Julia Gold Band 100

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DIE GEKAUFTE BRAUT DES SCHEICHS von SUSAN MALLERY
Victoria kann es nicht fassen: Um einer Strafe zu entgehen, hat ihr ehrloser Vater sie an Prinz Kateb von El Deharia verkauft. Sechs Monate soll sie die Geliebte des Wüstensohnes sein, der wie ein orientalischer Märchenprinz wirkt, aber der auch einen ganzen Harem Frauen haben soll!

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  • Erscheinungstag 10.09.2021
  • Bandnummer 100
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718442
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Susan Mallery, Annie West

JULIA GOLD BAND 100

1. KAPITEL

Es war mitten in der Nacht, als Victoria McCallan aus dem Schlaf hochschreckte und ihr Bett von fünf bewaffneten, kräftig gebauten Palastwachen umzingelt fand. Augenblicklich wusste sie, dass die nächsten Stunden nicht besonders erfreulich verlaufen würden.

Ganz vorsichtig, die Bettdecke unter die Achseln geklemmt, setzte sie sich auf und knipste die Nachttischlampe an. Dann blinzelte sie in das plötzliche Licht.

Großer Gott, sehr kräftige, uniformierte Wachtposten. Die Stirn gerunzelt, stellte Victoria fest, dass jeder der Männer die rechte Hand knapp über dem Pistolengriff gespreizt hielt. Nein, das verhieß wahrhaftig nichts Gutes.

Sie räusperte sich und musterte den Wächter mit den meisten Rangabzeichen an der Uniform. „Sind Sie sicher, dass Sie sich im richtigen Zimmer aufhalten?“

„Victoria McCallan?“

Verdammt … Nun wurden die Neugier und die vage Sorge von wachsender Furcht verdrängt.

Das ließ sie sich nicht anmerken. Schon immer hatte sie dank ihres überzeugenden schauspielerischen Talents den Anschein erweckt, alles wäre in bester Ordnung – selbst wenn die Welt ringsum einzustürzen drohte.

„Ja?“ Sie hob das Kinn und unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Prinz Kateb möchte Sie sofort sehen.“

„Prinz Kateb?“

Natürlich war sie ihm bereits begegnet. Als Prinz Nadims Privatsekretärin kannte sie natürlich auch dessen Bruder, allerdings nur flüchtig. Prinz Kateb kam selten in die Stadt, weil er es vorzog, in der Wüste zu leben – zum Ärger seines Vaters.

„Was will er von mir?“

„Es steht mir nicht zu, darüber Auskunft zu geben. Wenn Sie uns folgen würden?“

Vielleicht äußerte der Wachtposten eine Bitte. Aber Victoria hatte das Gefühl, dass es zwecklos war, Nein zu sagen.

„Ja, gewiss. Geben Sie mir ein paar Minuten Zeit, und warten Sie draußen, damit ich mich anziehen kann …“

„Nicht nötig“, unterbrach er sie und warf ihr den Morgenmantel zu, der am Fußende des Betts gelegen hatte. Dann bedeutete er den anderen Wächtern, sich umzudrehen.

Victoria rang nach Atem. „Selbstverständlich werde ich dem Prinzen nicht im Morgenmantel gegenübertreten.“

Wie der stahlharte Blick des Wachmanns bekundete, befand sie sich im Irrtum.

Was geht hier vor? fragte sie sich. Unbehaglich schlüpfte sie in den Morgenmantel und stieg aus dem Bett.

„Verrückt“, murmelte sie vor sich hin und folgte den Männern zur Tür hinaus. „Wo ich doch gar nichts verbrochen habe …“

Sie war eine tüchtige Sekretärin, kümmerte sich gewissenhaft um Prinz Nadims Termine und die reibungslose Funktion seines Büros. Niemals feierte sie Partys in ihrem Zimmer, und sie war auch nicht mit dem königlichen Tafelsilber durchgebrannt. Sie besaß einen gültigen Reisepass, verstand sich gut mit den anderen Angestellten im Palast, und ihre Steuern bezahlte sie pünktlich.

Was um alles in der Welt mochte Prinz Kateb, den sie kaum kannte, veranlasst haben, diese Wachtposten in ihr Zimmer zu beordern? Dafür gab es keinen Grund …

Abrupt blieb sie stehen. Der Boss der Wächter wies sie an, weiterzugehen, und sie gehorchte. Aber sie beachtete nicht, wohin sie geführt wurde. Inzwischen hatte sie herausgefunden, worin das Problem lag. Und es war ein ziemlich großes.

Vor einem Monat, in einem Moment emotionaler Schwäche, hatte sie ihrem Vater eine E-Mail geschickt – in dem Wissen, welch schweren Fehler sie beging, wenn sie Kontakt mit ihm aufnahm. Aber als er geantwortet hatte, war es zu spät für einen Sinneswandel gewesen. Er war sofort an Bord eines Fliegers gegangen, um sie zu besuchen.

Seit jeher hat er mir nur Schwierigkeiten gemacht, dachte sie erbost, während sie mit den Wachtposten in einen Lift stieg und die Taste für das Untergeschoss gedrückt wurde. Normalerweise gab es in diesen Palästen keine Untergeschosse, sondern Verliese. Und ihr war klar, dass man in solchen Verliesen nichts Gutes erwarten konnte.

Die Tür öffnete sich, und sie betraten einen langen Korridor, dessen Wände aus unverputztem Stein bestanden. Die eisige Luft und die bedrückende Atmosphäre kündeten von vergangenen Jahrhunderten, von Angst und Schrecken.

Die Kehle von kalter Furcht verengt, konnte Victoria kaum atmen. Offensichtlich hatte ihr Vater etwas verbrochen. Daran zweifelte sie nicht. Nun lautete die Frage nur noch, welche Konsequenzen sie dafür auf sich nehmen musste. Wieder einmal …

Sie wurde zu einer offenen Tür geführt, und der Oberst der Palastwache bedeutete ihr, die Schwelle zu überqueren. Nach einem tiefen Atemzug – hoffentlich nicht ihr letzter – straffte sie die Schultern und betrat den Raum.

Erstaunlicherweise war es keine Gefängniszelle. An den Wänden hingen Gobelins, in der Mitte stand ein Spieltisch, von einem halben Dutzend Stühlen umgeben.

Victorias Blick blieb an dem Tisch haften, auf dem Spielkarten lagen. Dann sah sie ihren Vater in einer Ecke stehen und wusste Bescheid. Dean McCallan hatte sein Versprechen, nie wieder Karten zu spielen, nicht gehalten.

„Was hast du getan?“, fragte sie und ignorierte die anderen Anwesenden. Sie musste erfahren, was ihrem Vater und ihr selbst drohte.

„Nichts, Vi. Das musst du mir glauben.“ Um seine Unschuld zu betonen, hob er beide Hände. „Nur eine freundschaftliche Pokerpartie …“

„Du wolltest nie wieder spielen! Hast du nicht behauptet, du hättest deine Sucht überwunden und drei Jahre lang keine einzige Karte angerührt?“

Dean schenkte ihr sein berühmtes Lächeln, bei dessen Anblick ihre Mutter immer weiche Knie bekommen hatte. Auf Victoria übte es die gegenteilige Wirkung aus. Sie wusste, dass ihr Ärger bevorstand.

„Nun, der Prinz hat mich zu einem Spiel aufgefordert. Und es wäre unhöflich gewesen, das abzulehnen.“

Klar, dachte sie bitter, deine Schuld kann es ja gar nicht sein. Niemals würde ihr liebenswürdiger Vater sagen: Moment mal, Königliche Hoheit, vielen Dank für die Einladung. Aber ich bin kein guter Spieler. Oder, genauer ausgedrückt, ein viel zu guter. Drücken Sie mir ein Kartenpäckchen in die Hand, und ich vergesse alles andere …

Sie verdrängte die Erinnerungen an die Vergangenheit. „Wie viel?“, fragte sie stattdessen und ahnte, dass sie ihr Sparguthaben würde opfern müssen. Wahrscheinlich auch die Rücklagen für ihre Altersvorsorge.

Nach einem kurzen Blick auf die Wachtposten lächelte Dean seine Tochter freundlich an. „Um Geld geht es nicht, Vi.“

Angst krampfte ihr den Magen zusammen. „Um was dann?“, flüsterte sie von einer bangen Vorahnung erfüllt.

Im Korridor erklangen Schritte. Sie drehte sich um und sah Prinz Kateb eintreten.

Trotz ihrer Pantoffeln mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen überragte er sie mindestens um Haupteslänge. Seine Augen waren so schwarz wie sein Haar. Über eine Wange erstreckte sich eine Narbe, die bis zum Mundwinkel reichte und ihn ein wenig nach unten schob, wodurch der Eindruck entstand, der Scheich verachte alles und jeden.

Zu einer dunklen Hose trug er ein weißes Hemd – eine legere Kleidung, aber an ihm wirkte sie irgendwie majestätisch. Ohne die Narbe wäre er attraktiv gewesen. Und mit ihr glich er dem zum Leben erwachten Albtraum eines Kindes. Victoria musste sich beherrschen, um nicht zu erschauern.

„Ist das Ihr Vater?“, fragte er und starrte sie an.

„Ja.“

„Haben Sie ihn hierher eingeladen?“

Sollte sie sagen, dass sie es bedauerte? Dass sie ihn jahrelang nicht gesehen und dummerweise seinem Schwur, nie mehr zu spielen, geglaubt habe?

„Ja.“

Katebs dunkle Augen schienen in die Tiefe ihrer Seele zu blicken. Nervös zog sie den Morgenmantel fester um ihre Taille und wünschte, er würde nicht aus dünner Seide bestehen, sondern aus blickdichterem Material. Warum besaß sie keinen Morgenmantel aus Chenille wie normale Frauen? Und einen Jogginganzug? Den könnte sie tragen statt dieses kurzen Nachthemds mit dem süßen passenden Bikinihöschen. Nicht dass Kateb sich für ihren modischen Stil interessieren würde …

„Er hat beim Kartenspiel betrogen.“

Mit dieser Erklärung überraschte der Prinz sie nicht. Victoria schaute ihren Vater nicht einmal an. Er würde alles sagen oder tun, um sich aus der Affäre zu ziehen. Würde er die Wahrheit gestehen, wäre es ein glücklicher Zufall.

„Dafür entschuldige ich mich, Sir“, erklärte sie in ruhigem Ton. „Vermutlich werden Sie ihn sofort des Landes verweisen. Kann ich die Summe ersetzen, die er ergaunert hat?“

Nun trat Kateb einen Schritt näher. „Eine Deportation wäre keine ausreichende Strafe für dieses Verbrechen, Miss McCallan, weil sein Verhalten mich entehrt hat. Nicht nur mich, auch die königliche Familie von El Deharia.“

„W…was bedeutet das?“, stammelte Dean mit zitternder Stimme. „Vi, du darfst diesen Leuten nicht erlauben, mich zu foltern.“

Aber Victoria beachtete ihn nicht. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste einen Juristen finden, der bereit war, den Fall ihres Vaters zu übernehmen … Und sich gegen die königlichen Hoheiten zu stellen? Nein, das würde wohl kaum jemand riskieren. Gewiss, sie konnte sich an die amerikanische Botschaft wenden. Doch die Diplomaten hielten nicht viel von US-Bürgern, die gegen die Gesetze von El Deharia verstießen. Insbesondere, wenn sie Prinzen der Regentenfamilie verärgerten …

„Als seine ehrlose Tat entdeckt wurde“, fuhr Kateb fort und schaute Victoria eindringlich in die Augen, womit er sie offensichtlich auf den Ernst der Situation hinweisen wollte, „besaß er nicht genug Geld, um seine Schulden zu begleichen.“

„Wie ich bereits sagte, Sir, dafür werde ich aufkom…“

„Stattdessen bot er mir Sie an“, unterbrach er sie.

Der Raum begann sich, um sie zu drehen. Victoria verlor beinahe das Gleichgewicht, streckte die Hand aus und suchte Halt an der Wand.

„Das … begreife ich nicht“, wisperte sie.

Gleichmütig zuckte Kateb die Achseln. „Als ich Ihren Vater mit seinem Vergehen konfrontierte, bat er um Gnade. Er bot mir Geld an, das er sicher nicht besitzt. Nachdem er mit diesem Vorschlag keinen Erfolg erzielte, erwähnte er seine schöne Tochter, die alles tun würde, um ihn zu retten. Und er betonte, ich dürfte mich so lange mit Ihnen amüsieren, wie ich es wünsche.“

Victoria straffte die Schultern und starrte ihren Vater an, der ihrem Blick auswich und den Kopf senkte.

„Glaub mir, Schätzchen, ich hatte keine Wahl …“

„Oh, du hast immer eine Wahl“, erwiderte sie kühl. „Zum Beispiel hättest du nicht pokern müssen.“

Sie zwang sich zu einer würdevollen Haltung und schaute wieder den Prinzen an. „Was geschieht jetzt?“

„Natürlich wird Ihr Vater ins Gefängnis gebracht. Der Richter muss das Strafmaß festlegen. Acht oder zehn Jahre sollten reichen.“

„Großer Gott, nein!“ Dean McCallan sank auf den Steinboden und schlug die Hände vors Gesicht.

In diesem Moment wirkte er wie ein völlig gebrochener Mann. Zu gern wollte Victoria glauben, er hätte die Konsequenzen seiner Taten endlich erkannt, seine Lektion gelernt und er würde sich ändern. Doch sie wusste es besser. Er war unfähig zu einer solchen Einsicht.

Aber vor zehn Jahren hatte die Mutter ihr das Versprechen abgenommen, Dean zu schützen. Um jeden Preis. Victoria war die schwere Verpflichtung eingegangen, weil ihre Mom sie stets geliebt und unterstützt hatte. Ihre einzige Schwäche war Dean gewesen. Und durfte sich nicht jeder Mensch einen Fehler erlauben?

„Bitte, Prinz Kateb, bestrafen Sie mich an seiner Stelle.“

„Das würdest du für mich tun, Vi?“, fragte Dean hoffnungsvoll und stand auf.

„Nein, für Mom“, widersprach sie, ohne Kateb aus den Augen zu lassen. „Werfen Sie mich ins Gefängnis. Auch ich bin eine McCallan. Was mein Vater tat, verletzt meine Ehre genauso wie seine.“

„Mag sein. Trotzdem widerstrebt es mir, Sie hinter Gitter zu bringen.“ Kateb sehnte sich nach der Wüste zurück. Dort war das Leben einfach, und man musste sich keine Gedanken über Gesetze machen. An die hielt man sich, ohne Fragen zu stellen. Wäre Dean McCallan da draußen bei einem Betrug ertappt worden, hätte ihm jemand die Hand abgehackt – oder den Kopf. Da würde es keine langwierigen Diskussionen geben.

Sollte er eine Frau für das Verbrechen ihres Vaters im Gefängnis büßen lassen? Unvorstellbar. Nicht einmal diese Frau, die nur eine Verschwendung der Luft darstellte, die sie einatmete.

Er kannte Victoria McCallan – zumindest gut genug, um ihren Charakter zu beurteilen. Gewiss, sie war hübsch, mit reizvollen Rundungen und blondem Haar. Sie arbeitete für Nadim. Seit zwei Jahren versuchte sie sein Interesse zu erregen, weil sie einen Prinzen heiraten wollte. Davon abgesehen, machte sie sich nichts aus Nadim, was Kateb ihr nicht verübelte. Der Mann besaß die emotionale Tiefe eines Sandkorns und die Persönlichkeit einer grau gestrichenen Wand.

Vor Kurzem waren ihre Pläne jedoch durch Nadims Verlobung mit einer Frau, die der König ausgesucht hatte, vereitelt worden. Kateb nahm an, Victoria würde das Land bald verlassen, auf der Suche nach einem anderen reichen Heiratskandidaten. In der Zwischenzeit musste er entscheiden, was mit ihrem Vater geschehen sollte.

Er wandte sich an den Oberst der Palastwache. „Führen Sie ihn ab.“

Atemlos umklammerte Victoria Katebs Arm, und er ignorierte die Reaktion seines Körpers auf die Berührung. Sie war eine Frau, er ein Mann – mehr steckte nicht dahinter.

„Nein, das dürfen Sie nicht tun.“ Flehend schaute sie zu ihm auf. „Ich werde alle Ihre Wünsche erfüllen, wenn Sie ihn verschonen.“

Kateb schüttelte ihre Hand ab. „Sie überschreiten Ihre Grenzen, Miss McCallan, und Sie strapazieren meine Geduld.“

„Bitte – er ist mein Vater!“

Sein Blick schweifte zwischen Victoria und Dean McCallan hin und her. Beinahe hätte er schwören können, sie würde ihren Vater verachten. Wozu dieser Gefühlsausbruch? Warum sorgte sie sich um den Mann? Oder ging es ihr gar nicht um sein Schicksal? Sah sie in dieser Situation eine neue Chance? War ein Prinz so gut wie der andere?

Früher hatte er die Frauen nicht so zynisch betrachtet. Er hatte an die Liebe geglaubt, an das Glück einer Ehe. Aber seit fünf Jahren wurde er auf allen Kontinenten von Frauen verfolgt. Für ihn persönlich interessierten sie sich nicht. Nur für seinen Titel und das Vermögen, das sie gewinnen würden, wenn sie einen Scheich heiraten.

Er trat zurück und musterte die Frau, die vor ihm stand. In Seide und Spitze, in lächerlichen Pantoffeln. Mit langen Locken, großen Augen und rosigen, verführerischen Lippen. Der Ausschnitt ihres Morgenmantels zeigte den Ansatz voller Brüste.

Was immer nötig war, um ihren Willen durchzusetzen, würde sie tun. Und obwohl er einen Feind respektierte, der jedes Mittel nutzte, das ihn zum Sieg führte – er schätzte es nicht, wenn solche Taktiken gegen ihn verwendet wurden.

Dachte sie wirklich, er wäre so dumm, auf ihre oberflächliche Schönheit hereinzufallen? Wie weit würde sie gehen, um einen Prinzen zu erobern?

Er schaute ihren Vater an, der mit angstvoll geweiteten Augen dastand. Würde er untätig mit ansehen, wie seine Tochter sich für ihn opferte? Oder machten die beiden gemeinsame Sache, weil sie den Scheich in den Hafen der Ehe locken wollten?

Nein, sagte ihm seine Intuition. Doch solange er nicht sicher war, rechnete er mit dem Schlimmsten.

„Bringt ihn nach draußen, und haltet ihn dort fest“, befahl er leise.

Die Wachtposten packten Dean, der sich jammernd und flehend wehrte, zerrten ihn aus dem Raum und schlossen die Tür.

„Was würden Sie tun, um Ihrem Vater zu helfen, Miss McCallan?“, fragte Kateb.

„Was immer Sie verlangen, Sir.“

In ihren blauen Augen flackerte etwas auf, das er für Angst gehalten hätte, wäre er ein gütiger Mann gewesen. Aber das war er schon lange nicht mehr.

„Einer alleinstehenden Frau muss es schwerfallen, sich in einer Männerwelt wie der unsrigen zu behaupten.“ Es irritierte ihn, dass er Victoria McCallan trotz ihrer derangierten äußeren Erscheinung begehrenswert fand, und er versuchte seinem wachsenden Verlangen nach ihr keine Beachtung zu schenken. „Wie lange arbeiten Sie schon für Nadim?“

„Seit zwei Jahren.“

„Schade, dass er verlobt ist und Ihre Pläne durchkreuzt wurden.“

Victoria zuckte zusammen. „Mit meinem Vater hat das nichts zu tun.“

„Sind Sie sicher? Vielleicht wollen Sie jetzt mich umgarnen, nachdem Nadim unerreichbar ist. Welch eine großartige Chance für Sie … mir in einer solchen Aufmachung gegenüberzutreten und mich um Gnade zu bitten.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie glauben, ich will Sie verführen?“ In ihrer Stimme schwang unverhohlener Zorn mit. „Und dass ich beim Anblick von fünf Wachtposten, die um mein Bett herumstanden, dem Himmel für diesen Glückstag dankte und dachte: ‚Oh, wundervoll, endlich kann ich mich an Prinz Kateb heranmachen! Dann suche ich mir mal ein aufreizendes Outfit heraus!‘“

Irgendwie klingt ihre Ironie glaubwürdig, gestand er sich widerstrebend ein. Diesen Gedanken teilte er ihr natürlich nicht mit. Und sie besaß ein Temperament, das ihm genauso gut gefiel wie ihr Körper.

„Bestreiten Sie, dass Sie Nadim heiraten wollten?“

Plötzlich schien ihr Kampfgeist zu verfliegen. „Ich hätte nicht Nein gesagt“, gab sie zu und senkte den Blick. „Aber es war nicht so, wie Sie vermuten. Mir ging es vor allem um Sicherheit. Prinzen lassen sich nicht scheiden. Zumindest nicht in diesem Land.“

„Fühlen Sie sich nicht zu ihm hingezogen?“

„Nun, er ist nett.“

Kateb wartete.

Zögernd hob sie den Kopf. „Was wollen Sie? Mich bestrafen, weil ich von einer Ehe mit einem Prinzen geträumt habe? Also gut, tun Sie es meinetwegen – es steht in Ihrer Macht. Vorerst sorge ich mich viel mehr um meinen Vater.“

„Warum?“

„Weil er mein Vater ist.“

„Das ist nicht der Grund. Ich habe bemerkt, wie sehr Sie ihm grollen, weil er Sie in diese Situation gebracht hat.“

„Trotzdem bleibt er mein Vater.“

Ihren Worten folgte ein längeres Schweigen, das Kateb nutzte, um sie forschend zu betrachten. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt sie seinem Blick stand. Was immer sie sonst noch veranlassen mochte, für ihren Vater einzutreten, sie war nicht bereit, es ihm zu verraten. Interessant …

„Würden Sie seinen Platz einnehmen?“, fragte er leise.

„Ja.“

„Im Gefängnis?“

Sie schluckte schwer, und er spürte ihre Furcht.

„Ja.“

„Obwohl das Leben hinter Gittern sehr unangenehm ist?“

„Ich habe ein Versprechen gegeben.“

Nur widerwillig schien ihr das Geständnis über die Lippen zu kommen, und er ahnte, dass es wichtig war, wenn er sich auch nicht vorstellen konnte, worum es ging.

Ein Versprechen. Was wusste eine Frau wie sie über Versprechen?

„Ihr Vater versuchte mich zu bestehlen“, erklärte er in frostigem Ton. „Hätte ich ihn nicht entlarvt, wäre er mit siebenhunderttausend Dollar geflohen.“

Entsetzt hielt Victoria den Atem an.

„Kehren Sie in Ihr Zimmer zurück“, befahl er. „Sobald das Urteil feststeht, werden Sie verständigt. Sie dürfen Ihren Vater noch einmal sehen, bevor er seine Haftstrafe antritt. Danach nicht mehr, weil …“

„Nein!“ Mit beiden Händen ergriff sie seinen Arm. „Nein, bitte nicht!“ In ihren Augen glänzten Tränen. „Ich habe meiner Mutter auf ihrem Sterbebett versprechen müssen, ihn zu beschützen. Sie liebte ihn abgöttisch, und ich flehe Sie an, sperren Sie ihn nicht ein! Nehmen Sie mich an seiner statt! Er hat mich Ihnen doch angeboten, nicht wahr?“

Katebs Augen verengten sich. „Das war nicht ernst gemeint.“

„Doch. Und Sie haben sich darauf eingelassen und gewonnen. Nehmen Sie mich!“

„Als – was?“

Sie ließ seinen Arm los und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Was immer Sie wünschen …“

2. KAPITEL

Nur zu deutlich spürte Victoria, wie der Scheich die Geduld verlor. Allzu viele Möglichkeiten blieben ihr nicht mehr. Verdammt, dachte sie erbost und schlüpfte aus ihrem Morgenmantel.

Die leichte Seide sank auf den Steinboden. Schimmernd lag sie zu ihren Füßen. Kateb hielt seinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet.

„Vielleicht wirken Sie nicht so verführerisch, wie Sie glauben.“

„Vielleicht nicht. Aber ich muss es versuchen.“

Mit unergründlichem Augenausdruck betrachtete er sie, und sie unterdrückte ein Zittern. Schließlich schob er einen dünnen Träger ihres Nachthemds über ihre Schulter hinab, dann den anderen. Auch das kurze Hemdchen glitt zu Boden.

Nur mit ihrem winzigen Bikinihöschen bekleidet, stand sie vor Kateb. Verzweifelt wollte sie ihre nackten Brüste bedecken und sich abwenden. Scham und Verlegenheit trieben ihr brennende Röte in die Wangen. Aber sie rührte sich nicht. Was sie dem Scheich offerierte, war ihre letzte Trumpfkarte. Wenn sie damit keinen Erfolg erzielte, musste sie sich mit der Niederlage abfinden.

Dean McCallan verdiente nicht, was sie für ihn tat. Das wusste sie. Doch um ihn ging es nicht – nur um das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte.

Was mochte Kateb denken, während er sie von oben bis unten musterte? Sie hatte keine Ahnung. Gefiel sie ihm? Oder nicht?

Nach einigen Sekunden kehrte er ihr den Rücken. „Ziehen Sie sich an.“

Also hatte sie verloren.

Jeder weitere Versuch, den Scheich umzustimmen, wäre sinnlos gewesen. Victoria riss sich zusammen. Nein, vor diesem Mann würde sie nicht weinen. Unglücklich bückte sie sich, hob ihre Sachen auf, schlüpfte in das Nachthemd und den Morgenmantel.

Kateb ging in den Korridor hinaus. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, folgte sie ihm. Er blieb vor ihrem Vater stehen.

„Ihre Tochter hat sich bereit erklärt, mir als Geliebte zu dienen. Ich nehme sie in die Wüste mit, für sechs Monate. Sie, Mr. McCallan, werden El Deharia mit dem ersten Flugzeug morgen früh verlassen und nie wieder hierher zurückkehren. Haben Sie mich verstanden?“

Zum zweiten Mal in dieser Nacht fiel es Victoria schwer, ihr Gleichgewicht zu wahren. Also nahm Kateb ihr Angebot an, und ihr Vater würde nicht hinter Gittern landen?

Ihrer momentanen Erleichterung folgte die beklemmende Erkenntnis, dass sie sich einem Mann verkauft hatte, von dem sie fast nichts wusste und der offensichtlich nicht viel von ihr hielt.

Kateb wandte sich zu den Wächtern. „Bringen Sie Mr. McCallan in sein Zimmer. Bewachen Sie ihn, während er seine Sachen packt, und fahren Sie ihn zum Flughafen.“

Victoria beobachtete, wie ihr Vater weggeführt wurde. Am Ende des Korridors drehte er sich um und winkte ihr zu. „Sicher wird es dir gut gehen, Vi. Ruf mich an, wenn du wieder daheim bist.“

Ohne eine Miene zu verziehen, ignorierte sie ihn. Und dann war sie mit dem Wüstenscheich allein.

„Morgen brechen wir auf“, erklärte er. „Seien Sie um zehn Uhr bereit.“

Victoria wünschte, er möge ihr versichern, dass sie kein allzu schlimmes Schicksal befürchten müsse – dass er kein Unmensch sei und die Zeit schnell vergehen würde. Aber sie bedeutete ihm nichts. Also fühlte er sich auch nicht verpflichtet, sie zu trösten.

„Gehen Sie in Ihr Zimmer zurück“, befahl er.

Sie nickte und setzte sich in Bewegung.

„Jenes Versprechen – war er es wert?“, hörte sie Kateb plötzlich fragen.

Sie drehte sich um. „Für mich nicht“, gab sie zu. „Nur für meine Mutter.“

Victoria hatte befürchtet, sie würde nicht rechtzeitig fertig sein. Aber diese Sorge war unbegründet. Wenn man nicht schlafen kann, hat man Zeit in Hülle und Fülle, dachte sie, während sie ihre Schubladen ein letztes Mal inspizierte.

Um neun Uhr achtundfünfzig hörte sie Schritte im Flur. Ihr Gepäck stand bereit – die Koffer für die Reise in die Wüste, die Kartons, die ihr restliches Eigentum enthielten. Ein imposanter Haufen. In den letzten beiden Jahren hatte sich einiges angesammelt.

Es klopfte an der Tür, und Kateb stolzierte ins Zimmer.

Mit anderen Worten konnte man sein Erscheinen nicht beschreiben. Er bewegte sich schnell und selbstbewusst, mit einer maskulinen Geschmeidigkeit, die bekundete, dass er sich in jeder Situation zurechtfand. Eigentlich hatte Victoria erwartet, er würde für die Reise ein traditionelles Gewand wählen. Stattdessen trug er Jeans, ein langärmliges Hemd und Stiefel. Abgesehen von seiner majestätischen Arroganz hätte er beinahe wie ein normaler Mann gewirkt – ein sehr attraktiver normaler Mann mit einer ausgeprägten Narbe und Augen, bei deren Anblick Victoria stets das Gefühl hatte, dass sie ihr in die Seele schauten.

„Sind Sie fertig?“, fragte er.

„Nein.“ Sie zeigte auf die Kartons und die geschlossenen Koffer. „Den ganzen Plunder habe ich nur zum Spaß da hingestellt.“

Schweigend hob er die Brauen.

Okay, vielleicht war trockener Humor deplatziert. „Tut mir leid“, murmelte sie, „ich bin ein bisschen nervös. Ja, ich bin fertig.“

„Heute Nacht haben Sie nicht zu fliehen versucht.“

Seltsamerweise sprach er von einem Versuch. Das klang wie: Es wäre Ihnen ohnehin nicht gelungen.

„Nun, ich hatte Ihnen mein Wort gegeben. Bitte, sagen Sie nichts, was mich beleidigen würde. Selbst wenn Sie es nicht glauben – auf mein Wort ist Verlass.“

„Weil das für das Wort Ihres Vaters nicht gilt?“

„Ja, ich weiß, ich weiß – die klassische psychologische Reaktion einer Person, die mit einem chronischen Lügner leben musste. Können wir jetzt gehen?“

Zum zweiten Mal hob er die Brauen. Merk dir das, ermahnte sie sich. Prinz Kateb mag keinen trockenen Humor, und es missfällt ihm, wenn jemand anders Entscheidungen treffen will. Beide Erkenntnisse nicht besonders ermutigend …

Zur Tür gewandt, sagte er etwas, das sie nicht verstand, und ein paar Männer kamen ins Zimmer und griffen nach dem Gepäck.

„Gibt es in Ihrer Residenz elektrischen Strom?“, fragte sie. „Ich habe meinen Lockenstab eingepackt.“ Von ihrem Fön, dem iPod und dem Ladegerät für das Handy ganz zu schweigen. Ob in der Wüste ein Handy-Netz existierte, wusste sie nicht. Jedenfalls wollte sie das Gerät vor der Rückreise aufladen.

„Was immer Sie brauchen, werden Sie vorfinden“, erwiderte Kateb.

Nicht unbedingt ein Ja, überlegte sie. „Möglicherweise haben wir verschiedene Vorstellungen von den Dingen, die ich brauche. Die Bedeutung eines Lockenstabs werden Sie wohl kaum erkennen.“

Sein Blick schweifte zu ihrem Haar, das sie für die Reise zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Aber an den Enden lockte es sich. Obwohl sie gewissermaßen ein Gefängnis aufsuchen würde, wollte sie gut aussehen.

„Lassen Sie uns gehen“, verlangte er.

An Katebs Seite durchquerte sie den Palast, und sie verließen ihn durch den Hinterausgang. Im Hof parkten mehrere große Lastwagen.

So viel Gepäck habe ich nun auch wieder nicht“, sagte sie erstaunt.

„Wir nehmen Vorräte mit“, erklärte Kateb. „In der Wüste schaffen die Leute nur an, was sie brauchen. Sie fahren mit mir“, fügte er hinzu und wies auf einen Landrover.

„Ah, der SUV der Könige“, murmelte sie, doch plötzlich versagte ihr die Stimme. Trotz des warmen Sonnenscheins fröstelte sie. Ihre Angst steigerte sich zur Panik, und ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.

Nein, unmöglich … Sie konnte diesen Mann, den sie kaum kannte, nicht in die Wüste begleiten. Und was würde passieren, wenn sie angekommen waren? Ein solches Opfer verdient mein Vater nicht, dachte sie bitter. Und er wusste es auch gar nicht zu würdigen. Aber ich muss es tun – für Mom, rief sie sich in Erinnerung.

„Victoria?“

Ein Wachtposten hielt ihr die Beifahrertür auf. Nach einem tiefen Atemzug, der ihre Nerven ein wenig beruhigte, sank sie auf den glatten Ledersitz. Der Wagenschlag wurde geschlossen. Unnatürlich laut hallte das Geräusch in ihren Ohren – als würde sie von allem abgeschnitten, was gut und sicher war.

Inzwischen hatten die Männer ihr Gepäck in einen Laster geladen. Inmitten dieser Schar von Arbeitern, Wächtern und Fahrern war sie die einzige Frau. Da gab es niemanden, an den sie sich wenden könnte, der sie beschützen würde. Sie war ganz auf sich allein gestellt.

Kateb steuerte den Landrover auf die vertraute Straße, die in die Wüste führte. Spätestens morgen um diese Zeit würden sie jegliche Zivilisation hinter sich gelassen haben. Glücklicherweise schwieg Victoria. Nach der rastlosen Nacht war er nicht in der Stimmung für belanglose Konversation.

Unter normalen Umständen hätte er ihr nicht die Schuld an seinem Schlafmangel gegeben. Aber er hatte sich stundenlang in seinem Bett herumgewälzt und versucht, nicht an sie zu denken. Ein unmögliches Unterfangen, nach dem Anblick ihres fast nackten Körpers … Offenbar hatte sich dieses Bild seinem Gehirn unauslöschlich eingeprägt. Nicht einmal die Augen musste er schließen, um die helle Haut, die vollen Brüste zu sehen.

Die Vision verfolgte ihn und erinnerte ihn daran, wie viel Zeit verstrichen war, seit er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Und seine Begierde ärgerte ihn maßlos.

Sich selbst grollte er heftiger als ihr. Andererseits fiel es ihm leicht, ihr die Verantwortung anzulasten. Könnte er sich nicht so gut beherrschen, würde er an den Straßenrand fahren und sie einfach nehmen, auf dem Vordersitz – und zum Teufel mit all den Männern.

Doch das würde er nicht tun. Nicht nur, weil er eine Frau niemals zwingen und seinen Angestellten kein Spektakel bieten würde, sondern vor allem, weil er keinen beliebigen Sex mit irgendeinem gesichtslosen weiblichen Wesen wollte, sondern Victoria McCallan. Und das störte ihn gewaltig.

Vor fünf Jahren war Cantara gestorben, die Liebe seines Lebens, und seit fünf Jahren betrauerte er den Verlust. Hin und wieder trieben ihn sexuelle Bedürfnisse ins Bett einer Frau. Aber diese kurzen Stunden verschafften ihm nur körperliche Erleichterung. Die Frauen waren bloß Mittel zum Zweck. Mehr nicht. Und er weigerte sich, Victoria mit anderen Augen zu betrachten.

Natürlich glich sie Cantara kein bisschen. Voller Wehmut dachte er an seine Frau, eine lachende, dunkelhaarige Schönheit, in der Wüste geboren. Sie waren zusammen aufgewachsen, und sie hatte ihn verstanden. So stolz sie auch gewesen war – niemals hatte sie gefordert, sie müsse auf derselben Stufe stehen wir er.

Er warf einen Seitenblick auf Victoria und bemerkte, dass sie die Zähne zusammenbiss. Sie war blass. Krampfhaft ineinandergeschlungen, lagen ihre Finger im Schoß. Und da wusste er, was mit ihr los war.

Sie hatte Angst.

„Bis wir unser Ziel erreichen, wird nichts passieren“, versicherte er in scharfem Ton und hoffte, sie würde nicht fragen, was sie erwartete, wenn sie in seiner Residenz ankamen. Darauf wusste er keine Antwort. Sie begleitete ihn, weil er ihr Angebot akzeptiert hatte, im Austausch gegen die Freilassung ihres Vaters, und das Wüstengesetz respektierte ein solches Opfer. Aber wollte er wirklich mit ihr schlafen?

Forschend sah er sie wieder an. Sie trug Jeans, Stiefel mit lächerlich hohen Absätzen und ein Hemd aus dünnem Stoff, das sich an ihre Brüste schmiegte. Entschlossen zwang er sich, wieder auf die Straße zu schauen. Sie war attraktiv, und er würde es genießen, wenn sie sein Bett teilte. Allerdings nur für eine Nacht, sagte er sich. Eine längere intime Beziehung kann nicht gut gehen. Deshalb musste er Victoria irgendwie beschäftigen.

„Hoffentlich habe ich genug Sonnenschutzmittel eingepackt“, murmelte sie mehr zu sich selbst.

„Wenn nicht, können wir einen ausreichenden Vorrat bestellen“, erwiderte er.

„Also werden Sie mich nicht der gnadenlosen Sonne ausliefern und warten, bis die Ameisen mich bei lebendigem Leib aufgefressen haben?“

„Wir sind doch nicht im Wilden Westen!“, entgegnete er verwundert.

„Das weiß ich. Trotzdem wäre es eine schreckliche Strafe. Hängen ginge schneller.“

„Leider ist es schwierig, jemanden zu retten, der am Galgen baumelt.“

„Gutes Argument …“

Allmählich schien ihre Angst nachzulassen. Ihr Parfüm stieg ihm in die Nase – vielleicht war es auch ihr ganz eigener, natürlicher Duft. So oder so, er fand den Geruch reizvoll. Und das ärgerte ihn.

Kateb seufzte. Sechs Monate, dachte er. Eine halbe Ewigkeit …

Zweimal unterbrachen sie die Fahrt, um Wasser zu trinken und Toiletten aufzusuchen. Erleichtert atmete Victoria auf, weil sie zivilisierte sanitäre Anlagen benutzten. Doch das würde sich sicher ändern, je weiter sie in die Wüste vordrangen.

Kurz vor Sonnenuntergang hielten sie an, und die Männer schlugen ein Nachtlager auf. Sie errichteten Zelte und holten Schlafsäcke aus den Lastwagen.

In der Mitte des Camps beugten sich zwei Männer über einen großen Campingkocher, ein anderer baute etwas auf, das wie ein Gas-Barbecue aussah. Victoria beobachtete sie interessiert.

Kateb trat zu ihr.

„Diese Campingkocher funktionieren ausgezeichnet“, erläuterte er. „Sie werden schnell heiß, und die Flammen sind ungefährlich.“

„Hier gibt es nicht viel, das Feuer fangen könnte.“

„Doch, wir.“

„Oh ja, das stimmt.“ Sie sah Kateb an. „Soll ich den Männern helfen?“

„Warum?“, fragte Kateb verwundert.

„Nun, sie gehören zum Personal, Sir, ebenso wie ich. Da ist es nur höflich, wenn wir einander beistehen.“

„Von Ihnen wird kein Küchendienst erwartet.“

Natürlich, sie musste andere Pflichten erfüllen. Victoria ignorierte das flaue Gefühl in ihrem Magen und verdrängte alle Gedanken an ein Nachtlager, das sie womöglich mit Kateb teilen würde. Damit wollte sie sich erst später befassen. Nach der Ankunft in dem mysteriösen Wüstendorf. Bis dahin war sie in Sicherheit.

Sie betrachtete ihn. Nahm die stolze Haltung seines Kopfes in sich auf, die tiefe Narbe auf der Wange. In der Wüste war er ein unumschränkter Herrscher, und er konnte mit ihr machen, was er wollte. Daran würde ihn niemand hindern. Also ist meine Sicherheit nur relativ, dachte sie und wich einen Schritt zurück.

Abermals wurde ihr Blick von der Narbe auf seiner Wange angezogen. Gerüchte besagten, Kateb sei als Junge einmal entführt worden. Die Einzelheiten kannte sie nicht, und sie hatte das Thema nicht wichtig genug gefunden, um sich danach zu erkundigen. Was sie über ihn wusste, würde nur wenige Zeilen einer E-Mail füllen. Wäre es vorhersehbar gewesen, wie viele Monate sie in seiner Gesellschaft verbringen würde, hätte sie gründliche Informationen gesammelt.

Einer der Männer stellte zwei Klappstühle in den Schatten. Da Victoria nichts von protokollarischen Details verstand, setzte sie sich erst, nachdem Kateb Platz genommen hatte.

Dankbar ergriff sie eine der beiden Wasserflaschen, die der Mann ihnen brachte. „Ich bin in Texas aufgewachsen“, begann sie, nur um das Schweigen zu brechen – nicht, weil sie glaubte, dass es Kateb interessierte. „In einer kleinen Stadt zwischen Houston und Dallas. Da ist es ganz anders als hier, obwohl es im Sommer auch sehr heiß wird. Ich erinnere mich an heftige Gewitter. Nicht, dass solche Unwetter die Hitze gemildert hätten …“

„Haben Sie gern in Texas gelebt?“

„Etwas anderes kannte ich nicht.“ Sie zuckte die Schultern. „Manchmal verschwand mein Dad für mehrere Wochen, und Mom vermisste ihn schmerzlich. Aber ich war am glücklichsten, wenn ich mit ihr allein war. Da fühlte ich mich sicher. Wenn er zurückkam, hatte er die Taschen voller Geld oder war völlig pleite und furchtbar wütend. So oder so, meine Mutter strahlte vor Freude – bis er uns wieder verließ.“

„Wann ist sie gestorben?“

„An meinem siebzehnten Geburtstag.“ Nur widerstrebend dachte Victoria daran. „Meistens hatte sie zwei Jobs. Tagsüber arbeitete sie in einem Friseursalon, abends in einer Bar. Sie träumte davon, mit mir zusammen eine Parfümerie zu eröffnen. Und ich verschwieg ihr, dass ich mit achtzehn von zu Hause weggehen wollte.“

„Wo sind Sie gelandet?“

„In Dallas.“ Bei der Erinnerung lächelte sie. „Für mich war das eine riesige Stadt. Ich bekam einen Job, schrieb mich in einem College ein, studierte Betriebswirtschaft. Und ich rackerte mich wirklich ab – zuerst als Kellnerin in einem Stehimbiss, dann in hübscheren Lokalen. Da gab es viel mehr Trinkgeld. Nach meinem Collegeabschluss fand ich eine Stellung bei einer Ölfirma.“

„Dort lernten Sie Nadim kennen.“

In Katebs Stimme schwang ein missbilligender Ton mit, der ihr nicht entging.

„Ja, eines Tages.“

„Und Ihr Vater?“

„Ich sah ihn nur selten. Ab und zu kam er vorbei und verlangte Geld.“

„Haben Sie es ihm gegeben?“

„Beim ersten Mal, dann nicht mehr.“ Auch daran wollte sie nicht denken. „Es gibt wohl nicht zufällig eine Dusche in einem dieser Lastwagen?“

„Nein, da müssen Sie warten, bis wir im Dorf ankommen.“

Großartig. „Lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, wenn ich frage, ob Sie ein Verlängerungskabel mitgebracht haben? Für meinen Lockenstab?“

Kateb starrte sie an. In seinen Augen las sie kein bisschen Amüsement. Nicht einmal seine Mundwinkel zuckten. „Damit kann ich nicht dienen.“

„Haben Sie überhaupt keinen Humor?“ Sie wusste, dass sie einen Fehler beging – oder sich zumindest unverschämt benahm.

„Waren Sie komisch?“

„Vorsicht!“ Victoria lachte. „Sicher wollen Sie nicht den Eindruck erwecken, Sie besäßen menschliche Züge.“

„Ich verfüge über viele Eigenschaften, Victoria.“

Er sah sie unverwandt an, mit Augen, die sie an ein Raubtier erinnerten.

Nein, das bildete sie sich ein. Im Grunde interessierte er sich nicht für sie. Nur weil sie mit einem unmoralischen Angebot die Schulden ihres Vaters beglich, nahm er sie in sein Wüstendorf mit. Aber nachdem ihr der Gedanke an ein Raubtier durch den Sinn gegangen war, ließ er sich nicht mehr verdrängen. Plötzlich war sie sich seiner Nähe überdeutlich bewusst. Und obwohl sie sich im Freien befanden, beherrschte seine Aura die ganze Umgebung.

Ein Schauer rann ihr den Rücken hinab.

„Werden wir die ganze Strecke im Auto fahren?“ Sie hoffte, ein neutrales Thema würde ihre Nerven beruhigen.

„Nein.“ Nun sah er fort. „Den letzten Wegabschnitt werde ich reiten. Wenn Sie möchten, leisten Sie mir Gesellschaft. Vorausgesetzt, Sie können reiten.“

„Auf einem Pferd? Oder auf einem Kamel?“

„Auf einem Pferd.“

„Dann begleite ich Sie gern.“ Während ihres ersten Jahres in El Deharia hatte sie reiten gelernt. Der freie Zugang zu den königlichen Stallungen zählte zu den Pluspunkten ihres Jobs. Sogar die Pferde, die das Personal benutzen durfte, waren edle Vollblüter und schnell wie der Wind.

„Hoffentlich haben Sie vernünftigeres Schuhwerk eingepackt als dieses da.“

Sie schaute auf ihre Stiefel mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen. „Oh, sie sind todschick.“

„Aber unpraktisch.“

„Die habe ich im Schlussverkauf ergattert. Und wenn ich Ihnen verrate, zu welchem Schnäppchenpreis, werden Sie staunen.“ Sie sah ihn an und gleich wieder fort. „Vielleicht auch nicht.“ Vermutlich war Kateb nicht der Typ, der einkaufen ging. Schon gar nicht zum Schlussverkauf.

Nachdenklich musterte sie Kateb. Was erwartete er von ihr? Welche Pflichten würde sie erfüllen müssen? Plante er wirklich, sie in sein Bett zu holen? Wieder stieg Angst in ihr auf.

„Wo werde ich schlafen?“, fragte sie.

Kateb zeigte auf ein Zelt, das in der Mitte stand.

„Entschuldigen Sie mich.“ Sie stand auf und ging in das Zelt, in dem sie ein Klappbett mit Bettzeug vorfand. An einer der Segeltuchwände stapelte sich ihr Gepäck. Hier hatte sie genug Platz, und der Raum wirkte nach Campingmaßstäben sogar gemütlich.

Aber das interessierte sie nicht sonderlich. Sie sank auf das Bett und rollte sich zusammen. Ihre ungewisse Zukunft erschien ihr wie ein Geier, der über ihr kreiste – bereit, sich auf sie herabzustürzen.

Okay, ziemlich melodramatisch, gestand sie sich ein. Trotz dieser Erkenntnis wuchs ihre Angst mit jeder Minute. Draußen erklangen die gedämpften Stimmen der Männer. Etwas später wurde die Zeltklappe geöffnet, und ein Koch erklärte ihr, das Dinner sei fertig.

„Danke“, erwiderte sie, auf den Ellbogen gestützt. „Ich bin nicht hungrig.“

Was er antwortete, verstand sie nicht. Er verschwand, und ein paar Sekunden später trat Kateb ein.

„Wo liegt Ihr Problem, Victoria?“

„Ich bin nicht hungrig.“

„Schmollen Sie? Mit zickigen Frauen habe ich keine Geduld. Sie müssen etwas essen. Stehen Sie auf.“

Seine offenkundige Verachtung bewog sie dazu, aufzuspringen. Die Hände in die Hüften gestützt, starrte sie ihn an. „Erlauben Sie sich bloß nicht, mich zu beleidigen! Ich habe einen wirklich schlimmen Tag hinter mir, okay? Tut mir leid, wenn ich Sie mit meinem Verhalten ärgere. Aber das müssen Sie akzeptieren.“

„Keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Tatsächlich? Dann betrachten Sie die Situation doch einmal aus meiner Perspektive. Ich habe mich an Sie verkauft, und ich kenne Sie kaum. Welches Schicksal mir droht, weiß ich nicht. Ich habe mich für einen Mann geopfert, der es nicht verdient. Und jetzt bin ich hier mit Ihnen, in der Wüste. Vorhin sagten Sie, bis zu unserer Ankunft im Dorf wird nichts passieren. Und was wird geschehen, wenn wir dort sind? Was werden Sie mit mir machen? Wollen Sie mich – vergewaltigen?“

Ihre Stimme begann zu zittern, und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Trotzdem hielt sie Katebs Blick stand.

Nach einem tiefen Atemzug entgegnete er: „Wie können Sie es wagen, eine solche Anklage gegen mich zu erheben? Ich bin Prinz Kateb von El Deharia.“

„Anklage? Sie haben mich bei einer Pokerpartie gewonnen, und jetzt schleppen Sie mich in die Wüste, weil ich sechs Monate lang Ihr Bett teilen muss. Was soll ich davon halten? Unterstehen Sie sich, mir zu erklären, es gebe keinen Grund zur Sorge! Unter diesen Umständen habe ich zweifellos das Recht auf einen kleinen Nervenzusammenbruch.“

„Hören Sie auf mit diesem Unsinn“, befahl er und ergriff ihren Arm.

Über ihre Wange rollte eine Träne, die sie schweigend wegwischte.

„Ich werde Ihnen nicht wehtun“, beteuerte er leise.

„Wie kann ich mir da sicher sein?“

Er hielt ihren Blick fest, und sie versuchte etwas in seinem Gesicht zu lesen – etwas Tröstendes, Sanftes. Doch sie konnte nur Unnachgiebigkeit erkennen. Schließlich wandte er sich ab und ließ sie allein.

Eine Zeit lang stand sie reglos in der Mitte des Zelts und wusste nicht mehr ein noch aus. Schließlich sank sie erschöpft auf die Bettkante. Was jetzt?

Ehe sie einen Entschluss fassen konnte, kam Kateb zurück. Er brachte einen gefüllten Teller, eine Wasserflasche und eine seltsam geformte schwarze Box mit, die etwa so groß wie ein Brotlaib war.

„Sie müssen essen.“ Er reichte ihr den Teller. „Oder wollen Sie krank werden?“

Als ihr der Duft von Fleisch und Gemüse in die Nase stieg, knurrte ihr der Magen. Dennoch fürchtete sie, keinen Bissen hinunterzubringen. Sie zeigte auf die schwarze Box, die er zusammen mit der Flasche auf den Klapptisch gestellt hatte. „Was ist das?“

„Ein batteriebetriebener Stromumwandler.“ Er drehte die Box herum, sodass Victoria eine Steckdose sehen konnte. „Für Ihren Lockenstab.“

Ungläubig hielt sie den Atem an. „Oh, wirklich? Ich kann mein Haar zu Locken drehen?“

„Offenbar finden Sie das sehr wichtig.“

Obwohl sie immer noch Angst hatte, fühlte sie sich nicht mehr so verzweifelt. Ihr Magen knurrte wieder. Vielleicht konnte sie sogar essen. Was ihr bevorstand, wusste sie nicht. Aber vorerst war alles in Ordnung.

3. KAPITEL

Am dritten Tag hatte sich eine gewisse Routine entwickelt, mit der Victoria gut zurechtkam. Katebs Entschluss, sie die meiste Zeit zu ignorieren, gehörte dazu. Sie fuhr auch nicht mehr in seinem SUV mit, sondern in einem Lastwagen, und er behandelte sie genauso wie seine Männer. Das half ihr, sich ein wenig zu entspannen und ihre Sorge um die Zukunft vorerst zu vergessen.

Einzigartig, die Schönheit der Wüste, dachte sie in der Mittagspause. Der Koch reichte ihr eine Schüssel mit Eintopf. Lächelnd dankte sie ihm und setzte sich auf einen Klappstuhl, der ein wenig abseits stand. Von hier aus konnte sie Kateb unauffällig beobachten …

Es gefiel ihr, wie er mit seinen Männern umging. Ohne sie herumzukommandieren, konnte er sich ihres Respekts sicher sein, und sie schauten zu ihm auf, weil er die angeborenen Qualitäten eines Anführers besaß. Ihr Blick blieb auf seiner Narbe haften.

Was war ihm zugestoßen? Danach hätte sie ihn gern gefragt. Aber sie redeten kaum noch miteinander. Außerdem wäre das ein ungünstiges Thema, um ein Gespräch zu eröffnen. Zwischen ihnen herrschte gewissermaßen ein Waffenstillstand, den sie nicht aufs Spiel setzen wollte. Am vergangenen Abend hatte er ihr eine Lampe gebracht, damit sie lesen konnte, wenn sie es wünschte. Sicher nicht die Handlungsweise eines grausamen Irren …

Vielleicht würde sie als seine Geliebte kein allzu schlimmes Schicksal erleiden. Er war intelligent und kraftvoll. Und er scherzte mit den Männern. Sein Gelächter klang angenehm. Nicht, dass er jemals mit ihr gelacht hätte …

Nachdem sie ihren Lunch beendet hatte, trug sie die Schüssel zum Wassereimer und spülte sie. Dann richtete sie sich auf und zuckte zusammen, weil Kateb neben ihr stand.

„Warum müssen Sie sich so lautlos heranschleichen?“

„Das Dorf ist nicht mehr weit entfernt. Zwanzig Meilen zu Pferd, fast fünfzig im Laster. Natürlich müssen diese großen Vehikel die Reise auf der Straße fortsetzen. Ich werde reiten. Begleiten Sie mich?“

„Ja, gerne. Geben Sie mir zehn Minuten Zeit, damit ich was anderes anziehen kann.“

„Was Sie tragen, eignet sich sehr gut für einen Ritt“, erklärte er.

„Aber mein Reit-Outfit ist wirklich cool.“

„Zeigen Sie es mir später.“

„Oh, Sie wollen bloß nicht warten, während ich mein Gepäck durchwühle.“

„Erraten. Seien Sie in fünf Minuten fertig.“

„Und wo kriegen wir Pferde her?“

„Die wird man uns bringen.“

Kateb schlenderte davon, und sie sah ihm nach. Was sollte sie von ihm halten? Einerseits machte er sie für sechs Monate zu seiner Geliebten. Das war gar nicht gut. Andererseits hatte er ihr elektrischen Strom für ihren Lockenstab beschafft. Und er sorgte für sie, meistens nur aus der Ferne. Wie auch immer, es war die seltsamste Beziehung – oder Quasi-Beziehung – ihres bisherigen Lebens.

Nach viereinhalb Minuten ritt ein Mann heran und führte zwei Pferde am Zügel. Kateb sprach mit ihm, dann brachte er die Tiere zu Victoria. „Wie gut reiten Sie?“

„Ist es nicht ein bisschen zu spät für diese Frage?“

Wortlos schaute er sie an. Nein, Humor war definitiv nicht seine Sache.

„Okay, ich bin keine erstklassige Reiterin. Aber ich habe fast zwei Jahre lang alle zwei Tage im Sattel gesessen.“

Einer der Männer trat neben sie, schlang seine Finger ineinander, sodass sie einen Steigbügel bildeten. Unschlüssig sah Victoria zu dem Lastwagen, der ihr gesamtes Gepäck enthielt, auch ihre Geldbörse. Sollte sie einfach davonreiten und alles zurücklassen? Blieb ihr etwas anderes übrig?

Sie setzte ihren Fuß auf die verschränkten Hände des Mannes und schwang sich in den Sattel. Nach drei Tagen im Landrover oder in einem Lastwagen fand sie es wunderbar, auf einem Pferd zu sitzen. Auch Kateb stieg auf und lenkte seinen Hengst neben ihren Wallach. „Wir reiten nach Nordosten.“

„Sehe ich so aus, als wüsste ich, welche Richtung das ist?“

Er zeigte in die Wildnis, zu Hügeln voller niedrigem Gestrüpp und Gräsern, die im Sand wuchsen. Glaubte er, das würde ihren Orientierungssinn fördern?

Dann spornte er sein Pferd an. Ohne Victorias Zutun folgte der Wallach. Sehr angenehm, dachte sie. Also würde ihr der Ritt keine Schwierigkeiten bereiten.

„Wenn Sie fliehen, werde ich nicht nach Ihnen suchen“, verkündete Kateb. „Sie werden tagelang durch die Wüste irren und schließlich verdursten.“

„Oh, bitte, das ist doch blanker Unsinn!“, seufzte sie, ehe sie sich an seinen königlichen Status erinnerte. Manchmal war es besser, seine erlauchte Position zu berücksichtigen und nicht alles auszusprechen, was man dachte.

Er würdigte sie keines Blickes. „Glauben Sie?“

„Sicher werden Sie mich keiner tödlichen Gefahr ausliefern.“

„Wollen Sie mich auf die Probe stellen?“

„Lieber nicht.“

Kateb lächelte. Ein Lächeln, das seine Züge völlig veränderte. Plötzlich wirkte sein Gesicht nicht mehr streng und unnahbar, sondern erstaunlich attraktiv – und fast freundlich.

Irgendwo in ihrem Inneren zog sich etwas zusammen. Nicht aus Furcht oder Sorge, sondern wegen dieses Mannes. Sie fühlte sich ein bisschen schwindlig. Und dann verspürte sie Panik.

Nein, nein, nein, sagte sie sich. Ich bin immun gegen seine Anziehungskraft. Alles andere wäre Wahnsinn. Einem Mann ihr Herz schenken? Niemals, das wusste sie besser. Und wenn sie sich in einen Scheich verliebte, der sie in sechs Monaten wegschickte – eine Riesendummheit. Der garantierte Ruin.

Victoria holte tief Luft. Sie musste sich in den Griff kriegen. Sofort. Dass sie Kateb attraktiv fand, bedeutete gar nichts. Reine Biologie. Okay – sie hatte ein gewisses Prickeln verspürt. Aber ein Prickeln war nicht Liebe. Also gab es keinen Grund zur Sorge. Letzten Endes bedeutete es nur, dass sie es ertragen würde, sein Bett zu teilen. Und das war gut.

„Was ist los?“, fragte Kateb. „Ist Ihnen übel?“

„Nein, warum?“

„Weil Sie seltsam aussehen. Stimmt irgendetwas nicht?“

Irgendwie musste sie ihn ablenken. „Alles in Ordnung. Wie lange leben Sie schon in der Wüste?“

„Seit meinem Studienabschluss.“

„Und was machen Sie in Ihrem Dorf?“, fragte sie weiter. „Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie gebrauchte Kamele verkaufen.“

„Nun, ich arbeite mit den Ältesten und den Geschäftsinhabern zusammen, um eine stabilere finanzielle Infrastruktur zu entwickeln. Durch diese Gegend fließt eine Menge Kapital. Aber niemand weiß, wie man es effektiv nutzt.“

„Lassen Sie mich raten. Haben Sie Betriebswirtschaft studiert?“

„Ja.“ Jetzt war es Kateb, der das Thema wechselte. „Wieso hat Nadim Sie eingestellt?“

„Während er ein paar Wochen in Dallas verbrachte, wurde sein Assistent krank und musste nach El Deharia zurückfliegen. Ich hatte mit dem Mann zusammengearbeitet, offenbar zu seiner Zufriedenheit. Daher bot Nadim mir den Job an.“

„War es für Sie Liebe auf den ersten Blick?“ In Katebs Stimme schwang ein höhnischer Unterton mit.

„Ich habe nie behauptet, ich sei in Nadim verliebt gewesen“, entgegnete Victoria kühl.

„Fällt es Ihnen deshalb leichter, Ihren Misserfolg zu ertragen?“

Victoria zuckte die Schultern. „In diesem Teil der Welt sind arrangierte Ehen doch nach wie vor üblich. Ich habe einfach nur versucht, meine eigene zu arrangieren.“

„Weil Sie an Nadims Geld herankommen wollten.“

Anscheinend begriff er es noch immer nicht.

„Um Geld ging es nicht.“

„Darauf haben Sie mich bereits hingewiesen.“ Kateb schien ihr nicht zu glauben.

Ihr Ärger wuchs. Schließlich ließ er sich nicht mehr bezähmen, und sie explodierte. „Sie haben keine Ahnung!“, brach es aus ihr heraus. „Gar nichts wissen Sie – weil Sie als Prinz aufgewachsen sind, in einer privilegierten Position. Sie mussten niemals hungern. Sie verstehen nicht, wie das ist, wenn die Mutter weint, weil kein Geld für Lebensmittel da ist – weil ihr Mann ihr jeden Cent weggenommen hat. Manchmal verkaufte er Sachen, zum Beispiel den Fernseher. Einmal sogar ihr Auto. Fast ein Jahr lang musste sie zu Fuß zur Arbeit gehen, bis sie genug Geld für einen neuen Wagen gespart hatte.“

Nach einem tiefen Atemzug sprach sie weiter.

„Ja, ich war arm. Furchtbar arm. Meine Kleider bekam ich von der kirchlichen Wohlfahrt. Es war so demütigend, Sachen zu tragen, die andere Mädchen abgelegt hatten – das Gelächter und Getuschel in der Schule zu hören. Sie, Hoheit, mussten nie vor einer Essensausgabe Schlange stehen, weil Ihr Lunch vom Staat bezahlt wurde. Und alle wussten Bescheid. Nein, Sie können sich nicht vorstellen, wie einem zumute ist, wenn man von der Sozialfürsorge lebt …“

Von schmerzlichen Erinnerungen überwältigt, wollte sie einfach nur noch fort. Sie spornte ihr Pferd an, beugte sich im Sattel vor, und der Wallach galoppierte los.

Kateb schaute ihr nach. Da sie den richtigen Weg einschlug, musste er sich nicht sorgen, dass sie sich verirrte. Und wenn sie ihrem Pferd die Zügel schießen ließ, würde es den Stall finden.

Anerkennend stellte er fest, wie gut sie sich im Sattel hielt. Allerdings hingen ihre Schultern vornüber, als würden sie von einer schweren Last niedergedrückt.

Hatte sie die Wahrheit gesagt? Er kannte sie nicht lange genug, um ihren Worten zu trauen. Aber die Scham in ihren Augen war echt gewesen, ebenso die Verzweiflung in ihrer Stimme. Falls sie wirklich in bitterer Armut aufgewachsen war, sollte er sich vielleicht bemühen, ihr Streben nach Sicherheit zu verstehen.

Auf einer kleinen Anhöhe zügelte sie ihr Pferd, und er folgte ihr.

„Ist das Ihr Dorf?“, fragte sie erstaunt.

„Ja.“

„Dann sollten Sie an Ihrer Ausdrucksweise arbeiten.“

Victoria hatte sich ein paar Zelte, einen primitiven Stall und vielleicht einen Schuppen vorgestellt. Stattdessen lag eine kleine Stadt in der Talsenke vor ihr, mit Straßen und Häusern, von Feldern umgeben.

„Betreiben die Leute Landwirtschaft?“, fragte sie.

„Ja. Es gibt mehrere unterirdische Flüsse im Tal, die für eine ausreichende Bewässerung sorgen. In der Wüste hängt alles Leben vom Wasser ab.“

Verwundert runzelte sie die Stirn. „Wie viele Menschen leben hier?“

„Einige Tausend.“

„Wohl kaum ein Dorf.“

„Mit der Zeit ist es gewachsen.“

Die Felder erstreckten sich an den Rändern des Tals und terrassenförmig in die Hügel hinauf. Im Ort selbst gab es mehrere Markplätze und ein großes Gebäude im Zentrum – vielleicht eine Art Rathaus oder eine Schule. Eine Straße wand sich ins Tal hinab. Langsam, noch in weiter Ferne, näherten sich die Lastwagen. Am anderen Ende des Tals, auf den Klippen, beherrschte ein steinernes Bauwerk die Landschaft.

„Was ist das?“, fragte sie und zeigte darauf.

„Der Winterpalast.“

„Wer wohnt dort?“

„Traditionell der Regent, den der Ältestenrat bestimmt. Der letzte Herrscher, Bahjat, starb vor ein paar Monaten. Deshalb wird demnächst eine Wahl stattfinden. Großzügigerweise erlaubte Bahjat mir, im Palast zu wohnen.“

„Weil Sie der Sohn des Königs sind.“

„Teilweise. Wir standen uns sehr nahe. Für mich war er wie ein Großvater.“

„Dann müssen Sie ihn schmerzlich vermissen.“

Kateb nickte und ritt den Hang hinab.

Zu Victorias Erleichterung war es nicht schwierig, dem unebenen Weg zu folgen, und sie vertraute ihr Schicksal dem Wallach an, der sich zweifellos besser zurechtfand, als es ihr gelingen würde.

Bis sie das Tal erreichten, dauerte es fast eine Stunde. Sie ritten an Feldern und Bauernhäusern vorbei. Dann bogen sie in einen Sandweg ein, der neben einer gepflasterten Straße entlanglief. Victoria schaute sich erstaunt um. Unfassbar, wie groß das sogenannte Dorf war, wie viele Menschen hier lebten … Überall entdeckte sie interessante Kombinationen von Alt und Neu. Neben Generatoren erhoben sich Wassermühlen.

Kateb schaute ihr nach.

Die meisten Gebäude bestanden aus Stein, mit großen Fenstern und dicken Mauern. Unter breiten Verandadächern konnte man sich vor der Sonne schützen. Zu fast allen Häusern gehörten Gärten und Brunnen.

Erfreut winkten die Dorfbewohner dem Scheich zu, fröhliches Stimmengewirr begrüßte ihn. Victoria spürte neugierige Blicke und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

„Werde ich im Palast wohnen?“, fragte sie. „Oder woanders?“

„Im Palast. Nicht in meinen Räumen.“

Okay, sehr gut. Also gönnte er ihr eine gewisse Privatsphäre. „Gibt es in meinem Quartier eine Dusche?“

Belustigt sah er sie an. „Ja – eine, die sogar Ihren Ansprüchen genügen wird.“

Und was würde passieren, wenn sie geduscht hatte? In der Nacht?

„Außerdem werden Sie elektrischen Strom und sonstigen modernen Komfort vorfinden“, fuhr er fort.

Sie tat ihr Bestes, um einen angstvollen Schauder zu unterdrücken. Ein Schritt nach dem anderen, sagte sie sich. Erst einmal würden sie im Palast ankommen, dann konnte sie sich immer noch mit der Zukunft befassen. Und bis dahin würde sie sich ablenken, so gut sie konnte.

Auf dem Markt, an dem sie vorüberritten, gab es frisches Obst und Gemüse in Hülle und Fülle, auch jene Schmuckstücke aus gewebten Goldfäden, die ihr so gut gefielen. Hier würde sie einkaufen gehen, sobald sie Zeit hatte. Einkaufen machte glücklich. Je mehr, desto …

Sie bogen um eine Ecke, und plötzlich ragte der Winterpalast vor ihr auf.

Soweit sie es feststellen konnte, bestand er aus mehreren Gebäudeteilen. Eine mächtige Mauer umgab die verschiedenen Trakte und Türme. Im hellen Sonnenschein schimmerten die Dächer. Eine wuchtige Zugbrücke führte zum zentralen Tor. Zu beiden Seiten erstreckten sich Brücken zu anderen Eingängen. Zahlreiche Leute gingen ein und aus.

„Wie kommen die Lastwagen in den Palast?“, wollte sie wissen.

„Die Straße führt an der Rückfront entlang“, erklärte Kateb. „Dort gibt es eine Lieferantenzufahrt und Garagen.“

Als sie über die Zugbrücke ritten, winkten die Passanten Kateb zu. Victoria wurde neugierig gemustert, aber niemand erkundigte sich, wer sie war. Wahrscheinlich konnten die Leute sich denken, weshalb die blonde Frau ihn begleitete. Victoria fühlte sich wieder genauso wie in ihrer Jugend – beklommen und gedemütigt.

Im Innenhof zügelte Kateb sein Pferd und schwang sich aus dem Sattel. Auch Victoria stieg ab. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Beine nach dem langen Ritt erinnerten, wie man einen Fuß vor den anderen setzte. Dann folgte sie Kateb in den Palast.

Eine imposante Treppenflucht führte von der riesigen Eingangshalle, in der reges Leben und Treiben herrschte, zu den oberen Stockwerken hinauf. Das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, malte Farbflecke auf den Boden. Prachtvolle Teppiche hingen an den Wänden.

Kateb führte sie durch endlose Korridore. Überall fanden sich exquisite Kunstschätze, Marmor und Gold, und Victoria sah sich staunend um. Von der Schönheit des Palastes überwältigt, vergaß sie fast, warum sie hier war. An ihre Angst erinnerte sie sich erst wieder, als Kateb stehen blieb.

„Hier werden Sie wohnen“, sagte er und öffnete eine geschnitzte Doppeltür. „Ihre Unterkunft wird Ihnen gefallen.“ Keine Frage, sondern eine Feststellung …

Schmerzhaft hämmerte ihr das Herz gegen die Rippen.

Dicke Teppiche in leuchtenden Farben dämpften die Schritte. Flüchtig glitt Victorias Blick über ovale Sofas und üppig gepolsterte Sessel, Intarsientische und Laternen, die von der Decke herabhingen. Sie folgte Kateb durch eine Zimmerflucht, bis sie einen ummauerten Garten voller saftig grüner Pflanzen erreichten. Süßer Jasminduft erfüllte die Luft, Papageien flatterten umher.

Langsam drehte Victoria sich um die eigene Achse. Ihr Gehirn weigerte sich, den einzig möglichen Schluss zu ziehen. Doch es gab keinen Zweifel. Diese Räume. Der ummauerte Garten. Papageien.

Solche Räume dienten einem ganz bestimmten Zweck. In den ummauerten Gärten hielten sich nur Frauen auf, Männer hatten keinen Zutritt. Und das Gekreische der Papageien übertönte weibliche Stimmen, das Gelächter, das niemand hören sollte. Weil es verboten war.

Die Hände in die Hüften gestemmt, wandte sie sich zu Kateb um und hätte alles für einen Gegenstand gegeben, den sie ihm an den Kopf werfen konnte.

„Haben Sie mich in einen Harem gebracht?“

„Nun, das erschien mir angemessen“, erwiderte er und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Dann ließ er sie allein.

4. KAPITEL

Victoria wusste nicht, wie lange sie auf die geschlossene Tür gestarrt hatte, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte.

Sie drehte sich um und sah eine hochgewachsene ältere Frau auf sich zukommen – mit aufgestecktem grauem Haar, in einem langen, fließenden Kleid, das kühl und bequem wirkte. An beiden Handgelenken glänzten goldene Armreife, an den Ohrläppchen baumelten goldene Ringe.

„Sie müssen Victoria sein“, begann sie freundlich. „Soeben wurde ich über Ihre Ankunft informiert. Ich bin Yusra. Willkommen im Winterpalast.“

„Danke.“

„Wir alle freuen uns, weil der Harem endlich wieder benutzt wird. Viel zu lange war es still zwischen diesen Mauern.“

Instinktiv trat Victoria einen Schritt zurück. „Also finden Sie es richtig, wenn Frauen hier eingeschlossen werden?“

Yusra lächelte. „An der Außenseite dieser Tür gibt es kein Schloss, Victoria. Nur innen – um Leuten, die nicht hierher gehören, den Zutritt zu verwehren. Noch nie wurde eine Frau gegen ihren Willen im Winterpalast festgehalten.“

„Tut mir leid“, sagte Victoria leise. „Ich bin müde. Und das alles ist neu für mich, es verwirrt mich. So etwas Luxuriöses hatte ich nicht erwartet.“

Nun lächelte Yusra wieder. „Der Harem ist wirklich sehr schön. Bald werden Sie das feststellen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie schlafen werden.“

Victoria folgte ihr durch die Zimmerflucht.

„Dieses Gemach habe ich für Sie ausgesucht.“ Yusra beendete die Besichtigungstour in einem großzügig geschnittenen Raum mit einer Glastür, die in den Garten führte. „Wenn es Ihnen nicht gefällt, wählen Sie ein anderes.“

„Nein, es ist sehr schön.“ Victoria bemühte sich, das Bett zu ignorieren. Breit genug für zwei … Aber Kateb würde den Harem wohl kaum aufsuchen. Hier war sie sicher. Nur wenn er sie in seine Suite beorderte, musste sie sich sorgen. Sie kämpfte die nervöse Anspannung nieder, die ihre Kehle verengte.

„Da sind Ihre Sachen.“ Yusra zeigte auf die Koffer, die an der Wand standen. „Im Übrigen habe ich Ihnen eine traditionelle Garderobe zusammenstellen lassen.“

„Traditionell? Auf welche Weise?“ Victoria trat hinter Yusra in eine Ankleidekammer, die einen riesigen Schrank und diverse Kommoden enthielt.

Im Schrank hingen lange, fließende Gewänder, eines schöner als das andere. Fasziniert berührte Victoria Stickereien, zarte Seide, strich über unglaublich winzige, exakt ausgeführte Stiche. Bewunderte leuchtende Farben, exotische Schnitte. Erst nachdem sie eine der Roben vom Bügel genommen hatte, fiel ihr auf, wie durchsichtig der Stoff war. Ihre Knie begannen zu zittern.

„Und … was soll ich darunter tragen?“

Jetzt wirkte Yusras Lächeln fast anzüglich. „Gar nichts.“ Sie lachte. „Keine Bange, es wird Ihnen Spaß machen. Der feine Stoff liebkost Ihre Haut und erinnert Sie an die Zärtlichkeiten eines Liebhabers.“

So genau wollte ich es gar nicht wissen, dachte Victoria. Hastig hängte sie das Kleid in den Schrank zurück. Ihre Wangen brannten.

„Lassen Sie mich Ihnen das Bad zeigen“, schlug Yusra vor. „Sicher brauchen Sie etwas Zeit für Ihre Vorbereitungen.“

Victoria ignorierte die Anspielung und folgte der älteren Frau aus der Ankleidekammer.

Durch einen Torbogen gelangten sie in den Hauptraum des Bades. Nacheinander deutete Yusra auf fünf weitere Torbögen. „Das Dampfbad. Die Sauna. Der Massageraum. Der Whirlpool, die Duschkabinen.“

Victoria trat an das Becken mit dem wirbelnden Wasser. An einem Ende erhob sich ein Felsblock, von dem ein Wasserfall herunterplätscherte – eine perfekte, scheinbar natürliche Dusche, in einem Haremsbad.

Am Beckenrand wuchsen Pflanzen. Die sprühenden Tropfen des Wasserfalls fingen das Licht ein und erzeugten zahllose Regenbögen. Was für ein Paradies, mitten in der Wüste …

„Ich nehme an, Sie werden sich erst einmal frisch machen wollen“, bemerkte Yusra.

„Stundenlang, fürchte ich“, seufzte Victoria.

Die ältere Frau wies auf einen Stapel flauschiger Handtücher, die in einem Regal bereitlagen, und zeigte ihr, wo das Telefon stand. „Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas brauchen. Der Prinz erwartet Sie zum Dinner. In zwei Stunden schicke ich eine Dienerin, die Sie zu seinen Räumen begleiten wird.“

Oh Gott, heute Abend? Sofort verflog Victorias gute Stimmung. Schon so bald?

„Wir alle freuen uns über Ihre Ankunft im Winterpalast“, fügte Yusra ernsthaft hinzu. „So viele Jahre lang war der Prinz einsam und traurig.“

Traurig? Kateb? Victoria runzelte die Stirn.

„Sie sind die erste Frau seit langer Zeit, die er hierher gebracht hat, Victoria. Vielleicht können Sie ihm ein Lächeln entlocken.“

Zwei Stunden später war Victoria bereit. Bis zur letzten Minute hatte sie gewartet, bevor sie in das Kleid ihrer Wahl geschlüpft war. Kühl und weich streichelte es ihre Haut und ließ ihren Körper erahnen. Gewiss kein modischer Stil, der ihr Selbstvertrauen stärkte …

Als sie das lange Cape, das sie im Schrank gefunden hatte, um ihre Schultern legte, betrat eine junge Frau den Raum und nickte Victoria ehrerbietig zu.

„Darf ich Sie bitten, mir zu folgen, Madam?“

Nach einem Labyrinth aus Korridoren erreichten sie eine reich geschnitzte Tür, so groß und breit wie der Eingang zum Harem. Zu beiden Seiten standen Wachtposten, und einer öffnete die Tür. Das Mädchen wich zurück und bedeutete Victoria, einzutreten. Nur sekundenlang zauderte sie, bevor sie tief Luft holte und die Schwelle der Suite überquerte, in der Kateb residierte.

Zunächst gewann sie den flüchtigen Eindruck eines lichterfüllten Raumes von großzügiger Weite, dann fiel ihr Blick auf den niedrigen, für zwei Personen gedeckten Tisch. Als Sitzgelegenheiten dienten Kissen. Daneben stand ein Servierwagen mit abgedeckten Platten. Das Dinner, vermutete Victoria, obwohl sie viel zu nervös war, um auch nur an Essen zu denken.

Sie sah auf, als Kateb den Raum betrat. Er trug eine weite weiße Hose. Sonst nichts. Seine honigfarbene muskulöse Brust schimmerte im Lampenlicht. Um seine Schultern lag ein Handtuch. Mit einem zweiten trocknete er sein Haar. Es dauerte einen Moment, bis er Victoria entdeckte.

Zeit für sie, zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er fast wie ein normaler Mann aussah – falls man ein Model für Herrenunterwäsche so bezeichnen wollte. Katebs übliche locker sitzende Kleidung hatte sie nicht auf seine physische Vollkommenheit vorbereitet. In der Tat, er bot einen sehr erfreulichen Anblick.

Und darüber hinaus zu der Erkenntnis, dass er so einschüchternd und übermächtig gar nicht wirkte. Vielleicht lag es an den Handtüchern oder den nassen Haaren – jedenfalls ließ ihre Angst ein wenig nach.

Kateb warf beide Handtücher auf einen Sessel, fuhr mit den Fingern durch sein Haar und strich es glatt. Erst jetzt bemerkte er Victorias Anwesenheit und hob die Brauen. „Nettes Outfit. Sehr züchtig.“

„Nun ja …“ Sie zupfte an ihrem Umgang. „Vermutlich gehört es zur Tradition, die Haremsdamen zu verhüllen. Und ich glaube, was ich zu zeigen habe, ist nur für Ihre Augen bestimmt.“

„Gibt es noch mehr zu sehen?“

Wollte er sie hänseln?

„Ein Kleid.“

„Darf ich es anschauen?“

Nervös, von neuer Furcht erfüllt, öffnete sie die Schleife an ihrem Hals, und der Umhang fiel zu Boden.

Katebs Augen weiteten sich, seine Kinnmuskeln zuckten. Ansonsten bewegte er sich nicht. Trotzdem drängte es sie, ihre Blößen zu bedecken. Und zu schreien. Als würde ein schriller Klang sie irgendwie schützen.

„Yusras Werk?“ Er schlenderte zum Tisch und füllte zwei Gläser.

Ich würde solche Kleider nicht kaufen“, fauchte Victoria. „Im Schrank hängen noch andere, im gleichen Stil. Yusra erwähnte, so etwas habe sie in ihrer Jugend getragen.“

Er schlüpfte in ein Hemd, das auf einem Kissen gelegen hatte. „Sind Sie hungrig?“, fragte er.

Erwartete er, dass sie sich stärkte, bevor er über sie herfiel? Oder sollte sie einfach nur dastehen, praktisch nackt, als Amüsement des Abends? Am liebsten hätte sie eine ihrer goldenen Sandaletten ausgezogen und Kateb an den Kopf geschleudert.

„Hören Sie“, zischte sie. „Ich bin müde, ich fühle mich fremd hier, und Sie jagen mir Angst ein. Was wird jetzt passieren? Was hat der Status Ihrer Geliebten zu bedeuten? Wie lauten die Regeln?“

Ihr brannten noch tausend andere Fragen auf der Zunge, doch sie schluckte sie herunter und verschränkte die Arme vor der Brust.

Kateb starrte sie an. „Natürlich will ich Sie nicht erschrecken.“

„Das sollten Sie etwas glaubhafter bekunden.“

„Offensichtlich.“ Er hielt ihr eines der Gläser hin. „Bisher hatte ich keine Geliebte, und deshalb fehlen mir die nötigen Erfahrungen.“

Ohne ihn anzuschauen, nahm sie das Glas entgegen. „Immerhin besitzen Sie einen Harem.“

„Der gehört zum Palast.“

„Wie eine Garage für drei Autos, obwohl man nur zwei benutzt?“

„So ähnlich.“ Er kehrte zum Tisch zurück und sank auf ein Kissen. „Auch ich bin müde, Victoria. Heute Nacht werde ich auf Ihre Anwesenheit in meinem Bett verzichten.“

Eine Galgenfrist. Für wie lange? „Was werden Sie erwarten, wenn Sie mich in Ihr Schlafzimmer beordern?“

„Zu den Pflichten einer Geliebten gehört nicht nur Sex. Aber lassen Sie uns diese Fragen ein andermal klären und jetzt erst einmal etwas essen.“

Er hatte recht. Victoria ließ sich auf dem Kissen ihm gegenüber nieder und nahm den Teller, den Kateb ihr gefüllt hatte, entgegen. Da ihre Nerven immer noch flatterten, wusste sie nicht, ob sie überhaupt einen Bissen hinunterbringen würde.

Sie ergriff ihre Gabel. „Welche Regeln muss ich befolgen?“, wollte sie wissen. „Darf ich mich im Palast, in den Gärten und im Dorf frei bewegen? Was soll ich tagsüber tun? Ich bin es gewöhnt zu arbeiten. Sex dauert nicht lange. Sechs Minuten, höchstens acht. Also muss ich überlegen, wie ich meine Freizeit verbringe.“

Kateb musterte sie mit schmalen Augen. „Wollen Sie mich beleidigen?“

„Was?“ Sie blickte auf, und ihre Verwirrung wirkte echt. „Oh, meinen Sie – wie lange Sex dauert? Damit wollte ich Ihre Gefühle nicht verletzen.“

„Was das betrifft, werden Sie sich noch wundern.“

Sie griff nach ihrem Weinglas. „Also gut, Stunden. Aber nach den Nächten muss ich ganze Tage ausfüllen.“

Inzwischen schien sie sich nicht mehr zu fürchten, und er genoss ihre Gesellschaft. Ein bisschen erinnerte sie ihn an Cantara, die ihm seit seiner Kindheit vertraut gewesen war. Aber seine verstorbene Gemahlin hatte stets eine gewisse Distanz gewahrt und ihn als Mann gewürdigt und sich niemals für ebenbürtig gehalten. Victoria dagegen war im Westen aufgewachsen, wo man Frauen die gleichen Rechte zugestand wie Männern.

„Auf dem Gelände des Palastes und im Dorf können Sie gehen, wohin Sie wollen. Aber jenseits der Felder wären Sie in Gefahr, einem Überfallkommando der Nomaden in die Hände zu fallen.“

Victorias Blick schweifte zu Katebs Wange. „Einer von Nadims Angestellten erwähnte einmal, dass Sie als Jugendlicher von Nomaden entführt wurden.“

„Richtig. Ich war fünfzehn und ritt mit meinen Freunden aus. Die Nomaden lauerten uns auf. Doch sie nahmen nur mich gefangen und verlangten Lösegeld von meinem Vater.“

„Hat der König es bezahlt?“

„Noch bevor es zu Verhandlungen kam, konnte ich fliehen.“ Und habe dabei einen Mann getötet, dachte er, keineswegs stolz auf seine Tat. Aber sie hatte sich herumgesprochen und ihm Respekt verschafft. Sogar der König war stolz auf die Tapferkeit des Sohnes gewesen.

„Nun, jedenfalls haben Sie eine Narbe davongetragen“, bemerkte Victoria. „Zweifellos fühlen Frauen sich davon angezogen wie von einem Magneten.“

„Um von Frauen attraktiv gefunden zu werden, brauche ich keine Narbe.“

„Aber es hilft.“

Ihr Lächeln lenkte seinen Blick auf ihren Mund. Es gefiel ihm, wenn sie ihn neckte – vermutlich, weil es sonst niemanden gab, der das wagte.

Nach dem Dinner fragte sie: „Was jetzt?“

„Kaffee?“, schlug er vor und wies mit dem Kinn auf ein Sideboard an der Wand.

Victoria folgte seinem Blick. „Eine Espressomaschine? Machen Sie Witze?“

„Wie meinen Sie das?“

„Was ist aus Ihrem Motto geworden, in der Wüste müsste man eins mit der Natur sein?“ Sie schüttelte den Kopf. „Leute, die eins sind mit der Wüste, schäumen keine Milch auf.“

„Vielleicht Ziegenmilch?“

Autor

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Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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