Julia Exklusiv Band 331

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  • Erscheinungstag 04.12.2020
  • Bandnummer 331
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715267
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine George, Day Leclaire, Kate Walker

JULIA EXKLUSIV BAND 331

1. KAPITEL

Sowie sie sicher sein konnte, dass sie allein auf dem Balkon war, gab Jocelyn Hunter es auf, eine fröhliche Miene aufzusetzen. Es war anstrengend, stundenlang zu lächeln und sich angeregt mit anderen Partygästen zu unterhalten, wenn einem überhaupt nicht danach war. Jetzt konnte sie nicht mehr. Sie war nur zu dieser Verlobungsparty gekommen, um Anna nicht zu enttäuschen, mit der sie schon seit vielen Jahren befreundet war.

In ihrem ärmellosen Kleid fröstelte Jocelyn, denn es wehte eine recht kühle Brise. Hoffentlich kann ich mich bald verabschieden, dachte sie. Aber wo sollte sie dann hin? Etwa in ihre leere Wohnung? Wütend betrachtete sie die Aussicht, bis ein diskretes Hüsteln an der Balkontür verriet, dass sie nicht mehr allein war. Als sie sich unwillig umdrehte, bemerkte sie einen großen Mann, der in jeder Hand ein Glas hielt.

„Ich habe beobachtet, wie Sie sich davongestohlen haben.“ Er hielt ihr ein Glas hin. „Ich dachte, Sie hätten vielleicht gern einen Schluck getrunken.“

Da es sehr unhöflich gewesen wäre, einem von Annas Gästen eine rüde Abfuhr zu erteilen, bedankte Jocelyn sich und nahm das Glas.

„Möchten Sie lieber allein sein?“, fragte der Mann nach längerem Schweigen.

Jocelyn sah auf und musste den Kopf zurücklegen, um ihn ansehen zu können. Das Gefühl war etwas ganz Neues für sie. „Sie haben ebenso das Recht, über den Hydepark zu blicken wie ich“, sagte sie und zuckte die Schultern.

„Okay, dann bleibe ich.“ Er stieß mit ihr an. „Worauf trinken wir?“

„Auf das glückliche Paar?“

„Auf das glückliche Paar.“ Er trank nur einen winzigen Schluck.

„Mögen Sie keinen Champagner?“, fragte sie höflich.

„Nein. Sie?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann das Zeug nicht leiden, aber das muss unter uns bleiben.“

„Ihr Geheimnis ist bei mir bestens aufgehoben“, versicherte er ihr.

Jocelyn lehnte sich an einen Pfeiler und wunderte sich darüber, dass sie sich so bereitwillig mit dem Mann unterhielt. Jedenfalls war es besser, nicht mehr allein zu sein. „Sind Sie mit Hugh befreundet?“

„Nein.“ Er zuckte die breiten Schultern. „Ein Bekannter hat mich mitgeschleift.“

Sie musterte ihn amüsiert. „Sie sind eigentlich zu groß, um mitgeschleift zu werden. Warum hatten Sie denn keine Lust, zu dieser Party zu kommen?“

„Ich mache mir nichts aus solchen Veranstaltungen. Aber mein Bekannter hat darauf bestanden, dass ich mich auch mal amüsiere und nicht immer nur arbeite.“ Er lehnte sich lässig gegen die andere Seite des Pfeilers. „Damit liegt er mir ständig in den Ohren. Ab und zu gebe ich daher nach. Sie brauchen den Champagner nicht zu trinken, wenn Sie ihn nicht mögen“, fügte er hinzu.

„Ich habe mich die ganze Zeit mit Mineralwasser begnügt. Ein Glas Champagner hebt vielleicht meine Stimmung.“ Sie trank das Glas in einem Zug leer.

Der Mann nickte nachdenklich. „Ich verstehe.“

„Was verstehen Sie?“

„Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile. Ihre Körpersprache ist sehr ausdrucksvoll.“

Gespielt entsetzt sah Jocelyn ihn an. „Was haben Sie denn daraus gefolgert?“

„Dass irgendwas in Ihrem Leben schief gelaufen ist.“

„Aha. Und deshalb haben Sie beschlossen, mir das Allheilmittel Champagner herauszubringen. Spielen Sie öfter den barmherzigen Samariter?“

„Nein, eigentlich nie.“

„Und warum tun Sie es jetzt?“

Er beugte sich vor. „Aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich aber, weil ich neugierig bin.“

„Worauf?“

„Die Stimmung hinter dem aufgesetzten Lächeln.“

„Oh. Und ich dachte, man würde mir nichts anmerken.“ Jocelyn wandte sich ab und ließ den Blick über den Park gleiten.

„Außer mir hat niemand etwas bemerkt.“

„Hoffentlich haben Sie recht. Ich möchte Anna nämlich auf keinen Fall das Fest verderben.“

„Sind Sie mit Anna befreundet?“

„Ja. Sie ist meine älteste und beste Freundin. Heute Abend ist sie viel zu aufgeregt, um zu bemerken, dass etwas nicht stimmt.“

Der Mann kam um den Pfeiler herum und stellte sich so dicht zu Jocelyn, dass er mit dem Smokingärmel ihren nackten Arm berührte. Ein Schauer überlief sie.

„Wohnen Sie bei Anna?“, fragte der Mann.

„Nein.“ Sie fröstelte.

„Ihnen ist kalt. Vielleicht sollten Sie wieder hineingehen.“

„Noch nicht. Aber lassen Sie sich nicht aufhalten.“

„Möchten Sie mich los sein?“

„Von mir aus können Sie gern bleiben.“ Sie hoffte, dass er ihr weiterhin Gesellschaft leisten würde. Er war wirklich sehr groß, hatte ein beeindruckendes Profil und dichtes dunkles Haar. Mehr konnte sie in der Dunkelheit leider nicht erkennen. Aber was sie sah, gefiel ihr ausnehmend gut.

„Kommen Sie, gleich wird Ihnen wärmer.“ Fürsorglich legte er ihr sein Jackett um die Schultern, das nach einem frischen Eau de Cologne duftete. „In dem Fähnchen holen Sie sich sonst noch eine Lungenentzündung.“

Jocelyn lachte amüsiert und verlegen zugleich. „Haben Sie etwas gegen das Kleid?“

„Ja.“

„Warum?“

„Wären Sie meine Freundin, würde ich Sie so nicht losziehen lassen.“

Sie musterte ihn vernichtend. „Ich muss doch sehr bitten.“

„Ich bin nicht gerade für mein Taktgefühl bekannt“, gab er zu und konnte sich nur mit Mühe ein Lächeln verbeißen. „Sie haben gefragt, und ich habe geantwortet.“

„Stimmt.“ Jocelyn hatte sich schnell wieder beruhigt. „Das Kleid war sehr teuer, ich habe es extra für Annas Verlobungsfeier gekauft. Mir gefällt es.“

„Mir auch.“

Das Kleid war aus schwarzem Crêpe de Chine, eng anliegend und knöchellang. Es war am Dekolleté und am Saum mit Spitzen besetzt, hatte Spaghettiträger und war bis zu den Knien geschlitzt. „Aha, es gefällt Ihnen also, aber Sie haben etwas dagegen“, stellte sie amüsiert fest.

„Genau.“

„Und ich war so sicher, dass ich darin eine gute Figur machen würde“, sagte sie gespielt enttäuscht.

„Alle Männer hier finden Sie einfach sensationell“, versicherte er ihr.

„Außer Ihnen.“

„Ich ganz besonders. Aber es ist ein zweideutiges Kleid.“

Jocelyn fand langsam Gefallen an der Unterhaltung. „Das ist aber eine komische Beschreibung für ein Kleidungsstück.“

Er lachte mit tiefer Stimme. „Sie mögen es als Partykleid gekauft haben, aber ich finde, es gehört eher ins Schlafzimmer.“

„Es ist ganz bestimmt kein Nachthemd.“ Sie hob herausfordernd das Kinn. „In so einem Ding würde ich niemals schlafen.“

„Jetzt haben Sie meine Neugier erst recht geweckt. Ich würde zu gern wissen, was Sie im Bett tragen oder nicht tragen“, sagte er leise.

Jocelyn überlief ein Schauer. „Das ist eine ungebührliche Unterhaltung.“

„Wieso?“

„Wir kennen uns doch gar nicht.“

„Dem kann abgeholfen werden.“ Der Mann umfasste ihre Hand mit warmem, festem Griff. „Verraten Sie mir Ihren Namen.“

Jocelyn senkte den Blick. Der harmlose Händedruck erregte sie seltsamerweise. „Ach, ich möchte heute Abend jemand anders sein“, behauptete sie. „Sagen Sie einfach Eve zu mir.“

„Dann bin ich Adam.“ Der Mann schüttelte ihr höflich die Hand. „Die Party nähert sich ihrem Ende. Nehmen Sie sich eines einsamen Mannes an, Miss Eve. Gehen Sie mit mir essen.“

Sie sah ihn direkt an. „Ich dachte, Sie hätten einen Bekannten begleitet.“

„Ja, aber es würde ihm nichts ausmachen.“ Er sah ihr in die Augen. „Was hatten Sie heute Abend denn ursprünglich vor?“

Wieder wandte sie sich ab und ließ den Blick über den Hydepark gleiten. „Eigentlich hatte ich eine Verabredung, doch daraus ist dann doch nichts geworden. Deshalb komme ich auch nicht richtig in Partystimmung und habe keine Lust, in ein Restaurant zu gehen, Adam.“

„Dann könnte ich uns etwas auf mein Hotelzimmer bringen lassen“, sagte er und lachte, als er ihren vernichtenden Blick auffing. „Ich lade Sie wirklich nur zum Abendessen ein, Eve. Keine Angst.“

„Wenn ich die Einladung annehme, könnten Sie eventuell weit mehr von mir erwarten.“

„Ich habe Sie schon den ganzen Abend lang beobachtet“, gab er zu bedenken. „Daher weiß ich inzwischen, dass Sie nicht so ein Mädchen sind.“

„Tatsächlich?“ Jocelyn gab ihm das Jackett zurück. „Sie sind eindeutig im Vorteil, Adam. Wenn Sie mich schon die ganze Zeit beobachtet haben, wissen Sie wenigstens, wie ich aussehe. Leider hatte ich noch keine Gelegenheit, Ihr Gesicht richtig zu sehen.“

Er schlüpfte in sein Jackett und stellte sich so hin, dass das Licht aus dem Ballsaal auf ihn fiel.

Nun konnte Jocelyn erkennen, dass er eine leicht gebogene Nase hatte, einen ausdrucksvollen Mund, hohe Wangenknochen und leicht schräg gestellte Augen.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Und, wie ist es?“, fragte er trocken. „Habe ich den Test bestanden?“

Mit eins plus, dachte sie und nickte. „Okay, Adam. Ich würde gern mit Ihnen zu Abend essen, aber nicht in Ihrem Hotelzimmer.“

Er lächelte. „Dann sagen Sie mir, in welchem Restaurant Sie gern essen würden, und ich lasse einen Tisch reservieren.“

Einfach so? Sie musterte ihn neugierig. Kein Restaurantbesitzer würde diesem Mann einen Tisch verweigern. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie es auf einen Versuch ankommen lassen sollte, dann überlegte sie es sich doch anders. „Wie Sie wissen, bin ich nicht gerade in Partylaune. Aber wenn Sie möchten, könnten wir bei mir zu Abend essen.“

Adam lächelte amüsiert. „Können Sie kochen?“

„Ich sagte ‚Abendessen‘, nicht ‚Haute Cuisine‘“, antwortete sie.

Er lachte und umfasste ihre Hand. „Herzlichen Dank für die Einladung, Miss Eve.“

Bei der Berührung überlief sie wieder ein Schauer, den Jocelyn jedoch nicht weiter beachtete. „Wollen wir gehen?“, fragte sie kurz angebunden. „Aber nicht zusammen. Sie verabschieden sich zuerst.“

Er nickte. „Einverstanden. Wir sehen uns dann in zwanzig Minuten vor dem Hoteleingang. Ich warte in meinem Wagen auf Sie.“

Als Jocelyn wieder allein war, lehnte sie sich über die Balkonbrüstung und war fast sicher, dass sie sich diese Begegnung nur eingebildet hatte. Doch als sie durch einen Spalt im Vorhang blickte, entdeckte sie ihren neuen Bekannten, der sich angeregt mit Anna und Hugh unterhielt. Wirklich sehr nett, dachte sie und wartete, bis er sich verabschiedet hatte, bevor sie den Saal betrat, um sich selbst von Anna und Hugh zu verabschieden.

„Wir wollten gerade einen Suchtrupp losschicken. Wo hast du eigentlich die ganze Zeit gesteckt, Jocelyn?“, fragte Anna pikiert.

„Ich war auf dem Balkon und habe die Aussicht bewundert“, antwortete Jocelyn gelassen.

„Allein?“ Hugh lächelte frech.

„Wo denkst du hin.“ Sie klimperte gespielt kokett mit den Wimpern. „So, jetzt muss ich aber los. Ich bin zum Abendessen verabredet. Vielen Dank für die schöne Party. Bis bald.“ Sie umarmte Anna herzlich, küsste Hugh auf die Wange, verabschiedete sich von den anderen Gästen, die sie kannte, und verschwand im Waschraum, wo sie ihr Make-up auffrischte. Dann nahm sie den Fahrstuhl zum Foyer. Ein Mann in Livree führte sie zu einem wartenden Wagen.

„Sie haben sich verspätet“, murrte Adam, sowie sie auf dem Beifahrersitz saß.

„Tut mir leid, ich konnte nicht eher weg.“ Zögernd nannte sie ihm ihre Adresse und hoffte, wirklich keinen Fehler zu machen. Heutzutage konnte man ja nie wissen …

„Ich dachte schon, Sie hätten es sich anders überlegt“, sagte er und fuhr los.

Konnte er etwa Gedanken lesen? „Dann hätte ich Ihnen eine Nachricht zukommen lassen“, antwortete sie kühl.

„Aha. Eine Frau mit Prinzipien.“

„Allerdings.“ Jocelyn betrachtete sein Profil.

Adam lächelte verstohlen. „Ich habe Sie schon richtig verstanden. Keine Sorge, Eve.“

„Gut. Was hat Ihr Freund eigentlich gesagt, als Sie sich verabschiedet haben?“

„Als er hörte, dass ich mit einer Schönheit zum Abendessen verabredet bin, hat er mir seinen Segen gegeben.“

Sie lachte. „Sie kennen sich wohl schon sehr lange.“

„Ja, unser ganzes Leben lang.“

„Wie Anna und ich.“ Sie seufzte. „Hoffentlich macht Hugh sie glücklich!“

„Haben Sie Grund, das Gegenteil zu befürchten?“

„Nein. Ich finde Hugh sehr sympathisch.“

„Dann haben Sie etwas gegen die Ehe?“

„Eigentlich nicht. Ich mache mir nur Sorgen um Anna. Sie ist so sicher, dass sie glücklich und zufrieden leben werden, bis ans Ende ihrer Tage, und ich bin etwas realistischer. Viele Ehen werden geschieden.“

„Überlassen Sie Ihre Freundin ruhig ihrem Verlobten. Er ist nämlich völlig vernarrt in Anna. Und Sie konzentrieren sich auf Ihr eigenes Leben, Eve.“

„Vielen Dank für den guten Ratschlag.“ Sie unterhielten sich, bis Adam den Wagen vor dem modernen Wohnblock in Notting Hill parkte, in dem Jocelyn ein Apartment hatte. Das Haus fügte sich erstaunlich gut in seine viktorianische Nachbarschaft ein.

„Ich wohne im sechsten Stock“, sagte Jocelyn, als sie den Lift betraten. Sie fühlte sich etwas beengt, weil Adam so viel Platz für sich beanspruchte.

Er musterte sie besorgt. „Sie bedauern Ihren Entschluss, oder?“

„Ja und nein.“

„Dann werde ich Sie jetzt zur Wohnungstür bringen und mich dann verabschieden.“

So hatte sie es nun auch wieder nicht gemeint! „Aber nein“, widersprach sie bestimmt. „Ich habe Sie zum Essen eingeladen, und dabei bleibt es.“ Sie sah ihn fragend an. „Hätten Sie mich wirklich nur zur Tür gebracht?“

„Wenn Sie es so gewollt hätten. Aber nur widerwillig.“ Er drückte ihr beruhigend die Hand. „Ich halte mein Wort, Eve.“

„Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, hätte ich Sie nicht eingeladen“, versicherte sie ihm.

Jocelyn führte ihren Gast durch den schmalen Korridor ins Wohnzimmer. Die großen Fenster gaben den Blick auf einen Garten frei, der von allen Bewohnern der umliegenden Häuser benutzt wurde. Das Zimmer war geräumig und lediglich mit frei stehenden Regalen, auf denen zwei Messinglampen standen, einem kleinen Sofa und einem großen Sitzkissen möbliert.

„Setzen Sie sich bitte“, sagte Jocelyn. „Es wird nicht lange dauern, bis ich das Abendessen zubereitet habe. Zum Glück habe ich heute eingekauft. Allerdings hatte ich nicht mit Gesellschaft gerechnet und kann Ihnen daher nur Rotwein oder Whisky anbieten.“

„Ich nehme gern ein Glas Wein.“ Adam setzte sich aufs Sofa und streckte seine endlos langen Beine aus. „Aber erst zum Essen. Rotwein soll ja erst atmen, bevor man ihn trinkt. Kann ich Ihnen helfen?“

Sie lachte und schüttelte den Kopf. „In meiner Küche ist kein Platz für Riesen. Machen Sie es sich gemütlich, es dauert nicht lange.“

Beim Herrichten des Abendessens dachte Jocelyn über ihren neuen Bekannten nach. Er gefiel ihr sehr gut, denn er war kein Schönling, sondern ein anziehender Mann mit markantem Äußeren. Sie machte Kopfsalat mit Essig und Öl an, zerteilte ein kaltes Brathähnchen in mundgerechte Stücke, schnitt ein Baguette auf und bestrich die Scheiben mit Butter und legte ein Stück Käse auf einen Teller. Dann richtete sie Hähnchen und Salat auf zwei Tellern an, wobei sie Adam eine größere Portion zudachte, und stellte die Teller auf ein Tablett mit Besteck, Servietten und Gläsern. Nachdem sie das Brot, den Käse und Wein sowie eine Schale mit frischem Obst hinzugefügt hatte, ging sie damit ins Wohnzimmer und stellte es auf den Fußboden.

Ihr Gast, der gerade interessiert die Bücher betrachtet hatte, wandte sich lächelnd um. „Sie haben wirklich etwas zu jedem Thema.“

„Ja. Ich liebe Bücher. Nehmen Sie doch bitte wieder Platz.“ Jocelyn lächelte entschuldigend, als sie ihm ein Glas Wein einschenkte. „Tut mir leid, es ist eher ein Picknick. Vielleicht hätten Sie doch lieber im Hotel gegessen.“

„Das wage ich zu bezweifeln.“ Adam nahm seinen Teller entgegen. „Das sieht nämlich sehr appetitlich aus.“ Er sah auf. „Vielen Dank, Eve.“

„Es ist mir ein Vergnügen.“ Sie setzte sich auf das Sitzkissen und war wirklich froh, den Abend nicht allein verbringen zu müssen.

„Mir ist es ein Vergnügen“, bekräftigte Adam und hob sein Glas. „Ich hätte es mir nicht träumen lassen, den heutigen Abend mit Ihnen verbringen zu dürfen, als ich Sie vorhin entdeckt habe.“

„Und wann war das?“

„Sowie ich eingetroffen war. Sie heben sich wohltuend von der Menge ab.“

„Das liegt an meiner Körpergröße“, sagte Jocelyn resigniert. „Aber wieso sind Sie mir nicht gleich aufgefallen?“

„Weil wir erst spät gekommen sind. Sie standen mit dem Rücken zu mir, und zuerst ist mir Ihr Haar aufgefallen, nicht Ihre Größe. Vor Ihnen hing ein Spiegel, daher konnte ich Ihr schmales Gesicht sehen. Dabei ist mir auch aufgefallen, dass Sie zwar mit dem Mund gelächelt haben, aber nicht mit den Augen. In dem Moment habe ich mir vorgenommen, den Grund dafür herauszufinden.“

„Gut, dass ich davon nichts bemerkt habe. Das ist ja wie bei der ‚versteckten Kamera‘. Hoffentlich habe ich mich nicht danebenbenommen.“

„Selbstverständlich nicht. Sie waren der perfekte Gast.“ Adam nahm sich Brot. „Aber mir war bewusst, dass Sie nicht in Partystimmung waren. Es hat mich überrascht und beeindruckt, dass Sie es trotzdem so lange ausgehalten haben.“

„Sie haben also auch mein Verschwinden bemerkt“, sagte Jocelyn nachdenklich.

Er nickte. „Und da habe ich mir gedacht, ich spreche Sie einfach mal an. Im schlimmsten Fall hätten Sie mir die kalte Schulter gezeigt.“

„Und im Idealfall?“

„Im Idealfall hätten Sie sich mit mir unterhalten.“ Er sah sie an. „Hiervon hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt.“

„Von Hähnchensalat und billigem Rotwein?“, fragte sie frech.

„Genau. Nun erzählen Sie mir bitte, warum Sie mich eingeladen haben.“

„Jedenfalls nicht, damit Sie das Bett mit mir teilen.“

„Ich dachte, das Thema wäre bereits abgehakt“, antwortete er ungeduldig. „Hören Sie mir zu, Eve! Ich schwöre, ich werde mich nicht auf Sie stürzen, sowie wir gegessen haben. Und auch nicht später. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Ja, vielen Dank.“ Sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte.

Adam sah sie fragend an. „Haben Sie in einer ähnlichen Situation schon mal schlechte Erfahrungen gemacht?“

Jocelyn schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nie einen Mann hierher zum Abendessen eingeladen.“

Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. „Noch nie?“

„Nein.“

„Und warum haben Sie bei mir eine Ausnahme gemacht?“

„Weil Sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren. Ich wollte heute Abend nicht allein sein, und Sie haben mich eingeladen, Ihnen Gesellschaft zu leisten.“

Adam beugte sich vor. „Sie hätten also irgendeinen Mann eingeladen?“

„Selbstverständlich nicht!“ Sie funkelte ihn wütend an und sprang auf. „Sie waren nett und zuvorkommend. Das hat mir gefallen. Aber was das Beste ist: Sie sind sehr groß.“

Er lächelte amüsiert. „Ist das so wichtig?“

„Für mich schon. Ich bin einen Meter achtzig groß und trage gern hohe Absätze.“

Adam lachte, schenkte Wein nach und nahm dankbar ihr Angebot an, Brot und Käse aufzuessen.

Jocelyn hielt ihm den Obstkorb hin. „Nehmen Sie ruhig einen dazu.“

Amüsiert griff er nach einem glänzenden roten Apfel. „Sehr passend, Eve. Wird mein Leben sich nach einem Bissen für immer verändern?“

„Lassen Sie es auf einen Versuch ankommen.“ Lächelnd setzte sie sich wieder und sah zu, wie er in den Apfel biss. „Tut mir leid, dass ich Ihnen keinen richtigen Nachtisch bieten kann.“

„Das Essen war auch so wunderbar. Von der Gesellschaft ganz zu schweigen“, fügte er hinzu. „Fühlen Sie sich jetzt besser?“

„Ja. Ich habe in der letzten Zeit wenig Appetit gehabt.“

„Das meine ich nicht.“

„Ich weiß. Ja, ich fühle mich besser.“

„Gut.“ Adam hatte alles aufgegessen und stellte den leeren Teller aufs Tablett. „Soll ich das Tablett in die Küche bringen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das mache ich später.“

„Viel später.“ Er sah ihr tief in die Augen. „Ich denke nämlich nicht daran, mich schon zu verabschieden.“

Sie war froh darüber, denn sie wollte jetzt nicht allein sein.

„Sie wollen mir zwar Ihren Namen nicht verraten, aber würden Sie mir trotzdem erzählen, was Sie beruflich machen?“

Jocelyn beschloss, zu verschweigen, dass sie als Journalistin arbeitete. Das wäre zu verräterisch gewesen. An diesem Abend wollte sie nur die romantische, geheimnisvolle Eve sein. „Ich bin bei einem Verlag beschäftigt“, erwiderte sie daher ausweichend.

„Romane?“

„Nein, Fakten.“ Sie machte es sich auf dem Sitzkissen gemütlich. „Und was machen Sie?“

„Ich bin im Baugewerbe tätig.“

Sie stellte sich seinen sonnengebräunten, muskulösen Körper vor. Im Sommer arbeitete er bestimmt mit nacktem Oberkörper. „Scheint gut bezahlt zu werden“, sagte sie und ließ den Blick vielsagend über den maßgeschneiderten Smoking gleiten.

„Falls Sie auf den Anzug anspielen, der ist nur für besondere Gelegenheiten.“

„Wirklich?“

„Aber ja.“ Interessiert betrachtete er ihr goldblondes Haar, die ausdrucksvollen Augen, den sinnlichen Mund, das Kleid und die schwarzen Seidenpumps. „Sie kleiden sich aber auch nicht gerade von der Stange.“

„Stimmt. Für Annas Verlobungsfeier habe ich mir etwas ganz Besonderes gegönnt. Außerdem war ich wütend, als ich es mir gekauft habe.“

„Hatte das etwas mit Ihrer ursprünglichen Verabredung zum Abendessen zu tun?“

„Ja, irgendwie schon.“

„Das ist aber nicht der einzige Grund gewesen.“

„Nein.“ Bei der Erinnerung funkelten ihre Augen wütend.

„Möchten Sie mir gern davon erzählen?“

Jocelyn sah ihn erstaunt an.

„Es ist leichter, sich jemandem anzuvertrauen, den man nicht so gut kennt“, erklärte er.

„Ach so. Ich erzähle Ihnen meine traurige Geschichte, darf mich an Ihrer Schulter ausweinen, und anschließend verschwinden Sie auf Nimmerwiedersehen.“ Sie lächelte wehmütig. „Der Film kommt mir bekannt vor.“

„Ich würde das Drehbuch gern etwas abändern.“ Adam lachte. „Jedenfalls können Sie sich mir ruhig anvertrauen, ich erzähle bestimmt nichts weiter.“

„Wie ein Priester, der sich an das Beichtgeheimnis halten muss?“

„Das ist die falsche Besetzung für mich.“

Jocelyn nickte zustimmend. „Ja, die Rolle passt nicht zu Ihnen.“

„Aber ich kann wirklich sehr gut zuhören.“

„Und Sie sind neugierig?“

„Sagen wir, es interessiert mich.“

Sie war nahe dran, sich ihm anzuvertrauen. Normalerweise hätte sie Anna alles erzählt, doch die Gelegenheit hatte sich einfach noch nicht ergeben. „Sind Sie sicher?“

Adam nickte bereitwillig. „Es interessiert mich, warum Sie heute Abend so eine Vorstellung gegeben haben. Eigentlich hätten Sie einen Oscar dafür verdient.“

Jocelyn lächelte verlegen und beschloss, es zu riskieren. „Ich habe hier mit meinem Verlobten zusammengelebt, bis er mich vor einigen Wochen verlassen hat.“

2. KAPITEL

Jocelyn hatte sich sehr bemüht, wenigstens einmal früh nach Hause zu kommen. Voll bepackt mit Lebensmitteln für ein feierliches Abendessen, war sie in die Wohnung geeilt und wäre fast über die vielen Gepäckstücke gestolpert, die im Korridor den Weg versperrten.

Verwundert betrachtete sie die Sachen, als Peter Sadler mit schuldbewusster Miene aus dem Schlafzimmer eilte. „Du bist früher nach Hause gekommen“, sagte er vorwurfsvoll.

Jocelyn nickte kurz. „Du scheinst ja überaus erfreut zu sein, mich zu sehen“, bemerkte sie ironisch. „Gibt es Probleme?“

„Ja, das kann man wohl sagen.“ Er nahm ihr die Einkaufstasche ab. „Ich bringe die Lebensmittel in die Küche. Möchtest du eine Tasse Tee trinken?“

Mit einem unguten Gefühl beobachtete sie, wie er Wasser aufsetzte und Teebeutel in eine Teekanne hängte. „Und worin besteht dieses Problem? Warum stehen die Koffer im Korridor? Gehst du auf Geschäftsreise?“

„Nein.“ Er sah sie trotzig an. „Ich habe gekündigt.“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Du hast was?“

„Ich habe gekündigt, um ihnen zuvorzukommen.“

Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Das kommt aber plötzlich, Peter. Wieso hast du mir nicht eher gesagt, dass du befürchtest, an die Luft gesetzt zu werden?“

„Wann denn?“ Wütend funkelte Peter sie an. „Du bist ja nie zu Hause.“

„Jetzt übertreibst du aber. Immerhin verbringen wir die Nächte miteinander. Du hättest mich informieren können, als du mal nicht zu müde gewesen bist, um Gute Nacht zu sagen.“

„Du weißt doch, dass ich meinen Schlaf brauche“, antwortete er beleidigt. „Und in der letzten Zeit hätte sich das Wachbleiben sowieso nicht gelohnt. Wir haben uns seit Wochen nicht mehr geliebt. Dein Job macht dir wesentlich mehr Spaß, als mit mir zu schlafen.“

Jocelyn hatte das Gefühl, ihr würde der Boden unter den Füßen weggezogen. „Offensichtlich hast du das schon seit geraumer Zeit geplant. Ich muss völlig blind gewesen sein.“ Mit zittriger Hand strich sie sich durchs Haar. „Mir ist aufgefallen, wie einsilbig du in der letzten Zeit gewesen bist, aber ich dachte, das hätte andere Gründe gehabt.“

„Welche beispielsweise?“, fragte Peter verständnislos. „Ich habe ja nur noch an meinen Plänen für den neuen Baukomplex am Fluss gearbeitet.“ Sarkastisch verzog er das Gesicht. „Falls es dich interessiert, Athena hat meinen Entwurf abgelehnt.“

Sie sah ihn mitleidig an. „Das tut mir entsetzlich leid, Peter. Ich weiß, wie hart du daran gearbeitet hast. Aber davon geht doch die Welt nicht unter.“

„Für mich schon. Jedenfalls denke ich gar nicht daran, weiterhin für dieses Architektenbüro zu arbeiten.“ Schlecht gelaunt zuckte er die Schultern. „Wahrscheinlich war ich bei diesen Typen sowieso an der völlig falschen Adresse. Ich habe den Job nur angenommen, weil du mich dazu gedrängt hast, Jocelyn. Jedenfalls kehre ich jetzt ins Familienunternehmen zurück, wo ich hingehöre.“ Er blickte auf seine Uhr und wurde rot, als er sah, dass sie es bemerkt hatte. „Ich habe keine Eile, Jocelyn. Ich kann gern einen späteren Zug nehmen.“

„Mach dir meinetwegen keine Umstände.“ Jocelyn verschränkte die Arme und musterte ihn. „Dann ist es also aus zwischen uns?“

Peter schluckte. „Ich denke schon.“

„Du denkst schon?“

„Ich habe einen Brief für dich hinterlassen, Jocelyn. Darin habe ich dir alles erklärt.“

„Wie umsichtig!“ Sie musterte ihn verächtlich. „Wenn ich um die übliche Zeit nach Hause gekommen wäre, wärst du längst weg gewesen, oder?“

„Ich dachte, es wäre einfacher für uns“, sagte er undeutlich und reichte ihr eine Tasse Tee.

Jocelyn stellte die Tasse so heftig auf den Tisch, dass es klirrte. „Für dich wäre es bestimmt einfacher gewesen, Peter.“

Peter zuckte beleidigt die Schultern. „Okay, es wäre leichter für mich gewesen. Sieh mal, Jocelyn, wir hatten uns doch schon seit Monaten nichts mehr zu sagen.“ Er straffte die schmalen Schultern und sah ihr in die Augen. „Ehrlich gesagt, ich mache mir nichts mehr aus dir. Du bist älter als ich, ehrgeiziger, du verdienst mehr Geld, du bist sogar größer als ich. In deiner Gegenwart fühle ich mich klein und unbedeutend, das ertrage ich einfach nicht mehr.“

„Ach, so ist das.“ Sie funkelte ihn wütend an. „Das war es dann wohl. Unser gemeinsames Jahr hat dir also überhaupt nichts bedeutet?“

„Ist es nur ein Jahr gewesen?“, fragte er ungewollt grausam. „Ich dachte, es wäre viel länger gewesen. Wie auch immer. Jedenfalls tut es mir leid, dass es so enden muss. Schade, dass du nach Hause gekommen bist, bevor ich …“

„Bevor du dich davonstehlen konntest?“

„Bitte nicht, Jocelyn. Lass uns doch wenigstens Freunde bleiben.“ Bittend umfasste er ihren Arm.

Jocelyn schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. Plötzlich ertrug sie es nicht mehr, von ihm berührt zu werden. „Nimm deine Sachen, und verschwinde. Zu dumm, dass ich ausgerechnet heute früher nach Hause kommen musste. Sonst hättest du dich ungesehen davonschleichen können.“

Peter wich beleidigt zurück. „Wieso bist du heute eigentlich früher gekommen?“

Sie biss die Zähne zusammen. „Mir war eben danach. Leb wohl, Peter!“

Er kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu, überlegte es sich jedoch schnell anders, als er ihre Miene sah. „Ja, leb wohl, Jocelyn. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen. Wenn ich das Athena-Projekt bekommen hätte …“

„Dann wäre ich immer noch älter und größer als du.“ Jocelyn lächelte traurig. „Ich hätte nie gedacht, dass es so wichtig sein könnte.“

„Am Anfang war es das auch nicht“, antwortete er leise.

„Sag mir die Wahrheit, Peter. Das schuldest du mir.“

Peter runzelte die Stirn. „Aber das ist die Wahrheit. Eigentlich wollte ich das alles gar nicht sagen – das mit deinem Alter und deiner Größe.“

Sie hatte ihn ungeduldig angesehen. „Ja, schon gut. Ich möchte nur wissen, ob es eine andere Frau gibt.“

„Du liebe Zeit, bloß nicht“, hatte er mit unmissverständlicher Offenheit geantwortet. „Mit dir hatte ich mehr als genug zu tun, Jocelyn. Für eine andere Frau hat mir die Zeit und die Energie gefehlt.“

Jocelyn hatte Adam die ganze Geschichte wie in Trance erzählt. Als sie jetzt aufsah, bemerkte sie seine angewiderte Miene und freute sich über seine Reaktion. „Das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen“, fuhr sie fort. „Ich habe eine fürchterliche Szene gemacht und ihm den Ring vor die Füße geworfen. Sowie Peter mit seinem Gepäck verschwunden war, habe ich eine Spedition beauftragt, seine Sachen abzuholen und zu seinen Eltern zu bringen. Ich habe nur das Sofa und das Bett behalten. Diese Möbel kann er zurückhaben, sobald ich etwas Neues gekauft habe.“

Adam sah sie prüfend an. „Sie haben niemandem davon erzählt?“

„Nein, Sie sind der Einzige, der jetzt Bescheid weiß.“

„Sie haben es nicht einmal mit Ihren Eltern besprochen?“

„Ich habe keine Eltern mehr. Und Anna wollte ich vor ihrer Verlobungsfeier nicht mit meinen Problemen belasten. Ich habe behauptet, Peter sei auf einem Lehrgang und könne nicht kommen. Sie wohnt in Warwickshire, es war also recht einfach, ihr die Angelegenheit zu verschweigen.“

„Jetzt verstehe ich, warum Sie nicht in Partystimmung waren“, sagte Adam trocken.

Sie verzog das Gesicht. „Es war schrecklich anstrengend, mich zu verstellen. Als ich es schließlich nicht mehr ausgehalten habe, bin ich auf den kleinen Balkon verschwunden.“

Adam lächelte. „In Anbetracht der Umstände waren Sie erstaunlich höflich, als ich mich zu Ihnen gesellt habe.“

Jocelyn lächelte schuldbewusst. „Am liebsten hätte ich Ihnen die kalte Schulter gezeigt, damit Sie sofort wieder verschwinden. Aber dann war ich eigentlich doch ganz froh, Gesellschaft zu haben. Wahrscheinlich wäre ich sonst in Selbstmitleid versunken. Es war sehr nett, dass Sie mich davor bewahrt haben.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin bestimmt kein edler Ritter, Eve. Wenn Sie weniger hübsch wären, hätte ich sicher auch Mitleid mit Ihnen gehabt, aber ich hätte nichts unternommen, um Sie aufzumuntern.“

„Wenigstens sind Sie ehrlich.“

„Ich versuche es. Sie sind mir gleich aufgefallen. Als Sie sich dann auf dem Balkon versteckt haben, habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt, mir zwei Gläser Champagner geschnappt und bin Ihnen gefolgt.“

Ihre Augen funkelten amüsiert. „Und was hätten Sie getan, wenn ein eifersüchtiger Ehemann dazugekommen wäre?“

„Dann hätte ich mich schnell aus dem Staub gemacht.“ Er lächelte. „Ich mache einen Bogen um Ehemänner, ob eifersüchtig oder nicht. Mir ist es lieber, wenn meine Frauen ungebunden sind.“

„Ihre Frauen?“

„Das ist nur so eine Redensart.“

Jocelyn sah ihn misstrauisch an. „Sind Sie eigentlich ungebunden?“

„Aber ja“, antwortete er nachdrücklich. „Sonst würde dies nicht passieren.“

„Darf ich Ihnen noch eine Tasse Kaffee anbieten?“, fragte sie, plötzlich nervös, weil sie sich bewusst geworden war, dass tatsächlich etwas passierte.

„Ist das eine höfliche Aufforderung zu gehen?“

Jocelyn musterte ihn nachdenklich. „Nein, Sie können gern noch etwas bleiben, wenn Sie möchten.“

„Sie wissen genau, dass ich das möchte. Und ich habe genug Kaffee getrunken. Soll ich Ihnen sagen, was ich möchte?“

„Nein, bitte nicht“, antwortete sie schnell. „Bevor Peter und ich zusammengezogen sind, waren wir schon ziemlich lange eng befreundet. Ich bin etwas aus der Übung mit solchen Sachen.“

„Was meinen Sie denn mit ‚solchen Sachen‘?“, fragte er amüsiert.

„Gegenfrage: Was meinen Sie?“

„Ich möchte Sie einfach gern näher kennenlernen. Und Sie?“

Sie dachte nach. „Ich habe Sie eingeladen, weil ich deprimiert und wütend war, und Sie waren nett zu mir und …“

„Und ich bin wesentlich größer als Sie.“

Jocelyn lachte herzlich, plötzlich war sie wieder ganz entspannt. „Sie sind größer als die meisten Menschen.“

„Ja, und in diesem Augenblick bin ich besonders dankbar dafür. Kommen Sie zu mir, geheimnisvolle Eve, und halten Sie meine Hand.“

„Mit meiner Hand werden Sie sich doch kaum begnügen, oder?“

„Nein“, antwortete er offen. „Ich bin schließlich ein Mann aus Fleisch und Blut. Und was Frauen betrifft, Eve, nehme ich nur, was mir bereitwillig angeboten wird.“

„Wenn das so ist …“ Sie stand auf und setzte sich zu ihm. Viel Platz blieb ihr nicht gerade neben ihm. „Ganz schön eng“, sagte sie atemlos.

Adam rückte etwas zur Seite, damit sie mehr Platz hatte, und umfasste ihre Hand. „Sie hatten recht. Es genügt mir nicht, nur Ihre Hand zu halten. Gehen Sie lieber zurück zu Ihrem Sitzkissen.“

„Und was würde Ihnen genügen?“, fragte sie neugierig.

Adam legte den Arm um sie. „Das.“

Jocelyn lehnte sich entspannt an seine Schulter und genoss es, sich klein, zierlich und geborgen zu fühlen. Das war ihr lange nicht mehr passiert. Sie fühlte sich so wohl in Adams Arm, dass sie ihre Enttäuschung über Peters Verhalten vergessen konnte. Sie seufzte erleichtert.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er.

„Ich habe gerade überlegt, wie merkwürdig es ist, hier mit einem Mann zu sitzen, den ich gerade erst kennengelernt habe.“

„Aber Sie haben keine Angst mehr vor mir.“

„Ich hatte die ganze Zeit keine Angst vor Ihnen“, antwortete sie beleidigt und sah ihn an.

Er lächelte ihr zu. „Sie waren aber nervös.“

„Ja, das stimmt allerdings.“ Sie erwiderte sein Lächeln.

„Sind Sie jetzt nervös?“

„Nein.“

„Und wie fühlen Sie sich?“

„Nicht schlecht.“

Er lachte amüsiert. „Das ist aber nicht gerade sehr schmeichelhaft.“

„Doch, es ist das größte Kompliment, das ich heute Abend machen kann.“

Adam hob ihre Hand und küsste sie. „Wenn es Sie tröstet, Eve: Ich halte Ihren abtrünnigen Verlobten für einen Narren. Aber ich bin ihm dankbar.“

„Wofür?“

„Wenn er nicht gegangen wäre, würde ich nicht hier sitzen.“

„Stimmt.“ Jocelyn musste plötzlich gähnen. „Entschuldigung. Ich habe in letzter Zeit schlecht geschlafen.“

Er strich ihr zärtlich übers Haar. „Entspann dich“, flüsterte er ihr ins Ohr, und sie machte die Augen zu und schmiegte sich an ihn.

Sie wachte wieder auf, als er sie ins Schlafzimmer trug. Behutsam ließ er sie aufs Bett gleiten und richtete sich wieder auf.

„Gute Nacht, Eve“, flüsterte er und beugte sich hinunter, um sie auf die Wange zu küssen.

Jocelyn drehte den Kopf so, dass Adam stattdessen ihren Mund traf. Und plötzlich sehnte sie sich danach, wieder begehrenswert zu sein, und vergaß ihre Bedenken. „Bitte bleib bei mir“, sagte sie mit bebender Stimme. „Nur heute Nacht. Bitte.“

Sie beobachtete, wie er sekundenlang die Augen schloss und die Hände zu Fäusten ballte. Dann atmete er tief durch, setzte sich aufs Bett und zog sie auf den Schoß.

„Das war eigentlich nicht geplant, Eve.“

„Willst du mich nicht?“, fragte sie verzweifelt.

„Du weißt genau, wie sehr“, antwortete er mit vor Verlangen rauer Stimme.

„Dann zeig es mir.“

Adam umarmte sie und begann, kleine Küsse auf ihrem Gesicht zu verteilen. Doch schon bald wurde das Verlangen unerträglich, und er küsste sie mit einer Leidenschaft, die keinen Zweifel daran ließ, wie sehr er sie begehrte. Auch sie wurde von heißen Wogen durchflutet und erwiderte seine Küsse. Als er sie enger an sich zog, spürte sie, wie erregt er war.

Ihre Küsse wurden wilder, verlangender. Adam liebkoste ihre Brüste, deren Spitzen sich sofort aufrichteten. Er zog sein Jackett aus, löste die Fliege und ließ die Sachen achtlos zu Boden gleiten. Jocelyn öffnete die Hemdknöpfe, sie wollte seine nackte Brust liebkosen. Feurige Leidenschaft trieb sie an, sie sehnte sich danach, ihn richtig zu spüren.

Adam löste sich von ihr, und sie stand auf und wich einen Schritt zurück. Die ganze Zeit sah sie ihm tief in die Augen und begann, ihr Kleid betont langsam hinuntergleiten zu lassen, um ihn noch mehr zu erregen. Als es auf dem Boden lag, beugte sie sich vor, um die schwarzen Seidenstrümpfe vom Strumpfgürtel zu lösen. Triumphierend hörte sie, wie er scharf einatmete.

Adam hielt es nicht mehr aus. Er zog sie an sich und küsste sie verlangend, während er sie beide ganz auszog. Schließlich hob er Jocelyn hoch. Seine Augen waren dunkel vor Verlangen, und sie erschauerte, als ihr bewusst wurde, wie sehr er sich nach ihr sehnte.

„Bist du sicher?“, fragte er rau, als er sie aufs Bett gleiten ließ. Noch konnten sie aufhören. Doch Jocelyn nickte und streckte verlangend die Arme nach ihm aus. Im nächsten Moment lag er bei ihr und zog sie an sich, um sie dann wieder von ihr zu lösen. Sie wollte gerade enttäuscht protestieren, als er sie überall erregend zu küssen begann. Schon bald bog sie sich ihm lustvoll entgegen, denn sie hielt es kaum noch aus und sehnte sich nach Erfüllung.

Seine Liebkosungen wurden immer fordernder, auch er sehnte sich danach, eins mit ihr zu sein. Nach einer kurzen, wichtigen Frage, die Jocelyn verneinte, erfüllte er ihre Wünsche und drang in sie ein. Sie stöhnte überwältigt, als sie ihn endlich richtig spürte und im Einklang mit ihm einen fulminanten Höhepunkt erlebte.

„Was sagt man in einer solchen Situation?“, fragte sie schließlich, als die Wogen der Leidenschaft etwas abgeebbt waren.

„Was sagst du denn normalerweise?“, meinte er rau.

„Gute Nacht, wahrscheinlich.“

Adam sah sie fragend an. „Möchtest du, dass ich das sage?“

„Nein.“ Sie senkte den Blick. „Es sei denn, du möchtest gehen.“

Er küsste sie mit neu erwachter Leidenschaft. „Nein, ich möchte hierbleiben und dich die ganze Nacht im Arm halten. Hin und wieder kneife ich mich vielleicht, um sicher zu sein, dass ich nicht träume.“

„Mir geht es genauso“, gab sie zu. „Und ich bin etwas schockiert.“

„Über das, was wir getan haben?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortete sie. „Ich bin ja aufgeklärt.“

Adam lachte und küsste sie sanfter. „Und was hat dich dann schockiert?“

„Dass ich dich gebeten habe, mich zu lieben.“ Jocelyn biss sich auf die Lippe. „So etwas habe ich noch nie getan.“

„Das glaube ich gern.“ Er wollte sich ausschütten vor Lachen.

„Es freut mich, dass du das so amüsant findest“, sagte sie ironisch.

„Außergewöhnlich, nicht amüsant“, verbesserte er sie rau. „Wenn du mich nicht gebeten hättest, dich zu lieben, wäre ich vielleicht willensstark genug gewesen, mich mit einem Kuss von dir zu verabschieden. Allerdings wage ich das zu bezweifeln. Ich habe dich auf den ersten Blick begehrt, schöne Eve.“

„Das sagst du nur, um mich zu beruhigen.“

Adam lächelte. „Nein, das ist die Wahrheit.“

Jocelyn seufzte beglückt und wartete auf seinen Kuss. Als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: „Du hast etwas ganz Wunderbares vollbracht.“

„Das sehe ich auch so.“

„Nein, das doch nicht“, entgegnete sie ungeduldig und lächelte dann. „Doch, das natürlich auch. Es war einfach wundervoll. Aber ich meine die Art, wie du mich geliebt hast. Das hat meinem gebeutelten Selbstbewusstsein sehr gutgetan.“

„Wie habe ich dich denn geliebt?“, fragte er interessiert.

„Als wärst du fast verhungert.“ Sie errötete verlegen, als er lachte und sie zärtlich zu streicheln begann.

„Genauso war es“, gab er zu. „Der Abend war nur das Vorspiel. Bevor ich dich geküsst und diese wundervollen Brüste liebkost habe, konnte ich nur an dies denken … und an dies … und dies …“

Er liebkoste sie so gekonnt, dass Jocelyn erneut von heißer Leidenschaft überwältigt wurde, und sie erlebten einen weiteren atemberaubenden Höhepunkt.

3. KAPITEL

Mitten in der Nacht wachte Jocelyn kurz auf, als jemand sie zudeckte, ihr einen Kuss gab und eine Gute Nacht wünschte. Sie schlief aber sofort wieder ein und wurde erst am nächsten Morgen vom Tageslicht geweckt.

Im ersten Moment bildete sie sich ein, nur einen erotischen Traum gehabt zu haben, doch ein Blick auf das zerwühlte Bett nahm ihr diese Illusion. Jocelyn war erschüttert. Sie atmete tief durch, schlug die Bettdecke zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Nachdem sie die Kopfkissen ordentlich hingelegt hatte, schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und ging in den Korridor, um sich zu vergewissern, dass Adam tatsächlich fort war.

Sie war tatsächlich allein in der Wohnung. Wieder atmete sie tief durch und machte sich bewusst, was sie getan hatte. Sie kannte Leute, die sich öfter einen Partner für eine Nacht voller Leidenschaft suchten, aber sie hatte das bisher immer abgelehnt. Es passte nicht zu ihr. Sie war mit Peter zusammengezogen, weil sie davon ausgegangen war, ihn eines Tages zu heiraten. Die Beziehung hatte sie aber nicht darauf vorbereitet, wie wunderbar das Liebesspiel sein konnte. Dazu hatte sie erst in den Armen eines fremden Mannes liegen müssen.

Ausgerechnet mir muss so etwas passieren, dachte Jocelyn, als sie sich ein Bad einließ. Bald darauf entspannte sie sich im warmen Wasser, während sie ihren Gedanken nachhing, und war froh, dass niemand sie und Adam zusammen gesehen hatte. Wenn sie Glück hatte, würde niemand von der gemeinsamen Nacht erfahren. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihren geheimnisvollen Liebhaber je wieder sehen würde. Er war wirklich ungewöhnlich anziehend, aber sie hatte erst einmal genug von Beziehungen.

Sie stieg aus der Wanne und stöhnte, weil ihr Muskeln wehtaten, deren Existenz sie bisher nur geahnt hatte. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie in die Küche und blieb erstaunt stehen, als sie die Notiz bemerkte, die am Teekessel lehnte.

Es fällt mir furchtbar schwer, mich loszureißen, Eve, aber vielleicht möchtest Du lieber allein sein, wenn Du aufwachst. Ich habe einige Tage lang im Ausland zu tun, melde mich aber, wenn ich zurück bin. Adam

Jocelyn wurde es ganz heiß. Natürlich wäre es schön, ihn wieder zu sehen, doch das kam nicht infrage. Adam hatte ihr Selbstbewusstsein, das Peter zerstört hatte, wieder aufgebaut. Die Nacht voller Leidenschaft war ein Höhepunkt in ihrem Leben gewesen, aber nun musste sie sehen, wie sie allein zurechtkam. Wenn sie Adam wieder sehen würde, müsste sie ihm ihre wahre Identität verraten, und das wollte sie nicht. Nein, wenn er sich bei ihr meldete, würde sie fort sein.

Am nächsten Morgen sah Jocelyn sich in der leeren Wohnung um, um sich zu vergewissern, dass die Männer von der Spedition auch alles mitgenommen hatten. Sie hatte die Wohnung in Notting Hill, die Peter und sie sich gekauft hatten, gegen die ihres Kollegen Nick Holt in Acton getauscht. Nick und seine Frau Carrie waren seit Monaten auf der Suche nach einer Wohnung in Notting Hill gewesen. Der Stadtteil war gerade groß in Mode, jeder, der etwas auf sich hielt, wollte dort wohnen. Allein konnte sie, Jocelyn, die Wohnung nicht halten, und so hatte sie unmittelbar nach Peters Auszug diese Regelung mit Nick getroffen.

Als sie gerade das Haus verlassen wollte, kam ihr ein Jugendlicher mit einem Blumenkarton entgegen.

„Sind Sie Miss Eve?“, fragte er.

Sie wollte die Frage gerade verneinen, nickte dann jedoch verlegen.

„Dann ist das für Sie. Die Blumen hätten eigentlich eher geliefert werden sollen, aber wir hatten ein Problem, die Blätter zu beschaffen.“

Jocelyn bedankte sich und gab dem Jungen ein Trinkgeld. Dann spähte sie in den Karton. Er enthielt rote Rosen auf einem Bett aus Blättern. Es waren Feigenblätter! „Von Adam“ stand auf der beiliegenden Karte. Jocelyn atmete den betäubenden Duft der Rosen ein und erinnerte sich daran, wie wunderbar die Nacht mit Adam gewesen war. Sie erschauerte wohlig bei der Erinnerung und riss sich schnell zusammen. Eilig machte sie die Haustür hinter sich zu.

Ihre neue Wohnung lag im Obergeschoss eines hübschen alten Reihenhauses und war kleiner als die in Notting Hill. Nick hatte ihr eine beträchtliche Summe als Ausgleich bezahlt, von der sie Peter allerdings etwas abgeben musste, denn er hatte die Hälfte der Anzahlung übernommen. Die Hypotheken hatte sie jedoch getilgt.

Sowie die Männer von der Spedition alles ausgeladen und sich verabschiedet hatten, bestellte Jocelyn telefonisch eine Pizza. Dann rief sie Anna an, um ihr die neue Telefonnummer zu geben.

„Schade, dass ich dir nicht helfen konnte“, sagte Anna. „Hat Peter sich wenigstens nützlich gemacht?“

„Nein.“ Jocelyn atmete tief durch. „Hast du einen Moment Zeit, Anna? Ich muss dir etwas erzählen.“

Als Jocelyn schließlich auflegte, war sie erschöpft. Anna hatte wie ein Rohrspatz auf Peter Sadler geschimpft und ihr dazu gratuliert, dass sie ihn war. Am liebsten hätte sie sich sofort ins Auto gesetzt und wäre zu ihr gefahren, um sie zu trösten. Sie, Jocelyn, hatte es ihr gerade noch ausreden können. „Ich werde mich schon daran gewöhnen, wieder allein zu sein. Mach dir keine Sorgen, Anna.“

„Ich mache mir aber Gedanken.“ Anna war wütend. „Hugh konnte Peter ja nie leiden. Sag mal, hat dir die Party gefallen?“

„Natürlich! Wer war eigentlich der große Mann, der bei euch stand, bevor ich mich verabschiedet habe?“

„Welcher denn? Die meisten Freunde von Hugh habe ich ja auch erst an dem Abend kennengelernt.“

„Ich glaube, er war der Freund eines Freundes.“

„Soll ich Hugh fragen?“

„Nein, ist nicht so wichtig. Ich muss jetzt auflegen, meine Pizza ist da.“

Nach dem Essen ging Jocelyn einkaufen. Sie erstand ein gemütliches Sofa, Tische für ihre beiden Lampen und ein antikes Messingbett. Nachdem sie auch noch einige Lebensmittel besorgt hatte, kehrte sie in ihre neue Wohnung zurück und begann, die Bücherregale aufzustellen. Bei der Arbeit wurde sie sich zum ersten Mal bewusst, dass Peter und sie überhaupt nicht zusammengepasst hatten. Das hatte sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet. Sie hatten eine halbe Ewigkeit nicht mehr miteinander geschlafen. Peter hatte ständig eine neue Entschuldigung gehabt. Und er hatte es nie verwunden, dass sie beruflich erfolgreicher war als er.

Sie nahm sich vor, sich erst wieder auf eine Beziehung einzulassen, wenn der Mann älter und beruflich so erfolgreich war, dass es ihm nichts ausmachen würde, eine berufstätige Frau zu haben, die Spaß und Erfolg im Job hatte. Aber so ein Mann existierte entweder nicht oder war bereits mit einer wunderschönen Frau verheiratet, die seine Kinder großzog, Karriere machte und wunderbar kochen konnte.

Ihre Liebe zum Journalismus hatte Jocelyn Hunter entdeckt, als sie eine Schülerzeitung herausgebracht hatte. Die Arbeit hatte ihr so viel Spaß gemacht, dass sie am Wochenende und in den Ferien bei der Lokalzeitung arbeitete. Sie hatte als Laufmädchen angefangen, war bald für die Recherche herangezogen worden und hatte den Chefredakteur so lange mit Artikeln bombardiert, bis er endlich einen davon druckte.

Nach einem Sprachstudium und einem einjährigen Aufbaukurs für Journalisten bekam sie bei derselben Zeitung eine Stelle als Redakteurin. Drei Jahre lang war sie mit Begeisterung dabei, dann wurde ihr plötzlich alles zu eng. Sie wollte heraus aus der Kleinstadt. Es kam ihr zugute, dass sie in ihrer Freizeit für große, überregionale Zeitungen in London geschrieben hatte. Sie zog nach London und arbeitete nun von dort aus freiberuflich für die großen Tageszeitungen.

Ihr Vater hatte sie ziehen lassen, und ihre Mutter hatte ihr etwas Geld vererbt. Leider starb Reverend George Hunter auch bald darauf, kurz vor seiner Pensionierung. Und sie, Jocelyn, hatte nur noch Annas Familie in dem kleinen Dorf in Warwickshire.

Als sie Peter kennengelernt hatte, war sie nur noch selten bei den Herricks zu Besuch gewesen, denn Peter hatte nicht zu ihnen gepasst. Doch nun würde sie sich dort an einem der kommenden Sonntage wieder blicken lassen. Jedenfalls nahm sie es sich vor.

Inzwischen hatte sie sich gut in ihrer neuen Umgebung eingelebt und dachte nur noch selten an Peter – und Adam. Es gefiel ihr sogar, allein zu leben. Ihr Job nahm sehr viel Zeit in Anspruch, aber wenigstens zog jetzt niemand mehr ein langes Gesicht, wenn sie wieder einmal sehr spät und völlig erschöpft nach Hause kam.

Eines Tages beauftragte der Nachrichtenredakteur Jocelyn, über alte Familiensitze zu recherchieren, die von Firmen für Tagungen und ähnliche Veranstaltungen angemietet wurden. Sie verbrachte viel Zeit im Archiv der Daily Post und recherchierte im Internet, welche Adligen und Landsitze am besten für eine Reportage geeignet wären.

„Ich habe deine Post mitgebracht“, sagte Carrie Holt, als Jocelyn die Ergebnisse ihrer Recherche in der Mittagspause bei einem Sandwich auswertete. „Und auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht für dich.“ Carrie überreichte ihr Werbebriefe und einen Zettel. „Hast du dich schon eingelebt?“

„Sehr gut sogar“, antwortete Jocelyn zufrieden. „Und wie gefällt es euch in Notting Hill?“

„Wunderbar. Ich werde nie verstehen, wie du da wegziehen konntest, Jocelyn.“ Carrie biss sich verlegen auf die Lippe. „Entschuldige, das war taktlos von mir. Sicher hat dich dort alles an Peter erinnert, und du wolltest fort.“

Die Nachricht, die Carrie für sie aufgeschrieben hatte, war kurz und lautete: „Ich bin wieder da. Ruf mich unter dieser Nummer an. Adam“.

Sie sehnte sich von ganzem Herzen danach, ihn anzurufen. Doch dann würde Adam da weitermachen wollen, wo er aufgehört hatte. Jocelyn kämpfte mit sich. Schließlich gewann ihre Vernunft die Oberhand. Es war zu früh, sich schon wieder auf eine Beziehung einzulassen. An dem Abend, als sie Adam kennengelernt hatte, war sie sehr gefühlsbetont gewesen, was sonst gar nicht ihre Art war. Sonst hätte sie sich wohl niemals zu so einer verrückten Nacht voller Leidenschaft mit einem wildfremden Mann hinreißen lassen. Inzwischen war sie wieder normal, und die zauberhafte Nacht erschien ihr wie ein Traum.

Doch als das Telefon abends in ihrer Wohnung klingelte, war Jocelyn enttäuscht, dass nur Anna am Apparat war, die sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte.

„Trauerst du Peter nach, Jocelyn?“

„Wo denkst du hin? Dazu bin ich viel zu beschäftigt.“

„Hast du deine neue Wohnung denn schon eingerichtet?“

„Bin ich Superwoman? Die neuen Möbel sind gerade erst geliefert worden. Hier sieht es aus wie Kraut und Rüben.“

„Dann lass alles liegen und stehen, und komm zu uns.“

„Das würde ich wirklich gern tun, Anna, aber ich muss hier erst einmal klar Schiff machen. Sowie alles in Ordnung ist, komme ich gern.“

„Okay, ich nehm dich beim Wort.“ Dann erzählte Anna von ihren Hochzeitsvorbereitungen und fragte, an welcher Reportage sie gerade arbeitete. Als sie hörte, dass es um alte Landsitze ging, erwachte ihr Interesse. „Einer von Hughs ehemaligen Klassenkameraden vermietet sein Herrenhaus an Firmen. Er war auch auf der Party. Francis Sowieso. Ich werde Hugh bitten, ihn anzurufen.“

Den nächsten Vormittag verbrachte Jocelyn damit, Interviewtermine mit Besitzern alter Landsitze zu vereinbaren. Anschließend arbeitete sie sich durch einen Stapel von Regionalzeitungen, um zu sehen, ob sich etwas Interessantes für eine der landesweit erscheinenden Zeitungen fand, für die sie schrieb. Sie war froh, als das Telefon klingelte.

„Miss Hunter?“, fragte eine attraktive Männerstimme. „Mein Name ist Francis Legh. Hugh Wakefield hat mich gestern Abend angerufen und gebeten, mich bei Ihnen zu melden. Was kann ich für Sie tun?“

Hughs alter Schulfreund war sofort bereit, ihr für die Reportage über von Firmen genutzte Landsitze Rede und Antwort zu stehen.

„Eine positive Berichterstattung kann nie schaden“, sagte er.

„Würde es Ihnen diese Woche passen?“, fragte Jocelyn. „Wo genau finde ich Sie?“

„Im tiefsten Dorset. Kennen Sie sich dort aus?“

„Eigentlich nicht. Aber wenn Sie mir die Adresse geben, werde ich Sie schon finden.“

„Mir würde Sonntag am besten passen, Miss Hunter. Diese Woche wird bei uns nämlich neue Elektronik installiert. Allerdings würde ich es verstehen, wenn Sie das Wochenende für sich haben möchten.“

„Aber nein, ich komme gern“, antwortete sie schnell. „Wann soll ich da sein?“

„Gegen Mittag. Ich lade Sie zum Essen ein.“

Kurz darauf kam der Nachrichtenredakteur mit der Neuigkeit zu ihr, dass Charlotte Tracy, die Gesellschaftsreporterin des Blattes, an Grippe erkrankt war und nicht länger aus Ascot berichten konnte.

„Was soll man dazu sagen?“, fragte Jack Ormond verbittert. „Grippe im Juni! Wie hat sie das nun wieder angestellt? Na ja, auch egal. Jedenfalls musst du morgen vom Ladys’ Day in Ascot berichten, Jocelyn. Gut, dass du mit dem Fotoapparat umgehen kannst. Du weißt ja, was für Bilder Charlotte knipst: schöne, fröhliche Menschen.“

„Klar.“ Jocelyn freute sich über diesen Auftrag und beschloss, sich dem Anlass gemäß zu kleiden. Sie musste sowieso zu Harrods, um einen Filmstar zu interviewen, der seine Bücher in dem Kaufhaus signierte, da konnte sie anschließend gleich in ihrer Lieblingsboutique nach einem Outfit für Annas Hochzeit suchen, das sie in Ascot einweihen wollte.

Nachdem sie den Filmstar interviewt hatte, gab Jocelyn ihren Bericht telefonisch durch, der am nächsten Tag mit einem Foto erscheinen sollte, und widmete sich danach der Kleiderwahl. Schließlich erstand sie ein bronzefarbenes Seidenkostüm und einen dazu passenden cremefarbenen Strohhut, der ihr ausgezeichnet stand. Als sie sah, wie hoch die Rechnung war, zuckte sie zusammen. Ist ja für Anna, dachte sie dann und beruhigte sich wieder.

Rechtzeitig zum Ladys’ Day in Ascot herrschte strahlender Sonnenschein. Jocelyn suchte sich einen Platz, von dem aus sie die Kutschen mit der Königin und verschiedenen Mitgliedern der königlichen Familie sehen und fotografieren konnte. Zwischendurch sprach sie interessante Entdeckungen auf Band und fotografierte Trägerinnen besonders ausgefallener Hutkreationen.

Gegen Ende des Nachmittags hatte sie genug Hüte gesehen und beschloss, eine letzte Aufnahme von den Pferden zu machen, die in den Startboxen auf den Beginn des letzten Rennens warteten. Leider wurde sie im entscheidenden Augenblick angestoßen, die Aufnahme verwackelte, und plötzlich hatte Jocelyn einen großen Mann im Sucher.

Ihr Herz begann heftig zu pochen. Bei Tageslicht sah Adam noch blendender aus, noch dazu im Cut! Die Frau an seiner Seite schien ebenso hingerissen zu sein. Impulsiv machte Jocelyn eine Aufnahme von dem attraktiven Paar, dann wandte sie sich schnell ab, bevor Adam sie erkannte.

Der ganze Tag war ihr verdorben. Adam war noch viel beeindruckender, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Kein Wunder, dass sie sich gewünscht hatte, mit ihm zu schlafen. Aber seine schöne Begleiterin schien Ähnliches im Sinn zu haben. Die beiden hatten nur Augen füreinander.

Schlecht gelaunt kehrte Jocelyn zurück in die Redaktion, wo sie von bewundernden Zurufen empfangen wurde. Wenigstens war ihr Kostüm ein voller Erfolg.

Auch am nächsten Tag musste sie ständig an Adam und seine schöne Begleiterin denken und wurde immer eifersüchtiger. Der Tag schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Erst am Abend besserte sich ihre Laune, als sie mit einigen Kollegen zum Essen ging. Das war schon fast Tradition am Freitag. Als Jocelyn schließlich nach Hause kam und ihren Anrufbeantworter abhörte, schallte ihr die Stimme einer ziemlich ungehaltenen Carrie Holt entgegen.

„Hallo, Jocelyn, heute Abend waren es zwei Nachrichten für dich. Eine von Peter und eine von diesem mysteriösen Adam. Bitte sei so nett und den Männern in deinem Leben endlich deine neue Telefonnummer mit. Es nervt langsam. Bye.“

Jocelyn biss sich auf die Lippe. Kein Wunder, dass die Holts verärgert waren. Sie würde Peter schreiben und ihn über ihren Umzug informieren müssen, verbunden mit der Bitte, sich fortan nicht mehr zu melden. Und Adam wollte sie gleich anrufen. Sie wählte die Nummer und wartete nervös darauf, dass er sich meldete. Doch auch er hatte seinen Anrufbeantworter angeschaltet. Auf dem Band gab er nur seine Telefonnummer an und bat den Anrufer, eine Nachricht zu hinterlassen. Nachdem sie die erste Enttäuschung überwunden hatte, sprach Jocelyn kühl auf Band: „Hier ist Eve. Ich wohne nicht mehr in Notting Hill und fange ein neues Leben an. In jeder Beziehung. Vielen Dank für die herrlichen Rosen und dein Verständnis neulich Nacht. Bye.“

Wie verabredet, fuhr Jocelyn am Sonntag nach Dorset. Sie folgte der Wegbeschreibung, die Francis Legh ihr gegeben hatte, und fuhr bald durch die wunderschöne Landschaft, die Thomas Hardy in seinen Werken so poetisch beschrieben hatte. Sie drosselte das Tempo, um die Umgebung genießen zu können, und entdeckte bald darauf einen Wegweiser nach Eastlegh Hall. Das war Francis Leghs Familiensitz. Francis war der neunte Baron Morville, der dort lebte.

Jocelyn fuhr durch ein hübsches Tor und folgte einer Allee, die sich durch eine Parklandschaft wand und direkt zur Auffahrt führte. Schon von Weitem sah man das beeindruckende Herrenhaus, das im Sonnenschein wie ein Schloss wirkte.

Kein Wunder, dass viele Firmen sich darum rissen, hier Tagungen zu veranstalten. In einer so reizvollen Umgebung muss jede Konferenz von Erfolg gekrönt sein, dachte Jocelyn beeindruckt, als sie die breite Terrassentreppe hinaufging und durch eine lichtdurchflutete Säulenhalle schritt, in der zwei alte Kommoden und eine Blumensäule mit frischen Schnittblumen standen. Schließlich erreichte Jocelyn eine schwere Eichentür und betätigte den Türklopfer.

Kurz darauf öffnete eine schlanke, sehr gut gekleidete Dame die Tür. „Miss Hunter? Lord Morville lässt sich entschuldigen. Er ist aufgehalten worden und schlägt vor, dass ich Ihnen schon mal das Haus zeige, bis er kommt. Ich bin Elizabeth Wilcox, die Haushälterin.“

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ Jocelyn lächelte herzlich. „Das ist sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.“

„Wir machen den kurzen Rundgang“, sagte Mrs. Wilcox. „Lord Morville zeigt Ihnen nach dem Mittagessen den Rest.“

Jocelyn wurde durch großzügige Räume mit edlen Möbeln und beeindruckenden Gemälden geführt. Der Salon war hellgelb gestrichen und mit vergoldeten, mit Damast bezogenen Sitzmöbeln eingerichtet, während im Herrenzimmer schwere Möbel standen. Im Ballsaal verliebte sie sich in eine wunderbare Deckenmalerei, und am beeindruckenden Esstisch hatten sicher dreißig Personen Platz. Eine elegante Treppe führte zur Galerie, wo weitere Gemälde hingen. Von hier aus gingen Schlafzimmer ab, die mit Himmelbetten ausgestattet waren.

„Nur wenige herrschaftliche Anwesen sind so komfortabel ausgestattet“, erklärte Mrs. Wilcox stolz. „Teile des Gebäudes haben sogar Zentralheizung. Die hat Lord Morvilles amerikanische Großmutter einbauen lassen.“

„Es ist wirklich alles sehr beeindruckend. Und so gepflegt“, sagte Jocelyn.

„Vielen Dank. Glücklicherweise habe ich gute Mitarbeiter.“ Die Haushälterin lächelte und sah auf die Uhr. „Jetzt zeige ich Ihnen, wie Sie zum Bauernhof kommen.“

„Einen Bauernhof gibt es hier auch?“, fragte Jocelyn staunend.

Mrs. Wilcox lächelte bedauernd. „Leider wohnt Lord Morville nicht mehr im Haus. Als sein Vater starb, ist er ins Bauernhaus gezogen.“

Jocelyn folgte der Wegbeschreibung, fuhr an einem Irrgarten vorbei und dann durch ein Wäldchen. Schließlich tauchte vor ihr ein großes Haus auf, das von einer gepflegten Buchsbaumhecke umgeben war. Sie parkte den Wagen, öffnete ein schmiedeeisernes Tor und ging zum Haus. Der Gartenweg war von Rosenbeeten gesäumt. Bevor sie anklopfen konnte, wurde die schwere Eichentür von einem lächelnden blonden Mann in Jeans und Karohemd geöffnet.

„Lord Morville?“ Jocelyn lächelte ebenfalls. „Ich bin Jocelyn Hunter.“

„Bitte nennen Sie mich Francis“, sagte er schnell und reichte ihr zur Begrüßung die Hand. Er hatte graue Augen und ein hübsches Gesicht. Die Ähnlichkeit mit den Familienporträts in der Galerie war verblüffend. „Tut mir leid, dass ich bei Ihrer Ankunft nicht da war, Miss Hunter. Wir mussten noch etwas wegen der neuen Buchung besprechen.“

Ob mit „wir“ wohl Lady Morville gemeint ist? überlegte Jocelyn. Francis war ihr auf den ersten Blick sympathisch. „Ich bin übrigens Jocelyn.“

„Prima, Jocelyn.“ Er führte sie durch eine rechteckige Diele ins Wohnzimmer, dessen Wände getäfelt waren. Eine elegante Chintzgarnitur und ein massiver Kamin beherrschten den großzügigen Raum. Francis bot ihr einen Sessel an und ging zu einem Tablett, auf dem Glaskaraffen standen. „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?“

„Etwas Kühles bitte. Aber keinen Alkohol.“ Jocelyn war froh, dass sie sich so dezent gekleidet hatte wie ihr Gastgeber. Sie trug eine schlichte weiße Bluse und eine beigefarbene Leinenhose.

„Ich finde, wir essen erst, dann führe ich Sie herum, und Sie können Fragen stellen.“ Er reichte ihr ein hohes Glas. „Das können Sie natürlich auch jetzt schon tun.“

„Es hat mich überrascht, dass Sie nicht im Herrenhaus wohnen“, sagte Jocelyn. „Ist es nicht ein merkwürdiges Gefühl, plötzlich in einem viel kleineren Haus zu leben?“

„Ganz und gar nicht.“ Er lächelte. „Als Kind war mir der Zutritt zu den herrschaftlichen Räumen sowieso verboten, und die Schlafzimmer hier sind wesentlich bequemer als mein altes Zimmer drüben.“

Francis sah auf, als eine junge Frau ins Zimmer kam. „Ach, Sarah, das ist Miss Hunter, von der Daily Post.“

Sarah war dunkelhaarig, machte einen gelassenen Eindruck und kam Jocelyn irgendwie bekannt vor. Sie lächelte charmant und stellte sich vor. „Hallo. Ich bin Sarah Wilcox.“

Also gab es keine Lady Morville! Jocelyn erwiderte das Lächeln und schüttelte Sarah die Hand. „Hallo. Ich glaube, ich habe vorhin schon Ihre Mutter kennengelernt.“

„Ja, es macht ihr Spaß, Besucher herumzuführen.“

„Familie Wilcox organisiert mein Leben“, behauptete Francis. „Elizabeth ist meine Haushälterin, wie Sie ja bereits wissen, ihr Mann Alan gibt den Butler, wenn es angebracht ist, und hilft bei der Verwaltung des Anwesens, und geradezu beängstigend hoch qualifizierte Tochter ist meine Geschäftsführerin.“ Er lächelte Sarah aufmunternd zu. „Komm, sei kein Frosch und iss mit uns zu Mittag.“

„Das würde ich gern tun, aber ich habe meinen Eltern versprochen, bei Ihnen zu essen. Ich habe Mrs. Wyatts Suppe aufgewärmt. Der Gemüseauflauf steht im Ofen, und es gibt Salat, kalten Rinderbraten und Käse.“

„Was würde ich ohne dich tun, Sarah?“, fragte er herzlich.

Sie lächelte und wandte sich Jocelyn zu. „Francis gibt Ihnen meine Durchwahl. Wenn Sie weitere Informationen benötigen, können Sie mich jederzeit anrufen.“

„Und sie kennt sich viel besser aus als ich“, fügte Francis trocken hinzu.

Jocelyn bedankte sich und beobachtete nachdenklich, wie Francis seine attraktive rechte Hand hinausbegleitete. Sarah Wilcox war zwar nicht Lady Morville, aber jedem Betrachter musste auffallen, dass sie es gern sein würde. Nur Lord Morville selbst hatte es offensichtlich noch nicht bemerkt.

Als Francis zurückkehrte, schenkte er Jocelyn nach und erklärte, dass Mrs. Wyatt ihm wochentags den Haushalt führte. „Am Wochenende versorge ich mich selbst. Aber als Sarah erfahren hat, dass Sie zum Mittagessen kommen, hat sie darauf bestanden, sich darum zu kümmern. Sie ist wirklich sehr tüchtig.“

„Und bildhübsch“, sagte Jocelyn.

Francis sah sie verwundert an. „Wer? Sarah?“, meinte er überrascht. „Ja, kann sein.“

„Wird hier eigentlich noch Landwirtschaft betrieben?“, fragte Jocelyn.

„Nein, jetzt nicht mehr. Es rentiert sich nicht. Deshalb haben wir Ackerbau und Viehzucht aufgegeben. Aber mit unserer Gärtnerei machen wir ein Riesengeschäft. Und natürlich mit Sams Gemüse aus organischem Anbau.“

„Wer ist Sam?“

„Er war früher unser Obergärtner. Jetzt ist er im Ruhestand, jedenfalls offiziell. In Wirklichkeit hat er die Gärtner noch immer unter seiner Fuchtel. Ich weiß nicht, vor wem ich mich als kleiner Junge mehr gefürchtet habe, vor Sam oder vor meinem Vater. Ach, wunderbar.“ Francis öffnete ein Fenster und lehnte sich hinaus. „Beeil dich, Dan! Ich habe einen Bärenhunger.“ Er wandte sich wieder um und lächelte Jocelyn zu. „Ich habe einen Freund von mir überredet, mit uns zu essen. Kommen Sie, wir gehen zu Tisch.“

Das getäfelte Esszimmer lag auf der anderen Seite der Diele. Der Tisch war für drei Personen gedeckt, in der Mitte stand ein hübsch arrangierter Blumenstrauß.

„Das war wohl Sarahs Werk“, sagte Jocelyn lächelnd. Und dann gefror ihr das Lächeln auf den Lippen, denn der Mann in dunkelblauem Hemd und Jeans, der in diesem Moment das Esszimmer betrat, kam ihr nur zu bekannt vor.

Auch er sah sie starr an, als er sie erkannt hatte.

„Du kommst genau im richtigen Moment, Dan“, sagte Francis lachend. „Das ist Miss Jocelyn Hunter, Jocelyn, das ist Daniel Armstrong.“ Als er ihre Mienen bemerkte, fügte er neugierig hinzu: „Ach, ihr kennt euch bereits?“

4. KAPITEL

„Ja, wir kennen uns“, bestätigte Dan Armstrong mit undurchdringlicher Miene. „Wie geht es Ihnen, Miss Hunter?“

„Danke, ausgezeichnet.“ Jocelyn lächelte betont fröhlich und fragte sich, ob er wohl hörte, wie laut ihr Herz pochte.

Er sah sie unnachgiebig an. „Francis hat mir erzählt, dass eine Journalistin kommen würde, um einen Artikel über Eastlegh zu schreiben. Ich bin wirklich sehr überrascht, Sie hier zu sehen. Für welche Zeitung schreiben Sie?“

„Ich bin freie Journalistin. Dieser Artikel ist für die Daily Post.“

„Etwas Werbung wird uns guttun“, sagte Francis und machte Dan ein Zeichen, sich zu Tisch zu setzen. Dann stellte er eine Suppenterrine auf den Tisch und fragte Jocelyn: „Würden Sie uns die Ehre erweisen?“

Jocelyn schickte ein kleines Stoßgebet gen Himmel, sie möge nichts verschütten. Sie wurde erhört. Dan musterte sie feindselig, als sie ihm die Tasse mit dampfender Gemüsesuppe reichte.

„Sie sind also umgezogen“, bemerkte er.

Also hatte er ihre telefonische Nachricht erhalten. „Ja.“ Sie lächelte Francis zu. „Bisher habe ich in Notting Hill gewohnt, bin aber kürzlich umgezogen. Meine neue Adresse ist zwar weniger nobel, dafür ist die Wohnung erheblich preiswerter.“

„Sie haben bei unserer letzten Begegnung verschwiegen, dass Sie umziehen würden“, sagte Dan ausdruckslos.

„Wirklich? Kollegen von mir haben die alte Wohnung gekauft.“

„Kennen Sie sich schon lange?“, fragte Francis interessiert. „Dan hat noch nie von Ihnen erzählt.“

„Nein, erst seit kurzem“, antwortete Jocelyn und hielt den Blick gesenkt.

„Dan und ich kennen uns schon unser ganzes Leben lang.“

„Ja?“ Sie sah höflich auf. „Wohnen Sie denn noch in der Nähe, Mr. Armstrong?“

„Nein.“ Ihre Blicke begegneten sich. „Aber ich bin in einem kleinen Haus auf Eastlegh geboren. Mein Vater ist hier bis vor kurzem Obergärtner gewesen.“

„In Wirklichkeit ist er das immer noch.“ Francis lachte. „Dans Vater ist Sam Armstrong, der Tyrann, von dem ich vorhin erzählt habe.“

Das gefiel Dan gar nicht. „Es überrascht mich, dass meine Familie so interessant zu sein scheint.“

„Jocelyn möchte für ihren Artikel alles über Eastlegh wissen“, sagte Francis und musterte seinen Freund von oben herab. „Ich habe deinen Vater im Zusammenhang mit dem berühmten Gemüse erwähnt, das er zieht. Er gehört genauso zu Eastlegh wie ich. Hast du ein Problem damit?“

Dan machte eine abwehrende Geste. „Nein, nein, Mylord. Du kannst von deinem hohen Ross herunterkommen.“ Er sah Jocelyn an. „Aber wenn Sie vorhaben, meinen Vater in Ihrem Artikel zu erwähnen, Miss Hunter, empfehle ich Ihnen, ihn vorher um Erlaubnis zu bitten.“

„Ja, das wollte ich Ihnen auch gerade raten“, behauptete Francis. „Sie und Dan werden ja kaum hier sein, wenn er den Artikel liest, aber ich.“

„Wenn er einen Aufstand macht, musst du ihn nur hochnäsig ansehen und ihn daran erinnern, dass du Lord Morville bist“, riet Dan ihm trocken.

„Das wird mir auch gerade helfen! Du weißt genau, dass für Sam immer noch mein Vater Lord Morville ist. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.“

„Keine Sorge, ich schreibe nie über jemanden, ohne vorher seine Erlaubnis eingeholt zu haben“, sagte Jocelyn schnell. „Falls Mr. Armstrong etwas dagegen hat, werde ich ihn nicht erwähnen.“

„Doch!“, sagten beide Männer so energisch, dass Jocelyn erstaunt aufsah.

„Wenn Sie meinen Vater in Ihrem Artikel über Eastlegh unerwähnt lassen, wird er Francis das Leben zur Hölle machen.“ Dan lächelte ihr zum ersten Mal zu.

„Gut, dann schreibe ich über ihn“, versprach sie.

Im nächsten Moment standen beide Männer auf, als hätten sie es abgesprochen. Dan räumte die Suppentassen ab, Francis holte den Hauptgang.

Als er ihren verständnislosen Blick bemerkte, lachte er amüsiert. „Hatten Sie hinter jedem Stuhl einen Lakaien erwartet?“

Jocelyn lächelte verlegen. „Nein, aber ich hatte auch nicht damit gerechnet, von Ihnen persönlich bedient zu werden.“

„Was bleibt mir anderes übrig?“ Er zuckte die Schultern. „Das Problem ist in meinen Kreisen weit verbreitet. Ich bin zwar vermögend, verfüge aber nur über wenig Bargeld.“

„Darf ich diesen Satz von Ihnen zitieren?“

„Natürlich.“ Francis teilte den Gemüseauflauf auf. Geschickt bediente er sie und hielt ihr eine Platte mit Rinderbraten hin. „Möchten Sie?“

„Nein, danke.“ Bei Daniel Armstrongs Anblick war ihr der Appetit vergangen. Wie hatte sie nur glauben können, eines Tages nicht mehr an diesen Mann zu denken? Sie war ja völlig überwältigt von ihm. Wenn er dort weitermachen wollte, wo er aufgehört hatte, war sie bereit dazu. Doch er schien keine diesbezüglichen Absichten zu haben.

„Sie sind sehr schweigsam, Miss Hunter“, sagte er. Als sie erschrocken aufsah, fügte er hinzu: „Für eine Journalistin.“

„Jetzt ist es aber genug, Dan.“ Francis warf ihm einen warnenden Blick zu. „Verschon uns mit deinem Steckenpferd.“

„Damit will er sagen, dass ich immer versuche, der Presse zu entkommen.“ Dan sah ihr in die Augen.

„Dan ist so etwas wie ein Einsiedler“, erklärte Francis. „Was in seinem Beruf eher ungewöhnlich ist.“

„Und was machen Sie beruflich, Mr. Armstrong?“, fragte Jocelyn und erinnerte sich, dass er ihr erzählt hatte, er würde im Baugewerbe arbeiten.

„Er ist Bauunternehmer.“ Francis lachte. „Er reißt hübsche alte Gemäuer ab und ersetzt sie durch monströse Neubauten.“

„Alle reiße ich gar nicht ab“, widersprach Dan.

„Stimmt. Einige restaurierst du auch, und zwar hervorragend“, gab Francis zu. „Dan und ich haben anfangs für eine Bank gearbeitet. Wir waren ziemlich erfolgreich und haben gutes Geld verdient. Als mein Vater starb, musste ich nach Eastlegh zurückkehren, und Dan hat sein Bauunternehmen aufgebaut.“

„Das bleibt aber unter uns, Miss Hunter.“ Dan sah sie eindringlich an. „Wenn ich in Ihrem Artikel auch nur ein Wort von dem Sohn des Gärtners lese, der Erfolge als Bauunternehmer feiert, verklage ich Sie.“

„Keine Sorge. In meinem Artikel geht es um Lord Morville und Eastlegh“, erklärte Jocelyn von oben herab. „Abgesehen davon können Sie mich nicht für etwas verklagen, was den Tatsachen entspricht.“

„Jetzt hat sie es dir aber gegeben, alter Freund.“ Francis lachte amüsiert und stand auf. „Du leistest Jocelyn Gesellschaft, Dan. Ich mache Kaffee.“

Als sie allein waren, begann Dan abzudecken.

„Kann ich helfen?“, fragte Jocelyn höflich.

„Nein.“ Er setzte sich wieder und musterte sie feindselig. „So, Jocelyn Hunter. Das ist ja ein unverhofftes Vergnügen. Jedenfalls für mich. Für dich offensichtlich nicht.“

„Wieso nicht?“

„Das weißt du ganz genau. Deine Nachricht war ja deutlich genug.“ Er beugte sich vor und funkelte sie feindselig an. „Es ist ein ziemlicher Schlag für das Selbstbewusstsein eines Mannes, als Gigolo benutzt zu werden. Wann bist du umgezogen?“

„Am nächsten Tag.“

„Und warum durfte ich das nicht wissen?“

„Verstehst du das denn wirklich nicht? Hinterher war mir das alles schrecklich peinlich.“ Sie senkte den Blick. „Ich benehme mich sonst nicht so.“

„Das weiß ich. Sieh mich gefälligst an.“

Jocelyn gehorchte zögernd.

„Dieses jungfräuliche Getue ist völlig überflüssig“, sagte er scharf. „Du warst schließlich diejenige, die mich gebeten hat, mit ihr zu schlafen.“

„Das ist es ja gerade! Am nächsten Morgen konnte ich kaum glauben, was ich mir da geleistet hatte. Ich habe mich geschämt und hätte es nicht gewagt, dir je wieder ins Gesicht zu sehen.“

„Hattest du Angst, ich würde dich ins Bett tragen, sowie du mir die Tür geöffnet hättest?“

„Natürlich nicht.“

Dan lehnte sich wieder zurück. Er wirkte jetzt völlig entspannt. „Vielleicht habe ich als Ersatzliebhaber ja auch deine Erwartungen enttäuscht.“ Er zuckte lässig die Schultern. „Aber dazu eigne ich mich sowieso nicht.“

Seine Worte trafen sie. „Dann ist ja alles geklärt“, erwiderte sie wütend.

„Übrigens habe ich dich flüchtig in Ascot gesehen“, sagte er plötzlich. „Ich bin dir gefolgt, sobald ich konnte. Aber du warst ja schneller als der Gewinner des letzten Rennens und warst plötzlich verschwunden. Hast du mich nicht gesehen?“

Autor

Day Leclaire
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