Julia Gold Band 108

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SULTAN MEINES HERZENS von SHARON KENDRICK
Schon seit Jahren ist Sonya rettungslos in Malik Ak Atyn, den feurigen Herrscher von Kharastan, verliebt. Und als er sie bittet, ihn auf einer Europareise zu begleiten, sagt sie sofort Ja. Sonya weiß: Das ist ihre Chance, den Sultan endlich zu erobern …

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DIE GELIEBTE DES SCHEICHS von JANE PORTER
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  • Erscheinungstag 06.01.2023
  • Bandnummer 108
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519618
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick, Kim Lawrence, Jane Porter

JULIA GOLD BAND 108

1. KAPITEL

„Malik, ich …“ Sonya räusperte sich und rang sich ein Lächeln ab. „Ich verlasse dich“, vollendete sie ihren Satz und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge, weil sie eine so missverständliche Formulierung gewählt hatte.

Malik blickte von den Unterlagen auf, die er gerade konzentriert studierte. Seine dunklen Augen blitzten ärgerlich. „Was ist?“, fragte er ungehalten.

„Ich wollte sagen …“ Nachdenklich betrachtete sie den stattlichen Scheich, der, bekleidet mit einer weißen Seidenrobe, an seinem Schreibtisch saß. Er hatte ihr Eintreten nur am Rande wahrgenommen und sah sie auch jetzt kaum an. Ganz umsonst hatte sie sich Sorgen gemacht, wie er ihre Worte verstanden haben mochte, denn er hatte ihr offensichtlich gar nicht zugehört! „Ich verlasse Kharastan“, sagte sie leise.

Zerstreut runzelte Malik die Stirn. Was hatte sie gesagt? War ihr denn nicht klar, dass er keine Zeit hatte, mit irgendwelchen Belanglosigkeiten aus dem Palastalltag belästigt zu werden? „Nicht jetzt, Sonya“, wehrte er gereizt ab.

Nicht jetzt? Wenn es für Sonya noch einer Bestätigung bedurft hätte, dass sie das Richtige tat, dann fand sie diese in der launischen, gleichgültigen Reaktion des Scheichs. Er behandelte sie wie eine lästige Fliege, die sich in seine luxuriösen Büroräumlichkeiten verirrt hatte und die man mit einem Wedeln der Hand verjagte.

Im goldenen Lichtkegel der Sonne, die durch die Fenster hereinschien, wirkte Malik wie eine von Künstlerhand gemeißelte Marmorstatue. Wie stets ließ allein sein Anblick Sonyas Herz schneller schlagen, was nur bewies, wie dringend notwendig es war, sich seinem Einflussbereich und vor allem seinem unwiderstehlichen Charme zu entziehen. Ganz bewusst wappnete sie sich jetzt gegen seine aufregend männliche Ausstrahlung, als sie ihn direkt ansah. „Wann dann, Malik? Wann können wir darüber reden?“

„Sieh her!“ Ungeduldig deutete er auf den beachtlichen Stapel von Dokumenten, die auf das königliche Siegel und die königliche Unterschrift warteten. Und daneben lag sein Terminkalender, in dem ein Eintrag auf den anderen folgte. „Du weißt doch, wie dringend die Regelung der Grenzangelegenheit mit Maraban ist. Und zu allem Überfluss muss ich heute Vormittag auch noch einen neuen Botschafter willkommen heißen. Siehst du denn nicht, wie beschäftigt ich bin?“

„Doch, Malik.“ Sie seufzte. „Natürlich sehe ich das.“ Es schmerzte sie, dass er überhaupt fragte. Er musste doch wissen, dass sie nur an sein Wohl dachte! Zu Zeiten, als er nur der erste Berater und Vertraute des alten Scheichs gewesen war, hatte sich außer ihr vermutlich niemand persönlich für ihn interessiert. Nun aber, da er der rechtmäßige Nachfolger des verstorbenen Herrschers war, waren aller Augen auf ihn gerichtet. Im königlichen Palast und in dem romantischen Wüstenland ringsum galt er als Zentrum des Universums. Auf Maliks Befehl sprang jeder – und gewöhnlich mit einem unterwürfigen Lächeln auf dem Gesicht.

Dabei hatte er bis vor zwei Jahren, als der alte Scheich die Bombe hatte platzen lassen, selbst nicht gewusst, dass er der älteste von drei unehelichen Söhnen des Wüstenkönigs war, dessen Ehe keine Kinder hervorgebracht hatte. Nach dem Tod des gebrechlichen Herrschers war Malik, als der älteste Nachkomme und zudem von rein Kharastanischer Abstammung, zu seinem Nachfolger gekrönt worden und durch eine schlichte Zeremonie vom Berater zum König, vom Untertan zum Herrscher aufgestiegen. Doch er schien sich mühelos in seiner neuen Rolle zurechtzufinden. Eine gewisse Arroganz war ihm schon immer eigen gewesen, die er nun mit königlicher Würde und Distanz paarte. Und Sonya musste einräumen, dass er diese Abgrenzung brauchte – um buchstäblich zu verhindern, dass zu viele ihm zu nahe kamen und ihm das raubten, was jetzt sein kostbarstes Gut geworden war: Zeit.

Insgeheim hatte Sonya jedoch gehofft, dass er für sie eine Ausnahme machen würde. Kam ihm denn nicht einmal in den Sinn, wie wichtig es ihr war, ihm von ihrer Entscheidung zu erzählen, ein eigenes Leben zu beginnen, anstatt nur als kaum wahrnehmbarer Satellit am Rande seines Universums zu kreisen? Nein, natürlich nicht!

Malik war immer schon ein ausnehmend eigenständiger, dominanter Mann gewesen, aber seit er den Thron von Kharastan geerbt hatte, kannten sein Stolz und seine Arroganz anscheinend keine Grenzen mehr. Allein seine Wünsche zählten, und auch wenn es ihr das Herz brach, war Sonya schließlich zu dem Schluss gelangt, dass in seinem Leben einfach kein Platz mehr für sie war.

Sie fühlte sich verloren und heimatlos. Wo gehörte sie wirklich hin? Anscheinend nicht mehr in das Land, in dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hatte. Die Frage ließ ihr keine Ruhe, und wann immer sie versuchte, sich ihre Zukunft vorzustellen, sah sie eine einzige, erschreckende Leere.

Malik warf nun einen prüfenden Blick in seinen Terminkalender, denn wenn er ehrlich war, wusste er, dass Sonya ihn niemals grundlos stören würde. „In meinem Kalender ist gar kein Termin für ein Gespräch mit dir vermerkt …“ Er blickte irritiert auf. „Hast du einen ausgemacht?“

Dieser geschäftsmäßige Ton aus dem Mund des Mannes, den sie, seit sie denken konnte, vergöttert hatte, hätte sie früher zum Weinen gebracht. Er war derjenige, der sie „gerettet“ hatte, der nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Flugzeugabsturz ihr Vormund geworden war und es ihr ermöglicht hatte, in Kharastan zu bleiben, anstatt allein in ein Internat nach England abgeschoben zu werden. Mochte es auch unvernünftig sein, es fiel ihr schwer, damit klarzukommen, wie kalt und distanziert er ihr seit Neuestem begegnete.

„Nein, ich habe keinen Termin gemacht“, antwortete sie ausdruckslos.

Malik horchte auf. Was war in letzter Zeit nur mit ihr los? Früher hatte er mit ihr reden und sich in ihrer Gesellschaft entspannen können … aber nun war sie so reizbar geworden. „Also schön, aber fass dich bitte kurz“, gab er nach, wobei er einen bezeichnenden Blick auf die moderne Golduhr an seinem Handgelenk warf, die in einem auffälligen Kontrast zu seinem traditionellen Gewand stand. „Worum geht es denn?“

Sonya fragte sich, wie er wohl reagiert hätte, wenn sie ihm ehrlich antworten würde: „Du bist ein unerträglich arroganter Mistkerl geworden.“ Hätte er sie dann wegen Hochverrats verhaften lassen? „Ich will nach England“, erwiderte sie stattdessen schlicht.

„Nach England?“, wiederholte er kritisch. „Warum?“

„Weil …“ Wo sollte sie anfangen?

Jedenfalls nicht mit der Wahrheit: Weil ich dich liebe. Weil ich dich schon seit vielen Jahren liebe, Malik, und du dich nie herabgelassen hast, mich auch nur als Frau wahrzunehmen.

Nein, die Wahrheit würde ihn allenfalls entsetzen. Sie kannte ihn schließlich lange genug, um zu wissen, dass es ihr nie gelingen würde, das kalte Herz des glutäugigen Scheichs von Kharastan zu gewinnen. „Weil ich jetzt fünfundzwanzig bin“, antwortete sie deshalb.

„Nein, das ist unmöglich, Sonya!“, wehrte er ab.

Früher hätte sie genau diese Reaktion als rührend und amüsant empfunden, jetzt aber fühlte sie sich dadurch fast beleidigt. Kein Wunder, dass er sie wie ein kleines Mädchen behandelte, wenn er keine Ahnung hatte, wie alt sie tatsächlich war! „Ich denke, wenn jemand wissen sollte, wie alt ich bin, dann doch wohl ich selbst“, entgegnete sie mit so viel Sarkasmus, wie sie „Seiner Hoheit“ entgegenzubringen wagte.

„Ja … natürlich. Fünfundzwanzig“, wiederholte er ungläubig, wobei er ihr zum ersten Mal richtig in die Augen blickte. „Wie ist das möglich?“

Sonya wappnete sich innerlich gegen den wehmütigen, traurigen, ja, fast verträumten Ausdruck in seinen dunklen Augen. Es kam ihr vor, als hätte er sich für einen Moment in seinen Erinnerungen verloren.

Was nur bewies, wie unverbesserlich sentimental sie war. Als ob Malik sich nach den Zeiten zurücksehnen würde, in denen er lediglich der Berater des Scheichs, aber nicht selbst im Besitz des Thrones gewesen war! „Die Jahre vergehen schneller, als es uns bewusst ist“, erwiderte sie sachlich, wobei ihr klar war, dass es schon fast altjüngferlich klang. Aber das war ja das Problem. Die Jahre verflogen und mit ihnen ihre Jugend, die sie verschwendete, indem sie sich nach einem Mann verzehrte, der sie überhaupt nicht wahrnahm. Jedenfalls nicht als Frau.

Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft würde Malik anfangen, sich nach einer passenden Braut umzusehen. Der Einfachheit halber vermutlich nach einer Frau von kharastanischer Abstammung, damit seine Nachkommen sein Erbe antreten konnten, ohne dass die Verfassung von Kharastan, die gegenwärtig nur einen Thronerben von reinem Blut vorsah, geändert werden müsste. „Und ich kann nicht für immer hier bleiben“, fügte Sonya deshalb entschlossen hinzu.

„Aber du kennst England doch gar nicht“, widersprach Malik. „Du warst seit Jahren nicht mehr da.“

„Zuletzt, als ich dort im Internat war“, bestätigte Sonya. „Und selbst da habe ich natürlich vom Leben in meinem Geburtsland außerhalb der Schulmauern kaum etwas mitbekommen.“

Malik lächelte, als er sich erinnerte. Er kannte Sonya, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Ein blonder Schatz, wie ihr Vater sie immer genannt hatte. Und Sonya hatte mit ihrem sonnigen Wesen wirklich jeden bezaubert. Die Bradleys waren Diplomaten gewesen, die im Lauf der Jahre Kharastan und die Kharastani schätzen und lieben gelernt hatten. Leider waren sie bei einem Flugzeugabsturz in den Bergen tragisch und viel zu früh zu Tode gekommen, und Sonya stand mit sechzehn Jahren als Vollwaise da. Wenn sie jünger gewesen wäre, hätte man sie wahrscheinlich in die Obhut einer entfernten Verwandten nach England zurückschicken müssen, und wenn sie älter gewesen wäre, hätte sie keinen Beschützer mehr gebraucht. So aber musste sich jemand um sie kümmern, und die Bradleys hatten in ihrem Testament für einen solchen Fall Malik zu ihrem Vormund bestimmt, der trotz seiner vergleichsweise jungen Jahre ein Freund und Vertrauter der Familie gewesen war.

Zwar war Malik mehr als zehn Jahre älter als Sonya, aber in einem westlichen Land hätte man es womöglich als problematisch angesehen, einen erwachsenen Junggesellen von Ende zwanzig zum Vormund eines halbwüchsigen Mädchens zu machen. In Kharastan jedoch wäre es niemandem in den Sinn gekommen, Maliks Ruf als Ehrenmann in Zweifel zu ziehen. Verantwortungsbewusst und vielleicht strenger, als es ihr eigener Vater gewesen wäre, hatte er ihre Erziehung und ihr Heranwachsen persönlich beaufsichtigt, und Sonya hatte ihm nie Anlass zur Sorge gegeben oder auch nur versucht, sich aufzulehnen.

Bis jetzt. Er betrachtete sie aufmerksam. Wie es in Kharastan Brauch war, trug sie eine lange elfenbeinfarbene Seidentunika, die ihre schlanke Figur lose umschmeichelte. Ein zarter silberfarbener Spitzenschal bedeckte einen Teil ihres hellblonden Haares und umrahmte ihr ebenmäßiges, ovales Gesicht mit den klaren blauen Augen und einem sinnlichen rosigen Mund. Zum ersten Mal dämmerte es Malik, dass sie zur Frau herangewachsen war, ohne dass er es überhaupt registriert hatte.

Sollte er sie gehen lassen? „Kannst du nicht einfach nur in England Urlaub machen und dann zurückkommen?“, fragte er zögernd.

Sie seufzte. Er begriff nicht, worum es ihr wirklich ging – und sie konnte es ihm nicht erklären. „Nein, Malik“, antwortete sie geduldig, wobei das Aufblitzen seiner Augen ihr verriet, dass kaum jemand es wagte, ihm zu widersprechen, seit er Scheich geworden war. „Ich habe im Grunde mein ganzes Leben immer nur Urlaub in England gemacht und seit Jahren nicht mehr richtig dort gewohnt. Ich habe sogar hier in Kumush Ay studiert …“

„Und unsere Universität genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf“, unterbrach er sie stolz. „Durch dieses Studium bist du die einzige westliche Frau, die fließend Kharastani spricht. Tatsächlich sprichst du es fast so gut wie ich!“

„Danke.“ Sonya neigte den Kopf in dem Bewusstsein, dass der Scheich ihr soeben ein Kompliment gemacht hatte. Angesichts seines königlichen Ranges wäre es unhöflich gewesen, dies zu ignorieren. Ein weiteres Zeichen, wie sich die Zeiten geändert hatten, denn früher hatte sie sich völlig zwanglos mit ihm austauschen können, ohne die Etikette zu beachten. Und je länger ich bleibe, desto schwieriger wird es werden, ermahnte sie sich. „Ich möchte mich in meinem Geburtsland nicht fremd fühlen, Malik“, erklärte sie nun. „Und genau das wird passieren, wenn ich noch weiter warte.“

Er nickte nachdenklich. „Du hast recht, starke Gefühle binden uns an das Land unserer Vorfahren, die Teil unserer Geschichte sind.“

Auch wenn ihr seine Worte unnötig schwülstig und altväterlich vorkamen, wusste sie, dass sie aus seiner Perspektive Sinn ergaben und er wirklich so empfand. Denn für Malik war sein Erbe von immenser Bedeutung, weshalb er ihren Wunsch, sich wieder zu ihren Wurzeln zu begeben, ehrlich nachvollziehen konnte. Und schließlich war es nicht seine Schuld, dass sie jahrelang naiverweise von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm geträumt hatte!

„Sonya?“

Die unnachahmlich sanfte Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ ihr Herz einmal mehr schneller schlagen. „Ja, Malik?“

„Was genau hast du denn vor? In England?“

Ein neues, eigenes Leben anfangen. All die Dinge tun, die junge Frauen in ihrem Alter längst getan hätten, wenn sie nicht in der behüteten Märchenwelt eines Palastes aufgewachsen wären. Sich vielleicht sogar einen Freund suchen. „Ich denke, ich werde mich um eine Arbeit bemühen“, antwortete sie ruhig.

„Eine Arbeit? Was für eine Arbeit?“, wiederholte er ungläubig, als hätte sie etwas völlig Verrücktes vorgeschlagen.

„Oh, ich habe einige Talente. Ich bin gut im Organisieren und außerdem ziemlich versiert in der Kunst der Diplomatie, denke ich.“

„Das stimmt“, räumte er ein, denn seit ihrem Universitätsabschluss hatte sie sämtliche Festlichkeiten und Empfänge im Palast organisiert. Aber Malik wusste auch, wie behütet und weltfremd ihr Dasein andererseits war. Deshalb schüttelte er den Kopf. „Trotzdem irrst du dich, wenn du glaubst, du könntest ohne spezielle Ausbildung einfach in irgendeinen Beruf einsteigen.“ Er lehnte sich nachdenklich zurück. „Aber vielleicht könnte ich einige Beziehungen für dich spielen lassen … Und es ließe sich sicher auch einrichten, dich in einer guten Familie unterzubringen. Ja, das wäre die beste Lösung.“

„In einer Familie?“

„Ja, warum nicht? Das machen doch viele Mädchen so.“

Mädchen. Nicht Frauen, sondern Mädchen. Sonya hatte endgültig genug. Sie blickte sich um und empfand den Blauen Palast mit all seinem Prunk und Luxus zum ersten Mal wie einen goldenen Käfig. Mit dem einzigen Unterschied, dass selbst ein Vogel im Käfig wenigstens zur Kenntnis genommen wurde, während sie vor aller Welt versteckt lebte. Selbst die traditionelle Art sich zu kleiden, die ihr zur zweiten Natur geworden war, kam ihr plötzlich einengend vor, und sie verspürte eine unerwartete Sehnsucht nach der Vielfalt der westlichen Mode. „Ich bin kein Teenager mehr“, erklärte sie nachdrücklich. „Ich bin eine Frau und kein halbwüchsiges Au-pair-Mädchen, um das man sich kümmern muss.“

Maliks Blick ruhte wie gebannt auf ihren bebenden Lippen … so provokant und einladend. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie die Männer da draußen auf sie reagieren würden? „Ich wäre beruhigter, wenn ich dich in guten Händen wüsste“, meinte er unnachgiebig.

„Aber hier geht es nicht um dich, Malik, sondern um mich und mein Leben“, antwortete sie trotzig. „Seit du Scheich geworden bist, hat sich alles doch nur noch um dich gedreht, oder nicht?“

Er erstarrte. Seine dunklen Augen funkelten. Wagte sie es tatsächlich, ihn zu kritisieren? Oder anzudeuten, dass sie mit ihrem Los nicht glücklich sei? Zornig presste er die Lippen zusammen. „Verzeih, wenn du dich gelangweilt hast“, erwiderte er gefährlich sanft. Undankbares Ding! Er hatte sie unter seine Fittiche genommen, für ein sicheres Zuhause und eine gute Ausbildung gesorgt … und jetzt machte sie ihm seine Fürsorge zum Vorwurf wie ein verwöhntes Kind!

Malik sprang auf. Wie konnte sie ihn derart aus der Fassung bringen? Für einen Moment hätte er fast geglaubt … Langsam ging er zum Fenster, wobei er spürte, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ. Kerzengerade stand er da und blickte hinaus auf die prachtvollen Parkanlagen des Palastes. Wann hatte er zuletzt die Muße gehabt, einfach dort spazieren zu gehen, ohne sich um den Rest der Welt zu scheren? Nicht mehr, seit er offiziell zum ältesten der drei unehelichen Söhne des alten Scheichs und damit zum rechtmäßigen Thronfolger erklärt worden war. Malik war sich von Anfang an darüber im Klaren gewesen, dass die Veränderungen in seinem Leben weitreichend und tief greifend sein würden.

Plötzlich konnte er nicht mehr freimütig seine Meinung äußern, ohne sie nicht vorher in allen Konsequenzen überdacht zu haben. Denn jedes seiner Worte hatte Gewicht und wurde im Gegenzug auf die Goldwaage gelegt. Gut, er konnte sich mit Fariq, seinem Assistenten, besprechen, der nun zum Berater des Scheichs aufgestiegen war, dennoch lag die Verantwortung für jede Entscheidung letztendlich bei ihm allein. Und er hatte das Gefühl, seinem Volk, sich selbst, ja, der ganzen Welt beweisen zu müssen, dass er fähig sei, die Verantwortung, die ihm seine neu gewonnene Macht auferlegte, auch zu tragen.

Nur bei Sonya hatte er ganz er selbst sein können. Doch nun stand die nächste Veränderung an: Sonya wollte gehen.

Als er sich wieder zu ihr umdrehte, machte ihm der fast angstvolle Blick, mit dem sie ihn beobachtete, bewusst, wie sehr sich sein Leben verändert hatte. Sie, die ihn stets nur lächelnd und voller Zuneigung angesehen hatte, betrachtete ihn nun wie einen grausamen Sultan aus „Tausendundeiner Nacht“ … ihn, Malik, der immer nur gut zu ihr gewesen war! In einem Aufwallen von Zorn fühlte er sich versucht, sie einfach ohne Hilfe und Unterstützung in das ihr fremde England ziehen zu lassen.

Doch ein weiterer Blick in ihre klaren blauen Augen besänftigte ihn. „Sicher ließe sich für dich eine Aufgabe in der Botschaft von Kharastan finden“, überlegte er laut.

„Das … ist mir klar.“

Er hörte das unausgesprochene Zögern in ihrer Erwiderung und hätte bei jedem anderen das Gespräch an diesem Punkt abgebrochen. Aber dies war Sonya, die ihm als kleines Mädchen aus einem Ort namens Brighton ein mit Muscheln beklebtes Kästchen als Geschenk mitgebracht hatte! „Du möchtest keine Hilfe?“, fragte er stolz.

„Ich halte es einfach für besser, wenn ich es allein versuche, und zum ersten Mal in meinem Leben wirklich auf eigenen Füßen stehe“, antwortete sie vorsichtig, denn sie wollte ihn auf keinen Fall kränken. „Das kannst du doch sicher verstehen?“, fügte sie beschwörend hinzu, aber sein Blick wurde eisig.

„Mir scheint, du vergisst dich!“, wies er sie arrogant zurecht. „Weder ist es meine Aufgabe, irgendeinen meiner Untertanen zu verstehen, noch steht es ihnen an, es mir nahezulegen!“

Worte, die sie wie Messerstiche ins Herz trafen. Nie hätte sie erwartet, dass Malik ihr gegenüber seine königliche Vorrangstellung herauskehren würde. „Natürlich nicht“, antwortete sie förmlich und senkte den Blick, um ihre Verärgerung zu verbergen. Als sie wieder aufsah, hatte sie sich so weit gefasst, dass es ihr gelang, höflich zu lächeln. „Dann werde ich jetzt die nötigen Vorbereitungen treffen.“

„Genau.“ Die Art und Weise, wie Malik seinen goldenen Füllfederhalter wieder zur Hand nahm, bedeutete Sonya, dass sie entlassen sei.

Aber sie war nicht mehr bereit, sich einfach so beiseiteschieben zu lassen. Denn Malik hatte ihr soeben auf schmerzliche Weise demonstriert, wie er Loyalität und treue Zuneigung mit Missachtung und Zurückweisung belohnte. „Ich glaube, mein Vater hat etwas Geld in einem Fonds für mich anlegen lassen“, sagte sie fest.

Malik sah sie durchdringend an. Die Versuchung war groß, seine Macht als Treuhänder ihres elterlichen Nachlasses auszunutzen, um ihr eine Auszahlung zu verweigern und sie ohne Geld in die Welt hinauszuschicken. Mal sehen, wie sie ohne seine Hilfe außerhalb der schützenden Palastmauern zurechtkam!

Doch es widerstrebte ebenso seiner Ehre, ihr vorzuenthalten, was ihr rechtmäßig zustand, wie, sie gegen ihren Wunsch in Kharastan festzuhalten. Warum sollte er das tun?

Weil er sie vermissen würde? Er verdrängte diese ungebetenen Gefühle. Sicher würde Sonya Kharastan von Zeit zu Zeit besuchen, sodass er verfolgen konnte, wie sie in ihrem neuen Leben aufblühte. Und genau so sollte es sein!

„Ja, Sonya.“ Malik war überrascht, wie schwer es ihm fiel. „Das Geld, das dein Vater in einem Fonds für dich angelegt hat, wurde klug investiert, sodass die Summe inzwischen beträchtlich angewachsen ist.“ Er bemerkte das erstaunte Aufleuchten in ihren Augen und fügte sofort dämpfend hinzu: „Was nicht bedeutet, dass du reich bist … aber es ist angemessen vorgesorgt. Ich rate dir, deine Ausgaben klug und vorsichtig zu planen, bis du dich an den selbstständigen Umgang mit Geld gewöhnt hast.“

„Danke für deinen Rat“, erwiderte sie förmlich. Glaubte er, sie würde das Geld gleich mit vollen Händen für Schuhe oder Schmuck verprassen?

„Soll ich vielleicht einen Termin mit einem meiner Bankfachleute für dich machen, der dich bei der Verwaltung deiner Finanzen anleiten könnte?“

Es war ein vernünftiger, wohlgemeinter Vorschlag, und für einen Moment war Sonya auch versucht, ihn anzunehmen. Doch dann erwachte erneut ihr rebellischer Geist. Ihr ganzes Leben lang hatten irgendwelche Leute sie „angeleitet“, geführt und ihr bei ihren Entscheidungen geholfen. Wie viele junge Frauen in ihrem Alter hatten noch nie Miete zahlen oder ihre Lebensmittel selbst einkaufen, geschweige denn, sich ihr Essen kochen müssen? Oder waren in den Vorzug gelangt, die Dienste königlicher Finanzberater in Anspruch nehmen zu können?

„Danke, Malik“, antwortete sie deshalb. „Aber ich ziehe es wirklich vor, ganz auf eigenen Füßen zu stehen.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Wie eigensinnig du manchmal sein kannst, Sonya.“

„Das ist kein Eigensinn, Malik, sondern Unabhängigkeit.“

„Du willst meine Hilfe also nicht?“, fragte er direkt.

Sie schüttelte den Kopf. Nach England zu gehen bedeutete für sie eine Befreiung in vielerlei Hinsicht … vor allem aber wollte sie sich von ihren einseitigen Gefühlen für Scheich Malik befreien. „Ich will es auf meine Weise tun.“ Mit angehaltenem Atem blickte sie zu ihm auf, denn trotz allem wünschte sie sich seinen Segen … seine Zusicherung, dass ihr Schritt in ein selbstständiges Leben ihre Freundschaft nicht zerstören würde. „Wenn du nichts dagegen hast?“

Er zuckte bewusst herablassend die Schultern. „Mach, was du willst, Sonya.“ Kalt und unmissverständlich nahm er eines der Dokumente auf seinem Schreibtisch zur Hand. „Entschuldige … aber ich denke, das Thema ist erschöpft, meinst du nicht? Und ich habe ziemlich viel zu tun.“

Ungläubig sah sie ihn an. Er schickte sie wie einen Dienstboten weg! Nur mühsam gelang es ihr, ihren Zorn und Schmerz zu beherrschen, doch sie wandte sich schweigend ab und verließ mit erhobenem Haupt die königlichen Büroräume. Was für ein schändliches Verhalten Maliks in Anbetracht ihrer langen Freundschaft!

Auf dem Weg in ihre Privatsuite schwor Sonya sich, dass sie „Seiner Hoheit“ beweisen würde, wie gut sie ohne ihn zurechtkam. Ja, sie würde in die Welt hinausgehen und endlich so leben, wie sie es schon lange hätte tun sollen.

Doch ihr wurde das Herz schwer, als sie sich in den ihr vertrauten, luxuriösen Räumen umsah. Die kostbaren Möbelstücke und in Gold gerahmten Gemälde, die ledergebundenen alten Bücher, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, der Blick aus dem Fenster auf die Palastgärten mit den makellos gepflegten Rasenflächen und dem großen, rechteckigen Wasserbecken samt Fontäne in der Ferne. Auf seiner glitzernden Oberfläche spiegelte sich das unglaubliche Rosa exotischer Flamingos. Auch Wildenten und – gänse machten hier Zwischenstation auf ihrem Weg zum großen Balsora Meer. Sonya dachte an die ungläubigen Gesichter vieler westlicher Besucher angesichts der unerwarteten Artenvielfalt in einem Land, das als Wüstenstaat galt. Aber das war ja das Besondere an Kharastan … es war ein Land voller Überraschungen, Gegensätze und Schönheit, das einen einfach gefangen nahm. Sonya wusste, dass sie es vermissen würde.

Sie wandte sich vom Fenster ab und betrachtete die Bilder, die gerahmt auf dem Stutzflügel standen. Darunter war auch ein Hochzeitsfoto von ihren Eltern und eine spätere Aufnahme, die sie alle drei bei einem Besuch am Balsora Meer zeigte, kurz vor dem tödlichen Unfall. Doch Sonya sah in diesem Moment nur ein Bild. Zielstrebig nahm sie es zur Hand, und ihr Herz klopfte schneller, als sie es genauer betrachtete. Es war ein Porträt von Malik am Tag seiner Krönung. Sein Gesicht, das ihr so lieb geworden war, blickte ernst und entschlossen unter der schweren Last der Krone.

Sonya spürte, wie ihr die Tränen kamen. Rasch stellte sie das Foto zurück und wandte sich ab.

2. KAPITEL

„Es wird nicht so sein, wie du es dir vorstellst. Die Leute dort werden dich anders behandeln. Komm zu mir zurück, wenn du Hilfe brauchst, Sonya.“

Sonya musste immer wieder an diese Worte denken … das Letzte, das Malik zu ihr sagte, kurz bevor er die Tür der dunklen Limousine zugeschlagen hatte. Um sie, Sonya, für immer aus seinem Leben auszuschließen?

Sei nicht kindisch! ermahnte sie sich. Natürlich würde sie Malik wiedersehen. Außerdem hatte sie nicht die weite Reise nach England gemacht und sich entschlossen, ihr Leben grundlegend zu ändern, um dann die meiste Zeit damit zu verbringen, an Malik zu denken, oder?

Doch es fiel ihr schwer, ihn aus ihrem Kopf zu verbannen und ihr neues, so ganz anderes Leben in England nicht mit ihrem Alltag in Kharastan zu vergleichen. Nach ihren bisherigen Erfahrungen in der abgeschotteten Welt eines englischen Internats, gefolgt von dem nicht minder behüteten Umfeld im Blauen Palast bewegte sich Sonya zum ersten Mal in wirklicher Freiheit. Allerdings schien diese ihren Preis zu haben.

Als sie sich nach einer Wohnung umsah, begriff sie rasch, was für ein Privileg es war, im Erbe ihres Vaters eine gewisse finanzielle Grundsicherung zu haben. London war ihr zu groß und zu hektisch, aber sie wollte sich auch nicht in irgendeinem kleinen Dorf auf dem Land vergraben. Schließlich entschied sie sich für Brighton, weil es ein lebendiges, schönes Seebad war und sie sich gern daran erinnerte, wie glücklich sie als kleines Mädchen dort in den Ferien mit ihren Eltern gewesen war.

Sie fand eine kleine Wohnung an der Strandpromenade mit Panoramafenstern, die das strahlende Licht hereinließen. Eigentümer war Julian de Havilland, ein erfolgreicher Künstler aus der Gegend, dem mehrere solcher Apartments gehörten, die er nur an Leute mit „positiver Ausstrahlung“ vermietete. Obwohl die Wohnung mit ihrer geradezu minimalistischen Möblierung gewöhnungsbedürftig war, sah Sonya den Blick aufs Meer als unschlagbares Plus an.

„Ich nehme sie“, erklärte sie deshalb kurz entschlossen, wobei sie durch die große Fensterfront bewundernd beobachtete, wie sich das Sonnenlicht draußen im Meer spiegelte.

„Ich fürchte, es gibt keine Gardinen.“ Julian strich sich mit den farbbeschmierten Fingern durch die zerzauste Künstlermähne.

„Wer braucht schon Gardinen?“ Sie würde sich eben im Badezimmer umziehen, in dem sich neben einem geräuschvollen Boiler eine gewaltige Badewanne befand.

„Arbeitest du in Brighton?“, erkundigte sich Julian leutselig.

„Nein, ich habe keinen Job“, antwortete sie und bereute es sofort, als sie das neugierige Aufleuchten in seinen Augen sah. Auf keinen Fall wollte sie als ein verwöhntes, reiches Mädchen abgestempelt werden – was sie ja auch tatsächlich nicht war. Außerdem würde sie hier nur Kontakt zu anderen Menschen bekommen, wenn sie arbeiten ging. Deshalb fügte sie lächelnd hinzu: „Noch nicht, ich werde mich so bald wie möglich nach etwas umsehen.“

„Und wo liegen deine Talente so?“

Tja, das war die Frage. Sonya überlegte einen Moment lang angestrengt. „Nun, ich spreche fließend Französisch und Deutsch.“ Ihre Kharastani-Kenntnisse wollte sie lieber nicht an die große Glocke hängen. In erster Linie fand sie es Malik gegenüber nicht fair, ihren Hintergrund publik zu machen. Auch wenn einige ihr vermutlich gar nicht glauben würden, dass sie diesen mächtigen Herrscher eines Wüstenstaates tatsächlich persönlich kannte, so durfte sie doch nie vergessen, dass es viele Leute gab, die seine Bekanntschaft aus teilweise zweifelhaften Gründen suchten. Und sie wollte ihre Freundschaft zu Malik nicht belasten, indem sie derartige Kontakte knüpfte.

Freundschaft? Was bildete sie sich ein? Bisher hatte Malik nicht auf eine ihrer E-Mails geantwortet oder sie auch nur einmal angerufen, geschweige denn auf irgendeine Weise auf ihre Postkarten reagiert, auf denen sie in bewusst fröhlichem Ton schwärmte, wie sehr sie ihre neu gewonnene Freiheit genoss. Als würde sie ihn und ihr Leben im exotischen, schönen, komplizierten Kharastan nicht vermissen. Was sie natürlich doch tat.

Sie vermisste das alles sogar sehr – die pastellfarbenen Sonnenaufgänge wie die feurigen Sonnenuntergänge, die karge Schönheit der Wüste wie die duftenden, üppig blühenden Palastgärten. Und wenn sie ehrlich war, vermisste sie nicht auch ihren privilegierten Lebensstil? Hatte sie sich nicht zu sehr an die Bediensteten gewöhnt, die ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen? Und daran, dass ihr die Wäsche gebügelt in den Schrank gelegt und das Essen serviert wurde? Als sie Kharastan verließ, hatte sie es sogar zu einer eigenen persönlichen Assistentin gebracht!

Doch vor allem vermisste sie Malik. Den Anblick seines markanten, stets leicht spöttischen Gesichts bei den Staatsbanketts, den Klang seiner tiefen, warmen Stimme, wenn er die Würdenträger aus anderen Ländern willkommen hieß. Sie vermisste es, ihm jeden Moment begegnen zu können, wenn er mit wehender Seidenrobe durch die marmornen Palastflure schritt, einen Tross von Beratern im Gefolge, die Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten.

Nur verriet das nicht gerade auch, wie hoffnungslos ihre Sehnsucht nach ihm war? Was war das für eine „Beziehung“ oder „Freundschaft“, die sich darin erschöpfte, dass man dem Angebeteten ein paar Mal am Tag im Kreis eines größeren Publikums bewundernd zuhörte oder zusah? Es klang eher nach einem schwärmerischen Fan als nach einem gleichberechtigten Partner. Nein, sie würde nie gleichberechtigt mit ihm sein … jetzt nicht mehr.

Bevor Malik zum Sohn des alten Scheichs und rechtmäßigen Thronerben erklärt worden war, hatte Sonya vielleicht noch berechtigte Hoffnungen gehegt, dass er ihre Liebe einmal erwidern könnte. Doch das war nicht geschehen, und jetzt erst recht nicht mehr. Malik musste die Bürde seiner Verantwortung und sein Schicksal akzeptieren so wie sie ihrs. Und ihrs lag im Hier und Jetzt. Sie musste lernen, sich dieser ihr völlig fremd gewordenen Lebensart anzupassen.

Entschlossen unterzeichnete sie den Scheck und reichte ihn Julian, der ihn in die Gesäßtasche seiner Jeans steckte.

„Wenn du sprachbegabt bist und einen Job suchst, könntest du es im Alternativen Touristenbüro versuchen“, schlug er ihr dann vor. „Es ist auf Sightseeing abseits der eingefahrenen Pfade spezialisiert und hat ständig mit Touristen zu tun, die kaum Englisch sprechen. Du findest ihr etwas anderes Büro nur ein Stück die Strandpromenade hinunter.“

„Und sie suchen gerade nach jemandem?“

Julian grinste. „Die suchen immer nach jemandem. Bezahlen zwar nicht toll, aber dafür geht es locker zu.“

Womit er nicht übertrieben hatte. Das Büro befand sich nur einen Katzensprung von Sonyas Wohnung entfernt zwischen einer Kleiderboutique und einer Wein-Bar. Auf der Fensterbank kümmerten einige Grünpflanzen vor sich hin, es gab Kaffee umsonst, einen Stapel Zeitschriften, aus denen die meisten Anzeigen herausgeschnitten waren, und unaufhörlich Musikberieselung aus einer Stereoanlage in der Ecke. Nachdem Sonya eine einfache Frage auf Französisch richtig beantwortet hatte, durfte sie sich als eingestellt betrachten … für halbe Tage vormittags und jeden zweiten Samstag. Sie arbeitete mit Jane zusammen, die gerade ihr Studium abgeschlossen hatte und noch nicht richtig wusste, was sie machen wollte, und einem sehr gut aussehenden, männlichen Model namens Charlie, der, wie er sagte, „gerade kein Engagement“ hatte.

„Ach, du hast immer ‚gerade kein Engagement‘“, meinte Jane kichernd.

In dieser lockeren Atmosphäre unter Leuten ihres Alters gelang es Sonya zum ersten Mal, seit sie Kharastan verlassen hatte, sich zu entspannen. Die Arbeit ging ihr bei ihrer Qualifikation natürlich leicht von der Hand, und dazwischen blieb ihr noch viel Zeit, die vernachlässigten Pflanzen zu pflegen und sich so viel Wissen wie möglich über Brighton anzueignen. Jane und Charlie erzählte sie nur, dass sie eine Weile im Nahen Osten gearbeitet habe, was ja nicht gelogen war. Alles in allem erlebte sie einen sanften Einstieg in die englische Arbeitswelt – und war dennoch, wenn man bedachte, dass sie noch vor wenigen Wochen tagtäglich mit hochrangigen Politikern und gekrönten Häuptern in Berührung gekommen war, ungewöhnlich nervös und verunsichert. Die stets heitere Sonya, die nichts aus der Fassung bringen konnte, schien in Kharastan zurückgeblieben zu sein. Vermutlich lag es nicht nur daran, dass ihr Geburtsland ihr so fremd geworden war, sondern dass sie eine ganz neue Identität annehmen musste, um in ihrem jetzigen Leben Fuß zu fassen.

So musste sie zum Beispiel ihre Garderobe ihrem neuen Job anpassen, und es war schon ein seltsames Gefühl, auf einmal nicht mehr an den eher strengen Bekleidungskodex gebunden zu sein, der ihr zur zweiten Natur geworden war. Ohne die traditionellen, knöchellangen Seidentuniken fühlte sie sich fast entblößt, obwohl sie sich im Vergleich zu den meisten englischen Mädchen alles andere als freizügig kleidete. Sie hatte sich mehrere fließende, lange Röcke gekauft und Jeans … die allerdings der aktuellen Mode entsprechend ziemlich tief auf den Hüften saßen. Dazu trug sie T-Shirts, die ihre straffen, hohen Brüste betonten, wie sie es in Kharastan niemals gewagt hätte. Aber ich bin hier in England! rief sie sich einmal mehr ins Gedächtnis.

Das Wetter war unerwartet heiß, denn England wurde in diesem Sommer von einer Hitzewelle heimgesucht, mit der Sonya nie gerechnet hätte. Obwohl sie im Büro die Eingangstür weit offen ließen, herrschten drinnen Temperaturen wie im Backofen, und in den schlaflosen, schwülen Nächten sehnte Sonya sich nach der klimatisierten Kühle des Blauen Palasts in Kumush Ay zurück.

„Ist dir nicht zu heiß in dem langen Rock?“, fragte Jane eines Morgens, als sie mit einem leichten, minikurzen Sommerkleid ins Büro kam.

„So ein Kleid ist sicher luftiger“, räumte Sonya mit einem sehnsüchtigen Blick auf Janes nackte Beine ein. „Aber meine Beine sind nicht so schön gebräunt wie deine.“

„Hast du dich denn in … Kharastan nicht gesonnt?“

„Es war nicht … üblich“, meinte Sonya ausweichend.

„Na ja, meine Bräune ist aber auch nicht echt“, gestand Jane und lachte, als sie Sonyas verständnislosen Blick sah. „Ja!“ Jane rieb sich begeistert die Hände. „Ich wollte schon immer jemanden ganz neu stylen!“

Was folgte, war eine Erfahrung, die Sonya nie vergessen würde. Als Erstes stand der Besuch in einem Schönheitssalon auf dem Programm, wo sie von Kopf bis Fuß mit Selbstbräuner eingesprüht wurde. Einigermaßen entsetzt betrachtete sie danach ihr fleckiges Abbild im Spiegel und beruhigte sich erst, als man ihr versicherte, die Farbe würde mit dem Einwirken gleichmäßig werden. Dann wurden ihr die Finger- und Fußnägel manikürt und in einem schimmernden Pink lackiert.

Während sie ausgestreckt auf einer Lederliege lag und darauf wartete, dass der Lack trocknete, überlegte sie unwillkürlich, was Malik wohl von ihren Bemühungen gehalten hätte. Wahrscheinlich hätte er sie keines Kommentars gewürdigt! Aber sie hatte ihren neuen Weg gewählt und war jetzt eine westliche Frau, die nicht mehr unter seinem Schutz oder seiner Kontrolle stand. Genauso wie er sich auf seine neue Rolle als Scheich von Kharastan konzentrierte und sie, Sonya, wahrscheinlich völlig aus seinem Leben gestrichen hatte. Was vermutlich auch der Grund war, warum sie keine Antwort auf ihre E-Mails und Anrufe erhielt.

Entschlossen verdrängte sie den Schmerz und blinzelte die drohenden Tränen weg. Aber es tat natürlich weh, und Sonya verwünschte sich für ihre Schwäche. Denn wenn sie ehrlich war, hatte sich zwischen ihr und Malik nie irgendetwas abgespielt … außer in ihren Träumen und in ihrer Fantasie. Ihre Schwärmerei konnte sich nicht einmal auf verstohlene Blicke von Maliks Seite berufen, geschweige denn auf Küsse oder auch nur auf eine Berührung. Sonya schluckte. Ja, wenn man die Momente nicht mitzählte, als Malik ihr als kleines Mädchen das Reiten beigebracht und sie aufs Pferd gehoben und ihr die Füße sanft in die Steigbügel geschoben hatte, dann hatte er sie nie auch nur berührt!

Nicht einmal auf den großen Hochzeitsfeiern seiner beiden Halbbrüder im Blauen Palast hatte er mit ihr getanzt. Allerdings, wenn sie es recht bedachte, hatte er auch mit keiner anderen getanzt, wenngleich einige der Damen ihn begehrlich umschwärmt hatten.

Warum verschwendete sie überhaupt noch einen Gedanken an ihn? Warum träumte sie mit unverminderter Sehnsucht von ihm? Es war Zeit, sich umzuorientieren. Sie hatte eine Wohnung und einen Job gefunden, nun musste sie sich nur noch wie eine ganz normale junge Frau ihres Alters ins richtige Leben stürzen. Entschlossen wandte sie sich Jane zu, die gerade verschiedene Proben von Feuchtigkeitscremes auf ihrer Haut ausprobierte. „Gehst du nach der Arbeit mit mir einkaufen?“

Jane kicherte vergnügt. „Ich dachte schon, du würdest nie fragen!“

Tatsächlich war Sonya noch nie in ihrem Leben mit einer Kreditkarte in der Tasche ausgiebig shoppen gegangen. In Kharastan waren all ihre Ausgaben für Kleidung und was sie sonst noch brauchte über den Palast erledigt worden, wobei sich in den letzten Jahren ein großzügiges Gehalt für ihre Tätigkeiten im organisatorischen Bereich auf ihrem Konto angehäuft hatte. Warum sollte sie sich jetzt nicht ein wenig gönnen? Zumal ein paar Kleidungsstücke von der Stange sicherlich kein gewaltiges Loch in ihre Finanzen reißen würden!

Und Jane war überhaupt nicht zu bremsen. „Hier, probier das mal an!“, drängte sie immer wieder.

„Nein! Unmöglich … leuchtend Rot steht mir nicht!“, protestierte Sonya, als sie ihr ein kurzes Kleid reichte.

„Wie kannst du das wissen, wenn du es nicht anprobiert hast?“

Ja, wie? Zu Sonyas Überraschung hatte ihre Kollegin recht: Rot stand ihr ausgezeichnet, und sie wagte es sogar, das kleine Sommerkleid mit orangefarbenen Perlenketten zu kombinieren, was einen tollen Effekt ergab. In Kharastan wäre sie nie auf die Idee gekommen, sich so anzuziehen … aber das sollte sie als ein gutes Zeichen werten. Schließlich wollte sie ein neues Leben beginnen!

Alles in allem erstand sie vier Kleider, einen Jeans-Minirock und einige schicke Tops, darunter Neckholder und solche mit Spaghettiträgern, und nicht zu vergessen ein Paar Sandaletten mit schwindelerregend hohen Keilabsätzen, die ihre wohlgeformten Beine atemberaubend betonten.

„Heute Abend bekommst du die Gelegenheit, sie vorzuführen“, versprach Jane.

Sonya sah sie verständnislos an. „Wieso? Was steht denn heute Abend auf dem Programm?“

„Du“, antwortete Jane schlicht. „Hör zu, ich stelle keine Fragen, weil du ganz offensichtlich nicht darüber reden willst. Aber es ist klar, dass du versuchst, über irgendeinen Kerl hinwegzukommen. Das schafft man nur, indem man sich einen neuen sucht, und genau das werden wir heute Abend tun!“

Ein Vorschlag, den Sonya zuerst entsetzt ablehnen wollte. Ihr stand ganz bestimmt nicht der Sinn danach, sich einen Mann zu suchen! Im nächsten Moment aber fragte sie sich, was mit ihr los war, weil sie so unangemessen heftig dagegen aufbegehrte. War es nicht, im Gegenteil, traurig, dass sie mit fünfundzwanzig noch nie einen Freund gehabt, ja, noch nie einen Mann geküsst hatte? Aber so sehr sie Jane auch mochte, es gab Dinge, die man lieber für sich behielt.

Und in gewisser Hinsicht hatte Jane ja sogar recht. Sonya musste sich aus der emotionalen Abhängigkeit von dem Mann befreien, dessen Zuneigung für sie im Wesentlichen darauf beruhte, dass er für einige Jahre zu ihrem gesetzlichen Vormund bestimmt worden war. Deshalb verdrängte sie ihre Panik und nickte. „Und wohin gehen wir?“

„In die Wein-Bar. Heute Abend um sieben.“

Sonya war pünktlich bereit, fühlte sich jedoch wie ein richtiges Nervenbündel. Jede andere junge Frau in ihrem Alter wäre sicher aufgeregt gewesen bei der Aussicht, in brandneuen Kleidern durch eine heiße Sommernacht zu feiern. Aber Sonya hatte das seltsame Gefühl, neben sich zu stehen und sich befremdet dabei zuzusehen. Trotzdem war sie sich durchaus bewusst, wie gut ihr das minikurze, leichte blaue Kleid stand, das ihre schlanke Figur und das Blau ihrer Augen reizvoll hervorhob. Ihr blondes Haar fiel ihr in seidigen Kaskaden über den Rücken bis zur Taille, und die Wirkung ihrer wohlgeformten, gebräunten Beine, verstärkt durch die hohen Sandaletten, war tatsächlich atemberaubend.

Als sie die überfüllte Wein-Bar betrat, drehten sich plötzlich alle Gesichter in ihre Richtung. Unwillkürlich blickte Sonya sich um, weil sie glaubte, irgendeine prominente Persönlichkeit müsse hinter ihr die Bar betreten haben. Aber da war niemand, die Leute schauten sie, Sonya, an.

„Warum starren die mich alle so an?“, flüsterte sie Jane befangen zu.

„Nun hör schon auf!“, tadelte ihre Freundin sie. „Du siehst einfach umwerfend aus! Charlie, würdest du Sonya einen Drink holen?“

Sonya nahm das Glas Weißwein, das Charlie ihr reichte, und nippte vorsichtig daran. Hier stellte sich das nächste Problem. In Kharastan war Alkohol verpönt, obwohl er für ausländische Gäste selbstverständlich zur Verfügung stand. Sonya hatte lediglich bei den königlichen Hochzeitsfeiern für Xavier und Giovanni, Maliks Halbbrüder, ein wenig Champagner gekostet … und gemerkt, wie vorsichtig sie damit sein musste. Denn er stieg ihr sofort zu Kopf, einmal abgesehen davon, dass Malik ihr kleines Experiment eher missbilligend beobachtet hatte.

Nun, darum brauchte sie sich nicht länger zu kümmern! Warum sollte sie nicht mit ihren Freunden einen Drink nehmen? Sie musste es ja nicht gleich übertreiben, wie es manche von Janes Bekannten zugegebenermaßen taten.

Da Sonya aber überhaupt nicht an Alkohol gewöhnt war und zudem seit Mittag nichts mehr gegessen hatte, genügten schon zwei Gläser, um eine spürbare Wirkung zu hinterlassen. Die Luft in der Bar fühlte sich plötzlich unerträglich heiß und stickig an, denn von draußen, wo sich vor der Tür die Raucher drängten, zogen Qualmschwaden herein, und Sonya spürte, wie sie leicht schwankte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Jane besorgt.

„Ich muss etwas essen“, antwortete Sonya matt.

„Ja, ich auch. He, wie wär’s, wenn wir uns beim Inder ein Curry holen und damit zu dir gehen?“

Irgendwie wäre es Sonya kleinlich vorgekommen, Janes Vorschlag abzulehnen, wo sich die Freundin doch so um sie bemüht hatte. Sie protestierte nicht einmal, als sich noch mehrere andere von Janes weitläufigen Bekannten spontan entschieden, sich ihnen anzuschließen, auch wenn die meisten davon schon ein wenig angetrunken waren. Schließlich wollte sie nicht gleich am Anfang in ihrer neu gefundenen Heimat als Spielverderberin auftreten.

Letztendlich war es eine Truppe von zwölf Leuten, die in ihre schöne, kleine Wohnung einfiel und zielstrebig die Küche ansteuerte, um aus großen Alukartons Reis mit Hühnchen in Currysauce auf die vorhandenen Teller zu verteilen. Wer keinen Teller und kein Glas mehr abbekam, aß aus Müslischalen und schenkte sich den Wein, den sie in der Bar besorgt hatten, in Kaffeebecher ein. Als schließlich alle gesättigt waren, suchte jemand einen Musiksender im Radio, und man begann, zwanglos zu tanzen oder sich anderweitig zu amüsieren. Jane tanzte eng umschlungen mit einem jungen Mann, der Scott hieß, wie sich Sonya zu erinnern glaubte. Ein anderes Paar knutschte selbstvergessen auf dem Sofa. Sonya spürte, wie sie allmählich Kopfschmerzen bekam, und wünschte sich nur noch, alle würden endlich gehen, damit sie ins Bett konnte. Zu allem Überfluss zogen erneut von draußen auch noch Rauchschwaden herein, weil auf dem Balkon offensichtlich einige rauchten, obwohl sie ausdrücklich darum gebeten hatte, es nicht zu tun.

Dabei hätte alles so wundervoll sein können, denn die großen, gardinenlosen Fenster boten einen besonders romantischen Blick auf das nächtliche Meer, das im Mondlicht silbern schimmerte. Aber Sonya fand es alles andere als wundervoll, hatte, im Gegenteil, das Gefühl, allmählich die Kontrolle über die Lage zu verlieren … vor allem als derselbe Scott, der eben noch mit Jane angebandelt hatte, auf sie zuwankte und versuchte, sie in die Arme zu nehmen.

„Komm, und tanz mit mir“, forderte er sie auf.

„Nein, bitte, Scott … würdest du mich bitte loslassen? Ich habe einen Teller Curry in der Hand!“ Im selben Moment läutete es an der Tür. Erleichtert ergriff Sonya den Vorwand, um sich aus Scotts Klammergriff zu befreien. Als sie zur Tür eilte, kamen ihr jedoch Bedenken. Wer konnte um diese nächtliche Stunde noch bei ihr klingeln? Sie erwartete niemand … kannte ja außer Charlie und Jane praktisch keine Menschenseele.

Außer dem Vermieter! Hatte ein Nachbar sich über die laute Party in ihrer Wohnung beschwert? Mit Herzklopfen öffnete sie die Tür … und bekam erst recht weiche Knie.

Denn auf der Schwelle vor ihr stand, umgeben von seinen Leibwächtern, groß und Respekt gebietend Malik, der sie missbilligend ansah.

3. KAPITEL

Malik und Sonya blickten sich einen Moment lang schweigend an. Irgendetwas an ihm kam Sonya fremd vor, aber ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er fuhr sie wütend an: „Was geht hier vor?“

Ihr wurde plötzlich bewusst, welchen Eindruck die Situation auf ihn machen musste: die laute Musik, das Lachen und Tanzen, der Dunst von Wein und Zigaretten, ihr zugegebenermaßen etwas derangierter Anblick. „Malik …“

Mit einer gebieterischen Geste schnitt er ihr das Wort ab, während er über ihre Schulter hinweg die Szene hinter ihr verächtlich beobachtete. „Was ist das für eine … Orgie?“

Er schien keine Antwort zu erwarten, sondern verteilte sofort einige Befehle auf Kharastani an seine Leibwächter, die ohne zu zögern die Wohnung betraten und die Sache in die Hand nahmen. Machtlos sah Sonya zu, wie einer der Leibwächter zielstrebig auf die Stereoanlage zuging und die Musik ausschaltete. In der plötzlichen Stille schauten sich alle Anwesenden im Raum erst einmal fragend an, bevor sie einigermaßen ungläubig die Gruppe von großen, fremdländisch anmutenden Männern in dunklen Anzügen registrierten, die dem Partyvergnügen ein jähes Ende bereiteten.

„Was soll das?“ Scott wankte auf Sonya zu. „Brauchst du Hilfe, Schätzchen?“

Sichtlich angewidert, betrat Malik an ihr vorbei die Wohnung. „Sieh zu, dass du ihn loswirst!“, stieß er aus.

Sonya wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren. Sie hoffte nur, dass Scott und seine Freunde vernünftig genug waren, es auch zu begreifen.

„Sofort!“, donnerte Malik, als Scott nicht reagierte.

Sonya, die sah, wie Scott erschrocken zurückwich, mischte sich beschwichtigend ein. „Wärt ihr so nett, jetzt zu gehen?“, bat sie in die Runde. „Die Party ist vorbei.“

Angesichts der angespannten Atmosphäre, brauchten ihre Gäste keine zweite Aufforderung. Rasch suchten sie ihre Handtaschen und anderen Habseligkeiten zusammen und hatten es plötzlich ziemlich eilig, zu verschwinden. Wenn Sonya nicht so besorgt darüber gewesen wäre, was sie von Malik zu erwarten hatte, sobald sie allein sein würden, hätte sie es fast komisch finden können, wie ernüchtert die eben noch so laute, angetrunkene Schar hinaustrottete. Jane gegenüber fühlte Sonya sich zumindest zu einem Erklärungsversuch verpflichtet, weshalb sie etwas von „unerwartetem Besuch aus Kharastan“ sagte, bevor auch die Freundin sichtlich verwirrt und konsterniert verschwand.

Sobald der letzte Gast zur Tür hinaus war, gab Malik seinen Leibwächtern einen Befehl auf Kharastani, der sie veranlasste, ebenfalls die Wohnung zu verlassen, wobei sie zuvor das Licht im Wohnzimmer löschten. Sonya und Malik blieben allein zurück.

„Schließ die Tür“, forderte er sie bedrohlich leise auf.

„Malik …“

„Ich sagte, schließ die Tür.“

Ein gewisser Unterton in seiner Aufforderung weckte seltsame Empfindungen in ihr, andererseits duldeten seine Worte zweifellos keinen Widerspruch. In diesem Punkt fühlte Sonya sich plötzlich wieder wie sechzehn.

Im nächsten Moment aber erkannte sie, dass Malik sie niemals so angesehen hatte, als sie ein Teenager gewesen war … in einer brisanten Mischung aus glühendem Zorn und etwas anderem, das sie nicht zu analysieren wagte, aus Angst, dass ihr dann erst recht schwindlig werden würde!

Deshalb schloss sie schweigend die Tür, bevor sie sich Malik hoffnungsvoll wieder zuwandte. Vielleicht war seine Wut ja verraucht, und er zeigte sich bereit, ihr unkluges Handeln zu verzeihen?

Doch weder in seiner versteinerten Miene noch in seinen dunklen Augen konnte Sonya auch nur eine Spur von Versöhnlichkeit entdecken. Stattdessen wurde ihr allerdings bewusst, warum er ihr so fremd vorgekommen war: Er trug einen Anzug.

Bislang kannte sie Malik nur in den traditionellen Roben seines Landes. Dieser westlich gekleidete Malik war ihr nicht nur fremd, sondern wirkte auch ganz anders, und Sonya brauchte einen Moment, um zu begreifen, wieso. Der elegante hellgraue Anzug unterstrich maßgeschneidert seine breiten Schultern und die schmalen Hüften, während der offene Kragen des Seidenhemdes einen kleinen Blick auf seine gebräunte Brust freigab. Sonya schluckte. Die westliche Kleidung betonte in ganz anderer Weise Maliks männliche Ausstrahlung, als es die traditionelle arabische Kleidung je getan hätte. Es kribbelte Sonya förmlich in den Fingerspitzen, seinen athletischen Körper zu berühren.

„Sieh dich nur an …“, sagte er rau.

Sonya machte große Augen, denn allem Anschein nach war er von ihrem Anblick genauso überwältigt wie sie von seinem. Allerdings verriet sein unergründlicher Blick nicht, ob es ihm gefiel. Langsam betrachtete er sie von Kopf bis Fuß in einer Weise, wie er sie nie zuvor angesehen hatte. Aber sie hatte ihn ja bisher auch noch nie dazu herausgefordert … und wenn sie ehrlich war, dann stellte ihr gegenwärtiges Outfit geradezu eine Einladung dar. Konnte sie es ihm verübeln, wenn er es tat?

Die Sonya, die vor ihm stand, erkannte er nicht wieder. Das glänzende blaue Kleid, das sie trug, schmiegte sich an ihre grazile Figur und reichte gerade bis zur Hälfte ihrer schlanken gebräunten Oberschenkel, die wie Samt und Seide schimmerten. Unter dem dünnen, weichen Stoff zeichneten sich ihre hohen, straffen Brüste verführerisch ab, und ihr schönes, glattes Haar umschmeichelte ihr herzförmiges Gesicht, um dann in blassgoldenen Kaskaden bis weit über ihren Rücken hinabzufallen. Schwarze Mascara betonte in ungewohnter Weise die langen seidigen Wimpern, die ihre ausdrucksvollen blauen Augen umrahmten, während ein schimmernder rosa Lippenstift den Blick des Betrachters unwillkürlich auf die hinreißend sinnlichen Lippen lenkte.

Aber wo war ihre unschuldige Schönheit geblieben? Unwiederbringlich fort?

Von ungeahnter Wut, gepaart mit Verzweiflung gepackt, beugte Malik sich zu ihr vor. „Hast du also dein Ziel erreicht, Sonya?“, fragte er heiser.

Verständnislos blickte sie zu ihm auf. Warum war er so wütend? „Was für ein Ziel?“

Sein Herz pochte wie wild. „Hast du dich wie … ein kleines Flittchen herausgeputzt, um deine Jungfräulichkeit an den erstbesten Mann zu verlieren?“

Ihre Jungfräulichkeit? Sonya schwankte, doch diesmal hatte es nichts mit dem Alkohol zu tun, sondern damit, dass Maliks verächtlicher Vorwurf sie buchstäblich wie eine Ohrfeige traf. Gekränkt presste sie die Lippen zusammen. Woher nahm er das Recht, ihr derart unfaire Vorwürfe zu machen? Ja, er war viele Jahre lang ihr Vormund gewesen und ein sehr guter dazu. Aber jetzt war sein kleiner Vogel flügge geworden, und Sonya war nicht gewillt, sich beleidigen zu lassen, nur weil sie sich wie jede junge westliche Frau ihres Alters benommen hatte. „Ich habe mich nicht wie ein Flittchen herausgeputzt!“, protestierte sie empört.

„Das ist Ansichtssache!“ Sein Blick schweifte unwillkürlich zu ihren vollen Brüsten, die sich durch den dünnen Stoff ihres Kleides abzeichneten. „Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet.“

Trotzig reckte Sonya ihr Kinn hoch. „Und ich habe es auch nicht vor!“

Er atmete ärgerlich ein. Bedeutete diese Weigerung ein Eingeständnis? Natürlich konnte er sie nicht zu einer Antwort zwingen. „Geh, und zieh dir etwas anderes an, Sonya“, sagte er irritiert.

Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben. „Entschuldigung?“

„Es ist zu spät für Entschuldigungen, Sonya“, stieß Malik aus.

Das wurde ja immer schöner! „Ich hatte gar nicht vor, mich zu entschuldigen!“, rief sie fassungslos aus. „Ich kann das einfach nicht glauben! Du stürmst hier in meine Wohnung, stellst mir die persönlichsten Fragen und befiehlst mir dann, mich umzuziehen … als wäre ich ein fünfjähriges Mädchen!“

Malik wünschte sich insgeheim, dass dem so wäre, denn dann hätte sie sich ihm nicht so leicht widersetzen können. Dumme, kleine Närrin! dachte er wütend. War ihr denn nicht bewusst, dass der Anblick ihres engen Kleides und ihrer nackten Beine in ihm den Wunsch weckte … Er schluckte, entsetzt über die gefährliche Wendung seiner Gedanken.

„Spiel nicht mit mir, Sonya“, erwiderte er rau. „Ist dir denn nicht klar, welche Macht eine Frau über die Männer hat, wenn sie ihre Reize so zur Schau stellt? Ist das deine Absicht? Mich so durcheinanderzubringen, dass ich mich nicht mehr auf den Grund meines Besuchs konzentrieren kann, weil du so … provozierend gekleidet bist?“

Sonya blinzelte verblüfft. Hatte Malik gerade wirklich zugegeben, dass ihr Anblick eine tief greifende Wirkung auf ihn ausübte? Konnte sie ihm andererseits seinen Tadel verübeln? Er beurteilte sie natürlich nach den kharastanischen Sitten, mit denen er schließlich aufgewachsen war. Und ganz ehrlich, war ihr das Kleid nicht auch für ihren eigenen Geschmack etwas zu kurz vorgekommen? Sie hätte es nie gekauft, wenn Jane sie nicht dazu überredet hätte.

Zum ersten Mal, seit Malik auf ihrer Schwelle erschienen war, neigte sie leicht den Kopf aus Respekt vor seinem Titel und seinem Rang. „Also schön, ich werde mir etwas … Angemesseneres anziehen, Malik. Fühl du dich inzwischen wie zu Hause, ja?“ Erst als sie den Raum verließ, wurde ihr bewusst, wie lächerlich es war, was sie gesagt hatte. Als ob sich diese Wohnung mit seinem Zuhause, dem Blauen Palast, vergleichen ließe!

Sobald er von ihrem verlockenden Anblick befreit war, atmete Malik auf. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er war es nicht gewöhnt, derart von seinen Gefühlen übermannt zu werden. Es musste an seiner Müdigkeit und Erschöpfung liegen, hervorgerufen durch die drückende Last seiner neu gewonnenen Verpflichtungen.

Andererseits … endlich einmal keinen neugierigen, beobachtenden Blicken ausgesetzt, fuhr Malik sich mit der Zungenspitze über die Lippen und wünschte im nächsten Moment, er hätte es nicht getan, denn sofort wallte heftiges Verlangen in ihm auf. Mit aller Macht versuchte er das Bild aus seinem Gedächtnis zu vertreiben, wie Sonya in diesem aufregend kurzen Kleid vor ihm gestanden hatte, aber es war nicht leicht.

In seiner Vorstellung war sie immer ein Kind geblieben, allenfalls ein aufgeweckter Teenager. Von ihm gänzlich unbemerkt, war sie jedoch zur Frau herangereift. Die langen Seidentuniken, die in Kharastan die übliche Kleidung der Frauen waren, hatten natürlich dazu beigetragen, ihre weiblichen Reize vor seinen Augen zu verbergen. Das entsprach gewissermaßen den Sitten und dem Anstandsgefühl in seiner Heimat.

Malik wurde bewusst, dass er in seiner Position als offizieller Repräsentant seines Landes in der Öffentlichkeit nicht mit einer Frau an seiner Seite auftreten konnte, die so freizügig gekleidet war wie Sonya vorhin. Er fragte sich, ob es klug war, mit ihr überhaupt über den Grund seines Besuchs zu sprechen. Sicher, sie kam jetzt seinem Wunsch nach, sich umzuziehen. Was aber, wenn Sonya die neu gefundenen Freiheiten der westlichen Lebensweise nicht mehr aufgeben wollte und sich nicht mehr mit dem Verhalten identifizieren konnte, das von einer Frau in offizieller Funktion an der Seite des Scheichs von Kharastan erwartet wurde?

Er seufzte. Es war nur ein weiteres Beispiel dafür, wie viel sich geändert hatte, seit er von den Umständen seiner Geburt erfahren hatte, durch die er in rasantem Tempo vom königlichen Berater zum Herrscher über eine große, reiche Wüstennation aufgestiegen war … mit all den Freuden und Lasten, die mit dieser immensen Verantwortung Hand in Hand gingen. Sein verstorbener Vater Scheich Zahir war lange Jahre glücklich mit einer Frau von hoher Herkunft verheiratet gewesen, die ihm jedoch keine Kinder schenken konnte. Viele Männer in Zahirs Position hätten sich eine Zweitfrau genommen, doch er hatte sich stattdessen für mehrere Geliebte entschieden, von denen ihm jede einen Sohn geboren hatte. Die Existenz dieser Söhne hatte er aus Respekt vor seiner Frau bis zu deren Tod geheim gehalten. Sein jüngster, Xavier, war zur Hälfte Franzose, der nächste, Giovanni, zur Hälfte Italiener. Nur Malik, der älteste, war von rein Kharastanischer Herkunft, denn seine Mutter war eine adlige Kharastani gewesen, die bei seiner Geburt gestorben war.

Aus dem einsamen, mutterlosen Jungen, der im Palast erzogen wurde, war schließlich der erste Berater und Vertraute des alten Scheichs geworden. Nur ein Vater war ihm immer vorenthalten worden, denn die Enthüllung seiner Herkunft kurz vor Scheich Zahirs Tod kam zu spät, als dass er noch eine persönliche Beziehung zu ihm hätte aufbauen können.

All diese Erfahrungen hatten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war … und im Grunde hätte es keine bessere Ausbildung für die Rolle des Herrschers geben können. Denn zu herrschen bedeutete, sich von anderen Männern abzuschotten. Wie auch von Frauen.

Langsam schlenderte Malik in die Küche und betrachtete nachdenklich die Überreste der etwas wilden Party, in die er hineingeplatzt war. Vieles an den westlichen Sitten und Bräuchen war ihm fremd und schwer verständlich, wie vermutlich auch umgekehrt. Hier sah er nicht zuletzt eine seiner wichtigsten Aufgaben als moderner Herrscher eines Wüstenstaates … sein Land vorsichtig der westlichen Lebensart zu öffnen. Doch so etwas brauchte Zeit. Hatte Sonya Kharastan verlassen, weil es ihr an Geduld fehlte und sie zu viel zu schnell wollte?

Malik wandte sich ab und ging in das geräumige Wohnzimmer, ohne die Lampen anzuknipsen. Die großen, gardinenlosen Panoramafenster waren allen Einblicken von draußen offen … seine Leibwächter hätten ihm die Unvorsichtigkeit nie verziehen. Doch der Raum besaß im Licht des Mondes einen gewissen, unwirklichen Zauber, der ihn entfernt an sein Zuhause erinnerte … was vor allem an der ungehinderten Aussicht auf die nächtliche See lag. Silbern spiegelte sich der Mond in den kleinen Wellen, sodass sie funkelten und glitzerten. Der elementaren Schönheit des Meeres konnte man sich nicht entziehen, ob hier in Brighton oder in seinem geliebten Balsora, wo er als kleiner Junge Schwimmen gelernt hatte.

Er seufzte, ganz in seinen Erinnerungen versunken, als ihn plötzlich eine sanfte, ihm vertraute Stimme aus den Gedanken riss.

„Malik?“

Bei ihrem Anblick im leichten Schein der Dielenbeleuchtung verschlug es ihm erneut den Atem. Das war Sonya, wie er sie kannte, und doch wiederum ganz anders. Wie versprochen hatte sie ihr aufreizendes Party-Outfit gegen etwas Dezenteres getauscht. Zwar trug sie keine der traditionellen Kharastani-Tuniken, aber der weit schwingende, fast knöchellange Rüschenrock verhüllte ihre langen, wohlgeformten Beine genauso effektiv. Allerdings hatte sie diesen mit einem Top kombiniert, das sich so eng an ihre hohen, straffen Brüste schmiegte, wie sie es in Kharastan nie getragen hätte.

Er fühlte, wie ihn heiße Erregung durchzuckte, und kämpfte verzweifelt gegen die Wirkung an, die Sonyas ungewohnte Erscheinung auf ihn ausübte. Ihm war durchaus klar, dass es allein sein Problem war und nicht ihres. Wahrscheinlich war es höchste Zeit, dass er wieder einmal eine Frau hatte. Nicht Sonya, natürlich, sondern irgendeine Schönheit, die bereit war, seine Geliebte zu werden, ohne ihn zu irgendetwas zu verpflichten. Ja, viel zu lange hatte er nichts als seine Arbeit gekannt, seit dem Tag seiner Krönung, genau genommen. Kein Wunder, dass er jetzt Schwäche zeigte und bei Sonyas Anblick unangemessene Gedanken hegte.

Seitdem er den Thron von Kharastan bestiegen hatte, konnte er sich keine Entspannung mehr zugestehen, aus Angst, in den Augen seines Volkes zu versagen, das immer noch um seinen geliebten, gütigen Scheich trauerte. Auf keinen Fall wollte er dieses Volk in irgendeiner Hinsicht im Stich lassen, weshalb er sich mit aller Energie auf seine neue, schwierige Aufgabe gestürzt hatte.

Nichts konnte einen jemals wirklich auf diese Rolle vorbereiten, wie viel Wissen man sich auch über diesen „Job“ aneignete. Denn es war eben nicht nur irgendein Job, sondern nahm vom gesamten Leben Besitz. Damit er die Position gut ausfüllte, musste er sie sich ganz zu eigen machen und ihr den Stempel seiner Persönlichkeit aufdrücken. Kein Wunder, dass er gar keine Zeit gehabt hatte, an Frauen zu denken!

„Ist es so besser?“, fragte Sonya leise.

Viel besser, hätte er ihr am liebsten verführerisch zugeflüstert, aber mit dem eisernen Willen, für den ihn seine Gegner wie seine Freunde gleichermaßen bewunderten, gelang es Malik, den Blick zu senken und das verlangende Aufleuchten in seinen dunklen Augen zu verbergen. „Gibt es hier einen Raum, der nicht von außen einsehbar ist?“, erkundigte er sich schroff, ohne auf ihre Frage zu antworten. „Wo wir … ungestörter sind?“

Sonyas Herz klopfte schneller. Hatte sie nicht immer davon geträumt? Malik und sie ganz allein in einer romantischen Mondnacht … Doch sie hatte Angst. Konnte es wirklich wahr sein? „Malik?“, flüsterte sie zögernd. „Bist du sicher?“

„Natürlich!“ Er betrachtete sie erstaunt. „Oder schlägst du etwa vor, dass wir dieses Gespräch in einem Raum führen, vor dessen Panoramafenstern nicht einmal Gardinen hängen? Sodass jeder Heckenschütze mich genau im Visier hätte?“

Sonya war froh, dass er in der Dunkelheit des Zimmers nicht erkennen konnte, wie sie errötete. Wie hatte sie die Situation nur derart missverstehen können? „Oh Malik!“ Sie schämte sich plötzlich, weil sie nur an sich gedacht hatte. „Besteht denn die Gefahr?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Es gibt augenblicklich keinen konkreten Anlass zur Besorgnis“, antwortete er sachlich. „Aber in meiner Position ist es immer möglich.“ Außerdem konnte ein wenig Beunruhigung auf ihrer Seite nicht schaden, um sie empfänglich zu machen für seinen Plan. Einen Plan, den er immer noch mit keinem Wort erwähnt hatte!

„Bitte“, bat sie nun rasch. „Ich weiß, wo wir sicher und ungestört sind.“

Nachdem er selbst darum gebeten hatte, konnte er jetzt schlecht einen Rückzieher machen. Malik hoffte nur, dass sie ihn nicht in ihr Schlafzimmer führen würde! Doch zu seiner Erleichterung … und Überraschung … öffnete Sonya eine ganz andere Tür.

„Das Bad?“, fragte er ungläubig, als sie das Licht anknipste.

„Nun ja, es ist vielleicht nicht gerade konventionell …“

„Das kannst du laut sagen“, bekräftigte Malik, musste aber zum ersten Mal seit Wochen lächeln.

„Aber schau dich um … es hat kein Fenster. Wir sind hier wirklich unbeobachtet.“ Es war Sonya ein dringendes Bedürfnis, die Situation zu entspannen, und sich selbst davon zu überzeugen, dass sie noch genauso locker mit Malik umgehen konnte wie früher.

„Ja, das stimmt allerdings.“ Malik sah sich in dem Raum um, ließ den Blick über das beachtliche Sammelsurium weiblicher Accessoires und Kosmetika schweifen. Für die meisten Männer würde das alltäglich sein, sobald sie erst verheiratet waren. Für ihn, den Scheich, nicht. Ein wenig wehmütig prägte er sich alles ein: die Flaschen und Tuben auf der Spiegelablage, die Kerzen und Karaffen mit duftenden Badezusätzen auf dem Rand der großen Badewanne.

Malik schluckte und wurde erneut von heißem Verlangen durchzuckt, als er sich unwillkürlich vorstellte, wie Sonya sich hier in einem parfümierten Schaumbad räkelte. Warum, zum Teufel, hatte sie ihn ausgerechnet hier hineingeführt?

Weil er sie dazu aufgefordert hatte! Und es war höchste Zeit, dass er sich endlich als Herr der Lage zeigte. „Hier kann ich unmöglich mit dir sprechen“, erklärte er mit einer ausladenden Geste und einem Blick, der sein ganzes Erstaunen darüber ausdrückte, dass sie ihm überhaupt einen derart unpassenden Ort anbieten könnte. „Hast du schon gegessen?“

Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie keinen Bissen herunterbekommen, nachdem Jane und ihre Freunde ihre Wohnung so überraschend belagert hatten. Und als sie versucht hatte, selbst etwas von dem Curry zu probieren, war Malik mit seinen Leibwächtern aufgetaucht und hatte die Party beendet. Sonya schüttelte also den Kopf. Sofort zog Malik sein Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und gab ein paar knappe Anweisungen.

„Den Wagen“, sagte er, wobei sein Blick auf Sonyas Gesicht ruhte. „Und einen Tisch für zwei Personen.“

4. KAPITEL

Sonya hatte ganz vergessen, was für ein Gefühl es war, Nutznießerin königlicher Privilegien zu sein. Alles um einen herum wurde lautlos arrangiert und organisiert. Für jemanden aus dem unmittelbaren Gefolge des Scheichs gab es keine Probleme … und falls doch welche auftraten, wurde man wirkungsvoll davor abgeschirmt und beschützt. Die dunklen Limousinen standen pünktlich auf die Sekunde bereit, keinerlei Staus konnten sie aufhalten, denn die Straßen wurden einfach vorher abgesperrt. Wie durch Zauberhand erhielt man ganz spontan einen Tisch in den exklusivsten Nobelrestaurants, in denen ein Normalsterblicher Wochen vorher reservieren musste.

So fuhr genau in dem Moment, als Sonya in Begleitung von Malik das Haus verließ, eine gepanzerte Limousine mit getönten Scheiben vor, sozusagen als Symbol dieses privilegierten, königlichen Lebens.

Es war Sonya nicht ernsthaft in den Sinn gekommen, zu widersprechen, als Malik „vorgeschlagen“ hatte, essen zu gehen und das Gespräch in einem Restaurant weiterzuführen. Zum einen hatte sie wirklich Hunger, zum anderen wusste sie aus Erfahrung, dass es keinen Zweck hatte, sich mit ihm zu streiten, wenn er in dieser Stimmung war. Außerdem war auch ihr einsichtig, dass man vom Herrscher von Kharastan eigentlich nicht erwarten konnte, dass er mit einer jungen, unverheirateten Frau in deren Badezimmer unbegleitet eine Unterhaltung führte! Wobei er immer noch keine Andeutung gemacht hatte, worüber er überhaupt mit ihr reden wollte.

„Was möchtest du denn eigentlich so dringend mit mir besprechen?“, erkundigte sie sich deshalb betont locker, als er neben ihr im Fond der Limousine Platz nahm und der uniformierte Chauffeur losfuhr.

Malik warf ihr einen warnenden Blick zu. Hatte sie immer so freimütig mit ihm gesprochen, und hatte er es einfach vergessen? An seinem Hof gab es zweifellos niemanden außer Sonya, der es gewagt hätte, ihn derart vertraulich zur Rede zu stellen. Und seit sie Kharastan verlassen hatte, war ihm die steife Förmlichkeit seines Lebens mehr denn je bewusst geworden.

Im Moment jedoch fühlte er sich über die Gebühr abgelenkt von der Silhouette ihrer schlanken Beine, die sich durch den dünnen Stoff ihres Rockes abzeichnete, und dem zarten Duft ihres Parfüms. Er lehnte sich in dem weichen Ledersitz zurück und wandte den Blick ab. „Ich habe nicht die Absicht, das hier und jetzt zu diskutieren“, antwortete er betont kühl. „Du musst schon warten, bis wir im Restaurant sind.“

Ach ja, musste sie? Normalerweise hätte sich Sonya gegen seinen arroganten Ton aufgelehnt, aber sie fühlte sich immer noch seltsam verunsichert … durch Maliks unerwartetes Auftauchen ebenso wie durch die Art, wie er sie in ihrer Wohnung angesehen hatte. Und auch jetzt, als sie in der relativen Enge der Limousine nebeneinandersaßen, war es plötzlich anders als sonst. Die alte Unbefangenheit zwischen ihnen schien verschwunden, verdrängt von etwas anderem, das sie augenblicklich nicht genauer analysieren wollte.

Nervös entschied sich Sonya also, Konversation zu machen, wie sie es von den unzähligen Besuchen ausländischer Diplomaten im Palast kannte, allerdings mit Malik noch nie für nötig befunden hatte. „Wohin fahren wir denn?“, erkundigte sie sich höflich, auch um sich von seinem markanten Profil abzulenken, von dem ihr Blick immer wieder wie magisch angezogen wurde.

„Ist das wichtig?“, entgegnete er schroff.

„Ich wette, zum ‚Etoile de la Mer‘“, riet sie. „Es ist das beste Hotel hier in Brighton, mit einem exquisiten Restaurant.“

„Du warst also schon einmal da?“

Sonya zögerte. Wie sollte sie ihm begreifbar machen, wie sehr sich ihr Leben hier von dem privilegierten Dasein unterschied, das sie in Kharastan genossen hatte? „Wohl kaum“, antwortete sie ehrlich. „Es liegt weit außerhalb meiner Preisklasse.“

„Tatsächlich? Aber die Männer stehen doch sicher Schlange, dich in ein exklusives Restaurant auszuführen, Sonya“, meinte Malik bedeutsam.

Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, was diesen Männern seiner Meinung nach als Belohnung für ein teures Abendessen winken könnte. Sonya fühlte sich durch die unausgesprochene Unterstellung gekränkt, war sich aber auch bewusst, dass es einen unverzeihlichen Bruch des Protokolls ihrerseits bedeutet hätte, wenn sie den Scheich im Beisein des Chauffeurs scharf zurechtgewiesen hätte. Deshalb entschied sie sich für eine andere Taktik und antwortete verträumt lächelnd: „Ja, die Schlange erstreckt sich mindestens einmal rund um den Block.“

„Ist das wahr?“, flüsterte er ihr wütend zu.

Ihre blauen Augen blitzten herausfordernd. „Warte, bis wir im Restaurant sind“, gab sie ihm seine eigenen Worte zurück. „Ich habe nicht die Absicht, das hier und jetzt zu diskutieren.“

Ihre Keckheit verschlug ihm die Sprache. Außerdem spürte er, wie ihn erneut heißes Verlangen durchflutete und das Blut in seinen Adern pulsierte. Insgeheim verwünschte er die unselige Tatsache, dass ausgerechnet Sonya ihn so sehr erregte, und noch dazu zu einem so unpassenden Zeitpunkt. Jeder anderen Frau hätte er die Hand unter den Rock geschoben. Und er hätte an die Scheibe des Fahrers geklopft, um ihm zu bedeuten, dass er seine Pläne geändert habe. Dass er keinen Appetit mehr habe, jedenfalls nicht auf Essen. Aber dies war nicht jede andere Frau. Es war … Sonya.

„Malik?“

„Ja?“, fuhr er sie scharf an.

Wie launisch er doch sein konnte! Auch wenn es wehtat, Sonya fand es ganz heilsam, rechtzeitig daran erinnert zu werden, denn letztendlich würde es nur gut für sie sein, sich ihr eigenes Leben in möglichst weiter Entfernung von ihm aufzubauen.

„Wir sind da.“

Die dunkle Limousine war tatsächlich vor einem Hotel vorgefahren, und wie Sonya vorhergesagt hatte, war es das „Etoile de la Mer“.

„Bravo, Sonya“, lobte Malik sie spöttisch.

Wie der Name, der „Seestern“ bedeutete, erwarten ließ, lag das „Etoile de la Mer“ direkt am Meer, einer jener Luxusorte, wo sich die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur die Klinke in die Hand gab. Es war diskret, luxuriös und sehr teuer, sodass man die Gewähr hatte, unter sich zu bleiben. 

Die Fassade fiel eher durch schlichte Zurückhaltung auf. Zwei perfekt getrimmte Lorbeerbäume markierten den Eingang, neben dessen Drehtür mehrere kräftige Türsteher aufmerksam Wache standen, um unerwünschte Personen sofort zu entfernen. Sobald man das Hotel jedoch betrat, wurde offensichtlich, warum es in dem Ruf stand, etwas Besonderes zu sein. Die Aussicht aus dem Restaurant war einfach atemberaubend – ein malerischer Blick aufs Wasser, dessen glatte Oberfläche jetzt im Mondlicht schimmerte.

Maliks Leute hatten ihre Ankunft gut vorbereitet und so unauffällig wie möglich für ein größtes Maß an Sicherheit gesorgt. Nur wenige würden registrieren, wer das Restaurant betreten hatte, bis der Scheich und seine Begleitung an den besten und abgeschirmtesten Tisch geführt worden waren. Und selbst wenn man Scheich Malik erkannte, konnte man darauf zählen, dass sie niemand belästigen würde. Ein Restaurant wie das „Etoile de la Mer“, in dem die allererste Prominenz verkehrte, konnte sich auf die Diskretion seiner Klientel und seiner Angestellten verlassen. Hier würde niemand sein Telefon zücken und die Klatschpresse anrufen, um hinauszuposaunen, dass Scheich Malik von Kharastan mit einer jungen Blondine speiste!

Sie wurden von Fariq erwartet und begrüßt, einem von Maliks engsten Beratern, den Sonya seit ihrer Kindheit kannte, denn er hatte oft mit ihrem Vater konferiert. Er musste inzwischen etwa Ende vierzig sein, doch ihr gewohnt herzliches Lächeln erstarb, als er ihr betont kühl zunickte.

„Wie geht es Ihnen, Sonya?“, erkundigte sich Maliks Berater so förmlich, als wäre sie ihm gerade eben erst vorgestellt worden.

„Danke, gut“, antwortete sie verunsichert.

„Wenn Hoheit mir erlauben, Sie an Ihren Tisch zu führen?“, wandte Fariq sich in Kharastani an den Scheich, vermutlich auch, um nicht vom Empfangschef verstanden zu werden, der genau in diesem Moment neben ihm auftauchte. „Ich habe alles zu Ihrer Zufriedenheit veranlasst.“

Im Vorbeigehen erhaschte Sonya einen Blick auf sich in einem der Spiegel, die den romantischen Ausblick aufs Meer reflektierten. Ihr rosa Top und der lange Rüschenrock konnten gerade noch als präsentabel genug durchgehen für ein Lokal dieser Luxusklasse, auch wenn sie nicht das richtige Designer-Label für ein Essen in königlicher Gesellschaft trugen. Was ihr jedoch zu denken gab, war der fast angstvolle Ausdruck in ihren großen blauen Augen, die ihr zartes Gesicht beherrschten. War sie so nervös, weil sie nicht wusste, was Malik wirklich von ihr wollte? Oder weil ihr noch nie so bewusst gewesen war, was für eine erotische Ausstrahlung dieser atemberaubend attraktive, dynamische Mann an ihrer Seite besaß?

Wie aus dem Nichts erschienen zwei Ober, um ihnen die Stühle zurechtzurücken. Die Bestellungen wurden aufgenommen, dann blieben sie an ihrem Tisch allein zurück. Auch Fariq hatte sich diskret entfernt. Sonya wartete und faltete die Hände in ihrem Schoß wie ein braves Kind … allerdings vor allem, um ihr Zittern zu verbergen. Es fiel ihr nicht leicht, Malik so gegenüberzusitzen und der Versuchung zu widerstehen, sich an seinen markanten Zügen sattzusehen. Ihr Herz pochte wie wild. Sie musste sich zusammennehmen!

„Nun, Malik?“, brach sie zögernd das Schweigen.

Er ließ sich Zeit mit einer Antwort. Das hatte er gelernt … den richtigen Moment abzupassen, um zuzuschlagen, wie der Falke, der geduldig über der Wüste kreiste, bis sein Opfer sich sicher glaubte.

Mit unergründlicher Miene betrachtete Malik ihr Gesicht. Sonyas sinnliche, rosa schimmernden Lippen waren leicht geöffnet. Sein Blick wurde wie magisch davon angezogen, und er hatte plötzlich große Mühe, wie ein Falke zu denken. Stattdessen dachte und fühlte er wie ein Mann, was nicht angemessen war. Nicht bei Sonya.

Zum ersten Mal, seitdem ihm die Idee zu seinem Plan gekommen war, meldeten sich Zweifel. Andererseits, hatte er sich nicht immer durch Stärke und Entschlusskraft ausgezeichnet? Wenn er augenblicklich sexuell frustriert war, dann würde er sich eben eine vorübergehende Geliebte nehmen. Und es würde nicht die hellblonde Unschuld sein, die ihm jetzt gegenübersaß und ihn so erwartungsvoll anblickte.

„Vermisst du Kharastan überhaupt nicht?“, fragte er als Einstieg.

Sonya zögerte, wusste aber, dass sie diese Frage letzten Endes aufrichtig beantworten musste. Alles andere wäre Verrat an ihrer ehrlichen Liebe zu seinem Heimatland gewesen. „Doch, ich vermisse es“, antwortete sie ruhig. „Manchmal spüre ich eine große Leere in meinem Herzen.“

Malik unterdrückte ein Triumphgefühl. „Und dein Job hier in Brighton gefällt dir?“, erkundigte er sich betont beiläufig, als wäre es nicht wirklich wichtig. Doch Sonya wusste, dass Malik niemals unnötige Worte machte.

Autor

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