zu bringen, der sich von den hartgesottenen, erfolgsorientierten Mitarbeitern unterschied, die er normalerweise beschäftigte. Aber war Casey die Richtige für A’Qaban?

Schweigend beobachtete er, wie sie sich eine Locke ihres langen blonden Haares wieder und wieder um den Finger wickelte. Lächerlich! schalt er sich. Eine Frau wie Casey Michaels war der Aufgabe nicht gewachsen. Solche Gedanken kamen ihm nur, weil er sie begehrte.

„Sind das dort artesische Brunnen?“

Er beugte sich vor und folgte ihrem Blick. Ihr Interesse überraschte und freute ihn. „Ja.“

Langsam lehnte er sich wieder zurück: Spürte Casey die Wärme seines Körpers ebenso stark wie er ihre? Wie hell und samtig ihre Haut war! Und die lustigen kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase, ihr weiblicher Duft …

In der Sonne würde ihre zarte Haut verbrennen, wurde ihm bewusst. Auch ein Vorwand, Casey Michaels nach Hause zu schicken. Doch eine dunkle Seite in ihm sehnte sich danach, sie in seinen Armen erblühen zu sehen, die leidenschaftliche Frau in ihr zu wecken. Es fiel ihm so leicht, sich vorzustellen, wie er sie liebte, bis sie eng an ihn geschmiegt einschlief …

„Ach sehen Sie!“, rief sie aufgeregt. „Ein Kamel.“

„Tatsächlich?“ Nicht zu fassen! Ein Kamel in der Wüste. Ihre kindliche Begeisterung bestätigte ihn in seiner Entscheidung. Er musste sie nach Hause schicken.

„Kaum zu glauben, dass die Wüste bis zum Rand der Autobahn reicht.“ Sie wandte sich ihm voll zu, ihre klarblauen Augen leuchteten.

Wie unschuldig sie wirkte! Statt sich innerlich zurückzuziehen, lächelte er warmherzig. „Wenn Sie zu den Bergen hinübersehen, entdecken Sie am Horizont weitere Kamele.“

„Ach ja!“ Atemlos beobachtete Casey die dahinziehenden Dromedare, deren Umrisse sich golden gegen den dunkler werdenden Abendhimmel abzeichneten.

Alle Unsicherheit war von ihr abgefallen, fast presste sie ihr Gesicht gegen die Scheibe. Als sie sich die feingliedrigen Hände spähend vor die Augen hielt, hätte er endgültig beschließen müssen, sie nicht weiter für einen führenden Posten in Erwägung zu ziehen. Ihre Reaktion dürfte ihn nicht so berühren. Hier ging es um rein geschäftliche Dinge.

Also zwang er sich, auch nur ans Geschäftliche zu denken. Casey Michaels würde sich nicht so leicht formen lassen wie manch andere Kandidaten. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie mit eigenen Meinungen und neuen, vielleicht sogar recht eigenwilligen Ideen auf den Plan treten würde.

Konnte er es sich leisten, A’Qaban ein vielversprechendes junges Talent vorzuenthalten, nur weil er diese Frau begehrte und sich selbst nicht traute?

„Ich finde das alles sehr aufregend.“ Vertrauensvoll sah sie ihn an. „Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten, hier anzufangen. Die Arbeit in Ihrem Land ist für mich eine große Herausforderung.“

Diese Herausforderung schien für sie vorrangig zu sein – genau wie für ihn. Er beschränkte sich auf ein zustimmendes Nicken. Die nächsten Tage würden für sie beide eine einzige große Herausforderung werden –, und sei es nur, weil Casey Michaels keine Frau war, mit der man schlief, um ihr dann klarzumachen, dass ein Mann in seiner Stellung ihr nicht mehr als einige Nächte der Leidenschaft bieten konnte. Bei ihr hatte er es mit einer ernst zu nehmenden Frau zu tun, sie war etwas Besonderes, Einzigartiges. Und da er instinktiv spürte, dass Casey noch Jungfrau war, steckte er im Moment in einer Pattsituation.

Raffa machte es Casey leicht, zu vergessen, dass sie neben einem König saß. Sehr viel schwieriger war es, sich dem Charisma dieses Mannes zu entziehen. Der Duft seines würzigen Aftershaves hüllte sie ein und machte sie schwach. Sie mochte Männer auf Abstand halten, doch das bedeutete nicht, dass sie nichts empfand. Und Raffas Ausstrahlung überwältigte sie förmlich.

Er wirkte gelöst und schien nicht zu merken, dass er sie faszinierte. Verstohlen betrachtete sie ihn von der Seite. Raffa saß entspannt da, sein dunkles Haar war zerzaust, in den Strahlen der untergehenden Sonne blitzte sein Piratenohrring auf. Der Mann war unerhört kühl und sexy, sein Blick versprach so viel, die sinnlichen Lippen weckten erotische Fantasien. Warum musste ausgerechnet er ihr Chef sein? Es dürfte viele Stunden her sein, seit er sich das letzte Mal rasiert hatte, ließen seine dichten dunklen Bartstoppeln vermuten. Ob es wehtat, wenn sie ihre zarte Haut, den Hals … ihre Brust daran rieb? Bei der Vorstellung erschauerte Casey. In ihrem Erfahrungsschatz gab es nur wenige, meist ungeschickte Küsse, und die hatten ihr vollauf genügt. Sie führten sie zu der Überzeugung, dass sie nicht viel versäumte, wenn sie darauf verzichtete. Doch bei Raffa würde alles anders sein. Seine Küsse dürften nichts zu wünschen übrig lassen … wie bei allem, was er tat …

Ertappt zuckte Casey zusammen, als ihre Blicke sich trafen. Raffa lächelte. Konnte er Gedanken lesen? Spürte er, dass sie sich stark zu ihm hingezogen fühlte?

Um sich zu beruhigen, atmete Casey tief durch, während sie durch die getönte Scheibe erneut die Landschaft bewunderte. Mehr und mehr hatte sie das Gefühl, in die geheimnisvolle, in sich geschlossene Welt einzutauchen, in die sie schon am Flughafen einen kleinen Einblick erhalten hatte. Sie war neugierig, zu erfahren, was sich hinter dem Seidenschleier befand. Aber würde man ihr gestatten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen? Oder würde man sie von einer sterilen klimatisierten Kapsel zur nächsten bringen, ohne dass sie das wahre A’Qaban je erlebte?

Eins war ihr inzwischen klar: Sie musste das Land richtig kennenlernen, wenn sie A’Qaban der übrigen Welt verkaufen wollte.

Aber was würde geschehen, wenn er sie hinter den seidenen Vorhang mitnahm?

Bei der Vorstellung wurde ihr heiß und kalt. Sie wollte, dass er sie mitnahm … sie berührte, liebkoste … zärtlich, beharrlich –, bis sie es nicht mehr aushielt und wollte, dass er …

„Ist Ihnen zu heiß?“, fragte Raffa, als Casey seufzte.

„Nein, nein, mir geht es bestens“, erwiderte sie verwirrt und gab vor, die Beine ausstrecken zu müssen, obwohl es in der Limousine mehr als genug Platz gab.

Entschlossen riss sie sich zusammen. Wenn sie so weitermachte, konnte ihre Fantasie sie in Teufels Küche bringen.

Als sie die von internationalen Flaggen gesäumte Auffahrt des ersten Hotels von A’Qaban erreichten, erkannte Casey, dass sie den mächtigen, einem alten Fort nachempfundenen rosa Steinbau in ihre Marketingstrategie aufnehmen musste.

Interessiert betrachtete sie die mächtige Anlage genauer. Wenn es von innen auch nur halb so eindrucksvoll aussah wie von außen, würde das Hotel sich von selbst verkaufen. Doch sie wünschte sich anspruchsvollere Aufgaben. Sie war überzeugt gewesen, der restlichen Welt vor allem die kulturellen und landschaftlichen Eigenheiten A’Qabans nahebringen zu müssen. Jetzt erkannte sie, dass Raffa ihr auch gestatten musste, die Wüste kennenzulernen.

Als der Chauffeur die Limousine vor der breiten Aufgangstreppe zum Stehen brachte, fiel Casey auf, dass die Portiers weit eleganter gekleidet waren als sie. Jetzt wusste sie, wie sie Raffa von ihrer Absicht überzeugen konnte.

„Legen Sie sich erst einmal eine Weile schlafen, und ruhen Sie sich aus“, sagte er unvermittelt.

Konnte er es nicht erwarten, sie loszuwerden?

„Morgen haben Sie ein volles Programm vor sich“, fuhr er fort. „In Ihrer Suite finden Sie eine Liste mit den wichtigsten Telefonnummern.“

Der Einkaufsbummel war also gestrichen. „Und was ist mit meinem Kostüm?“

„Ich rufe einen Adjutanten an und lasse Ihnen eine Auswahl in Ihre Suite hinaufschicken.“

Das war das Letzte, was Casey wollte. Ein Mann würde entscheiden, was sie trug? „Danke, aber das ist nicht nötig“, erwiderte sie bestimmt. „Darum kümmere ich mich lieber selbst.“

„Aber so handhaben wir die Dinge hier nun mal.“

„Na ja, es ist nicht meine Art, meine Kleidung von jemand anderem aussuchen zu lassen.“ Sie hatte Raffas Angebot höflich ablehnen wollen, doch irgendwie schien er das nicht ganz so verstanden zu haben, denn er kniff die Augen zusammen. „Ich bin es gewöhnt, meine Sachen selbst auszuwählen und zu bezahlen“, setzte sie freundlich hinzu, um ihre Zurückweisung abzumildern.

War sie zu weit gegangen?

Seltsamerweise reagierte Raffa überrascht, leicht amüsiert –, und schwieg.

Nun musste sie noch eins klären, ehe sie ins Hotel ging. „Wann sehe ich Sie wieder?“

„Ich melde mich.“ Er wandte sich ab. Damit war sie entlassen.

Sie war viel zu weit gegangen!

Beunruhigt überlegte Casey. Offenbar hatte er sie falsch verstanden und dachte, sie wollte ihn privat treffen. „Ich meinte, wann findet unsere erste geschäftliche Besprechung statt?“, versuchte sie die Situation zu retten.

„Was könnten Sie sonst meinen?“, entgegnete er fast schroff. „Falls Sie nicht zurechtkommen, gibt es in meiner Organisation andere Posten für Sie.“

Sie hatte verstanden. „Aber mir liegt so viel an diesem.“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an, ehe sie aus der Limousine stieg.

Raffa runzelte die Brauen, dann zog er die Wagentür zu und gab dem Fahrer ein Zeichen.

Im nächsten Moment fuhr er davon.

Casey Michaels lebt also gern gefährlich! Raffa drehte sich auf dem Sitz um und beobachtete, wie sie die Stufen zum Hoteleingang hinaufging. Unwillkürlich musste er lächeln. Sie hatte dem entsetzten Portier ihren Rucksack prompt wieder abgenommen. Diese Frau wollte alles allein schaffen. Sie hatte ihm nicht einmal Gelegenheit gegeben, die Einkaufspassage für die Öffentlichkeit schließen zu lassen, damit sie sich auf seine Kosten ungestört ausstaffieren konnte. Oh nein! Das war nicht ihre Art!

Er lehnte sich zurück, aber entspannen konnte er sich nicht. Wie unter einem Zwang drehte er sich wieder um, wollte einen letzten Blick auf sie erhaschen.

Eigentlich …

„Machen Sie kehrt“, wies er den Chauffeur an. „Wir fahren zurück.“

Donnerwetter! Höchste Zeit, dass sie aufhörte, in der Suite hin und her zu laufen, Gegenstände in die Hand zu nehmen und sie wieder hinzulegen. Einfach unglaublich! Dieser Luxus übertraf ihre kühnsten Träume!

Casey eilte ins Bad und drehte die Dusche so temperamentvoll auf, dass sie nassgespritzt wurde, dann rannte sie ins größte Schlafzimmer zurück, das sie je gesehen hatte.

Wer brauchte ein Fitnesscenter, wenn man seine eigene Rennstrecke hatte?

Aber ach, ihr Rucksack war nicht hier, er lag immer noch im ballsaalgroßen Salon! Casey rannte zurück. Meine Güte, hier hatte sie das gesamte oberste Geschoss für sich! Dies war eigentlich kein Penthaus mehr, sondern schon fast eine Landschaft! Ihr praller Rucksack wirkte wie ein Spielzeug auf dem fußballfeldgroßen Teppich, wo sie ihn abgestellt hatte.

Einige Augenblicke kämpfte sie mit den Schnallen und Riemen, dann konnte sie das Gepäckstück aufmachen und kramte suchend darin herum. Das Beste, was sie aufzubieten hatte, waren ein weißes T-Shirt, ein Paar Jeans und Flip-Flops. Immerhin war alles sauber und frisch. Damit musste sie sich zufriedengeben.

Eilig warf Casey die Sachen auf einen Sessel und rannte ins Bad zurück, dabei streifte sie sich im Laufen den Safarianzug ab. Dankbar stellte sie sich unter die warmen Duschstrahlen und seifte sich ein. Dieses Bad war eines Königs würdig! Boden, Decke und Wände bestanden aus cremefarbenem, rosa marmoriertem Marmor, der Raum war so groß wie das Haus ihrer Familie. Überall blitzten schwarze Granitflächen und goldene Wasserhähne. Die protzige Ausstattung entsprach nicht ganz ihrem Geschmack, aber sie musste zugeben, dass sie an Luxus kaum zu überbieten war. Eine verlockende Auswahl erlesener Parfüms und Kosmetika lag bereit, sie brauchte sich nur zu bedienen.

Doch dazu blieb ihr keine Zeit.

Rasch zog sie sich zwei Frotteetücher vom Stapel auf der beheizten Ablage und drapierte sich eins ums Haar. Nur flüchtig hüllte sie sich in das zweite und rannte aus dem Bad …

Wie angewurzelt blieb sie stehen und erbleichte, versuchte scheu, sich notdürftig mit dem Handtuch zu bedecken.

Entspannt auf einer Couch zurückgelehnt, saß der Herrscher von A’Qaban.

Überrascht und keusch zurückweichend, floh Casey in Richtung Badezimmertür, dabei merkte sie, dass ihr Badetuch sich zu lockern begann.

„Wer … hat Sie hereingelassen?“

„Ihr Butler.“

„Mein …?“ Casey wusste nicht einmal, dass ein Butler für sie zur Verfügung stand. Wie viele Männer mochten unsichtbar in ihren Penthausgemächern herumhuschen?

Locker stand Raffa auf und schritt auf sie zu.

„Was tun Sie hier?“, fragte sie beunruhigt.

„Ich dachte, Sie würden das hier brauchen …“

Er wirkte so gelassen, dass sie sich fragte, ob es für ihn zur Tagesordnung gehörte, mit halb nackten Angestellten zu verhandeln. Dann sah sie, was er ihr reichte. Taktvoll blickte er ihr weiter ins Gesicht, während sie vorsichtig die Hand ausstreckte, um das Oberteil und ihre Jeans entgegenzunehmen.

„Die meisten Leute, die hier absteigen, nutzen diesen Raum als Empfangsbereich“, erklärte Raffa ihr nachsichtig.

Und rennen nicht nackt in der Gegend herum.

Casey drückte sich gegen die Badezimmertür. „Würden Sie …?“ Wie konnte sie ihm klarmachen, was sie erwartete, ohne das Handtuch fallen zu lassen?

Glücklicherweise verstand Raffa sie auch so. „Ich soll mich umdrehen?“, half er ihr weiter.

Konnte er Gedanken lesen? Hoffentlich nicht! „Bitte …“

„Natürlich.“

Fast war er erleichtert, Casey den Rücken zukehren und endlich lächeln zu können. So rosig und verlegen, wie sie war, sah sie einfach süß aus. Zum Verlieben. Aber so etwas durfte ihn als König bei seinen Führungskräften nicht interessieren.

„Gut. Jetzt dürfen Sie sich wieder umdrehen.“

Fantastisch! Sie gestattete es ihm! Doch in letzter Zeit hatte er es mit so vielen unterwürfigen Mitarbeitern zu tun gehabt, dass ihm Leute imponierten, die ihm Paroli boten. Angestellte, ermahnte er sich.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Casey sachlich interessiert und zupfte sich Jeans und Top zurecht.

„Der Einkaufsbummel“, erinnerte Raffa sie.

„Den habe ich als Nächstes vor.“

„So?“ Er kniff die Augen zusammen, betrachtete das abgelegte Badehandtuch auf dem Boden.

Wieder schoss ihr das Blut in die Wangen. „Ich habe ein Taxi bestellt.“

„Das ist nicht nötig.“

„Nein?“

Als sie den Kopf leicht seitwärts neigte und ihn mit ihren klarblauen Augen unschuldig ansah, war er wie elektrisiert. Sie hatte eine Wirkung auf ihn wie noch keine andere weibliche Angestellte zuvor. „Ich fahre Sie hin.“

„Sie?“

Auf einmal wirkte sie alarmiert, als hätte er ihr etwas Unmoralisches vorgeschlagen. Er blickte auf ihre vollen, leicht geöffneten Lippen. Noch nie hatte er eine seiner Führungskräfte küssen wollen.

„Warum?“, fragte sie argwöhnisch.

Hatte er einen Dankbarkeitsausbruch erwartet? „Weil es das Mindeste ist, was ich tun kann“, erklärte er. „Ich habe Sie mit Rucksack und Schaufel hergeholt, und Sie brauchen ein Kostüm.“ Seine Handbewegung deutete an, dass er darüber nicht weiter diskutieren würde. „Gehen wir?“ Er blickte zur Tür.

„Nur, wenn Sie mir versprechen, dass Sie mich selbst bezahlen lassen.“

„Wie bitte?“ Belustigt hielt er ihrem Blick stand. So etwas wie Casey Michaels war ihm noch nie untergekommen.

Sie hielt ihre Brieftasche hoch. „Versprechen Sie es mir.“

„Ich dachte, von den Scheichs erwartet alle Welt, dass sie bezahlen“, bemerkte er scherzend, um sie aufzulockern. Doch sie errötete erneut und sah in eine andere Richtung. Vielleicht sorgte sie sich, weil sie glaubte, das Spiel überreizt und den Posten verloren zu haben, ehe sie überhaupt eine Karte ausgespielt hatte. Was würden die Zeitungen dazu sagen? fragte er sich und gab Casey das Versprechen.

„Danke. Ehrlich gesagt, kenne ich mich mit Scheichs nicht aus“, erklärte sie unsicher. „Sie sind mein Erster.“

Und dein Letzter, dachte er.

Muta assif, Casey Michaels“, sagte er täuschend ruhig. „Bitte entschuldigen Sie, falls ich Sie beleidigt haben sollte.“

„Beleidigt nicht“, versicherte sie ihm schnell. „Ich bin es einfach nur gewöhnt, für mich selbst zu bezahlen.“

„Dafür sollten Sie sich nicht entschuldigen.“ Raffa hielt ihr die Tür auf.

4. KAPITEL

Statt der Limousine wartete diesmal ein scharlachroter Lamborghini vor Caseys Hotel.

„Sie wollen doch einkaufen, stimmt’s?“, erinnerte Raffa sie, als sie stehen blieb und den Sportflitzer verwirrt betrachtete.

„Ja, sicher, aber …“

„Aber was?“

In dem Wagen war es so eng, dass sie sich fast berühren würden. „Ist denn genug Platz im Kofferraum?“

Amüsiert lächelte Raffa. „Für ein Kostüm?“

Was sollte sie sagen? Schließlich konnte sie schlecht zugeben, dass es sie beunruhigte, buchstäblich auf Tuchfühlung mit ihm zu sitzen.

„Kommen Sie, steigen Sie ein“, forderte er sie auf. „Die Geschäfte sind nicht die ganze Nacht offen.“

Tapfer trat Casey an die Wagentür, wo sie sich drehen und winden musste, um sich halbwegs elegant durch den schmalen Einstieg zu zwängen.

„Es ist ein Schalensitz“, ermutigte Raffa sie, als sie sich mehrfach die Hüften stieß.

Mühsam quetschte Casey sich neben ihn auf den Beifahrersitz. „Wunderbar …“

Sie brachte es fertig, Raffa anzustrahlen, und versuchte, nicht auf seine kraftvollen Hände am Lenkrad zu achten –, und auch nicht auf seine muskulösen Beine.

Er verbarg seine unverschämt langen Wimpern hinter einer Designersonnenbrille und wandte sich ihr zu. „Die Einkaufspassage ist ziemlich groß“, erklärte er. „Sagen Sie mir, was Sie kaufen wollen, dann parke ich den Wagen entsprechend.“

„Einfach nur ein Kostüm für die tägliche Arbeit.“

„Und dazu wollen Sie Flip-Flops tragen? Sicher brauchen Sie doch auch passende Schuhe“, bemerkte er und rückte sich die Sonnenbrille zurecht.

Während Raffa den Motor anließ und die Bremse löste, betrachtete Casey ihn von der Seite. Er hasste es einzukaufen, dessen war sie sicher. Schließlich war er ein Mann. Aber vielleicht, mit ein bisschen Glück, schaffte sie es, den Einkaufsbummel für ihre Ziele zu nutzen. „Ich kann es kaum erwarten …“

Ihre restlichen Worte gingen im Aufheulen des hochtourigen Motors unter, während der Lamborghini davonschoss. Casey wurde gegen den Sitz gepresst, und der Lärm machte jede Unterhaltung unmöglich.

Er würde Casey die gleiche Chance geben wie den anderen Kandidaten.

Und dann?

Wenn sie versagte, konnte sie nicht länger bleiben.

Raffa unterdrückte ein Lächeln. Würde er sie wirklich wegschicken können?

Wenig später lenkte er das Fahrzeug auf einen weitläufigen Parkplatz, wo ein Parkwärter nur darauf wartete, den Lamborghini zu übernehmen.

„Brauchen Sie Geld?“, wollte Raffa wissen, als Casey ausstieg.

Sie zog ein Bündel abgegriffener Scheine und einige Münzen aus der Jeanstasche und zeigte sie ihm. Zweifelnd blickte er darauf. „Glauben Sie, das genügt?“

„Für das, was ich kaufen will, bestimmt“, versicherte sie ihm.

Raffa zog die Brauen hoch, doch er erwiderte nichts und stieg aus, um Casey in die Einkaufspassage zu begleiten.

Seine Leibwächter waren ihnen in mehreren Wagen gefolgt und beobachteten sie besorgt. Das haben die Jungs noch nicht erlebt, dachte Raffa, während er mit Casey die belebte Luxuspassage betrat. Unauffällig bedeutete er den Sicherheitsleuten, sich im Hintergrund zu halten. Als Erstes studierte er mit Casey den Übersichtsplan des Einkaufsparadieses, dann blickte sie forschend in die Runde und schlenderte los.

Interessiert folgte er ihr. In den Einkaufspassagen von A’Qaban gab es nur Luxusmarken. Etwas so Vulgäres wie der Preis einer Ware wurde meist gar nicht erst ausgeschildert. Überhöhte bis astronomische Preise gehörten hier zur Tagesordnung, nach dem Motto: Wer nach dem Preis fragen muss, kann ihn sich nicht leisten. Als wirtschaftskundiger Landesherr störte ihn das gewaltig. Auch diesen Missstand würde er abschaffen. Bald. Aber der heutige Tag gehörte Casey Michaels.

Er hatte sie nach A’Qaban geholt, um ihr fachliches Können zu prüfen, nicht, um sie beleidigen zu lassen. Sicherheitshalber hielt er sich direkt hinter ihr, um gegebenenfalls einzugreifen.

Bei der ersten Boutique, die Casey betrat, wartete er im Hintergrund, um zu sehen, wie sie zurechtkam. Das Geschäft war auf konservative Mode spezialisiert. Wie er befürchtet hatte, beachteten die Verkäuferinnen Casey kaum, während sie die Kleiderständer durchging. Das gefiel ihm gar nicht.

Es überraschte ihn nicht, an der Wand ein Foto des verstorbenen Scheichs zu entdecken, eines entfernten Verwandten von ihm. Hier herrschte immer noch tiefstes Mittelalter. Doch er wollte A’Qaban zu einem modernen demokratischen Staat umwandeln. Die Angestellten dieser Boutique würden ihr blaues Wunder erleben, wenn er seine Reformen durchsetzte. Im Moment war Casey jedoch mit dem alten Regime konfrontiert, und es ärgerte ihn, zu sehen, dass sie den Laden enttäuscht verlassen wollte.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten lassen musste, Raffa, aber hier gefällt mir nichts.“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“ Natürlich konnte sie sich in dieser Boutique nichts leisten. Er zog Casey zur Seite, wo niemand sie beobachten konnte.

Argwöhnisch sah sie ihn an, als er ihr ein Bündel Banknoten zustecken wollte.

„Betrachten Sie es als Vorschuss auf Ihr zukünftiges Gehalt“, riet er ihr, um ihren Stolz nicht zu verletzen.

„Nein, nein.“ Entschlossen schob sie seine Hand fort. „Ich meine es ernst, Raffa. Bitte nicht …“

Widerstrebend zog er die Hand zurück. Diese Einstellung musste er respektieren. So blickte er nur stirnrunzelnd zu der hochnäsigen Geschäftsführerin, ehe er mit Casey das Geschäft verließ.

Erst jetzt, in der lichtdurchfluteten Passage, erkannte die Frau ihn und erbleichte.

Ohne sich zu beklagen, steuerte Casey auf das nächste Geschäft zu. Nachdem sie auch dort von oben herab behandelt wurde, beschloss Raffa einzugreifen.

Als er sie erneut beiseite zog, wehrte sie ab: „Nein, wirklich nicht – ich lerne schnell.“

Dass sie sich in A’Qaban nichts leisten konnte? Dass Leute ohne Geld in seinem Land hochnäsig behandelt wurden? Das würde er nicht dulden! Raffa schämte sich für seine Landsleute und wollte erneut die Brieftasche zücken, als Caseys Gesicht sich aufhellte.

„Ach, dort drüben ist genau das, was ich brauche!“ Zielstrebig ging sie auf ein Schreibwarengeschäft zu.

„Aber Sie wollen sich doch ein Kostüm kaufen“, erinnerte er sie.

„Würden Sie draußen auf mich warten?“

Raffa wurde ungeduldig. Jetzt war nicht die Zeit, Postkarten zu kaufen. „Bitte nehmen Sie das Geld von mir an und kaufen Sie, was Sie brauchen“, drängte er.

„Für das, was ich vorhabe, brauche ich kaum Geld“, versicherte Casey ihm.

Neugierig geworden, folgte Raffa ihr in das Papiergeschäft, wo sie ein Klemmbrett und einen Schreiber erstand.

„Das ist alles?“, fragte er verwundert, während sie bezahlte.

„Mehr brauche ich nicht.“

„Wollen Sie das anziehen?“, bemerkte er ironisch.

Sie lehnte sich an die Theke und drückte ihre Einkäufe an sich.

„War nur ein Scherz“, sagte er entschuldigend.

Nachsichtig seufzte sie. „Natürlich will ich das nicht anziehen.“

Ihre Reaktion war gewagt, doch wieder beließ er es dabei.

„Würden Sie bitte mitkommen?“, fragte sie höflich, als befürchtete sie, seine Geduld über Gebühr strapaziert zu haben.

„Gehen Sie vor.“ Er passte sich ihrem Schritt an und war jetzt wirklich neugierig, was sie vorhatte. Mit einer Handbewegung winkte er seine Leibwächter fort, die sich ihr in den Weg stellen wollten.

Komisch, sie kehrte zum ersten Geschäft zurück. Beherrscht wartete er draußen, während Casey den Laden erneut betrat. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als die hochnäsigen Angestellten von Casey diesmal überhaupt keine Notiz nahmen. Fünf Minuten lang. Dann wurden sie erstaunlich aufmerksam. Vielleicht hatte das etwas damit zu tun, dass Casey sich mitten im Geschäft hinstellte und auf ihrem Klemmbrett schrieb.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte eine Verkäuferin sie.

„Nein, danke“, wehrte Casey höflich ab. „Aber ich könnte etwas für Sie tun.“

Die Frau runzelte die botoxgeglättete Stirn –, soweit dies möglich war.

Jetzt wurde Raffa hellhörig und trat näher. Am liebsten wäre er in den Laden gestürmt, aber er wollte Caseys Vorhaben durch sein Erscheinen nicht gefährden.

Freundlich fuhr sie fort: „Ich führe nämlich für Scheich Rafik al Rafar bin Haktari eine Erhebung durch, um zu ermitteln, wie gut die Kunden in seinen Geschäften bedient werden.“ Als die Frau sich verkrampfte, setzte Casey vertraulich hinzu: „Diese Boutique gehört doch dem Scheich?“

Die Verkäuferin wurde nervös. „Diese und alle anderen Geschäfte in der Einkaufspassage.“

„Das dachte ich mir“, bemerkte Casey heiter. „Sie müssen wissen, ich bin, was man in der Branche eine verdeckte Testkundin nennt.“

Nun geriet die Frau in Panik. Raffa unterdrückte ein Lächeln. Eins musste er Casey lassen: Das Ergebnis war beeindruckend. Mit Einkaufstüten bepackt, verließ sie das Geschäft, ohne einen Cent ausgegeben zu haben.

„Ich kann die Sachen zurückgeben oder umtauschen“, eröffnete sie ihm locker.

Na ja, dachte er. Letztlich würde doch Geld den Besitzer wechseln.

Wieder erwartete ihn eine Überraschung.

„Natürlich behalte ich die Teile nicht“, gestand Casey ihm, während sie die taghell erleuchtete Einkaufspassage entlangschlenderten.

„Und was wollen Sie damit machen?“ Raffa bedeutete einem Leibwächter, die Tüten zu übernehmen.

„Natürlich gebe ich sie zurück.“

„Aber … was sollte das Ganze dann?“

Casey warf ihm einen zufriedenen Blick zu, sie schien jetzt ganz in ihrem Element zu sein. „Geben Sie mir etwas Zeit, dann zeige ich es Ihnen.“

Als Nächstes blieb Casey vor einem Geldautomaten stehen. Instinktiv blickte Raffa sich um, ob sich nicht irgendwo Paparazzi herumdrückten. Scheich Rafik al Rafar, der milliardenschwere Industrielle, wartete geduldig neben einem Geldautomaten, während seine neueste Begleiterin mickrige zweihundert Dollar abhob und nachzählte, ehe sie die Scheine sorgsam in der Tasche verstaute.

Tolle Schlagzeilen!

„Das dürfte genügen“, erklärte Casey.

Sicherheitshalber erwiderte er nichts und wies sie an, vorauszugehen.

Sobald er sah, wohin sie wollte, verstand er. Vor ihnen erstrahlte die Boutique einer internationalen Modekette, die auf dem heiß umkämpften Designerschlachtfeld in eine Marktlücke gestoßen war: Modelle berühmter Modeschöpfer wurden einfach kopiert, die Teile zum Bruchteil des Preises angeboten.

In diesem Geschäft erstand Casey eine kleine Auswahl an Kleidungsstücken, dazu einen schicken Schal, eine preisgünstige Handtasche und eine Wolljacke.

„Sicher werde ich mir die Arme hier manchmal bedecken müssen“, bemerkte sie nachdenklich.

Auch eine Hose hatte sie gekauft. Das gefiel Raffa. Falls sie das Einstellungsgespräch bestand, gab es im Landesinneren immer noch genug Traditionsanhänger, die gegen zur Schau gestellte nackte Haut auf die Barrikaden gingen. Und er wollte, dass Casey auch vor diesen Landesbürgern bestand.

Ihm wurde bewusst, dass sie ihm eine Hand mit Münzen hinhielt.

„Sehen Sie, ich habe immer noch Geld übrig“, erklärte sie triumphierend.

„Sie haben klug eingekauft“, musste er zugeben. „Aber Sie hätten mich bezahlen lassen sollen.“

Mit ihren hellblauen Augen sah sie ihn an. „Warum?“

Er setzte eine ernste Miene auf. „Weil ich keine Umsatzsteuer bezahle.“

„Sie zahlen keine Umsatzsteuer?“, entrüstete sie sich. Ihr wurde bewusst, dass sie den Landesherrscher vor sich hatte, und sie entschuldigte sich für den Ausrutscher.

„Was soll ich nur mit Ihnen machen?“ Er überlegte. Casey musste müde sein. Und sicher hatte sie Durst.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte er freundlich.

„Saft?“ Ihre Augen leuchteten. „Ach ja, bitte. Ich bin schrecklich durstig.“

„Sparen Sie sich das für die Wüste auf.“

Auf einmal war sie hellwach. Sie wussten beide: Wenn er versprach, sie in die Wüste mitzunehmen, lag sie weiter im Rennen.

Im Erdgeschoss der Einkaufspassage hielt Raffa auf ein schickes Café zu. Casey bestellte sich ein Mixgetränk aus Apfel, Minze und Sellerie, das köstlich schmeckte und den Durst wunderbar stillte. Schließlich sog sie nachdenklich an ihrem Strohhalm.

„Solange ich in A’Qaban bin, würde ich gern noch einmal in diese Einkaufspassage zurückkehren“, platzte sie heraus.

„Und was wollen Sie dann tun?“

„Eine richtige Erhebung durchführen.“

„Warum?“

„Na ja, ich habe den Eindruck, dass die Verkäuferinnen sich in manchen Geschäften den Kunden gegenüber wirklich unfreundlich verhalten.“

Eine glatte Untertreibung, dachte Raffa.

„Und wenn Sie mit wachsendem Tourismus Ihre Umsätze steigern wollen, sollten Sie das Verkaufpersonal besser schulen. Davon würden Ihre Angestellten und auch Ihre Verkaufszahlen profitieren.“

Raffa beugte sich vor und blickte ihr in die Augen. Zunehmend fiel es ihm schwerer, die Beziehung zu Casey rein geschäftlich zu halten. „Was Sie nicht sagen“, erwiderte er gespielt überrascht.

„Ja, so ist es“, versicherte Casey ihm, ganz zuversichtliche Marketingleiterin. „Manche von uns mögen nicht so reich sein wie andere, aber unser Geld ist genauso viel wert. Und wenn viele von uns kleinen Leuten Geld ausgeben …“

„Kleine Leute?“ Nachsichtig lächelte er. Nichts auf der Welt würde ihn dazu bringen, Casey oder andere wie sie in irgendeiner Weise für klein oder unbedeutend zu halten. Seit wann war Reichtum ein Maßstab für Menschen? „Ich hatte nie vor, aus A’Qaban einen exklusiven Tummelplatz für Reiche zu machen.“

„Warum bedienen Sie sich dann nicht meines Fachwissens, um zu verhindern, dass Ihr Land sich zu einer Geldoase entwickelt?“, schlug sie spielerisch vor.

„Vielleicht stelle ich Sie wirklich ein.“

In ihren Augen blitzte es auf, dann schien ihr einzufallen, wer sie war, und sie senkte den Blick. Es gefiel ihm, wie viel Selbstvertrauen sie an den Tag legte, wenn es um geschäftliche Dinge ging. Aber war sie auch privat so zugänglich? Möglicherweise nicht –, solange sie in A’Qaban war. Er konnte vieles beherrschen, nur nicht sein Verlangen. Und das spürte sie, obwohl er sich bemühte zu verbergen, wie sehr er sich für sie interessierte.

Casey trank ihr Glas aus. Das Geschäftliche war erledigt, sie wurde still und wandte sich ab.

Raffa wollte sie anspornen. „Sie machen sich gut.“ Er ergriff ihre Hand und drückte sie.

„Das hoffe ich.“ Vorsichtig entzog sie ihm ihre Finger und fuhr mutiger fort: „Das habe ich nicht nur so dahingesagt, ich habe einen Abschluss in …“

„Einkaufen“, bemerkte er trocken.

„Marketing an der Endstufe“, berichtigte sie ihn feierlich. „Im Fachjargon Merchandising.“

Ihr Selbstbewusstsein imponierte ihm. Normalerweise wagte es niemand, ihn zu belehren. Casey war die Erste. Das gefiel ihm fast noch besser, als wenn sie errötend zur Seite blickte.

„Gehen wir?“ Raffa stand auf und hielt ihr den Stuhl, winkte die Leibwächter fort, die es für ihn übernehmen wollten. „Und jetzt bringe ich Sie ins Hotel zurück“, entschied er. Unter ihren Augen lagen Schatten. „Sie sehen müde aus.“

„Das geht vorüber. Morgen früh bin ich wieder fit und energiegeladen“, versicherte sie ihm lächelnd.

Am liebsten hätte er Casey den Vormittag freigegeben, aber das wäre den anderen Kandidaten gegenüber unfair. „Gehen wir“, wiederholte er umgänglich.

„Danke für das erfrischende Getränk.“ Unsicher bewegte sie sich. „Und für …“

„Wofür?“, drängte er, als sie zögerte.

„Dass Sie mir diese Chance geben.“

„Sie haben sie verdient“, versicherte er ihr.

„Aber ich weiß, dass Sie noch aussieben müssen …“

„Sie werden nichts Näheres von mir erfahren“, warnte er sie. „Wie alle anderen bekommen Sie Bescheid, wenn ich mich entschieden habe – ehe Sie abreisen.“

Was er Casey gesagt hatte, galt. Er wollte den besten Kandidaten für die Aufgabe, und sie würde wie alle anderen Bewerber auf Herz und Nieren geprüft werden.

„Bin ich morgen früh im Kostüm richtig angezogen?“, fragte Casey geschäftsmäßig, als Raffa sie vor dem Hotel absetzte.

Nackt wäre sie ihm am liebsten gewesen. „Genau richtig“, sagte er und übergab dem Portier ihre Einkaufstüten. „Sportlich schick wäre auch in Ordnung.“

Höflich schüttelten sie sich die Hände.

Raffa widerstand der Versuchung, einen besonderen Ausdruck in seinen Blick zu legen. Doch während er im Lamborghini davonbrauste, beobachtete er Casey im Rückspiegel.

5. KAPITEL

Statt sich gleich schlafen zu legen, wie Raffa ihr geraten hatte, blieb Casey noch lange auf und wertete die Daten aus, die sie in der Einkaufspassage zusammengetragen hatte. Schließlich fuhr sie sogar noch mit dem Lift ins Bürocenter des Hotels hinunter, um die Daten in den Computer einzugeben.

Es war ihr sehr wichtig, Raffa zu beeindrucken. Auf einmal ging es ihr nicht mehr nur darum, den Posten zu bekommen, Raffa sollte erkennen, was für eine wertvolle Mitarbeiterin er in ihr haben würde. Sie war nicht die Fehlbesetzung, für die er sie gehalten haben musste, als sie ahnungslos und falsch gekleidet in A’Qaban gelandet war. Jetzt würde sie ihm beweisen, dass ihre Veränderungsvorschläge dazu beitragen konnten, sein Land mit Siebenmeilenschritten in die Zukunft zu führen.

Mit einem integrierten, ganzheitlichen Kampagnenkonzept konnte A’Qaban erfolgreich zum global Player aufsteigen.

Erst tief in der Nacht schaltete Casey den Computer aus, badete ihre müden Füße, schlüpfte in den Bademantel und nahm sich die Wirtschaftsseiten der A’Qaban Times vom Vortag vor.

Alle Müdigkeit fiel von ihr ab. Gleich die erste Schlagzeile ließ sie aufmerken.

Autokennzeichen bringt drei Millionen Dollar bei Wohltätigkeitsauktion! „Vater gab mir einen Blankoscheck, damit ich das Kennzeichen für meinen Geländewagen ersteigern konnte“, erklärt die Milliardärstochter.

Heiliger Geldsack! Casey ließ die Zeitung aufs Bett fallen und ging fassungslos im Zimmer auf und ab. Unmöglich, sich vorzustellen, wie viele Geldscheinstapel drei Millionen Dollar sein mussten. Um den Geländewagen aufgeschichtet, dürften sie ihn vermutlich verdecken. So viel grenzenlose Verschwendung schlug alles – auch wenn das Geld einem guten Zweck zukam.

Aber sie durfte ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren: die Leitung der Marketingkampagne für das Aufbauprojekt A’Qaban.

Also vergiss Blankoschecks, Autokennzeichen und verwöhnte junge Berühmtheiten, Casey!

Und Raffa.

Sonst würde sie keinen Schlaf finden.

Doch als sie müde die Bettdecke aufschlug, konnte sie nichts davon vergessen. Am allerwenigsten Raffa.

Irgendwann musste Casey eingeschlummert sein. Als sie erwachte, schimmerte schwaches Licht durch die Jalousienritzen.

Wohlig seufzend beschloss sie, sich noch ein Stündchen im Bett zu aalen. Es war übergroß, wie alles in diesem Luxushotel, und so herrlich bequem, zudem verströmten die blütenweißen Laken einen zarten Hauch von Jasmin.

Den unsichtbaren Butler hatte sie glücklicherweise noch nicht zu Gesicht bekommen. Da konnte sie sich noch ein bisschen Schlaf gönnen. Träge streckte Casey sich und vergrub das Gesicht in den himmlisch weichen Kissen. Sogar ein Telefon stand in Reichweite neben ihrem Bett …

Ein Telefon, das klingelte!

Stirnrunzelnd tastete sie nach dem Störenfried. „Hallo …“

„In zehn Minuten in der Hotelhalle.“

Raffa!

Blitzschnell richtete sie sich auf.

Die Leitung war tot, ehe Casey etwas erwidern konnte.

Schlaftrunken rollte sie sich aus dem Bett und landete auf dem Boden. Sie stolperte auf die Beine, bewegte sich halb benommen aufs Bad zu. Raffa hatte so energiegeladen geklungen, als wäre es bereits Mittag. Typisch! Möglicherweise war er bereits joggen gewesen und tausend Meter geschwommen.

Casey betrat das Bad und drehte die kalte Dusche auf. Mutig wappnete sie sich, dann stellte sie sich dem scharfen Strahl. Mit einem Aufschrei war sie wieder draußen. Um fünf Uhr früh war von ihr nicht viel zu erwarten.

Frierend stellte sie das Wasser auf warm und wagte sich wieder unter die nun angenehm temperierte Dusche. Schnell wusch sie sich die Haare, seifte sich ein, spülte sich ab. Raus aus der Duschkabine.

Nun fühlte sie sich viel besser. Sie wickelte sich ein Handtuch um den Kopf, putzte sich die Zähne, gurgelte und besprühte sich mit Deo.

So! Jetzt war sie hellwach!

Mit frischer Energie kehrte sie ins Schlafzimmer zurück, machte sich über den Rucksack her und zupfte ihre Wüstenunterwäsche heraus. Spontan entschied sie sich für eine dunkle Hose und die rote Wolljacke. Kein Blazer.

Aber natürlich Pumps!

Zur Hose? Sie warf die Hose beiseite und schlüpfte in einen Rock.

Fehlanzeige! Ihre blassen Beine …

Weg mit dem Rock, wieder her mit der Hose.

Bluse, Hose, hohe Absätze …

Bluse, Hose, Wüstenstiefel …

Auf jeden Fall Pumps!

Sekundenschnell begutachtete Casey sich vor dem hohen Spiegel.

Was immer der Tag brachte, sie war bereit.

Für Make-up blieb keine Zeit, ihr seidiges Haar flog in alle Richtungen. Kurz entschlossen bändigte Casey es mit einem Samtband und rannte zur Tür. Die Hand auf der Klinke, hielt sie inne. Zurück, marsch, marsch! Die Marktstudie, die sie ausgearbeitet hatte!

Jetzt noch ein Hauch zollfreies Parfüm, das sie an Bord gekauft hatte. Sprüh, sprüh! Fertig.

Die Umfrage unter dem Arm, geschäftliche Miene aufgesetzt –, ihr blieben noch zwei Sekunden bis zum Ablauf der Zehnminutenfrist.

Casey riss die Tür auf. „Ach verflixt …!“

„Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen.“

Gelöst lehnte Raffa am Türrahmen. Musste er so herausfordernd lächeln? Er roch gut, und seine Zähne waren unanständig weiß …

„Habe ich Sie aufgescheucht? Sie sehen so …“

Abgehetzt aus? „Nein … nein.“ Caseys Lachen kam nicht so selbstsicher heraus, wie sie beabsichtigt hatte. „Überhaupt nicht. Ich habe nur noch schnell meine Unterlagen zusammengepackt, weil ich Sie nicht warten lassen wollte.“

„Gut. Also … hatten Sie Zeit zum Frühstücken?“ Raffa nahm den Arm vom Türpfosten und richtete sich zu seiner beachtlichen Größe auf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er einen eleganten dunklen Anzug trug … blütenweißes Hemd, dunkelblaue Seidenkrawatte …

Armani, entschied Casey und strich sich über ihre Kaufhaushose. Nein, sie irrte sich. Raffas Anzug dürfte von Ozwald Boateng sein. Meine Güte, war der Mann sexy! Und sie war alles, was sie nicht sein wollte: atemlos und rot im Gesicht.

„Was haben Sie da unter dem Arm?“, fragte er.

Blitzschnell überlegte Casey. Schwitzflecken? Deoränder? Dann fiel es ihr ein. „Ach Sie meinen die Mappe?“

„Was sonst?“ Er lächelte umwerfend. „Darf ich?“

Sie reichte sie ihm.

Raffa nahm die Mappe. „Was ist das?“

„Die vorläufige Auswertung meiner Erhebungsergebnisse aus der Einkaufspassage.“

„Sie haben Sie am Computer getippt?“ Er blätterte die Seiten durch.

„Im Bürocenter des Hotels. Meine Handschrift kann ich Ihnen unmöglich zumuten.“

Casey bewegte sich vorsichtig, während Raffa sie musterte, als wollte er ihre intimsten Geheimnisse erkunden. „Bestehe ich vor Ihren strengen Augen?“, fragte sie nervös lachend.

„Sie sehen zauberhaft aus“, erwiderte er.

Wirklich?

Zauberhaft hatte sie noch keiner gefunden. Sie sei zu zielstrebig, hatte sie schon öfter gehört, zu ernsthaft, zu karriereorientiert, zu ehrgeizig. Und das stimmte ja auch. Aber zauberhaft …

„Gehen wir?“, Raffa deutete zu den Aufzügen am Ende des Ganges.

Auf dem Weg zu den Liften musste Casey fast rennen, um mit Raffa Schritt halten zu können. Über ihnen wölbte sich eine vergoldete Decke mit Cherubinen, Rosetten und Blüten, der Boden war mit kostbaren Läufern ausgelegt, an den Seiten erhoben sich hohe Säulen mit goldenen Blättern und Lapislazulimustern. Und alles erstrahlte so hell, dass mit dem Strom, der hier verbraucht wurde, eine Kleinstadt hätte versorgt werden können. Wenn das Raffas Flaggschiffhotel war –, wie musste dann erst sein Palast aussehen? Aber den würde sie natürlich nicht zu Gesicht bekommen.

Atemlos erreichte Casey die Mitte des gläsernen Atriums. War es Höhenangst oder Raffas Nähe, die sie benommen machte?

Ein Schauer überlief sie, als schwarz gekleidete Männer aus dem Hintergrund auftauchten. Beunruhigt betrachtete sie Raffas Leibwächter. Sollte sie die Aufpasser grüßen oder nicht? Lieber nicht, sie blickten an ihr vorbei.

„Da Sie eine Frau sind, dürfen die Männer Sie nicht ansehen“, klärte Raffa sie auf.

Na gut. Sie musste sich wohl daran gewöhnen, dass Raffa nie allein war.

War er wirklich nie allein?

Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.

Als Raffa sie in den gläsernen Aufzug vorausgehen ließ, empfand sie seine Nähe hinter sich wie eine Energiequelle. Spürte er, wie stark sie sich zu ihm hingezogen fühlte … und wie wenig Erfahrung sie in dieser Hinsicht hatte?

„Wie gefällt Ihnen das Hotel, Casey?“

„Bestens. Danke.“ Starr blickte sie geradeaus. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, Raffa zu gestehen, dass sie unter Höhenangst litt, während sie an der Außenseite des höchsten Gebäudes der Stadt mit höllischer Geschwindigkeit abwärts schossen. Sie war erleichtert, als Raffa sich vor sie stellte und ihr den Blick nach draußen nahm –, doch jetzt war er ihr viel zu nah!

„Leiden Sie unter Höhenangst?“, fragte er besorgt. „Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Dann hätte ich Ihnen etwas anderes vorgeschlagen.“

Etagenspringen? Huckepack?

Bei Raffa musste man auf alles gefasst sein.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn anzusehen – oder zumindest seine breite Brust.

Er bemerkte, dass sie erschauerte. „Ist Ihnen kalt?“

„Nein. Ich musste nur an etwas denken.“

„Verraten Sie mir, an was?“

Ihm von ihren wilden erotischen Fantasien erzählen? Auf keinen Fall! Sie mochte linkisch und unerfahren sein, aber ihre Fantasien gehörten ihr allein. Tapfer nahm Casey sich zusammen, während sie dem Boden entgegenrasten. „Ich musste an einen Zeitungsartikel denken.“ Das stimmte sogar fast. „Da wurde von einer gigantischen Summe berichtet, mit der jemand ein Autokennzeichen ersteigert hat.“

„Erzählen Sie mir davon.“

„Es ging für drei Millionen Dollar weg. Ein Vermögen, würde ich sagen. Kommt so etwas bei Auktionen in A’Qaban öfter vor?“

In Raffas Augen blitzte es auf. „Schon möglich … beim richtigen Auktionator. Warum fragen Sie?“

Dahinter steckte doch mehr. Raffa verschwieg ihr etwas! „Ich bin einfach nur neugierig“, verriet Casey. Neugierig, weil ich mich frage, wie man das viele Geld, mit dem Leute in A’Qaban sinnlos um sich werfen, zum Nutzen des ganzen Landes einsetzen könnte. „Fahren wir direkt zur Besprechung?“ Der Aufzug wurde langsamer, sie nutzte die Gelegenheit, um Raffa auszuhorchen.

„Ja. Aber erst möchten wir Sie ein wenig besser kennenlernen.“

„So?“ Ihr wurde heiß. Raffa wollte sie besser kennenlernen.

„Nachdem ich Sie mit meinem Team bekannt gemacht habe.“

Aha.

„Sie können sich also fürs Erste entspannen“, sagte er, als die Türen aus Glas und Stahl aufglitten.

Casey passte zu seinem Team, als hätte sie schon Jahre mit seinen Leuten zusammengearbeitet. Sie trugen teure Designerkleidung, während Casey sich in ihren Sachen von der Stange ganz selbstverständlich bewegte. Sie sprach dieselbe Sprache und brachte eigene Ideen ein. Das war nicht mehr die befremdete junge Frau, die in A’Qaban gelandet war, sondern eine kompetente, tüchtige Führungskraft, die nur darauf wartete, die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. In der ersten Besprechung schlug sie sich besser als erwartet. Hatte er sie bisher unterschätzt, sie nach ihrem zarten Äußeren statt nach dem fachlichen Können beurteilt?

Gebannt hörte er zu, während sie dem Team ihre Erhebungsergebnisse aus der Einkaufspassage erläuterte, folgte interessiert der Power Point Präsentation ihrer Firma. Die eng sitzende Hose, die Casey sich in der Einkaufsmeile gekauft hatte, betonte ihre Figur, die rote Wolljacke ihre weiblichen Formen, die sie zu verbergen versuchte. Wovor fürchtete sie sich?

Als er die Besprechung beendete, hatte er einen Entschluss gefasst. Der Kandidat seiner Wahl musste im Innen- und im Außendienst arbeiten und mit Menschen aus allen Schichten umgehen können. Und er wusste auch schon, wie er Casey als Nächstes prüfen würde.

6. KAPITEL

„Was wollen wir hier?“ Neugierig spähte Casey aus dem Limousinenfenster, als sie vor einem Lagerhaus im Hafen vorfuhren.

„Ich möchte Ihnen einige Dinge zeigen, die Sie verkaufen sollen“, erklärte Raffa.

„Ich soll sie verkaufen? Und wo bitte?“

„Warten Sie ab.“

Wie hübsch sie aussah, wenn sie unsicher lächelte. Er winkte den Chauffeur fort und half Casey beim Aussteigen. Fürs Erste brauchte er keinen Fahrer mehr.

„Könnten Sie einen anderen von meinen Wagen herbringen lassen?“, wies er den Fahrer an, während Casey das hangargroße Lagerhaus ehrfürchtig betrachtete.

„Natürlich, Sir. Welcher Wagen darf es bitte sein?“

Caseys Bemerkung über die Verschwendung in A’Qaban fiel Raffa ein, ihm schlug das Gewissen. Er forderte den Tesla an, der zum Hafen gebracht werden sollte.

„Den Tesla? Sehr wohl, Sir.“

„Kommen Sie.“ Raffa wandte sich wieder Casey zu. „Gehen wir hinein.“

Durch eine Seitentür führte er sie in einen riesigen Lagerraum, der bis zur Decke mit allem nur erdenklichen Luxuskrempel vollgestapelt war: vom chromblitzenden Hummer bis zum Edelgeschirr für fünf Poloteams. Von dort ging es in einen Nebenraum, in dem sich ebenfalls so viel überflüssiges Zeug aufgestaut hatte, dass Casey fassungslos war.

„Meine Güte! Was soll das alles?“, fragte sie kopfschüttelnd.

Fast konnte er hören, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Wahrscheinlich dachte sie prompt an ein Kaufhaus, in dem sie den ganzen Kram anbieten konnte.

„Das ist noch nicht alles“, warnte er sie und führte sie einen mit staubigen Kisten vollgestellten Gang entlang.

„Verraten Sie mir, was das alles bedeuten soll?“, wiederholte Casey verständnislos, während sie ihm folgte.

„Sie mögen Herausforderungen?“

Autor

Kimberly Lang
Schon in der Highschool versteckte Kimberly Lang Liebesromane hinter ihren Schulbüchern. Statt sich mit Theorien und Zahlen herumzuschlagen, schmökerte sie lieber in den neuesten Romances. Auch das Studium ernster englischer Literatur konnte ihre Leidenschaft für aufregende Helden und Happy Ends nicht ändern. Kimberly war nach der Ausbildung zunächst Balletttänzerin und...
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