Julia Extra Band 455

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IN ITALIEN SAGT MAN "TI AMO" von MELANIE MILBURNE
So leidenschaftlich der Sex mit Milliardär Vinn Gagliardi ist, so vergeblich hofft Ailsa auf seine Liebe. Aber kaum fordert sie traurig die Scheidung, will Vinn sie plötzlich zurück. Natürlich bloß, um für seinen kranken Großvater in Mailand die heile Familie zu spielen, oder?

BERAUSCHT VON SO VIEL LIEBE von CAROL MARINELLI
Prickelnder Champagner im Club, danach eine rauschende Liebesnacht - mehr hat Playboy-Tycoon Daniil mit Tänzerin Libby nicht im Sinn. Er lässt niemanden an sich heran, sonst kommt noch sein Geheimnis ans Licht! Dumm nur, dass irgendetwas ihn immer wieder zu Libby zieht …

DAS SINNLICHE VERSPRECHEN DES PRINZEN von KELLY HUNTER
Prinzessin Moriana will keine öde Pflichtehe mit Prinz Theo, sie verzehrt sich nach Aufregung und Abenteuer! Doch kaum lehnt sie seinen förmlichen Antrag ab, überrascht Theo sie mit einem heißen Kuss - und entfesselt ungeahntes Verlangen in ihr. Ist er etwa doch der Richtige?

HAPPY END AUF KRETA von REBECCA WINTERS
Ein Luxushotel auf Kreta, zumindest zur Hälfte! Die schöne Lys könnte über ihr Erbe überglücklich sein. Allerdings geht die andere Hälfte an den geheimnisvollen Hotelmagnaten Takis Manolis. Und der ist nicht nur gefährlich sexy, er verlangt auch eine Scheinverlobung von ihr …


  • Erscheinungstag 18.09.2018
  • Bandnummer 0455
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710873
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melanie Milburne, Carol Marinelli, Kelly Hunter, Rebecca Winters

JULIA EXTRA BAND 455

MELANIE MILBURNE

In Italien sagt man „Ti amo“

Milliardär Vinn Gagliardi verlangt, dass Ailsa zu ihm zurückkehrt – nur zum Schein, um seinen kranken Großvater glücklich zu machen! Doch was sind das plötzlich für Gefühle, die dabei in ihm erwachen?

CAROL MARINELLI

Berauscht von so viel Liebe

So überwältigend sexy ist Tycoon Daniil, dass Libby sich wie im Rausch zu einer heißen Liebesnacht in seinem Luxus-Penthouse verführen lässt. Ein Fehler? Schließlich gilt Daniil als Herzensbrecher …

KELLY HUNTER

Das sinnliche Versprechen des Prinzen

Prinz Theo braucht dringend eine standesgemäße Braut. Doch sein förmlicher Heiratsantrag lässt Prinzessin Moriana kalt. Was nun? Spontan fasst er einen leidenschaftlichen Plan – mit ungeahnten Folgen …

REBECCA WINTERS

Happy End auf Kreta

Lys weckt immer stärker Takis’ Begehren. Dabei wollte er nie wieder sein Herz riskieren! Aber wie soll er Abstand halten, wenn er mit ihr ein Hotel erbt und nur ihre Verlobung einen Skandal vermeiden kann?

1. KAPITEL

Ailsa hatte geglaubt, es könne nichts Schlimmeres geben, als ihren zukünftigen Exmann Vinn Gagliardi nach fast zwei Jahren wiederzusehen. Aber sie hatte sich geirrt. Noch nervenaufreibender war es nämlich, auf das Wiedersehen warten zu müssen.

Fünf Minuten vergingen.

Zehn.

Zwanzig.

Am Ende saß sie eine geschlagene Stunde im Empfangszimmer seines Büros und blätterte sämtliche Hochglanzmagazine durch, die Vinns junge Assistentin kunstvoll auf dem eleganten Couchtisch aufgefächert hatte. Dankbar nahm sie die angebotene Tasse mit dem köstlichen Cappuccino entgegen, und als dieser ausgetrunken war, griff sie zu dem bereitgestellten Mineralwasser. Die Schale mit den Pfefferminzbonbons ignorierte sie. Stattdessen kaute sie auf ihren Fingernägeln herum.

Natürlich ließ er sie absichtlich warten. Ailsa sah ihn im Geiste vor sich. Er saß an seinem schicken Schreibtisch, zeichnete Skizzen von neuen Designerstücken für sein Möbelimperium und lächelte in sich hinein, weil er jede Sekunde genoss, die er sie in seinem Empfangszimmer schmoren ließ.

Entnervt schloss Ailsa die Augen und versuchte, das Bild von seinem lächelnden Mund zu verdrängen. Himmel, dieser Mund. Welche Glücksgefühle er ihr beschert hatte. Wie viele Stellen ihres Körpers er geküsst und verwöhnt hatte …

Nein, nein, nein. Bloß nicht an seinen Mund denken. Im Kopf wiederholte sie das Mantra, das sie in den letzten zweiundzwanzig Monaten wieder und wieder aufgesagt hatte. Sie war über ihn hinweg. Definitiv. Unter ihrer Ehe mit Vinn Gagliardi prangte ein dicker Schlussstrich. Sie selbst hatte ihn gezogen.

„Mr. Gagliardi wird Sie nun empfangen.“ Die Stimme der Assistentin riss sie aus ihren Gedanken. Sofort begann ihr Herz, wie verrückt zu klopfen. Warum war sie nur dermaßen nervös? Sie wollte doch nur mit ihm reden, weil es um ihren kleinen Bruder ging.

Allerdings hätte sie sich einen Termin bei ihm geben lassen sollen, bevor sie nach Mailand geflogen war. Aber sie war in Florenz bei einem Treffen mit einem wichtigen neuen Kunden gewesen, als ihr Bruder Isaac angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass Vinn sich als Sponsor für seine Karriere als Golfprofi angeboten hatte. Und Ailsa würde nicht nach England zurückkehren, bevor sie Vinn zur Rede gestellt hatte. Er sollte ihr erklären, warum er ihrem Bruder Geld geben wollte. Wenn es sein musste, würde sie in seinem Büro kampieren. Zum Glück hatte sie für den Kurztrip nach Florenz eine kleine Reisetasche dabeigehabt, sodass sie sich wenigstens hatte umziehen können.

Ailsa erhob sich von der Ledercouch, aber sie hatte so lange gesessen, dass ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten. Ganz ruhig bleiben. Mit schweißfeuchten Händen strich sie sich den Rock ihres Kostüms glatt, zog den Schulterriemen ihrer Handtasche hoch und rollte mit dem Trolley auf die geschlossene Tür zu Vinns Büro zu. Wut flammte in ihr auf. Wieso nahm Vinn sie nicht persönlich in Empfang? Warum ließ er sie an seine Tür klopfen wie einen dahergelaufenen Niemand? Verdammt. Sie war seine Ehefrau gewesen. Sie hatte in seinem Bett geschlafen und alles mit ihm geteilt.

Nun ja, genau genommen nicht alles …

Sie ignorierte den Anflug von Gewissensbissen. Schließlich stand nirgendwo geschrieben, dass sich Mann und Frau jedes kleinste Detail aus ihrem Vorleben erzählen mussten. Das galt schon gar nicht für eine Ehe, wie Vinn und Ailsa sie geführt hatten. Ihre Beziehung war von Lust geprägt gewesen, nicht von Liebe. Sie hatte ihn geheiratet, obwohl sie gewusst hatte, dass er sie nicht liebte. Aber sie hatte sich eingeredet, dass sein Verlangen nach ihr reichen würde. Am Ende war er es dann gewesen, der sich nicht mit einer Vorzeigefrau begnügt, sondern mehr von ihr verlangt hatte. Mehr, als sie ihm zu geben bereit gewesen war.

Trotzdem war Ailsa überzeugt, dass auch Vinn ihr nicht alles über seine Familie erzählt hatte. So hatte er nie gern über die Zeit gesprochen, als sein Vater wegen Betrugs im Gefängnis gesessen und die Firma fast in den Ruin getrieben hatte. Ailsa hatte einige Male den Versuch gestartet, mit ihm darüber zu reden, es am Ende aber aufgegeben. Schließlich hätte es ihr ebenfalls nicht behagt, wenn er sie nach ihren Familiengeheimnissen ausgefragt hätte. Viele Leichen hatte ihre Familie nicht im Keller, aber die eine, die es gab, stank zum Himmel.

Jetzt stand sie vor der Tür zu seinem Büro und straffte die Schultern, als wolle sie in den Kampf ziehen. Nein, sie würde auf gar keinen Fall anklopfen und darauf warten, dass er sie hereinbat.

Sie umklammerte den Griff ihres Rollkoffers mit der einen Hand und drückte die Türklinke mit der anderen. Dann holte sie noch einmal tief Luft und trat ein. Vinn saß auf seinem Chefsessel. Aber er hatte ihr den Rücken zugewandt und schaute aus dem großen Fenster mit Blick auf die geschäftigen Straßen Mailands. Und als wäre das noch nicht beleidigend genug, besaß er die Frechheit und unterhielt sich mit jemandem am Telefon. Bei Ailsas Eintreten drehte er sich kurz zu ihr um, beachtete sie aber nicht weiter, sondern deutete mit einer Hand auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtisches, bevor er sich wieder zum Fenster drehte und die Unterhaltung fortführte. Gerade so, als wäre Ailsa eine dahergelaufene Bittstellerin, die er zwischen zwei wichtigen Terminen eingeschoben hatte.

Ailsa spürte einen Stich in ihrer Brust. Wieso tat er ihr gegenüber dermaßen gleichgültig? Hatte sie ihm denn gar nichts bedeutet?

Vinn unterhielt sich weiter auf Italienisch, und Ailsa versuchte, die Ohren zu verschließen. Wenn sie ihn in seiner Muttersprache reden hörte, ging ihr der Klang durch und durch. Vermutlich hätte er auch in einer erfundenen Sprache reden können, und ihr wäre ein heißer Schauer über den Rücken gelaufen, und jeder Zentimeter ihrer Haut hätte geprickelt.

Vinn nahm das Telefon in die linke Hand, drehte sich zu dem Computer auf seinem Schreibtisch und klickte auf die Maus. Warum würdigte er sie keines Blickes? Etwas mehr Interesse hätte er ihr schon entgegenbringen können. Ailsa war zwar nicht eitel, wusste aber, dass sie gut aussah. Für das Treffen mit dem wichtigen Kunden hatte sie sich extra ein neues Designerkostüm gekauft und sich die Haare bei einem Promifriseur machen lassen. Auch hatte sie sich für ihr Make-up mehr Zeit genommen als sonst. Äußerlich gut auszusehen half ihr ein wenig darüber hinweg, dass sie sich innerlich wertlos fühlte.

Vinn warf einen prüfenden Blick auf den Monitor und setzte das Telefongespräch fort. Unweigerlich fragte Ailsa sich, ob sie vielleicht einen etwas gewagteren Ausschnitt hätte tragen sollen, um Vinn zu zeigen, was ihm in den letzten Monaten entgangen war. Er selbst sah noch immer so unverschämt gut aus wie bei ihrer letzten Begegnung. Sein schwarzes Haar war weder zu lang noch zu kurz, weder zu glatt noch zu wellig, sondern eine sexy Mischung aus allem. Es erinnerte Ailsa an die vielen Male, bei denen sie die Finger hineingekrallt hatte, während sie den fantastischen Sex mit ihm genoss. Vermutlich hatte er sich am Morgen rasiert, aber der dunkle Schatten um seinen Mund und an seinem markanten Kinn ließ sie an die vielen Male zurückdenken, als seine Stoppeln über ihre zarte Haut gekratzt hatten. An ihrem Gesicht, auf ihren Brüsten, zwischen ihren Schenkeln …

Ailsa konnte gerade noch verhindern, wohlig zu erschauern. Stattdessen warf sie Vinn einen Blick zu, der Lava hätte gefrieren lassen. „Ich will mit dir reden. Sofort“, unterbrach sie seine Unterhaltung, wobei sie das letzte Wort mit Nachdruck aussprach.

Um Vinns Mundwinkel zuckte es, als würde er ein Lächeln unterdrücken. Er sagte noch einen Satz auf Italienisch, bevor er das Gespräch beendete. „Wenn du dir wie jeder andere einen Termin hättest geben lassen, hätte ich Zeit genug für dich gehabt.“

„Ich bin aber nicht jeder andere“, fuhr sie ihn an. „Ich bin deine Frau.“

In seinen espressobraunen Augen funkelte es, als hätte jemand ein Streichholz darin angezündet. „Meinst du nicht eher zukünftige Exfrau?“

Hieß das etwa, dass er die Scheidungspapiere endlich unterschreiben wollte? Da sie nach englischem Recht geheiratet hatten, mussten sie beweisen, dass sie seit zwei Jahren nicht mehr unter einem Dach wohnten, bevor die Scheidung rechtskräftig wurde.

„Ich bin nicht wegen der Scheidung hier, Vinn.“

„Lass mich raten, was dich zu mir geführt hat.“ Er schaute kurz zu Ailsas Reisetasche und lächelte dann. „Du kommst zu mir zurück.“

„Nein“, erwiderte sie empört. „Ich komme nicht zu dir zurück. Es geht um meinen Bruder. Isaac hat gesagt, du willst seine Golfkarriere im nächsten Jahr als Sponsor unterstützen.“

„Stimmt.“

Sie schluckte. „Warum?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Weil er mich darum gebeten hat.“

„Wie bitte?“ Ungläubig riss sie die Augen auf. „Das hat er mir nicht erzählt.“ Sie holte tief Luft. „Er hat nur gesagt, dass du angeboten hast, ihn finanziell zu unterstützen. Und dass du Bedingungen gestellt hast, die meine Person betreffen.“

„Setz dich doch, Ailsa. Dann können wir in Ruhe darüber reden.“

Sie nahm auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. Nicht weil Vinn sie dazu aufgefordert hatte, sondern weil ihre Beine erneut unter ihr nachzugeben drohten. Warum hatte Isaac ihr nicht die Wahrheit gesagt? Und warum war er so unsensibel gewesen und hatte ihren zukünftigen Exmann wieder in ihr Leben geholt? Ihr Bruder war schuld, dass sie Vinn jetzt gegenübersitzen musste. Dabei hätte sie ihm auf Teufel komm raus aus dem Weg gehen müssen.

In seiner Nähe wurde sie immer schwach und verwandelte sich in eine Frau mit ganz normalen Hoffnungen und Träumen. Dabei hinderte sie ein schreckliches Geheimnis an einem normalen Leben. Ein Geheimnis, das nicht einmal ihr Bruder kannte.

Ihr Halbbruder, genau genommen.

Ailsa war fünfzehn gewesen, als sie durch Zufall erfahren hatte, wer ihr richtiger Vater war. Bis dahin hatte sie nämlich ihren Stiefvater Michael dafür gehalten. Fünfzehn Jahre lang hatte die Lüge ihre Familie zusammengehalten … obwohl es mit dem Zusammenhalt nicht weit her war. Ihre Eltern waren nicht glücklich miteinander gewesen und hatten sich oft gestritten. Und bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr hatte Ailsa geglaubt, dass sie ihre Eheprobleme hätten lösen können, wenn sie sich nur mehr Mühe gegeben hätten.

Nie wäre sie darauf gekommen, dass sie allein schuld am schlechten Verhältnis der beiden war.

Das war ihr erst klar geworden, nachdem sie herausgefunden hatte, was es mit ihrem richtigen Vater auf sich hatte.

Nervös strich Ailsa sich den Rock glatt, dann fiel ihr Blick auf einen silbernen Bilderrahmen auf Vinns Schreibtisch. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Warum hatte er ihn nicht weggeworfen? Sie hatte Vinn den Rahmen kurz nach der Hochzeit geschenkt. Er enthielt ihr Lieblingsfoto: Vor der untergehenden Sonne standen sie einander gegenüber und lächelten sich an. Mit dem Geschenk hatte sie sich selbst vorgaukeln wollen, dass es sich um eine richtige Ehe handelte und nicht nur um eine Verbindung, die praktisch für Vinn war, weil er sich eine hübsche, kluge Frau an seiner Seite wünschte. Von ihrem Platz aus konnte Ailsa das Foto nicht sehen. Vielleicht hatte Vinn es gegen das Bild einer anderen Frau ausgetauscht. Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Natürlich war das albern, schließlich war sie diejenige gewesen, die ihn verlassen hatte. Trotzdem verletzte es ihren Stolz, dass er sich womöglich so schnell über sie hinweggetröstet hatte.

Und es war nicht nur ihr Stolz, der litt …

Sie hatte sich immer an der Hoffnung festgehalten, dass Vinn sich eines Tages doch noch in sie verlieben würde. Denn welche Braut wünschte sich keinen Mann, der sie aufrichtig liebte? Während ihrer kurzen Ehe hatte sie sich vorgemacht, es würde reichen, das Bett mit ihm zu teilen.

Doch sie hatte sich auch nach einem Platz in seinem Herzen gesehnt. Sie wollte der wichtigste Mensch für Vinn sein. Doch bei ihm kam sie nicht an erster Stelle. Er hatte sie nicht geliebt – und würde es vermutlich nie tun.

Vinn lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte Ailsa von oben bis unten. „Gut siehst du aus, cara.“

Sie straffte die Schultern. „Nenn mich nicht so.“

Als fände er ihre Empörung amüsant, zog er leicht die Mundwinkel nach oben. „Gehst du immer noch gleich an die Decke?“

„Und wenn schon?“, konterte sie. „Woher weiß ich, dass du Isaac nicht die Idee in den Kopf gesetzt hast, ihn zu sponsern? Hattet ihr seit unserer Trennung regelmäßig Kontakt?“

„Meine Freundschaft mit deinem Bruder hat nichts mit unserer Beziehung zu tun“, gab er zurück.

„Wir haben keine Beziehung mehr.“

Er verengte die Augen. „Und wessen Schuld ist das?“

„Wir hatten von Anfang an keine richtige Beziehung. Du hast mich nur geheiratet, weil du eine Vorzeigefrau gebraucht hast. Eine Frau, die sich wie in den fünfziger Jahren um den Haushalt kümmert, während du den erfolgreichen Geschäftsmann gibst. Als würde mein Beruf überhaupt nicht zählen.“

Missbilligend presste er die Lippen aufeinander. „Ich hoffe doch, dein Beruf hält dich nachts warm. Oder hast du dir einen neuen Liebhaber zugelegt?“

„Mein Privatleben geht dich nichts an“, erwiderte sie trotzig.

„Von Isaac weiß ich, dass du dich in den letzten beiden Jahren noch nicht mal mit einem Mann getroffen hast.“

Ailsa würde ihren kleinen Bruder gehörig zurechtweisen, so viel stand fest. „Er weiß eben nicht alles“, erklärte sie hochmütig.

Ein Muskel zuckte an Vinns markantem Kinn. „Na, deine Liebhaber werden sich in den nächsten drei Monaten anderweitig beschäftigen müssen. Ich habe nämlich Pläne mit dir.“

„Wie bitte?“ Empört lachte sie auf. „Du machst keine Pläne mehr für mich. Ich bestimme allein, was in meinem Leben geschieht.“

Er stützte das Kinn auf seine rechte Hand und musterte sie mit einem Blick, der ihr einen Schauer über den Rücken sandte. Dann sah sie den goldenen Ring an seinem Finger, und ihr Magen zog sich erneut zusammen. Warum trug er ihn immer noch?

„Ohne Sponsor wird Isaac es nie in die erste Liga der Golfer schaffen“, sagte er. „Das weißt du.“

„Mag sein. Aber warum stellst du Bedingungen an mich? Wenn du ihn finanziell unterstützen willst, sehr gern. Aber lass mich da bitte raus.“

Langsam schüttelte er den Kopf. „So funktioniert das nicht, cara. Du bist der einzige Grund, warum ich ihn unterstützen will.“

Sie blinzelte. Hatte sie sich in ihm getäuscht? Hatte er sie doch aus Liebe geheiratet? Trug er den Ehering deshalb noch?

Nein. Er hatte sie nie geliebt, das war sicher.

Schließlich hatte er die magischen drei Worte nie zu ihr gesagt. Natürlich hatte sie ihm auch nie anvertraut, dass sie ihn liebte. Und das aus gutem Grund, denn hätte sie es jemals laut ausgesprochen, wäre sie in der Beziehung die Schwächere gewesen. Und sie hatte ihm nicht noch mehr Macht über sich geben wollen. Es reichte schon, dass er ihren Körper manipulieren konnte.

Er hatte sie mit seinem Charme umgarnt und sie als seine Ehefrau in sein Leben geholt. Am Anfang hatte er noch gesagt, er würde ihre Entscheidung, niemals Kinder haben zu wollen, akzeptieren. Doch wenige Monate nach der Hochzeit hatte er plötzlich seine Meinung geändert. Oder vielleicht hatte er von Anfang an darauf gesetzt, dass Ailsa sich im Lauf der Zeit umstimmen lassen würde.

Aber da hatte er sich gründlich getäuscht.

Sie schaute wieder zum Bilderrahmen. „Ist es das, wofür ich es halte?“

Vinn drehte den Rahmen herum, und sie erkannte das Foto von ihrem Hochzeitstag. Sie hatte sich die Bilder seit der Trennung nicht mehr angeschaut. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen waren damit verbunden. Sie war so dumm gewesen und hatte zugestimmt, seine Vorzeigefrau zu werden. Dadurch war sie zu einem Besitztum geworden. Wieso hatte sie nur geglaubt, dass eine reine Zweckehe funktionieren würde? Hatte sie wirklich gedacht, durch die Heirat mit Vinn würde sie sich endlich so akzeptiert fühlen wie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr? Ihre Ehe hatte nicht einmal ein Jahr gehalten. Genau genommen waren es elf Monate und dreizehn Tage gewesen.

Dann hatte Vinn das B-Wort erwähnt. Er wollte ein Baby – um die Gagliardi-Dynastie fortzusetzen. Ailsa wäre am Ende nur eine Gebärmaschine gewesen und hätte ihre eigene Karriere vergessen können.

Doch ihre Inneneinrichtungsfirma bedeutete Ailsa alles. Für sie hatte sie unzählige Opfer gebracht. Ein Baby zu bekommen kam für sie nicht infrage. Dafür gab es zu viele offene Fragen, was ihre eigene Abstammung betraf.

Wie konnte sie jemals ein Kind zur Welt bringen, wenn sie keine Ahnung hatte, welch schreckliches Erbe sie weitergab?

Sie schluckte den bitteren Kloß in ihrem Hals hinunter und schaute wieder zu dem Foto. „Warum steht es immer noch auf deinem Schreibtisch?“

Er drehte den Rahmen wieder herum und starrte auf das Bild. „Einer der besten Ratschläge, den ich je bekommen habe, lautet: niemals die Fehler der Vergangenheit zu vergessen. Nimm sie als abschreckendes Beispiel, und wachse daran.“

Seit Ailsa die Hintergründe ihrer Empfängnis erfahren hatte, hielt sie sich für einen Fehler. Die meisten Kinder wurden aus Liebe gezeugt. Sie aber war das Produkt eines Gewaltaktes. „Was denken deine Geliebten, wenn sie das Foto auf dem Schreibtisch sehen?“

„Bisher war das kein Problem.“

Bei der Antwort zog sich etwas in Ailsas Brust zusammen. Wollte er damit andeuten, dass er unzählige andere Frauen hatte? Behielt er den Ehering am Finger, wenn er mit ihnen ins Bett ging? Sie schaute ihm ins Gesicht, in der Hoffnung, darin ein Zeichen zu finden, dass er innerlich so aufgewühlt war wie sie. Aber er wirkte unbeteiligt, als wäre sie eine Fremde, die zufällig in sein Büro gestolpert war.

„Die Bedingungen, die du an mich stellst …“, begann sie.

„Mein Großvater muss sich einer Lebertransplantation unterziehen“, sagte er. „Der Chirurg kann nicht dafür garantieren, dass er die Operation überlebt. Aber wenn er sie nicht vornehmen lässt, bedeutet das für ihn den sicheren Tod.“

„Wie schrecklich.“ Betroffen sah sie ihn an. „Aber, was hat das mit mir …“

„Falls er sterben sollte, möchte ich, dass er in Frieden geht.“

Ailsa wusste, wie sehr Vinn an seinem Großvater Domenico Gagliardi hing. Der alte Mann war für ihn da gewesen, als sein Vater im Gefängnis gesessen hatte. Auch Ailsa hatte seinen Großvater sehr gemocht und sich immer gut mit ihm verstanden. Sie konnte sich also ausmalen, welch schmerzhafter Verlust sein Tod für Vinn bedeuten würde.

„Ich weiß, wie sehr du an deinem Großvater hängst. Und ich wünschte, es gäbe etwas, das ich für dich tun könnte …“

„Es gibt da etwas“, erwiderte Vinn. „Ich möchte, dass wir uns versöhnen, bis er halbwegs über den Berg ist.“

Sie schaute ihn an, als hätte er ihr gerade vorgeschlagen, im zehnten Stock aus dem Fenster zu springen. „Wie bitte? Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?“

„Nein. Nur fest entschlossen, alles zu tun, damit mein Großvater die Operation überlebt“, erklärte er. „Er ist ein Mensch, dem die Familie über alles geht. Und ich möchte, dass wir wieder so tun, als wären wir eine Familie, bis sein Leben außer Gefahr ist.“

Ailsa sprang so abrupt auf, dass ihr Stuhl beinahe umgefallen wäre. „Das ist das Unglaublichste, das mir je zu Ohren gekommen ist. Erwartest du etwa, dass ich so tue, als wären die letzten beiden Jahre nicht gewesen, und zu dir zurückkomme? Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Und du kannst mich nicht dazu zwingen.“

„Isaac ist ein großes Talent, aber ohne meine Hilfe wird er es nicht schaffen“, sagte er mit versteinerter Miene. „Ich werde ihn drei Jahre als Sponsor unterstützen, wenn du dich bereit erklärst, für drei Monate wieder als meine Frau zu mir zurückzukehren.“

Auf gar keinen Fall durfte sie sich darauf einlassen. Aber wenn sie nicht auf seinen Vorschlag einging, würde ihr kleiner Bruder seine Golfkarriere vergessen können. Es lag in ihrer Macht, Isaac seinen Lebenstraum zu erfüllen. Trotzdem konnte sie niemals zu Vinn zurückkehren. Nicht für drei Minuten, geschweige denn für drei Monate.

„Hast du da nicht eine winzige Kleinigkeit vergessen? Ich habe in London ein Geschäft zu führen und kann nicht einfach meine Siebensachen packen und nach Italien ziehen.“

„Du könntest für die Zeit doch eine Zweigstelle in Mailand eröffnen“, erwiderte er seelenruhig. „Immerhin hast du hier schon ein paar wohlhabende Kunden.“

Ailsa runzelte die Stirn. „Woher weißt du das?“

Seine Lippen verzogen sich zu einem überheblichen Grinsen. „Ich bin Italiener und habe Kontakte im ganzen Land.“

Ein Verdacht beschlich sie. „Habe ich die Aufträge in Florenz und Rom etwa dir zu verdanken?“

„Warum hätte ich dich nicht weiterempfehlen sollen? Schließlich machst du deinen Job hervorragend.“

Sie verengte die Augen. „Du meinst als Inneneinrichterin, nicht als Ehefrau?“

„Vielleicht machst du dich beim zweiten Mal besser.“

„Es wird aber kein zweites Mal geben“, fauchte sie ihn an. „Du hast mich mit einer List dazu gebracht, dich zu heiraten. Glaubst du, ich falle noch mal darauf rein?“

Mit der Anmut einer Raubkatze, die gleich zum Sprung auf ihre Beute ansetzen wollte, lehnte er sich zurück. „Ich habe nicht gesagt, dass wir dieses Mal eine echte Ehe führen werden.“

Ailsa wusste nicht, ob sie erleichtert oder beleidigt reagieren sollte. Hätte er ihr noch deutlicher zu verstehen geben können, dass er sie nicht länger attraktiv fand? Sex war das Einzige gewesen, bei dem sie harmoniert hatten. Tatsächlich war der Sex fantastisch gewesen. Vom ersten Kuss an war ihr Körper für ihn entbrannt. Vor ihm hatte sie Sex nie richtig genossen. Bei keinem anderen Mann hatte sie je einen Orgasmus erlebt. Auch aus diesem Grund hatte sie in den letzten beiden Jahren keinen neuen Partner gehabt.

„Keine echte Ehe …?“

„Wir werden nicht miteinander schlafen.“

„N…nein?“ Sie ärgerte sich selbst über die Enttäuschung in ihrer Stimme.

„Wir treten nur in der Öffentlichkeit als Paar auf. Zuhause haben wir getrennte Schlafzimmer.“

Warum verletzte sein Vorschlag sie so? Schließlich wollte sie nie wieder mit ihm schlafen. Gut, ihr verräterischer Körper hätte es liebend gern getan, aber ihr Verstand sagte Nein. Und sie musste ihr körperliches Begehren unbedingt in den Griff bekommen, denn sie durfte auf keinen Fall jemals wieder mit Vinn ins Bett gehen.

„Sobald die drei Monate um sind“, fuhr er fort, „willige ich ohne weitere Bedingungen in die Scheidung ein.“

Sie schluckte. Seit fast zwei Jahren wartete sie nun schon darauf, dass er die Scheidungspapiere unterschrieb. Wenn sie sich drei Monate auf das Spielchen einlassen würde, hätte sie endlich ihre Freiheit wieder. „Aber wenn wir uns zusammen in der Öffentlichkeit blicken lassen, dann müssen wir nach englischem Recht weitere zwei Jahre voneinander getrennt leben.“

„Dann verzögert sich die Scheidung eben noch um zwei Jahre. Das wäre schließlich nur ein Problem, wenn du wieder heiraten möchtest.“ Er wartete eine Sekunde, bevor er hinzufügte: „Oder hast du diesbezüglich Pläne?“

Sie zwang sich dazu, ihm in die Augen zu schauen. „Hängt davon ab.“

„Wovon?“

„Ob ich einen Mann finde, der mich nicht wie eine Zuchtstute, sondern wie eine gleichberechtigte Partnerin behandelt.“

Er erhob sich von seinem Stuhl. „Um Gottes willen, Ailsa. Ich habe das Thema Kinder damals doch nur angeschnitten, weil ich fand, dass wir darüber reden sollten.“

„Aber du kanntest meine Meinung schon, als du mir den Heiratsantrag gemacht hast“, erwiderte sie. „Du hast mir das Gefühl vermittelt, dass es für dich in Ordnung ist, keine eigene Familie zu haben. Hätte ich gewusst, dass du dir, sobald die Tinte auf der Heiratsurkunde getrocknet war, einen Stall voll Kinder wünschst, hätte ich dich niemals geheiratet.“

Seine Miene verdüsterte sich. „Das Wort Kompromiss kommt in deinem Wortschatz wohl nicht vor, oder?“

Sie lachte spöttisch. „Dass ausgerechnet du das sagst, ist echt stark. Hast du jemals angeboten, dich zuhause um die Kinder zu kümmern, während ich arbeiten gehe? Nein! Stattdessen hast du ernsthaft geglaubt, ich würde mit einem dicken Bauch durch deine Küche schleichen, während du wichtige Geschäftstermine auf der ganzen Welt wahrnimmst.“

Ausdruckslos sah er sie an. „Ich habe nie verstanden, warum eine Frau aus einem ganz normalen, liebevollen Umfeld sich mit Händen und Füßen gegen eine eigene Familie wehrt.“

Ganz normal? Wie sehr er sich doch täuschte. Nach außen hin machte ihre Familie vielleicht einen normalen Eindruck, und ihre Eltern waren selbst nach der Scheidung noch respektvoll miteinander umgegangen. Aber in Wahrheit verband sie ein schreckliches Geheimnis.

Dabei konnte Ailsa die Entscheidung ihrer Mutter, der Tochter zu verheimlichen, dass sie das Ergebnis einer Vergewaltigung war, durchaus verstehen. Ein entfernter Bekannter hatte sich nach einer Party an Ailsas Mutter vergangen. Und ihre Mutter war von dem Erlebnis derart traumatisiert gewesen, dass sie nicht zur Polizei gegangen war und auch ihrem damaligen Freund Michael, Ailsas späterem Stiefvater, nichts davon erzählt hatte. Erst als es für einen Schwangerschaftsabbruch zu spät war, hatte sie sich ihrem Freund anvertraut. Michael hatte zu ihr gehalten und sie noch vor der Geburt des Kindes geheiratet. Und mit fünfzehn war Ailsa eines Tages von der Schule nach Hause gekommen und hatte ihre Eltern im Schlafzimmer lautstark diskutieren hören. Der Streit hatte sich um Ailsa gedreht. Und so war die Wahrheit über sie ans Licht gekommen. In diesem Moment waren sämtliche Lebensträume und Hoffnungen von Ailsa geplatzt.

Sie spürte Vinns fragenden Blick. „Ich hoffe doch, du wirst Isaac unterstützen, auch wenn ich nicht auf deine Forderung eingehe. Er bewundert dich sehr und wäre furchtbar enttäuscht, wenn …“

„So läuft das in meinem Geschäft aber nicht“, fuhr er ihr ins Wort.

„Und ich lasse mich nicht erpressen.“

Ihre Blicke fochten einen Kampf aus. Merkwürdigerweise hatten Ailsa diese kleinen Auseinandersetzungen in den letzten beiden Jahren mit am meisten gefehlt. Tatsächlich hatte sie die Streitereien genossen, weil sie immer zu stürmischem Versöhnungssex geführt hatten. Ob Vinn manchmal auch an ihr leidenschaftliches Sexleben zurückdachte? Oder hatte er sie längst vergessen, weil er jede Nacht eine andere Gespielin in seinem Bett hatte?

Der Klingelton seines Handys riss sie aus ihren Gedanken. Vinn unterbrach den Blickkontakt und nahm das Gespräch entgegen. „Nonno?“ Sein Großvater war dran. Die beiden Männer unterhielten sich auf Italienisch, und Ailsa sah den angespannten Zug um Vinns Kinn. Nach wenigen Minuten beendete er das Gespräch und starrte durch Ailsa hindurch, als wäre sie Luft.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt. „Oder ist was mit deinem Großvater?“

„Es steht eine Spenderleber zur Verfügung.“ Seine Stimme klang hohl. „Ich hatte gehofft, wir könnten uns etwas länger darauf vorbereiten, aber die Operation soll noch heute stattfinden.“ Mit der einen Hand langte er nach dem Autoschlüssel auf dem Tisch und zog mit der anderen das Jackett von der Stuhllehne. „Tut mir leid, dass ich unser Treffen beenden muss, aber ich will sofort zu ihm, bevor …“ Er schluckte schwer. „… bevor es zu spät ist.“

Sie hatte ihn noch nie so durcheinander gesehen. Schlug in seiner unverschämt breiten Brust vielleicht doch ein Herz?

„Ich darf ihn nicht enttäuschen“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Möchtest du, dass ich mitkomme?“ Das Angebot war ihr herausgerutscht, bevor sie darüber nachdenken konnte. „Mein Flieger geht erst in drei Stunden …“

Im Bruchteil von Sekunden verwandelte sich seine Miene in die eines knallharten Geschäftsmannes zurück. „Wenn du mitkommst, dann als meine Frau. Und das möchte ich schriftlich.“

„Ich begleite dich ins Krankenhaus, weil ich deinen Großvater immer sehr gernhatte. Vorausgesetzt natürlich, er will mich auch sehen.“

„Das will er“, erwiderte Vinn und begann, etwas auf dem Schreibtisch zu suchen.

„Vinn?“

Er legte ein Stück Papier vor ihr hin und drückte auf einen Kugelschreiber. „Ich möchte, dass du hier unterschreibst.“

Sie ignorierte den angebotenen Stift. „Muss das jetzt sein? Dein Großvater ist …“

„Unterschreib.“

Ailsa spürte, wie sich ihr Rückgrat versteifte. „Ich unterschreibe nichts, das ich nicht vorher gelesen habe.“

„Verdammt, Ailsa, wir haben keine Zeit.“ Er ließ eine Faust auf den Tisch niedersausen. „Ich muss sofort zu meinem Großvater. Vertrau mir. Nur einmal in deinem Leben. Ich darf nonno nicht im Stich lassen. Seine Genesung hängt von mir ab. Ich werde nicht nur Isaac als Sponsor unterstützen, sondern zahle dir zusätzlich eine Abfindung von zehn Millionen.“

Erstaunt riss sie die Augen auf. „Zehn … Millionen?“

Er presste die Lippen aufeinander. „Wenn du nicht sofort unterschreibst, kannst du den Deal vergessen.“

Sie trat zu ihm und nahm ihm den Stift aus der Hand. Dabei streiften sich ihre Finger. Die Berührung sandte einen Stromstoß durch Ailsa. Dort, wo Vinn den Stift gehalten hat, war er noch warm. Sie konnte sich gut an die Wärme seiner Haut erinnern. Damals hatte sie ihre Lust entzündet, wie ein Streichholz, das an trockenes Holz gehalten wird. Die kurze Berührung reichte aus, um Hunderte von sinnlichen Erinnerungen in ihr zu wecken.

Erinnerungen, die sie seit zwei Jahren zu unterdrücken versucht hatte.

Sie holte tief Luft und schaute auf den Vertrag. Da stand es schwarz auf weiß: Wenn sie für drei Monate zu Vinn zurückkehrte, würde er Isaac als Sponsor unterstützen und ihr eine einmalige Abfindung von zehn Millionen Euro zukommen lassen. Einerseits fühlte sie sich beleidigt, weil er sie für käuflich hielt. Andererseits waren zehn Millionen eine Menge Geld. Ihr Geschäft lief sehr gut, aber mit der Abfindung würde sie überall in Europa Filialen aufbauen können.

Dann wurde ihr klar, dass sie sich mit einer Unterschrift zu seiner Gefangenen machte. Sie würde drei Monate in Vinns Nähe verbringen müssen. Damals hatte sie sich zur Hochzeit drängen lassen. Ein zweites Mal durfte das nicht geschehen. Entschlossen schob sie den Zettel von sich weg. „Das ist viel Geld, aber ich brauche ein paar Tage, um über das Angebot nachzudenken.“

Er zuckte nicht einmal mit einer Augenbraue. „Wir reden später weiter, nachdem wir im Krankenhaus waren.“ Er legte den Stift auf den Vertrag, nahm Ailsas Reisetasche und schob Ailsa aus seinem Büro.

Als sie in seinem Auto saßen, war es Ailsa, die als Erste das Wort ergriff. „Das mit deinem Großvater tut mir wirklich leid. Ich weiß, wie sehr du an ihm hängst. Es muss schlimm für dich sein, ihn leiden zu sehen …“

Vinn schwieg lange Zeit, bevor er antwortete: „Er ist alles, was ich habe. Ich könnte es nicht ertragen, ihn zu verlieren.“

Gern hätte sie seine Hand genommen oder tröstend über sein Knie gestreichelt. Aber vermutlich wollte er ihren Trost nicht und hätte ihre Hand wieder weggeschoben.

„Dir bleibt immerhin noch dein Vater“, sagte sie leise.

„Leider nein“, antwortete er, während er in einen höheren Gang wechselte. „Er ist gestorben. Autounfall. Es war Alkohol im Spiel. Seine neue Freundin und er sind ums Leben gekommen, und ein Paar mit zwei kleinen Kindern, die im entgegenkommenden Wagen saßen, wurde schwer verletzt.“

„Wie schrecklich …“, stieß sie entsetzt hervor. „Ich hatte ja keine Ahnung.“

Es schmerzte sie, dass Vinn nach ihrer Trennung einen solchen Verlust hatte verkraften müssen und sie nichts davon gewusst hatte. Sonst hätte sie ihm wenigstens eine Beileidskarte geschickt.

Vinn wischte ihr Mitleid mit einer Handbewegung beiseite. „Seit dem Tod meiner Mutter hat mein Vater sich gehen lassen. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmes passiert.“

Vinn hatte den Tod seiner Mutter Ailsa gegenüber nie groß erwähnt. Aber sie wusste, dass das Verhältnis zu seinem Vater zerrüttet gewesen war, seit dieser wegen Betrugs ins Gefängnis gewandert war. Vinn war zu dem Zeitpunkt knapp zwanzig Jahre alt gewesen. Aber er hatte die Ehre der Familie gerettet und es zu seinem Lebensziel gemacht, aus der Möbelfirma seines Vaters einen internationalen Marktführer zu machen.

„Es kann nicht jeder den besten Vater der Welt haben“, sagte sie, während Vinn den Wagen in die Einfahrt des Krankenhauses lenkte. „In dieser Hinsicht haben wir wohl beide Pech gehabt.“

Vinn fuhr in eine Parklücke und schaute Ailsa stirnrunzelnd an. „Was erzählst du da? Dein Vater ist einer der großartigsten Menschen, die ich kenne.“

Sie hätte sich selbst ohrfeigen können, weil ihr die Bemerkung herausgerutscht war. „Ja … ich weiß“, versuchte sie die Situation zu retten. „Auch nach der Scheidung hat er sich immer Mühe gegeben …“

„Dann sag so etwas nicht“, unterbrach Vinn sie. „Scheidung hin oder her – er wird immer für dich da sein.“

„Ach, vergiss es einfach. Ich habe nicht nachgedacht.“ Sie war froh, dass Vinn so in Eile war, weil er seinen Großvater vor der Operation noch einmal sehen wollte. Sonst hätte er sicherlich nachgehakt, was genau sie mit ihrer unbedachten Aussage gemeint hatte.

Und es erinnerte sie daran, dass sie in seiner Gegenwart auf jedes Wort achten musste.

Noch kannte er ihr schreckliches Geheimnis nicht. Aber wenn sie nicht auf der Hut war, würde er eines Tages dahinterkommen.

2. KAPITEL

Vinn wusste nicht, was nervenaufreibender war: Ailsa nach zwei Jahren ohne Vorankündigung wiederzusehen oder ins Krankenhaus zu fahren, um seinen Großvater vielleicht zum letzten Mal zu sehen. Natürlich war er innerlich darauf gefasst, seinen Opa eines Tages für immer zu verlieren. Aber als Ailsa ihre Ehe von heute auf morgen für beendet erklärt hatte, da hatte ihn das völlig unvorbereitet getroffen. Gut, sie hatten sich hin und wieder gestritten. Aber welches frisch vermählte Paar tat das nicht?

Allerdings wäre er nicht im Traum darauf gekommen, dass sie ihn verlassen würde.

Ihre Ehe hatte nicht einmal bis zum ersten Hochzeitstag gehalten, und das ärgerte ihn mehr als alles andere. Er hatte Ailsa alles gegeben, was man für Geld kaufen konnte. Er hatte sie mit Geschenken und teurem Schmuck überhäuft und ihr allen erdenklichen Luxus geboten. Vielleicht hatte er sie nicht so geliebt, wie es die meisten Frauen von ihrem Ehemann erwarteten. Aber sie hatte ihn ebenfalls nicht aus Liebe geheiratet. In erster Linie war es die Leidenschaft gewesen, die sie miteinander verbunden hatte. Ihm hatte das fürs Erste gereicht, und er hatte geglaubt, ihr würde es nicht anders ergehen. Schließlich hatte sie die berühmten drei Worte nie zu ihm gesagt.

Als er mit Ailsa über das Thema Kinder reden wollte, hatte sie dichtgemacht. Zwar hatte er gewusst, wie wichtig ihr die eigene Karriere war, aber er hatte sie für erwachsen genug gehalten, um das Thema wenigstens mit ihm zu besprechen. Bei seinem Heiratsantrag hatte er zwar gesagt, dass ihm eine eigene Familie nicht wichtig sei, aber kurz nach ihrer Hochzeit hatten sich bei seinem Großvater erste gesundheitliche Probleme eingestellt. Eines Tages hatte er Vinn gestanden, wie gern er vor seinem Tod ein Urenkelkind in den Armen halten würde. Seitdem hatte Vinn das Gefühl, er würde die Familie hängen lassen, wenn er keinen Erben zeugte. Und dass er ein Versager wäre, wenn er den Familienbetrieb nicht an die nächste Generation übergab.

Die Familie hängen lassen.

Ein Versager.

Diese Worte verfolgten Vinn bis heute. Sein Vater war ein Versager gewesen und hatte sogar im Gefängnis gesessen. Vinn durfte seinen Großvater nicht auch noch enttäuschen. Außerdem brauchte er jemanden, dem er sein gigantisches Vermögen hinterlassen konnte. Denn was nützte es, jeden Tag sechzehn und mehr Stunden zu arbeiten, wenn es keinen Erben gab?

Aber als er das Thema Ailsa gegenüber erwähnt hatte, war sie wie ein bockiges Kind davongelaufen und hatte nur noch über ihre Anwältin mit ihm kommuniziert. Ihretwegen hatte er in einem weiteren Punkt versagt – als Ehemann.

Sein ganzes Leben lang war er in allem, was er angefasst hatte, stets der Beste gewesen. Aber in der Ehe hatte er auf ganzer Linie versagt. Und dafür hasste er sich. Denn es gab ihm das Gefühl, die Dinge nicht unter Kontrolle zu haben.

Doch das Scheitern seiner Ehe hatte nicht nur ihn schwer getroffen. Auch sein Großvater war geschockt und enttäuscht gewesen. Dass es mit seiner Gesundheit seitdem bergab ging, überraschte Vinn nicht. Zu allem Überfluss war Vinns Vater, nur wenige Tage nachdem Ailsa ihn verlassen hatte, ums Leben gekommen. Allerdings hatte sein Großvater den Tod des eigenen Sohnes besser verkraftet als Vinns gescheiterte Ehe. Er schien alle seine Hoffnungen in die Ehe des Enkels gesetzt zu haben. Sie sollte die Zukunft seiner Familie sichern. Aber diese Hoffnung war ihm genommen worden, als Ailsa aus Vinns Leben verschwunden war.

Und je näher der Scheidungstermin rückte, desto schwächer wurde sein Großvater. Für den alten Mann hatte die Familie immer an erster Stelle gestanden. Er war seiner Frau Maria bis zu deren Tod vor fünf Jahren treu geblieben. Wenn es Vinn gelang, seinen Großvater davon zu überzeugen, dass Ailsa zu ihm zurückgekehrt war, dann würde der alte Mann die Operation vielleicht überstehen. Das war seine letzte Hoffnung.

Außerdem hatte Vinn sich fest vorgenommen, dieses Mal nicht die Kontrolle über seine Beziehung mit Ailsa zu verlieren. Aus diesem Grund wollte er die „Versöhnung“ auf drei Monate begrenzen und während dieser Zeit nicht mit Ailsa schlafen – eine Regel, die er zu seinem eigenen Schutz aufgestellt hatte. Und das war auch gut so, denn als Ailsa vorhin ohne Vorwarnung in sein Büro marschiert war, hatte es in seinen Lenden sofort vor Lust pulsiert. Das Verlangen war so stark gewesen, dass es ihn beinahe umgehauen hätte.

Genau so war es bei ihrer ersten Begegnung auf einer Pariser Möbelmesse gewesen. Ihre natürliche Schönheit zog ihn magisch an: die langen silberblonden Haare, die blasse Haut, die schlanke Modelfigur und die betörenden graublauen Augen, die je nach Laune die Farbe zu wechseln schienen.

Besonders fasziniert hatte ihn auch die Tatsache, dass Ailsa sich nicht so leicht um den Finger wickeln ließ. Für einen Mann wie ihn, der über ein gigantisches Vermögen und internationales Ansehen verfügte, war es eine erfrischend neue Erfahrung gewesen, auf eine Frau zu stoßen, die nicht sofort mit ihm ins Bett gehen wollte. Ailsa hatte sich extrem lange geziert. Sie zu erobern war die größte Herausforderung gewesen, der er sich je hatte stellen müssen. Und wenn er ganz ehrlich zu sich war, war das vermutlich auch der Grund gewesen, warum er sich nicht mit einer Affäre begnügt, sondern ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Und als sie endlich seinen Ring am Finger trug, war das für ihn der größte Sieg seines Lebens gewesen.

Aber dann hatte Ailsas eiserne Entschlossenheit, die es ihm so angetan hatte, das Ende ihrer Ehe bedeutet. Als er mit ihr über Kinder reden wollte, hatte sie auf ihrem Entschluss beharrt, niemals eine eigene Familie zu gründen, und ihn verlassen.

Doch wenn es darum ging, seine eigenen Interessen durchzusetzen, konnte Vinn ähnlich halsstarrig sein. Das würde er ihr in den kommenden drei Monaten beweisen.

Im Krankenhaus folgte Ailsa Vinn in das Einzelzimmer, in dem Domenico Gagliardi auf den lebensrettenden Eingriff wartete. Als Vinn an sein Bett trat, öffnete er die Augen und lächelte schwach. „Du hast es noch geschafft …“

Vinn ergriff die Hand des alten Mannes und hielt sie zärtlich in seiner. Gerührt nahm Ailsa die Zuneigung und Liebe in dem Blick, den Vinn seinem Großvater schenkte, zur Kenntnis. Hatte er sie jemals so angesehen, als würde sie ihm mehr bedeuten als alles andere auf der Welt? Bei dem selbstsüchtigen Gedanken verspürte sie Gewissensbisse. Schließlich war sein Großvater sterbenskrank.

„Ich bin hier, nonno“, sagte Vinn. „Und ich habe jemanden mitgebracht.“

Domenico schaute zu Ailsa, und seine Augen leuchteten auf. „Ailsa? Bist du es wirklich?“

Sie trat einen Schritt vor und legte die Hand auf seinen rechten Unterarm. „Guten Tag, Dom.“

Seine Augen füllten sich mit Tränen, und er blinzelte ein paar Mal dagegen an. „Meine Liebe … Du weißt ja gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass du zu Vinn zurückgekehrt bist. Ich habe jeden Tag dafür gebetet.“

„Aber ich bin doch gar nicht …“ Sie sprach nicht weiter, weil sie es nicht übers Herz brachte, Dom zu enttäuschen. Der alte Mann musste sich in wenigen Minuten einer komplizierten Operation unterziehen, von der er sich vielleicht nicht mehr erholen würde. Da konnte sie ihm gegenüber wenigstens so tun, als wäre sein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen.

„Ich bin hier“, sagte sie und ergriff Vinns Hand. „Wir sind beide hier. Zusammen.“

Eine Träne lief dem alten Mann über die Wange. Schnell zog Ailsa ein Taschentuch aus dem Spender neben dem Bett und tupfte sie sanft weg. Ihre eigenen Augen fühlten sich verräterisch feucht an, und ihre Brust schnürte sich zusammen.

„Falls ich die Operation nicht überlebe, habe ich wenigstens Gewissheit, dass ihr euch versöhnt habt“, sagte Dom mit zitternder Stimme. „Ihr seid füreinander geschaffen. Das wusste ich in dem Moment, als Vinn dich mir vorgestellt hat. Du bist eine starke Frau, Ailsa. Und mein Enkel braucht eine Frau, die ihn zu nehmen weiß.“

Bevor Ailsa etwas erwidern konnte, betrat ein Krankenpfleger das Zimmer, um den alten Mann für die Operation abzuholen.

Vinn beugte sich über das Bett und küsste seinen Großvater auf beide Wangen. „Viel Glück, nonno. Wir besuchen dich, sobald du den Aufwachraum verlassen hast.“

Falls du den Aufwachraum jemals wieder verlässt …

Ailsa konnte den unausgesprochenen Satz förmlich hören. Vinn hatte seine Mutter in jungen Jahren verloren. Vor fünf Jahren war die Großmutter gestorben, die ihn quasi großgezogen hatte, und während der letzten beiden Jahre war dann auch noch sein Vater ums Leben gekommen. Jetzt musste er sich gegen die Aussicht wappnen, auch noch den Großvater zu verlieren, der für ihn mehr wie ein Vater gewesen war als der eigene.

Sosehr sie Vinn auch dafür hassen wollte, dass er sie nicht aus Liebe geheiratet hatte, in diesem Moment empfand sie nur Mitgefühl für ihn.

Sie beugte sich zu dem alten Mann hinunter und küsste ihn auf beide Wangen. Als sie wieder hochkam, legte Vinn ihr einen Arm um die Taille und zog sie an seine Seite. Obwohl sie mehrere Stoffschichten trennten, ging die Berührung wie ein Stromstoß durch Ailsas Körper. Vinn war so groß, dass sie ihm selbst in High Heels gerade eben bis zur Schulter reichte. Nie war sie sich ihrer Weiblichkeit so bewusst wie in seiner Nähe. Die Wärme seiner Hand auf ihrer Hüfte ließ sie erschauern und sandte eine sinnliche Botschaft an das Zentrum ihrer Lust. Ihre Brüste prickelten, als würden sie sich an die Liebkosungen seiner Hände erinnern …

In Gedanken gab Ailsa sich eine Ohrfeige und löste sich aus Vinns Umarmung, sobald der Krankenpfleger den alten Mann zur Tür hinausgeschoben hatte. Erst als sie allein waren, drehte sie sich zu Vinn um. „Hast du ihm etwa, noch bevor du mit mir gesprochen hast, gesagt, wir wären wieder zusammen?“

Er runzelte die Stirn. „Nein, aber er muss eins und eins zusammengezählt haben, als er dich an meiner Seite gesehen hat.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Danke. Du hast einen kranken alten Mann sehr glücklich gemacht.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Und was machen wir, wenn er aus der Narkose aufwacht? Er wird sofort merken, dass bei uns nicht eitel Sonnenschein herrscht. Auch wenn er todkrank ist, zum Narren lässt er sich ganz bestimmt nicht halten.“

Das Funkeln in Vinns Augen verriet ihr, dass sein Kampfgeist zurückgekehrt war. „Du wirst dich eben anstrengen müssen, um ihm zu beweisen, dass du in mich verliebt bist.“

„Dann schlage ich vor, du zeigst mir, wie das geht“, konterte sie.

Langsam ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern, und etwas in ihrem Inneren zerschmolz wie Butter. Es war derselbe Blick, mit dem ihre sinnlich-heiße Geschichte damals begonnen hatte. Doch im nächsten Moment schien Vinn wieder einzufallen, dass sie in einem öffentlichen Krankenhaus waren, denn er wandte den Blick von Ailsa ab. „Du wirst deine schauspielerische Ader sicher entdecken, sobald die zehn Millionen auf deinem Konto eingegangen sind.“ Er zog das Handy aus der Tasche. „Ein Viertel der Summe überweise ich gleich, den Rest bekommst du, wenn du den Vertrag unterschrieben hast.“

Der Gedanke, dass er sie für käuflich hielt, ließ Ailsa vor Empörung beinahe aufschreien. „Und wenn du mir zwanzig Millionen überweist, ändert das nichts an der Tatsache, dass ich dich abgrundtief hasse. Außerdem unterschreibe ich nichts, das ich nicht vorher gelesen habe.“

Er blickte von seinem Handy hoch. „Wenn wir allein sind, kannst du mich gern hassen, cara. Aber in der Öffentlichkeit wirst du so tun, als wärst du meine glückliche Ehefrau. Sonst wirst du die Folgen zu spüren bekommen.“

„Dein Machogetue kannst du dir sparen“, entgegnete sie wütend.

Er verzog die Mundwinkel zu einem spöttischen Grinsen, trat noch einen Schritt näher und hob Ailsas Kinn mit dem Daumen an. Obwohl sie den Kopf sofort hätte wegdrehen sollen, konnte Ailsa sich nicht rühren. Seine dunklen Augen, in denen ein Feuer der Wut oder der Lust loderte – genau konnte sie das nicht sagen –, hypnotisierten sie förmlich.

„Du willst dich wohl unbedingt mit mir streiten. Dabei weißt du doch, wo unsere Auseinandersetzungen in den meisten Fällen enden. Im Bett. Und dann zerkratzt du mir den Rücken, während ich dich wieder und wieder kommen lasse.“

Ailsa spürte, wie sich ihre Wangen dunkelrot färbten. Dieser Mann besaß die Unverschämtheit, sie daran zu erinnern, wie willenlos sie in seinen Armen wurde. Bei ihm überkam sie eine Lust, die noch kein anderer Mann in ihr geweckt hatte.

Sie musste so schnell wie möglich von ihm weg, damit sie wieder klar denken konnte.

„Träum weiter, Vinn. Ich suche inzwischen die Toilette auf. Wenn du mich für einen Augenblick entschuldigst …“ Sie schob sich an ihm vorbei und hatte fast Angst, er würde sie zurückhalten. Aber er hatte den Kopf schon wieder über das Handy gebeugt und tippte darauf herum.

Ailsa lief an der Tür zu den Besuchertoiletten vorbei und trat in den ersten Aufzug, der neben ihr aufglitt. Sie musste so schnell wie möglich hier raus. Leider hatte sie ihre Reisetasche in Vinns Auto gelassen, aber immerhin steckte ihr Personalausweis in der Handtasche. Wie würde es jetzt weitergehen? Wenn sie nach London zurückflog, konnte ihr Bruder Vinns finanzielle Unterstützung vergessen. Sie wusste, wie knallhart Vinn in seinen Entscheidungen war. In ihrer kurzen Ehe hatte sie sich oft mit ihm gestritten und fast immer den Kürzeren gezogen. Nur ein einziges Mal hatte sie einen Kampf gewonnen – als sie ihn verließ.

Wie eine Siegerin fühlte sie sich trotzdem nicht.

Es war jetzt fast zwei Jahre her, aber insgeheim hatte sie immer gehofft, er würde versuchen, sie zurückzuerobern. Eigentlich hätte ihr ein kleines Zeichen genügt, dass er sich etwas aus ihr machte. Tatsächlich hatte sie damals ein wenig übertrieben reagiert, weil sie sich von ihm vernachlässigt fühlte. Er arbeitete täglich sechzehn Stunden und mehr. Als er ihr gegenüber das Thema Kinder angesprochen hatte, war sie von ihren Ängsten eingeholt worden. Wie konnte sie an eigene Kinder auch nur denken, wenn sie nicht einmal wusste, wessen Blut durch ihre Adern floss?

Aber Vinn hatte keinen einzigen Versuch gestartet, sie zurückzuerobern.

Der Fahrstuhl war im Erdgeschoss angelangt, und die Tür glitt auf. Beim Aussteigen schaute Ailsa zum Eingang des Krankenhauses, vor dem sich eine Menschentraube versammelt hatte. Paparazzi. Eine Sekunde lang fragte sie sich, ob ein Promi ins Krankenhaus eingeliefert worden sei. Dann dämmerte ihr, dass sie selbst dieser Promi war. Schließlich war sie noch immer mit einem der reichsten Männer Italiens verheiratet.

Einer der Paparazzi hatte sie erkannt und sagte etwas zu einem Kollegen. Sofort setzte sich der gesamte Pulk in Bewegung und rannte auf den Eingang des Krankenhauses zu.

Ailsa wirbelte herum und drückte wie wild auf den Fahrstuhlknopf. Als sie zur Anzeige hochblickte, stellte sie entsetzt fest, dass der Fahrstuhl in den vierten Stock gefahren war. Schnell lief sie zur zweiten Kabine, doch in dem Moment, als sie den Knopf drücken wollte, glitt die Tür auf, und Vinn stand vor ihr.

Er ergriff Ailsas Hand und hakte sich bei ihr unter. Seiner Miene war nichts anzumerken, aber der kräftige Druck seiner Hand verriet, wie zornig er war. „Schön, dass du Zeit gefunden hast, mich zur Pressekonferenz zu begleiten“, sagte er betont höflich.

Ailsa hatte keine andere Wahl, als ein Lächeln aufzusetzen. Vinn drehte sich um und erklärte den lauernden Pressevertretern, wie glücklich er sich schätzte, dass seine Frau zu ihm zurückgekehrt war.

„Bitte, ein Kuss für die Kameras“, rief ein Fotograf.

Bei der Vorstellung, dass sich Vinns Lippen gleich auf ihre senken würden, raste Ailsas Herz. Zum Glück hob er abwehrend die Hand in die Höhe. „Bitte respektieren Sie unsere Privatsphäre. Es war ein anstrengender Tag, denn mein Großvater muss sich einer lebensrettenden Operation unterziehen.“

Als Vinn Ailsa zum Ausgang führte, teilte sich die Meute der Paparazzi. Draußen zog er Ailsa zu seinem parkenden Wagen und hielt die Tür für sie auf. Wortlos stieg sie ein. Er setzte sich hinter das Lenkrad und warf ihr einen grimmigen Blick zu. „Du hast zwar den Vertrag noch nicht unterschrieben, aber meinem Großvater gesagt, dass wir wieder zusammen sind. Wenn du noch mal versuchst wegzulaufen, dann ziehe ich nicht nur mein Sponsorenangebot zurück, sondern sorge dafür, dass dein kleiner Bruder sich auf keinem Golfplatz der Welt mehr blicken lassen kann. Haben wir uns verstanden?“

Am liebsten hätte Ailsa den Vertrag und die zehn Millionen Euro vor Vinns Augen zerrissen und ihm ins Gesicht geworfen. Aber sie liebte ihren Bruder mehr, als sie Vinn hasste. Dennoch gab sie den Kampf nicht auf. „Du denkst vielleicht, du kannst mich erpressen und in dein Leben zurückholen. Aber ich werde dich immer hassen. Daran werden auch zehn, zwanzig oder gar fünfzig Millionen nichts ändern.“

„Wenn ich gedacht hätte, dass du fünfzig Millionen wert bist, hätte ich dir fünfzig geboten.“

Die grausamen Worte trafen Ailsa wie eine Ohrfeige. Sie war den Tränen nahe und drehte den Kopf weg, damit Vinn nicht merkte, wie sehr er sie getroffen hatte.

Er seufzte tief. „Das war nicht … nett. Tut mir leid.“

„Nicht nett?“ So leicht würde sie ihm nicht verzeihen. „Du hast doch nur die Wahrheit gesagt. In deinen Augen bin ich nämlich gar nichts wert. Mich wundert, dass du überhaupt zehn Millionen geboten hast.“

Er löste die rechte Hand vom Lenkrad und legte sie in Ailsas Nacken. Ihre Haut begann zu prickeln, als hätte sie nur auf die Berührung gewartet. „Ich würde alles Geld der Welt dafür geben, dass mein Großvater die Operation übersteht. Ich will ihn nicht verlieren.“

Mich zu verlieren hat dir nichts ausgemacht. Die Worte lagen ihr auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter. „Du liebst ihn wirklich.“

Er streckte die Finger aus und fuhr Ailsa sanft über die Kopfhaut. „Er ist alles, was mir von meiner Familie geblieben ist.“

Erst in diesem Moment wurde Ailsa bewusst, dass er tatsächlich ganz allein dastand. Zwar hatte er etliche Cousins und Cousinen, aber die hatten sich von ihm abgewendet, als sein Vater ins Gefängnis gewandert war. War es nicht bezeichnend, dass heute keiner von ihnen an Domenicos Krankenbett gestanden hatte? Gab es überhaupt jemanden, der Vinn in schweren Zeiten tröstete? Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass er keine Nähe zuließ.

Und war sie in dieser Hinsicht selbst so anders?

Obwohl sie fast ein Jahr lang das Bett geteilt hatten, wussten sie nicht viel über das Leben des anderen.

Ailsa spürte, wie sie innerlich ins Wanken geriet. Tatsächlich hatte sie in London keine wichtigen Termine. Daher machte es keinen großen Unterschied, wenn sie den Rückflug um ein, zwei Tage verschob. Nur so lange, bis Dom die Intensivstation verlassen durfte.

„Wann wirst du erfahren, ob dein Großvater über den Berg ist? Ich könnte für ein, zwei Tage ins Hotel ziehen … bis ich mir überlegt habe, ob ich auf dein Angebot eingehen will.“

Während er die Hand an ihrem Hinterkopf weiter nach oben wandern ließ, setzte sich das Kribbeln in Ailsas Nacken nach unten fort. „Wem traust du eigentlich nicht über den Weg? Mir oder dir?“ Seine Stimme klang dunkel und rau.

Mit all ihren Sinnen nahm Ailsa seine Nähe auf. Sein starker Körper zog sie an wie ein Magnet. Ihre Lippen fühlten sich plötzlich ganz trocken an, aber sie wagte es nicht, sie mit der Zunge zu befeuchten, weil sie Angst hatte, Vinn könne es als Aufforderung verstehen, sie zu küssen.

Himmel. Sie wollte nichts lieber, als von ihm geküsst zu werden. Doch sie musste an ihrem eisernen Willen festhalten. Kurz sah sie auf seinen Mund. Warum musste er so wunderschöne, unwiderstehliche Lippen haben? Ihr eigener Mund und andere Stellen ihres Körpers konnten sich noch sehr gut daran erinnern, wie sich seine Lippen angefühlt hatten.

Reiß dich zusammen.

„Glaubst du, ich würde dich noch begehren?“ Sie lachte gekünstelt. „Dein Ego ist wirklich überlebensgroß. Ich empfinde nichts für dich. Rein gar nichts.“

Er lächelte wissend, während er die Hand zurück zu ihrem Nacken gleiten ließ und mit den Fingerkuppen sanft darüber strich. Ein Schauer, warm wie geschmolzenes Karamell, rann über Ailsas Rücken und sammelte sich in ihrem Schoß. Vinn schaute zu ihrem Mund und wieder in ihre Augen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er sie küssen sollte. Sofort begannen Ailsas Lippen vor sinnlicher Vorfreude zu prickeln. Es war fast zwei Jahre her, dass sie von einem Mann berührt worden war. Zwei Jahre, in denen sie das schmerzhafte Verlangen nach Vinn unterdrückt hatte. Und jetzt ließ sich jede Faser ihres Körpers von dem plötzlichen Ausbruch des Verlangens anstecken, bis sie das Gefühl hatte, innerlich zu brennen.

Doch im nächsten Moment zog Vinn die Hand weg. „Jemand wartet auf den Parkplatz. Fahren wir besser los.“

3. KAPITEL

Vinn fuhr vom Parkplatz des Krankenhauses, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte. Am liebsten wäre er auf der Station geblieben und hätte das Ende der Operation abgewartet. Aber er wusste, dass es etliche Stunden dauern würde, bis sein Großvater den Aufwachraum wieder verlassen durfte.

Falls er ihn wieder verlassen wird …

Wie sehr er Krankenhäuser hasste. Es waren Orte, in die über alles geliebte Menschen gingen, ohne jemals wieder herauszukommen. Als seine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert worden war, war er erst vier Jahre alt gewesen. Er hatte nicht gewusst, wie schlimm es um sie stand. Aber als der Arzt mit ernster Miene mit seinem Vater gesprochen hatte, war ihm sofort klar gewesen, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Den Gesichtsausdruck seines Vaters hatte er bis heute nicht vergessen. Trotzdem hatte sein Vater ihm versprochen, dass seine Mutter schon bald nach Hause kommen würde. Es war die erste von vielen Lügen gewesen, die ihm sein Vater im Lauf der Jahre aufgetischt hatte. Zum Glück hatte sein Großvater irgendwann ein Machtwort gesprochen und sich des Jungen angenommen.

Sein Großvater hatte ihn gerettet. Ihm hatte er alles zu verdanken.

Auch als Vinns Vater, nur zwei Tage nachdem Ailsa ihn verlassen hatte, gestorben war, hatte nonno ihn nach Kräften unterstützt. Dabei musste es sehr schmerzhaft für den alten Mann gewesen sein, den eigenen Sohn zu verlieren. Vinn hatte damals den Eindruck gehabt, die Welt würde an ihm vorbeirauschen. Trotzdem hatte er die Trauerfeier für seinen Vater organisiert und dort eine Rede gehalten, in der er seine Leistungen gewürdigt hatte. Das war er ihm schuldig gewesen.

Doch der Tod des Vaters hatte ihn auch davon abgelenkt, dass Ailsa ihn verlassen hatte. Wochenlang war er zu beschäftigt gewesen, um sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass seine Frau nie mehr zu ihm zurückkommen würde. Eigentlich hatte er geglaubt, sie würde es sich noch einmal anders überlegen, nachdem der erste Zorn verraucht wäre.

Aber sie hatte ihn nicht angerufen und keine SMS geschickt.

Auch Vinn hatte sie nicht angerufen, um ihr vom Tod seines Vaters zu erzählen. Wozu auch? Ailsa hatte seinen Vater nie kennengelernt, und Vinn hatte während ihrer kurzen Ehe kaum Kontakt zu ihm gehabt. Er ging davon aus, dass sie in der Zeitung vom tödlichen Autounfall seines Vaters gelesen hatte. Aber vielleicht hatten die englischen Zeitungen gar nicht darüber berichtet.

Jetzt war es ohnehin egal, denn Ailsa war zu ihm zurückgekommen. Falls sie es sich in den drei Monaten anders überlegen und ihn ein zweites Mal verlassen sollte, dann zu seinen Bedingungen. Er würde sie dazu zwingen, den Vertrag zu unterschreiben. Und wenn es das Letzte war, was er im Leben tat.

Ailsa hatte erwartet, dass Vinn sie zu einem Hotel in der Mailänder Innenstadt fahren würde. Als er stattdessen in die Straße einbog, die zu seiner Villa in einem exklusiven Vorort führte, warf sie ihm einen wütenden Blick zu. „Ich habe doch gesagt, ich will ins Hotel.“

„Sei nicht albern. Stell dir vor, was die Presse schreiben würde, wenn du im Hotel übernachtest. Schließlich haben wir heute verkündet, dass wir uns wieder versöhnt haben“, warf er ein. „Am Ende erfährt nonno noch davon. Nein. Du wohnst bei mir. Das ist das Vernünftigste.“

Vernünftig? Es wäre absolut unvernünftig, im selben Haus wie Vinn zu schlafen. Allerdings war die Villa geräumig genug, dass sie sich bequem aus dem Weg gehen konnten.

In den wenigen Monaten ihrer Ehe hatte es Ailsa die größte Freude bereitet, seine Villa nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Allerdings war sie dabei ständig auf den Widerstand seiner mürrischen Haushälterin Carlotta gestoßen. Carlotta hatte sich gegen jede Veränderung mit Händen und Füßen gesträubt. Am Ende hatte Ailsa die Einwände der älteren Frau einfach ignoriert und das Haus trotzdem modernisiert.

Hatte Vinn es in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandelt? Hatte er jeden Gegenstand, der ihn an seine Frau erinnerte, aus der Villa entfernt? Bei dem Gedanken zog sich ihre Brust schmerzhaft zusammen.

Dann fiel ihr das Zimmer wieder ein, das letztlich das Scheitern ihrer Ehe eingeläutet hatte.

Sie hatte es für das perfekte Lesezimmer gehalten, aber Vinn hatte gesagt, es würde ein wunderbares Kinderzimmer abgeben. Zuerst hatte sie geglaubt, er mache nur einen Witz. Aber Vinn hatte einfach keine Ruhe gegeben.

Irgendwann war es ihr zu viel geworden, und sie hatte ihn verlassen.

„Du hast dich kein bisschen verändert“, sagte sie jetzt. „Du kommandierst mich herum, als wäre ich ein kleines Kind. Hast du nicht was vergessen? Ich habe den Vertrag nämlich noch nicht unterschrieben …“

Geräuschvoll stieß er den Atem aus. „Ist es vielleicht möglich, in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht zu streiten? Ich bin wirklich nicht in der Stimmung.“

Schuldbewusst verstummte Ailsa.

Knapp dreißig Minuten später steuerte Vinn den Wagen in die Auffahrt der Villa. Er sprang heraus und hielt Ailsa die Autotür auf. Zögernd stieg sie aus, weil die Erinnerungen plötzlich auf sie einprasselten. An dem Tag, als sie von der Hochzeitsreise zurückgekehrt waren, hatte Vinn sie über die Türschwelle getragen.

Jetzt schloss er die Haustür auf und bedeutete ihr mit einem Nicken, einzutreten. Als sie an ihm vorbeiging, stieg ihr sein Duft in die Nase. Er roch betörend nach Zitrone und Sandelholz.

Beim Betreten der Eingangshalle hatte sie das Gefühl, eine Zeitreise zu machen. Vinn hatte überhaupt nichts verändert. Die Farbe an den Wänden, die Möbelstücke und Vitrinen – alles war von Ailsa ausgesucht worden. Ob er sämtliche Zimmer unverändert gelassen hatte?

Unsicher schaute sie ihn an. „Ich hatte vermutet, du hättest das ganze Haus neu streichen und einrichten lassen. Um jede Erinnerung an mich zu tilgen.“

Er zuckte die Schultern. „Keine Zeit.“

„Sieht es in allen Zimmern noch so aus wie damals?“

„Selbstverständlich.“ Seine Miene war ausdruckslos. „Für die Modernisierung habe ich ein kleines Vermögen hingeblättert. Und ich wollte nicht, dass mir unsere Trennung noch mehr Kosten verursacht.“

„Ich dachte, es sei unser Geld“, entgegnete sie bockig. „Wir waren schließlich verheiratet. Außerdem habe ich auch eine Menge von meinem Geld in das Haus gesteckt, weil ich im Gegensatz zu dir nämlich kein Problem damit habe, Dinge zu teilen.“

Sein Blick wurde hart. „Ich war nicht derjenige, der vergessen hat, dass wir verheiratet sind. Das warst du.“

Geräuschvoll stieß sie den Atem aus. „Warum ist immer alles meine Schuld? Du wolltest dich nicht an unsere Abmachung halten. Und weißt du auch, warum? Weil du nie zuhörst. Du machst immer alles so, wie es dir gerade in den Kram passt. Nehmen wir nur heute: Ich wollte in ein Hotel, aber du hast mich hergebracht.“

„Ich habe dir doch erklärt, warum.“

„Ja, aber wir hätten trotzdem erst darüber reden müssen“, gab sie zurück. „Du hast dich einfach hinters Lenkrad gesetzt und mich hergefahren. Du hättest mich wenigstens fragen können.“

„Okay. Dann reden wir eben jetzt darüber.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum wolltest du lieber in ein Hotel?“

Weil ich mir in deiner Gegenwart selbst nicht über den Weg traue. Weil du der attraktivste Mann bist, den ich kenne, und ich dich am liebsten die ganze Zeit über anfassen würde.

Zum Glück konnte er ihre Gedanken nicht lesen. „Ich brauche meine Privatsphäre. Daran habe ich mich nämlich in den letzten beiden Jahren gewöhnt“, sagte sie laut.

„Tatsächlich?“ Seine Augen funkelten spöttisch. Dann ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern, und Ailsa rann ein wohlig heißer Schauer über den Rücken.

„Ja, tatsächlich“, erwiderte sie mit Nachdruck. „Ich habe dich überhaupt nicht vermisst. Im Gegenteil … hey, was tust du da?“

Vinn hatte ihr die Hände auf die Hüften gelegt und zog sie entschlossen an sich. Ihre Körper berührten sich. Tief schaute er ihr in die Augen, und das Feuer in seinem Blick entzündete etwas in ihrem Inneren, das sie verbrennen würde, wenn sie nicht aufpasste. „Du warst schon immer eine furchtbar schlechte Lügnerin.“ Er legte die Hand unter ihr Kinn und strich mit dem Daumen verführerisch langsam über eine Wange. Verräterische Hitze sammelte sich zwischen Ailsas Schenkeln. Ihre Selbstbeherrschung hing an einem seidenen Faden.

In den letzten beiden Jahren hatte kein Mann sie in den Armen gehalten.

Kein einziger.

Ihre Haut lechzte nach seiner Berührung. Ihr Körper sehnte sich danach, unter ihm zu liegen, ihre Lippen verzehrten sich danach, von ihm geküsst zu werden. Mit letzter Kraft kämpfte Ailsa gegen das Verlangen an, die Augen zu schließen, sich an Vinn zu lehnen und von seinen Liebeskünsten verführen zu lassen.

„I…ich lüge nicht.“ Wie sehr sie es hasste, dass das Zittern in ihrer Stimme ihre geheimsten Wünsche verriet.

Vinn lächelte sie an, strich ihr durchs Haar, dann senkte er den Kopf, bis sich ihre Lippen fast berührten. Ihr Atem verschmolz, und in Ailsa wurden tausend Erinnerungen wach an die intimen Zärtlichkeiten, die sie ausgetauscht hatten.

Sie wusste, dass sie sich sofort aus seinen Armen befreien musste. Daher hob sie die Hand und wollte ihn wegstoßen. Stattdessen griff sie nach seinem Hemd und zerrte daran, bis die Knöpfe abzuspringen drohten.

„Du denkst, ich will dich immer noch?“ Es gelang ihr nicht, ihre Stimme zornig klingen zu lassen.

Langsam ließ er den Blick von ihrem Mund zu ihren Augen wandern, während er mit dem Daumen federleicht über ihre Unterlippe strich. „Du willst mich. Ich will dich. Einige Dinge ändern sich eben nie.“

Ailsa runzelte die Stirn. „Vorhin hast du noch gesagt, du willst nicht mit mir schlafen …“

„Cara mia“, unterbrach er sie. „Findest du nicht, wir sollten das Beste aus dem Feuer machen, das immer noch zwischen uns knistert?“

„Zwischen uns knistert nichts mehr.“ Sie wollte sich losreißen, aber Vinn verstärkte den Griff. Eine törichte Stimme in Ailsas Innerem frohlockte: Er will dich immer noch!

Sanft drückte Vinn mit dem Daumen auf ihre Unterlippe. Natürlich wusste er, dass das eine ihrer erogenen Zonen war. „Bist du dir da ganz sicher?“, fragte er leise.

Sie musste unbedingt Widerstand leisten. Wenn er sie jetzt küsste, würde sie sofort schwach werden. Doch er ließ den Daumen auf ihrer Unterlippe sanft auf und ab gleiten. Ehe Ailsa es sich versah, hatte ihre verräterische Zunge sich selbstständig gemacht und leckte ihm ganz kurz über den Daumen. Im selben Moment, in dem sie den salzigen Geschmack seiner Haut in sich aufnahm, sah sie die Lust in seinen dunklen Augen aufglimmen. Es war dieselbe Lust, die glühend heiß von ihr Besitz ergriff.

Ein sexy Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Das hättest du lieber nicht tun sollen, cara.“ Seine tiefe Stimme war wie ein Streicheln, das sie überall berührte.

„Warum nicht?“, hauchte sie.

„Weil ich jetzt das hier tun muss.“ Im nächsten Moment senkte er den Kopf und bedeckte ihren Mund mit seinen Lippen.

Sein Kuss zog Ailsa in einen Strudel, aus dem es kein Entrinnen gab. Das Gefühl, seine Lippen auf ihren zu spüren, machte sie hilflos. Sie brauchte mehr. Ihr entwich ein zustimmendes Stöhnen, das so verräterisch war, als hätte sie aus voller Kehle Ich will dich geschrien.

Spielerisch glitt er mit der Zunge zwischen ihre leicht geöffneten Lippen und erkundete ihren Mund. Sein Geschmack, seine Nähe, seine betörende Männlichkeit stiegen ihr zu Kopf. Heiße Schauer der Lust rannen ihr über den Rücken, und erotische Erinnerungen prasselten auf sie ein, als ihre Zungen zu einem leidenschaftlichen Tanz zusammenfanden.

Ailsa genoss jedes Streicheln und jede Liebkosung seiner Zunge. Und sie frohlockte, als sein Atem schneller ging und er den Griff um ihre Taille noch verstärkte. Sie schlang ihm die Arme um den Nacken, schmiegte sich an seinen starken Oberkörper. Sobald ihre Brüste seine harten Muskeln berührten, richteten sich ihre Knospen auf.

Stöhnend umfasste Vinn ihren Po und drückte ihren Unterleib gegen den harten Beweis seiner Lust, während er sanft an ihren Lippen knabberte.

„Willst du es gleich hier tun, oder sollen wir lieber nach oben gehen?“

Bei der dreisten Frage schoss Adrenalin durch Ailsas Adern und riss sie aus dem betörenden Strudel. Empört löste sie die Arme von Vinns Nacken und trat einen Schritt zurück. „Glaubst du wirklich, ich würde mich weiter von dir … betatschen lassen wollen?“ Böse funkelte sie ihn an.

Er machte ein amüsiertes Geräusch. „Du hast doch damit angefangen, tesoro. Du weißt selbst, wie scharf ich werde, wenn du mich mit der Zunge berührst.“

Das wusste sie tatsächlich noch sehr gut. In den letzten beiden Jahren hatte sie vergeblich zu vergessen versucht, zu welch verruchten Liebesspielen Vinn sie animiert hatte. Mit ihm hatte sie Dinge getan, an die sie bei einem anderen Mann nicht einmal im Traum gedacht hätte.

Sie straffte die Schultern und warf ihm einen strengen Blick zu. „Ich habe nur meinen Mund geöffnet, und dabei ist mir dein Daumen in die Quere gekommen.“

Er lachte auf, und das tiefe Geräusch ging ihr durch und durch. „Du bist echt unglaublich.“

Sie zwang sich dazu, seinem Blick standzuhalten. „Das Kompliment gebe ich gern zurück.“

Er trat auf sie zu und zog mit dem Finger die Linie ihres Kinns nach. Dann wurde seine Miene ernst. „Vielen Dank.“

Das war nun wirklich nicht die Antwort, mit der sie gerechnet hatte. „Wofür?“

Ohne den Blick von ihr zu lösen, strich er sanft über ihre Wange. „Deinetwegen habe ich einen Augenblick lang nicht an nonno gedacht.“

Ailsa wurde klar, dass sie ebenfalls nicht mehr an Dom gedacht hatte. Als würde die Welt aufhören zu existieren, wenn sie mit Vinn allein war. „Meinst du, es ist noch zu früh für einen Anruf im Krankenhaus?“

„Viel zu früh.“ Er löste die Hand von ihrer Wange und fuhr sich durchs Haar. „Es wird noch Stunden dauern, bevor wir erfahren, wie es gelaufen ist …“ Besorgt runzelte er die Stirn. „Es sei denn, irgendwas geht schief …“

Beruhigend legte sie ihm die Hand auf den Arm. „So darfst du nicht denken, Vinn. Wenn die Ärzte nicht glauben würden, dass er durchkommt, hätten sie ihn niemals operiert.“

„Ohne die Operation hatte er jedenfalls keine Chance mehr.“ Er seufzte.

Tröstend drückte sie seinen Arm. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

Seine Miene verhärtete sich. „Ja. Den Vertrag unterschreiben und zu mir zurückkommen.“

Sie zog die Hand weg, als hätte sie sich an ihm verbrannt. „Ich bleibe eine Nacht, höchstens zwei. Nur bis dein Großvater aus dem Aufwachraum kommt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Länger bleibe ich auf keinen Fall, ich habe schließlich Termine zu Hause …“

„Dann sag sie ab.“

„Ach ja? So wie du deine Termine immer abgesagt hast, wenn ich dich zu Hause gebraucht habe?“

Sein Blick verfinsterte sich. „Ich trage die Verantwortung für ein internationales Unternehmen. Ich kann mir nicht einfach einen Tag freinehmen, weil meiner gelangweilten Ehefrau zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.“

„Du warst doch derjenige, der darauf bestanden hat, dass ich meinen Job in London aufgebe und nach Mailand ziehe.“

„Nur weil du in deinem alten Job nicht glücklich warst“, erwiderte er. „Du hast für jemanden gearbeitet, der dich nur ausgenutzt hat.“

„Solche Leute scheine ich anzuziehen“, konterte sie.

Er presste die Lippen aufeinander. „Ich habe dich nicht ausgenutzt. Du hast von Anfang an gewusst, was dich bei mir erwartet.“

„Du hast von jetzt auf gleich die Spielregeln geändert“, warf sie ihm vor. „Du hast dir vorgestellt, ich würde ein, zwei Kinder ausbrüten, während du deine ach so wichtige Karriere weiterverfolgst.“

„Mit dir kann man einfach nicht reden“, erwiderte er wütend. „Also schön. Ich brauche dich im Moment hier. Und falls du deine Termine in London partout nicht verschieben kannst, erlaube ich dir, ein-, zweimal rüberzufliegen …“

„Du erlaubst es mir?“ Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. „Ich fliege nach London, wann immer es mir passt. Du kannst mich hier nicht festbinden.“

„Führe mich lieber nicht in Versuchung.“

Das sagte der Richtige. Vinn war die Versuchung in Person. Insgeheim klopfte Ailsa sich auf die Schulter, weil sie sich bisher am Riemen gerissen und sich ihm nicht an den Hals geworfen hatte. Sie stieß den angehaltenen Atem aus und drehte sich abrupt um.

„Ich brauche eine Tasse Tee. Hast du etwas dagegen, wenn ich die Küche benutze?“ Es war merkwürdig, in ihrem ehemaligen Haus darum zu bitten, die Küche betreten zu dürfen. Aber sie war sich sicher, dass Vinns Haushälterin Carlotta noch immer mit Argusaugen über ihr Reich wachte. Während der knapp zwei Jahre ihrer Ehe hatte Ailsa sich bemüht, die Freundschaft der älteren Frau zu gewinnen. Aber Carlotta hatte ihr immer die kalte Schulter gezeigt und ihr deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr sie ihre Anwesenheit im Haus störte.

Vinn deutete Richtung Küche. „Fühl dich ganz wie zu Hause – du weißt ja, wo alles steht. Ich muss kurz in die Stadt. Keine Ahnung, wann ich zurückkomme. Aber wenn du mich brauchst, kannst du mich anrufen oder mir eine SMS schicken.“

„Und was ist mit Carlotta? Wird sie mich nicht hochkant aus dem Haus werfen, sobald sie mich hier sieht?“

„Sie hat sich die Woche freigenommen“, erwiderte er kühl.

„Eine ganze Woche? Es geschehen noch Zeiten und Wunder“, gab sie spöttisch zurück. „Hätte nie gedacht, dass Carlotta ein Privatleben hat. Als ich hier gewohnt habe, war sie nicht einen Tag fort.“

Er schloss die Augen. „Ich hoffe, du machst ihr das Leben nicht schwer.“

„Ich und ihr das Leben schwermachen?“ Sie lachte gekünstelt. „Ich habe mich immer um ihre Freundschaft bemüht, aber sie hat mich wie einen streunenden Hund behandelt.“

„Bitte, sie ist alt, und ich möchte nicht …“

„Sie hätte längst in Rente gehen sollen. Wie alt ist sie eigentlich?“

„Dreiundsiebzig.“

Erstaunt riss sie die Augen auf. „Und da arbeitet sie immer noch in Vollzeit?“

„Sie ist schon seit vielen Jahren für meine Familie tätig.“ Er schwieg einen Augenblick, bevor er fortfuhr: „Sie war schon bei uns, als meine Mutter gestorben ist. Die beiden waren gute Freundinnen.“

Ailsa konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. „Also behältst du sie hier, weil sie dich an deine Mutter erinnert?“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Im nächsten Moment presste er die Lippen aufeinander, als würde er es bereuen, dass er sich Ailsa gegenüber geöffnet hätte. „Bitte, fühl dich ganz wie zu Hause. Ich melde mich, falls es etwas Neues von nonno gibt.“ Damit drehte er sich um und ließ Ailsa allein in der Eingangshalle stehen.

Sie machte sich auf den Weg in die Küche, aber statt Teewasser aufzusetzen, blieb sie am Fenster stehen und schaute in den Garten. Das blaue Wasser des Swimmingpools glitzerte im strahlenden Sonnenschein.

Wie viele andere Frauen mochte Vinn im Pool geliebt haben? Bei der Frage verkrampfte sich ihr Magen.

Wie viele andere Frauen hatte er in dem Bett geliebt, das sie früher miteinander geteilt hatten?

Sie seufzte tief und drehte sich vom Fenster weg. Was ging sie das alles überhaupt noch an? Schließlich war sie diejenige gewesen, die ihn verlassen hatte. Wenn Vinn sich eine neue Partnerin gesucht hatte, war das sein gutes Recht. Immerhin waren sie seit fast zwei Jahren getrennt. Das war doppelt so lange, wie ihre Ehe gehalten hatte. Erwartete sie ernsthaft, dass ein Mann mit seiner sexuellen Energie in der ganzen Zeit enthaltsam gelebt hatte?

Sie verließ die Küche und stieg die Treppe hinauf, die zu ihrem ehemaligen gemeinsamen Schlafzimmer führte. Auch wenn sie Todesqualen leiden würde, sie musste doch einen kurzen Blick in das Zimmer werfen, um zu sehen, ob er irgendetwas darin verändert hatte.

Ganz langsam stieß sie die Tür auf, verharrte aber zunächst auf der Schwelle und atmete den noch in der Luft liegenden Duft von Vinns Aftershave ein. Das Doppelbett war sorgfältig gemacht, und sie fragte sich erneut, welche Frau zuletzt mit ihm darin geschlafen hatte.

Sie schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, und trat ein. Als würde sie wie eine Motte vom Licht angezogen, ging sie auf den begehbaren Kleiderschrank zu. Das wird jetzt wehtun, dachte sie. Dann zog sie die Tür auf …

4. KAPITEL

Reglos stand Ailsa da und starrte auf die Stangen mit den Designerkleidern. Einen Moment lang glaubte sie, es wären die Kleider einer anderen Frau. Aber sie erkannte die Stoffe und Farben wieder. Es waren wunderschöne, sündhaft teure Kleider – Geschenke, die Vinn ihr während ihrer kurzen Ehe gemacht hatte.

Sie hatte ihn damals Hals über Kopf verlassen und sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Sachen zu packen. Insgeheim hatte sie gehofft, Vinn würde ihr nachlaufen und sie auf Knien anflehen, zu ihm zurückzukommen. Das hatte er nicht getan. Und sie hatte keinen Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn nicht gebeten, ihre Sachen an die Londoner Adresse zu schicken. Sie hatte ihr Leben in Italien vergessen wollen. Die Kleider hätten sie nur an Vinn erinnert.

In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie sich wie ein störrisches Kind aufgeführt hatte. Warum hatte sie nicht versucht, Vinn zu verstehen? Warum hatte sie sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, was es mit dem Tod seiner Mutter auf sich hatte?

Weil sie Angst gehabt hatte, er könnte hinter ihr eigenes, schmutziges Geheimnis kommen.

Gedankenverloren strich sie über die herrlichen Kleiderstoffe. Warum hatte er ihre Sachen aufbewahrt? Warum hatte er sie nicht einfach in den Müll geworfen oder einer Wohltätigkeitsorganisation gespendet?

Sie trat einen Schritt zurück und schloss die Tür des begehbaren Kleiderschranks. Was wusste sie eigentlich über Vinn? Wie gut kannte sie ihn?

Hatte er ihre Sachen aus sentimentalen oder taktischen Gründen aufbewahrt? Vielleicht wollte er sie glauben machen, er hätte die Hoffnung auf eine Versöhnung nie aufgegeben. Vielleicht wollte er sie damit emotional unter Druck setzen.

Wut stieg in ihr hoch. Vinn kannte keine Skrupel. Und er hasste es, bei irgendetwas zu versagen. Für ihn war das eine unverzeihliche Schwäche. Er wollte sie drei Monate lang wieder an seiner Seite haben – aber was wollte er damit beweisen? Dass sie ihm nicht widerstehen konnte?

Ailsa lächelte in sich hinein.

Sie würde ihm schon noch zeigen, wie gut sie ihm widerstehen konnte.

Wie eine gefangene Raubkatze tigerte Vinn in seinem Mailänder Büro auf und ab und fragte sich, ob es vernünftig gewesen war, Ailsa allein in der Villa zurückzulassen. Vielleicht lief sie wieder davon. Schließlich hatte sie den Vertrag noch nicht unterschrieben, und er hatte kein Druckmittel gegen sie in der Hand.

Ailsa musste unbedingt bei ihm bleiben. Immerhin ging es um das Leben seines Großvaters. Als sie ihn vorhin im Krankenhaus besucht hatten, hatte er über das ganze Gesicht gestrahlt. Tatsächlich war sein Großvater damals sofort begeistert gewesen, als Vinn ihm seine zukünftige Braut vorgestellt hatte. Das war kein Wunder, denn eine bessere Frau als Ailsa konnte sich ein Mann nicht wünschen: Sie war hübsch und klug, gebildet und schlagfertig – wobei die letzte Eigenschaft die Schattenseite hatte, dass Ailsa reichlich schnippisch war. Aber sein Großvater bewunderte starke Frauen. Und Ailsa war eine der stärksten Frauen, die Vinn je getroffen hatte.

Natürlich hatte er sich Ailsa nicht nur ausgesucht, weil er seinem Großvater imponieren wollte, sondern weil er wusste, dass er sich körperlich immer zu ihr hingezogen fühlen würde. In seinem ganzen Leben war ihm keine zweite Frau begegnet, die dermaßen heftige Lust in ihm weckte. Noch jetzt begehrte er sie so sehr, dass seine Lenden fast schmerzten. Seit fast zwei Jahren versuchte er vergeblich, sie aus seinem Kopf zu bekommen. Nun war sie wieder da, und er wusste, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Wenn sie im selben Raum waren, lud sich die Atmosphäre sexuell auf, bis die Luft beinahe knisterte.

Eigentlich wartete jede Menge Arbeit auf ihn, aber er konnte sich auf nichts konzentrieren. Sein Großvater wurde noch immer operiert. Und Ailsa war allein in seiner Villa. Was sie wohl gerade tat? Hatte sie schon entdeckt, dass er ihre Kleider aufbewahrt hatte? Was mochte sie darüber denken? Er wusste selbst nicht, warum er die Sachen nicht an ihre Londoner Adresse geschickt oder weggegeben hatte.

Ailsa. Er wollte sie nur für drei Monate zurückhaben. In seinem Haus. In seinem Bett. In seinem Leben.

Wenn sie nicht freiwillig blieb, würde er sie erpressen. Ihm blieb keine andere Wahl.

Er musste sie wieder in seinem Bett haben.

Vielleicht wäre er nicht so darauf versessen, wenn er vorhin nicht das nackte Verlangen in ihren Augen gesehen hätte. Jede Faser ihres Körpers schien ihm zuzurufen, wie sehr sie ihn wollte. Und dennoch: Ailsa hatte ihm mehrmals unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie den Vertrag niemals unterschreiben würde. Aber er hatte andere Mittel und Wege, um sie zurückzuholen. Angenehme Mittel und Wege.

Er lächelte in sich hinein und klopfte sich innerlich auf die Schulter. Die Sache war bereits in trockenen Tüchern.

Am Abend saß Ailsa in der Villa und wartete auf Vinns Rückkehr. Stattdessen schickte er eine SMS, er sei wegen dringender Geschäfte in der Stadt aufgehalten worden und wisse nicht, wann er nach Hause kommen würde. Erst als sie die Absage las, wurde Ailsa bewusst, wie sehr sie sich nach ihm gesehnt hatte. Hatte er denn keine Angst, dass sie nach London zurückflog? Schließlich hatte sie seinen Vertrag noch nicht unterschrieben.

Aber er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Sonst hätte er sie kaum allein in der Villa zurückgelassen. Und sie wäre ganz bestimmt nach London zurückgeflogen, wenn das Leben seines Großvaters nicht auf der Kippe gestanden hätte.

Die ganze Nacht über machte sie kaum ein Auge zu. Natürlich hatte sie sich nicht ins ehemalige Ehebett gelegt, sondern ein Gästezimmer bezogen. Trotzdem lauschte sie ins Dunkle, ob Vinns Schritte auf der Treppe zu hören waren. Bei jedem noch so leisen Geräusch schreckte sie hoch. Aber jedes Mal war es nur ein Knacken im Gebälk oder ein vorbeifahrendes Auto. Immer wieder schaute sie auf die Uhr, und ihre Wut steigerte sich mit jeder verstrichenen Stunde. Ein Uhr. Zwei Uhr. Drei. Vier. Wo steckte er nur? Um diese Uhrzeit konnte er doch unmöglich noch arbeiten. War er bei einer anderen Frau?

Ihre Wut verwandelte sich in Schmerz. Sie rollte sich zusammen und kämpfte gegen die Tränen an. Wenn sie besser auf sich achtgegeben hätte, wäre sie jetzt nicht in dieser ausweglosen Situation. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass Vinn die Macht hatte, ihr das Herz zu brechen.

Irgendwann schlief sie doch ein, und als sie um neun Uhr morgens erwachte, fehlte von Vinn noch immer jede Spur. Um zehn schrieb er ihr eine SMS. Angeblich saß er bei seinem Großvater am Krankenbett. Aber stimmte das auch? Oder war er mit einer anderen Frau zusammen?

Am späten Nachmittag hatte Ailsa plötzlich den Eindruck, nicht mehr allein im Haus zu sein. Sie lief an Vinns Arbeitszimmer vorbei, und richtig: Hinter der Tür raschelte es. Ohne anzuklopfen, stürmte sie hinein.

„Seit wann bist du zurück? Ich habe seit gestern auf dich gewartet. Hättest du nicht wenigstens kurz hallo sagen können? Ich habe nämlich geglaubt, hier wäre ein Einbrecher.“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut.

Lässig lehnte er sich in seinem Ledersessel zurück und grinste sie an. „Und was hättest du getan, wenn ich tatsächlich ein Einbrecher gewesen wäre?“

Statt auf seine Frage einzugehen, stellte sie eine Gegenfrage. „Warum hängen meine Sachen noch im Schrank?“

„Ich habe darauf gewartet, dass du zurückkommst und sie abholst.“

Um ihre Wut unter Kontrolle zu bringen, holte Ailsa tief Luft. Doch es half nichts. „Du hattest kein Recht, meine Sachen zu behalten.“

„Du hast mich nie gebeten, sie dir zuzuschicken.“ Er schaute ihr in die Augen. „Warum nicht?“

„Du weißt, warum.“ Sie presste die Lippen aufeinander. „Du hast mir die ganzen Sachen gekauft, weil du mich in eine Vorzeigefrau verwandeln wolltest.“

„Soll das heißen, sie haben dir nicht gefallen?“

Und ob ihr die Kleider gefallen hatten! „Ich meine ja nicht, dass du einen schlechten Geschmack hast. Du hast nur von mir verlangt, eine Rolle zu spielen, die ich nicht spielen wollte.“

Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich auf die Kante. Ailsa war sich nur allzu bewusst, wie sich seine muskulösen Schenkel unter dem Stoff der dunklen Anzughose abzeichneten. Als sie aufblickte, waren ihre Augen auf gleicher Höhe. Am liebsten wäre sie in die hinterste Ecke des Zimmers geflüchtet, damit er nicht merkte, wie verletzlich sie sich in diesem Moment fühlte.

„Wann hast du deine Meinung geändert?“, fragte er.

Ailsa runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Wann hast du festgestellt, dass du nicht mehr meine ‚Vorzeigefrau‘ sein willst?“

Da sie nicht wusste, wohin mit den Händen, strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Wie sollte sie ihm sagen, dass sie in ihrer Ehe von Anfang an nicht glücklich gewesen war? Schon als kleines Mädchen hatte sie sich gewünscht, eines Tages ihren Märchenprinzen zu heiraten. Aber im Grunde hatte sie seinen Antrag nur angenommen, weil sie sich zum ersten Mal halbwegs normal und akzeptiert gefühlt hatte. In ihrem wunderschönen weißen Kleid, in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche, bei den Liedern und den Ehegelübden hatte sie für einen winzigen Moment vergessen, dass sie die Tochter eines Gewalttäters war. Aber die Realität hatte sie schnell wieder eingeholt. „Wir hätten niemals heiraten dürfen. Wir hätten uns mit einer Affäre begnügen sollen. Dann hätten wir uns als Freunde trennen können.“

Er schaute ihr tief in die Augen, bevor er den Blick zu ihrem Mund wandern ließ. Dann zog er mit einem Zeigefinger eine Linie von ihrer Wange bis zur Kinnspitze. Obwohl er ihre Lippen nicht berührte, prickelten diese plötzlich, als sei er kurz davor, sie zu küssen. „Glaubst du nicht, wir können eines Tages trotzdem Freunde sein, cara?“

Erneut presste sie die Lippen aufeinander, um das erwartungsvolle Prickeln zu unterdrücken. „Wir sind nie Freunde gewesen. Wir haben uns kennengelernt und hatten Sex. Dann haben wir geheiratet und hatten noch mehr Sex.“

Mit dem Daumen strich er an ihrer Unterlippe entlang, bevor er die Hand ruckartig wegzog. „Vielleicht hast du recht.“ Er seufzte. „Aber der Sex war fantastisch, oder?“

Himmel, warum hatte sie nur mit diesem Thema angefangen? Mit Vinn über Sex zu reden weckte ein fast unerträgliches Verlangen in ihr. „Ja, aber das heißt noch lang nicht, dass ich es noch mal will. Mit dir, meine ich. Wir sind praktisch geschieden und …“

Bevor Ailsa den Satz beenden konnte, hatte Vinn sie zwischen seine starken Schenkel gezogen. Halb abwehrend wollte sie die Hände auf seine Brust legen. Aber es war bereits zu spät. Er drückte sie an sich, bis sie seine harten Muskeln unter ihren Brüsten spürte. „Du willst mit mir schlafen. Nur mit mir. Deshalb hast du seit der Trennung keinen neuen Partner gehabt.“

Sie unternahm einen halbherzigen Versuch, sich von ihm loszureißen. In Wahrheit hätte sie am liebsten die Lippen auf seine gepresst und ihm die Kleider vom Leib gerissen. „Du hast seitdem bestimmt ein Dutzend Frauen gehabt. Wann hast du dich mit einer neuen getröstet? Einen Tag nachdem ich weg war? Oder noch in derselben Nacht?“

Er ließ sie los, als hätte er sich die Finger verbrannt, und erhob sich. Dann umrundete er den Schreibtisch, als wolle er sich dahinter verschanzen. „Bis unsere Scheidung in Kraft tritt, betrachte ich mich als verheiratet.“

Ailsa riss die Augen auf. „Willst du damit andeuten, du hättest keine andere Frau gehabt? Ich habe die Fotos in den Zeitungen doch selbst gesehen …“ Sie sprach nicht weiter, weil ihr klar wurde, dass sie sich gerade selbst verraten hatte.

„Natürlich lasse ich mich ab und zu in der Öffentlichkeit blicken. Dann brauche ich eine Begleitung. Aber bevor die Tinte unter dem Scheidungsvertrag nicht getrocknet ist, werde ich mich mit keiner anderen Frau einlassen. Das wäre nicht fair.“ Er runzelte die Stirn. „Warum guckst du so entgeistert?“

„Ich, äh, ich dachte, du hättest dich sofort … neu orientiert.“

„Weil ich ein so starkes sexuelles Verlangen habe?“ Ihre Blicke kreuzten sich.

Ob er ahnte, wie stark ihr eigenes sexuelles Verlangen in diesem Moment war? „Ich hätte dich nicht für den Typ Mann gehalten, der zwei Jahre lang enthaltsam lebt.“

Er zuckte die Schultern. „Ich habe andere Mittel und Wege gefunden, um die innere Anspannung loszuwerden. Vor allem habe ich mich aufs Geschäft konzentriert. Insofern hat sich die Enthaltsamkeit mehr als bezahlt gemacht.“

Ailsa konnte es immer noch nicht fassen. Vinn war ein attraktiver Mann, dem sich die Frauen reihenweise an den Hals warfen. Trotzdem war er enthaltsam geblieben. War das nur seinem Ehrgefühl geschuldet, oder gab es einen anderen Grund dafür?

Auch Ailsa hatte in der Zeit enthaltsam gelebt. Aber das hatte natürlich nur daran gelegen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, mit einem anderen Sex zu haben. Gelegentlich hatte sie einen attraktiven Mann kennengelernt. Aber dann hatte sie ihn im Geist doch nur mit Vinn verglichen, und der andere hatte stets verloren. Kein anderer Mann schaffte es, ihre Sinne so zu berühren wie Vinn.

Langsam ließ sie den Blick zu ihm schweifen. Aber die Gewissheit, dass er seit zwei Jahren keine Frau mehr gehabt hatte, lud die Atmosphäre zwischen ihnen noch stärker auf. Schon gestern in seinem Büro hatte es zwischen ihnen geknistert. Aber jetzt konnte man die sexuelle Spannung fast mit den Händen greifen. Ailsas Lippen fühlten sich ganz trocken an, und sie benetzte sie mit der Zunge. „Das … erklärt wohl, warum dein Kuss neulich etwas … stürmisch war.“

Erneut kam Vinn um den Schreibtisch herum und stellte sich vor Ailsa hin. Er hob die Hand und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Die sanfte Berührung traf sie wie ein gewaltiger Stromstoß.

„Drei Monate, cara. Mehr will ich doch gar nicht. Danach willige ich ohne weitere Bedingungen in die Scheidung ein.“

Sie konnte den Blick nicht von seinem Mund lösen, während ihr Körper einen Kampf mit ihrem Verstand ausfocht. Wenn sie sein Angebot ausschlug, würde er Isaac nicht unterstützen. Allerdings war ihr Bruder noch jung und konnte jederzeit eine neue berufliche Laufbahn einschlagen.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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