Julia Gold Band 67

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EIN PRINZ WIE AUS DEM MÄRCHEN von GRAHAM, LYNNE
Attraktiv und unglaublich sexy: Prinz Tariq lässt Fayes Herz höher schlagen. Nie zuvor hat sie jemanden so geliebt wie den Prinzen von Jumar. Endlich wagt Faye von einem Happy End zu träumen, da droht ihr Glück zerstört zu werden - von ihrem Stiefvater!

HEIß WIE DIE SONNE IN DER WÜSTE von MONROE, LUCY
Scheich Amir ist verwirrt! Eigentlich sollte seine Assistentin Grace nur eine geeignete Heiratskandidatin für ihn suchen. Doch unter der heißen Wüstensonne entdeckt Amir plötzlich eine ganz neue, höchst sinnliche Seite an ihr. Ist Grace etwa die Richtige?

DIE BRAUT DES PLAYBOY-SCHEICHS von LAWRENCE, KIM
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  • Erscheinungstag 18.03.2016
  • Bandnummer 0067
  • ISBN / Artikelnummer 9783733705060
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Lucy Monroe, Kim Lawrence

JULIA GOLD BAND 67

1. KAPITEL

In seiner südfranzösischen Villa warf Prinz Tariq Shazad ibn Zachir, oberster Scheich und Führer des ölreichen Golfstaats Jurmar, das Handy beiseite und wandte seine Aufmerksamkeit seinem engsten Vertrauten Latif zu.

Tariq war die sorgenvolle Miene des älteren Mannes aufgefallen. „Stimmt etwas nicht?“

„Ich bedauere, Sie mit dieser Angelegenheit belästigen zu müssen“, Latif legte bekümmert eine Mappe auf den Schreibtisch, „aber ich finde, Sie sollten davon erfahren.“

Verwundert über das Unbehagen des Mannes, schlug Tariq den Ordner auf. Das oberste Blatt war ein ausführlicher Bericht von Jumars Polizeichef. Tariq las den Namen des Ausländers, der wegen seiner Schulden inhaftiert worden war. Es handelte sich um Adrian Lawson, Fayes älteren Bruder!

Noch ein Lawson, der sich des Betrugs schuldig gemacht hatte! Während er die Schilderung der Ereignisse überflog, die zu Adrians Verhaftung geführt hatten, spiegelte sich grenzenlose Verachtung auf seinen markanten Zügen. Wie hatte Fayes Bruder es wagen können, in Jumar ein Bauunternehmen zu gründen und die Bürger auszuplündern, die er, Tariq, geschworen hatte zu beschützen?

Lebhafte Erinnerungen erwachten, aufwühlende Erinnerungen, die Tariq zwölf Monate lang verdrängt hatte. Welcher Mann rief sich schon gern seinen schlimmsten Fehler ins Gedächtnis? Faye mit ihrer geheuchelten Unschuld, die alles darangesetzt hatte, ihn wie eine routinierte Goldgräberin einzufangen. Der Köder? Ihr makelloser Körper und das schöne Gesicht. Die Drohung, nachdem er angebissen hatte? Skandal! Als oberster Scheich von Jumar mochte er zwar mit feudaler Macht über seine Untertanen herrschen, aber selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert musste Tariq ibn Zachir akzeptieren, dass es seine Pflicht war, einen konservativen Lebensstil zu pflegen. Und vor einem Jahr hatte er kaum eine andere Wahl gehabt, denn sein Vater Hamza war gestorben.

Tief durchatmend und blass vor Ärger kehrte Tariq in die Gegenwart zurück. Anders als die meisten Sprösslinge aus den Königsfamilien im Mittleren Osten war er nicht im Westen erzogen worden, sondern ähnlich wie seine Vorfahren aufgewachsen. Militärschulen, Privatlehrer, Überlebenstraining mit britischen Spezialtruppen in der Wüste. Mit zweiundzwanzig war er Pilot und Experte in jeder nur denkbaren Kampfart und hatte seinen Vater endlich überzeugt, dass ein Abschluss in Wirtschaftswissenschaften für ihn vermutlich wichtiger sein könnte als die Fähigkeit, das Volk in den Krieg zu führen – zumal Jumar seit nunmehr hundert Jahren sowohl innerhalb seiner Grenzen als auch mit den Nachbarn in Frieden lebte.

Tariq besaß einen angeborenen Geschäftssinn und hatte die Kassen des ohnehin märchenhaft reichen Staates so gefüllt, dass er und sein Volk mehr für wohltätige Zwecke spendeten als jedes andere Land der Welt. Durch seinen Kontakt mit der freizügigeren europäischen Kultur hatte Tariq den Lebensstil westlicher Frauen kennengelernt. Trotzdem hatte er sich wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans ausnehmen lassen, als er Faye Lawson begegnet war.

„Was soll ich in dieser Sache unternehmen?“, erkundigte Latif sich.

„Gar nichts. Soll die Gerichtsbarkeit ihren Lauf nehmen.“

Latif betrachtete angelegentlich seine Füße. „Es scheint unwahrscheinlich, dass Adrian Lawson das nötige Geld aufbringen kann, um seine Freilassung zu erwirken.“

„Mag sein.“

Nach langem Schweigen räusperte Latif sich zögernd.

Tariq warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ja, ich weiß, was ich tue.“

Trotz seines deutlichen Unbehagens verbeugte sich der ältere Mann und zog sich zurück. Tariq wusste, warum Latif so besorgt war, und überdachte noch einmal seine Entscheidung. Sein unbeugsamer Stolz, sein Zorn über die Falle, in die man ihn gelockt hatte, hatten sein Urteil beeinflusst. Doch es war Zeit, die Verbindung mit Faye Lawson zu beenden und sein Leben fortzusetzen.

Es hätte schon vor einem Jahr geschehen sollen. Die Situation konnte nicht so bleiben. Insbesondere jetzt, da er für die Erziehung von drei kleinen Kindern verantwortlich war, die durch einen tragischen Flugzeugabsturz verwaist waren. Er brauchte eine Gemahlin, eine warmherzige, mütterliche Frau. Es war seine Pflicht, eine solche Frau zu heiraten – allerdings konnte man nicht behaupten, dass er versessen darauf war.

Tariq schob Adrian Lawsons Akte ungelesen beiseite und lehnte sich versonnen zurück. Die Lawson-Geschwister und ihr ungehobelter Stiefvater Percy waren ein raffiniertes, geldgieriges Trio, das keinerlei Skrupel kannte, wenn es um Profit ging. Wie viele andere Männer mochte Faye für dumm verkauft haben? Wie viele Leben hatte Percy durch Erpressung und kriminelle Geschäftspraktiken ruiniert? Und nun hatte sich herausgestellt, dass Adrian, den Tariq bislang als Einzigen für ehrenhaft gehalten hatte, genauso korrupt war. Solche Leute gehörten bestraft.

Tariq malte sich aus, wie ein Falke, der Wappenvogel seiner Familie, hoch über der Wüste kreiste und nach Beute Ausschau hielt. Ein bitteres Lächeln umspielte seine wohlgeformten Lippen. Eigentlich gab es keinen Grund, warum er die Lage nicht ausnutzen und gleichzeitig ein bisschen Spaß haben sollte.

Schweigend saß Faye neben ihrem Stiefvater im Taxi. Ihre zierliche Gestalt verschwand fast neben dem hünenhaften Mann.

Obwohl es erst Vormittag war, herrschte drückende Hitze, und Faye war nach dem langen Nachtflug von London erschöpft. Der Wagen raste mit ihnen durch die breiten alten Straßen von Jumar zum Gefängnis, wo ihr Bruder Adrian festgehalten wurde. Wäre sie nicht besorgt um Adrian und so knapp bei Kasse gewesen, hätte sie sich rundheraus geweigert, das Taxi mit Percy Smythe zu teilen.

Es erschütterte sie nach wie vor, dass sie eine so abgrundtiefe Abneigung gegen einen Menschen hegen konnte. Loyalität der Familie gegenüber war ihr stets äußerst wichtig gewesen, doch sie würde Percy nie verzeihen, dass er sie in den Schmutz gezogen und jegliches Vertrauen zerstört hatte, das Prinz Tariq ibn Zachir ihr je entgegengebracht hatte. Genauso wenig konnte sie verwinden, dass sie zu verliebt gewesen war, um auch nur eine Sekunde über Tariqs unerwarteten Heiratsantrag vor zwölf Monaten nachzudenken.

„Es ist reine Zeitverschwendung.“ Ungeduld spiegelte sich auf Percys feistem, verschwitztem Gesicht. „Du musst dich mit Prinz Tariq treffen und Adrians Freilassung verlangen!“

Faye wurde noch eine Spur blasser. „Das kann ich nicht.“

„Willst du etwa, dass Adrian sich eine dieser ekelhaften Infektionen einfängt und den Löffel abgibt?“, fragte er mit brutaler Offenheit. „Du weißt, dass er nie besonders kräftig war.“

Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, denn die melodramatische Warnung war mehr als berechtigt. Als Kind hatte Adrian unter Leukämie gelitten, und obwohl er davon genesen war, neigte er noch immer dazu, sich überall anzustecken. Seine schwache Gesundheit hatte letztendlich seine Karriere bei der Armee beendet und ihn gezwungen, seine Zukunft neu zu planen und sich in geschäftliche Abenteuer zu stürzen, die zu seiner momentanen Misere geführt hatten.

„Die Leute vom Auswärtigen Amt haben uns versichert, dass er gut behandelt wird“, erinnerte Faye den älteren Mann kühl.

„Insoweit als er auf unbegrenzte Zeit eingesperrt ist! Wäre ich abergläubisch, würde ich meinen, dass dein Wüstenkrieger uns das ganze letzte Jahr mit einem Fluch belegt hat“, beschwerte Percy sich bitter. „Ich hatte damals eine Glückssträhne, habe haufenweise Geld verdient, und sieh mich jetzt an – ich bin praktisch ruiniert.“

Du hast es nicht anders verdient, dachte Faye resigniert. Ihr Stiefvater würde über Leichen gehen, um seinen Vorteil zu sichern. Mit einer einzigen Ausnahme: Adrian war ihm sonderbarerweise so lieb wie ein eigener Sohn. Es war eine Ironie des Schicksals, dass Percy seinen eigenen Wohlstand für den – wenn auch vergeblichen – Versuch geopfert hatte, die Firma ihres Bruders zu retten.

Das Gefängnis lag außerhalb der Stadtgrenze in einer düsteren Festung, die von hohen Mauern und Wachtürmen umgeben war. Sie mussten sich eine Weile gedulden, bis man sie in einen Raum brachte, in dem eine Stuhlreihe vor einer massiven Glaswand aufgestellt war.

Der nächste Schock erwartete sie, als Adrian hereingeführt wurde. Er hatte an Gewicht verloren, und die Gefängniskleidung schlotterte um seinen hageren Körper. Sein aschfahles Gesicht erschreckte sie – ihr Bruder sah keinesfalls gesund aus. Seine Augen waren gerötet, und er mied ihren Blick.

„Du hättest nicht herkommen dürfen“, flüsterte er ins Telefon, mit dessen Hilfe sie sich unterhalten konnten. „Das hier ist mein Problem. Ich war zu dreist und habe mich überschätzt. Ich habe Lizzies Kaufwut nicht gebremst. Es ist der Lebensstil hier … Man verliert irgendwie den Verstand, wenn man versucht, mit den Einheimischen Schritt zu halten.“

Percy entriss Faye den Hörer. „Ich werde mich an die englische Presse wenden und einen solchen Wirbel machen, dass man dich aus diesem Höllenloch entlässt.“

Adrian sah seinen Stiefvater entsetzt an und formte mit seinen Lippen stumm die Worte: Bist du verrückt?

Faye nahm wieder den Hörer, Sorge spiegelte sich in ihren veilchenblauen Augen. „Wir können das Geld nicht beschaffen, das für deine Entlassung erforderlich ist. Dein Anwalt hat uns nach unserer Landung mitgeteilt, dass er dich nicht länger vertreten könne und deine Akte geschlossen sei. Was können wir dagegen unternehmen?“

Adrian senkte den Kopf. „Gar nichts. Hat mein Anwalt euch nicht gesagt, dass es in Fällen wie meinem keine Berufungsverfahren gibt? Wie kommen Lizzie und die Kinder zurecht?“

In Bezug auf seine Frau hatte Faye keine guten Nachrichten. Nachdem man sie mit den Zwillingen aus ihrem luxuriösen Haus in Jumar geworfen und des Landes verwiesen hatte, weil sie keine Einkünfte mehr hatte, war ihre Schwägerin in Selbstmitleid versunken.

„Ist es so schlimm?“ Adrian hatte die Miene seiner Schwester richtig gedeutet. „Hat Lizzie mir nicht einmal einen Brief geschickt?“

„Sie ist ziemlich deprimiert“, räumte Faye widerstrebend ein. „Ich soll dir ausrichten, dass sie dich liebt, momentan aber genug Probleme damit hat, ohne dich zu überleben.“

Adrians Augen schimmerten feucht.

Faye wechselte rasch das Thema, um ihren Bruder abzulenken. „Wie geht es dir?“

„Gut“, behauptete er rau.

„Wirst du ordentlich behandelt?“ Die misstrauischen Blicke der beiden bewaffneten Offiziere bereiteten ihr Unbehagen.

„Ich haben keinen Grund zur Klage … Trotzdem ist es die Hölle, denn ich hasse das Essen, spreche kaum Arabisch und bin ständig krank.“ Die Stimme ihres Bruders bebte. „Percy darf keinesfalls die Medien alarmieren, sonst bin ich hier drin verloren. Die Einheimischen betrachten jede Kritik an Jumar als Kritik an ihrem lausigen Herrscher, der hinter jedem Weiberrock her ist. Prinz Tariq …“

Einer der Offiziere sprang vor und entwand Adrian das Telefon.

„Was ist los? Was ist passiert?“ Faye geriet in Panik.

Doch ihr Stiefvater und sie hätten genauso gut unsichtbar sein können. Adrian wurde durch die Tür hinausgeführt, durch die er hereingekommen war, und entschwand ihren Blicken.

„Ich wette, diese Rohlinge schaffen ihn weg, um ihn zu verprügeln!“ Percy war ebenso fassungslos wie Faye.

„Es hat aber keiner Hand an Adrian gelegt.“

„Vor uns natürlich nicht, aber woher willst du wissen, was sie ihm jetzt antun?“

Sie warteten zehn Minuten in der Hoffnung, Adrian würde wiederkommen. Vergeblich. Stattdessen erschien ein ernst wirkender älterer Mann, um mit ihnen zu reden.

„Ich will wissen, was hier los ist“, verlangte Percy aggressiv.

„Besuche sind ein Privileg, das wir Verwandten einräumen, doch es besteht kein gesetzlicher Anspruch darauf. Das Gespräch wurde abgebrochen, weil wir es nicht dulden, dass unser hoch geachteter Herrscher beleidigt wird.“ Als Percys Gesicht vor Zorn rot anschwoll, fügte der alte Gefängnisbeamte versöhnlich hinzu: „Ich darf Ihnen versichern, dass wir unsere Häftlinge nicht misshandeln. Jumar ist ein zivilisiertes Land. Sie können im Lauf der Woche einen neuen Besuch beantragen.“

In der Gewissheit, dass jedes Wort während der Besuche aufgezeichnet wurde und Adrian nichts davon geahnt hatte, drängte Faye ihren Stiefvater rasch aus dem Raum, bevor er ihrem Bruder noch weiter schaden konnte.

Auf dem Weg zu ihrem kleinen Hotel in einem Vorort schäumte Percy vor Wut. Faye war froh, dass der Chauffeur offenbar kein Wort von Percys giftigen Kommentaren über Jumar und alles Jumarische verstand. Tariqs Namen leichtfertig in der Öffentlichkeit zu erwähnen konnte gefährlich sein. Als ihr Stiefvater geradewegs auf die Bar im Erdgeschoss zusteuerte, stieg Faye in den Lift und kehrte auf ihr Hotelzimmer zurück.

Die Erinnerung an die Verzweiflung im hageren Gesicht ihres Bruders ließ sie nicht los. Noch vor sechs Monaten hatte Adrian geglaubt, sein Glück in einer Stadt machen zu können, in der die Baubranche florierte. Verzweifelt setzte sie sich aufs Bett und blickte aufs Telefon.

„Die Nummer ist leicht zu merken“, hatte Tariq damals gesagt. „Wir hatten das erste Telefon in Jumar. Wähle einfach die eins für die Palastzentrale.“

Von Kummer, Reue und Bitterkeit überwältigt, schloss Faye die Augen. Ob es ihr gefiel oder nicht, Prinz Tariq ibn Zachir schien ihre letzte Rettung zu sein. In den meisten anderen Ländern wäre Adrian für bankrott erklärt, aber nicht wegen seiner Schulden eingesperrt worden, als wäre er ein Krimineller. Sie hatte keine andere Wahl, als sich bei Tariq zu melden und für ihren Bruder um Gnade zu bitten. Tariq war in seiner Heimat sehr mächtig. Er konnte sicher alles tun, was er wollte.

Warum schreckte sie also bei dem Gedanken zurück, sich vor Tariq zu erniedrigen? Warum stellte sie ihren Stolz über das Wohlergehen ihres Bruders? Nervös lief Faye im Zimmer auf und ab. Würde Tariq überhaupt einwilligen, sie zu sehen? Wie konnte sie einen so großen Gefallen von jemandem erhoffen, der sowohl sie als auch ihren Stiefvater verachtete? Sie fühlte sich so hilflos in Jumar, wo allein die Luft nach Reichtum und Privilegien zu riechen schien. Vor einem Jahr war sie allerdings noch hilfloser gewesen, und zwar in Gegenwart eines so exotischen und weltgewandten Mannes wie Tariq ibn Zachir. In ihrer bodenlosen Einfalt hatte sie sich eingebildet, aus einer so ungleichen Beziehung könnte sich etwas Dauerhaftes entwickeln. Aber gleichgültig, was Tariq glauben mochte, sie hatte keinen Anteil an Percys schmutzigem Erpressungsversuch gehabt!

Eingedenk dieser Tatsache griff Faye nach dem Telefon und wählte die einzelne Nummer. In den folgenden Minuten entdeckte sie jedoch, dass in der Palastzentrale nur Arabisch gesprochen wurde. Frustriert beendete sie die Verbindung und holte ihre Börse aus der Handtasche. Im Mittelfach befand sich ein schmaler Goldring, in den verschlungene hieroglyphenartige Zeichen eingraviert waren.

Ihre Hand zitterte. Sie erinnerte sich noch genau an den Moment, als Tariq ihr in der Londoner Botschaft von Jumar den Ring auf den Finger geschoben hatte. Der Gedanke, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, es handele sich um eine echte Hochzeit, war einfach zu demütigend. Es war eine Farce gewesen, die man lediglich inszeniert hatte, um Percys Drohung zu vereiteln, Jumar in einen widerwärtigen Presseskandal zu verwickeln. Erst als das grausame Spiel zu Ende war, hatte Faye erkannt, wie gründlich Tariq sie blamiert hatte.

Sie steckte den Ring in ein Kuvert aus der Schreibmappe, die das Hotel seinen Gästen zur Verfügung stellte, und fügte eine Notiz mit der Bitte um ein Treffen mit Tariq hinzu. Dann ging sie hinunter zur Rezeption und erkundigte sich, ob man einen eiligen Brief ausliefern könne. Der Empfangschef studierte mit großen Augen den Namen auf dem Umschlag und setzte mit ihrer Erlaubnis die Worte „persönlich, vertraulich“ hinzu.

„Für Prinz Tariq?“

Errötend nickte Faye.

„Einer unserer Fahrer wird die Nachricht sofort zustellen, Miss Lawson.“

Wieder auf ihrem Zimmer, duschte sie und zog sich um. Kaum hatte sie sich aufs Bett gelegt, klopfte es heftig an der Tür. Percy. Faye ignorierte ihn. Er hämmerte jedoch so unerbittlich gegen die Tür, dass sie fürchtete, die Leute würden im Hotel zusammenlaufen. Sie öffnete.

„Na also …“ Ihr Stiefvater schob sie beiseite. Sein Gesicht war vom Alkohol gerötet. „Du gehst jetzt ans Telefon und meldest dich bei Tariq. Hoffentlich genießt er es, wenn du dich ihm zu Füßen wirfst. Und falls das Seiner Königlichen Hoheit nicht genügt, drohst du ihm, der Presse zu erzählen, wie es ist, am selben Tag zu heiraten und wieder geschieden zu werden.“

Faye war schockiert. „Meinst du wirklich, wüste Drohungen würden Tariq bewegen, Adrian zu helfen?“

„Mag sein, dass ich mich letztes Jahr in Tariq geirrt habe, aber jetzt weiß ich, wie der Bursche tickt. Er ist eine harte Nuss – dieses Spezialtraining und so –, doch er ist auch ein Offizier und Gentleman, und darauf ist er stolz. Zuerst wirst du ihm also die Stiefel lecken und auf zerknirscht machen …“ Percy begutachtete kritisch ihre dunkelblaue Bluse, die Baumwollhose und das zurückgebundene Haar. „Zerknirscht und schön!“

Ein leises Klopfen ertönte und bot eine willkommene Unterbrechung. Es war der Hotelmanager, der sie bei ihrer Ankunft begrüßt hatte. Jetzt verbeugte er sich so tief, als wäre Faye plötzlich sein wichtigster Gast.

„Eine Limousine ist eingetroffen, um Sie zum Haja zu fahren, Miss Lawson.“

Faye schluckte trocken. Mit einer so schnellen Antwort hatte sie nicht gerechnet.

„Keine Sorge … Sie ist in zwei Minuten unten.“ Anerkennend wandte Percy sich seiner Stieftochter zu. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du den Stein bereits ins Rollen gebracht hast?“

Um seiner unangenehmen Gesellschaft möglichst schnell zu entrinnen, eilte Faye zum Lift. Als sie es sich in der luxuriösen Limousine bequem machte, fühlte sie sich in ihrer schlichten, preiswerten Garderobe wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und irgendwie kam das der Wahrheit sehr nahe.

Sie hatte ihr ganzes Leben in einem stillen Landhaus verbracht und nur selten jemanden außerhalb des begrenzten Freundeskreises ihrer Mutter getroffen. Percy hatte Sarah Lawson geheiratet, als Faye fünf war. Durch einen Autounfall gelähmt, der ihren ersten Ehemann das Leben gekostet hatte, war Fayes Mutter an den Rollstuhl gefesselt und maßlos einsam gewesen. Sie war allerdings auch eine wohlhabende Witwe gewesen. Nach ihrer Hochzeit hatte Percy weiterhin in einem Apartment in der Stadt gewohnt und unter Hinweis auf seine Arbeitsbelastung seine neue Familie nur gelegentlich besucht.

Faye war nie wie andere Kinder zur Schule gegangen. Sowohl sie als auch ihr Bruder waren anfangs von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet worden, aber nachdem Adrian von der Leukämie genesen war, hatte Percy seine Frau überredet, den Jungen die Ausbildung mit Gleichaltrigen beenden zu lassen. Mit elf Jahren hatte Faye sich verzweifelt nach Freundinnen gesehnt und schließlich den Mut aufgebracht, ihrem Stiefvater zu sagen, dass auch sie auf eine öffentliche Schule wolle.

„Und was soll deine Mutter den ganzen Tag allein mit sich anfangen?“, hatte er mit furchterregender Miene geschrien. „Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein! Deine Mutter braucht deine Gesellschaft … das ist alles, was sie im Leben hat!“

Mit achtzehn wäre Faye am Tod ihrer sanften Mutter beinahe zerbrochen. Erst da hatte sie erkannt, dass manche Menschen glaubten, sie hätte ein für einen Teenager unnatürlich behütetes Dasein geführt. Bei einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie im Herbst zu beginnen hoffte, waren etliche kritische Bemerkungen über ihre mangelnde Erfahrung mit der wirklichen Welt gefallen. Dabei hätte sie jedem erzählen können, dass man mit einem Stiefvater wie Percy Smythe unweigerlich einen umfassenden Einblick in die hässlichen Seiten des Lebens gewinnen musste.

Nach einer Fahrt durch die breiten, belebten Straßen, vorbei an einem von hohen Bäumen gesäumten Platz, hielt der Wagen vor einem imposanten alten Sandsteingebäude mit einem prächtigen Tor, das von Soldaten in Paradeuniform bewacht wurde. Verunsichert stieg Faye aus.

Sie ging die Treppe hinauf und betrat eine weitläufige, eindrucksvolle Halle, in der ein stetes Kommen und Gehen herrschte. Stirnrunzelnd blieb sie stehen.

Ein junger Mann im Anzug näherte sich ihr und verbeugte sich. „Miss Lawson? Ich führe Sie zu Prinz Tariq.“

„Danke. Ist dies der königliche Palast?“

„Nein, Miss Lawson. Obwohl die Haja-Festung noch immer der königlichen Familie gehört, erlaubt Seine Königliche Hoheit, dass sie als öffentliches Gebäude genutzt wird“, erklärte er. „Hier befinden sich das Gericht, die Audienzräume sowie Konferenz- und Bankettsäle für Würdenträger und Geschäftsleute, die bei uns zu Gast sind. Prinz Tariq unterhält hier zwar Büros, wohnt aber im Muraaba-Palast.“

Faye betrachtete die hohen Säulen, die die hohe Decke der Halle trugen, und den herrlich schimmernden Mosaikboden. Die Haja summte wie ein Bienenstock. Ein Stammesältester saß auf einer Steinbank und hielt eine Ziege am Strick. Faye sah von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Frauen und andere in eleganter westlicher Kleidung mit hübschen, ernsten Gesichtern, Gruppen von älteren Männern, die die traditionelle Kopfbedeckung, die „kaffiyeh“, trugen, und jüngere in Anzügen mit bloßem Kopf und Akten oder Diplomatenkoffern in der Hand.

„Miss Lawson …?“

Rasch folgte Faye ihrem Begleiter zu einem Seitengang. Wachen, die sowohl mit Gewehren als auch mit kunstvollen Schwertern bewaffnet waren, flankierten eine weit geöffnete Tür. Mit klopfendem Herzen ging sie hindurch. Plötzlich fand sie sich allein in einem üppig bewachsenen Innenhof wieder, dessen Mittelpunkt ein malerisches Wasserbecken bildete. Als sie Schritte hörte, drehte sie sich um und sah Tariq eine Treppe herunterkommen.

Zu ihrer größten Verwunderung war er für einen Ausritt gekleidet: ein weißes Polohemd, hautenge helle Breeches, die seine schmalen Hüften und muskulösen Beine betonten, und glänzende braune Stiefel.

Sie hatte ganz vergessen, wie groß Tariq ibn Zachir war und welch überwältigende Ausstrahlung er besaß. Seine athletische Gestalt und die geschmeidigen Bewegungen waren unverwechselbar. Im Sonnenlicht verkörperte er den Inbegriff männlicher Schönheit. Sein volles schwarzes Haar glänzte, die sonnengebräunte Haut strahlte vor Gesundheit, und die goldbraunen Augen glichen polierten Edelsteinen. Er war so atemberaubend attraktiv, dass Faye all ihre Willenskraft aufbieten musste, um ihn nicht anzustarren. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, heiße Röte stieg ihr in die Wange.

„Ich danke dir, dass du so schnell in ein Treffen eingewilligt hast“, flüsterte sie.

„Leider habe ich nicht viel Zeit. In einer Stunde muss ich an einem Wohltätigkeitspolospiel teilnehmen.“

Tariq lehnte sich an den Steintisch neben dem Wasserbecken. Er warf den Kopf zurück und betrachtete sie so herablassend, dass sie sich klein und hässlich fühlte. „Percy hat dir sicher nicht geraten, zu dem Gespräch mit mir eine Hose anzuziehen, oder?“, meinte er spöttisch. „Oder soll das triste Outfit an mein Mitleid appellieren?“

Tariqs scharfsinnige Einschätzung ihres Stiefvaters ließ Faye noch tiefer erröten. „Ich weiß wirklich nicht, wie du darauf kommst“, erwiderte sie beschämt.

„Spiel nicht die Unschuldige“, warnte er sie mit trügerisch sanfter Stimme. „Die errötende Jungfrau hast du mir im letzten Jahr im Übermaß präsentiert. Ich hätte den Köder sofort wittern müssen, als du ihn ausgelegt hast und mit einem tiefen Dekolleté erschienen bist, aber wie die meisten Männer war ich mit deinem Anblick viel zu beschäftigt, um vorsichtig zu sein.“

Erschüttert über seine Verachtung – die, wie sie zugeben musste, teilweise berechtigt war –, atmete Faye tief durch. „Tariq, es tut mir unendlich leid, was zwischen uns geschehen ist.“

Sein kaltes Lächeln erinnerte nicht im Entferntesten an das betörende Lächeln, das sie so geliebt hatte. „Das glaube ich gern. Damals wäre dir nie in den Sinn gekommen, dass dein kostbarer Bruder schon bald in einer Gefängniszelle in Jumar sitzen könnte.“

„Natürlich nicht.“ Trotz ihres Kummers war sie froh, dass er das leidige Thema sofort anschnitt. „Aber du magst Adrian. Du weißt, dass er ohne eigenes Verschulden eingesperrt wurde.“

„So?“, unterbrach er sie ruhig. „Ist unser Justizsystem so ungerecht? Das hatte ich nicht geahnt.“

Zu spät erkannte sie, dass es ein Fehler gewesen war, die Behörden zu kritisieren. „So habe ich es nicht gemeint. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass Adrian nichts Kriminelles …“

„Nein? Hier in Jumar ist es ein Verbrechen, Angestellte und Lieferanten nicht zu bezahlen und Kunden mit Häusern im Stich zu lassen, die nicht vertragsgemäß fertiggestellt wurden. Wir sind allerdings für solche Fälle sehr praktisch veranlagt.“ Sein Lächeln war keine Spur herzlicher. „Adrian muss nur seine Gläubiger befriedigen, dann bekommt er seine Freiheit zurück.“

„Aber dazu ist er nicht in der Lage“, gestand Faye unbehaglich. „Adrian hat sein Haus verkauft, um die Baufirma zu gründen. Er hat alles, was er hatte, in dieses Unternehmen gesteckt.“

„Und als er in meinem Land war, hat er wie ein König gelebt. Ja, ich bin über die Umstände informiert, die zum Scheitern deines Bruders geführt haben. Adrian war dumm und leichtsinnig.“

Tariqs vernichtendes Urteil ließ sie erblassen. „Er hat Fehler gemacht, ja … Aber nicht aus bösem Willen oder vorsätzlich.“

„Du hast doch sicher schon vom Prinzip der kriminellen Verantwortungslosigkeit gehört.“ Lässig wie ein Raubtier, das sich in seiner Überlegenheit sonnte, beobachtete er sie. „Verrate mir eines: Warum hast du mir das hier geschickt?“

Der unvermittelte Themenwechsel erschreckte Faye fast genauso sehr wie seine totale Emotionslosigkeit. Als sie Tariq das letzte Mal gesehen hatte, war er außer sich vor Zorn gewesen. Verstört blickte sie auf den Ring in seiner Hand. Er warf den Ring in die Luft. Funkelnd fing das schimmernde Metall das Sonnenlicht ein. Nachdem er den Ring geschickt wieder aufgefangen hatte, warf Tariq ihn achtlos auf den Steintisch, wo er klappernd liegen blieb.

„Hast du gehofft, ich würde noch irgendwelche romantischen Erinnerungen an den Tag hegen, als ich dir diesen Ring auf den Finger schob?“, fragte er geringschätzig.

Faye wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Obwohl er ihr solche Seelenqualen bereitete, hatte sie kein Recht, sich zu beklagen. Zugegeben, er hatte sich in ihr getäuscht, doch das konnte man ihm nicht verübeln, nachdem ihr Stiefvater versucht hatte, ihn zu erpressen. Trotzdem verabscheute Faye Tariq, weil er sie für ebenso berechnend und geldgierig hielt wie Percy.

„Sag mir“, fuhr Tariq ungerührt fort, „betrachtest du dich als meine Frau oder als meine Exfrau?“

Empört warf sie den Kopf zurück. „Weder noch. Du hast damals schließlich keinen Zweifel daran gelassen, dass die Hochzeitszeremonie nur eine Show war. Mir ist allzu bewusst, dass ich nie deine Frau gewesen bin.“

Er senkte die Lider. „Ich wollte lediglich wissen, wofür du dich hältst.“

„Ich bin hier, um mit dir über Adrians Position …“

„Adrian hat keine Position“, unterbrach er sie prompt. „Das Gericht hat sich mit ihm befasst, und er kann seine Freiheit nur durch Begleichung seiner Schulden zurückerlangen.“

Tariq war wie ein Fremder. Keine Spur von Höflichkeit oder Mitgefühl, Interesse oder Fürsorge. Dies war ein Tariq, wie sie ihn nicht kannte. Hart, abweisend, unbeugsam. Ein Mann, der es gewohnt war, dass seine Befehle nicht angezweifelt wurden.

Faye verschränkte die Hände. „Du könntest doch bestimmt etwas tun … wenn du wolltest, dass …“

„Ich stehe nicht über dem Gesetz“, erklärte er.

Ihre Verzweiflung wuchs. „Und dennoch kannst du tun, was du willst – das ist doch einer der Vorteile, die man als Feudalherrscher hat, oder?“

„Ich würde nie die Gesetze meines Landes umgehen. Es ist eine schwere Beleidigung, dass du auch nur andeutest, ich könnte das Vertrauen meines Volkes derart missbrauchen.“ Er sah sie streng an.

Sie mied seinen Blick, wollte jedoch noch nicht aufgeben. Da sie vermutlich nur diese eine Chance haben würde, ihrem Bruder zu helfen, blieb sie beharrlich: „Adrian kann seine Schulden nicht in der Zelle abarbeiten.“

„Das ist richtig, aber wie kommt es, dass du und dein Stiefvater zu arm seid, um ihn zu retten?“

„Percy hat all seine flüssigen Mittel in Adrians Firma gesteckt – und erzähl mir nicht, dass du das nicht wüsstest!“ Faye konnte ihre Verbitterung nicht mehr verbergen. Es war inzwischen klar, dass Tariq bereits alle Details im Fall ihres Bruders gekannt und entschieden hatte, sich nicht einzumischen. „Ich bin nur hier, um dich zu bitten, einen Weg zu finden, meinem Bruder zu helfen, weil ich sonst niemanden habe, an den ich mich wenden könnte.“

„Dann solltest du mir erklären, warum ich den Wunsch haben sollte, Adrian zu helfen.“

„Aus Höflichkeit … Menschlichkeit …“, wisperte sie stockend. „Weil du ein Offizier und Gentleman bist.“

Tariq zog eine Braue hoch. „Nicht, wenn es deine selbstsüchtige, ehrlose Familie betrifft.“

„Was kann ich bloß sagen, um dich zu überzeugen, dass …“

„Gar nichts. Nichts, was du sagst, wird mich umstimmen. Warst du eigentlich schon immer so einfältig? Oder war ich so sehr in den Anblick deines Engelsgesichts und deines verführerischen Körpers vertieft, dass mir das Fehlen jeglichen Verstandes bei dir entgangen ist?“

Sein erbarmungsloser Spott traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. „Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“

„Warum fragst du mich nicht einfach, unter welchen Bedingungen du mich überreden könntest, Adrians Schulden zu begleichen?“

„Du würdest sie bezahlen?“ Sie traute ihren Ohren kaum. „Diese Idee wäre mir nie in den Sinn gekommen.“

„Die Zeit drängt. Ich werde es deshalb ganz schlicht formulieren: Gib dich mir hin, und ich werde deinen Bruder von allen Schwierigkeiten befreien. Das ist doch leicht zu verstehen, oder?“

Gib dich mir hin. Ungläubig blickte sie ihn an.

„Sex gegen Geld“, fuhr er zynisch fort. „Das hast du schon einmal probiert, allerdings hast du damals dein Versprechen leider nicht gehalten.“

Faye wurde es plötzlich unerträglich heiß. Sie hob die Hand, um den engen Kragen ihrer Bluse zu lockern. Feine Schweißperlen rannen zwischen ihren Brüsten hinunter. Tariq ließ sie nicht aus den Augen. Unverhohlene Sinnlichkeit lag in seinem wissenden Blick und weckte brennende Sehnsucht in ihr, der sie hilflos ausgeliefert war.

Erschrocken über die verräterische Reaktion ihres Körpers senkte sie den Kopf und kämpfte gegen das wachsende Verlangen an. Sie musste nachdenken, sich konzentrieren, denn Tariq konnte unmöglich meinen, was er gesagt hatte. Sicher trieb er nur ein weiteres grausames Spiel auf ihre Kosten. In dem gleichen Atemzug, in dem er ihr erklärte, er werde keinen Finger rühren, um Adrian zu helfen, versuchte er, sie für die Vergangenheit zu bestrafen. Und zwar durch Demütigung.

Diese Erkenntnis verlieh ihr die Kraft, stolz den Kopf zu heben. „Offenbar war es ein Fehler, dich um ein Treffen zu bitten. Was immer du von mir denken magst, solche Beleidigungen habe ich nicht verdient.“

„Wie schade, dass du nicht beim Film bist. Deine gekränkte Miene ist äußerst beeindruckend.“

„Du solltest dich schämen!“ Empört machte Faye auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Innenhof.

2. KAPITEL

Faye eilte zurück in die belebte Halle, stieß mit jemandem zusammen, entschuldigte sich atemlos und wich zurück zwischen die Säulen.

Ihr war bewusst, sie stand unter Schock. Trotzdem machte es sie wütend, dass Tränen ihr den Blick trübten und sie nicht sehen konnte, wohin sie ging. Sie lehnte sich an die Säule und atmete tief durch, um die Fassung wiederzugewinnen. Was war bloß mit ihr los?

„Erlauben Sie mir, Ihnen eine Erfrischung anzubieten“, drang in diesem Moment eine besorgte Männerstimme an ihr Ohr.

Verwundert, weil sie die Stimme erkannte, öffnete Faye die Augen und schaute auf die glänzenden Schuhe eines kleinen Mannes. Es war Latif, Tariqs ältester Vertrauter, den sie bei mehreren Gelegenheiten im letzten Jahr getroffen hatte. Latif verbeugte sich so tief, dass sie einen fabelhaften Blick auf seinen kahlen Hinterkopf hatte. Im ersten Moment wusste sie nicht recht, wie ihr geschah, doch dann dämmerte ihr, dass der ältere Mann ihr taktvollerweise eine Atempause verschaffen wollte.

„Latif …“

„Hier entlang, bitte.“

Er führte sie durch eine Tür und die angrenzende Halle in einen hellen, im europäischen Stil möblierten Empfangssalon. Dankbar für die klimatisierte Luft, sank Faye auf ein Seidensofa und suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.

Der ältere Mann war in respektvollem Abstand neben der Tür stehen geblieben. Latif war nett. Er hatte ihren Kummer bemerkt und sie hergebracht, damit sie sich in Ruhe erholen konnte. Leider verboten es ihm die guten Manieren, sie allein zu lassen.

Mit leise klirrenden Armreifen und Ohrgehängen betrat eine Prozession barfüßiger Dienerinnen mit Tabletts den Raum. Eine nach der anderen kniete zu Fayes Füßen nieder und reichte ihr Kaffee, Gebäck und buntes Konfekt. Danach entfernten sie sich rückwärtsgehend unter tiefen Verbeugungen. Wahrscheinlich wurden alle Besucher, von denen viele natürlich wichtige Persönlichkeiten waren, mit solch ausgesuchter Aufmerksamkeit und Unterwürfigkeit behandelt, aber Faye fühlte sich dennoch äußerst unbehaglich.

Als sie den bittersüßen Mokka getrunken hatte, beendete Latif mit vollendeter Höflichkeit das Schweigen. „Ich glaube, die Hitze war zu viel für Sie. Hoffentlich fühlen Sie sich jetzt besser.“

„Ja, danke.“ Da sie nicht den leisesten Zweifel daran hegte, dass er über Adrians Misere informiert war, entschied sie sich, das heikle Thema unumwunden anzuschneiden. „Haben Sie eine Ahnung, wie ich meinem Bruder helfen kann?“

„Ich würde empfehlen, dass Sie sich vielleicht morgen erneut an Prinz Tariq wenden.“

So viel zu einem guten Rat aus eingeweihten Kreisen! Faye unterdrückte ein bitteres Lächeln. Woher sollte Latif auch wissen, was sich zwischen ihr und Tariq abgespielt hatte? Gib dich mir hin! Eine unmissverständliche Äußerung, die keinen Raum für Fehlinterpretationen ließ. Faye war noch immer erschüttert, dass Tariq ihr einen so barbarischen Vorschlag gemacht hatte.

Bei dieser Überlegung meldete sich ihr Gewissen. Hatte sie sich Tariq damals nicht ebenso unmissverständlich angeboten? Hatte sie nicht klar gemacht, dass sie mit ihm schlafen wollte? Und hatte sie nicht kalte Füße bekommen, als sie gemerkt hatte, dass die unkluge Einladung seine Haltung ihr gegenüber geändert hatte? Zweifellos sah Tariq in ihr jetzt nur noch eine schamlose Verführerin! Erneut traten ihr die Tränen in die Augen. Es war furchtbar, wie ein Fehler zu immer weiteren führte! Seit dem Moment, als sie von den moralischen Werten abgewichen war, die ihre Erziehung geprägt hatten, war sie vom Schicksal gestraft worden.

Faye erhob sich, um die Haja zu verlassen. „Danke für den Kaffee, Latif.“

„Wenn ich darf, schicke ich Ihnen morgen einen Wagen.“

„Es wäre reine Zeitverschwendung, käme ich noch einmal kommen.“

„Der Wagen wird Ihnen den ganzen Tag zur Verfügung stehen.“

Sie gelangte zu dem Schluss, dass Latif die Freilassung ihres Bruders aus dem Gefängnis wollte. Warum sonst zog er im Hintergrund die Fäden? Sie kehrte in der Limousine zum Hotel zurück.

Als sie mit hängenden Schultern das Foyer durchquerte, kam Percy aus der Bar auf sie zugestürzt. „Nun?“

„Alles, was ich bekommen habe, war … war ein unmoralisches Angebot.“ Sie brachte es nicht über sich, ihren Stiefvater anzusehen, und hoffte inständig, die ehrliche Antwort würde ihn besänftigen und ihr ein weiteres Verhör ersparen. Percy war ein Tyrann, der war er schon immer gewesen. Im Augenblick fühlte sie sich jedoch einem Streit mit ihm nicht gewachsen.

„Na und?“, konterte er ohne Zögern. „Du musst tun, was immer nötig ist, um Adrian nach Hause zu bringen.“

Faye war einmal mehr schockiert. Warum eigentlich? fragte sie sich, nachdem sie ihren wutschnaubenden Stiefvater hinter sich gelassen hatte und zum Lift eilte. Percy hatte nie viel Zeit für sie gehabt. Es war naiv von ihr gewesen, anzunehmen, er würde ihre Empörung teilen. Für Percy zählte allein Adrian. Und sollte das nicht auch für sie gelten?

In ihrem Zimmer angekommen, bestellte sie telefonisch den preiswertesten Snack auf der Karte. Dann machte sie eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ohne sie, Faye, hätte Adrian Tariq nie kennengelernt und wäre nicht auf die Idee verfallen, in Jumar eine Firma zu gründen. Es war außerdem ihre Schuld, dass Tariq sie und ihren Bruder in dem gleichen Licht betrachtete wie ihren Stiefvater. Ob es ihr behagte oder nicht, sie hatte Tariq in eine kompromittierende Situation gelockt, die es Percy ermöglicht hatte, ihm zu drohen. Ihre kindische Vernarrtheit, ihre Lügen und Unreife hatten zu dieser Entwicklung geführt. Adrian musste jetzt leiden, weil Tariq sie alle verachtete und ihnen misstraute. Wer hätte je gedacht, dass aus einer scheinbar kleinen Lüge so viel Kummer erwachsen würde?

Faye schluckte trocken. Bei ihrer ersten Begegnung mit Tariq hatte sie behauptet, dreiundzwanzig zu sein, obwohl ihr neunzehnter Geburtstag erst in einem Monat stattfinden sollte. Logischerweise war Tariq außer sich vor Zorn gewesen, als er von ihrem Täuschungsmanöver erfuhr. Seufzend verdrängte sie die bitteren Erinnerungen und Schuldgefühle und wandte sich der Gegenwart zu. Wie konnte sie ihrem Bruder helfen?

An diesem Abend klopfte Percy noch einmal an ihre Zimmertür, doch sie öffnete mit vorgelegter Kette und erklärte, es gehe ihr nicht gut. Das war keineswegs gelogen. Sie war so müde, dass ihr schwindlig war. Auf ihrem Bett liegend lauschte sie dem durchdringenden Ruf des Muezzin, der die Gläubigen zum Gebet in die Moschee am Ende der Straße rief.

Am nächsten Morgen stieg Faye um halb neun in die Limousine, die für sie bereitstand, wie Latif versprochen hatte. Inzwischen hatte sie erkannt, welch schwerwiegende Fehler sie am Vortag begangen hatte. In ihrem Bestreben, das Gesicht zu wahren, hatte sie nur über Adrian geredet. Kein Wunder, dass Tariq sie weiterhin für eine dreiste Schwindlerin hielt, die ihn einmal mehr umgarnen wollte. Vielleicht würden ein offenes Schuldeingeständnis, eine längst fällige Erklärung und eine aufrichtige Entschuldigung dazu beitragen, seine Feindseligkeit zu mildern. Möglicherweise würde er dann in Betracht ziehen, Adrian Geld zu leihen, damit dieser seine Schulden begleichen konnte. Und am Ende könnten sie dann hoffentlich die Vergangenheit ruhen lassen.

Diesmal brachte sie der Wagen zu einem Seiteneingang der Haja-Festung, wo Latif persönlich sie begrüßte. Angesichts ihres schlichten, mit fliederfarbenen Blüten bedruckten Leinenkleides nickte er anerkennend.

Als sie geradewegs in ein großes, modernes Büro geführt wurde, atmete Faye tief durch und straffte die Schultern. Tariq stand neben dem Fenster und telefonierte mit dem Handy. Er trug einen hellgrauen Anzug, dessen perfekter Schnitt seine breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beine betonte. Bei ihrem Anblick neigte Tariq leicht den Kopf.

Nachdem sie sich auf Latifs Aufforderung hin gesetzt hatte, zog sich der ältere Mann zurück, und sie konzentrierte sich auf Tariq. Die kleinen Gesten, mit denen er seine Worte begleitete, waren ihr nur zu vertraut. Von schmerzlichen Erinnerungen überwältigt, verschränkte sie die bebenden Hände im Schoß. Sie kannte sein markantes, sonnengebräuntes Gesicht fast so gut wie ihr eigenes: tiefschwarze Brauen, goldbraune Augen, schmale Nase, hohe Wangenknochen, energisches Kinn und einen ebenso leidenschaftlichen wie festen Mund.

Erst am Vortag hatte sie seine Anziehungskraft in demütigender Weise zu spüren bekommen. Allerdings hatte er sie in einem schwachen Moment erwischt. Das war alles. Sie war kein vernarrter Teenager mehr, der seinen eigenen Emotionen, aufgepeitschten Hormonen und wilden Fantasien ausgeliefert war. Sie war schnell über ihn hinweggekommen. Zugegeben, sie hatte sich seither mit niemandem mehr verabredet, aber nur weil er ihr das Interesse an Männern gründlich vergällt hatte.

„Warum bist du hier?“

Faye zuckte zusammen. „Ich finde, ich schulde dir eine Erklärung für mein Benehmen im letzten Jahr.“

„Ich brauche keine Erklärung.“ Verachtung schwang in Tariqs Stimme mit. „Ich will nichts hören. Wenn du glaubst, ich wäre so dumm, dir eine Chance für noch mehr Lügen und Rechtfertigungen einzuräumen, unterschätzt du mich gewaltig und …“

„Aber …“

„Es ist äußerst unhöflich, mich zu unterbrechen, wenn ich rede.“

„Soll ich mich dir vielleicht zu Füßen werfen wie ein Teppich, damit du auf mir herumtrampeln kannst?“, rief Faye gereizt.

„Ein Teppich ist leblos. Ich bevorzuge bei meinen Frauen Energie und Bewegung.“

Ihr ohnehin angeschlagenes Selbstvertrauen wurde noch weiter erschüttert. Nichtsdestotrotz probierte Faye es noch einmal. „Tariq, ich muss dir einiges sagen und mich entschuldigen. Damals hast du mir keine Gelegenheit dazu gegeben.“

„Wenn das der einzige Grund für deine Anwesenheit ist, solltest du lieber gehen. Schöne Worte und Krokodilstränen bringen dich nicht weiter. Der bloße Gedanke an deine schamlose Täuschung macht mich wütend.“

„Okay, es ist dein gutes Recht, verärgert zu sein.“

„Geheuchelte Zerknirschung ärgert mich auch“, stellte er trocken fest. „Spar dir die Floskeln. Ich habe dir gestern ein Angebot unterbreitet, und deshalb bist du hier. Nur ein Flittchen würde einen solchen Vorschlag akzeptieren, also hör auf, die süße, unverstandene Unschuld zu spielen.“

Faye, die normalerweise der sanfteste Mensch der Welt war, war schockiert über die Woge des Zorns, die ihr wie heiße Lava durch die Adern strömte. Sie sprang auf. „Ich lasse mich nicht als Flittchen beschimpfen! Wie nennst du einen Mann, der einer Frau ein solches Angebot macht?“

„Einen Mann ohne Illusionen … einen Mann, der Heuchelei verabscheut.“

Sie bebte am ganzen Körper. „Gütiger Himmel, du beleidigst mich mit einem Antrag, den keine ehrbare Frau je in Erwägung ziehen würde, und im nächsten Atemzug sonnst du dich auf deinem Gipfel der Tugend.“

„Du bist keine ehrbare Frau. Du lügst und betrügst und würdest für Geld alles tun.“

„Das ist nicht wahr! Es hat alles mit ein paar kindischen, harmlosen Schwindeleien angefangen. Ich weiß, es war falsch, aber ich war verrückt nach dir.“

„Verrückt nach mir?“ Tariq lachte schallend. „Für eine halbe Million Pfund hast du mich gehen lassen. Du warst so blind vor Gier, dass du dich damit zufrieden gegeben hast!“

Entsetzt wich sie einen Schritt zurück und blickte Tariq fassungslos an. „Ich habe dich gehen lassen … für eine halbe Million Pfund? Was, zum Teufel, willst du mir jetzt wieder vorwerfen?“

Tariq blickte sie eindringlich an. „Du warst eine billige Braut, so viel steht fest. Du hattest keine Mitgift, trotzdem bin ich dich für ein Trinkgeld wieder losgeworden.“

Mit weichen Knien sank sie zurück auf den Stuhl. Offenbar hatte Tariq jemandem Geld ausgehändigt, Geld, von dem sie nichts geahnt hatte. Für derartige Machenschaften kam nur eine Person infrage. „Du hast das Geld Percy gegeben?“

„Ich habe es dir gegeben.“

Erst jetzt erinnerte Faye sich an den Umschlag, den Tariq ihr an jenem schrecklichen Tag ihrer Scheinhochzeit vor die Füße geworfen hatte. Wusste er nicht mehr, dass er zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Arabisch gesprochen hatte? War ihm nicht klar, dass sie naiverweise geglaubt hatte, in dem Kuvert befände sich der Trauschein? Als sie mit gebrochenem Herzen und zutiefst verletztem Stolz aus der Botschaft von Jumar getaumelt war, hatte sie Percy den Umschlag angewidert in die Hand gedrückt.

„Bist du jetzt zufrieden, dass du mein Leben ruiniert hast?“, hatte sie geschluchzt. „Verbrenn diesen Brief … Ich will nie wieder an diesen Tag erinnert werden.“

Wie viele Wochen hatte es gedauert, bis sie sich schließlich überwunden und ihren Stiefvater nach der Urkunde gefragt hatte, in der Hoffnung, er möge sie noch nicht vernichtet haben? Sie hatte gedacht, sie würde das Papier vielleicht benötigen, um eine Annullierung zu beantragen, falls die unkomplizierte Form einer jumarischen Scheidung vom englischen Gesetzt nicht anerkannt werden sollte. Percy hatte sie jedoch ausgelacht, als sie ihre Sorgen erwähnte.

„Stell dich nicht dümmer, als du bist, Faye“, hatte er erwidert. „Das war keine legale Heirat! Sie wurde nicht vollzogen, und er hat dich unmittelbar nach der Zeremonie verstoßen. Dein Wüstenkrieger hat lediglich sein Gesicht wahren und sich mit irgendwelchem Hokuspokus schützen wollen. Warum sonst hat er auf einer Trauung im engsten Kreis in der Botschaft bestanden?“

Percy hatte hinzugefügt, dass Botschaften den Gesetzen ihrer Heimatländer unterlagen und nicht denen des Gastgeberlandes. Faye war viel zu beschämt über ihre eigene Dummheit gewesen, um über den so genannten „Hokuspokus“ zu streiten. Ein wie ein christlicher Vikar gekleideter Araber hatte den ersten Teil der Zeremonie geleitet – allerdings hatte er nur Arabisch gesprochen. Außerdem konnte sie nicht leugnen, dass Tariq selbst die Hochzeit als Scharade bezeichnet hatte.

Faye lenkte ihre verwirrten Gedanken zurück auf den Scheck, der Tariqs Worten zufolge in dem Kuvert gewesen war, das sie leichtfertig weitergegeben hatte. Ein weiterer Beweis für ihre Dummheit! Sie hatte Percy Smythe einen Scheck über eine halbe Million Pfund überlassen. Aber wie, um alles in der Welt, hatte er ihn einlösen können, wenn er auf ihren Namen ausgestellt gewesen war? Daran, dass er ihn eingelöst hatte, bestand für sie nicht der geringste Zweifel.

„Ich wusste nicht, dass in dem Umschlag ein Scheck war, Tariq. Ich wüsste auch nicht, warum du mir hättest Geld geben sollen.“

Das Schweigen dehnte sich endlos.

Überwältigt von Schuldgefühlen und der niederschmetternden Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, senkte Faye den Kopf. Kein Wunder, dass Tariq ibn Zachir sie für ein geldgieriges Flittchen hielt. Kein Wunder, dass er überzeugt war, sie hätte ihn gemeinsam mit ihrem Stiefvater erpressen wollen. Was hatte Percy mit der halben Million gemacht? Percy, der bei seinem Erpressungsversuch von Tariq durch die Ankündigung überlistet worden war, er werde Faye heiraten. Wie auch immer, die gewaltige Summe war sicher längst verschwunden.

„Ich kann nicht glauben, dass du eine Frau mit so niedriger Moral willst“, sagte sie.

„Du bist etwas Neues für mich.“

„Eine Frau, die dich nicht will?“ Faye waren die Konsequenzen mittlerweile egal. Sie war schuldig in allen Punkten der Anklage. Schuldig der wiederholten Dummheit. Schuldig, ein hoffnungslos verliebter Teenager gewesen zu sein, der alles falsch gemacht hatte, um Tariqs Liebe zu erringen. Sie hatte ganze Arbeit geleistet! Dank ihrer Lügen hielt er sie für die skrupelloseste Schwindlerin, der er je begegnet war.

„Ist das eine Herausforderung?“

Müde sah sie ihn an. „Nein.“

„Du wirst so lange meine Geliebte sein, wie ich es wünsche.“ Er betrachtete sie, als würde sie bereits sein Brandzeichen tragen.

Faye ballte die Hände zu Fäusten. „Du kannst mich nicht immer noch begehren! Es ist ein einziger Egotrip. Sinnlose Rache …“

„Nicht sinnlos. Ich handle niemals ohne Überlegung.“ Tariq streckte ihr die Hand entgegen. „Komm her!“

Sie rührte sich nicht von der Stelle. „Ich habe nicht eingewilligt.“

„Dann entscheide dich.“

Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Adrian?“

„Er fliegt mit der ersten Maschine nach England.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht das, wofür du mich hältst. Ich kann mir nicht vorstellen, die Geliebte eines Mannes zu sein. Ich würde dich enttäuschen.“

„Du unterschätzt dich.“

Ihre Blicke begegneten sich.

„Wenn du dir einbildest, ich würde jedes Mal angelaufen kommen, sobald du mit den Fingern schnippst …“

„Früher oder später wirst du das. Meine Geduld ist grenzenlos.“

Sein unerschütterliches Selbstvertrauen war zu viel für Faye. „Du bist ja verrückt!“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Du bist verängstigt.“

„Bin ich nicht! Ich habe diesen Unsinn einfach satt!“

Heiterkeit spiegelte sich in seinen Augen, deren Blick so eindringlich auf ihr ruhte, dass sie ihn wie eine intime Berührung spürte. „Ich habe letzte Nacht nicht geschlafen. Ich konnte nicht schlafen, auch nicht nach ein paar kalten Duschen. Ich wusste, dass du mir gehören würdest.“

„Aber du hasst mich“, protestierte sie.

„Hassen? Welch schreckliches Wort.“ Tariq kam näher. „Bist du deshalb halb krank vor Furcht? Gaukelt dir deine blühende Fantasie Schreckensbilder von Ketten und Peitschen vor? Glaubst du wirklich, ich würde deiner makellosen Haut auch nur eine Schramme zufügen? In meinem Bett wirst du vor Wonne und nicht vor Schmerz schreien.“

Verstört wandte sie sich ab. Ein Fehler, wie sie bald merkte. Er schloss die Arme um sie und drehte sie wieder zu sich um. Mit einer Hand entfernte er die Klammer aus ihrem Haar und warf sie beiseite. Versonnen fuhr er mit den Fingern durch die lange hellblonde Pracht und zwang Faye sanft, den Kopf zurückzulegen.

„Tariq …“

„Du willst mich.“ Er presste die Hand auf ihren Rücken und zog sie fest an sich.

Plötzlich fiel es ihr schwer, gleichzeitig zu atmen und zu reden. Hilflos sah sie ihn an und versuchte verzweifelt, sich gegen seine überwältigende Ausstrahlung zu wehren.

„Du zitterst ja.“

„Mir ist kalt.“ Sie wusste nicht mehr, was sie sagte. Tariqs Nähe verwirrte sie, zumal die verräterischen Reaktionen ihres eigenen Körpers immer heftiger wurden.

„Kalt?“ Tariq senkte den Kopf, sein warmer Atem streifte ihre Wange, das sinnliche Timbre seiner tiefen Stimme lähmte sie. „Wem willst du etwas vormachen?“

„Bitte …“, wisperte sie schwach.

„Bitte was?“ Sein verführerischer Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, öffnete sie einladend die Lippen und schmiegte sich instinktiv an Tariq. „Sag mir, bitte was?“

Sein Duft umfing sie – so vertraut, so unverwechselbar, so ganz … Tariq. Hitze breitete sich in ihr aus, die festen Knospen ihrer Brüste richteten sich auf und drängten gegen den BH. Sie schien in Flammen zu stehen, von innen heraus zu verbrennen, die fiebrige Erwartung steigerte sich ins Unermessliche.

„Was?“, drängte er leise, und seine erotische Stimme jagte ihr prickelnde Schauer über den Rücken.

„Küss mich …“ Kaum hatte Faye die Worte ausgesprochen, gab Tariq sie frei. Seines tröstlichen Halts beraubt, schwankte sie ein wenig.

„Bei uns ist es üblich, dass Intimitäten hinter verschlossenen Türen stattfinden“, erklärte er ruhig. „Dieses Büro ist zu öffentlich, der Harem in Muraaba bietet die nötige Abgeschiedenheit.“

„Der Harem?“, wiederholte sie fassungslos, während sie sich bemühte, das lodernde Verlangen zu unterdrücken.

„Die Rolle einer Geliebten in Jumar ist kein Zeitvertreib und kein Freifahrtschein in die Freiheit oder für Ausschweifungen. Als meine Geliebte hast du vor allem unsichtbar zu sein.“ Tariq seufzte bedauernd. „Du wirst hinter hohen Mauern und verschlossenen Türen wohnen, dein ganzes Dasein und jeden Gedanken auf den Mann in deinem Leben ausrichten, weil allein er dein Leben verkörpert. Verabschiede dich für die nächste Zukunft von der Welt, wie du sie kennst.“

Faye brauchte länger als er, um sich von der Beinahe-Umarmung zu erholen. Bei dem Gedanken, wie sie sich an ihn geklammert, sich sehnsüchtig auf die Zehenspitzen gestellt und wie eine hirnlose Puppe um seinen Kuss gebettelt hatte, wäre sie vor Scham am liebsten im Boden versunken. Er hatte sie dazu gebracht, ihn zu begehren. Mühelos und innerhalb von Sekunden.

„Da andererseits deine Abneigung gegen mich nicht so unüberwindlich zu sein scheint“, fuhr er lässig fort, „wirst du vielleicht untröstlich sein, wenn ich deiner überdrüssig bin.“

„Harem … Du willst mich in einen Harem stecken? Hast du völlig den Verstand verloren?“

„Im Gegenteil. Ich kann dir nicht trauen, und deshalb wird dein Bruder seine Gefängniszelle erst dann verlassen, wenn du eingezogen bist.“

„Tariq!“

Er blickte auf seine goldene Armbanduhr. „Deine Zeit ist vorbei. Auf mich warten noch andere Besucher. Ein Wagen bringt dich zu meinem Heim.“

„Jetzt?“ Ungläubig runzelte sie die Stirn.

„Dein Hotelzimmer wurde geräumt, wenige Minuten nachdem du abgefahren warst. Dein Stiefvater wurde über die baldige Entlassung deines Bruders informiert und wartet bereits vor dem Gefängnis. Du wirst keinen deiner Angehörigen wiedersehen, bis unser Arrangement beendet ist.“

Faye traute ihren Ohren kaum. „Das ist nicht dein Ernst.“

Tariq ging an ihr vorbei und öffnete die Tür. Sein kaltes Lächeln flößte ihr Furcht ein. „Bist du eine Spielernatur?“

Sie wurde blass.

„Und wie gut glaubst du mich zu kennen?“

3. KAPITEL

Vor dem Seiteneingang, durch den Faye die Haja betreten hatte, stand die ihr inzwischen vertraute Limousine bereit. Um sie zum Palast von Muraaba zu bringen? Oder zum Flughafen? Die Wahl lag bei ihr. Eigentlich war sie frei wie ein Vogel, oder? Sie setzte sich auf eine Steinbank und überlegte.

Wie gut glaubst du mich zu kennen? Ein boshafter Seitenhieb des Mannes, der sie beinahe zerstört hätte. War es denn ihre Schuld, dass ihr Stiefvater ein Betrüger war? Ihre eigene Mutter war mittellos gestorben und hatte nur noch das Dach über dem Kopf gehabt. Wenige Wochen nach der Geschichte mit Tariq hatte Adrian beschlossen, das Haus ihrer Kindheit zu verkaufen.

„Okay, Schwesterchen?“ Es war eine Feststellung und keine Frage gewesen.

Adrian hatte sich nicht dafür interessiert, dass es seiner Schwester das Herz gebrochen hatte, das Zuhause zu verlieren. Er hatte auch nicht daran erinnert werden wollen, dass sie gehofft hatte, eine Reitschule zu gründen, und nunmehr, da sie der Stallungen und Weiden beraubt war, ihr geliebtes Pferd ebenfalls verkaufen musste.

Aber Faye war es nicht gewohnt gewesen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. In ihrer Kindheit und Jugend hatte man sie nicht ermutigt, ihren eigenen Wünschen oder Bedürfnissen die gleiche Bedeutung beizumessen wie denen anderer Menschen. Wie hätte sie Adrians Entscheidung widersprechen können? Sie hatte durch ihren Bürojob nicht genug verdient, um ihren Teil der Unterhaltskosten tragen zu können. Also hatte Adrian das Land samt Gebäude und Einrichtung veräußert, um das Kapital für seine Baufirma zu beschaffen. Er hatte ihr versichert, sie würde an den Früchten seines Erfolgs teilhaben. Zweifellos hätte er sie großzügig an seinem Profit beteiligt, hätte er denn welchen erwirtschaftet.

Und was hatte Percy mit der halben Million Pfund von Tariq gemacht? Sich in die eigene Tasche gestopft, nachdem er ihre Unterschrift gefälscht hatte? Oder hatte Tariq ihm die Sache erleichtert, indem er den Scheck auf den Namen ihres Stiefvaters ausgeschrieben hatte? Tariq, der glaubte, alle Frauen verließen sich in finanzieller Hinsicht auf den nächstbesten Mann.

Hatte er mit dem Geld ihr Schweigen erkaufen wollen? Faye erschauerte. Eine Entschädigung für die Hochzeit, die sie zunächst mit kindlicher Freude erfüllt und sich dann als grausame Farce erwiesen hatte? Die Erinnerung an jenen Tag in der Botschaft war ihr unerträglich. Sie hatte wirklich geglaubt, es sei ihr Hochzeitstag. Nach der Zeremonie hatte Tariq sie jedoch wie die niederste Kreatur behandelt, hatte ihren Stolz, ihre Hoffnungen und ihre Liebe zerstört.

„Scheidung ist in meinem Land einfach“, hatte er erklärt. „Ich sage dreimal auf Arabisch ‚Ich verstoße dich‘ und verneige mich dabei in alle Himmelsrichtungen. Willst du mit ansehen, wie ich meine Freiheit wiedererlange? Soll ich dir beweisen, was für ein Schwindel die Trauung war?“

Niemals würde sie den Schmerz und die Demütigung vergessen, die sie an diesem Tag erfahren hatte. Der abweisende Bräutigam, der arrogante, selbstgerechte Prinz, den die angebliche Hochzeit noch wütender gemacht hatte. Er war einfach auf ihren Gefühlen herumgetrampelt, als wäre sie ein Nichts, ein Niemand, auf den man keine Rücksicht nehmen musste. War es da ein Wunder, dass sie ihn hasste?

Ja, sie hasste Prinz Tariq Shazad ibn Zachir. Trotzdem wurde sie noch immer von jenem erschreckenden Verlangen gepeinigt, das ihr vorhin den Verstand vernebelt hatte. Warum? Faye wollte nicht darüber nachdenken. Nichtsdestotrotz hatte sie nicht die mindeste Absicht, in den Harem zu ziehen! Tariq hatte es offenbar für einen guten Witz gehalten. Nun, sie war nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren wie früher.

Adrian musste aus dem Gefängnis befreit werden, bevor er ernstlich krank wurde. In diesem Punkt hatte sie keine Wahl. Ungeachtet der Konsequenzen? Plötzlich hatte sie eine Idee. Sobald Adrian sich auf dem Heimflug nach London befand, war er in Sicherheit! Tariq hatte sie eine Lügnerin und Betrügerin genannt. Warum sollte sie sich anders verhalten? Er verdiente es, überlistet zu werden. Er verdiente es, getäuscht zu werden. Für die Sünde, einen Stiefvater zu haben, der geradewegs aus der Hölle zu stammen schien, hatte sie bereits genug gebüßt.

„Kann ich helfen?“

Faye sah Latif vor sich und stand auf. „Ich würde gern telefonieren.“

Der kleine Mann blickte unbehaglich drein.

„Sogar einem Kriminellen wird normalerweise ein Anruf gestattet – aber vielleicht nicht in einem so zivilisierten und humanen Land wie Jumar“, fügte sie bitter hinzu.

Latif wurde rot und neigte den Kopf. „Hier entlang, bitte.“ Er führte sie in ein Büro und ließ sie dann allein. Faye rief ihren Stiefvater auf seinem Handy an.

„Faye?“, fragte Percy laut. „Welche Fäden du auch immer gezogen hast, es funktioniert! Ich habe zwar noch keine endgültige Bestätigung, aber so, wie es aussieht, wird Adrian am Nachmittag frei sein und …“

„Beantworte mir nur eine Frage“, unterbrach sie ihn. „Am Tag der Hochzeit habe ich dir einen Umschlag gegeben. Was hast du mit dem Scheck darin gemacht?“

Nach kurzem Schweigen räusperte sich Percy.

„Du hast das Geld genommen, oder?“, hakte sie angewidert nach. „Du hast Tariq glauben lassen, er könnte mich kaufen – so als wäre ich auch eine Erpresserin.“

„Adrian hat das meiste davon bekommen, ohne zu ahnen, woher es stammt. Hör auf, von Erpressung zu reden, Faye. Ich habe lediglich deine Interessen geschützt, und wenn Tariq für unser Schweigen bezahlen wollte, warum hätte ich das Geld nicht nehmen sollen?“, verteidigte sich ihr Stiefvater. „Es ist in der Familie geblieben.“

„Du bist ein Betrüger und ein Dieb. Du hast meine Mutter ausgeplündert und mich ausgenutzt. Beleidige nicht meine Intelligenz, indem du von Familie sprichst.“ Faye legte auf.

Hoch erhobenen Hauptes kehrte sie zum Ausgang zurück und stieg in die Limousine. „Wie gut glaubst du mich zu kennen?“, hatte Tariq gefragt. Nun, eines Tages würde er sich wundern, ob er sie je gekannt hatte!

Die Fahrt nach Muraaba dauerte länger, als Faye vermutet hatte. Nachdem sie die Stadtgrenze passiert hatten, erstreckte sich vor ihnen meilenweit nichts als Wüste. Faye war fasziniert von der Leere und den endlosen Sanddünen.

In der Ferne sah sie ein massiges, von befestigten Mauern umgebenes Gebäude, die immer höher wurden, je näher sie kamen. Als der Wagen heranrollte, sprangen einige Einheimische auf, die im Schatten gekauert hatten, und öffneten das Tor. Es gab insgesamt zwei solide Eisentore, wie Faye registrierte, ein hohes äußeres und ein niedriges im inneren Bereich.

Innerhalb der Mauern erstreckten sich prächtige Terrassengärten in alle Himmelsrichtungen. Sie hatte jedoch kein Auge für die Schönheit, sondern zählte die Wachen und erkannte dabei, dass Tariqs Wüstenpalast einer längeren Belagerung wahrscheinlich standhalten würde. Ihre Zuversicht schwand. Der vage Plan, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu fliehen, erwies sich als schwieriger, als sie naiverweise gehofft hatte.

Ohne auf die neugierigen Blicke und Tuscheleien zu achten, die ihr auf ihrem Weg folgten, betrat Faye den Palast. Überall nahmen die Soldaten Haltung an, präsentierten die Waffen und salutierten. Sie ging weiter. Die Muraaba war ein altes Gebäude. Fantastische Mosaiken in leuchtendem Türkis, Grün und Gold schmückten die Wände der großen Halle, in der ihre Schritte widerhallten.

Ein Schmerzensschrei, gefolgt vom Ruf eines Kindes, durchbrach die Stille und ließ Faye zunächst zusammenzucken und dann sofort nach der Quelle suchen. Falls ein Kind verletzt worden war …

Auf der Schwelle zu einem Raum blieb sie stehen. Die Szene, die sich ihr bot, war so unglaublich, dass sie ihren Augen kaum traute. Drei Dienstboten drängten sich wimmernd an die Wand, und ein vierter – eine Frau – lag auf den Knien, während ein kleiner Junge mit einer Rute auf sie einschlug. Einen Moment lang wartete Faye darauf, dass jemand vom Personal eingreifen würde, aber es schritt niemand ein, und das Opfer wirkte viel zu verschüchtert, um sich zu wehren.

Faye trat vor. „Hör auf damit!“

Der Junge hielt kurz verwundert inne, dann machte er weiter.

„Hör sofort auf!“, befahl Faye kalt.

Prompt stürmte das kleine Monster mit der Gerte auf sie zu! Sie beugte sich vor und hob ihn hoch. Der dünne Stock entglitt seiner Hand. Sie hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt, während er seinen Wutanfall austobte und um sich trat, ohne sie oder sonst jemanden zu verletzen. Er war noch sehr jung, aber sein Gesicht war zu einer zornigen Fratze verzerrt.

„Lass mich los!“, schrie er. „Lass mich los, oder ich werde dich auch auspeitschen!“

„Ich lasse dich runter, wenn du aufhörst zu schreien.“

„Ich bin ein Prinz … Ich bin ein Prinz mit dem Blut der Könige von Jumar!“

„Du bist ein kleiner Junge.“ Erst jetzt bemerkte Faye das betretene Schweigen der Anwesenden. Sie betrachtete die kostbar bestickte Kleidung des Kindes. Als er nach ihr spuckte, schüttelte sie den Kopf. „Kein Prinz mit dem Blut der Könige von Jumar würde sich so benehmen.“

Er schob die Unterlippe vor. In seine großen braunen Augen traten plötzlich Tränen. „Ich bin ein ibn Zachir. Ich bin ein Prinz. Und du tust, was ich dir sage … Warum tust du nicht, was ich dir sage?“

Von einer Sekunde zur nächsten verwandelte er sich aus einem kleinen Scheusal in ein Kind – in ein trauriges, verängstigtes Kind. Und er entspannte sich. Faye atmete erleichtert auf und zog ihn an sich. Er konnte nicht älter als fünf Jahre sein.

„Hat der Prinz einen Namen?“

„Rafi …“

Zu spät dämmerte ihr, dass jeden Moment ein empörtes Elternteil auftauchen konnte. Sie befand sich in einem fremden Land mit einer völlig anderen Kultur, in der nach ihren Informationen selbst kleinste Königskinder ermutigt wurden, Dienstboten zu züchtigen. Faye wollte den Jungen wieder auf den Boden stellen, doch er klammerte sich an sie.

Sie spürte, dass etwas ihre Zehen berührte. Prinz Rafis Opfer schluchzte zu ihren Füßen. Die anderen Dienstboten lagen bäuchlings auf dem Boden, als erwarteten sie einen Bombenangriff oder ihr Todesurteil. Sie kam sich auf einmal wie eine Außerirdische vor, die in einem überaus gefährlichen Gebiet gelandet war.

„Müde …“ Rafi hatte den Daumen in den Mund gesteckt.

„Würde jemand Rafi … ich meine, Seine Königliche Hoheit ins Bett bringen?“, fragte sie in der schwachen Hoffnung, jemand möge ein wenig Englisch sprechen – schließlich musste das Kind die Sprache von irgendjemandem gelernt haben.

„Ich bin das Kindermädchen“, wisperte die Frau zu ihren Füßen.

„Es ist falsch und unhöflich, Menschen zu verletzen, Rafi.“ Faye seufzte.

„Er wollte mich nicht verletzen“, beteuerte das Kindermädchen furchtsam.

„Rafi müde.“ Er kuschelte sich an Faye. „Die Lady bringt mich ins Bett. Bitte“, fügte er unvermittelt hinzu.

Vielleicht stehen dann alle auf und bewegen sich wieder, überlegte Faye.

„Mein Pferd fliegt schneller als der Wind“, berichtete Rafi, als sie ihn aus dem Raum trug.

Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er sein Pferd ebenfalls schlage. „Ich liebe Pferde.“

„Ich zeige dir mein Pferd.“

Auf dem Weg durch die Flure wurde ihr Gefolge immer größer, denn überall schlossen sich ihnen Dienstboten an. Und mit jedem verwunderten Blick und jeder anerkennenden Miene, die ihr begegnete, vertiefte sich Fayes Stirnrunzeln. Ein sonderbarer Haushalt. Sie mochte zwar einen Stiefvater aus der Hölle haben, aber es gab nichts, womit Tariq sich bezüglich seines eigenen häuslichen Umfelds brüsten konnte. Schlug auch er seine Diener? Der bloße Gedanke verursachte ihr Übelkeit.

Endlich gelangten sie in Rafis Schlafzimmer, in dem sich jedes nur erdenkliche Spielzeug befand. Verwöhntes kleines Balg, dachte Faye, unbeeindruckt von der süßen Unschuld des schlafenden Kindes. Ein Erwachsener musste ihm diese Brutalität vorgelebt haben. Ein Elternteil? Offenbar teilte Tariq den riesigen Palast mit seiner weitverzweigten Familie. Kein Wunder, dass er darüber gesprochen hatte, sie wie ein düsteres Geheimnis im Harem zu verstecken! Auf gar keinen Fall würde sie in der Muraaba bleiben!

Davon fest überzeugt, erkundete Faye die Zimmerfluchten, bis sie auf einen Raum stieß, dessen Wände von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt waren. Es dauerte eine Weile, dann hatte sie tatsächlich eine Karte von Jumar gefunden, auf der der Flughafen eingezeichnet war. Ihr fiel auf, dass der Flughafen wesentlich weiter von der Stadt entfernt war, als sie in Erinnerung hatte, aber vermutlich handelte es sich um eine ältere Karte, und die Stadt war inzwischen gewachsen.

Nachdem sie den Plan in ihrer Handtasche versteckt hatte, ließ sie sich in einem prachtvollen Empfangssalon auf einem landestypischen Diwan nieder. Noch mehr Verbeugungen und Kniefälle – das Personal schien völlig verschüchtert und eifrig bestrebt zu sein, ihr Wohlwollen zu erregen. Benommen betrachtete sie ihre atemberaubend exotische Umgebung. Fayencen mit komplizierten geometrischen Mustern schmückten die Wände, manche der Fliesen waren sogar mit Juwelen besetzt, und die kunstvolle Deckenkuppel hoch über ihr war offenbar ein Mosaik aus winzigen bunten Glassteinen. Erlesene Orientteppiche lagen auf dem hellen Marmorboden. Der Diwan, auf dem sie saß, war mit handbemalter Seide bespannt. Hier also war Tariq aufgewachsen. Dieses märchenhafte Ambiente unterschied sich so grundlegend von Fayes Elternhaus, dass es ihr den Atem verschlug.

Unvermittelt zogen sich die Dienerinnen zurück, und gleich darauf hörte Faye Männerschritte in der Halle.

Sekunden später kam Tariq herein und blickte sie vorwurfsvoll an. „Latif hat mir mitgeteilt, dass es zwischen dir und Rafi einen Vorfall gegeben hat.“

Eingedenk der schockierenden Episode sprang Faye empört auf. „Es hat sich also jemand über mein Verhalten beschwert, oder? Du solltest mich besser in ein unbewohntes Haus einquartieren, denn ich werde nicht tatenlos mit ansehen, wie ein Kind oder irgendein Erwachsener Dienstboten verprügelt!“

Er presste die Lippen zusammen. „Sag das noch einmal.“

„Du meinst, einmal war nicht genug? Was für ein primitives Land ist dies eigentlich? Welche Gesellschaft gestattet es einem kleinen Kind, sich so aufzuführen?“

Tariq erbleichte unter der Sonnenbräune. „Willst du behaupten, Rafi hätte jemanden vom Personal geschlagen?“

In knappen Worten schilderte sie die Szene.

„Ich werde mich um Rafi kümmern“, erklärte Tariq verärgert. „Wir sind kein primitives Land. Körperliche Gewalt ist körperliche Gewalt in Jumar, egal, wer das Opfer und wer der Täter ist. Ich bin dir für dein Einschreiten sehr dankbar, aber du darfst nicht das ganze Volk nach dem Benehmen meines aufsässigen kleinen Bruders beurteilen.“

„Rafi ist dein kleiner Bruder?“ Sie errötete tief. „Warum zeigt ihm dann niemand seine Grenzen auf?“

„Wer denn? Mein Vater starb, als er drei war, seine Mutter vor sechs Monaten. Sie war eine jähzornige Frau aus einem anderen Golfstaat. Sie hat Rafi all die Gemeinheiten gelehrt. Die Dienstboten, die für ihn sorgen, haben früher ihr gehorcht. Man hatte ihnen jeglichen Mut und Verstand schon längst ausgetrieben, bevor sie ihre Herrin nach Jumar begleiteten. Sie würden nie einen Versuch wagen, Rafi zu mäßigen. Es ist ein Verbrechen, Hand an ein Mitglied des Königshauses zu legen.“

„So?“

„Das Gesetz wurde nicht geschaffen, um Kindern derartige Ausbrüche zu gestatten! Ich habe bislang gezögert, Rafi der Mädchen zu berauben, die ihn seit seiner Geburt betreut haben, aber nun bleibt mir keine andere Wahl. Er muss Manieren lernen.“

„Wie alt ist er?“

„Vier – alt und intelligent genug, um es besser zu wissen. Ich werde die Sache regeln.“ Tariq wandte sich zur Tür.

Faye eilte ihm hinterher. „Was hast du vor?“

„Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich“, erwiderte er. „Obwohl ich wenig Erfahrung mit Kindern habe, ist mir klar, dass man Gewalt nicht mit Gewalt vergelten darf. Ich werde mit ihm reden und ihm zur Strafe ein paar Privilegien entziehen.“

„Es tut mir leid, was ich soeben gesagt habe. Ich habe mich nur so aufgeregt. Rafi ist noch sehr jung und über den Verlust seiner Eltern zweifellos sehr unglücklich.“

„Ich weiß das, aber ich befürchte, er hat die Grausamkeit seiner Mutter geerbt.“

Versonnen blieb Faye zurück. Warum war sie so besorgt und engagiert? Die Angelegenheit hatte nichts mit ihr zu tun, zumal sie keine Expertin in Sachen Kindererziehung war. Nichtsdestotrotz war sie überaus erleichtert, dass Tariq über die Misshandlung verärgert war. Sie hatte sich also im vergangenen Jahr nicht in ihm getäuscht.

Vierzehn Monate zuvor war Adrian zur Hochzeit seines vorgesetzten Offiziers eingeladen worden, an der Tariq als Ehrengast teilnahm. Lizzie war damals hochschwanger gewesen und zu Hause geblieben. Adrian hatte deshalb Faye gebeten, ihn zu begleiten.

„Unsinn, Schwesterchen“, entgegnete er, als sie ablehnen wollte. „Seit Mums Tod hast du dich nur mit Pferden beschäftigt. Ich weiß, du bist schüchtern, aber du brauchst gelegentlich Abwechslung.“

Am Tag der Trauung war Adrians Wagen nicht angesprungen, und sie hatten zu Fayes Kummer ihr uraltes kleines Auto nehmen müssen. Ihr Bruder war ein miserabler Beifahrer und hatte ihre Nerven bis aufs Äußerste strapaziert. Der absolute Tiefpunkt des ohnehin verdorbenen Tages kam jedoch buchstäblich mit einem Knall: In ihrem Bemühen, einen Parkplatz vor der Kirche zu finden, stieß sie beim Rangieren mit Tariqs Stretchlimousine zusammen.

So entsetzt, als hätte sie jemanden getötet, sprang Adrian hinaus und schrie sie an: „Was heißt, du hast nichts gesehen? Das Ding ist so groß wie die verdammte Titanic!“

Zitternd stützte Faye sich auf die Motorhaube ihres Wagens und blickte zu den gereizten dunkelhäutigen Männern hinüber, die aus der Limousine stiegen. Dann wurde die hintere Tür geöffnet, und Tariq erschien völlig ruhig. Er brachte seine Leibwächter zum Schweigen und schlenderte auf Faye und Adrian zu, der noch immer schimpfte und ihm den Rücken zugewandt hatte.

„Wie kann man bloß so dumm sein?“, rief er wütend.

Fayes Aufmerksamkeit galt inzwischen allerdings dem stattlichen, unglaublich attraktiven Mann, der sie anlächelte. Es war ein im wahrsten Sinne des Wortes „beredtes“ Lächeln. Mitfühlend, besorgt, charmant. Ihr Herz begann zu rasen. Von der ersten Sekunde ihrer Bekanntschaft mit Prinz Tariq Shazad ibn Zachir an war Faye wie verzaubert.

Ohne Adrian zu beachten, kam Tariq zu ihr. „Sie stehen unter Schock und müssen sich unbedingt setzen.“

„Aber … Ihr Wagen …“

„Es ist nichts. Bitte denken Sie nicht daran.“

Er führte sie zum Fond der Limousine, wo ein Wächter die Tür aufhielt. Während er ihr auf die mit weichem Leder bezogene Rücksitzbank half, sagte er etwas in seiner Muttersprache, bevor er auf Englisch hinzufügte: „Beruhigen Sie sich. Es ist nichts passiert, was Ihnen Sorgen bereiten müsste.“

„Eure Königliche Hoheit …“, begann Adrian entschuldigend. „Prinz Tariq … meine Schwester … nun ja, ich kümmere mich um sie. Sie brauchen sich nicht zu bemühen …“

„Danke, aber es ist für mich keine Mühe.“ Tariq reichte Faye ein Kristallglas mit eisgekühltem Mineralwasser. Er blickte ihr tief in die Augen, prompt schoss ihre Herzfrequenz in astronomische Höhen. Und sein Lächeln … Dann richtete er sich auf und streckte ihrem Bruder die Hand entgegen.

Wenig später holte Adrian sie aus dem Auto. Während sie sich von Tariq entfernten, fragte sie sich unablässig, ob sie wohl je wieder mit ihm sprechen würde. Sie hatte das Gefühl zu schweben. Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch zu flattern, und heiße Erregung durchrann ihre Adern.

„Es ist mir früher nie aufgefallen, aber ich schätze, du bist recht hübsch.“ Ihr Bruder schob sie in die Kirche. „Dich hat lediglich dein Aussehen gerettet, sonst nichts. Du hast einen Riesenschlitten gerammt, dem selbst ein Blinder hätte ausweichen können. Trotzdem hat Seine Königliche Hoheit behauptet, seine Limo habe am falschen Platz geparkt, nicht vorhandenes Sonnenlicht habe sich in deinem Spiegel gebrochen und dich geblendet, und er werde den Schaden an deinem Wagen bezahlen!“

„Ist er wirklich ein Prinz?“, flüsterte sie.

„Jawohl“, bestätigte Adrian. „Kommandant seiner eigenen Armee und amtierender Feudalherrscher von Jumar am Golf. Sein Vater Hamza liegt angeblich in den letzten Zügen, und Prinz Tariq nimmt bereits sämtliche Auslandstermine des alten Mannes wahr.“

Fayes Euphorie verflog, denn ein Mann seines Standes war für sie unerreichbar. Dennoch ließ die Neugier ihr keine Ruhe. „Verheiratet?“

„Nein. Warum interessiert dich das?“

„Ich wollte es nur wissen. Er ist sehr nett …“

„Nett?“ Er schnitt eine Grimasse. „Nach allem, was ich gehört habe, ist er ein unverbesserlicher Schürzenjäger. Glücklicherweise bist du viel zu jung, um ihn zu reizen.“

„Zu jung? Ich werde nächsten Monat neunzehn!“

„Wow!“ Adrian verdrehte spöttisch die Augen. „Trotzdem bist du absolut sicher vor ihm. Ich bezweifle, dass Prinz Tariq so skrupellos ist, vernarrte Kinder auszunutzen.“

Diese unselige Unterhaltung führte wenige Stunden später zu der ersten Lüge, die Faye aussprach, seit die das Stadium kindlicher Flunkerei überwunden hatte. Beim Empfang ließ Adrian sie allein und schloss sich der Runde seiner Kameraden an.

Tariq kam zu ihr. „Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“

Selbst heute, über ein Jahr danach, musste Faye zugeben, dass ihr noch nie so leicht eine Lüge über die Lippen gekommen war. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Mann beeindrucken und nicht wie ein verliebtes Schulmädchen wirken wollen. Sie wusste, sie hatte nur diese eine Chance, denn es war äußerst unwahrscheinlich, dass sie sich je wieder treffen würden.

„Jemand, der Sie sehr gut kennt, hat Sie als Teenager bezeichnet“, meinte Tariq lässig, nachdem er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte.

„Manche Menschen verlieren das Zeitgefühl, wenn sie einen ein paar Jahre nicht gesehen haben.“ Da sein Blick unverwandt auf ihr ruhte, fuhr sie sich lässig mit den Fingern durchs silberblonde Haar und schenkte ihm ein – wie sie hoffte – trotzdem amüsiertes Lächeln. „Ich bin zwar nicht groß, aber immerhin dreiundzwanzig.“

„So sehen Sie gar nicht aus“, erwiderte er offen.

„Das macht die gesunde Landluft“, behauptete sie mit einem koketten Augenaufschlag.

Und das war es gewesen. Sie hatte lediglich erreichen wollen, dass er sie nicht wegen ihrer Jugend ignorierte und sich nicht für sie interessierte. Weiter hatte sie nicht gedacht.

Autor

Lucy Monroe
<p>Die preisgekrönte Bestsellerautorin Lucy Monroe lebt mit unzähligen Haustieren und Kindern (ihren eigenen, denen der Nachbarn und denen ihrer Schwester) an der wundervollen Pazifikküste Nordamerikas. Inspiration für ihre Geschichten bekommt sie von überall, da sie gerne Menschen beobachtet. Das führte sogar so weit, dass sie ihren späteren Ehemann bei ihrem...
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Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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