Julia Gold Band 94

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ZAUBER DER WÜSTE von SUSAN MALLERY

In einer heißen Wüstennacht lässt Kayleen sich von Prinz As’ad zur Liebe verführen und ist überglücklich. Bis As’ad entdeckt, dass er ihr erster Mann ist, und ihr sofort einen Antrag macht. Nur aus Pflichtgefühl? Denn die magischen drei Worte sagt er nicht …

1001 KUSS - UND DANN SCHLUSS? von SUSAN STEPHENS

Nur noch einmal die Freiheit genießen! Bevor er die Thronfolge in seinem fernen Wüstenreich antreten muss, will der glutäugige Prinz Razi eine letzte Nacht der Sünde erleben: ohne Zwänge, ohne Pflichten! Ist die junge Lucy die Richtige für seinen lustvollen Plan?

EIN PALAST WIE IM MÄRCHEN von PENNY JORDAN

Danielle ist empört! Prinz Jourdan, der zukünftige Scheich von Qu’Har, hat sie entführt, um sie zur Heirat zu zwingen. Obwohl sie in heißer Leidenschaft für ihn entbrannt ist, kann sie nicht seine Frau werden. In seinem Palast würde sie sich wie eine Gefangene fühlen …


  • Erscheinungstag 04.09.2020
  • Bandnummer 94
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715120
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Susan Stephens, Penny Jordan

JULIA GOLD BAND 94

PROLOG

„Was für eine unmögliche Situation.“ König Mukhtar von El Deharia schritt gereizt in seinen Privatgemächern auf und ab.

Prinzessin Lina blieb unbeeindruckt, was ihr einen tadelnden Blick von ihrem Bruder einbrachte. „Du lächelst. Findest du das etwa komisch? Ich habe drei Söhne in heiratsfähigem Alter. Drei! Und keiner zeigt auch nur das geringste Interesse an einer Ehe. Nein, stattdessen scheinen sie alle mit ihrer Arbeit verheiratet zu sein. Warum amüsieren sie sich nicht ein bisschen wie andere Männer auch?“

Lina musste lachen. „Du beklagst dich, weil deine Söhne fleißig sind und keine Playboys? Was bedrückt dich außerdem? Zu viel Geld in der Schatzkammer? Dass die Krone zu schwer ist?“

„Du machst dich über mich lustig.“

„Als deine Schwester ist das geradezu meine Pflicht.“

„Mich plagen ernsthafte Sorgen“, beharrte er gekränkt. „Was soll ich machen? Ich brauche einen Erben und wünsche mir Enkelkinder. Und was tun meine Söhne? Qadir repräsentiert unser Königreich im Ausland und ist damit vollauf beschäftigt. As’ad kümmert sich Tag und Nacht um die wirtschaftlichen Belange, höchst erfolgreich, wie ich zugeben muss. Und Kateb? Der hat sich in die Wüste zurückgezogen und mimt den Beduinenfürsten.“

„Hm, ich wüsste vielleicht einen Rat für dich. Willst du ihn hören?“

„Ja, heraus damit.“ Mukhtar verschränkte die Arme vor der Brust.

Aber deine Körpersprache drückt das Gegenteil aus, dachte Lina amüsiert. An die gebieterische Attitüde ihres Bruders war sie natürlich längst gewöhnt. Dass er sie jetzt tatsächlich um Rat fragte, bedeutete großes Vertrauen, und Lina beschloss, besonders einfühlsam vorzugehen.

„Ich denke da an König Hassan von Bahania“, begann sie. „Er hat seine Söhne allesamt glücklich verheiratet.“

„Wie das?“ Mukhtars Interesse war geweckt.

„Na ja, er hat sie verkuppelt, wobei er nicht zimperlich vorgegangen ist.“

„Du willst sagen …“

„Er hat sich in ihr Privatleben eingemischt, Situationen herbeigeführt, um seine Söhne mit passenden Kandidatinnen in Kontakt zu bringen. Mit Erfolg.“

In Mukhtars Blick stand Ablehnung. „Ich bin der König von El Deharia. Ein solches Verhalten schickt sich nicht für ein Staatsoberhaupt.“

„Da gebe ich dir völlig recht.“ Lina unterdrückte ein amüsiertes Lächeln. Sie wusste genau, was gleich kommen würde.

„Nun, du hingegen unterliegst nicht den Zwängen meiner Position. Du könntest an meiner Stelle …“ Seine Augen verengten sich. „Das hast du doch alles längst eingefädelt, oder?“

„Ich gebe zu, mir fallen da auf Anhieb ein paar junge Damen ein, die zu meinem Neffen passen könnten“, legte sie ihren Köder aus.

Mukhtar biss an, wie erwartet. „Da bin ich aber gespannt. Erzähl.“

1. KAPITEL

Prinz As’ad von El Deharia schätzte einen reibungslosen Tagesablauf, wofür sein sorgfältig ausgewähltes Personal mit stets gleichbleibender Routine sorgte. Seine Arbeit im Palast machte ihm Freude, und er liebte die Verantwortung, die mit dem Ausbau der Infrastruktur des aufstrebenden kleinen Königreichs verbunden war.

Natürlich könnte er seine Stellung als reicher Prinz und Scheich auch nutzen, um sich ein schönes Leben zu machen. So sahen das zumindest einige seiner ehemaligen Kommilitonen. Doch das war nicht As’ads Welt.

Seine einzige Schwäche war seine Tante Lina. Deshalb erlaubte er ihr auch, unangemeldet in sein Büro zu platzen. Eine Entscheidung, die er später bereuen würde, doch das wusste er jetzt noch nicht.

„As’ad, du musst sofort mitkommen!“, bestürmte die sonst so beherrschte Lina ihn aufgeregt. „Im Waiseninternat gibt es Ärger. Ein Stammesfürst aus der Wüste ist dort aufgetaucht und erhebt Anspruch auf drei Schwestern. Natürlich weigern die Mädchen sich, und eine der Lehrerinnen droht, vom Dach zu springen, wenn du die Sache nicht regelst.“

„Warum ich?“

„Du bist bekannt für deine Vernunft und deinen Sinn für Gerechtigkeit. Wer sonst wäre besser geeignet als du?“, erwiderte Lina – und wich seinem Blick aus.

Sofort kam ihm der Verdacht, manipuliert zu werden. Seine Tante setzte gern ihren Kopf durch, und dafür war ihr jedes Mittel recht.

Sie bedachte ihn mit einem unschuldsvollen Blick, in den sich schiere Verzweiflung mischte. „Da ist wirklich die Hölle los. Bitte komm, As’ad.“

Widerstrebend fügte er sich. Was blieb ihm auch anderes übrig?

Eine Viertelstunde später wünschte As’ad sich ganz weit weg, am besten auf den Mond. In der Schule erwartete ihn ein unbeschreibliches Chaos. Schülerinnen weinten laut, verzweifelte Lehrerinnen, ebenfalls den Tränen nahe, versuchten Ordnung zu schaffen. Der Stammesfürst, eine imposante, hoch gewachsene Erscheinung, und seine Männer diskutierten hitzig mit einer zierlichen jungen Frau, deren Haar wie rotes Herbstlaub leuchtete. Hinter ihrem Rücken drängten sich besagte drei Schwestern schluchzend aneinander.

„Ich entdecke niemanden auf dem Dach.“ Er sah seine Tante fragend an.

„Nun, vermutlich hat sich die Lage inzwischen etwas entspannt, wenn auch nicht völlig, wie du selbst siehst.“

Lina hatte recht. Bewundernd betrachtete er die Frau mit den langen roten Haaren und der kämpferischen Miene, die dem Furcht einflößenden Stammesfürsten so tapfer die Stirn bot.

As’ad trat auf ihn zu und neigte zur Begrüßung respektvoll den Kopf. „Tahir, du verlässt die Wüste nicht oft, um uns mit der Ehre deiner Anwesenheit zu beglücken. Hast du vor, länger zu bleiben?“

Tahir zügelte seinen Zorn und verbeugte sich respektvoll. „Prinz As’ad. Endlich ein Mensch mit Verstand! Ich wollte Euch in der Stadt aufsuchen, doch diese Frau …“, er spuckte das Wort aus wie eine Beleidigung, „… macht Schwierigkeiten. Die Pflicht hat mich hergeführt sowie das Bedürfnis, die Gastfreundschaft der Wüste zu bekunden. Das begreift diese Amerikanerin offenbar nicht und hindert mich an der Erfüllung meiner ehrenvollen Aufgabe.“ Tahirs Stimme bebte vor unterdrückter Wut und Empörung.

As’ad unterdrückte ein entnervtes Seufzen. Hier stand ihm noch einiges bevor, das ahnte er.

„Ich werde euch bis zum letzten Atemzug verteidigen, falls nötig“, ließ sich in diesem Moment die Lehrerin mit fester Stimme vernehmen. „Ihr Vorhaben ist unmenschlich und grausam. Das erlaube ich nicht!“ Sie funkelte As’ad kampflustig an. „Daran können auch Sie nichts ändern.“

„Sie sind …?“ Er schlug bewusst einen herrischen Ton an. Um Kontrolle über die Situation zu erlangen, musste er seine absolute Autorität demonstrieren.

„Kayleen James. Ich bin Lehrerin.“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch As’ad schüttelte den Kopf.

„Ich stelle hier die Fragen, und Sie antworten.“

Unter ihren Sommersprossen wurde sie blass. „Was soll das heißen? Wissen Sie überhaupt, was dieser schreckliche Kerl mit den drei unschuldigen Mädchen vorhat?“, trotzte sie ihm unerschrocken.

Ihre großen Augen waren von ungewöhnlicher Farbe: einer Mischung aus Meergrün und Saphirblau. Jetzt, da Tränen sie verschleierten, dominierte das Blau.

As’ad wandte sich an Tahir. „Mein Freund, was genau führt dich hierher?“

Tahir deutete auf die Mädchen. „Die da. Ihr Vater stammt aus meinem Dorf. Er ging fort, um die Schule zu besuchen, aber er ist immer noch einer von uns. Kürzlich erfuhren wir von seinem Tod. Ich bin hier, um die Mädchen nach Hause zu holen, ins Dorf.“

Kayleen machte einen Schritt auf ihn zu. „Wo Sie sie voneinander trennen und zu Hausdienerinnen machen wollen.“

„Es sind Mädchen, und irgendjemand muss sich um sie kümmern. Einige Familien im Dorf haben sich bereit erklärt, jeweils eine bei sich aufzunehmen. Wir ehren das Andenken ihres Vaters.“ Tahir blickte As’ad stolz an. „Man wird sie gut behandeln, dafür verbürge ich mich mit meiner Ehre.“

„Niemals!“, rief Kayleen leidenschaftlich aus. „Sie werden sie nicht mitnehmen. Die drei haben nur einander. Es ist nicht recht, sie zu trennen. Sie verdienen zumindest die Chance auf eine bessere Zukunft.“

As’ad sehnte sich nach der geordneten Routine seines Büroalltags. „Lina, bleib du bitte bei den Mädchen.“ Mit einer Kopfbewegung befahl er Kayleen, ihm zu folgen. „Sie kommen mit mir.“

Kayleen blickte Lina verunsichert an, doch diese bedeutete ihr mit einem Nicken, As’ad zu gehorchen. Mit zitternden Knien setzte sie sich in Bewegung und betrat das leere Klassenzimmer, in das As’ad verschwunden war.

Er schloss die Tür hinter ihr und musterte sie forschend. „Also, jetzt mal ganz von vorn. Was war heute hier los?“

Bis zu diesem Moment hatte Kayleen ihn gar nicht richtig wahrgenommen. Jetzt sah sie sich einem dunkelhaarigen, attraktiven Mann mit breiten Schultern gegenüber, der sie weit überragte. Und ihr Herz zum Klopfen brachte … In ihrem Alltag ergaben sich nicht viele Kontakte zu Männern, was ihr nur recht war. „Ich habe unterrichtet“, begann sie. Es fiel ihr plötzlich schwer, ihm in die dunkelbraunen Augen zu schauen … und mindestens genauso schwer, den Blick abzuwenden. „Pepper – das ist die Jüngste der drei – platzte aufgeregt ins Klassenzimmer und behauptete, ein böser Mann wolle sie mitnehmen. Im Flur traf ich dann auf den Stammesfürsten, der Dana und Nadine bereits in seiner Gewalt hatte.“ Auf As’ads skeptischen Blick hin bekräftigte sie: „Ich übertreibe nicht, falls Sie das denken. Er hielt die kleinen Mädchen fest am Arm gepackt. Einer seiner Gefolgsleute schnappte sich Pepper. Sie hatten ihr Ziel erreicht und wollten offensichtlich los, zurück ins Dorf, wie er sagte.“

Kayleen holte zitternd Luft. „Ich fing an zu schreien und geriet irgendwie zwischen den Stammesfürsten und die Treppe. Möglich, dass ich ihn angegriffen habe.“ Beschämt dachte sie, dass ein solches Verhalten allem widersprach, woran sie glaubte: Geduld, Demut und Gewaltlosigkeit. Manchmal jedoch … manchmal brachte ein gezielter Tritt gegen das Schienbein bessere Resultate.

Um As’ads Mundwinkel zuckte es verräterisch. „Sie haben Tahir geschlagen?“

„Getreten, nicht geschlagen.“ Als ob das einen Unterschied ausmachte …

„Was passierte dann?“

„Seine Männer ergriffen mich. Dadurch wurde ihre Aufmerksamkeit von den Mädchen abgelenkt. Sie fingen an zu schreien, ich schrie, dann stürmten andere Lehrerinnen herbei. Es war das reinste Chaos.“ Kayleen straffte die Schultern. „Bitte, Sie können das unmöglich zulassen. Die drei haben schon so viel durchgemacht. Sie brauchen einander … und sie brauchen mich.“

„Sie sind nur ihre Lehrerin“, hielt As’ad dagegen.

„Das schon, aber wir stehen einander sehr nahe, leben unter demselben Dach. Abends lese ich ihnen vor, und sie wenden sich mit ihren kleinen und großen Sorgen an mich.“ Tatsächlich ersetzten die Schwestern ihr die Familie, weshalb Kayleen sie bis zum Letzten verteidigen würde. „Sie sind doch noch so klein … Dana, die Ältere, ist elf und möchte einmal Ärztin werden. Die neunjährige Nadine träumt von einer Karriere als Tänzerin. Und die kleine Pepper … sie kann sich kaum noch an ihre Mutter erinnern und ist umso mehr auf ihre beiden Schwestern angewiesen.“

„Man würde sie im selben Dorf unterbringen.“

„Aber nicht im selben Haushalt.“ Begriff er denn nicht? „Tahirs Ausdrucksweise spricht doch Bände: Die Leute aus dem Dorf sind bereit, sich um die Mädchen zu kümmern. Das klingt, als würden sie ein Opfer bringen. Wäre es da nicht besser, sie in einer Umgebung zu belassen, wo sie geliebt und willkommen sind? Wer weiß, was der grässliche Kerl ihnen antun will …“

„Nichts will er ihnen antun“, gab As’ad scharf zurück. In seiner Stimme lag die deutliche Warnung, den Bogen nicht zu überspannen. „Sie stünden unter seinem Schutz, bei seiner Ehre.“

„Aber ihre schulische Erziehung? Die käme auf jeden Fall zu kurz.“ Kayleen war noch längst nicht bereit aufzugeben. „Ihre Mutter war Amerikanerin. Sie haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.“ Ihre Augen funkelten vor Empörung.

„Ihr Vater stammt aus El Deharia, die Kinder gehören zu uns“, konterte As’ad energisch. „Es wäre das Beste, sie wüchsen im Dorf ihres Vaters auf.“

„Als Hausmädchen?“

As’ad zögerte. „Wenn dies ihr Schicksal ist …“

„Dann darf er sie nicht mitnehmen“, erklärte sie mit fester Stimme.

„Diese Entscheidung treffen nicht Sie.“

„Dann treffen Sie sie.“ Am liebsten hätte Kayleen ihm ebenfalls einen Tritt gegen das Schienbein verpasst. Sie liebte El Deharia, das war nicht der Punkt. Sie liebte die Menschen hier, ihre Freundlichkeit, die unendliche Weite der Wüste. Was sie ärgerte, war die auf überholten Traditionen basierende Vorstellung, Männer wüssten alles besser. „Haben Sie Kinder, Prinz As’ad?“

„Nein.“

„Aber doch sicher Geschwister?“

„Fünf Brüder“, erwiderte er reserviert.

„Sie hätten doch sicher nicht gewollt, dass man sie auseinanderreißt, oder?“

As’ad ließ ihre Frage unbeantwortet. „Die Mädchen sind aber nicht Ihre Schwestern.“

„Nein, eher wie meine eigenen Kinder. Sie leben erst seit ein paar Monaten hier. Ihre Mutter starb vor einem Jahr, und der Vater hat die Mädchen hierher zurückgebracht. Nach seinem plötzlichen Tod übergab man sie der Obhut dieses Waiseninternats. Ich habe sie getröstet, wenn sie sich Nacht für Nacht vor lauter Kummer in den Schlaf weinten. Ich bin es gewesen, die sie zum Essen überredet und ihnen ein besseres Leben versprochen hat.“ Kayleen reckte stolz das Kinn vor. „Hier ist immerzu die Rede von Tahirs Ehre. Nun, ich gab den Mädchen mein Wort, dass eine vielversprechende Zukunft auf sie wartet. Wenn Sie diesem Kerl erlauben, die drei zu verschleppen, bedeutet mein Wort nichts, gar nichts. Sind Sie wirklich so herzlos, die Hoffnungen und Träume dreier kleiner Mädchen zu zerstören, die bereits ihre Eltern verloren haben?“

As’ad spürte einen ersten Anflug von Kopfschmerzen. Alle Achtung, diese Kayleen James hatte es wirklich drauf. Unter anderen Umständen hätte er ihr nachgegeben. Aber in diesem Fall lagen die Dinge komplizierter. „Tahir ist ein mächtiger Stammesfürst“, sagte er. „Es wäre dumm, ihn wegen einer solchen Nichtigkeit zu brüskieren.“

„Nichtigkeit?“ Kayleen fasste es nicht. Dieser arrogante … „Weil es sich um Mädchen handelt, ja? Wären es Jungen, sähe die Sache natürlich anders aus.“ Ihre Stimme bebte vor Empörung.

„Das Geschlecht der Kinder tut nichts zur Sache. Es geht hier um Tahirs Ehre. Diese zu verletzen, könnte ernsthafte politische Konsequenzen nach sich ziehen.“

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Lina kam herein.

Kayleen erschrak. „Hat er die Mädchen mitgenommen?“ Sie sah Lina aus angstvoll geweiteten Augen an.

„Natürlich nicht. Die Kinder sind längst auf ihren Zimmern. Tahir und seine Männer trinken Tee mit dem Direktor.“ Lina wandte sich erwartungsvoll an ihren Bruder. „Was hast du beschlossen?“

„Dass ich dich nie wieder unangemeldet in mein Büro lasse“, erwiderte er prompt.

Ein siegessicheres Lächeln umspielte ihre Lippen. „Du könntest mir nichts abschlagen, As’ad. Genauso wenig wie ich dir.“

Oh, das klang gefährlich. Lina hatte sich offensichtlich auf die Seite der Lehrerin geschlagen. Normalerweise respektierte er ihre mitfühlende Art, doch heute erwies sich dieser noble Charakterzug eher als störend. „Tahirs Macht ist nicht zu unterschätzen. Es wäre eine Riesendummheit, ihn zu verprellen.“

Lina überraschte ihn, indem sie einräumte: „Da gebe ich dir recht.“

„Prinzessin Lina, nein!“, rief Kayleen entsetzt aus. „Das haben die Mädchen nicht verdient!“

„Keine Angst, meine Liebe.“ Beschwichtigend legte Lina ihr die Hand auf den Arm. „Hier braucht es lediglich ein bisschen diplomatisches Geschick. Ob Sie es nun glauben oder nicht, Kayleen, Tahirs Motive sind durchaus ehrenhaft. Deshalb dürfen wir ihn auch nicht beleidigen, indem wir sein Angebot offen zurückweisen.“ Sie wandte sich an As’ad. „Damit Tahir nicht sein Gesicht verliert, sehe ich nur eine einzige Möglichkeit: Ein Mann, der im Rang höher steht als er, muss die Mädchen in seine Obhut nehmen.“

„Einverstanden“, stimmte As’ad zu. „Aber wer …?“

„Du.“

Er sah seine Tante entgeistert an. „Du erwartest allen Ernstes, dass ich drei Waisenmädchen in Pflege nehme?“ Es war unfassbar … unmöglich … und typisch Lina.

„As’ad, der Palast verfügt über Hunderte von Räumen. Die Unterbringung wäre also kein Problem. Du hättest doch kaum etwas mit den Mädchen zu tun. Sie stünden lediglich unter deinem Schutz, bis sie erwachsen sind und selbst für sich sorgen können. Es käme dir auch in anderer Hinsicht zugute. Die Anwesenheit dreier Quasi-Enkelkinder lenkt den König womöglich von gewissen anderen Plänen ab“, fügte sie listig hinzu.

Oh … dieses Argument hatte tatsächlich etwas für sich. Der Ehrgeiz von König Mukhtar, seine Söhne so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen, nahm inzwischen schon paranoide Züge an. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit ließ er eine Parade heiratswilliger junger Damen aufmarschieren.

As’ad wusste, es war seine Pflicht, zu heiraten und für Erben zu sorgen. Dennoch scheute er jede emotionale Bindung. Vermutlich, weil er beim Tod seiner Mutter am Beispiel seines Vaters miterlebt hatte, wie Gefühle einen Mann schwach machten. Fatalerweise erschien ihm eine arrangierte Ehe allerdings noch weniger reizvoll als eine Liebesheirat. Diese Haltung brachte ihn in ein kaum lösbares Dilemma. „Wer würde sich denn um die Mädchen kümmern?“, gab er zu bedenken. „Sie können sich schließlich nicht selbst erziehen.“

„Engagiere eine Nanny“, schlug Lina vor. „Zum Beispiel Kayleen.“

„Moment mal“, warf diese alarmiert ein. „Was wird mit meinem Job hier?“

„Haben Sie den Mädchen nicht Ihr Wort auf ein besseres Leben gegeben?“ Lina ließ gerade das richtige Quäntchen Enttäuschung in ihrem Ton mitschwingen. „Dann sollten Sie auch bereit sein, Ihr Versprechen einzulösen. Sie würden ja immer noch als Lehrerin tätig sein, aber eben für die drei Mädchen. Vielleicht bliebe Ihnen sogar noch Zeit, hier ein paar Stunden zu unterrichten.“

Das Letzte, was As’ad wollte, war, drei Kinder in Pflege zu nehmen, über die er rein gar nichts wusste. Natürlich wünschte er sich eine Familie, insbesondere Söhne, irgendwann in der Zukunft. Andererseits … Linas Vorschlag klang durchaus vernünftig. Tahir würde einem Prinzen nicht verweigern, die Mädchen mitzunehmen. Und die ganze irrwitzige Aktion verschaffte ihm, As’ad, Luft, was die Erwartungen seines Vaters betraf. Kein Mensch konnte von ihm verlangen, auf Brautschau zu gehen, wenn er sich um drei kleine Pflegetöchter kümmern musste.

„Sie wären einzig und allein für die Mädchen verantwortlich, Kayleen“, sagte As’ad. „Selbstverständlich erhalten Sie alle dazu notwendigen Mittel. Allerdings lege ich keinen Wert auf einen täglichen Bericht über ihre Aktivitäten.“

„Was für ein wunderbares Arrangement“, flötete Lina. „Überlegen Sie doch mal: Die Mädchen würden in einem Palast aufwachsen, wo ihnen alle Wege offen stehen. Dana könnte die beste Universität besuchen, Nadine die renommierteste Ballettschule. Und die kleine Pepper müsste sich nicht länger jede Nacht in den Schlaf weinen.“

„Das klingt verlockend.“ Kayleen sah As’ad durchdringend an. „Geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie sie nie verstoßen oder in eine Vernunftehe zwingen werden.“

„Ihr Misstrauen kränkt mich.“ Und ihre Dreistigkeit imponierte ihm, doch das brauchte sie nicht zu wissen. Sonst nahmen ihm diese Frauen die Zügel noch ganz aus der Hand.

„Nun ja, schließlich kenne ich Sie ja gar nicht“, hielt sie ihm entgegen.

Jetzt trieb sie es wirklich auf die Spitze! „Ich bin Prinz As’ad von El Deharia. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.“

„As’ad ist ein Ehrenmann, Kayleen“, bemerkte Lina mit einem versöhnlichen Lächeln.

Irgendwie missfiel es As’ad, dass seine Tante sich genötigt sah, ihn zu verteidigen. Frauen, dachte er. Sie machen doch nichts als Ärger.

„Also gut, versprechen Sie mir, ihnen stets ein guter Vater zu sein und ihre Bedürfnisse über Ihre eigenen zu stellen. Sie werden sie lieben und ihre Wünsche respektieren und sie nicht in eine Ehe ohne Liebe drängen.“

Was hatten Frauen bloß immer mit der Liebe? Eine flüchtige Gefühlsaufwallung ohne Bestand …

„Ich werde Ihnen ein guter Vater sein und dafür sorgen, dass sie in den Genuss sämtlicher Privilegien kommen, die ihnen als Prinzessinnen zustehen“, versprach er seufzend.

„Sie haben etwas Entscheidendes vergessen“, korrigierte Kayleen ihn streng. „Das Versprechen, die drei nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.“

Er nickte ungeduldig. Was für ein Blödsinn! Schon bereute er, sich auf diese verrückte Geschichte eingelassen zu haben. „Einverstanden, sie dürfen sich ihre Ehemänner selbst wählen. Aber so weit sind wir ja noch lange nicht.“ Gott sei Dank! As’ad wandte sich an seine Tante. „Sind wir jetzt fertig?“

Lina nickte bedächtig, und ein listiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Gute Frage … eigentlich fangen wir gerade erst an, glaube ich.“

2. KAPITEL

Kayleen konnte kaum fassen, welch abrupte Wendung ihr Leben nahm. Heute Morgen war sie noch in ihrem winzigen Zimmer mit dem schmalen, pritschenähnlichen Bett aufgewacht, und jetzt führte Prinzessin Lina sie in eine prachtvolle Suite mit Blick auf das Arabische Meer.

„Wow!“ Sie drehte sich langsam im Kreis und betrachtete die luxuriöse Einrichtung: die ausladenden Sofas, den polierten Esstisch, die kunstvolle Dekoration, die breiten Flügeltüren und den riesigen Balkon. „Es ist einfach zu schön, um wahr zu sein.“

„Was haben Sie denn erwartet?“, meinte Lina amüsiert. „Immerhin sind wir hier in einem Königspalast, meine Liebe.“

„Der seinem Namen alle Ehre macht …“ Kayleens Blick fiel auf die Mädchen, die sich beinahe ehrfurchtsvoll umschauten. „Allerdings nicht gerade kindgerecht, würde ich sagen.“

„Warten Sie es ab. Ich habe eine Überraschung für Sie.“ Lina bedeutete ihnen, ihr zu folgen.

Was sollte das hier noch toppen? Doch Kayleen war bereit, sich eines Besseren belehren zu lassen. Sie ging neben Lina den breiten Gang entlang und dirigierte die Mädchen vor sich her.

Vor einer massiven Holztür blieb Lina stehen und stieß sie auf. „Leider blieb mir nicht genug Zeit, alles perfekt herzurichten, aber für den Anfang sollte das genügen.“

Für den Anfang? Kayleen schnappte überwältigt nach Luft, als sie den riesigen, lichtdurchfluteten Raum betrat. Drei Doppelbetten reihten sich an einer Wand auf, Plüschtiere thronten auf den rosafarbenen Tagesdecken. Alle Möbel – Schränke, Schreibtische, Stühle – waren in zarten Pastelltönen gehalten. An verschnörkelten Wandhaken hingen neben jedem Bett rüschenbesetzte Nachthemden und Morgenmäntel. Dazu passende Pantoffeln standen an den Fußenden der Betten, ebenso neue Schulranzen.

„Die Laptops sind bestellt, aber noch nicht geliefert“, entschuldigte sich Lina. „Später bekommt jedes Mädchen natürlich sein eigenes Zimmer, aber im Moment, denke ich, fühlen sie sich zusammen am wohlsten.“

Dana blickte staunend zu Kayleen auf. „Das ist wirklich alles für uns?“

„Nehmt es lieber gleich in Besitz“, lachte Kayleen, „sonst tue ich es nämlich.“

Darauf hatten die Mädchen nur gewartet. Sekunden später eroberten sie ihr neues Zuhause. Immer wieder erfüllte ein begeistertes „Guck mal, hier!“, den Raum, während sie all die liebevollen Details entdeckten: eine Ballerina-Lampe für Nadine, einen mit knuffigen Teddys bedruckten Überwurf für Pepper, ein prall gefülltes Bücherregal neben Danas Bett.

„Unglaublich, was Sie in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben“, wandte Kayleen sich an Lina.

„Nun, ich verfüge über entsprechende Möglichkeiten und scheue mich nicht, diese einzusetzen, falls nötig. Es war ein Riesenspaß, das Zimmer für die Mädchen einzurichten. So, jetzt sind Sie dran. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre Privaträume.“

Sie passierten ein riesiges Badezimmer mit einer großen, in den Boden eingelassenen Wanne und gelangten durch einen kurzen Flur in Kayleens Zimmer, das ganz in Lindgrün und Zitronengelb gehalten war. Zierliche Möbel bestückten den Raum, die Tagesdecke erstrahlte in einem fantasievollen Blumenmuster, was weitaus besser zu Kayleen passte als Rüschen und Spitzenborten. Das angrenzende Marmorbad mit seiner luxuriösen Ausstattung raubte ihr zum zigsten Mal an diesem Tag den Atem.

Lina, die Kayleens Befangenheit bereits bemerkt hatte, machte eine lässige Handbewegung. „Sie werden sich schon an die neue Umgebung gewöhnen. Das geht schneller, als Sie glauben. Ihnen bleibt auch gar nichts anderes übrig, jetzt, da As’ad die Kinder aufgenommen hat.“

„Ich fürchte, das geschah nicht ganz freiwillig“, gab Kayleen zerknirscht zu bedenken.

„Was tut das zur Sache? Nun sind Sie hier, und nur das allein zählt.“

In diesem Moment stürmten die Mädchen herein. „Kayleen, unser Gepäck ist da!“

„Packen Sie in Ruhe aus. Ich kümmere mich inzwischen um die Dinner-Vorbereitungen. Für heute ist es wohl das Beste, wenn ich Ihnen das Essen in der Suite servieren lasse. So können Sie sich in Ruhe eingewöhnen.“ Lina breitete einladend die Arme aus, und die Mädchen kuschelten sich an sie. „Ich sehe euch morgen früh. Willkommen zu Hause.“ Damit wandte sie sich zum Gehen.

Ein leichtes Unbehagen beschlich Kayleen. Zuhause? Konnte ein luxuriöser Palast das wirklich bieten?

Nachdem Kayleen die Mädchen zu Bett gebracht hatte, trat sie auf den riesigen Balkon hinaus. Eine laue Brise umfing sie. Die Luft roch angenehm salzig, und einzig das gleichmäßige Heranrollen der Wellen durchbrach die absolute Stille. Zum ersten Mal an diesem Tag durchströmte Kayleen ein tiefer Frieden.

Sie lehnte sich gegen die Balustrade und blickte zum sternenklaren Himmel. Was tat sie hier eigentlich? Sie kam sich vor wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sicher würde sie gleich in ihrem harten Bett im Internat aufwachen.

Stattdessen klappte irgendwo in der Nähe eine Tür. Kayleen fuhr erschrocken herum. Einige Schritte entfernt bemerkte sie eine stattliche Silhouette. Prinz As’ad. Groß und breitschultrig, so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Gut aussehend, mit einer Aura von Unnahbarkeit.

Sie wollte schon in ihr Zimmer zurückhuschen, als er sie entdeckte. Zu spät, die Flucht zu ergreifen.

„Guten Abend“, begrüßte er sie freundlich. „Haben Sie und die Kinder sich schon ein wenig eingelebt?“

„Ja, danke. Ihre Tante tut wirklich alles, damit wir uns heimisch fühlen. Trotzdem …“ Sie hielt verunsichert inne.

As’ad verstand. „Ich weiß, was Sie meinen. Die Größe des Palastes wirkt ziemlich erschlagend. Sie dürfen sich davon nicht einschüchtern lassen.“

„Solange nicht eine der vielen Statuen zum Leben erwacht und nachts durch die Gegend geistert …“

„Keine Sorge, dafür sind unsere Statuen zu wohlerzogen.“ Er lächelte amüsiert.

„Na, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen. Ich fürchte dennoch, dass ich die kommenden Nächte nicht sehr gut schlafen werde.“

„Das spielt sich ein, glauben Sie mir.“ Er zog sein Jackett aus. „Falls Sie etwas brauchen, wenden Sie sich einfach an das Personal.“

Ah, ja – natürlich. Das Personal. „Sagen Sie, wie sollen die Mädchen und ich Sie eigentlich anreden? Eure Hoheit? Prinz As’ad?“

„Nennen Sie mich ruhig bei meinem Vornamen.“

„Und Sie sind sicher, dass man mich dafür nicht köpfen wird?“, gab sie lachend zurück.

„Ganz sicher.“ Augenzwinkernd fügte er hinzu: „Früher natürlich …“ Geschickt löste er den Knoten seiner Krawatte und streifte sie ab.

Mit wachsendem Unbehagen sah Kayleen zu. Er zog sich doch nicht etwa aus … hier? Nun … immerhin war das sein Balkon, sein Palast. Es stand ihm frei, es sich nach einem langen Arbeitstag als Prinz bequem zu machen. Sie war diejenige, die hier nicht hingehörte.

„Sie fühlen sich unbehaglich“, stellte er nüchtern fest.

Kayleen zuckte zusammen. „Woher wissen Sie das?“

„Oh, Sie sind leicht zu durchschauen.“

Na, großartig. Wieder nichts mit geheimnisvoll, interessant … Besonders letzteres Attribut hätte sie gern für sich reklamiert.

„Woher in den USA stammen Sie eigentlich genau, Kayleen?“, fragte As’ad.

„Aus dem Mittleren Westen.“ Sie blickte versonnen in die Ferne. „Dort gibt es kein Meer, keine unendlichen Sandwüsten. Es ist jetzt fast November, und die Blätter fallen von den Bäumen. Bald ist der erste Schnee zu erwarten. Ich muss sagen, hier in der Wärme gefällt es mir wesentlich besser.“

„Die Wärme ist nur eine der vielen Annehmlichkeiten von El Deharia. In meinen Augen gibt es nirgends auf der Welt einen schöneren Ort. Denken Sie über Ihre Heimat nicht ebenso?“

Nicht wirklich, aber sie blickte auch auf völlig andere Lebensumstände zurück als dieser privilegierte Prinz. „Vermutlich“, sagte sie zögernd und wechselte das Thema. „Ich liebe Kinder, weswegen ich unbedingt Lehrerin werden wollte.“

„Das ist bei diesem Job sicher von Vorteil. Ansonsten wäre es wohl eine ziemliche Plackerei.“

Sollte das jetzt ein Scherz sein? Besaßen Prinzen überhaupt Sinn für Humor? Verflixt, Kayleen hasste sich dafür, dass sie sich in seiner Gegenwart so verkrampft fühlte.

„Ein kleiner Scherz.“ As’ad lächelte. „Sie dürfen sogar lachen. Aber nur, wenn Sie auch wirklich sicher sind, dass ich einen Witz mache. An den unpassenden Stellen zu lachen, ist ein unverzeihlicher Fehler, den die meisten Leute nur einmal begehen.“

„Ups, schon sind wir wieder beim Kopfabschlagen. Jetzt aber mal im Ernst. Sie sind so ganz anders als alle Menschen, die ich kenne.“

„Es gibt wohl nicht viele Prinzen im Mittleren Westen, was?“

„Nein, nicht mal Rockstars, was in meinem Land ungefähr auf dasselbe hinausläuft.“

„Enge Lederhosen haben mir an Männern noch nie gefallen.“

Kayleen musste lachen. „Vermutlich gehören Sie zur Mode-Avantgarde.“

„Oder zu den völligen Ignoranten.“

„Nun ja, wenn Sie das sagen …“ Sofort biss sie sich auf die Zunge.

Seine Augen blitzten, und er verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie wär’s mit einem weniger heiklen Thema? Zum Beispiel die drei Mädchen, die Sie mir aufgedrängt haben?“

Kayleen war sofort alarmiert. „Was ist los? Sie haben doch nicht etwa Ihre Meinung geändert?“

Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, erwiderte er: „Sie müssen die Schule wechseln. Die amerikanische Schule liegt ganz in der Nähe. Das Internat ist zu weit entfernt.“

„Oh. Sie haben natürlich recht.“ So weit hatte sie noch gar nicht gedacht. „Ich werde sie gleich morgen anmelden. Was soll ich dem Direktor sagen?“

„Die Wahrheit. Dass es sich um meine Pflegekinder handelt und man sie angemessen zu behandeln hat.“

„Angemessen unterwürfig?“

Er sah sie forschend an. „Sie sind eine interessante Mischung aus einem Kaninchen und einer Wildkatze, Kayleen. Ängstlich und gleichzeitig unerschrocken.“

Das gefiel ihr. „Ich arbeite an Letzterem, doch da liegt noch ein weiter Weg vor mir, fürchte ich.“

As’ad hob die Hand und berührte sanft ihr Haar. „Ich finde Sie ziemlich heißblütig.“

„Weil ich rote Haare habe? Fallen Sie bloß nicht auf dieses alte Ammenmärchen herein.“ Zu gern wäre sie eine kühle Blondine oder eine sexy Brünette. Okay, vielleicht nicht unbedingt sexy. Das war nicht ihr Stil.

„Alte Ammen erweisen sich oft als ziemlich weise“, sagte er leise und ließ sie los. In geschäftsmäßigem Ton fuhr er fort: „Sie tragen die Verantwortung für die Mädchen, wenn diese nicht in der Schule sind.“

Kayleen nickte stumm. Der abrupte Themenwechsel enttäuschte sie, und auch, dass As’ad seine Hand so plötzlich zurückgezogen hatte. Seltsam … Immerhin war der Prinz doch nur ihr Arbeitgeber. Ein gefährlich gut aussehender und mächtiger Arbeitgeber zwar, der auf einen imposanten Stammbaum zurückblickte. Sie hingegen kannte nicht einmal ihren Vater.

„Woran denken Sie?“, wollte As’ad wissen.

Sie erzählte es ihm.

„Und Ihre Mutter?“

„Ich kann mich im Grunde kaum an sie erinnern. Noch als ich ein kleines Baby war, ließ sie mich bei meiner Großmutter und verschwand. Diese kümmerte sich ein paar Jahre lang um mich, bevor sie mich in ein Waisenhaus abschob.“ Kayleen zuckte mit den Schultern und tat, als mache ihr die Zurückweisung nichts aus.

„Deshalb kämpfen Sie also um die Mädchen wie eine Löwin um ihre Jungen.“

„Vielleicht.“

„Der Palast ist jetzt ihr neues Zuhause. Auch Sie dürfen sich hier heimisch fühlen.“

Wenn sie das nur könnte. „Leicht gesagt“, gab sie leise zurück.

„Alles nur eine Frage der Zeit. Wobei ich allerdings nicht so weit gehe, Skateboard-Fahren in den Gängen zu gestatten“, fügte er ironisch hinzu.

„Ich passe schon auf.“

„Gut. Sie möchten bestimmt alles über den Palast und seine Geschichte wissen. Ich schlage vor, dass Sie an einer Führung teilnehmen.“

Sie sah ihn entgeistert an. „Sie veranstalten hier Touristenführungen?“

„Nur durch die öffentlichen Räume. Die Privatquartiere sind natürlich nicht zugänglich, dafür sorgen unsere Wachleute. Sie können sich also völlig sicher fühlen.“

Oh, um ihre Sicherheit sorgte sie sich nicht. Vielmehr erfüllte sie die Tatsache mit Respekt, in einem Palast zu wohnen, der groß genug für öffentliche Führungen war.

„Wie hat Ihr Vater eigentlich auf Ihren plötzlichen Familienzuwachs reagiert?“, fragte Kayleen. „Vermutlich nicht restlos beglückt.“

As’ad schien tatsächlich ein Stück zu wachsen. „Ich bin Prinz As’ad von El Deharia. Niemand hat das Recht, meine Entscheidungen anzuzweifeln.“

„Nicht einmal der König?“

„Mein Vater wird begeistert sein, dass ich endlich eine Familie gründe. Gerade das wünscht er sich im Moment ganz brennend für seine Söhne.“

Kayleen bezweifelte, dass die Pflegschaft über drei amerikanische Waisenkinder sich mit den Vorstellungen von König Mukhtar deckten, doch sie sagte lieber nichts dazu. „Sie erwähnten Brüder. Wie viele haben Sie denn?“, fragte sie stattdessen.

„Fünf. Kateb lebt in der Wüste, die anderen wohnen hier im Palast.“

Hm. Sechs Prinzen, eine Prinzessin, ein König und sie selbst, Kayleen. Was stimmte nicht an diesem Bild?

„Sie kommen schon zurecht, keine Sorge“, meinte As’ad aufmunternd.

„Hören Sie bitte endlich damit auf, meine Gedanken zu lesen. Das finde ich nicht fair.“

„Was soll ich machen? Gedankenlesen gehört nun mal zu meinen vielen Talenten.“

Außerdem verfügte er über ein gesundes Ego. Das war vermutlich ganz normal, wenn man als Prinz in einem unermesslich reichen Land aufwuchs.

„Kayleen, Sie sind hier, weil ich es so will.“ Seine Stimme klang leise und beschwörend. „Mein Name öffnet Ihnen sämtliche Türen oder dient Ihnen als Schutzschild, je nachdem.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, von diesem Privileg Gebrauch zu machen“, gab sie offen zu.

„Wie auch immer, Sie stehen unter meinem Schutz, denken Sie immer daran. Und jetzt wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.“ Damit wandte As’ad sich um und verschwand in seinen Räumen.

Seine Worte berührten sie tief in ihrem Innern. Nie zuvor hatte Kayleen sich so beschützt gefühlt. Sicher, die Nonnen im Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen war, hatten ihre Zöglinge behütet und nach Kräften gefördert. Doch das war etwas anderes als der Schutz eines starken Mannes …

As’ad studierte konzentriert die drei verschiedenen Entwürfe für eine neue Brücke vor ihm auf dem Schreibtisch. Da ertönte das Summen seiner Gegensprechanlage. „Ich habe doch gesagt, ich möchte nicht gestört werden“, meldete er sich ungeduldig.

„Ich weiß, Sir.“ Neil, sein sonst so abgeklärter Assistent, klang ungewohnt nervös. „Es ist nur … eine junge Dame wünscht Sie zu sprechen, Kayleen James. Sie behauptet, sie sei die Nanny … Ihrer Kinder?“ An dieser Stelle hob Neil die Stimme leicht.

„Das erkläre ich Ihnen bei Gelegenheit. Schicken Sie sie herein.“

Wenige Sekunden später betrat Kayleen forsch sein Büro. Sie trug ein schlichtes braunes Kleid, hochgeschlossen und wadenlang, dazu flache Schuhe. Das Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Ihre zarte Haut war ungeschminkt, ebenso wie ihre großen, ausdrucksvollen Augen. Als einzigen Schmuck hatte sie winzige goldene Ohrringe angelegt.

As’ad war den Umgang mit eleganten, weltgewandten Frauen gewohnt, die das Beste aus ihrem Typ zu machen wussten. Frauen, in teure Seide gekleidet und mit kostbarem Schmuck behängt. Interessierte Kayleen sich wirklich nicht für solche Äußerlichkeiten, oder hatte sie bis jetzt nur noch keine Gelegenheit gehabt, dieses Interesse zu entwickeln?

In ihr steckt eine richtige Schönheit, erkannte As’ad mit Kennerblick. Das zarte Gesicht, die großen Augen, der schön geschwungene Mund. Plötzlich stellte er sie sich nackt vor: blass und zart, eingehüllt in ihre seidige Haarmähne, die Verführung in Person …

„Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen“, riss ihre melodische Stimme ihn aus seinen erotischen Fantasien. „Nächstes Mal melde ich mich vorher an, versprochen.“

„Schon gut.“ Er stand auf und deutete mit einer einladenden Geste auf die Besucherecke. „Was kann ich für Sie tun?“

Kayleen setzte sich und strich ihr Kleid glatt. „Wissen Sie, der Palast ist wirklich riesig. Ich habe mich schon zweimal verlaufen und musste nach dem Weg fragen.“

„Wenn Sie mögen, gebe ich Ihnen einen Plan.“

„Soll das ein Scherz sein?“ Vorsorglich lächelte sie.

„Nicht wirklich. Es existiert ein Plan für den Palast. Möchten Sie einen haben?“

„Ich fürchte, ich brauche ihn tatsächlich. Am besten implantieren Sie mir noch einen Peilsender, damit Ihre Sicherheitsleute mich jederzeit aufspüren können.“ Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Hübsch hier, wirklich.“

„Kayleen, was führt Sie her?“, hakte er freundlich nach.

„Oh … natürlich. Ich habe die Mädchen heute Vormittag an der amerikanischen Schule angemeldet. Es lief alles glatt. Sie sind dort fantastisch ausgestattet, ein Traum, sage ich Ihnen. Kein Vergleich mit unserer Schule im Waiseninternat. Uns fehlen einfach die nötigen Mittel.“ Kayleen senkte verlegen den Blick. „Es ist peinlich, hier als Bittstellerin aufzutreten. Sie haben schon so viel getan.“

„Wieso peinlich? Bei mir sind Sie an der richtigen Adresse. Es lassen sich bestimmt ein paar Mittel erübrigen.“

„Einfach so? Ohne großartige Formalitäten?“

„Ja, einfach so“, erwiderte er schlicht. „Schon vergessen, wer vor Ihnen sitzt?“

„Nein, nein, vielen Dank, das wäre wundervoll. Wir sind es gewohnt, mit unserem Budget zu knausern. Die meisten Lehrer wohnen im Internat und erhalten dort auch ihre Verpflegung, was bedeutet, dass ihr Gehalt nicht besonders üppig ausfällt.“

„Wieso haben Sie sich für den Lehrerberuf entschieden?“, wollte er wissen. „Abgesehen davon, dass Sie Kinder lieben.“

„Weil ich nicht Nonne werden konnte.“

Diese Antwort verblüffte ihn. „Sie wollten wirklich Nonne werden?“

„Ja, es war mein größter Wunsch. Das Waisenhaus, in dem ich aufwuchs, wurde von Nonnen geleitet. Sie haben wunderbare Arbeit geleistet, und ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als irgendwann einmal zu ihnen zu gehören. Leider bin ich nicht der richtige Typ dafür.“

„Inwiefern?“

„Nun, ich bin eigensinnig und ein ziemlicher Hitzkopf. Manchmal schaffe ich es nicht, mich den Regeln zu beugen.“

Einerseits schwer zu glauben, so bescheiden und zurückhaltend wirkte sie. Andererseits hatte As’ad sie ja bereits von ihrer temperamentvollen Seite kennengelernt.

„Unsere Mutter Oberin schlug mir vor, stattdessen Lehrerin zu werden“, fuhr Kayleen fort. „Das war eine hervorragende Idee. Ich liebe meinen Beruf und arbeite gern mit Kindern. Am liebsten wäre ich für immer in der Klosterschule geblieben, doch die Oberin bestand darauf, dass ich mir zuerst ein bisschen die Welt anschaue. So bin ich hier gelandet. Irgendwann kehre ich zurück.“

„An die Klosterschule?“

Sie nickte.

„Wünschen Sie sich nicht einen Mann und eigene Kinder?“

Eine zarte Röte überzog ihre Wangen. „Oh, ob das jemals passiert … das bezweifle ich. Wissen Sie, ich gehe eigentlich nie aus. Männer interessieren sich nicht für mich, nicht in dieser Hinsicht.“

Irrtum, meine Liebe. Er dachte daran, wie er sie sich nackt vorgestellt hatte. „Täuschen Sie sich da nur ja nicht“, sagte er leise. „Es gab also nie einen Mann in Ihrem Leben?“

„Nein, nie.“

Kayleen musste jetzt Mitte Zwanzig sein. Wie war das möglich? In dem Alter noch völlig unschuldig? As’ad ertappte sich bei dem Wunsch, derjenige zu sein, der sie in die Geheimnisse der Liebe einführte.

Lächerlich, schalt er sich sofort. Wer war sie denn schon? Nur die Nanny seiner Pflegetöchter.

3. KAPITEL

Wenige Tage später saßen sie erneut in As’ads Büro zusammen, um Kayleens genauen Aufgabenbereich und ihr Gehalt zu besprechen. Kayleen fühlte sich bereits jetzt, obwohl es so viel Neues zu entdecken gab, nicht ausgelastet, da die Mädchen die längste Zeit des Tages in der Schule verbrachten.

„Welches Fach unterrichten Sie?“, erkundigte sich As’ad.

„Mathe.“

„Auch höhere Mathematik?“

„Ja.“ Worauf wollte er hinaus?

„Dann kennen Sie sich bestimmt mit Statistik aus. In dem Fall biete ich Ihnen die Mitarbeit in einem Projekt an.“

„Was für ein Projekt? Sagen Sie nur nicht, ich soll Ihre Steuererklärung machen“, spottete sie. „Aber nein, Prinzen zahlen vermutlich keine Steuern.“

„Nein, das tun sie tatsächlich nicht. Jetzt aber mal im Ernst: Es geht um ein Projekt des Erziehungsministeriums. Zwar besuchen inzwischen auch viele Mädchen aus ländlichen Gebieten die Highschool oder sogar ein College, aber trotzdem liegt die Anzahl noch weit unter dem Landesdurchschnitt. Wir möchten gern die Gründe dafür erforschen, um Bedingungen zu schaffen, die die Gesamtsituation verbessern. Interessiert Sie das?“

Kayleens Augen leuchteten auf. Das war ein Projekt ganz nach ihrem Geschmack, eine Herausforderung für sie selbst und gleichzeitig nutzbringend für die Gesellschaft. „Vielen Dank für Ihr Angebot, Prinz As’ad. Ich bin gerne dabei!“, erwiderte sie enthusiastisch. Fast wäre sie ihm vor lauter Begeisterung um den Hals gefallen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.

„Also abgemacht. Sie berichten mir einmal die Woche über die Fortschritte.“ As’ad ging zum Schreibtisch und nahm eine Kreditkarte aus einer verschlossenen Schublade. „Hier, die können Sie für Ihre Spesen benutzen und alles andere, was Sie für sich und die Kinder benötigen.“

„Wir brauchen nichts“, widersprach sie sofort.

„Nun ja, Kleidung hält schließlich nicht ewig, oder?“ Er lächelte amüsiert. „Kinder wachsen heran, das weiß selbst ich mit meinen limitierten Kenntnissen über dieses Thema.“

Kayleen starrte auf die Karte. „Sie sind sehr großzügig, Prinz As’ad.“

„Das hat mit Großzügigkeit nichts zu tun. Meine Töchter verdienen das Beste vom Besten, weil ich ihr Vater bin.“

„Nun, zumindest leiden Sie nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein“, konterte sie in einer Mischung aus Missbilligung und Neid.

„Weil ich weiß, wo mein Platz im Leben ist: hier in El Deharia, in diesem Palast.“

Wie schön für dich, dachte sie sehnsüchtig.

„Und Sie gehören ebenfalls hierher“, fuhr er fort.

Hatte er etwa schon wieder ihre Gedanken gelesen? „Nicht wirklich, aber trotzdem danke.“ Tatsächlich gehörte sie ganz und gar nicht hierher. Sie war nur eine Angestellte, jederzeit ersetzbar.

„Wir machen Fortschritte.“ Lina hielt das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, während sie sich unter ihre Bettdecke kuschelte.

„Was heißt ‚wir‘?“, korrigierte Hassan sie. „Das geht ganz allein auf deine Kappe.“

„Stimmt nicht, du hast mich erst auf die Idee gebracht. Also steckst du genauso tief mit drin wie ich.“

„Wenn du nur nicht so schwierig wärst, Lina“, seufzte Hassan.

„Das ist Teil meines Charmes.“

„Der in der Tat ganz beträchtlich ist.“

Lina schloss fest die Augen und hätte ihr Glück am liebsten laut bejubelt. König Hassan flirtete mit ihr, wahrhaftig!

„Kayleen scheint As’ad zu mögen“, berichtete sie weiter, „obwohl sie leichte Eingewöhnungsschwierigkeiten hat, was das Palastleben betrifft. Doch das ist normal. Und er wirkt auch recht angetan. Zumindest tut er alles, um ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen.“

„Interpretiere nur nicht zu viel in sein Verhalten hinein“, meinte Hassan warnend.

„Ich werde es versuchen … obwohl sie wirklich gut für ihn wäre. Er ist furchtbar verschlossen und kann seine Gefühle nicht zeigen. Daran ist bloß sein Vater schuld.“

„Typisch Frau. Gebt uns Männern nur immer die Schuld an allem.“ Hassan stöhnte theatralisch.

Lina musste lachen. „Typisch Mann. Ständig am Jammern.“

„Das liebe ich an unseren Unterhaltungen: dein Lachen.“ Seine Stimme klang plötzlich ganz weich.

Linas Herz tat einen freudigen Satz. Glücklicherweise lag sie schon, denn in diesem Moment hätten ihre Beine bestimmt nachgegeben.

„Dein Lachen ist genauso schön wie du.“ Hassans tiefe, weiche Stimme ließ sie wohlig erschauern. „Bringt mein Geständnis dich in Verlegenheit?“

„Nein, nein … Es ist nur … ich dachte, wir sind einfach gute Freunde.“ Lügnerin, schalt sie sich beschämt.

„Das sind wir ja auch. Möchtest du gern, dass mehr daraus wird?“

Jetzt ganz ruhig, ermahnte sie sich. Er musste ja nicht unbedingt erfahren, wie lange sie sich schon nach genau diesen Worten gesehnt hatte.

„Ich würde unsere Beziehung gern vertiefen. Macht dir diese Information die Antwort leichter oder schwerer?“, fügte Hassan hinzu.

„Leichter, viel leichter. Ich möchte das auch gern.“ Lina atmete tief durch.

„Bestens. Du bist ein Geschenk des Himmels für mich, Lina, und dafür werde ich immer dankbar sein.“

As’ad kehrte zur üblichen Zeit am frühen Abend in seine Suite zurück. Doch statt der gewohnten Ruhe empfingen ihn fröhliches Kinderlachen und das Dröhnen des Fernsehers. Der Wohnraum war hell erleuchtet, Dana und Pepper lagen bäuchlings auf dem Fußboden und verfolgten mit sichtlichem Vergnügen eine Fernsehshow. Nadine übte vor den französischen Fenstern Pirouetten, während Kayleen Blumen in einer Vase auf dem Esstisch arrangierte.

Als sie ihn hereinkommen hörte, blickte sie mit leuchtenden Augen auf. „Ah, da sind Sie ja! Neil wollte mir partout nicht verraten, wann Sie Feierabend machen.“ Sie zog nachdenklich die Nase kraus. „Ich glaube, er mag mich nicht.“

„Vielleicht versucht er nur, mich abzuschirmen?“, schlug As’ad grimmig vor.

„Was? Vor uns?“ Das klang, als könne sie sich nichts Absurderes vorstellen. „Ich wollte alles fertig haben, und es ist mir gelungen. Wissen Sie, es macht wirklich Spaß, Mahlzeiten in der Küche zu bestellen. Weil wir uns nicht auf ein Gericht einigen konnten, hat jede ihr Lieblingsessen geordert. Herausgekommen ist eine recht eigenwillige Menüfolge“, fügte sie leicht verlegen hinzu. Doch sie strahlte schon wieder, als sie ihm eröffnete: „Wir wollten Sie mit einem gemeinsamen Dinner überraschen.“

Ah, ja. Offensichtlich erwartete sie jetzt Begeisterungsbekundungen von ihm, und er gab sich auch wirklich alle Mühe, freudig überrascht zu wirken.

Nachdem er die Mädchen begrüßt und ihren unentwegt plappernden Mündern gelauscht hatte, nahmen sie um den großen Esstisch herum Platz. „Wein kann ich Ihnen nicht anbieten“, wandte As’ad sich entschuldigend an Kayleen. „In privatem Rahmen servieren wir keinen Alkohol, höchstens auf Staatsempfängen.“

„Oh, kein Problem, ich brauche keinen Wein“, winkte sie ab.

Aber er womöglich bald, wenn das so weiterging. As’ad fühlte sich völlig überrollt von den Ereignissen und war mit der Situation überfordert. Drei putzmuntere Kinder saßen an seinem Esstisch. Dazu noch eine junge Frau, die er kaum kannte, und mit der er nicht vorhatte zu schlafen. Sex wäre der einzig akzeptable Grund für ihre Anwesenheit in seinen Räumen. Sie konnte das natürlich nicht wissen, aber normalerweise achtete er penibel darauf, dass ihm hier in seinem Allerheiligsten niemand zu nahe kam.

Den kulinarischen Höhepunkt dieses Abends bildeten Lasagne, Kartoffelpüree, Makkaroni mit Käse und ein Salat. „Das nächste Mal sollten vielleicht Sie das Menü zusammenstellen und nicht die Mädchen“, schlug As’ad vor und bereute seine Worte sofort. Ein nächstes Mal würde es nicht geben!

„Gern, ich wollte den dreien nur einmal den Spaß lassen, alles zu bestellen, was sie sich wünschen“, entschuldigte sich Kayleen, und schon bekam er ein schlechtes Gewissen.

As’ad blieb nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen – wenigstens für diesen einen Abend. Während des Essens berichtete jeder von seinem Tag, und plötzlich ertappte er sich dabei, wie er Vergnügen bei den Schilderungen der Mädchen empfand. Mit noch größerem Vergnügen lobte er, erteilte Ratschläge und auch den einen oder anderen nicht ganz ernst gemeinten Tadel.

Schließlich war die Reihe an ihm, zu erzählen. „Ich habe heute Pläne für eine neue Brücke abgesegnet. Eine schöne, große Brücke über den Fluss. Sobald ich offiziell mein Okay gebe, beginnen die Bauarbeiten.“

„Cool“, staunte Dana atemlos. „Sie können Leuten befehlen, Dinge zu tun.“

„Ja, manchmal.“ Und die meisten Menschen gehorchten ihm tatsächlich. Bis auf diese amerikanische Lehrerin mit den verwirrend großen Augen …

„Und was war Ihre gute Tat für heute?“ Er sah Kayleen fragend an.

Das hier, dachte sie und errötete leicht, als sie seinem Blick begegnete. Dieses Dinner, diese entspannte Atmosphäre mit drei ausgelassenen Kindern. Und einem gelösten As’ad, der so tat, als seien sie alle eine große, glückliche Familie.

Auch wenn es nicht der Realität entsprach, Kayleen wollte den Zauber des Augenblicks genießen. „Bei meinem Spaziergang heute Nachmittag habe ich Pferdeställe entdeckt“, erzählte sie.

Die drei Mädchen wandten sich As’ad mit großen Augen zu. „Sie haben Pferde?“, fragte Dana ehrfürchtig.

„Wir lieben Pferde“, informierte ihn Nadine.

„Ich kann schon reiten.“ Pepper legte eine kleine Kunstpause ein, um dieser Neuigkeit auch das richtige Gewicht zu verleihen. „Ich hatte Reitstunden.“

„Im Internat?“, hakte As’ad verwundert nach.

„Eine ehemalige Schülerin hat uns die Pferde zur Verfügung gestellt mitsamt dem Geld für den Unterhalt der Tiere“, erklärte Kayleen. „Viele der Mädchen reiten.“

„Sie auch?“

Da blitzte etwas in seinen dunklen, geheimnisvollen Augen auf, was sie faszinierte … und sie warnte, sich nicht darin zu verlieren.

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein hoch gewachsener, weißhaariger Mann trat ein. „As’ad, da bist du ja. Oh … du hast Besuch …“

„Vater.“ As’ad stand auf und deutete eine Verbeugung an.

Vater? Ein Gedanke nagte an der Ecke von Kayleens Bewusstsein. Vater wie … König?

Abrupt kam sie auf die Füße und scheuchte die Kinder ebenfalls hoch. Und jetzt? Erwartete der König einen Hofknicks? Oder reichte eine simple Verbeugung?

As’ad sah sie an. „Vater, darf ich dir meine drei Pflegetöchter und Kayleen, unsere Nanny, vorstellen? Meine Damen, das ist mein Vater, König Mukhtar.“

Drei Münder klappten auf. Nur mit äußerster Willenskraft schaffte Kayleen es, ihren geschlossen zu halten.

Der König neigte gütig den Kopf. „Willkommen im königlichen Palast von El Deharia. Möge Ihnen ein langes, glückliches Leben in Reichtum und Gesundheit bestimmt sein. Mögen diese starken Mauern Sie stets vor allem Übel der Welt beschützen.“

Kayleen schluckte. So blumig war sie noch nie begrüßt worden. Auch etwas, woran man sich gewöhnen konnte …

„Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft“, sagte sie scheu. Sie fasste es nicht, einem leibhaftigen König gegenüberzustehen. „Bitte setzen Sie sich doch zu uns und teilen Sie unser Mahl. Leider gibt es nichts, was Ihrer traditionellen Landesküche entspricht“, fügte sie entschuldigend hinzu.

As’ads Vater ließ sich nicht lange bitten, sondern griff sofort beherzt zu. „Makkaroni mit Käse hatte ich seit Jahren nicht“, meinte er zufrieden.

„Das habe ich mir ausgesucht“, erklärte Pepper stolz. „Das ist mein Lieblingsessen. Kayleen hat uns das manchmal heimlich in der Küche des Internats gekocht.“

„Wie lieb von ihr.“ Mukhtar bedachte Kayleen mit einem anerkennenden Blick. „Worüber habt ihr euch gerade unterhalten?“

„Über Pferde“, informierte ihn Nadine. „Im Internat hatten wir Reitstunden.“

Der König nickte bedächtig. „Pferde … ja, Wüstenprinzessinnen sollten unbedingt reiten können. Ich werde das persönlich mit dem Stallmeister arrangieren.“ Wieder traf sein Blick Kayleens. „Sie werden ebenfalls Stunden nehmen.“

Ups … „Danke“, sagte sie leise, weil dies die Antwort war, die von ihr erwartet wurde.

„Sie wirken nicht gerade begeistert“, raunte As’ad ihr zu.

„Würden Sie auch nicht sein, wenn Sie permanent vom Pferd fielen.“

„Vielleicht könnte eine persönliche Unterweisung da Abhilfe schaffen.“

Kayleen sah ihm in die Augen und verlor sich einmal mehr in den dunklen Tiefen. Es war, als zöge ein geheimnisvolles Kraftfeld sie unaufhaltsam in As’ads Bann. Ein heißes Prickeln überlief sie. Fast war es, als wolle der Prinz sie jeden Moment berühren. Und sie konnte es kaum erwarten, diese Berührung zu genießen …

„Reiten ist eine hervorragende Methode, Vergnügen und Sport miteinander zu verbinden“, erklärte König Mukhtar.

„Ob Pferde das auch so sehen?“ Die Worte waren ihr unbedacht entschlüpft … eine Eigenschaft, die ihr schon früher oft Probleme bereitet hatte. Es folgte ein Moment des Schweigens, dann brach As’ads Vater in herzhaftes Lachen aus. „Sehr gut, exzellent pariert! Deine Nanny gefällt mir, As’ad. Ich wünsche, dass sie bleibt.“

„Ich auch“, stimmte As’ad zu. Er blickte Kayleen immer noch auf eine Weise an, die Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern ließ. „Sie wird bleiben.“

Würde sie das? Kayleen bezweifelte es. Ihre Zukunftspläne sahen anders aus. Spätestens in einem halben Jahr wollte sie zu neuen Ufern aufbrechen. Doch was wurde dann aus dem Versprechen, das sie den Mädchen gegeben hatte? Und aus As’ad, der sie nachts bereits bis in ihre Träume verfolgte …

As’ad blickte unwillig auf, als sein Bruder Qadir in sein Büro spaziert kam. „Höchste Zeit, ein ernstes Wort mit Neil zu reden. Er soll mir gefälligst unangemeldete Besucher vom Leib halten.“

Qadir ignorierte den versteckten Tadel. „Ich bin gerade zurück aus Paris“, schwärmte er. „Eine zauberhafte Stadt voller zauberhafter Frauen. Anstatt dich hier unter deiner Arbeit zu vergraben, hättest du mich lieber begleiten sollen.“

As’ad hatte tatsächlich zwei schlaflose Nächte hinter sich, allerdings nicht, weil ihn die Arbeit dermaßen forderte. Nein, es war der Gedanke an Kayleen, der ihn Nacht für Nacht wach hielt und mit einem Verlangen erfüllte, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.

„Du hast recht, Bruderherz. Ich wäre besser mitgekommen. Dann hätten sich die Ereignisse hier vielleicht anders entwickelt.“

„Ich habe schon gehört.“ Qadir hockte sich auf die Schreibtischkante. „Drei Pflegetöchter? Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Es schien mir der einfachste Ausweg aus einer ausweglosen Situation.“

Qadir schüttelte missbilligend den Kopf. „Drei Kinder großzuziehen, die nicht deine eigenen sind. Dazu noch Mädchen!“

„Nun, einen Vorteil hat die ganze Sache: Vater hält mich im Moment für zu beschäftigt, um auf Brautschau zu gehen.“

„Verdammter Glückspilz.“

„Dafür konzentriert er sich jetzt wahrscheinlich stärker auf dich“, bemerkte As’ad nicht ohne Schadenfreude.

„Allerdings tut er das. Anlässlich des geplanten Staatsaktes in wenigen Wochen lässt er eine ganze Kompanie hoffnungsvoller Bräute antreten.“

„Zu dumm aber auch, dass ich bis über beide Ohren mit meiner Familie beschäftigt sein werde.“ As’ad lächelte süffisant.

Als As’ad um die Ecke zu seiner Suite bog, entdeckte er seine drei kleinen Pflegetöchter zusammengekauert vor der Tür hocken. Aufgeregt sprangen sie hoch und stürmten ihm sofort entgegen.

„Du musst uns helfen!“, rief Dana aus.

„Etwas Schreckliches ist passiert“, bestätigte Nadine unter Tränen.

As’ad erschrak bis ins Mark. „Was ist los? Raus mit der Sprache!“

„Wir waren ausreiten“, berichtete Dana stockend, „und haben uns verspätet. Kayleen hat sich Sorgen gemacht und ist uns gefolgt, obwohl wir doch mit einem Reitknecht unterwegs waren. Und … und … bis jetzt warten wir auf sie.“

In diesem Moment wünschte As’ad sich die drakonischen Strafen von früher zurück. Wer hatte es gewagt, Kayleen allein wegreiten zu lassen? Seine Fantasie produzierte höchst beängstigende Szenarien über die Gefahren, die eine wehrlose junge Frau allein in der Wüste erwarteten.

Die Mädchen drängten sich Trost suchend an ihn. Anstatt sie wegzuschieben, um eilends einen Suchtrupp zusammenzustellen, nahm As’ad sich die Zeit, ihnen beschwichtigend die Köpfe zu tätscheln. „Alles wird gut, das verspreche ich. Kayleen ist bald wieder bei euch.“

Zehn Minuten später waren die Mädchen in Linas Obhut untergebracht, und As’ad sprang in einen startbereiten Jeep. Kayleen konnte in der unendlichen Weite der Wüste überall sein. Vermutlich hatte sie jedoch die befestigten Wege nicht verlassen, sodass der Suchradius sich einschränkte. Es sei denn, das Pferd hatte sie abgeworfen …

As’ad verbot sich, weiter darüber nachzugrübeln. Er würde sie finden. Falls sie verletzt war, würde er auch diese Situation meistern. Irgendwie.

Die Reitpiste war ihm von Kindesbeinen an vertraut. Er würde ihr bis in die Wüste hinein folgen. Etwa zehn Meilen weiter befand sich der Vorposten eines Beduinenstammes. Wenn Kayleen sich bis dahin an die Piste gehalten hatte, war sie in Sicherheit.

Er fuhr langsam, hielt links und rechts Ausschau nach einer einsamen Reiterin, vergeblich. Als er sich den Randgebieten des Beduinenlagers näherte, entdeckte er eine Gruppe Männer, die sich um eine zierliche junge Frau mit in der Sonne leuchtenden roten Haaren scharte. Wild gestikulierend umklammerte sie die Zügel ihres Pferdes.

Vor Erleichterung fühlte er sich einen Moment ganz schwach. Er stoppte den Jeep und verständigte seine Tante über Satellitentelefon, dass er Kayleen gefunden hatte und sie unverletzt schien.

„Kehrt ihr bald zurück?“, wollte Lina wissen.

„Ich denke, wir bleiben noch zum Essen.“

„Gut, dann bringe ich die Mädchen inzwischen zu Bett. Danke für deinen Anruf. Jetzt können wir alle beruhigt schlafen gehen.“

Nachdem As’ad das Gespräch beendet hatte, stieg er aus dem Wagen. Als Kayleen ihn sah, galoppierte sie auf ihn zu, ließ sich aus dem Sattel fallen und warf sich ihm zitternd in die Arme. Mit einer Hand fasste er nach dem Zaumzeug, um das sich wild aufbäumende Pferd zu halten, mit der anderen drückte er Kayleen fest an sich.

„Da sind Sie ja endlich!“, stieß sie atemlos hervor. „Die Mädchen sind weg! Sie haben sich verspätet, und ich bin losgeritten, um sie zu suchen … Dann traf ich auf dieses Camp, doch leider versteht hier keiner ein Wort Englisch. Wenn den Kindern etwas passiert ist, werde ich mir das nie verzeihen.“

Sie war so schön in ihrer Aufregung … Die blaugrünen Augen schimmernd vor Tränen, die Wangen leicht gerötet. Einem Impuls nachgebend, neigte As’ad den Kopf und strich mit den Lippen sanft über ihren Mund.

„Den Mädchen geht es gut“, beruhigte er sie. „Wahrscheinlich liegen sie längst in ihren Betten. Sie sind es, um die wir uns sorgen.“

„Gott sei Dank!“ Vor lauter Erleichterung begann sie haltlos zu schluchzen.

„Beruhigen Sie sich doch, Kayleen. Die Mädchen sind ausgezeichnete Reiterinnen und wurden von einem Pferdeknecht begleitet. Es bestand also überhaupt kein Anlass für diese unüberlegte Rettungsaktion.“

„Ich hatte solche Angst. Da habe ich wohl etwas überreagiert“, gestand sie kleinlaut.

„Wieder mal ist das Temperament mit Ihnen durchgegangen“, konstatierte er nüchtern.

„Ja, wieder mal.“ Sie hob den Blick und bemerkte, dass die Beduinen nähergekommen waren. „Oh.“

Widerstrebend ließ As’ad sie los. Es war so ein schönes Gefühl, sie in den Armen zu halten. Am liebsten hätte er sie geküsst – jedoch ohne Publikum. Mit gestrafften Schultern wandte er sich Sharif zu, dem Stammesfürsten der Gruppe.

Die beiden Männer begrüßten einander voll ausgesuchter Höflichkeit, wobei sie ein streng protokollarisches Prozedere befolgten. Dann erkundigte sich Sharif: „Gehört diese Frau zu Euch?“

Kayleen rief hitzig aus: „Er spricht Englisch? Dabei hat er die ganze Zeit so getan, als verstünde er kein Wort!“

„Er kennt Sie nicht und wollte vorsichtig sein“, verteidigte As’ad den Stammesfürsten.

„Was ist mit der berühmten Gastfreundschaft der Wüste? Es heißt doch immer, jeder Reisende findet Zuflucht bei den Beduinenstämmen.“ Ihre Augen funkelten wütend.

„Haben Sie denn darum ersucht?“

Kayleen biss sich auf die Lippe. „Nein. Ich fragte lediglich nach den Mädchen, ohne eine Antwort zu bekommen.“

As’ad sah Sharif fest an. „Sie gehört mir.“

„Dann seid willkommen und teilt unser bescheidenes Mahl.“

„Es ist mir eine Ehre.“

„Ich lasse sofort alles vorbereiten.“ Damit wandten Sharif und seine Männer sich ab und machten sich auf den Weg in Richtung Zeltlager.

„Vorbereitungen?“, fragte Kayleen. „Welche Vorbereitungen? Und was soll die Behauptung, ich sei Ihre Frau? Ich bin Ihre Nanny. Das ist ein gewaltiger Unterschied“, empörte sie sich mit flammendem Blick.

„Es erleichtert die Sache, wenn sie glauben, Sie gehören mir.“ As’ad half ihr, in den Jeep zu klettern, und setzte sich hinters Steuer. „Ansonsten würde man Sie als Freiwild betrachten. Bei Ihrem exotischen Aussehen würde das gleich eine Schar Bewunderer auf den Plan rufen.“

Exotisch? Ein Attribut, das sie selbst nie mit ihrer Person in Verbindung gebracht hätte. Und andere Menschen bis jetzt auch nicht.

„Die Höflichkeit gebietet, dass wir zum Essen bleiben. Keine Angst“, erklärte As’ad. „Da ich Sie für mich beansprucht habe, sind Sie sicher.“

Trotzdem erschauerte sie, allerdings nicht vor Furcht. Nein, es war ein gänzlich gegenteiliges Gefühl, das ihr dieses angenehme Prickeln bescherte: die aufregende Erinnerung an den Moment, als As’ads warme, weiche Lippen ihre berührten.

Der Empfang im Beduinenlager fiel ausgesprochen herzlich aus. Die Frauen nahmen Kayleen sofort in ihre Mitte, und sie leistete ihnen bei den Vorbereitungen für das Essen Gesellschaft. Es gab Reis, ein würziges Fleischgericht und dünnes Fladenbrot, das auf einer nach oben gewölbten schweren Eisenpfanne über Feuer gebacken wurde. Alles zusammen verströmte einen köstlichen Duft.

Sharifs älteste Tochter Zarina war die Einzige, die sich auf Englisch verständigen konnte. „Wirke ich tatsächlich Furcht einflößend?“, wollte Kayleen irritiert wissen.

„Nicht Furcht einflößend, nur anders, fremdartig. Sie stammen aus einem fernen Land und sind mit unseren Sitten nicht vertraut.“

„Oh, ich bin lernfähig.“

Zarina, eine glutäugige, schwarzhaarige Schönheit, ließ ihr melodisches Lachen hören. „Den städtischen Komfort gegen das unbequeme Leben in der Wüste eintauschen? Das kann ich kaum glauben.“

„Bequemlichkeit ist mir nicht wichtig.“ Für das Gefühl, endlich irgendwo richtig dazuzugehören, würde Kayleen auf eine ganze Menge verzichten.

„Und doch leben Sie im königlichen Palast mit dem Prinzen zusammen.“

„Das ist eine lange Geschichte. Und ich lebe nicht mit ihm. Ich passe auf …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich eine lange Geschichte.“

Zarina warf einen raschen Blick in As’ads Richtung. Er saß mit den Ältesten des Stammes in der Männerabteilung des Zelts auf dem Boden. „Der Prinz sieht gut aus. Wäre ich nicht verheiratet, würde ich ihn Ihnen ausspannen.“

Kayleen wollte schon darauf hinweisen, dass es da nichts auszuspannen gab, besann sich dann aber anders. „Er ist nett.“

„Nett? Ein Mann, um den es sich zu kämpfen lohnt, kann unmöglich einfach nur nett sein. As’ad ist ein Krieger der Wüste. Er nimmt sich, was er haben will, und schützt seinen Besitz. Er ist ein starker Mann, ein Löwe. Der vollkommene Ehemann. Sie haben eine gute Wahl getroffen.“

Kayleen schätzte As’ad zwar in jeder Hinsicht hoch ein, aber diese Beschreibung fand sie nun doch etwas überzogen. As’ad, ein Krieger, ein Löwe? Nein, dazu wirkte er viel zu – sie suchte nach dem richtigen Ausdruck – kultiviert. Ja, genau. Doch was, wenn sie sich irrte? Dann konnte es gefährlich werden – für sie und ihr Herz.

In diesem Moment sah As’ad auf und begegnete ihrem Blick. Er erhob sich und kam zu ihr. Sofort zogen sich Zarina und die anderen Frauen zurück. „Was bedrückt Sie, Kayleen?“

„Nichts. Ich habe nur nachgedacht. Zarina sagte gerade, wenn sie nicht verheiratet wäre, würde sie Sie mir ausspannen.“

„Sie ist eine schöne Frau.“

Diese Antwort behagte Kayleen gar nicht. „Sie und ich – wir sind nicht zusammen.“

„Also hätten Sie nichts dagegen, wenn sie und ich …“

„Nein“, behauptete Kayleen, wobei sie den plötzlichen Stich in ihrem Herzen tapfer zu ignorieren versuchte. „Da Sie jetzt für drei Pflegekinder verantwortlich sind, gehört eine Frau an Ihre Seite.“

„Sie schlagen Zarina vor?“ In seinen Augen blitzte ein Anflug von Belustigung auf.

„Zarina ist bereits verheiratet.“

„In meiner Eigenschaft als Prinz von El Deharia kann ich haben, wen immer ich begehre“, informierte er sie stolz.

Seine hin und wieder durchscheinende Arroganz ging ihr allmählich auf die Nerven. „Ich glaube nicht, dass Sie das können“, holte sie zum Vernichtungsschlag aus. „Schließlich sind Sie auch nur ein Mann. Ich wette, es gibt genug Frauen, die Ihr Angebot dankend ablehnen.“

Er trat näher an sie heran. „Wer zum Beispiel?“

Kayleen straffte die Schultern und erwiderte genüsslich: „Ich zum Beispiel. Mich können Sie nicht haben.“

Ein herausforderndes Lächeln umspielte seine Lippen. „Das glauben Sie.“

„Ich bin sogar fest davon überzeugt.“

„Wirklich?“ Einen Wimpernschlag später zog er sie an sich und küsste sie.

4. KAPITEL

Kayleen war in ihrem Leben noch nicht oft geküsst worden, aber dass hier ein Experte am Werk war, konnte selbst sie erkennen. As’ads Liebkosungen waren sanft und gleichzeitig fordernd, doch er bedrängte sie nicht. Im Gegenteil, die Art und Weise, wie er über ihre Lippen strich und mit ihrer Zunge spielte, weckte in ihr das Verlangen nach mehr.

Ganz eng zog er sie in seine schützende Umarmung. Kayleen, die immer gefürchtet hatte, eine so intime Nähe zu einem Mann würde in ihr das Bedürfnis wecken zu fliehen, konnte sich gar nicht fest genug an seine breite Brust schmiegen. Sie legte ihm die Arme auf die Schultern, sog bebend seinen männlich-herben Duft ein. Nie im Leben hatte sie sich so geborgen gefühlt. Dieses Gefühl, gepaart mit einem unaufhörlich wachsenden Begehren, überschwemmte sie mit einer Macht, die sie in ihren Grundfesten erschütterte.

As’ad streichelte ihren Rücken, während er den Kuss vertiefte. Kayleen kam ihm nur zu willig entgegen, knabberte sanft an seiner Unterlippe, bevor sie erneut verlangend die Lippen öffnete. Glücklicherweise schien As’ad auch in dieser Situation ihre Gedanken lesen zu können. Er eroberte ihren Mund mit einer Leidenschaft, die sie lustvoll erschauern ließ.

Kayleen hätte noch Stunden so weitermachen können. Doch diesmal versagte sein Talent, ihre Gedanken zu lesen, denn er löste sich plötzlich sanft von ihren Lippen und aus ihrer Umarmung.

„Was ist?“, keuchte sie atemlos.

„Wir vertagen das auf später“, raunte er ihr zu, „wenn wir allein sind.“

Allein? Was sollte das …

Erst jetzt erinnerte sie sich schlagartig wieder daran, wo sie sich befanden. Oh, Himmel, wie peinlich! Sich ausgerechnet in Gegenwart dieser traditionsbewussten Beduinen so gehen zu lassen!

„Nun zweifelt keiner mehr, zu wem du gehörst“, erklärte As’ad mit einem triumphierenden Lächeln.

Einige Tage später unternahm Kayleen wie so oft einen langen Spaziergang durch den parkartig angelegten Palastgarten. Sie wählte einen neuen, verschlungenen Pfad und bewunderte die üppige Blumenpracht in den gepflegten Beeten. Eine wunderschöne rote Rose erregte ihre Aufmerksamkeit. Kayleen pflückte sie und sog den süßen Duft ein. Dann setzte sie sich auf eine von der Sonne erwärmte Steinbank und schloss die Augen.

So viel war in so kurzer Zeit passiert. Bis jetzt hatte sie ja kaum verkraftet, von einem Tag auf den anderen in ein sorgloses Luxusleben katapultiert worden zu sein. Und nun nahmen die Ereignisse eine völlig unerwartete Wendung … As’ad hatte sie geküsst. Auch wenn Kayleen mit allem gerechnet hatte, damit nicht. Und schon gar nicht mit ihrer Reaktion darauf.

Ein verträumtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Wie sehr sie sich nach der versprochenen Fortsetzung sehnte! Doch bis jetzt hatte sich keine Gelegenheit dazu ergeben. Kayleen fragte sich, wie As’ad den Kuss empfunden hatte. Womöglich nicht besonders aufregend, sodass er keinen Wert auf eine Wiederholung legte?

Im Grunde konnte ihr das völlig egal sein. Weitere Zärtlichkeiten durfte es nicht geben, das sagte ihr der gesunde Menschenverstand. Sie hatte ihre Zukunftspläne, er seine. Sie sehnte sich nach einer engen Beziehung, er nach Unabhängigkeit. Beides deckte sich nicht miteinander.

In diesem Moment unterbrach das Geräusch von Schritten ihre Gedanken. Kayleen öffnete die Augen und sah sich dem König höchstpersönlich gegenüber.

„Oh!“ Hastig sprang sie auf und blieb unschlüssig stehen.

„Welch angenehmes Zusammentreffen, Miss Kayleen.“ König Mukhtar schenkte ihr ein liebenswürdiges Lächeln. „Ich sehe, Sie genießen meinen Garten.“

In der Hoffnung, dem höfischen Protokoll zu genügen, neigte sie leicht den Kopf. „Ich gehe gern spazieren“, erzählte sie dann. „Hoffentlich bin ich nicht in Ihren Privatbereich eingedrungen?“

„Aber nein, meine Liebe. Ich freue mich über ein bisschen Gesellschaft. Kommen Sie, begleiten Sie mich ein Stückchen.“

Kayleen gehorchte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Sie wartete darauf, dass der König das Gespräch begann, was er zu ihrer Erleichterung schließlich auch tat.

„Haben Sie sich inzwischen im Palast eingewöhnt? Fühlen Sie sich bereits heimisch?“

„Eingewöhnt ja, aber heimisch? Ich bezweifle, dass man sich in einem so riesigen Gebäude je zu Hause fühlen kann.“

„Eine diplomatische Antwort“, erwiderte der König amüsiert. „Sagen Sie, wo sind Sie aufgewachsen?“

„In einem Waisenhaus im Mittleren Westen.“

„Haben Sie Ihre Eltern sehr früh verloren?“, fragte er mitfühlend.

„Über meinen Vater weiß ich nichts. Meine Mutter bekam mich, als sie selbst noch ein Teenager war. Ein Baby überforderte sie völlig, also kümmerte meine Großmutter sich um mich. Als auch das nicht funktionierte, landete ich in einem von Nonnen geleiteten Waisenhaus, in dem ich eine glückliche Kindheit verlebte.“

Kayleen war inzwischen daran gewöhnt, die Geschichte ihrer Kindheit in einer geschönten Fassung herunterzuspulen, um ihren Gesprächspartnern Unbehagen zu ersparen. Niemand brauchte zu wissen, dass ihre Mutter sie nicht wollte, ebenso wenig wie ihre Großmutter. Die Verantwortung für ein Baby war beiden Frauen einfach nur lästig gewesen. Auch ging es sonst niemanden etwas an, was für ein Gefühl es war, als Fünfjährige vor den Toren eines Waisenhauses ausgesetzt zu werden und zu wissen, dass sie ihre Familie nie wiedersehen würde. König Mukhtar konnte ohnehin nicht nachempfinden, was es bedeutete, ganz allein auf der Welt dazustehen.

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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