Julia Extra Band 362

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VERTRAUT UND DOCH SO FREMD von DONALD, ROBYN
Ihre strahlend grünen Augen bringen jeden Mann um den Verstand, ihr Lächeln fordert ihn heraus: Millionär Rafe ist sicher, Marisa Somerville schon einmal getroffen zu haben. Warum nur streitet sie ab, ihn zu kennen? Selbst dann noch, als sie in seinen Armen liegt …

DIE WAHRHEIT KENNT NUR DER WÜSTENWIND von MARTON, SANDRA
Eine Ehe, die auf einer Lüge aufgebaut ist, kann nicht gutgehen! Rachel ist verzweifelt: Scheich Karim macht ihr einen Antrag - und sie nimmt ihn an! Obwohl sie ihn von Anfang an belogen hat. Rachel ist nicht die, für die er sie hält. Soll sie Karim ihr düsteres Geheimnis beichten?

EIN UNVERBESSERLICHER PLAYBOY? von JUMP, SHIRLEY
Bald wird seine Großmutter den Geldhahn wieder aufdrehen! Bis dahin muss Riley als Kellner arbeiten, zum Glück mit der süßen Stace. Sie gibt sich kratzbürstig, doch der Playboy spürt, dass in ihr die Leidenschaft schlummert. Diese Gefühle wachzuküssen reizt ihn ungemein …

DAS GLÜCK WARTET IN DER TOSKANA von GRAHAM, LYNNE
Seine Lippen schmecken berauschend wie der Wein in ihrem Glas - Zara gibt sich Vitales Kuss ungezügelt hin. So wildromantisch wie die Toskana sind die zärtlichen Stunden mit dem einflussreichen Bankier. Doch Zara ist verlobt - und Vitale nicht der Mann, dem sie versprochen ist …


  • Erscheinungstag 09.04.2013
  • Bandnummer 0362
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465729
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Sandra Marton, Robyn Donald, Shirley Jump

JULIA EXTRA BAND 362

LYNNE GRAHAM

Das Glück wartet in der Toskana

Nur ein paar Stunden, mehr kann sie Vitale nicht schenken. Zara ist verpflichtet, einen anderen zu heiraten. Atemlos genießt sie die Küsse des Bankiers – nicht ahnend, dass auch er etwas vor ihr verbirgt …

SANDRA MARTON

Die Wahrheit kennt nur der Wüstenwind

Ein Baby, das nicht ihres ist. Eine Lüge, aus der Not geboren. Ein Wüstensohn, der um ihre Hand anhält – wie nur soll Rachel in dem Durcheinander herausfinden, ob sie Scheich Karim vertrauen kann?

ROBYN DONALD

Vertraut und doch so fremd

Er kann alles zunichte machen! Marisa erstarrt, als Rafe vor ihr steht. Er hat sein Gedächtnis verloren – er weiß nichts mehr von ihrer gemeinsamen Nacht. Einer Nacht, die nicht ohne Folgen blieb …

SHIRLEY JUMP

Ein unverbesserlicher Playboy?

Das wird Stace ihrem Chef nie verzeihen: Er stellt einen Playboy ein, der ihr das Leben zur Hölle machen wird! Sie muss mit Riley arbeiten – und Tag für Tag seinem charmanten Lächeln widerstehen …

1. KAPITEL

Der Bankier Vitale Roccanti stammte aus einer sehr alten aristokratischen Familie. In diesem Moment öffnete er die Akte des Privatdetektivs, den er engagiert hatte, und blickte auf ein Foto, das vier Personen zeigte, die um einen eleganten Esstisch saßen. Der griechische Milliardär Sergios Demonides bewirtete Monty Blake, den britischen Besitzer der Royale-Hotelkette, dessen äußerst attraktive Ehefrau Ingrid und deren gemeinsame Tochter Zara.

Zara, von den Medien wegen ihres Promi-Status’, ihres silberblonden Haars und der zierlichen Figur auch „Tinkerbelle“ genannt, schien einen Verlobungsring am Finger zu tragen. Ganz offensichtlich stimmten also die Gerüchte, dass der Verkauf der Hotelkette durch eine familiäre Verbindung besiegelt worden war.

Vitale fühlte bitteren Zorn in sich aufsteigen. Es machte ihn ganz krank, Monty Blake immer noch lächeln zu sehen. Einen winzigen Moment lang gestattete er sich die Erinnerung an seine geliebte Schwester, die ertrunken war, als er gerade mal dreizehn Jahre alt gewesen war: Ein entsetzlicher Verlust, der ihn mutterseelenallein in einer feindlichen Welt zurückgelassen hatte. Seine Schwester war der einzige Mensch gewesen, von dem er sich jemals geliebt gefühlt hatte.

Und jetzt schien endlich der Augenblick gekommen, auf den Vitale Roccanti beinahe zwanzig Jahre hingearbeitet hatte. Sein Feind Blake stand vor seinem absolut größten Triumph. Wenn Vitale noch länger wartete, würde er nicht mehr an sein Opfer herankommen, denn als Schwiegervater von Sergios Demonides wäre Blake unantastbar. Wie in aller Welt war es dem Kerl nur gelungen, einen derart großen Fisch wie Demonides einzufangen?

Lag es an dem viel gerühmten Charme Tinkerbelles, der man nachsagte, dass ihr Verstand nicht größer war als der einer Maus? War sie der einzige Grund?

Vitale hatte nie zugelassen, dass eine Frau ihm den Kopf verdrehte, und er hätte gedacht, dass Demonides ähnlich vernünftig wäre. Seine Lippen verzogen sich verächtlich. Wenn er dafür sorgte, dass die Verlobung platzte, wäre vermutlich auch der Business-Deal hinfällig. Monty Blake, der dringend einen Käufer benötigte, würde vor dem Ruin stehen.

Vitale hätte sich nie träumen lassen, dass er sich einmal so unangenehm intim würde mit seinem Feind befassen müssen, um seine lang ersehnte Rache ausüben zu können! Aber er war der Überzeugung, dass Monty Blakes Grausamkeit ähnlich rücksichtslose Mittel verlangte. Schließlich sollte die Strafe dem Verbrechen gerecht werden.

Über mangelnden Erfolg bei Frauen hatte Vitale sich nie beklagen können. Jetzt betrachtete er seine Beute – Tinkerbelle – aufmerksam. Um seine Mundwinkel zuckte es. Seiner Ansicht nach war es legitim, dass er sie benutzte. Und hieß es nicht, dass Leid den Charakter formte?

Blakes Tochter Zara war mit ihren riesigen blauen Augen und dem herzförmigen Gesicht zweifellos eine Schönheit, aber sie wirkte auch so oberflächlich und hohl wie eine Barbiepuppe, und sie war ganz sicher keine schüchterne Jungfrau mit zarten Gefühlen. Sicher, sie würde den Verlust eines derart wohlhabenden Mannes wie Demonides bedauern, aber Vitale vermutete, dass sie, ähnlich wie ihre Mutter, ein verdammt dickes Fell und ein Herz aus Stein besaß. Über die Enttäuschung würde sie schnell hinwegkommen. Und wenn sie aus der Geschichte auch noch ein oder zwei Dinge lernte, dann war das nur zu ihrem Vorteil …

„Ich fasse es nicht, dass du Sergios Demonides heiraten willst!“, rief Bee aus, die Zara mit erkennbarer Sorge betrachtete.

Obwohl sie nur unwesentlich größer war als ihre zierliche Halbschwester und beide Frauen denselben Vater hatten, war Bee aus ganz anderem Holz geschnitzt. Zara wirkte so zerbrechlich, als würde sie beim kleinsten Lufthauch davonwehen, während Bee die dunkle Mähne und die bronzefarbene Haut ihrer spanischen Mutter geerbt hatte und beträchtliche Kurven besaß.

Bee war Monty Blakes Tochter aus seiner ersten Ehe. Sie und Zara standen sich sehr nahe. Montys dritte Tochter, Tawny, war das Produkt einer außerehelichen Affäre. Weder Bee noch Zara kannten ihre jüngste Schwester besonders gut, was daran lag, dass Tawnys Mutter äußerst verbittert war über die Art, in der Monty Blake sie behandelt hatte.

„Was ist daran so unverständlich?“, entgegnete Zara und zuckte betont lässig die Schultern. Sie hatte Bee sehr gern und wollte keinesfalls, dass ihre Schwester sich ihretwegen Sorgen machte. „Ich bin es leid, Single zu sein, und wünsche mir Kinder …“

„Wie kannst du es leid sein, Single zu sein? Du bist gerade mal zweiundzwanzig und ganz bestimmt nicht rasend in Demonides verliebt!“, protestierte Bee, die ihre Schwester ungläubig anstarrte.

„Nun … ähm …“

„Du kannst ihn nicht lieben – mein Gott, du kennst ihn ja kaum!“, rief Bee, die Zaras kurzes Zögern sofort ausnutzte. Demonides hatte einen äußerst schlechten Ruf, was Frauen anging, und war außerdem bekannt dafür, ein extrem kaltblütiger Mensch zu sein.

Zara hob trotzig das Kinn. „Das hängt davon ab, was du dir von der Ehe wünschst. Alles, was Sergios will, ist eine Frau, die sich um die Kinder kümmert, die sich in seiner Obhut befinden.“

Bee runzelte die Stirn. „Die drei Kinder seines Cousins.“

Zara nickte. Vor ein paar Monaten waren Sergios Demonides’ Cousin und dessen Frau tödlich verunglückt. Sergios war seitdem der gesetzliche Vormund der Kinder. Bei ihrem zukünftigen Ehemann handelte es sich um einen mächtigen, äußerst furchteinflößenden Schiffsmagnaten, der viel reiste und noch mehr arbeitete. Wenn sie ehrlich war, hatte Zara erst in dem Moment die Angst vor Sergios verloren, als er ihr offenbart hatte, dass er nur deshalb eine Frau suchte, weil er eine Mutter für die drei Waisen in seinem Haus brauchte. Diese Rolle auszufüllen, traute Zara sich durchaus zu.

Außerdem sehnte sie sich verzweifelt danach, ihre Eltern stolz zu machen. Der tragische Tod ihres Zwillingsbruders Tom im zarten Alter von zwanzig hatte ein riesiges Loch in ihre Familie gerissen. Zara hatte ihren Bruder angebetet. Sie war nie wütend gewesen, weil er der erklärte Liebling ihrer Eltern war, die für Toms schulische Leistungen umso dankbarer waren, weil sie von Zaras Defiziten ablenkten. Kurz vor dem Abitur hatte Zara die Schule abgebrochen, weil sie einfach nicht klarkam. Tom dagegen war an die Uni gegangen und studierte BWL, um einmal ins Familienunternehmen einzusteigen. Doch dann baute er mit seinem Sportwagen einen Unfall und starb noch an Ort und Stelle.

Ihr charismatischer, erfolgreicher Bruder war genau das gewesen, was ihre Eltern sich als Sohn gewünscht hatten. Seit Toms Tod verlor ihr Vater immer häufiger die Kontrolle über sein gefährliches Temperament. Wenn sich Zara also eine Möglichkeit bot, ihre Eltern für Toms Verlust – und für ihre eigene Existenz – zu entschädigen, dann würde sie auf jeden Fall zugreifen. Zumal es eine traurige Tatsache war, dass Zaras ganze Erziehung ohnehin nur darauf angelegt war, für einen wohlhabenden Mann die perfekte Ehefrau zu spielen. Ja, es gab nur eine einzige Sache, mit der sie ihre Eltern stolz machen konnte: Sie musste einen vermögenden und erfolgreichen Mann heiraten.

Die Kinder in Sergios’ Londoner Haus hatten ihr Herz berührt. Da sie selbst einst ein äußerst unglückliches Kind gewesen war, wusste sie ganz genau, wie die drei sich fühlten. Als sie in die traurigen kleinen Gesichter blickte, war ihr klar geworden, dass sie hier etwas wirklich Gutes tun konnte. Es mochte zwar sein, dass Sergios selbst sie nicht brauchte, aber diese Kinder taten es, und sie war überzeugt, dass sie eine gute Mutter sein würde.

Außerdem hatte ihr Vater sie zum ersten Mal im Leben voller Stolz angeblickt, als sie zugestimmt hatte, Sergios zu heiraten. Nie würde sie dieses warme, glückselige Gefühl vergessen, das sie in diesem Moment verspürt hatte. Und dann gab es noch einen weiteren Grund, warum ihr die Heirat als gute Idee erschien. Zara war überzeugt, dass die Ehe mit Sergios ihr eine Freiheit schenken würde, die sie zuvor nie gekannt hatte. Freiheit von ihrem Vater, dessen Wutanfälle sie zu fürchten gelernt hatte, aber auch Freiheit von den geradezu krankhaften Ansprüchen ihrer stets perfekt gestylten, viel zu ehrgeizigen Mutter. Die Freiheit, endlich sie selbst sein zu dürfen.

„Und was passiert, wenn du dich verliebst?“, wandte Bee ein.

„Das wird nicht geschehen“, erklärte Zara im Brustton der Überzeugung. Mit achtzehn hatte ihr jemand gründlich das Herz gebrochen. Seit dieser schrecklichen Erfahrung hatte sie sich nie mehr für einen Mann erwärmen können.

Bee stöhnte laut. „Mein Gott, über diesen Mistkerl Julian Hurst wirst du doch wohl mittlerweile hinweg sein?“

„Vielleicht sind mir zu viele schlechte Männer begegnet, um an Liebe und Treue zu glauben“, versetzte Zara mit einer Spur Zynismus. „Wenn sie nicht hinter dem Geld meines Vaters her sind, interessieren sie sich nur für einen One-Night-Stand.“

„Nun, das war noch nie dein Ding“, bemerkte Bee trocken. Obwohl die Medien so taten, als hätte Zara schon tausend Lover gehabt, wusste sie ganz genau, dass die meisten Männer ihre Schwester kalt ließen.

„Und wer hätte das gedacht? Sergios ist beides völlig egal. In dieser Hinsicht braucht er mich nicht …“ Trotzdem würde Zara niemals zugeben, wie froh sie über den Mangel an sexuellem Interesse war.

Bee erstarrte. Diesmal wirkte ihre Miene noch entsetzter als zuvor. „Himmel, sag jetzt bloß nicht, du hast zugestimmt, eine dieser offenen Ehen mit ihm zu führen?“

„Bee, mir ist völlig egal, was Sergios tut, solange er sich diskret verhält. Und genau das ist es, was er will – eine Ehefrau, die sich nicht in sein Leben einmischt.“

Ihre Schwester schien mit jedem Wort besorgter. „Das wird nicht funktionieren. Du bist viel zu emotional, um in so jungen Jahren eine solche Beziehung einzugehen.“

Zara reckte das Kinn. „Wir haben einen Handel geschlossen, Bee. Er hat zugestimmt, dass die Kids und ich in London leben und dass ich Ediths Firma weiterführen kann, solange ich nicht Vollzeit arbeite.“

Diese Aussage schien Bee zu überraschen. Sie schüttelte den Kopf und blickte noch skeptischer drein. Zaras Eltern hatten einfach nur gelacht, als Zaras Tante Edith gestorben war und ihrer Nichte ihre kleine, aber erfolgreiche Gartenbaufirma Blooming Perfect hinterlassen hatte. Die Vorstellung, dass ihre Tochter, die eine schwere Legasthenikerin war, eine eigene Firma leitete, fanden sie einfach nur absurd – noch dazu in einem Gebiet, das Expertenkenntnisse erforderte. Ihr Vater ignorierte völlig, dass Zara, die die Liebe ihrer Tante zur Natur teilte, in den vergangenen Jahren mehrere Gartendesign-Kurse erfolgreich abgeschlossen hatte.

„Ich will … ich muss mein eigenes Leben führen“, gestand Zara mit mehr als einer Spur Verzweiflung.

„Natürlich musst du das.“ Als sie die Tränen in den Augen ihrer Schwester sah, griff Bee voller Mitgefühl nach deren Hand. „Aber ich glaube nicht, dass die Heirat mit Sergios der richtige Weg ist. Du tauschst nur den einen Käfig gegen einen anderen aus. Demonides wird genauso viele Hintergedanken haben wie deine Eltern. Bitte überleg dir das alles noch einmal gut“, drängte sie. „Ich bin dem Mann nur einmal begegnet, aber ich mochte ihn nicht, und ich würde ihm ganz sicher nicht vertrauen.“

Zara ging nicht darauf ein. Sehr zu Bees Missfallen verabschiedete sie sich rasch und verließ das behindertengerechte Haus, das Bee mit ihrer im Rollstuhl sitzenden Mutter teilte. Eine ganze Menge Dinge spukten ihr im Kopf herum.

Sie konnte sich genauso wenig vorstellen, sich zu verlieben, wie sie sich vorstellen konnte, nackt über die Straße zu laufen. Eine Zweckehe kam ihr sehr entgegen, denn Liebe machte nicht nur blind, sondern auch sträflich dumm, wie sie aus eigener, schmerzvoller Erfahrung wusste.

Da war zum Beispiel ihre Mutter Ingrid, die einen Mann geheiratet hatte, der regelmäßig fremdging. Ingrid, ein ehemaliges schwedisches Model aus ärmlichen Verhältnissen, idealisierte ihren Mann, den luxuriösen Lebensstil und das gesellschaftliche Ansehen, das ihr die Heirat mit ihm verlieh. Egal wie oft Monty Blake die Beherrschung verlor, Ingrid verzieh ihm jedes Mal oder gab sich selbst die Schuld für seine Fehler.

Und hinter geschlossenen Türen sind die Fehler meines Vaters um einiges furchteinflößender, als irgendjemand vermuten würde, dachte Zara mit einem Schaudern.

Sie parkte vor der kleinen Gärtnerei von Blooming Perfect. Rob, der Manager, den ihr Vater eingestellt hatte, saß in dem chaotischen kleinen Büro. Er stand auf, als sie hereinkam, und begrüßte sie mit einem Grinsen. „Ich wollte dich gerade anrufen – wir haben einen potenziellen Auftrag aus dem Ausland.“

„Woher?“, fragte Zara überrascht.

„Italien. Der Kunde kennt einen der Gärten, den deine Tante in der Toskana entworfen hat. Offensichtlich schätzt er ihn sehr.“

Zara runzelte die Stirn. Sie hatten bereits mehrere potenzielle Kunden gehabt, die jedes Mal einen Rückzieher machten, wenn sie hörten, dass ihre Tante nicht mehr lebte. „Wie hat er reagiert, als du ihm gesagt hast, dass sie gestorben ist?“

„Ich habe ihm gesagt, dass du Gärten in der Tradition von Ediths Arbeiten entwirfst, allerdings mit einem etwas moderneren Touch“, erklärte Rob. „Er will dich immer noch nach Italien einladen, um ein Design zu entwerfen. Alle Kosten übernimmt er. Ich nehme mal an, dass er ein Bauunternehmer ist, das Haus renoviert hat und jetzt will, dass der Garten dazu passt. So wie es sich anhört, steckt in dem Projekt einiges an Geld. Es könnte genau die Chance sein, auf die du gewartet hast.“

Rob reichte ihr den Notizblock auf seinem Schreibtisch, damit sie sich die Details ansehen konnte, die er notiert hatte. Zara zögerte, ehe sie widerwillig die Hand ausstreckte. Um den Schein zu wahren, blickte sie auf den Block hinunter, doch sie konnte die handschriftlichen Notizen nicht lesen. Als Legasthenikerin fiel es ihr so schon schwer genug zu lesen, aber Handschriftliches war noch schwieriger als Gedrucktes. „Himmel, was für eine Möglichkeit“, bemerkte sie pflichtschuldig.

„Oh, tut mir leid, das habe ich ganz vergessen“, stöhnte Rob, dem endlich auffiel, was los war, denn sie hatte ihm von ihrer Legasthenie erzählen müssen, um mit ihm arbeiten zu können. Er kümmerte sich um alles, was sie nicht konnte. Also nahm er ihr den Notizblock ab und teilte ihr mündlich alle Details mit.

Während er sprach, wäre Zara am liebsten im Erdboden versunken. Sie schämte sich immer fürchterlich, wenn sie ihre Behinderung nicht verbergen konnte und Kollegen für sie einspringen mussten. Dann erinnerte sie sich sofort an die schrecklichen Tage, als ihr Vater sie wegen ihrer schlechten Schulleistungen mehrfach mit „strohdumm“ tituliert hatte.

Doch Zaras Verlegenheit wich immer mehr einer wachsenden Begeisterung angesichts der Aussicht, sich einer wirklich kreativen Herausforderung stellen zu können. Abgesehen von den Gärten, an denen sie gemeinsam mit Edith gearbeitet hatte, umfasste ihr Portfolio bislang nur ein paar kleinere Stadtgärten mit begrenztem Budget. Ein größeres Projekt war genau das, was sie brauchte. Wenn sie es gut meisterte, würde es ihrer kleinen Firma genug Gewicht verleihen, um einen neuen Weg einzuschlagen und nicht mehr so sehr vom Ruf ihrer verstorbenen Tante abhängig zu sein.

„Ruf ihn zurück und mach einen Termin mit ihm aus“, sagte sie zu Rob. „Ich möchte so schnell wie möglich fliegen.“

Danach verließ sie die Gärtnerei und fuhr in die Stadt, um den Fortgang der Arbeiten an zwei aktuellen Projekten zu kontrollieren. Bei dem einen lief alles bestens, doch das andere war vorerst zum Stillstand gekommen, weil an einer besonders ungünstigen Stelle Rohre aufgetaucht waren, von denen keiner etwas gewusst hatte. Den Kunden zu trösten und einen Experten aufzutreiben, der sich um das Problem kümmerte, kostete Zeit, und so war es schon nach sechs, als Zara in das Apartment zurückkehrte, das sie im Haus ihrer Eltern bewohnte.

Fluffy, ihr kleines Kaninchen, strich sofort um ihre Füße und begrüßte sie enthusiastisch. Zara fütterte das Tier und streichelte den weichen Kopf. Es dauerte keine zehn Minuten, da tauchte Ingrid Blake, eine superschlanke, wunderschöne Frau von dreiundvierzig Jahren, in der Wohnung ihrer Tochter auf.

„Wo in aller Welt hast du den ganzen Tag gesteckt?“, fragte ihre Mutter ungeduldig. Ihre Stimme war so schrill, dass Fluffy sich verängstigt in ihr Häuschen verzog.

„Ich war in der Gärtnerei und musste bei ein paar Projekten nach dem Rechten sehen …“

„Die Gärtnerei? Projekte?“ Ingrid zog eine Grimasse, ganz so als hätte Zara ein unschickliches Wort benutzt. „Wann hört dieser Unsinn endlich auf, Zara? Die Gärtnerei kann niemals mehr als ein Hobby sein. Deine wahre Aufgabe im Leben ist die Hochzeit, die du vorbereiten musst – es gibt Kleiderproben, Caterer und Floristen müssen ausgewählt werden, und das ist erst der Anfang …“

„Ich dachte, wir hätten einen Wedding Planer, der sich darum kümmert“, entgegnete Zara ruhig. „Ich habe bislang jeden Termin eingehalten …“

„Zara“, unterbrach Ingrid sie ungehalten, „stell dich nicht dümmer, als du bist. Eine Braut sollte eine aktivere Rolle bei ihrer eigenen Hochzeit übernehmen.“

„Stell dich nicht dümmer, als du bist“ war ein Kommentar, der sie immer noch bis ins Mark traf, denn Zaras Schuljahre waren der reinste Alptraum gewesen. Für ihre schwachen Schulleistungen schämte sie sich noch heute.

„Das hier ist mehr deine Hochzeit als meine“, fühlte Zara sich gezwungen zu sagen, denn dieses ganze Tamtam ging ihr ziemlich auf die Nerven.

Ingrid stemmte eine Hand in die knochige Hüfte und funkelte ihre Tochter wütend an. „Was soll das heißen?“

„Nur, dass dir solche Dinge wichtiger sind als mir. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich habe anderes im Kopf als die Frage, ob ich Perlen oder Kristalle auf dem Schleier haben sollte. Und Sergios ist es auch egal. Vergiss nicht, dass das seine zweite Ehe ist“, erinnerte sie ihre Mutter sanft, denn sie wollte die Gemüter lieber besänftigen, als weiteren Aufruhr zu schüren.

Inmitten der Diskussion rief Rob an, um Zara zu fragen, wie rasch sie nach Italien fliegen könne. Während sie telefonierten, checkte er die Flüge und buchte schließlich einen Flug für den übernächsten Tag. Ingrid war zu ungeduldig, um darauf zu warten, dass ihre Tochter das Telefonat beendete, weshalb sie einfach aus der Wohnung marschierte.

Als sie wieder allein war, seufzte Zara erleichtert. In Italien würde sie zumindest weit weg sein von dieser ganzen Hochzeitshysterie!

Manchmal fragte sie sich, wie es sein konnte, dass sie so wenig mit ihren Eltern gemeinsam hatte. Nur mit der sechzigjährigen, unverheirateten Schwester ihres Vaters hatte sie sich großartig verstanden. Edith und Zara teilten die Liebe zur Natur und betrachteten das Leben recht pragmatisch. Der Tod ihrer Tante, nur ein paar Monate nach dem Autounfall ihres Bruders, hatte Zara tief getroffen. Edith war ihr immer so fit vorgekommen. Deshalb war der plötzliche, tödliche Herzinfarkt ein furchtbarer Schock gewesen.

Zara wählte ihre Kleidung für den Flug nach Italien mit Bedacht. Zu dem khakifarbenen Baumwollrock trug sie einen passenden Blazer, ein beigefarbenes T-Shirt und flache Schuhe. Das volle Haar befestigte sie mit einer Spange am Hinterkopf und legte nur ein Minimum an Make-up auf – und auch das eigentlich nur, weil ihr jugendliches Aussehen nicht unbedingt förderlich war, wenn es darum ging, einen beruflichen Auftrag an Land zu ziehen. Schließlich wusste niemand besser, wie sehr der erste Eindruck zählte, als jemand, der schon im Alter von vierzehn als dumme Blondine abgestempelt worden war.

Am Flughafen in Pisa wartete bereits ein Fahrer auf sie und führte sie zu einer glänzenden schwarzen Limousine. Kurz darauf zogen sanfte grüne Hügel und mittelalterliche Städtchen an ihr vorbei. Der Anblick war so entspannend, dass Zara nicht länger an den Streit mit ihrer Mutter dachte, die ganz und gar nicht damit einverstanden gewesen war, dass ihre Tochter für ein langes Wochenende nach Italien flog.

„Und was hält dein Verlobter davon?“, hatte Ingrid sie angefaucht.

„Keine Ahnung. Ich habe schon seit mehreren Wochen nichts mehr von ihm gehört, aber ich habe ihm eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, dass ich übers Wochenende verreist bin“, erklärte Zara ruhig, denn Sergios stand nicht in regelmäßigem Kontakt zu ihr. Ihr war völlig klar, dass er in ihrer Hochzeit, die in drei Monaten stattfinden sollte, eher eine praktische als eine persönliche Verbindung sah.

„Er ist ein viel beschäftigter Mann“, verteidigte Ingrid ihren zukünftigen Schwiegersohn sofort.

„Ja, das stimmt, und er hält es nicht für nötig, mich ständig zu kontrollieren“, betonte Zara gelassen. „Genauso wenig, wie du es tun solltest. Ich bin schon lange kein Kind mehr.“

Ingrid schnaubte verächtlich. „Es ist aber auch nicht so, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen, und du weißt ganz genau, wie impulsiv du sein kannst …“

Als sie durch die toskanische Hügellandschaft fuhr, versetzte ihr die Erinnerung an die Bemerkung ihrer Mutter einen Stich. Ein einziges Mal in ihrem Leben hatte Zara allzu impulsiv gehandelt und dafür einen hohen Preis gezahlt. Selbst jetzt noch, vier Jahre später, wurde Zara ganz schlecht, wenn sie daran dachte, wie sehr Julian Hurst sie gedemütigt hatte. Nach diesem Betrug war sie ganz schnell erwachsen geworden, doch auch wenn sie seitdem nie mehr so dumm gewesen war, erinnerten ihre Eltern sie dennoch regelmäßig an ihren absoluten Tiefpunkt.

Der Wagen verließ die Straße, woraufhin sie ihre Gedanken wieder auf ihre Umgebung richtete. Sie setzte sich auf, um besser aus dem Fenster schauen zu können. Beim ersten Anblick des alten Steinhauses, das da wie hingegossen in der Nachmittagssonne lag, weiteten sich ihre Augen. Mehrere traditionelle Blumenbeete zierten die Front der Villa, die wesentlich größer und imposanter war, als sie erwartet hatte. Einen Garten für eine Person zu entwerfen, der ein solch wunderschöner Besitz gehörte, war eine kreative Herausforderung, die unglaublichen Spaß machen würde.

Als der Fahrer ihre Tasche aus dem Kofferraum holte, wurde die Eingangstür der Villa geöffnet, und eine dunkelhaarige Frau Anfang dreißig im schicken Hosenanzug begrüßte sie. „Signorina Blake? Willkommen in der Villa di Sole. Ich bin Caterina – ich arbeite für Signore Roccanti. Er wird bald kommen. Wie war Ihr Flug?“

Gemeinsam betraten sie das weitläufige Foyer mit dem hellen Kalksteinboden. Zara lächelte und stellte ihre Tasche ab. Es war offensichtlich, dass das frisch renovierte Haus noch leer stand, und sie begann sich zu fragen, wo sie wohl die Nacht verbringen würde. Die freundliche Frau zeigte ihr die ganzen Räumlichkeiten. Die Villa war über hundertfünfzig Jahre alt, hatte aber gerade eine elegante Modernisierung erfahren. Der Umbau war fantastisch gelungen.

Was Fragen nach dem dazugehörigen Land anging, konnte Caterina allerdings nicht weiterhelfen. Sie hatte keine Ahnung, welche Vorstellungen ihr Arbeitgeber hinsichtlich des Gartens hegte oder wie groß das Budget dafür sein mochte.

„Signore Roccanti hat einen vorzüglichen Geschmack“, bemerkte sie lediglich, während Zara den spektakulären Blick auf die mit Weinreben und Olivenbäumen bewachsenen Hügel genoss.

Einen vorzüglichen Geschmack und genug Geld, um ihn sich leisten zu können, dachte Zara. Vor dem Haus war ein gedämpftes Motorengeräusch zu hören. Caterina eilte mit einer raschen Entschuldigung davon. Kurz darauf hörte Zara schwere Schritte auf dem Steinfußboden des Foyers.

Sie blickte genau in dem Moment auf, als ein Mann im Türrahmen erschien. Ihr stockte der Atem. Die Sonne zauberte ein Schimmern in sein schwarzes Haar und auf die langen dunklen Wimpern, während sie gleichzeitig die klassische Schönheit seiner Züge und den sinnlichen Mund betonte. Der Mann war verdammt sexy, doch es erschütterte Zara, dass sie so unmittelbar und heftig auf ihn reagierte, denn das war mehr als unüblich für sie.

„Es tut mir leid, dass ich Sie warten lassen musste, Signorina, aber mir ist ein Geschäftstermin dazwischengekommen“, entschuldigte er sich.

„Nennen Sie mich Zara, und Sie sind …?“ Sie gab sich große Mühe, ihn nicht anzustarren. Rasch streckte sie ihm die Hand entgegen.

„Vitale Roccanti. Also Sie sind Ediths Nichte“, bemerkte er, musterte sie aufmerksam und schüttelte dabei ihre Hand. Die kurze Berührung seiner langen schmalen Finger jagte einen Schauer durch ihren Körper. „Verzeihen Sie mir, wenn ich das sage, aber Sie sehen ihr nicht besonders ähnlich. Wenn ich mich recht entsinne, war Edith ziemlich groß …“

Zara reagierte überrascht. „Sie kannten meine Tante?“

„Ich lebte im Palazzo Barigo bei der Familie meines Onkels, als sie den Garten entwarf“, erklärte Vitale, dessen Blick kurz auf ihrer Hand ruhte. Sie trug keinen Verlobungsring. Hatte sie ihn abgenommen?

Die Erinnerung an die Frau, die ihr beinahe alles beigebracht hatte, führte dazu, dass Zara sich entspannte. Ein Lächeln legte sich auf ihr zartes Gesicht. „Es ist ein absolut traumhafter Garten. Man findet ihn in allen guten Büchern zu Landschaftsarchitektur …“

Wenn sie lächelte, befand Vitale, verwandelte sie sich von ungewöhnlich hübsch in außerordentlich schön. Die Fotos hatten nicht gelogen, erzählten aber auch nicht die ganze Wahrheit. Im Sonnenlicht schimmerte ihr helles Haar wie pures Silber. Ihre Haut war absolut makellos, und diese lavendelblauen Augen zogen ihn magisch in ihren Bann. Was jedoch ihren Mund anbelangte – voll und sinnlich und schrecklich verführerisch –, der konnte einen Mann in den Wahnsinn treiben. Vitale atmete mehrmals tief ein und rief sich zur Ordnung. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass sie derart anziehend sein würde.

„Waren Sie schon draußen?“, erkundigte er sich.

„Nein, Caterina hat mir gerade das Haus gezeigt, als Sie kamen – es ist äußerst beeindruckend“, erklärte Zara, deren Blick ihm folgte. Vitale Roccanti drückte einen Knopf, worauf die Glastüren, die Zugang zur Terrasse boten, langsam aufglitten. Er bewegte sich mit der geschmeidigen Eleganz eines Panthers, und es fiel Zara schwer, ihren Blick von ihm loszureißen. Er gehörte zu den Männern, die nur einen Raum betreten mussten, und schon war ihnen die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher. Mit seiner Größe, seiner Selbstsicherheit und seinem Charisma ragte er zweifellos aus der Masse heraus.

„Der Garten sollte das Haus perfekt ergänzen“, sagte er und trat auf die Terrasse.

„Ich sehe dort vorne einen Pool“, bemerkte sie und deutete mit dem Kopf auf das Becken, das bestimmt fünfzig Jahre alt und außerordentlich hässlich mitten in den Rasen eingelassen worden war.

„Wählen Sie eine Stelle, an der der Pool nicht der Hauptblickfang ist.“

Zara gab sich Mühe, kein Gesicht zu ziehen. Am liebsten hätte sie ganz auf den Pool verzichtet, doch jeder Job hatte seine Tücken, und es gab immerhin genug Platz, um einen Pool zu integrieren, ohne dass er allzu sehr auffiel. „Ich muss Sie etwas fragen – wird das Ganze hier Ihr Zuhause? Wird hier eine Familie leben?“

„Versuchen Sie, dem Garten einen universellen Zauber zu verleihen“, versetzte er ausweichend.

Zara kam sich ein bisschen dumm vor. Natürlich, wenn er die Villa verkaufen wollte, was als Bauunternehmer sicherlich sein Ziel war, dann konnte er jetzt noch gar nicht sagen, wer der zukünftige Besitzer sein würde.

Sie brauchte die Maße des Gartens, alle möglichen Details, doch Vitale Roccanti wirkte nicht unbedingt wie ein geduldiger Mann. Sie musste ihren Arbeitseifer bis zu ihrem nächsten Besuch zügeln. Der Garten grenzte bis an die Ausläufer des Walds und verschmolz mit den Schatten, die die Bäume warfen. Aber der offene, ungehinderte Blick gen Süden war geradezu atemberaubend.

Vitale beobachtete, wie ihr Gesicht aufleuchtete, als sie sah, wie die Sonne über die Hügel wanderte und die Bäume in goldenes Licht tauchte. Ihre sonst eher wachsame Miene wich einem Ausdruck offener Freude. Sie war ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte – weder kokett, noch albern, noch verwöhnt. Ihre Kleidung wirkte ungewöhnlich schlicht, und soweit er es beurteilen konnte, trug sie keinerlei Make-up – was ihn sehr überraschte, denn er gehörte zu den Männern, die daran gewöhnt waren, dass Frauen sich in seiner Gegenwart sorgfältig stylten.

Als Zara sich wieder zu ihm umdrehte, schimmerten ihre ungewöhnlichen lavendelblauen Augen in Vorfreude angesichts der Herausforderung, die vor ihr lag. In dieser wunderschönen Umgebung würde ihre Aufgabe zum Traumjob. „Wie viel Land gehört zu diesem Besitz?“

„Das ganze Land, so weit Sie blicken können“, entgegnete er. „Es war einmal ein beträchtliches Landgut. Morgen können Sie zurückkommen und das Anwesen genauer erkunden. Ich werde Ihnen ein Fahrzeug zur Verfügung stellen.“

Zara blickte in ein Paar atemberaubende goldbraune Augen, äußerst verführerisch mit langen Wimpern und von beinahe hypnotischer Kraft. Kein Wunder, dass sie eine Gänsehaut bekam. „Vielen Dank, das ist wirklich praktisch“, erwiderte sie. Um die Wirkung abzuschwächen, die Vitale Roccanti auf sie ausübte, rief sie sich die Demütigung und den Schmerz in Erinnerung, die Julian ihr zugefügt hatte.

„Prego!“, entgegnete er leicht und führte sie wieder zurück ins Foyer.

Dort wollte sie sich gerade nach ihrer Tasche bücken, doch Vitale kam ihr zuvor und sagte: „Lassen Sie mich das nehmen.“

Sie folgte ihm nach draußen und wartete, während er die Fronttür abschloss. Dann öffnete er die Tür seines schwarzen Lamborghini, verstaute ihre Tasche und trat zurück, sodass sie einsteigen konnte.

„Wo werde ich übernachten?“, fragte sie, als sie auf den Beifahrersitz kletterte und nervös den Rock richtete, der ein wenig zu hoch gerutscht war.

„Bei mir. Ich besitze ein Landhaus gleich den Hügel hinunter. Es ist eine erstklassige Ausgangsstation für Sie.“ Natürlich war seine Aufmerksamkeit auf ihre zarten Schenkel gerichtet. Er konnte gar nicht anders, als daran zu denken, was passieren würde, wenn er ihre Beine spreizte.

Himmel, was war nur los mit ihm? Man hätte ihn für sexuell ausgehungert halten können, was ganz und gar nicht der Fall war. Vitale plante Sex genauso minutiös in seinen Zeitplan ein wie Geschäftstermine. Er hatte in mehr als einer europäischen Stadt Geliebte – diskrete, kultivierte Frauen, die vernünftigerweise keine dauerhafte Bindung von ihm erwarteten.

Er hatte früh gelernt, sein Herz nicht an Frauen zu hängen und sie ganz bestimmt nicht zu lieben. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass diejenigen, die er liebte, ihn entweder verrieten oder starben. Nach solchen Erfahrungen schmerzte das Alleinsein umso mehr, aber es war trotzdem besser, erst gar keine Gefühle für jemanden zu entwickeln. Mit diesem Credo war Vitale Roccanti bislang gut gefahren. Er hatte es von extremer Armut bis zu dem angenehmen Lebensstil eines Multimillionärs gebracht, der mit jedem Jahr mehr Geld zu verdienen schien.

2. KAPITEL

Das Landhaus lag ein gutes Stück abseits der Bergstraße. Man musste beinahe einen Kilometer über einen schmalen Weg mitten durch den dichten Wald fahren. Das Haus bestand aus ockerfarbenem Sandstein und hatte ein terrakottafarbenes Dach. Ringsherum standen etliche Olivenbäume, deren Blätter in der untergehenden Sonne silbrig schimmerten.

„Wie malerisch“, murmelte Zara verzaubert, der erst mit einiger Verspätung bewusst wurde, dass sie sich von einem Mann, von dem sie so gut wie nichts wusste, an einen extrem einsamen Ort auf dem Land bringen ließ. Innerlich schalt sie sich für ihre mangelnde Vorsicht.

Sie wollte gerade den Mund öffnen, um ihm zu sagen, dass sie lieber in einem Hotel übernachten würde – auf eigene Kosten –, als eine kleine rundliche Frau mit Schürze die Haustür öffnete und breit lächelte.

„Meine Haushälterin Giuseppina möchte Sie begrüßen. Aber seien Sie gewarnt, sie wird versuchen, Sie zu mästen“, scherzte Vitale beim Aussteigen.

Die Anwesenheit einer anderen Frau beruhigte Zara etwas. Dennoch gingen ihr mehrere Mordfälle durch den Kopf, bei denen die Täter weibliche Komplizen gehabt hatten. „Ich glaube, ich würde lieber in einem Hotel übernachten – die Kosten übernehme ich natürlich selbst“, erklärte sie steif.

Vitale wirkte überrascht. Er war sicherlich daran gewöhnt, dass Frauen jede Möglichkeit nutzten, seine volle Aufmerksamkeit zu genießen, doch offensichtlich erkannte er ihre Sorge, denn er entgegnete: „Wenn es Ihnen angenehmer wäre, allein im Haus zu übernachten, dann nutze ich mein Apartment in der Stadt. Das ist kein Problem.“

Zara lief schamrot an. Vermutlich benahm sie sich völlig hysterisch, weshalb sie rasch erwiderte: „Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig. Ich glaube, es liegt einfach nur daran, dass ich so gut wie nichts über Sie weiß – abgesehen davon, dass Sie Bauunternehmer sind …“

„Aber ich bin gar kein … Bauunternehmer“, gestand Vitale, so als wäre das etwas, wofür er sich entschuldigen müsste.

Zara hätte beinahe gelacht. Stattdessen runzelte sie die Stirn. „Sind Sie nicht?“

„Nein, ich bin Banker“, verriet er.

„Oh …“, murmelte sie verblüfft. Bislang hatte sie keinerlei schlechte Erfahrungen mit Bankern gemacht. Sie fand die Tätigkeit aber auch nicht besonders spannend.

„Dass ich Immobilien saniere, ist nur ein Hobby“, erklärte Vitale. Ihr mangelndes Interesse an seinem Beruf ärgerte ihn ein wenig. War er einfach nur verwöhnt von all den Frauen, die förmlich an seinen Lippen hingen und versuchten, alles, aber auch wirklich alles, über ihn zu erfahren?

In diesem Moment brach Giuseppina mit einem italienischen Wortschwall über sie herein und nahm das Heft in die Hand. Fröhlich zog sie Zara ins Haus und führte sie geradewegs die knarzende alte Eichenholztreppe hinauf in ein überaus charmantes Schlafzimmer mit bemalten Bauernmöbeln und blütenweißer Bettwäsche. Zara stellte mit einiger Erleichterung fest, dass es ein angrenzendes Bad gab.

Ein leises Klopfen an der offenstehenden Tür. Vitale stellte ihre Tasche auf dem rustikalen Dielenboden ab. „Das Dinner wird in einer halben Stunde serviert. Ich hoffe, Sie haben Hunger. Da ich so selten Gäste hierher bringe, scheint Giuseppina die Gelegenheit zu nutzen, um ein ganzes Bankett zu servieren.“

Zara blickte ihn an, und als sie diesen warmen, bernsteinfarbenen Augen begegnete, kam es ihr so vor, als stünde sie nackt und schutzlos vor ihm. Für einen lähmenden Moment war sie völlig gebannt von der Symmetrie und Schönheit seiner Züge. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen …

Während Giuseppina nach unten ging und ihre Schritte auf der Treppe widerhallten, hielt Vitale noch immer Zaras Blick gefangen. Schließlich murmelte er heiser: „Wir sehen uns dann beim Dinner“, wandte sich ab und ging.

Als sich die Tür hinter ihm schloss, bebte Zara am ganzen Körper. Ihr war viel zu warm. Sie löste sich aus ihrer Erstarrung, lief ins Bad hinüber und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Mit zitternden Händen griff sie nach einem Handtuch und trocknete sich ab. Noch nie war sie sich eines Mannes so bewusst gewesen. Die Gefühle, die sie als Teenager Julian entgegengebracht hatte, verblassten im Vergleich. Was war nur los mit ihr? Nur ein einziges Mal hatte ein Mann sie so weit gebracht, dass sie ihre Jungfräulichkeit herschenken wollte, und dieser Mann war Julian gewesen. Doch wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie nur mit ihm schlafen wollen, weil sie davon ausging, dass es erwartet wurde. Als Julian seine Hauptmotivation offenbarte – nämlich blanke Gier –, da war sie lieber Jungfrau geblieben, wenn auch eine wesentlich traurigere und klügere als zuvor. Was war jetzt bloß anders mit Vitale Roccanti?

Zugegeben, er war ein außergewöhnlich gutaussehender und charismatischer Mann, aber wahrscheinlich war er verheiratet. Zumindest fest liiert. Und warum in aller Welt sollte das überhaupt eine Rolle für sie spielen? Es ging sie gar nichts an. Genauso wenig, wie es Vitale etwas anging, dass sie mit Sergios verlobt war. Natürlich war es dumm, dass Sergios ihr keinen Verlobungsring geschenkt hatte, aber das hieß noch lange nicht, dass sie Vitale ihre baldige Hochzeit explizit mitteilen musste. Wieso machte sie sich deshalb überhaupt einen solchen Stress?

Zara öffnete die Haarspange und ließ die dicken silberblonden Strähnen offen um die Schultern fallen. Dann schlüpfte sie in das graublaue Sommerkleid, das sie für etwas schickere Anlässe mitgenommen hatte.

Das Dinner wurde auf der Terrasse hinter dem Haus serviert. Eine Kerze flackerte auf dem liebevoll gedeckten Tisch im Schatten einer großen Eiche. Die Schultern gestrafft, verließ Zara den Schutz des Hauses.

Vitale hielt ein Glas Wein in der einen Hand, ein Handy in der anderen, und telefonierte auf Italienisch. Er saß auf einem Mauervorsprung. Der Anzug, den er zuvor getragen hatte, war durch eine beigefarbene Hose und ein weißes Hemd ersetzt worden.

„Zara“, begrüßte er sie sanft, klappte das Handy zu und legte es zur Seite.

„Früher habe ich meinen Namen gehasst, aber ich schätze, jeder hatte mal eine Phase, in der er seinen Namen nicht mochte“, gestand sie. Ihr war klar, dass sie plapperte, aber sie brauchte das, um ihre Nervosität zu überspielen.

„Es ist ein hübscher Name.“

Sie war sich seines aufmerksamen Blicks wohl bewusst und errötete. Um Himmels willen, entspann dich, schalt sie sich innerlich, denn ihre übertriebene Reaktion auf ihn ärgerte sie. Er erhob sich mit geschmeidiger Eleganz und fragte sie, ob sie ein Glas Wein wolle. Kurz verschwand er im Haus und kehrte dann mit einem Glas für sie zurück.

Es war ein warmer Abend. Sie ließ sich auf dem Stuhl am Tisch nieder, den er ihr zurechtgerückt hatte, und kurz darauf servierte Giuseppina die Vorspeise – eine herrlich aussehende Platte mit verschiedensten Antipasti. Die dunklen Augen der Haushälterin funkelten beglückt. In ihnen spiegelten sich unverhohlene Neugier und romantische Hoffnungen.

„Ich bin neunundzwanzig“, erklärte Vitale amüsiert. „Sie findet, ich sollte längst verheiratet sein und eine Familie gründen. Immer wieder ermahnt sie mich, dass die besten Frauen schon vergeben sind.“

Zara, die seine Offenheit überraschte, lachte. „Und ist es so?“

„Ich weiß es nicht. Um Frauen, die nur daran denken, wie sie an einen Ehering kommen, habe ich immer einen großen Bogen gemacht“, gestand er.

Zara vermutete, dass sie ihm jetzt von ihrer kurz bevorstehenden Hochzeit erzählen sollte – zumindest wenn sie so ehrlich war, wie sie immer geglaubt hatte. Doch obwohl ihr die Worte auf der Zunge lagen, konnte sie sich aus irgendeinem Grund nicht dazu bringen, sie tatsächlich auszusprechen. Stattdessen zog sie ihr Notizbuch aus der Tasche und begann damit, ihn zu seinen Wünschen für den Garten und zu dem dafür vorgesehenen Budget zu befragen.

Der Hauptgang bestand aus einem unglaublich zarten Steak, dazu Tomatensalat und Rosmarinkartoffeln. Sie aß mit großem Appetit, denn es war ganz zweifellos ein köstliches Dinner. Dennoch versuchte sie, Messer und Gabel so oft wie möglich aus der Hand zu legen, um Notizen zu machen.

„So hatte ich mir das Essen mit Ihnen eigentlich nicht vorgestellt“, bemerkte Vitale trocken. Es war ihm nicht entgangen, dass sie alle Flirtversuche ignorierte und lieber einen professionellen Abstand hielt, mit dem er nicht gerechnet hatte. Natürlich ist sie schlau genug, um zu wissen, dass mangelndes Interesse einen Mann nur noch mehr anstachelt, beschloss Vitale, denn er wollte sich einfach nicht eingestehen, dass er sie womöglich wirklich völlig kalt ließ. „Sie sollten sich entspannen. Morgen ist auch noch ein Tag zum Arbeiten.“

„Aber ich bin nur ein paar Tage hier. Ich will die Zeit so gut wie möglich nutzen“, entgegnete sie leicht, während Giuseppina eine Limonen-Tarte auf den Tisch stellte und in Stücke schnitt. „Falls ich ein paar Stunden erübrigen kann, würde ich gern den Garten besichtigen, den meine Tante Edith im Palazzo Barigo gestaltet hat.“

„Haben Sie ihn noch nicht gesehen?“

„Nein, ich war noch nie in dieser Gegend. Meine Eltern machen keinen Urlaub auf dem Land.“ Bei der Vorstellung, ihre ach so schicke Mutter in dieser rustikalen Umgebung zu sehen, zuckten ihre Mundwinkel. „Ich habe meine Tante einmal gefragt, ob sie nicht gern herkommen würde, um sich den Garten anzusehen, den sie entworfen hat, aber sie sagte Nein. Sie meinte, dass Gärten sich mit der Zeit verändern und sie ihn lieber so in Erinnerung behalten würde, wie er am Anfang war.“

„Wenn ich es einrichten kann, werde ich vor Ihrer Abreise eine Tour mit Ihnen durch den Palazzo Barigo machen“, entgegnete Vitale sanft und griff nach der Weinflasche, um ihr Glas erneut zu füllen.

„Für mich nichts mehr, danke“, wehrte sie rasch ab. „Alkohol steigt mir furchtbar schnell zu Kopf, deshalb trinke ich nie viel.“

Vitale amüsierte diese Reaktion. Ständig setzte sie Grenzen. Sie gab sich genauso stachlig wie ein Kaktus. Aber er war erfahren genug und hatte ihre langen Blicke bemerkt. Deshalb war er sicher, dass sie ihn begehrte, auch wenn sie es zu verbergen suchte. Erotische Vorfreude breitete sich in ihm aus – und zwar von einer Art, wie er es nie zuvor erlebt hatte.

Er war genauso weitgereist wie Zara, insofern konnten sie unterhaltsame Anekdoten von ihren Reisen austauschen und dabei feststellen, dass sie einen ganz ähnlichen Sinn für Humor besaßen. Vitale redete stark mit den Händen. Irgendwann bemerkte Zara, dass sie seine Bewegungen gebannt beobachtete. Als sie urplötzlich seinem Blick begegnete, konnte sie nicht mal schlucken. Die Tatsache, dass sie ihre Reaktion auf ihn einfach nicht unter Kontrolle hatte, beunruhigte sie. Vitale war umwerfend, aber nicht für sie bestimmt. Selbst wenn es sie umbrachte, sie würde ihren Selbstrespekt wahren.

„Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich, aber ich bin schrecklich müde und würde mich deshalb jetzt gern zurückziehen, damit ich morgen möglichst früh mit der Arbeit beginnen kann“, sagte sie und lächelte entschuldigend.

Vitale akzeptierte ihre Erklärung anstandslos und erhob sich sofort. Plötzlich wurde ihr ganz heiß bei dem Gedanken, dass er sich vielleicht nur aus reiner Höflichkeit mit ihr unterhalten hatte. Nicht jeder Mann ist darauf aus, mit mir ins Bett zu gehen, ermahnte sie sich selbst.

Am Fuß der Treppe zögerte Zara. Obwohl sie selbst dafür verantwortlich war, den Abend so früh zu beenden, verließ sie Vitale nur ungern. „Sehen wir uns morgen früh?“, fragte sie ein wenig atemlos.

„Wahrscheinlich nicht. Ich mache mich in der Regel schon kurz nach sechs auf den Weg“, entgegnete er und beobachtete, wie sie von einem Fuß auf den anderen trat. Seine Anspannung war mittlerweile so groß, dass nicht nur seine Muskeln schmerzten.

Zara schaute zu ihm hoch und konzentrierte sich auf das verführerische Funkeln seiner dunklen Augen und auf die sinnlichen Lippen. Sie erschauerte am ganzen Körper, denn plötzlich gab er sich keine Mühe mehr, sein Verlangen zu kaschieren.

„Aber ehe wir uns trennen, cara mia …“, raunte er und schloss die Hände um ihre Arme, um sie dicht an sich zu ziehen.

Zara war völlig überrumpelt. Sie erstarrte. „Nein“, rief sie und presste ihre Hände fest gegen seine Brust, so als wolle sie ihn wegstoßen. „Ich weiß nicht, was Sie glauben, warum ich hergekommen bin, aber ganz bestimmt nicht hierfür.“

Vitale verkniff sich das Lächeln, das fast schon um seine Lippen spielte, und hob stattdessen eine Augenbraue. „Ach, nein?“

„Sie sind ganz schön von sich überzeugt, was?“, entfuhr es ihr. Über ihre Worte hatte sie nicht weiter nachgedacht, denn seine Arroganz ärgerte sie maßlos.

Kurz flackerte Zorn in seinen dunklen Augen auf. „Vielleicht habe ich die Situation falsch verstanden …“

„Ja, das haben Sie ganz sicher“, versetzte sie vehement. „Ich bin Ihnen für Ihre Gastfreundschaft sehr dankbar, und ich habe Ihre Gesellschaft genossen, aber weiter geht es nicht! Gute Nacht, Vitale.“

Doch als sie die Treppe hinaufeilte und rasch die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich schloss, kam sie sich wie eine Heuchlerin vor. Er hatte die Situation gar nicht so falsch verstanden, wie sie gern glauben wollte. Sie fand ihn tatsächlich sehr attraktiv, was er vermutlich bemerkt hatte. Deshalb hatte er versucht, sie zu küssen.

Ganz offensichtlich war ihr Sex-Trieb doch stärker als angenommen. Himmel, was für ein Zeitpunkt, um das herauszufinden! Warum jetzt? Warum jetzt, wo sie kurz davor stand, einen anderen Mann zu heiraten?

Sie lag im Bett, starrte aus dem Fenster und beobachtete den Mond. Vitale war einfach eine Versuchung, der sie widerstehen musste. Vielleicht war es ganz gut, dass sie auf diese Weise daran erinnert wurde, was es hieß, sich wie eine verheiratete Frau zu verhalten. In der Zukunft musste sie wachsamer sein. Dennoch konnte sie nicht vergessen, dass sie ihm nicht mal während ihres Wutanfalls von ihrer bevorstehenden Hochzeit erzählt hatte.

3. KAPITEL

Zara lag die halbe Nacht wach, denn ihre widersprüchlichen Gefühle ließen sie kaum Schlaf finden. Als sie dann nach wenigen Stunden aufwachte, war ihr Zimmer in goldenes Morgenlicht getaucht. Giuseppina servierte ihr das Frühstück draußen auf der Terrasse. Es gab frische Pfirsiche, Milchkaffee, Honig und noch ofenwarmes Brot. Nachdem Zara ihren Hunger gestillt hatte, nahm sie die von Giuseppina gereichten Autoschlüssel entgegen und kletterte in den robusten Geländewagen, der vor dem Haus parkte. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie die Villa di Sole erreichte.

Der Garten war an diesem frühen Morgen ein wundervoller Hafen der Ruhe. Zara nutzte die noch angenehm kühlen Temperaturen, nahm verschiedene Maße und setzte sich dann auf einen Stuhl im Schatten, um ein paar erste Entwürfe zu zeichnen. Zunächst legte sie den günstigsten Platz für den Swimmingpool fest. Nachdem das erledigt war, konnte sie ihren Ideen freien Lauf lassen. Schon bald war sie so vertieft in ihre Arbeit, dass sie den Wagen, der vor dem Haus hielt, gar nicht hörte. Tatsächlich blickte sie erst auf, als die Eingangstür der Villa ins Schloss fiel.

Vitale schlenderte zu ihr in den Garten. Er trug sportliche Kleidung und hatte einen Pullover auf sehr italienische Weise locker um die Schultern gebunden. Er sah einfach fantastisch aus, wahnsinnig männlich. Kein Wunder, dass Zara bei seinem Anblick das Herz bis zum Hals pochte.

„Zeit für den Lunch“, erklärte er lässig.

Zara schaute zum ersten Mal, seit sie angekommen war, auf die Uhr und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass es bereits früher Nachmittag war. „Ich habe völlig die Zeit vergessen …“

Vitale warf einen neugierigen Blick auf die Zeichnungen, die sie rasch einsammelte. „Ist schon etwas dabei, was ich mir ansehen kann?“

„Ich zeige immer erst das fertige Design“, versetzte sie sachlich, denn sie war es gewohnt, mit ungeduldigen Kunden umgehen zu müssen. „Bislang sind es nur erste Ideen.“

Aufmerksam betrachtete er sie. Selbst völlig ohne Make-up und in bequemen Shorts und weitem T-Shirt war sie eine wahre Schönheit. Ein paar silberblonde Locken hatten sich aus der Spange gelöst, mit der sie das Haar auf dem Hinterkopf befestigt hatte, und ringelten sich um ihre Schläfen. Dazu die lavendelblauen Augen und die sinnlichen Lippen … Vitale spürte erneut Verlangen in sich aufsteigen und biss grimmig die Zähne zusammen. Sie sah sehr jung aus, bezaubernd natürlich und umwerfend sexy. Plötzlich erinnerte sich Vitale an das Gerücht, dass Monty Blake ein Vermögen gezahlt haben sollte, um pornografische Jugendfotos zu unterdrücken, die ein Ex-Freund von Zara gemacht hatte. Die Zeit der Unschuld hat Zara Blake schon lange hinter sich gelassen, dachte er bitter.

„Ich bringe Sie zum Palazzo Barigo“, verkündete Vitale, während er sie durch das Haus und zurück zu seinem Lamborghini führte.

Ediths Garten! Er wollte ihr Ediths Garten zeigen! Zara drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihm um. „Das ist wundervoll – also ist er für die Öffentlichkeit zugänglich?“

„Normalerweise nicht, nein.“

„Oh, natürlich, Sie sagten ja, dass er Ihrem Onkel gehört“, erinnerte sie sich. Wäre sie allein gewesen, hätte sie ihn vermutlich gar nicht besichtigen können. „Vielen Dank, dass Sie das ermöglichen. Ich weiß es sehr zu schätzen. Sollte ich mich umziehen, oder kann ich so gehen? Ich habe nicht besonders viele Kleider dabei, weil ich gern mit leichtem Gepäck reise.“

„Im Moment befindet sich nur Dienstpersonal im Palazzo. Sie können ganz leger gehen“, erwiderte er.

„Was machen wir mit dem Wagen, mit dem ich hergekommen bin?“, fragte sie etwas verspätet.

„Ich lasse ihn später abholen.“

Der Palazzo Barigo war über eine Stunde entfernt. Zara nutzte einen Großteil der Fahrt, um Vitale nach den verschiedenen Gesteinsarten der Gegend auszufragen und ihm mitzuteilen, dass sie einen Experten für die Lichtgestaltung brauchte. Irgendwann stellte sie fest, dass er immer schweigsamer wurde und viel unnahbarer wirkte als noch am Vorabend. Ob sie ihn mit ihrer Zurückweisung beleidigt hatte?

„Die Landschaft hier ist so traumhaft schön. Kein Wunder, dass Edith sich inspiriert fühlte“, bemerkte sie.

„Sie reden ganz schön viel, nicht wahr“, seufzte Vitale. Die Landschaft, die sie bewunderte, war ihm schmerzhaft vertraut. Dies war der Ort, an dem sich all jene Ereignisse abgespielt hatten, die seinem Leben eine derart dramatische Wendung gegeben hatten.

Zara spürte, wie sie rot wurde. Ja, sie redete eine ganze Menge, und es handelte sich nicht unbedingt um sonderlich geistreiche Dinge. Vielleicht fand er sie langweilig.

„Entschuldigen Sie bitte, das war unhöflich“, sagte Vitale leise, bog von der Straße ab und durchfuhr einen Steinbogen, der mit einer antiken griechischen Urne geschmückt war. „Ich hatte einen stressigen Morgen, aber das ist keine Entschuldigung für meine schlechte Laune. Ich finde es sehr entspannend, mit Ihnen zusammen zu sein.“

Zara war von seiner plötzlichen Kehrtwende nicht überzeugt. Nachdem sie geparkt hatten, stieg sie rasch aus und erklärte ziemlich steif: „Wenn ohnehin nur Personal hier ist, können Sie mich auch eine Stunde allein im Garten lassen. Sie müssen mich nicht begleiten …“

„Aber ich will mit Ihnen zusammen sein!“, beteuerte Vitale über die Motorhaube hinweg. Er nahm die dunkle Sonnenbrille ab und schenkte ihr einen eindringlichen Blick aus seinen goldbraunen Augen. „Was glauben Sie, warum ich diesen Ausflug arrangiert habe? Nur, um Ihnen einen Gefallen zu tun.“

Da Zara sich nicht vorstellen konnte, warum er lügen sollte, fiel ein Teil der Anspannung von ihr ab. „Ich kann nicht besonders gut mit launischen Männern umgehen“, gestand sie. „In ihrer Gegenwart fühle ich mich unwohl.“

„Ich bin nicht launisch.“

Da war sie sich nicht so sicher. Er mochte zwar normalerweise keinen großen Launen unterworfen sein, aber er wirkte wie ein sehr getriebener Mensch. Vermutlich konnte er sehr stur, unnachgiebig und entschlossen sein, auch wenn sie keine Ahnung hatte, woher sie diese Vermutung nahm, denn schließlich hatte sie ihn erst am Vortag kennengelernt. Dennoch war sie sich mit ihrer Einschätzung sicher.

Vitale hob den Picknickkorb aus dem Kofferraum, den Giuseppina gepackt hatte, und warf Zara eine karierte Decke zu. Dann streckte er ihr seine freie Hand entgegen. „Kommen Sie, wir suchen uns ein Plätzchen, an dem wir essen können …“

„Der Obstgarten“, schlug sie sofort vor, denn sie erinnerte sich ganz genau an jedes Detail des Gartens, den sie so oft studiert hatte.

Gemächlich schlenderten sie über die Kieswege. Auch heute noch, so viele Jahre nachdem der Garten angelegt worden war, war Ediths Talent als Landschaftsgestalterin klar erkennbar. „Der Garten ist neu bepflanzt worden“, registrierte Zara gleichermaßen überrascht und erfreut. Sie hatte damit gerechnet, wuchernde Büsche und Bäume zu sehen, die Vision ihrer Tante durch jahrelangen Wildwuchs zerstört.

„Vor achtzehn Monaten“, versetzte Vitale knapp. Er klang ein wenig zerstreut. Als er Zara vor einer großen Eibe stehen sah, erinnerte er sich an seine Schwester, wie sie in einem scharlachroten Seidenkleid für einen Modefotografen denselben Weg entlanggetanzt war. „Eine Zeit lang waren Haus und Garten der Öffentlichkeit zugänglich.“

„Aber jetzt nicht mehr“, folgerte sie.

„Der Besitzer schätzt seine Ungestörtheit.“

„Es ist beinahe selbstsüchtig, etwas so Schönes zu besitzen und nicht mit anderen zu teilen“, versetzte Zara leicht tadelnd. Ihr Blick wanderte ruhelos umher, denn es gab einfach so viel zu sehen.

Amüsiert beobachtete Vitale, wie sie auf eine Steinbank kletterte, um besser über die Heckenreihe schauen zu können. „Der Tempel auf dem Hügel oberhalb des Sees bietet den besten Blick“, bemerkte er.

Sie runzelte die Stirn. „Im Originalentwurf gab es keinen Tempel.“

„Vielleicht hatte der Besitzer das Gefühl, er könnte ein kleines Detail hinzufügen, ohne die Symmetrie des Ganzen zu zerstören“, entgegnete er trocken.

Zara wurde rot. „Natürlich. Ich finde es wundervoll, dass er den Garten genug schätzt, um ihn auch für zukünftige Generationen zu erhalten.“

Ihre Schlagfertigkeit erheiterte ihn. Belustigt schaute er zu, wie sie von der Bank stieg und ungeduldig vorauslief – eine zierliche Gestalt mit silberblondem Haar, in dem sich die Sonne fing. Anhand der Fotos hatte er angenommen, dass sie ihr Haar färbte, doch es schien von Natur aus diese seltene Farbe zu haben. Sie harmonierte perfekt mit ihrer nordischen Haut und den ungewöhnlichen Augen. Um die Frage mit letzter Sicherheit zu beantworten, müsste er ihr jedoch die Kleider abstreifen – ein Ereignis, das er zu seiner eigenen Überraschung kaum erwarten konnte.

Monty Blakes Tochter verfügte über einen ganz eigenen Charme. Selbst in legeren Kleidern wirkte sie unglaublich weiblich. Ihre zarten Kurven und ihre Spontaneität bezauberten ihn. Es war Jahre her, dass eine Frau eine solche Wirkung auf ihn gehabt hatte, und dieser Umstand behagte ihm ganz und gar nicht. Vitale zog es vor, seine Gefühle unter Kontrolle zu haben. Er mochte keine Überraschungen.

Als sie den Kirschgarten erreichten, nahm er ihr die Decke ab und breitete sie auf der Wiese aus. Dabei fragte er sich insgeheim, ob sie diesen Ort ausgesucht hatte, um vielleicht spontanen Sex im Freien zu haben. Nie und nimmer, beschloss Vitale. Er würde seinen Ruf nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass er sich wie ein hormongesteuerter Teenager im Gras wälzte.

Zara schien allerdings nicht auf Verführung aus, denn sie ließ sich wenig elegant auf die Knie nieder und begann sofort, den Picknickkorb auszupacken. Dabei kamen alle möglichen Leckerbissen zum Vorschein. „Ich bin wirklich hungrig“, gestand sie.

Während Vitale sie beobachtete, entschied er, dass er Gefahr lief, zu unflexibel zu werden. Er könnte durchaus ein Zugeständnis machen, wenn die einzige Möglichkeit darin bestand, sie hier im Gras zu nehmen. Er schenkte zwei Gläser kühlen Weißwein ein, während Zara die Teller herausnahm und dünne Scheiben Parmaschinken auspackte, eine Zwiebel-Spinat-Frittata, einen Mozzarella-Tomaten-Salat und eine Schüssel mit Pasta, die mit Zucchini-Blüten bestreut war. Es war eine äußerst appetitanregende Auswahl.

„Giuseppina ist ein Schatz“, schwärmte Zara und biss ohne große Hemmung in ein Stück Frittata hinein. Sie spülte den Bissen mit einem Schluck Wein hinunter.

„Ich bin auch ein exzellenter Koch“, verriet Vitale unerwarteterweise. „Giuseppina steht noch nicht lange in meinen Diensten.“

„Ich kann gerade mal Toast machen“, gab Zara unbekümmert zu. „Meine ältere Schwester Bee bietet mir ständig an, mir das Kochen beizubringen, aber ich halte mich lieber im Garten auf als in der Küche.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Schwester haben.“

Zara streifte die Schuhe ab, stützte sich auf einen Ellbogen und aß mit unverhohlenem Genuss eine Gabel Tomatensalat. „Dad hat drei Töchter aus zwei Ehen und aus einer Affäre. Man könnte ihn wohl als eine Art Womaniser bezeichnen“, spielte sie die Sache ein wenig herunter.

„Ist er immer noch mit Ihrer Mutter verheiratet?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ja, sie stellt sich einfach blind. Himmel, ich weiß nicht, warum ich Ihnen das erzähle. Das ist eine Privatsache.“

„Offensichtlich beschäftigt es Sie“, bemerkte Vitale.

Das stimmte. Zara hatte sich immer daran gestoßen. „Ich halte Treue für überaus wichtig …“

Vitale hätte beinahe laut gelacht. Immerhin beabsichtigte sie, bald zu heiraten. Ihre Naivität war geradezu lächerlich.

Zara spürte, wie sie rot wurde. Sie hielt Treue für wichtig, und dennoch hatte sie zugestimmt, einen Mann zu heiraten, der nicht die leiseste Absicht hegte, ihr treu zu sein. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob Bee vielleicht recht hatte und sie den größten Fehler ihres Lebens beging. Die aufsteigende Panik war so groß, dass sie ihr Weinglas in einem Zug leerte und zuließ, dass Vitale es neu füllte.

„Was denken Sie darüber?“, erkundigte sie sich. Seine Meinung interessierte sie wirklich.

„Ich denke, dass wir uns über Dinge unterhalten, die viel zu ernst sind für einen wunderschönen Tag wie diesen.“

Warum so ausweichend? So schnell wollte sie ihn nicht vom Haken lassen. „Lügen und Untreue könnte ich niemals verzeihen“, erklärte sie.

Vitale beobachtete, wie die Sonne ihr Haar in geschmolzenes Silber verwandelte. Wenn er für diese Art Romantik empfänglich gewesen wäre, dann hätte er sich in der Gegenwart von Zara Blake in acht nehmen müssen. Immerhin war sie eine Schönheit, noch dazu überraschend anders und ungeheuer reizvoll. Dieses strahlende Lächeln zum Beispiel zeugte von einer großen Lebensfreude. Glücklicherweise war er, was Gefühle anging, kälter als Eis. Ja, er wusste ganz genau, wessen Blut in seinen Adern floss.

Kaum eine Minute später und ohne so recht zu wissen, was er da tat, beugte er sich vor und presste seinen sinnlichen Mund auf den ihren.

Vitale schmeckte berauschend stark nach Wein. Seine Lippen waren warm und fest, sein männlicher Duft ungeheuer verführerisch. Zara rückte näher an ihn heran und verstärkte den Druck ihrer Lippen, wobei ihr ein kleiner, sehnsüchtiger Laut entfuhr. Im nächsten Moment schlang sie die Arme um seinen Nacken. Als wäre dies ein Signal, explodierte urplötzlich die Leidenschaft. Vitale schob seine Zunge zwischen ihre Lippen, worauf sie am ganzen Leib erschauerte. Ihr Körper wurde von erotischen Empfindungen geschüttelt, ihr Herz pochte wie wild, sie schlang die Finger in sein seidiges schwarzes Haar und erwiderte den Kuss mit einer Wildheit, die sie einfach nicht zügeln konnte.

Es dauerte nur ein paar Sekunden, und schon lag sie auf dem Rücken. Vitale halb über ihr, ein Bein zwischen ihre Schenkel geschoben. Ein Teil von ihr wollte protestieren, wie sie es immer tat, wenn ein Mann ihr zu nahe kam, doch ein anderer Teil wollte die Leidenschaft und Sinnlichkeit, die völlig neu für sie waren, restlos auskosten.

„Du schmeckst so gut“, stöhnte er heiser, „so unglaublich gut, il mio angelo.“

Er redete zu viel. Dabei wollte sie einfach nur, dass er sie küsste. Also zog sie ihn ungeduldig wieder zu sich hinunter. Mehr Einladung brauchte er nicht. Seine Leidenschaft berauschte sie. Das Verlangen, das durch ihren Körper pulste, war beinahe zu stark. Geschickt glitten seine Finger unter ihr T-Shirt, streichelten über ihre Rippen und schlossen sich um ihre kleine, runde Brust. Als er die steife Knospe umfing, bog sie den Rücken durch. Flüssige Hitze breitete sich in ihrem Unterleib aus. Die Empfindungen waren so intensiv, dass sie den sinnlichen Bann brachen, in dem sie sich befand.

Zara brauchte nur einen Moment, um über seine Schulter auf die Bäume rundherum zu blicken, und sie wurde sich schlagartig bewusst, wo sie sich befand und was sie gerade tat. „Nein!“, keuchte sie, stemmte sich gegen seine Schultern und rollte sich sofort unter ihm hervor, sobald er von ihr abrückte.

Vitale befand sich noch immer auf einem anderen Planeten. Er blinzelte und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Beinahe geschehen wäre, korrigierte er innerlich. Mein Gott, sie ist wie Dynamit – hoch explosiv und gefährlich.

Röte lag auf seinen Wangen, als er krampfhaft nach Atem rang und seinen Körper unter Kontrolle zu bringen suchte. Eine Frau, die in der Lage war, ihn an einem öffentlichen Ort so weit zu bringen, dass er alles um sich herum vergaß, sollte ein Warnschild um den Hals tragen müssen.

„Es tut mir leid …“ Zara zitterte immer noch. „Aber es hätte jemand vorbeikommen können“, fügte sie lahm hinzu. Sie fürchtete, dass sie sich in seinen Augen völlig hysterisch benahm. Immerhin hatte er sie nur geküsst und ihre Brust berührt, und sie hatte ihn von sich gestoßen, als hätte er sie halb vergewaltigt.

„Nein, mir tut es leid“, entgegnete Vitale. Er griff nach ihrer Hand und öffnete sanft ihre Finger, die sie krampfhaft in die Decke gekrallt hatte. „Ich habe nicht nachgedacht.“

Dieses Eingeständnis fiel ihm verdammt schwer. Dass das ausgerechnet ihm passieren musste, Vitale Roccanti, der über die Geduld und Entschlossenheit eines Machiavelli verfügte. Der jeden einzelnen seiner Schritte sorgfältig geplant hatte, seit er dreizehn Jahre alt war.

Zara tat seine Entschuldigung jedoch gut. Ihrer Erfahrung nach gab es nur wenige Männer, die sich so großzügig verhielten, nachdem sie abgewiesen worden waren.

In scheinbar einvernehmlichem Schweigen packten sie die Reste ihres Picknicks zusammen, falteten die Decke und machten sich auf den Rückweg zum Wagen. Von dem Garten ihrer Tante hatte Zara kaum etwas gesehen, aber im Moment besaß er auch nicht die Kraft, ihre Gedanken zu beherrschen. Ihr ganzer Fokus war auf Vitale gerichtet. Fühlte sich so eine Schwärmerei an? Oder war es gar mehr? Wäre er vielleicht ein Mann, in den sie sich verlieben könnte? Ach Gott, woher sollte sie das wissen? Sie hatte doch keinerlei Erfahrung.

Kurz bevor sie in den Wagen stiegen, winkte ein Gärtner, der am Rand des vorderen Rasens arbeitete, grüßend zu Vitale hinüber. Aber natürlich – die Angestellten seines Onkels kannten ihn selbstverständlich! Zara beobachtete, wie er kurz nickte. Sie hatte sein Haar ganz zerzaust. Als er den Kopf zu ihr drehte, traf sie der Blick seiner bernsteinfarbenen Augen. Es war, als gäbe es in diesem Moment keinen anderen Menschen auf der Welt für ihn. Das Gefühl erfüllte sie mit Stolz, auch wenn sie lieber nicht darüber nachdenken wollte.

Während sie zurückfuhren, starrte sie gedankenverloren aus dem Fenster. Wein, Hitze und Leidenschaft waren ihr zu Kopf gestiegen.

„Du bist so still“, murmelte er.

„Ich dachte, das gefällt dir.“

Er griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. „Nein. Ich vermisse die Plauderei, il mio angelo.“

In diesem verrückten Augenblick dachte Zara, dass Verlobungen gelöst und Hochzeiten abgesagt werden konnten. Diese Aussicht dämpfte ein wenig die Schuldgefühle, die sie plagten. Es war nie ihre Absicht gewesen, einen der beiden Männer zu täuschen, aber jetzt war es zu spät, um Vitale die Wahrheit zu sagen – dass sie heiraten wollte. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz herum. Eine ehrliche, anständige Frau hätte viel früher den Mund aufgemacht – ganz sicher vor dem ersten Kuss. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Vitale schlecht von ihr denken könnte, weshalb sie ihr Geheimnis lieber für sich behielt.

In seinem Haus angekommen, marschierte sie in die Eingangshalle und bemerkte: „Ich habe Ediths Garten nicht mal richtig erkundet.“

„Irgendwann bringe ich dich noch einmal dorthin“, versprach Vitale.

„Aber ich reise doch morgen ab“, erinnerte sie ihn.

Sein Blick ruhte auf ihrem bekümmerten Gesicht. Er hob eine Hand und strich unerwartet sanft über ihre Wange. „Löse dein Haar“, raunte er.

Sofort fing ihr Herz wieder an, wild zu pochen. „Warum?“, fragte sie kühn.

„Ich liebe dein Haar … seine Farbe … seine Weichheit“, gestand er heiser.

Benommen hob Zara die Hand und öffnete die Spange. Vitale brauchte keine weitere Einladung. Er hob sie auf die Arme und trug sie die Stufen hinauf.

4. KAPITEL

Ehe Zara sich versah, fand sie sich auf einem Bett in einem unbekannten Zimmer wieder.

Es handelte sich um eine größere und maskulinere Variante ihres eigenen Schlafzimmers. Als sie sich das letzte Mal allein mit einem Mann in einem Schlafzimmer aufgehalten hatte, war Zara unglücklicherweise halbnackt mit Handschellen an ein Metallbett gefesselt gewesen. Die Erinnerung ließ sie für einen Moment erstarren. Sie wurde blass.

„Was ist los?“, fragte Vitale, dem ihre Anspannung und Blässe nicht entgangen waren.

Oh, warum muss er nur so furchtbar aufmerksam sein, dachte sie bekümmert. Vitale ist kein Erpresser, rief sie sich in Erinnerung. Er würde auch nicht urplötzlich eine Kamera zücken … zumindest hoffte sie das. Er war ein wohlhabender, erfolgreicher Mann, der es nicht nötig hatte, mit unlauteren Mitteln an Geld zu gelangen.

„Es ist alles in Ordnung … es hat nichts mit dir zu tun“, erwiderte sie verlegen. „Ich habe nur vor einiger Zeit eine sehr schlechte Erfahrung gemacht …“

Vitale breitete die Hände aus. „Wenn du es dir anders überlegt hast, dann habe ich dafür Verständnis.“

Seine Worte rührten sie so, dass Tränen in ihre Augen traten. Die verständnisvolle Geste konnte ihm nicht leicht gefallen sein. Im Gegensatz zu anderen Männern setzte er nicht seine eigenen Bedürfnisse an erste Stelle, sondern sorgte sich um ihre Gefühle, und das bedeutete ihr eine Menge.

„Ich bleibe“, erklärte Zara trotzig und verdrängte ihre Nervosität. Also gut, sie war zweiundzwanzig und Jungfrau, aber das würde sie ihm keinesfalls auf die Nase binden. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass Männer den Unterschied sowieso nicht bemerkten. Er würde das Ausmaß ihrer Unwissenheit nie erraten, wenn sie ihre Unsicherheit nicht allzu offen zeigte.

Vitale wollte ihr sagen, dass sie es nicht bereuen würde, mit ihm zu schlafen, aber er war kein Lügner und wusste ganz genau, dass sie es tun würde. Andererseits: Was war schon ein weiterer One-Night-Stand für eine Frau mit ihrer Erfahrung? Dummerweise war nichts so glasklar wie gedacht. So sehr es ihn selbst überraschte, sein schlechtes Gewissen kämpfte mit seiner sonst so felsenfesten Entschlossenheit. Seit wann hegte er wegen seiner Rachepläne plötzlich Schuldgefühle?

Auch wenn ihm die Tatsache nicht besonders gefiel, so begehrte er Monty Blakes Tochter mehr, als er sich jemals hätte träumen lassen. Nicht einmal das Wissen, dass sie mit einem anderen Mann verlobt und eine herzlose kleine Betrügerin war, konnte sein Verlangen dämpfen. Aber spielte es überhaupt eine Rolle, was er fühlte? War nicht das einzig Entscheidende seine Rache für den erbärmlichen Tod seiner Schwester, die einem widerlichen Feigling zum Opfer gefallen war? Und die Frau auf seinem Bett war nun mal der magische Schlüssel zu diesem Ziel.

„Zieh deine Shorts aus“, forderte er sie heiser auf.

Es dauerte einen Moment, bis Zara sich rührte und vom Bett kletterte. Es ist eine bescheidene Bitte, redete sie sich ein. Immerhin hatte er nicht verlangt, dass sie sich komplett auszog. Dennoch zitterten ihre Finger, als sie die Shorts abstreifte und ihr hoch ausgeschnittenes blaues Satinhöschen enthüllte.

Irgendetwas stimmte nicht. Was, das wusste Vitale nicht, aber sein Instinkt täuschte ihn nicht. Ihre Wangen waren gerötet, sie wich seinem Blick aus, und ihre Bewegungen wirkten merkwürdig steif. Das hier war keine Frau, die sich im Schlafzimmer wohlfühlte. Die Erkenntnis beunruhigte ihn, weil sie einmal mehr nicht dem Bild entsprach, das er sich von ihr gemacht hatte. Was hatte sie nur an sich, dass sie ihn ständig aus der Bahn warf?

Zara war es immer unangenehm gewesen, sich vor einem Mann zu entblößen. Sie konnte einfach nicht vergessen, wie Julian über ihre zarten Kurven gelacht und bemerkt hatte, dass sie genauso gut ein Junge sein könnte. Dabei wollte sie in diesem Augenblick perfekt sein. Perfekt nur für Vitale.

„Was hast du?“, fragte er, überwand den Abstand zwischen ihnen und packte sie an den Schultern.

„Ich bin gerade furchtbar schüchtern“, platzte sie heraus.

Da hob er sie auf die Arme, setzte sie auf die Bettkante und küsste sie, wobei er eine Hand in ihrem schweren Haar vergrub, um sie festzuhalten. Es war ein stürmischer, fordernder Kuss. Seine Zunge spielte mit der ihren und entfachte tief in ihrem Inneren ein loderndes Feuer. Sie vergaß, wer sie war, vergaß, wo sie war, vergaß sogar, dass sie noch Jungfrau war. Wie von selbst strichen ihre Hände über seinen muskulösen Oberkörper. Mit einem tiefen Stöhnen fing er ihre Hand ein und drückte sie auf seine harte Erektion.

Zara genoss das Gefühl, derart begehrt zu werden. Kühn umschlang sie seine Erektion mit den Fingern und liebkoste ihn aufreizend durch den Stoff seiner Hose hindurch. Danach ging alles ganz schnell.

Vitale streifte ihr ungeduldig das T-Shirt über den Kopf und küsste sie leidenschaftlich, während er sie auf die Matratze drängte. Ungestüm entledigte er sich seiner Hose, während er sie immer weiter mit Küssen überschüttete, die ihr Verlangen unaufhörlich anfachten. Er konnte nicht genug von ihr kriegen, konnte ihr nicht nah genug kommen. Trotz ihrer Unerfahrenheit wusste Zara ganz genau, was sie wollte. Sie wollte sein Gewicht auf sich spüren, doch stattdessen umfing er ihre Brustspitze mit den Lippen. Ein Keuchen entfuhr ihr.

„Du bist unglaublich empfindsam, gioia mia“, wisperte Vitale, der ihre zarten Brüste offen bewunderte.

Zara machte sich nicht länger Gedanken um die Größe ihres Busens. Sie bebte am ganzen Körper. Zwischen ihren Beinen sammelte sich flüssige Hitze, und dennoch wäre sie fast zusammengezuckt, als er seine Boxershorts abstreifte und sie zum ersten Mal alles von ihm sah. Ihr Körper sehnte sich nach ihm, aber sie hatte Angst, dass es wehtun könnte. Mit Mühe unterdrückte sie die Furcht. Als er jedoch seine Lippen auf ihre weiblichste Stelle senkte, verflüchtigte sich jeder rationale Gedanke. Das Verlangen, das sie empfand, grenzte in seiner Intensität an Schmerz.

Hingebungsvoll verwöhnte er sie mit dem Mund. Jede Berührung ließ sie weiter entflammen, bis sie schließlich den Rücken durchbog und die Hüften anhob. Vitale nutzte die Gelegenheit und drang mit einem Finger in sie ein. Heiser flüsterte er an ihren Lippen: „Du bist so eng, so feucht …“

Ihre Wangen brannten. Sie sehnte sich verzweifelt nach mehr. Deshalb setzte sie sich auf und küsste ihn wild.

Vitale schob sich über sie. In seinen goldbraunen Augen brannte das Verlangen. Er küsste sie lang und hart. „Ich will dich so sehr, dass ich lichterloh in Flammen stehe …“

„Worauf wartest du dann?“, flüsterte Zara atemlos. Sie hielt die erotische Anspannung einfach nicht mehr aus und hob unbewusst die Hüften.

Vitale riss hastig ein silbernes Päckchen auf und streifte das darin befindliche Kondom über seine Erektion. Zara schaute gleichermaßen neugierig wie beklommen zu. Er würde schon nicht zu groß für sie sein. Die Natur hatte Männer und Frauen so geschaffen, dass sie zusammenpassten. Im nächsten Moment beugte er sich über sie, und sie spürte, wie die Spitze seines Glieds an ihren feuchten heißen Eingang stieß. Sie zitterte am ganzen Körper, als er mit einer einzigen fließenden Bewegung in sie eindrang.

Es tat weh. Zara konnte nicht verhindern, dass ihr ein kleiner Schmerzensschrei entfuhr. Als er erstarrte und voller Verwirrung auf sie hinabblickte, wäre sie vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.

„Zara?“, murmelte er. „Ich habe dir wehgetan. Es tut mir leid …“

„Ich will nicht darüber sprechen“, entgegnete sie hastig. Sie spürte bereits, wie der Schmerz nachließ, und vermutete, dass sie viel Lärm um nichts machte. „Du kannst jetzt fortfahren …“

Fortfahren? Wie unpassend dieses Wort unter diesen Umständen klang. Vitale hätte beinahe laut gelacht. Nur mit Mühe unterdrückte er seine Belustigung, denn sie schien ohnehin schon tödlich verlegen zu sein. „Aber ich habe dir wehgetan …“

„Manche Dinge sind einfach zu intim, um darüber zu sprechen“, versetzte Zara.

„Und du willst wirklich, dass ich fortfahre?“, hakte Vitale nach. Er fragte sich, was sie an sich hatte, dass sie in ihm wieder und wieder den Wunsch erweckte, unbekümmert loszulachen.

„Ja, jetzt, wo du schon mal dabei bist, kannst du auch weitermachen“, erwiderte sie prosaisch, denn sie hatte jegliche Hoffnung verloren, dass sie nun noch viel Vergnügen aus dem Akt ziehen würde.

Noch während sie das dachte, versenkte sich Vitale voll und ganz in ihr. Ein sinnlicher Schauer durchfuhr sie vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Als er dann auch noch begann, sich zu bewegen, konnte sie nur mit Mühe ihre Überraschung verbergen. Sie fühlte sich ganz außergewöhnlich, so als wäre ihr Körper mit allen Antennen nur auf ihn ausgerichtet. Süße Ekstase baute sich mit jedem seiner rhythmischen Stöße in ihr auf, und erneut entriss sich ihrer Kehle ein leiser Schrei. Sie hatte ihre Reaktionen einfach nicht mehr unter Kontrolle. Immer weiter trieb sie dem Abgrund entgegen, bis sie bereits glaubte, die köstlichen Empfindungen nicht länger ertragen zu können. Da ließ sie sich fallen, riss die Augen weit auf und stöhnte ihre Erfüllung hinaus. Gleich darauf folgte Vitale ihr auf den Höhepunkt und brach ermattet auf ihr zusammen.

Sanft küsste er sie. „Du erstaunliche Frau“, murmelte er rau. „Das war eine Fortsetzung allemal wert.“

Zara fühlte einen wundervollen Frieden in sich. Zufrieden blickte sie zu ihm auf und dachte dabei, dass er in seiner Erfahrenheit genau wusste, welche Knöpfe er drücken musste. Er schlug die Bettdecke zurück und ging ins Badezimmer hinüber. Zara drehte sich auf die Seite, immer noch überwältigt von der Macht dessen, was sie in seinen Armen erlebt hatte.

Großartiger Sex, dachte sie benommen. Aber sie wollte mehr und fragte sich, ob Vitale wohl vorhatte, das fortzusetzen, was sie begonnen hatten. Oder war sie nur eine kleine Wochenend-Affäre? Diese demütigende Möglichkeit musste in Betracht gezogen werden. Immerhin war es eine ganz spontane Anziehung gewesen, die zwischen ihnen entstanden war. Nur dass sie wesentlich mehr geopfert hatte, um mit ihm zusammen zu sein, als er wahrscheinlich ahnte. Jetzt konnte sie Sergios Demonides keinesfalls mehr heiraten.

Nun, dachte sie schicksalsergeben, ein Rückzieher ein paar Wochen vor der Hochzeit ist immer noch besser als eine gescheiterte Ehe. Natürlich würde Sergios sich darüber ärgern, dass sie seine Zeit verschwendet hatte. Genau genommen hatte sie ihrer aller Zeit verschwendet, und die Absage der Hochzeit würde ihre Eltern eine Stange Geld kosten. Sie hatte sich absolut albern und kurzsichtig verhalten. Doch was geschehen war, ließ sich nun nicht mehr ändern.

„Komm zu mir unter die Dusche!“, rief Vitale vom Türrahmen her.

Sofort glitt sie aus dem Bett, ganz so, als wäre sie nur eine Marionette, die auf seine Befehle reagierte. Es war eine Herausforderung für sie, sich ihrer Nacktheit nicht zu schämen, doch die schrecklichen Erinnerungen an das, was Julian ihr angetan hatte, verblassten bereits und wurden durch positivere Eindrücke ersetzt.

Vitale hatte nun auch sein letztes Kleidungsstück, das Hemd, abgelegt. Kaum, dass sie bei ihm war, presste er sie auch schon gegen seinen nackten Körper. „Ich könnte mich ganz leicht an eine Frau deiner Größe gewöhnen, gioia mia. Du bist so leicht zu tragen!“

Ein strahlendes Lächeln legte sich über ihr Gesicht, und jeglicher Gedanke an Julian verpuffte. Sie würde ganz im Hier und Jetzt leben und nur den Moment genießen.

Die Dusche lief bereits. Zara keuchte, als sie das Wasser traf. Im nächsten Augenblick küsste Vitale sie, und sie konnte nur noch daran denken, dass sie ihm so nah wie möglich sein wollte. Er umfing ihren Po mit beiden Händen und hob sie hoch, sodass sie die Arme um seinen Nacken schlingen und ihn leidenschaftlich küssen konnte. Sie ließ ihre Finger über seinen Rücken gleiten und war verwundert, wie rau sich seine Haut anfühlte. Fast glaubte sie, er müsse einen Unfall gehabt haben, denn sie war sicher, dass sie Narbengewebe berührte, doch er küsste sie zu stürmisch, um ihn in diesem Moment danach zu fragen.

„Du bist so heiß, dass du mich verbrennst“, wisperte er und stellte sie wieder auf dem Boden ab. Seine harte Erektion streifte ihren Bauch.

Hingebungsvoll schäumte er ihren Körper mit Seife ein. Zunächst widmete er sich ihren Brüsten, dann glitt er ganz langsam tiefer, bis zu ihrer geheimsten Stelle. Zitternd lehnte sie sich an ihn. Warum sollte sie so tun, als habe sie ihren Körper noch unter Kontrolle? Lieber gab sie sich ganz den aufwühlenden, für sie noch so neuen Empfindungen hin. Stöhnend riss Vitale sie an sich und presste sie gegen die Duschwand.

„Ich kann nicht warten“, keuchte er, spreizte ihre Beine und drang mit einem mächtigen Stoß in sie ein.

Die Hände auf ihre Hüften gelegt, versenkte er sich immer tiefer in ihr, nur um sich kurz aus ihr herauszuziehen und dann gleich wieder mit aller Macht in sie zu stoßen. Es war wahnsinnig erregend. Zara konnte weder denken noch sprechen. Sie klammerte sich einfach nur an seine Schultern, um dieser aufregendsten Achterbahnfahrt ihres Lebens gewachsen zu sein.

Irgendwann hob er sie aus der Dusche und legte sie auf dem Badezimmerboden ab, damit er sie noch stürmischer lieben konnte. Innerhalb kürzester Zeit erlebte sie einen weiteren atemberaubenden Höhepunkt.

„Wow …“, hauchte sie verzückt. Erst jetzt merkte sie, wie hart der Boden unter ihr war und wie schwer Vitale auf ihr.

„Das war nicht besonders gut geplant“, sagte er abrupt, befreite sie von seinem Gewicht und zog sie mit sich hoch.

„Geplant?“ Zara blinzelte benommen und griff nach einem Handtuch. „Wie … geplant?“

„Ich habe vergessen, ein Kondom zu benutzen. Nimmst du die Pille?“

Sie erstarrte. „Nein“, murmelte sie. Ganz allmählich dämmerte ihr, welches Risiko sie gerade eingegangen waren. „Und ich befinde mich in der Mitte meines Zyklus’.“

„Von nun an werde ich vorsichtiger sein“, versprach Vitale und fuhr sanft mit einem Finger über ihre von seinen Küssen geschwollene Unterlippe. „Aber ich finde dich wahnsinnig verführerisch. Bei dir bin ich gefährlich impulsiv.“

Zara fiel es schon schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, geschweige denn logisch zu denken. „Ich bin sicher, es ist nichts passiert“, sagte sie und unterdrückte die Angst, schwanger sein zu können. Wenn sie nach ihrer Mutter kam, die gerne mehr Kinder gehabt hätte aber nur einmal schwanger geworden war, dann hatte sie vermutlich nichts zu befürchten.

Als Vitale sich umdrehte, um ebenfalls nach einem Handtuch zu greifen, sah sie seinen Rücken und keuchte erschrocken. Zahllose Narben zogen sich quer über seinen muskulösen Rücken. Auf den Schultern gab es noch dazu etliche kleinere, runde Male. „Was in aller Welt ist mit deinem Rücken passiert?“, fragte sie entsetzt.

Für einen kurzen Moment erstarrte Vitale. Er unterbrach das Abtrocknen und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Eine uralte Geschichte“, entgegnete er knapp.

Offensichtlich war er nicht gewillt, sie ihr zu erzählen.

Er zog Boxershorts an und ein Hemd, um mit ihr nach unten zu gehen und den Kühlschrank zu plündern. Es war Giuseppinas freier Tag, dennoch hatte sie ihnen zahlreiche Leckerbissen dagelassen. Sie waren beide sehr hungrig. Vitale entzündete eine Kerze auf der Terrasse, wo sie kaltes Hühnchen und Salat mit Weißwein hinunterspülten – und mit angeregter Konversation. Zara wollte ihn noch einmal nach seinem Rücken fragen, traute sich aber nicht. Irgendwie war sie auf seinem Schoß gelandet, und er schob seine Hände unter ihr T-Shirt, um ihre Brüste zu streicheln. Seufzend schmiegte sie sich an ihn. Gegen die Leidenschaft, die er so mühelos in ihr entfachte, war sie einfach machtlos. Bald kehrten sie ins Bett zurück. Vitale liebte sie noch zweimal. Hinterher lag sie erschöpft neben ihm und sah zu, wie er einschlief. Dabei war sie lächerlich glücklich.

„Du hättest mich früher wecken sollen!“, beklagte sich Zara mehrere Stunden später, als sie sich abmühte, den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu schließen.

Während Vitale früh aufgestanden war, hatte er sie ausschlafen lassen. Deshalb musste sie sich ganz schnell anziehen und ihre Sachen packen. Zunächst hatte es ihr gefallen, dass er sie persönlich an den Flughafen brachte, doch selbst der unsensibelsten Frau wäre aufgefallen, wie distanziert sich Vitale urplötzlich verhielt.

Wie groß waren wohl die Chancen, dass er eine Fernbeziehung mit ihr führen wollte? Musste er überhaupt beruflich hin und wieder mal nach London? Zum ersten Mal stellte sie sich der Tatsache, dass sie Vitale vielleicht nie wiedersehen würde.

Ihr potenzieller Kunde war zum Liebhaber geworden, und deshalb konnte es sehr gut sein, dass er sie nicht mehr ernsthaft für den Job in Betracht zog.

„Willst du immer noch die Pläne für den Garten sehen?“, erkundigte sie sich steif.

Si, natürlich“, versicherte er und warf ihr einen Blick zu, der seine Anspannung deutlich machte. Wortlos griff er nach ihrer Tasche und trug sie nach unten.

Bei Zara schrillten die Alarmglocken. Ob er schon mit dem Gedanken gespielt hatte, ihr zu sagen, dass sie keine Pläne mehr entwerfen müsse? Wäre das nicht die perfekte Lösung für eine potenziell unangenehme Situation?

Ich werde ihn nie wiedersehen. Ich werde ihn nie wiedersehen. Zara versuchte sich einzureden, dass es ihr nichts ausmachte. Noch vor ein paar Tagen kannte sie nicht mal seinen Namen.

Vitale öffnete die Haustür und brachte ihre kleine Tasche zum Wagen. Zara stand unter dem Vordach und zog ihre Jacke an. Sie bemühte sich krampfhaft, die Fassung zu wahren. Warum hatte sie sich auch so wenig professionell verhalten!

„Zara …“ Als sie aufblickte, überraschte Vitale sie damit, dass er die Arme um sie schloss und den Kopf beugte, um sie zu küssen. So, wie er sich zuvor verhalten hatte, wäre sie nie auf die Idee gekommen, er könnte Körperkontakt zu ihr suchen.

Doch in der emotionalen Verfassung, in der sie sich befand, brauchte es nur eine kurze Berührung seiner Lippen, und sie schlang die Finger in sein Haar. Genau genommen hielt sie ihn für einen Sekundenbruchteil fest, ehe sie die Arme senkte und den Kopf zurücklegte. In diesem Moment erkannte sie nämlich, dass er eher einen kurzen Abschiedskuss beabsichtigt hatte, denn eine leidenschaftliche Umarmung.

Doch gerade als sie ihn losließ, brach die Hölle aus. Entsetzt bemerkte sie nur wenige Meter von ihnen entfernt zwei Männer mit großen Fotokameras. Die beiden erhoben sich aus ihrer gebückten Haltung. Offensichtlich hatten sie Fotos von Vitales und Zaras Kuss gemacht. Rasch verschwanden sie in den Büschen und waren innerhalb weniger Sekunden nicht mehr zu sehen.

„Wo in aller Welt kamen die denn her? Wer sind die, um Gottes willen?“, fragte Zara wütend. „Weshalb haben sie Fotos von uns gemacht?“

5. KAPITEL

„Paparazzi. Sie müssen vor dem Haus auf der Lauer gelegen und auf ihre Chance gewartet haben.“ Es war seine unglaubliche Ruhe, die den Verdacht in Zara aufkeimen ließ, dass irgendetwas nicht stimmte. Vitale schien weder überrascht noch wütend, dass ihre Privatsphäre derart verletzt wurde.

„Aber wozu in aller Welt?“, fragte sie fassungslos.

„Nun, du kannst dir doch sicher denken, warum die Paparazzi ein Interesse daran haben, dich mit einem anderen Mann zu fotografieren“, entgegnete er kalt.

Sein eisiger Ton ließ sie aufhorchen. „Wenn das Paparazzi waren, woher wussten sie dann, dass ich hier bei dir bin? Und ein anderer Mann? Was meinst du damit?“

Vitale hob eine Augenbraue und betrachtete sie verächtlich. „Hast du deinen griechischen Verlobten vergessen? Die Tatsache, dass du diesen Sommer Sergios Demonides heiraten willst? Angesichts dieser Umstände dürfte es mehr als eine billige Boulevard-Zeitung geben, die sich für deine Intimitäten mit mir interessiert.“

Zara stockte der Atem. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. „Du weißt von Sergios?“

„Offensichtlich“, erwiderte Vitale.

„Wir sind nicht verlobt“, versetzte sie schwach. Sie wusste gar nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe machte, ihm den Unterschied zu erklären, denn er schien gewillt, nur das Schlechteste von ihr zu denken. „Es gab keinen Ring, keine Verlobung … es ist nicht so, als ob Sergios und ich uns lieben würden …“

Vitale hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Sein Desinteresse fühlte sich wie eine Ohrfeige an. „Was auch immer …“

„Nein.“ Zara ließ sich nicht einfach den Mund verbieten, sondern wollte ihr Verhalten so gut wie möglich erklären. „Ich hatte gleich in London vor, Sergios mitzuteilen, dass ich ihn nicht mehr heiraten kann. Ich habe ihn nicht hinter seinem Rücken betrogen. So bin ich nicht. Nachdem ich dir begegnet war, hatte ich bereits beschlossen, dass ich unsere Hochzeitspläne absagen würde.“

„Das spielt für mich keine Rolle …“

„Du wusstest von Sergios und hast nichts gesagt?“, hakte sie nach, denn sie bemühte sich krampfhaft, zu verstehen. Über Vitales letzte Aussage wollte sie lieber nicht nachdenken.

„Wenn du deinen Flug noch erwischen willst, dann musst du dich jetzt auf den Weg machen“, erinnerte er sie völlig emotionslos.

„Ich nehme einen späteren Flug“, versetzte sie mit leichtem Kopfschütteln. „Im Moment interessiert mich viel mehr, was hier vorgeht. Gesten Abend bin ich mit einem Mann ins Bett gegangen und heute Morgen mit seinem bösen Alter Ego aufgewacht. Wenn du von Sergios wusstest, warum hast du dann nichts gesagt?“

Vitale widerstand dem Drang, sie zu fragen, warum sie nichts erwähnt hatte. Was kümmerte es ihn? Schließlich bedeutete sie ihm nichts. Er atmete langsam ein und aus, wobei er sich jegliche emotionale Reaktion untersagte. Da er das Gespräch schnell beenden wollte, entschied er, dass es das Beste war, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich war bereit, alles zu tun, um deine Heiratspläne zu vereiteln, denn ich glaube, dass sich so auch die Hoffnungen deines Vaters zerschlagen werden, seine Hotelgruppe an Demonides zu verkaufen.“

Zara war so überrascht, dass ihre Beine zu zittern begannen und sie sich gegen die Mauer fallen ließ, die die Frontveranda einfasste. „Wovon in aller Welt redest du?“

„Ich habe dich in eine Falle gelockt“, gab er unumwunden zu. „Vom Anfang bis zum Ende. Ich habe ganz bewusst deine Gartenbaufirma kontaktiert, habe dich hierher gebracht …“

Zara wurde leichenblass. „Mit mir geschlafen?“, unterbrach sie ihn schneidend. „Wenn du darauf abgezielt hattest, dass Sergios mich sitzen lässt, wäre es von Vorteil, wenn anzügliche Fotos seiner zukünftigen Braut in der Öffentlichkeit auftauchten.“

„Das dachte ich mir auch“, stimmte er zu, „aber ob du mir nun glaubst oder nicht, ich hatte nie vor, dich persönlich zu verletzen. Dein Vater war von Anfang an mein Ziel …“

„Mein Vater?“ Zara versteifte sich vor Schock. Sie stand da mit geschlossenen Füßen und kerzengeradem Rücken wie ein Kind, das man ermahnt hatte, sich nur ja ordentlich zu benehmen. „Warum war mein Vater dein Ziel?“

Sein Blick schien sich nach innen zu richten. „Vor sechzehn Jahren hat dein Vater meine Schwester Loredana auf ein Segelwochenende mitgenommen. Als die Yacht in Seenot geriet, hat er seine eigene Haut gerettet und sie ertrinken lassen. Sie war gerade erst zwanzig und von ihm schwanger.“

Schockiert schüttelte Zara den Kopf. Vor sechzehn Jahren war ihr Vater zwar von Bees Mutter geschieden, aber bereits mit Ingrid zusammen gewesen. Zara war einige Jahre, bevor ihre Eltern geheiratet hatten, geboren worden. Allerdings hatten weder Ehering noch Kind ihren Vater je davon abgehalten, fremdzugehen. Dennoch konnte sie nicht fassen, dass Vitale sie für einen Racheplan benutzt hatte, mit dem er Monty Blake treffen wollte.

„Also kennst du jetzt die Wahrheit.“

Sie biss die Zähne fest zusammen, um nicht impulsiv loszuschreien. Ja, sie hatte sich erneut von einem Mann zum Narren halten lassen. Vielleicht hatten all die Leute, einschließlich ihrer Eltern, die ihr Dummheit vorwarfen, recht. Sich nach einem Julian Hurst mit Vitale Roccanti einzulassen, zeugte von einem unheimlich schlechten Urteilsvermögen. Zweimal schon war sie nun auf einen Mann hereingefallen, der sie nur für seine eigenen amoralischen Zwecke benutzte. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr der Boden unter den Füßen entzogen worden. Hatte sie tatsächlich geglaubt, dass sie sich in diesen Mann, der sie schamlos missbraucht und benutzt hatte, verlieben könnte? Das war wirklich der absolute Tiefschlag. Ihr Stolz lag in Scherben.

„Ruf mir ein Taxi, das mich zum Flughafen bringt“, sagte sie brüsk.

„Das ist nicht nötig.“ Vitale öffnete die Tür zum Beifahrersitz, so als erwartete er, dass sie immer noch wie ein folgsamer Hund ins Auto steigen würde.

Zara funkelte ihn wütend an. „Du hast also mit mir geschlafen, um den Geschäftsdeal meines Vaters mit Sergios zu torpedieren. Zumindest weiß ich jetzt, was für ein verdammter Mistkerl du bist“, zischte sie ihn an. „Du hast meine Firma benutzt, um mich in die Falle zu locken. Du hast mich ganz bewusst hintergangen, hast mein Vertrauen schamlos missbraucht und mir meine Jungfräulichkeit gestohlen …“

„Deine Jungfräulichkeit?“, schnaubte Vitale ungläubig. „Du warst nie und nimmer …“

„Oh doch, war ich. Du warst mein erster Liebhaber. Hast du wirklich all diesen Mist geglaubt, der über mich in den Zeitungen geschrieben wird?“, versetzte sie heftig. „Natürlich wünschte ich jetzt, ich hätte nicht mit dir geschlafen, aber es erleichtert mich wirklich, herauszufinden, was für ein ekelhafter Bastard du bist. So wird es mir nicht schwerfallen, dich nie wiederzusehen …“

„Zara …“

„Nein, jetzt hörst du mir zur Abwechslung mal zu!“, fuhr sie ihn an. „Ich habe weder dir noch deiner Schwester irgendetwas getan. Bis vor drei Tagen wusste ich nicht mal, dass du existierst. Wenn du ein Problem mit meinem Vater hast, dann hättest du den Mut und den Anstand haben sollen, mit ihm darüber zu reden. Auf jeden Fall hättest du mich da herauslassen müssen. Du hast absolut keine Entschuldigung dafür, mich für deine Rachepläne missbraucht zu haben!“

Vitale ließ ihre Verbal-Attacke wortlos an sich abprallen. Vielleicht, dachte sie mit einer Spur Hoffnung, begreift er allmählich, dass ich recht habe.

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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