Julia Herzensbrecher Band 10

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

VERZAUBERT VOM FEST DER LIEBE von JACKIE BRAUN

Weihnachten? Kein Fest für Unternehmer Dawson Burke! Doch der attraktive Witwer hat nicht mit der hinreißenden Eve gerechnet. Eigentlich soll sie nur die Geschenke für seine Familie besorgen. Aber dann bringt sie überraschend das Eis um sein Herz zum Schmelzen.

KÜSSEN ERLAUBT - LIEBE VERBOTEN! von HEIDI RICE

Nach seiner bitteren Scheidung lebt Jace nach dem Motto: Sex ja - Beziehung nein! Nur die Festtage will er mit der schönen Cassie verbringen, danach werden sie sich nicht wiedersehen. Aber der berühmte Regisseur hat die Rechnung ohne die Magie der Christnacht gemacht …

ZUCKERGUSS UND WEIHNACHTSKUSS von SHIRLEY JUMP

Samanthas Gebäck ist bis über die Stadtgrenzen ihres beschaulichen Heimatortes Riverbend hinaus bekannt. Der New Yorker Journalist Flynn McGranger betrachtet die Lobeshymnen eher kritisch. Bis er einen Kuss der süßen Zuckerbäckerin kostet ...


  • Erscheinungstag 27.11.2020
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715021
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Braun, Heidi Rice, Shirley Jump

JULIA HERZENSBRECHER BAND 10

1. KAPITEL

Dawson Burke war es gewohnt, dass die Menschen seinen Anweisungen folgten.

Allein schon aus diesem Grund ärgerte ihn die Nachricht, die er gerade von seiner Mailbox abgerufen hatte. Er klappte das Handy zu und tippte sich damit ans Kinn, während er aus dem Fenster der Limousine auf die Autoschlange schaute, die sich nach Denver hinein arbeitete. Was meinte Eve Hawley damit, sie würde später an diesem Tag auf einen Sprung bei ihm im Büro vorbeikommen, um seine Geschenkwünsche mit ihm zu besprechen? Was gab es da zu besprechen?

Seine alte persönliche Einkäuferin hatte Dawson in den vergangenen Jahren nur ein paar Mal getroffen. Ansonsten hatte er mit Carole Deming alles telefonisch, per Fax, E-Mail oder über seine Sekretärin abgewickelt. Dawson stellte eine Namensliste und das nötige Geld zur Verfügung. Dafür kaufte Carole die Geschenke, packte sie ein und sorgte dafür, dass sie ausgehändigt wurden. Auftrag ausgeführt. Alle zufrieden.

Tja, im Moment war er nicht zufrieden.

Eve sagte, sie habe einige Fragen zu den Empfängern auf seiner Liste. Eve sagte, ihr sei es lieber, sich zumindest ein Mal mit ihren Kunden zu treffen, bevor sie anfange, für sie einzukaufen. Eve sagte, das gebe ihr ein Gefühl dafür, was sie mochten und was nicht, und helfe ihr, den Geschenken eine persönliche Note zu verleihen. Eve sagte …

Seufzend rieb sich Dawson die Augen. Es war die dritte Nachricht, die er von dieser Frau erhalten hatte. Ebenso wenig wie mit dieser herrischen Vertretung wollte er sich mit Weihnachten befassen. Carole, die sich von einer Knieoperation erholte, hatte Eve Hawley als ihren Ersatz vorgeschlagen. Was hatte Carole sich eigentlich dabei gedacht?

Vielleicht sollte er sie anrufen und fragen, ob sie ihm jemand anders empfehlen konnte. Jemand, der keine überflüssigen Fragen stellte und ihm auf die Nerven ging, sondern einfach tat, was von ihm verlangt wurde.

Die Limousine hielt vor dem Gebäude, in dem die Büros von „Burke Financial Services“ untergebracht waren. Dawsons Großvater, Clive Burke Senior, hatte das Unternehmen gegründet, das Portfolios und Betriebsrenten verwaltete. Clive Senior war seit fast zwölf Jahren tot, und Dawsons Vater, Clive Junior, hatte sich im vorletzten Frühjahr zur Ruhe gesetzt. Jetzt war Dawson der Chef, und er hielt viel von straffer Unternehmensführung.

Sobald sich im elften Stock die Fahrstuhltüren öffneten, stand seine Sekretärin auf und kam um ihren Schreibtisch herum. Rachel Stern war eine ältere Frau mit stahlgrauem Haar. Ihre Schultern waren so breit wie die eines Footballspielers, und der Ausdruck ihres Gesichts würde einen hartgesottenen Verbrecher veranlassen, lieber auf die andere Straßenseite zu wechseln, als an ihr vorbeizugehen.

In den zwölf Jahren, in denen sie schon für ihn arbeitete, hatte Dawson sie noch nie lächeln sehen. Aber sie war tüchtig und zuverlässig.

Sie ging neben ihm her und bereitete ihn auf den Tagesablauf vor, noch ehe Dawson die Lederhandschuhe abgestreift und seinen Wollmantel ausgezogen hatte.

„Die Leute von ‚Darien Cooper‘ haben angerufen. Sie stecken im Stau und kommen ungefähr fünfzehn Minuten zu spät. Die Informationspakete habe ich in den Konferenzraum gelegt, und die Bildschirmpräsentation ist startbereit.“

„Und meine Rede für den ‚Denver Economic Club‘ heute Abend?“

„Liegt getippt und ausgedruckt auf Ihrem Schreibtisch. Ich habe alle Fakten nachgeprüft. Die Fernsehsender bitten um einige Angaben, weil die Reporter erst für die Spätnachrichten wieder zurück im Sender sein werden. Ich habe mir erlaubt, ein paar Sätze hervorzuheben, die sich gut als Zitate eignen.“

„Ausgezeichnet.“

„Oh, und Ihre Mutter hat angerufen.“

Dawson biss die Zähne zusammen. Er ermahnte sich, dass sie ihn nur deshalb so oft anrief, weil sie ihn liebte und sich Sorgen um ihn machte. Was gegen seine Schuldgefühle aber natürlich nicht half. „Soll ich zurückrufen?“

„Nein. Sie hat mich lediglich darum gebeten, Sie daran zu erinnern, für den Ball am Wochenende Ihren Smoking reinigen zu lassen. Ihre Mutter hat einen Platz am Kopf der Tafel für Sie reserviert und wird ein Nein nicht akzeptieren.“

Der jährliche „Tallulah Malone Burke Charity Ball and Auction“ war das Event für Denvers Oberschicht zum Sehen und Gesehenwerden. Er hatte gehofft, einen großzügigen Scheck zusammen mit seiner Absage schicken zu können. Aber der Wohltätigkeitsball mit Versteigerung feierte sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Dawson traute es seiner Mutter durchaus zu, dass sie persönlich bei ihm zu Hause aufkreuzte, um ihn persönlich zu der Party zu schleppen.

Es war für eine gute Sache. Mit dem Erlös des Balls wurden verschiedene wohltätige Organisationen im Raum von Denver unterstützt. Früher hatte Dawson gern das Seine dazu beigetragen, indem er sich wie ein Pinguin kleidete, Hände schüttelte und Small Talk mit den Mächtigen und Reichen der Stadt machte. In den letzten Jahren hatte er jedoch nicht an der Veranstaltung teilgenommen, die immer am zweiten Samstag nach dem Thanksgiving Day stattfand.

Für Dawson war es die schlimmste Zeit des Jahres. Seine Mutter, die ansonsten immer großen Wert darauf legte, den Schein zu wahren, hatte ihm in den letzten Jahren erlaubt, sich vor seinen Verpflichtungen als Mitglied der Familie Burke zu drücken. Doch anscheinend fand die ihm gewährte Begnadigung jetzt ein Ende.

Dawson sah auf die Uhr. „Meine Haushälterin müsste inzwischen da sein. Rufen Sie sie an. Ingrid wird den Smoking reinigen lassen. Falls Sie einen Moment Zeit haben …“

„Eine Tasse Kaffee, einen Bagel mit Frischkäse und dazu frisches Obst.“

„Bitte.“

Seine tüchtige Sekretärin konnte fast seine Gedanken lesen, während Eve Hawley offenbar nicht einmal mit einer einfachen Namensliste etwas anzufangen wusste, obwohl diese sogar nähere Angaben enthielt: Welches Geschlecht die Personen hatten, wie alt sie waren und in welcher Beziehung sie zu Dawson standen.

„Noch etwas?“, fragte Rachel.

„Ja.“ Er fischte das Handy aus der Innentasche seines Jacketts und reichte es ihr. „Rufen Sie für mich Eve Hawley zurück. Die dritte Nummer von unten ist ihre. Sie ist die persönliche Einkäuferin, die Carole empfohlen hat. Sagen Sie ihr, ich hätte zu viel zu tun, um sie heute zu empfangen. Und versuchen Sie vielleicht, ob Sie die Fragen beantworten können, die sie zu der Namenliste zu haben behauptet. Sie haben sie ihr letzte Woche in meinem Auftrag gemailt.“

„In Ordnung.“

„Danke.“ Er massierte sich den Nacken und verzog das Gesicht, als der Schmerz bis in den Rücken ausstrahlte. Seit dem Autounfall vor drei Jahren, bei dem seine Frau und seine Tochter ums Leben gekommen waren, trat der Schmerz häufig auf. Nervöse Anspannung verschlimmerte ihn, aber fast unerträglich wurde er in der Zeit vor Weihnachten, wenn die Erinnerungen und die Trauer in dichter Folge auf ihn einstürmten.

„Macht Ihnen der Rücken wieder Probleme?“, fragte Rachel.

In ihrer Stimme lag nichts von der süßlichen Besorgnis, die Dawson so verabscheute. Keinesfalls wollte er Gegenstand des Mitleids sein. Doch er wusste, dass er genau das in den Augen vieler Leute geworden war.

Der arme Dawson Burke.

„Ein bisschen.“

„Ich werde Wanda anrufen. Vielleicht kann sie zwischen Ihren Nachmittagsbesprechungen vorbeikommen“, sagte Rachel.

Wanda war die Masseurin, die er auf Honorarbasis beschäftigte, seit er nach dem Unfall aus dem Krankenhaus entlassen worden war.

Das klang himmlisch, aber Dawson schüttelte den Kopf. „Keine Zeit. Gestern Abend habe ich auf dem Weg nach draußen Nick Freely getroffen. Ich habe ihm versprochen, einige Aktienoptionen mit ihm durchzugehen.“

„Ich rufe ihn an und verschiebe den Termin“, schlug Rachel vor.

„Nein. Bitten Sie Wanda, heute Abend zu mir nach Hause zu kommen. Dann bin ich für meine Rede schön aufgelockert.“

Nachdem die Sekretärin hinausgegangen war, merkte sich Dawson vor, ihr Urlaubsgeld zu erhöhen. Rachel hatte es verdient.

Eve Hawley hat auch etwas verdient, dachte Dawson später an diesem Abend. Eine Sondervergütung allerdings nicht.

Nur mit einem Handtuch um die Hüften lag er auf der tragbaren Liege, die seine Masseurin in seinem Arbeitszimmer aufgestellt hatte, als seine Haushälterin Ingrid anklopfte.

„Entschuldigen Sie, Mr. Burke“, sagte sie von der Tür her. „Sie haben Besuch.“

Er erwartete niemanden, und in einer Stunde musste er weg, um seine Rede zu halten. Während Wanda seine Muskeln mit Händen durchknetete, die einem Holzfäller alle Ehre gemacht hätten, fragte Dawson mit zusammengebissenen Zähnen: „Wer ist es?“

„Miss Hawley.“

Ungläubig hob er das Gesicht aus der ringförmigen Kopfstütze und starrte die Haushälterin an. „Sie ist hier?“

„Ja.“

Die Frau war unerbittlich und offensichtlich unfähig, ihren Job zu machen, wenn sie ihn nach einem Gespräch mit Rachel noch immer verfolgte.

„Ich kann jetzt nicht.“

„Das habe ich ihr gesagt, Mr. Burke. Aber sie besteht darauf, Sie zu sehen.“

„Tja, wenn sie darauf besteht …“ Er wusste schon, wie er sie todsicher loswurde. „Schicken Sie Miss Hawley herein.“

„Sofort?“

„Ja.“ Wenn Eve Hawley ihn unbedingt sehen wollte, würde sie etwas zu sehen bekommen.

Ingrids Blick huschte über seinen nackten Rücken und das Handtuch, das nur das Allernötigste bedeckte. Sie war alt genug, um seine Mutter zu sein. Tatsächlich hatte Dawson sie auf Empfehlung von seiner Mutter eingestellt. Ingrids zusammengepresste Lippen verrieten, wie unpassend sie seinen Vorschlag fand. Aber wie alle seine Angestellten – oder zumindest die meisten – kümmerte sie sich um ihre eigenen Dinge und tat, worum er sie bat.

„Na gut“, meinte sie und zog sich zurück.

„Machen Sie weiter“, forderte er Wanda auf, bevor er das Gesicht wieder in die Kopfstütze sinken ließ. Wie eine Karatekämpferin drosch die Masseurin auf seinen Rücken ein. Einen Moment später hörte Dawson die Tür aufgehen, und die Person, die hereinkam, holte vor Überraschung tief Luft. Gemein von ihm, aber Dawson grinste in sich hinein.

„Oh. Sie sind …“

„Beschäftigt“, kam seine gedämpfte Antwort.

Eve Hawley lachte. „Eigentlich wollte ich ‚nackt‘ sagen.“

„Nicht ganz.“ Unzufrieden runzelte er die Stirn. Anscheinend war die Frau bei Weitem nicht so beunruhigt, wie er gehofft hatte.

„Ich bin Eve Hawley.“

„Ja, ich weiß. Selbst wenn meine Haushälterin Sie nicht angemeldet hätte, würde ich Ihre Stimme wiedererkennen nach den vielen Nachrichten, die Sie auf meinem Telefon hinterlassen haben.“

„Nachrichten, die unerwidert geblieben sind“, hatte sie die Frechheit zu erklären.

„Meine Sekretärin hat zurückgerufen.“

„Ah, ja. Mrs. Stern. Wenn ich mit Ihrer Sekretärin hätte sprechen wollen, hätte ich gleich ihre Nummer gewählt, Mr. Burke. Ich muss mit Ihnen sprechen.“

Trotz Wandas kompetenter Fürsorge spürte Dawson erneut Verspannungen in seinem Rücken. „Hören Sie, Miss Hawley, sicherlich hat Carole Deming Sie doch darüber informiert, was ich erwarte. Hier geht es um Geschenkkäufe und nicht um Raketenwissenschaft. Wenn Sie den Job nicht machen können …“

„Oh, ich kann. Ich halte nur viel davon, ihn gut zu machen“, entgegnete sie hochmütig.

Unter anderen Umständen hätte Dawson dies vielleicht bewundert. Doch im Moment fehlte ihm die Geduld dafür.

„Ich werde nicht viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen“, versprach sie.

Seufzend gab Dawson nach, hob aber nicht den Kopf aus dem gepolsterten Loch in der Liege. Er war unhöflich, unerträglich unhöflich. Nur war ihm das deutlich bewusst, und er tat es mit Bedacht. Die Frau hatte ihn schon genug genervt.

„In Ordnung. Schießen Sie los.“

„Sie wollen das jetzt gleich besprechen?“, fragte sie ungläubig.

„Jetzt gleich ist die einzige Zeit, die ich habe. Ich habe einen vollen Terminkalender, auch in den nächsten Tagen.“

„Ich verstehe.“

Dawson hatte erreichen wollen, dass Eve Hawley protestierte und ging. Stattdessen hörte er ihre Absätze über den Parkettboden in seine Richtung klappern. Knapp außerhalb seines eingeschränkten Blickfelds blieb sie stehen.

„Ich habe ein paar Anliegen“, begann sie in professionellem Ton.

Anscheinend machte es ihr überhaupt nichts aus, mit einem fast nackten Mann über geschäftliche Dinge zu reden.

Vielleicht war sie ja auch alt genug, um seine Mutter zu sein?

„Was für Anliegen?“

„Neben Geschäftspartnern und Bekannten stehen auf Ihrer Geschenkliste Freunde und mehrere Familienmitglieder.“

„Meine Eltern, meine Schwester und ihr Mann sowie deren Kinder“, erwiderte Dawson. „Ich weiß, wer auf der Liste steht, Miss Hawley. Schließlich habe ich sie aufgestellt.“ Na gut, das hatte seine Sekretärin getan, aber er hatte die endgültige Fassung genehmigt.

„Bei Familienmitgliedern gehe ich die Sache aber gern ein bisschen anders an.“

Ihre Absätze klapperten wieder über den Boden. Was Eve Hawleys Alter betraf, musste Dawson nun umdenken, als lebensgefährlich aussehende Pumps in sein Sichtfeld traten. Sie waren rot und aus Krokolederimitat. Nicht, dass er allein wegen der Schuhe ein paar Jahrzehnte abzog. Aber Frauen der Generation seiner Mutter ließen sich normalerweise nicht kleine Schmetterlinge an den Fußknöcheln tätowieren.

Schließlich gewann die Neugier doch die Oberhand über ihn. Er stützte sich auf die Ellbogen und stemmte sich ein Stück von der Liege hoch, sodass er Eve Hawley in voller Gänze betrachten konnte. Doch im gleichen Augenblick wünschte er sehr, er hätte es nicht getan. Der Rest von ihr, von den Rundungen, die ihr schwarz-weißes Strickkleid ausfüllten, bis zu dem langen schwarzen Haar, war ganz genauso sexy wie ihre Beine und diese Schuhe.

Dass er fast nackt war, verschaffte ihm plötzlich nicht mehr den Vorteil, auf den er ursprünglich aus gewesen war. Nein, der Vorteil lag jetzt eindeutig bei der schwarzhaarigen Schönheit, die mit verschränkten Armen selbstsicher dastand und Dawson belustigt musterte.

Er warf einen Blick über die Schulter. „Das genügt fürs Erste, Wanda.“

„Also, ich weiß nicht, Mr. Burke. Sie fühlen sich noch immer schrecklich verspannt an“, wandte seine Masseurin ein.

Aus den Augenwinkeln meinte er Eves sinnliche Lippen zucken zu sehen.

„Mir geht es prima.“ Zu Eve sagte er: „Geben Sie mir fünfzehn Minuten, dann besprechen wir Ihre Anliegen.“

„Klar.“

Diesmal war Dawson überzeugt, dass sie ein Lächeln unterdrückte, bevor sie aus dem Zimmer schlenderte.

Eve wartete in einem gemütlichen Zimmer, das neben der Küche lag. Zuvorkommend hatte ihr die Haushälterin eine Tasse Tee gebracht, den Eve gerade trank. Dabei blickte sie in das flackernde Kaminfeuer und dachte über ihren Kunden nach. Er war eine Überraschung, und nicht nur, weil er bei ihrer ersten Begegnung lediglich mit einem Handtuch bekleidet gewesen war.

Größtenteils bekam sie ihre Aufträge von dickbäuchigen Workaholics mittleren Alters. Sie war diesen Männern zu Dank verpflichtet, denn sie halfen ihr seit fast zehn Jahren, ihre Rechnungen zu bezahlen. Aber deswegen hatte sie nicht damit gerechnet, dass Dawson Burke so jung, gut aussehend und durchtrainiert war.

Dass ihr, einer neunundzwanzigjährigen Frau ohne Beziehung, solche Details entgingen, war schlicht unmöglich.

Eve wohnte noch nicht lange in der Hauptstadt von Colorado. Und das Schöne an ihrem Beruf war, dass sie ihn überall ausüben konnte. Nach einer besonders unangenehmen Trennung im Frühjahr hatte sie einen Neuanfang machen wollen. Sie hatte im Internet geforscht und sich wegen des schönen Panoramablicks für Denver entschieden, die Mile High City am Ostfuß der Rocky Mountains.

Also hatte sie sich hier niedergelassen, sich einen Kundenstamm aufgebaut und Wurzeln geschlagen. Vor zwei Monaten hatte sie das Glück gehabt, Carole Deming kennenzulernen, während sie in einer Boutique einkaufte. Dass Carole fünfzehn Jahre älter war und sie eigentlich Konkurrentinnen waren, hatte ihrer Freundschaft nicht im Weg gestanden. Carole war sogar so nett gewesen, Eve einige ihrer Kunden zu überlassen, solange sie sich von ihrer Knieoperation erholte.

Was hatte Carole noch gleich über Dawson Burke gesagt?

„Ich glaube, du wirst feststellen, dass er eine Herausforderung ist.“

Zu jenem Zeitpunkt hatte sie angenommen, dass Carole von seinen Geschenkwünschen sprach. Doch jetzt glaubte Eve zu verstehen, warum ihre Freundin dabei gelacht hatte. Eine Herausforderung? Allein schon der Versuch, an dem Pitbull von einer Sekretärin vorbeizukommen, war harte Arbeit gewesen. Weshalb Eve beschlossen hatte, unangemeldet bei Dawson Burke zu Hause aufzukreuzen.

Schwierige Kunden störten Eve nicht. Davon hatte sie in der Vergangenheit viele gehabt. Nörgeltypen, die ihr erst freie Hand ließen und später an jedem Geschenk für andere oder Kleidungsstück für sie selbst, das Eve ausgewählt hatte, etwas auszusetzen hatten. Aber das hier war etwas anderes. Sie konnte einfach nicht tun, was Dawson wollte, ohne mehr Informationen einzuholen. Es war nicht richtig.

Familienmitglieder hatten mehr Nachdenken verdient, wenn es um Geschenke ging. Dass sie unpersönlich waren, duldete Eve nicht.

Erinnerungen ließen sie frösteln. Sie stellte die Tasse hin, stand auf und trat näher ans Feuer heran. Ihre Mutter war gestorben, als Eve acht Jahre alt gewesen war. Selbstmord, oder zumindest hatte man das gemunkelt. Die Alternative, eine versehentliche Überdosis, war mit fast ebenso viel Stigma behaftet gewesen, besonders da die Familie ihrer Mutter Eves Vater die Schuld gegeben hatte.

Nach dem Tod ihrer Mutter war Eve von einem Verwandten zum nächsten geschoben worden. Ihr Dad war fortgegangen, angeblich, um seinen Wunschtraum zu verwirklichen, seine Musik zum Beruf zu machen. Richtiger jedoch war, dass ihr Vater vor einer Realität davongelaufen war, mit der er sich nicht abfinden konnte.

Zurzeit hatte er ein Engagement in einer Kneipe in Myrtle Beach, South Carolina. Mit fast sechzig wartete Buck Hawley nicht länger auf seinen großen Durchbruch. Aber ihr Vater lief noch immer davon.

Er hatte mehr als zwanzig Jahre von Eves Leben verpasst, doch er schickte ihr weiter zu jedem Geburtstag und alljährlich zu Weihnachten ein Geschenk. Sie hasste diese Geschenke. Stets waren es unpersönliche Dinge, und schon beim Auspacken wusste sie, dass er sie nicht selbst ausgesucht hatte. Meistens unterschrieb er nicht einmal die Karten selbst.

Während sie noch klein gewesen war, hatte das sehr wehgetan. Und so viele Jahre später tat es noch immer weh. Als Kind hatte sie sich nach seiner Aufmerksamkeit gesehnt, zumindest hätte sie sich gewünscht, dass er an sie dachte, wenn er ein Geschenk für sie kaufte.

Und deshalb genügte es ihr nicht, dass auf Dawsons Liste lediglich Name und Alter angegeben waren. Wenn Kunden sie baten, für nächste Angehörige einzukaufen, verlangte Eve mehr.

„Möchten Sie noch Tee?“

Sie drehte sich zur Tür um. Frisch rasiert, das dunkle Haar aus der Stirn gekämmt, kam Dawson herein. Er trug einen maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. Eves Herz machte denselben kleinen Sprung wie vorhin, als sie viel mehr nackte Haut von ihm gesehen hatte.

„Nein, danke.“

„Tja, ich möchte Sie nicht drängen, aber ich habe wirklich noch einen Termin. Ich glaube, Sie sagten, Sie würden nicht viel von meiner Zeit in Anspruch nehmen.“

„Stimmt.“ Sie holte ihren Aktenkoffer, den sie neben dem Sessel abgestellt hatte. „Ich arbeite ein wenig anders als Carole.“

„Das habe ich mir schon gedacht“, entgegnete Dawson trocken.

„Wenn ich für nahe Verwandte, wie jene auf Ihrer Liste, Geschenke kaufen soll, muss ich etwas über sie wissen.“

Er öffnete den Mund, kam jedoch nicht zu Wort.

„Mehr als Geschlecht, Alter und Ihre Preisvorstellung. Was für Hobbys haben sie? Haben sie eine Lieblingsfarbe? Sammeln sie irgendetwas? Stehen die Kinder auf Computerspiele? Sport? Wer ist ihr Lieblingssänger? Und nur um das einmal festzuhalten, ich halte nicht viel von Geschenkgutscheinen, Obstkörben, Blumengestecken und dergleichen. Diese Dinge kann jeder kaufen und zuschicken lassen. Sie erfordern weder Mühe noch Nachdenken. Solche Geschenke werde ich schlicht nicht besorgen.“

„Möglicherweise habe ich die falsche Person für den Auftrag.“

Ein Anflug von Sorge überfiel Eve. Von den Kunden, die Carole ihr beschafft hatte, war Dawson Burke mit Abstand der wichtigste. Das Honorar würde ihr Bankkonto auffüllen, das die Umzugskosten leer gefegt hatten. Energisch schüttelte Eve die Sorgen ab und erwiderte: „Ja, haben Sie vielleicht. Aber für mich ist das eine Prinzipienfrage.“

Einen Moment lang sah Dawson sie forschend an, dann seufzte er. „Was brauchen Sie?“

„Da es so schwierig gewesen ist, an Sie heranzukommen, gebe ich Ihnen einen Fragebogen, anstatt ein Vorgespräch mit Ihnen zu führen.“ Eve öffnete den Aktenkoffer und zog einen Schnellhefter heraus, den sie Dawson reichte. „Füllen Sie den Fragebogen bei Gelegenheit aus. Es wäre toll, wenn ich ihn bis spätestens nächsten Montag zurückhaben könnte.“

„Sonst noch etwas?“

Ihr entging sein sarkastischer Ton nicht, sie beschloss jedoch, ihn zu ignorieren. „Ja. Was Geschäftspartner und Klienten anbelangt, stört es mich nicht, wenn sie etwas anonymer bleiben. Trotzdem würde ich Auskünfte oder Anekdoten über die Leute begrüßen, Mr. Burke. Sie können gern alles, was Ihnen einfällt, auf die gestrichelte Linie neben den Namen schreiben.“

„Vielleicht sollte ich mitgehen, wenn Sie Ihre Einkäufe machen.“

Wieder ignorierte Eve seinen Sarkasmus. „Das ist nett von Ihnen“, erwiderte sie mit einem liebenswürdigen Lächeln, „aber das wird nicht nötig sein. Es sei denn, Sie möchten es wirklich. Ich kann immer jemanden gebrauchen, der die Tüten zum Auto trägt.“

Sie wusste nicht so recht, warum sie ihn gerade provoziert hatte. Außer dass ihr seine Arroganz gegen den Strich ging.

„Entschuldigen Sie, Mr. Burke“, sagte die Haushälterin von der Tür her. „Der Chauffeur ist vorgefahren.“

„Gut.“ Dawson wandte sich wieder Eve zu. „Ich glaube, wir sind fertig.“

„Fürs Erste.“ Es war ihr eine Genugtuung zu sehen, dass er ein finsteres Gesicht machte.

2. KAPITEL

Dawson war stolz darauf, ein Mann zu sein, der unkonventionell dachte, wenn er nach Lösungen für Probleme suchte. Auch deshalb war er ein so erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Und als am Freitagnachmittag der Ärger losging, ergriff Dawson die Gelegenheit beim Schopf.

„Ihre Mutter ist auf Leitung eins, Eve Hawley auf zwei“, meldete Rachel.

„Ich spreche mit meiner Mutter. Richten Sie Miss Hawley aus, dass ich zurückrufe.“ Dawson blickte zur Ablagebox „Eingänge“, wo der Fragebogen lag, den sie ihm gegeben hatte. Warum Eve anrief, konnte er sich vorstellen. Und er wusste, warum seine Mutter anrief. Morgen war der Wohltätigkeitsball.

„Hallo, Mom.“

„Dawson, Liebling. Wie geht es dir?“

„Gut.“

„Das behauptest du immer. Ich mache mir trotzdem Sorgen um dich.“

„Wirklich, es ist nicht nötig.“

„Es ist die Aufgabe einer Mutter.“

„Ich bin erwachsen, Mom. Letzten Monat bin ich achtunddreißig geworden“, erinnerte er sie.

„Dein Alter spielt keine Rolle. Meines eigentlich auch nicht.“ Tallulah schwieg einen Moment. Dann sagte sie: „Ich weiß, dass es eine schwierige Jahreszeit für dich ist.“

„Mom …“

„Es ist für alle eine schwierige Zeit“, fuhr sie fort. „Wir alle vermissen Sheila und Isabelle.“

Die Namen seiner Frau und seiner Tochter laut ausgesprochen zu hören ließ Dawsons Stimme scharf werden. „Nicht! Lass es einfach!“

„Dawson …“

Er blieb fest, auch wenn er seinen Ton mäßigte. „Ich möchte nicht über sie reden. Dazu habe ich mich sehr klar geäußert.“

„Klar ist, dass du dich seit drei Jahren in einem selbst gebauten Gefängnis einsperrst. Du warst schon immer ein ziemlich strenger Mensch. Aber in diesen drei Jahren bist du ein kontrollwütiger Workaholic geworden. Du nimmst dir keine Zeit für Freunde und Familie, geschweige denn für dich selbst. Stattdessen hockst du von früh bis spät im Büro.“

„Ja, und deshalb ist Burke Financial überaus erfolgreich“, erwiderte Dawson. „Der Gewinn im letzten Quartal war der höchste in der Geschichte des Unternehmens.“

„Deinem Vater und mir ist das Geschäft verdammt gleichgültig!“

Überrascht blinzelte Dawson. Seine Mutter fluchte? Sie war eine Frau, die selten laut wurde und niemals die Fassung verlor. Immer hatte sie wirkungsvollere Methoden gehabt, ihre Kinder zurechtzuweisen.

Jetzt fuhr sie eines ihrer schweren Geschütze auf.

„Ich sage es nur ungern, Dawson, aber ich bin sehr enttäuscht von dir.“

Er sank in seinem Sessel zurück und schloss einen Moment lang die Augen. Ob er acht oder achtunddreißig war, mit dieser Waffe traf seine Mutter stets ins Schwarze. „Es tut mir leid, dass du so empfindest, Mom. Das ist ganz bestimmt nicht meine Absicht.“

„Ich weiß.“

Aber natürlich war sie noch nicht fertig.

„Hast du schon Pläne für die Feiertage gemacht?“

In der Familie Burke war es Tradition, sich am Heiligabend zum Essen im Haus seiner Eltern zu versammeln. Das war am Abend des Unfalls auch Dawsons Ziel gewesen. Seit damals konnte er einfach nicht mehr am Weihnachtsdinner teilnehmen. „Sicher.“

„Wieder Saint Tropez?“ Tallulah klang entsetzt.

Unfähig, am Jahrestag des verhängnisvollen Abends im verschneiten Denver zu bleiben, war Dawson in den vergangenen zwei Jahren nach Europa geflogen. In diesem Jahr wollte er jedoch woandershin. „Ich dachte, ich probiere mal Cabo San Lucas aus. Ich habe mir bis zum zweiten Januar eine Ferienwohnung gemietet.“

Ebenso wie Saint Tropez hatte auch Cabo San Lucas Wärme, Sonne und tolle Strände zu bieten. Und am wichtigsten, dort kannte ihn niemand. Die Leute würden ihn nicht mitfühlend fragen, wie es ihm ging, oder ihn mit einem strahlenden Lächeln ansehen, das ihr Mitleid nicht verbergen konnte.

„Allein?“, fragte seine Mutter.

„Mom …“

„Es würde mich gar nicht so sehr stören, dass du die Feiertage nicht mit deinen nächsten Angehörigen in Denver verbringen willst, wenn ich wüsste, dass du Weihnachten mit jemand Besonderem zusammen bist.“

„Mit mir ist alles in Ordnung.“

„Hast du Verabredungen, Dawson?“

„Ich bin zweimal ausgegangen“, gab er zu. Die Dates waren Katastrophen gewesen, von den gestelzten Gesprächen am Anfang bis zu den peinlichen Gutenachtküssen am Ende. Nach beiden Versuchen hatte er sich schuldig gefühlt und war von Neuem wütend auf das Schicksal gewesen. Nicht, dass er das seiner Mutter erzählen würde.

Anscheinend verstand sie es trotzdem. „Ach Junge, irgendwann musst du mit deinem Leben weitermachen.“

„Das habe ich getan“, behauptete er. Schließlich stand er jeden Tag auf. Er arbeitete. Unter seiner Leitung war das Unternehmen sogar noch erfolgreicher geworden.

Wie immer kam seine Mutter direkt zum entscheidenden Punkt. „Aber du hast dir selbst nicht verziehen.“

Nein. Er hatte sich nicht verziehen. Das konnte er nicht. Er schloss die Augen und sah im Geiste alles wieder vor sich. Er hatte an jenem verschneiten Heiligabend am Steuer gesessen und ihrer aller Schicksale fest in der Hand gehabt, bis eine Glatteisstelle alles verändert hatte.

Das Auto war gegen einen Brückenpfeiler geprallt. Nur Dawson überlebte den Unfall, abgesehen von einer klaffenden Wunde an der Stirn und einem Armbruch hatte er keine Verletzungen davongetragen. Seine Frau hingegen war sofort tot, während seine Tochter noch mehrere Stunden zwischen Leben und Tod schwebte. Dann war ein Chirurg aus dem Operationssaal gekommen, um die Nachricht zu überbringen, mit der sich Dawson noch immer nicht abfinden wollte.

„Es tut mir leid, Mr. Burke. Wir haben alles versucht, aber es ist uns nicht gelungen, sie zu retten.“

Wie könnte sich Dawson das jemals verzeihen?

Die Stimme seiner Mutter holte ihn zurück in die Gegenwart.

„Ich möchte nur, dass du glücklich bist.“

Er öffnete die Augen und rieb sie mit der freien Hand. Seine Mutter verstand es nicht. Niemand tat das. Für ihn war Glücklichsein nicht mehr von Bedeutung.

„Die Tochter der Harrisons ist vor Kurzem aus Kalifornien zurück nach Denver gezogen“, erzählte Tallulah gerade.

Alarmglocken begannen in seinem Kopf zu läuten und verstummten, als Dawson fragte: „Diejenige, die vor zwei Jahren geheiratet hat?“

„Ja, aber sie ist inzwischen geschieden.“

Der Alarm ging ein zweites Mal los.

„Ich habe sie vor einer Woche zufällig im Club getroffen. Sie ist morgen Abend auch auf dem Ball. Ich habe daran gedacht, sie zu bitten, bei uns zu sitzen. Das würde eine gerade Zahl an unserem Tisch ergeben. Und du weißt, wie gern ich eine gerade Zahl mag.“

Ruckartig richtete sich Dawson in seinem Chefsessel auf. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! „Mom, es wäre mir wirklich lieber, wenn du das nicht tun würdest.“

„Sie ist nett. Ihr amüsiert euch bestimmt gut zusammen, und es muss ja nicht zu irgendetwas führen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie selbst schon zu einer neuen Beziehung bereit ist. Ihre Scheidung ist erst vor wenigen Monaten rechtskräftig geworden. Aber zumindest ist es für euch beide eine Gelegenheit, wieder in Übung zu kommen. Ich werde sie anrufen, wenn wir aufgelegt haben.“

Ach, du Schreck! Dawson wollte nicht, dass seine Mutter ihm zu einem Date mit einer frisch Geschiedenen verhalf, die davon wahrscheinlich genauso wenig begeistert war wie er.

„Nein!“ Sein Blick blieb an dem Fragebogen hängen, den Eve bei ihm gelassen hatte. Und spontan hatte Dawson einen Geistesblitz. Vielleicht konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sein Mund verzog sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Ich meine, das brauchst du nicht zu tun. Zufällig habe ich schon ein Date.“

Das Heck ihres Kombis schon voll mit den Fundstücken der morgendlichen Einkaufstour in Denver, war Eve unterwegs nach Boulder, als ihr Handy klingelte. Normalerweise telefonierte sie nicht gern beim Fahren, aber als sie die Nummer des Anrufers sah, machte sie eine Ausnahme.

„Hallo.“

„Hi. Dawson Burke hier.“

„Das kommt unerwartet.“

„Hat meine Sekretärin Ihnen nicht mitgeteilt, dass ich zurückrufen würde?“ Er klang verwirrt.

„Mrs. Stern? Doch, hat sie. Deshalb bin ich ja auch so überrascht. Ich meine, hätte ich jedes Mal, wenn Ihre Sekretärin mir das mitgeteilt hat, einen Dollar verdient …“

„Sehr witzig“, murrte Dawson. „Behandeln Sie alle Ihre Kunden so respektlos?“

„Nein. Anscheinend bringen Sie diese Seite von mir ans Licht.“ Eve mäßigte sich jedoch im Ton und fügte hinzu: „Danke, dass Sie zurückrufen.“

„Bitte sehr.“

„Ich wollte Sie sprechen, weil ich auf dem Weg zu einer Kunstgalerie in Boulder bin, um für einen anderen Kunden einige Werke eines hiesigen Künstlers zu erwerben. Kunst für jemanden zu kaufen ist wie Kleidung kaufen: Sie muss zum Stil des Empfängers passen.“

„Was das Geschenk persönlich macht.“

„Genau. Deshalb wüsste ich gern, ob einem Ihrer Freunde oder Verwandten vielleicht Kunst gefallen würde.“

„Bei meinen Eltern hängen die Wände ziemlich voll. Und ich maße mir nicht an, den Kunstgeschmack meiner Schwester zu kennen, weil es ihr Hobby ist, das Haus neu einzurichten. Meine Freunde … keine Ahnung.“

„Oh, na schön. Es war nur ein Gedanke.“ Ihre Ausfahrt tauchte auf, und Eve wechselte auf die rechte Spur. „Wie kommen Sie mit dem Fragebogen voran?“

„Darüber wollte ich mit Ihnen reden.“

„Sie haben ihn noch nicht ausgefüllt.“

„Nein, noch nicht.“

„Mr. Burke …“

„Dawson, bitte.“

„In Ordnung. Nennen Sie mich Eve. Aber ich benötige diese Informationen wirklich, wie ich Ihnen ja neulich Abend erklärt habe.“

„Eine Prinzipienfrage für Sie.“

„Richtig.“

„Und wenn ich mich weigere?“, fragte er.

Es klang wie eine Herausforderung. Wieder spürte Eve den Anflug von Sorge, doch Eve dachte an ihren Vater und an ihre eigene Enttäuschung, ihren Kummer. Sie war nicht bereit, diese Gefühle an andere weiterzugeben. „Dann müsste ich Sie bitten, sich eine neue persönliche Einkäuferin zu suchen“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Also? Weigern Sie sich?“

„Nein. Ich habe eine bessere Idee. Haben Sie schon Pläne für morgen Abend?“

„Ja.“ Seit sie nach Denver gezogen war, hatte Eve fast jeden Samstagabend allein verbracht. Aber an diesem hatte sie tatsächlich etwas vor. Sie hatte zu Carole gesagt, sie würde mit chinesischem Essen, einer Flasche Wein und einem Film vorbeikommen.

„Ich verstehe. Wäre es möglich, dass Sie Ihre Pläne ändern?“

„Warum? Was haben Sie im Sinn?“

„Jedes Jahr um diese Zeit gibt meine Mutter einen großen Ball. Vielleicht haben Sie davon gehört? Den Tallulah Malone Burke Charity Ball and Auction.“

„Nein, tut mir leid. Ich wohne ja auch noch nicht lange in Denver.“ Eve blinkte und lenkte ihr Auto auf die Ausfahrtsrampe.

„Bleiben Sie länger, und Sie werden davon hören.“ Stolz lag in Dawsons Stimme, als er erklärte: „Seit fünfundzwanzig Jahren kommen die Gutbetuchten und Einflussreichen Denvers zu dieser Veranstaltung, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln.“

„Wie schön“, erwiderte Eve und meinte es tatsächlich so.

„Ja, nun, der Ball ist morgen Abend.“

Ihr ging auf, wovon Dawson redete. Und sie spürte Interesse in sich aufkeimen. Nicht, dass sie es zugeben wollte. Schließlich war der Mann überhaupt nicht ihr Typ. Zu arrogant. Zu herrisch. „Möchten … möchten Sie mich ausführen?“

„Nicht direkt. Ich brauche eine Begleiterin für den Abend. Und Sie werden dafür entschädigt.“

Hinter ihr hupte jemand. Ihr wurde bewusst, dass sie angehalten hatte, obwohl sie Vorfahrt hatte. Mit einem Winken entschuldigte sich Eve beim anderen Fahrer und bog auf den nächsten Parkplatz ab.

„Eve?“

Sie wartete, bis das Auto stand, bevor sie ihrer Empörung Luft machte. „Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug über die Art meiner Dienstleistung ausgedrückt. Ich bin eine persönliche Einkäuferin, nichts anderes.“

Dawson hustete. Tatsächlich hörte es sich wie ein kleiner Erstickungsanfall an, was ihr großartig passte. Der Mann hatte es verdient.

„Ich wollte nichts anderes andeuten“, erklärte er dann. „Mit ‚entschädigen‘ habe ich gemeint, dass viele der Leute auf meiner Geschenkliste anwesend sein werden: meine Eltern, meine Schwester mit ihrer Familie, mehrere Geschäftfreunde und langjährige Klienten von Burke Financial.“

„Oh.“ Eine Entschuldigung lag ihr auf der Zunge, als seine nächsten Worte sie wieder verärgerten.

„Ich dachte, es könnte Ihnen die Arbeit erleichtern, sie alle kennenzulernen. Ihnen helfen, den hehren Prinzipien gerecht zu werden, von denen Sie gesprochen haben.“

„Machen Sie sich über mich lustig?“

„Nein.“ Dawson seufzte. „Ich bewundere Sie dafür, dass Sie Stellung beziehen. Mir sind noch nicht viele Menschen begegnet, die an ihren Grundsätzen festhalten, wenn es darauf ankommt.“

Er klang aufrichtig, und ihre Wut verschwand. „Also wird es so etwas wie ein Geschäftsessen sein.“

„Genau das wird es sein, nur mit zehnmal besserem Essen und Champagner. Meine Mutter hält viel davon, nicht am falschen Ende zu sparen.“

Eine Eigenschaft, die Dawson geerbt hat, dachte Eve, die schließlich sein Geschenkbudget kannte.

„Das scheint eine sehr vornehme Angelegenheit zu sein.“

„Smoking und Abendkleid erbeten. Haben Sie etwas anzuziehen?“

„Ich glaube, ich kann in meinem Schrank etwas Geeignetes finden“, erwiderte Eve kühl. „Wo und um wie viel Uhr?“

„Heißt das, Sie begleiten mich?“, fragte Dawson. Er hörte sich überrascht an, sogar ein bisschen erleichtert.

„Ja.“

„Und Ihr anderes Date? Ich hoffe, es abzusagen verursacht keine … Probleme.“

Als Eve begriff, dass er glaubte, sie wäre mit einem Mann verabredet, hätte sie fast laut gelacht. Sie sah keinen Grund, Dawson aufzuklären.

„Keine Sorge. Ich kann es verschieben. Der Ball ist schließlich Arbeit.“

3. KAPITEL

Dawson stand vor dem Frisierspiegel und zerrte fluchend an seiner Smokingschleife. Es war der dritte Versuch, sie zu binden, und sie hing schon wieder schief. Warum seine Hände nicht mitspielen wollten, wusste er selbst nicht.

Vor den anderen beiden Dates war er nicht nervös gewesen. Und dieser Abend mit Eve war ja nicht einmal ein Date. Rein geschäftlich, erinnerte sich Dawson, als endlich die Schleife richtig saß. Er blickte auf die Armbanduhr und rief seinen Chauffeur an, damit er das Auto vorfuhr.

„Geschäftlich“ war vergessen, sobald Eve ihm öffnete. Sie trug Rot. Ein hochelegantes, raffiniert geschnittenes feuerrotes Seidenkleid. Lippen und Fingernägel waren mit derselben gefährlichen Farbe ausgemalt. Das schwarze Haar hatte sie hochgesteckt, sodass die schlanke Linie ihres Halses zu sehen war. Diamantohrstecker funkelten, als Eve den Kopf zur Seite neigte und Dawson lächelnd betrachtete.

„Hallo, Dawson.“

„Sie sehen …“ Ihm fehlten die Worte. Einen Moment lang fürchtete Dawson, sein Herz würde versagen.

„Ich bin für den Anlass doch passend angezogen?“ Eve machte eine ganze Drehung.

Und Dawson wollte am liebsten den Notarzt rufen.

„Ich möchte nicht auffallen.“

„Sie werden auffallen, aber aus den richtigen Gründen“, erwiderte er ehrlicher, als er beabsichtigt hatte.

Ihr Lächeln blühte auf. „Das ist ein schönes Kompliment. Sie sehen selbst sehr gut aus. Es ist schade, dass Männer heutzutage so selten Gelegenheit haben, einen Smoking zu tragen.“

„Da sind die meisten Männer sicher anderer Meinung.“ Dawson zog an seinem Kragen. Das verdammte Ding schien enger geworden zu sein.

Eve lachte. „Hören Sie auf, ein Smoking kann nicht so unbequem sein wie meine Schuhe. Am Ende des Abends werden mich meine Füße hassen.“

Dass er seinen Blick nach unten gleiten ließ, bereute Dawson sofort. Er hatte ja schon gewusst, dass sie hinreißend lange Beine hatte. Doch an diesem Abend wurden sie durch das seitlich geschlitzte Kleid und rote Lacklederpumps mit sieben Zentimeter hohen Absätzen noch betont. Sein Puls fing an zu rasen. Diese Reaktion fand Dawson nicht so gut. Geschäftlich, ermahnte er sich.

„Wollen wir los?“, fragte er. „Ich habe kein Problem damit, vornehm spät zu kommen, aber meine Mutter ist eine Pünktlichkeitsfanatikerin.“

„Ah so. Was haben Sie ihr eigentlich über mich erzählt?“

„Ihren Namen.“

„Ein Mann, der nicht viele Worte macht“, sagte Eve lachend. „Ich hole nur schnell meinen Mantel.“

Während sie das tat, sah sich Dawson um. Ihre Wohnung war ein Loft in einem umgebauten ehemaligen Warenhaus. Die frei verlegten Rohre, der auf alt getrimmte Holzboden und die Backsteinwände verliehen dem Loft eine industrielle Note. Es war klein, wahrscheinlich hatte es sogar weniger Quadratmeter als Dawsons Schlafzimmer, doch Eve hatte das Beste aus dem verfügbaren Platz herausgeholt.

Ihr Geschmack war so kühn und kompromisslos wie sie selbst. Leuchtende Farben waren an neutrale geklatscht, und eine bunt zusammengewürfelte Sammlung von Kunstwerken schmückte die Wände.

Am anderen Ende des Raums führte eine schmale Treppe auf die Schlafempore. Ein Chromgeländer grenzte sie ab und erlaubte einen verlockenden Blick auf ein Futonbett. Dawson entdeckte dort oben noch mehr kühne Farben, kräftiges Rot, Pflaumenblau und Gold. Einen Moment lang fragte er sich, was man aus Eves Einrichtungsstil vielleicht herauslesen könnte.

„Dawson?“

Er drehte sich um. Mit einer kleinen Handtasche in der Hand und schon im Mantel, stand Eve vor ihm. Der lange Wollmantel mit Schalkragen war an der Taille mit einem Gürtel zugebunden. Obwohl sich nicht ein Fitzelchen Rot zeigte, strahlte Eve trotzdem viel mehr Sex-Appeal aus, als ihm guttat.

Schnell sah er weg. „Eine nette Wohnung haben Sie hier.“

„Danke. Mir gefällt sie.“

„Hervorragende Lage für eine persönliche Einkäuferin. Hier haben Sie alle möglichen Läden ganz in der Nähe.“

„Ja.“ Eve lächelte. „Aber ich habe das Loft nicht nur wegen meiner Arbeit gewählt. Ich bin gern mittendrin.“

Natürlich. Zwar kannte Dawson sie nicht besonders gut, doch so viel hatte er schon verstanden: Eve war eine Frau, die das Leben mit beiden Händen ergriff und festhielt, selbst wenn es sie auf die Probe stellte.

„Tja, wir sollten los.“ Auf dem Weg nach draußen fragte sich Dawson, warum er einerseits begierig darauf war zu gehen und andererseits enttäuscht war, dass sie nicht bleiben konnten.

Als sie zwanzig Minuten später im „Wilmington Hotel“ ankamen, wusste er zumindest die Antwort auf eine Hälfte der Frage. Der große Ballsaal konnte siebenhundert Gäste aufnehmen. Nur ein Bruchteil war bisher eingetroffen, da es noch früh war. Dennoch warf ihm seine Mutter einen spitzen Blick zu, sobald sie ihn erspähte. Dawson zwinkerte ihr zu und lotste Eve in die andere Richtung. Bevor er seiner Familie gegenübertrat, brauchte er eine kleine Stärkung. Außerdem musste er Eve ein paar Dinge klarmachen.

„Wie wäre es mit einem Glas Wein?“, schlug er vor.

„Auch wenn ich eigentlich zum Arbeiten hier bin, ist ein nettes Glas Chardonnay wohl nicht unpassend.“

„Überhaupt nicht.“

Nachdem Dawson an der in einer Ecke eingerichteten Bar die Getränke bestellt hatte, sagte Eve: „Mit einer so großen Gesellschaft hatte ich nicht gerechnet. In diesem Saal ist ja für ein paar Hundert Leute gedeckt.“

„Genau siebenhundert.“

Überrascht sah sie ihn an. „Steht jeder in Denver auf der Gästeliste?“

„Manchmal kommt es einem so vor“, erwiderte Dawson. „Aber hier treffen Sie die Leute mit dem meisten Geld. Und meine Mutter bringt sie dazu, große Summen zu spenden.“

„Sie scheint eine sehr eindrucksvolle, energische Frau zu sein.“

Dawson lächelte nur. Er dachte an das gestrige Gespräch. Mitunter konnte Tallulah geradezu unerbittlich sein. Der Barkeeper reichte ihnen den Wein.

„Ich bin gespannt darauf, Ihre Verwandten kennenzulernen.“ Eve trank einen Schluck.

„Bevor ich Sie vorstelle, muss ich Sie um einen Gefallen bitten.“ Nervös räusperte sich Dawson. „Mir wäre es lieber, wenn sie nicht erfahren, womit Sie Ihr Geld verdienen.“

„Schämen Sie sich für mich?“, fragte Eve.

Obwohl sie eher belustigt als beleidigt klang, glaubte er so etwas wie Verletzlichkeit in ihrem Blick aufflackern zu sehen.

„Natürlich nicht. Ich möchte nur nicht, dass sie das Gefühl haben …“

„Dass Sie eine Stellvertreterin eingeschaltet haben, weil Sie keine große Lust haben, selbst Weihnachtsgeschenke für Ihre Angehörigen zu kaufen?“ Zuckersüß lächelte Eve ihn an.

„Manchmal können Sie ekelhaft unverblümt sein.“

„Ich weiß.“ Sie zuckte die Schultern. „Es ist eine Gabe.“

„Es ist unmöglich“, murrte Dawson. „Vielleicht sollten Sie mal einen Benimmkurs besuchen.“

„Habe ich schon. Ich war eine Einserschülerin und habe die Abschlussprüfung mit Glanz und Gloria bestanden. Und wer bin ich für Ihre Verwandten?“

„Sie glauben, dass Sie mein Date sind“, gab Dawson verlegen zu.

„Ah, Ihr Date. Und wie lange sind wir schon zusammen?“

„Wir sind nicht zusammen“, stöhnte er.

„Erste Verabredung. Ich hab’s kapiert.“ Eve lächelte spöttisch. „Ich werde mich bemühen, Ihre Angehörigen unauffällig auszufragen.“

Nicht nur Eve wird eine Menge Fragen haben, dachte Dawson. Aus den Augenwinkeln sah er seine Mutter zielstrebig auf sie beide zusteuern. Sie blieb nicht einmal stehen, um mit den Gästen zu plaudern, die sie grüßten. Diesmal würden Eve und er ihr nicht entrinnen.

Er legte den Arm um sie und flüsterte ihr zu: „Meine Mutter ist im Anmarsch.“

„Oh! Soll ich Ihnen schmachtende Blicke zuwerfen oder so etwas?“

„Dies war eine schlechte Idee“, murmelte Dawson, nicht ganz sicher, weshalb er das meinte. Wegen Eves schlagfertiger Antwort? Oder weil er einen Hauch ihres Parfüms aufgefangen hatte? Er ignorierte das Verlangen, das der sündhafte Duft in ihm weckte, und setzte ein Lächeln auf.

„Dawson“, sagte Tallulah, „mir war doch so, als hätte ich dich hereinkommen sehen.“

„Hallo, Mom.“ Er küsste sie auf die Wange. „Strahlend schön wie immer. Ist das ein neues Kleid?“

„Ja, aber ich bezweifle, dass du dich dafür interessierst“, erwiderte sie. Womit sie ihn wissen ließ, dass seine Schmeichelei sie überhaupt nicht abgelenkt hatte. „Möchtest du mir die reizende junge Frau nicht vorstellen?“

Eve wusste, dass sie von Kopf bis Fuß begutachtet wurde, auch wenn Tallulah sie sehr freundlich begrüßte.

Während Dawson sie miteinander bekannt machte, wirkte er verlegen. Seine Großspurigkeit war verschwunden, und Eve mochte ihn deswegen umso mehr.

„Mom, das ist Eve Hawley. Eve, meine Mutter, Tallulah Burke.“

„Freut mich, Eve.“ Tallulah schüttelte ihr die Hand, bedeckte sie mit den ihren, die mit prächtigen Juwelen geschmückt waren, und hielt sie fest. „Ich muss sagen, ich war ziemlich überrascht, als mein Sohn gestern erwähnte, dass er einen Gast mitbringt. Ich wusste nicht, dass er eine Freundin hat. Wahrscheinlich ist die Mutter immer die Letzte, die es erfährt.“

Nein, dir entgeht kaum etwas, dachte Eve. Diese Frau war keine oberflächliche selbsternannte Gesellschaftskennerin. Ein Blick in die blauen Augen sagte Eve, dass Dawsons Mutter hochintelligent war. Und im Moment sehr neugierig.

„Eve und ich kennen uns noch nicht besonders lange“, erklärte Dawson vorsichtig.

„Ach?“

„Erste Verabredung“, ergänzte Eve. Nicht, dass sie Dawson wirklich anschmachtete, aber beinahe. Er machte ein finsteres Gesicht.

„So? Wie haben Sie meinen Sohn denn kennengelernt?“, fragte Tallulah.

„Eine gemeinsame Freundin hat uns zusammengebracht.“ Da es nicht direkt eine Lüge war, hatte Eve kein Problem damit, Auskunft zu geben.

Aus den Augenwinkeln sah sie Dawson nicken. Anscheinend war er mit ihrer Antwort zufrieden.

In diesem Moment rief jemand ihren Namen, und Tallulah drehte sich um und winkte. „Nun, ich muss mich unter die Gäste mischen. Du solltest dasselbe tun, Daw. Es wird von uns erwartet.“

„Ja, ist gut.“

Sie wandte sich Eve zu. „Ich freue mich darauf, mich beim Essen ausführlicher mit Ihnen zu unterhalten.“

Darauf wette ich, dachte Eve. Würde sie den Ansprüchen genügen? Sofort verkrampfte sich ihr Magen, und einige der alten Unsicherheiten schlichen sich ein. Obwohl ihre Beziehung zu Dawson doch gar nicht die romantische war, die er seine Mutter glauben machen hatte.

„Ich habe das Gefühl, dass ich heute Abend noch in die Mangel genommen werde“, murmelte Eve.

„Keine Sorge. Meine Mutter ist harmlos.“

Eve beschloss, sich mit ihrem Urteil zurückzuhalten. Ihr erster Eindruck von Tallulah war durchaus positiv gewesen. Die Frau schien wirklich nett zu sein. Und dass sie Geld für wohltätige Zwecke sammelte, ließ sie in Eves Achtung steigen. Andererseits hütete sich Eve aufgrund schlechter Erfahrungen davor, ersten Eindrücken zu trauen.

Im Widerspruch dazu war es ihr selbst wichtig, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Eve wusste, was sie zu welchem Anlass anziehen musste, und sie gab ihr Geld nur für hochwertige Sachen aus.

Auch hatte sie keine Schwierigkeiten, sich in vornehmer Gesellschaft zu behaupten. Eine der Großtanten, bei denen Eve gelebt hatte, hatte großen Wert auf gute Umgangsformen gelegt. Ihr war beigebracht worden, wie man zu sitzen und zu gehen hatte. Sie wusste, welche Gabel sie für welchen Gang beim Dinner benutzen musste. Und in der Kunst des Small Talks gehörte sie zu den Besten.

Unter all den Requisiten und feinen Manieren verbarg sich jedoch eine Hochstaplerin. Denn sie stammte nicht aus reichem Hause. Und wenn es darauf ankam, war die Herkunft von entscheidender Bedeutung. Das hatte Eve bei ihrem letzten Freund gelernt.

Mit stolz erhobenem Kopf hakte sich Eve bei Dawson ein und fragte in hochmütigem Ton: „Wollen wir uns unter die Leute mischen?“

Dawson seufzte. „Lieber nicht, aber ja. Überlassen Sie das Reden einfach größtenteils mir.“

„Oh, keine Angst. Ich bin ein echtes Chamäleon“, versicherte ihm Eve. „Niemand wird merken, dass ich nicht hierher gehöre.“

Seinen fragenden Blick ignorierte sie. Trotz ihrer Selbstzweifel lächelte sie weiter strahlend.

Alle, bei denen sie stehen blieben, um zu plaudern, schienen überrascht zu sein, Dawson zu sehen. Und sie wirkten in seiner Gegenwart ein bisschen gehemmt. Vielleicht hätte Eve es darauf zurückgeführt, dass er ein Mann war, der Macht ausstrahlte. Manche Menschen fanden das einschüchternd. Nur spürte Eve daneben noch etwas anderes, irgendetwas dicht unter der Oberfläche der höflichen Gespräche. Es kam ihr vor, als wäre es Mitleid.

Das ergab keinen Sinn. Warum sollte Dawson Burke irgendjemandem leidtun? Der Mann hatte doch alles: einen einflussreichen Job, Vermögen, ein außergewöhnlich gut aussehendes Gesicht und einen athletischen Körper.

Trotzdem brachte Dawson für einen Abend wie diesen kein echtes Date zustande. Hmm …

Als sie zu den Tischen gingen, auf denen die Sachen für die Versteigerung ausgestellt waren, sagte Eve: „Ich würde gern etwas wissen.“

„Ja?“

Für einen Geschenkkorb mit Aromatherapie-Badeprodukten war das Erstgebot um ein Vielfaches höher als der tatsächliche Wert. Dennoch hatten es schon mehrere andere überboten. Dawson schrieb seinen Namen hin, zusammen mit einer schockierenden Summe. Eve fügte „großzügig“ zur Liste seiner Eigenschaften hinzu.

„Ich versuche dahinterzukommen, was mit Ihnen nicht stimmt.“

Stirnrunzelnd richtete er sich auf. „Wie bitte?“

„Sie sind erfolgreich und attraktiv. Ihr Körper ist total männlich, auch wenn Sie eine Vorliebe für Lavendelschaumbäder haben.“

„Das ist für wohltätige Zwecke.“

„Klar doch.“ Eve zwinkerte ihm zu, weil sie wusste, dass es ihn ärgern würde. Der Mann musste wirklich lockerer werden.

„Wohltätige Zwecke“, wiederholte er.

„Und warum konnten Sie für heute Abend kein echtes Date finden?“

„Amüsieren Sie sich nicht?“, fragte Dawson verwirrt.

„Doch. Ich möchte es nur wissen.“

„Seien Sie nicht so neugierig.“

Eve zuckte bloß die Schultern. „Also? Warum gehen Sie nicht aus?“

„Wer sagt denn, dass ich es nicht tue?“

„Alle hier sind anscheinend überrascht, Sie bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung zu sehen. Besonders zusammen mit einer Frau.“

„In meiner Position als Chef von Burke Financial bin ich stark beansprucht.“

Dass es eine lahme Ausrede war, wusste er offenbar selbst, denn er wich ihrem Blick aus.

„Gut, ich hab’s kapiert. Arbeit ist die Liebe Ihres Lebens, deshalb haben Sie für eine Frau keinen Platz darin.“

Sein Blick schnellte wieder zurück zu ihr. „Was ich tue, macht mir Spaß. Daran gibt es nichts auszusetzen.“

„Dem kann ich nur zustimmen.“ Eve verschränkte die Arme. „Mir macht meine Arbeit auch Spaß. Aber man muss auch das Leben genießen. Was schwierig ist, wenn man von früh bis spät im Büro sitzt.“

Dawson sagte nichts. Als sie davon gesprochen hatte, das Leben zu genießen, war seine Miene grimmig und fast gequält gewesen. Weshalb Eve sicher war, einen wunden Punkt getroffen zu haben. Doch was für einen, das blieb ein Rätsel.

Sie gingen weiter zur nächsten Sache, die versteigert wurde. Als Eve sah, was es war, quiekte sie vor Freude: zwei Karten für das Musical „Les Misérables“. Es lief nur noch bis kurz vor Weihnachten im Denver Center for the Performing Arts. Dass es erstklassige Plätze waren, spiegelte sich im letzten Gebot wider. Trotzdem nahm Eve den Bleistift und kritzelte einen Betrag hin, der es um fünfundzwanzig Dollar übertraf.

„In Ihrer Branche verdient man gut“, staunte Dawson.

Trübselig lachte Eve. „Ich werde einen Monat lang Salat essen, aber ich möchte dieses Musical schrecklich gern sehen. Karten zu bekommen ist unmöglich. Ich habe immer wieder nachgefragt.“

„Tja, wenn Sie sie wirklich haben wollen, müssen Sie ein höheres Gebot abgeben. Der Abend ist noch jung, und die reichsten Leute werden vornehm spät hier aufkreuzen.“

„Toll“, murrte Eve.

„Sie können sich doch den Soundtrack kaufen.“

„Den habe ich schon.“ Sie strich ihr Gebot durch und erhöhte es um fünfzig Dollar. Dann lächelte sie schwach. „Ich mag Salat, und ich will sowieso ein paar Pfund abnehmen.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Dawson sie von Kopf bis Fuß, und Eves Herz schlug schneller. Zwar sagte er nichts, aber sein Blick teilte etwas mit. Sie kannte diesen interessierten Männerblick.

Dann zuckte Dawson die Schultern, seine Miene wurde wieder reserviert und überheblich. Eve fühlte sich getäuscht.

Vor der nächsten Versteigerungssache stand ein Paar, das er offenbar gut kannte.

„Sieh mal, wer da ist.“ Lächelnd drückte der Mann Dawson die Hand.

„Hallo, Tony. Christine.“ Dawson küsste die Frau auf die Wange. „Es ist lange her.“

„Weil du keinen unserer Anrufe beantwortet hast“, rügte Tony gelassen.

Anscheinend ist das seine Gewohnheit, dachte Eve.

„Wir haben uns Sorgen um dich gemacht“, fügte Christine hinzu.

Rasch schaute Dawson hinüber zu Eve. „Das braucht ihr nicht.“

Die beiden folgten seinem Blick und maßen ihm ihre ganz eigene Deutung zu.

„Wir freuen uns für dich, Daw“, erwiderte Christine.

Ihr Mann nickte. „Ja. Es wird auch Zeit, dass du wieder ins Leben zurückkehrst.“

Weil Dawson es nicht tat, stellte Eve sich selbst vor. Die Namen des Paares standen auf Dawsons Geschenkliste, deshalb versuchte Eve während des kurzen Gesprächs den Geschmack von Tony und Christine abzuschätzen, anstatt sich auf ihre seltsamen Bemerkungen zu konzentrieren. Die im Zusammenhang mit etwas standen, was Eve nichts anging, wie Dawson schon deutlich klargestellt hatte.

Kurz nachdem Christine erwähnt hatte, im Theater zufällig die Eltern einer gewissen Sheila getroffen zu haben, beendete Dawson die Unterhaltung.

„Tja, wir sollten uns jetzt an unseren Tisch setzen. Es war schön, euch beide wiedergesehen zu haben.“

„Wir geben am übernächsten Wochenende unsere alljährliche Party. Montag schicken wir die Einladungen raus. Meinst du, dass du in diesem Jahr kommen kannst?“, fragte Tony. „Natürlich ist Eve auch herzlich eingeladen.“ Er lächelte sie an.

Oh, oh.

Antworten zu müssen blieb ihr jedoch erspart.

Dawson schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich habe schon etwas vor.“

„Ach so.“ Zweifellos war Tony enttäuscht. „Vielleicht können wir uns zwischen Weihnachten und Neujahr zum Abendessen treffen? Christine und ich wollen dieses neue Steakhaus ausprobieren.“

„Tut mir leid“, sagte Dawson wieder. „Von Heiligabend bis zum zweiten Januar bin ich in Cabo San Lucas.“

„Cabo San Lucas?“ Tony sah Eve an. „Ich dachte, dass du in diesem Jahr …“, betreten verstummte er.

„Wir sollten auch zu unserem Tisch gehen.“ Angespannt lächelnd hakte sich Christine bei ihrem Mann ein. „Es war nett, Sie kennenzulernen, Eve.“

Obwohl es das andere Paar war, das sich von ihnen entfernte, hatte Eve den Eindruck, dass eigentlich Dawson woandershin gegangen war.

4. KAPITEL

„Dawson?“

Er blinzelte zweimal und war wieder voll da. „Ja?“

„Sie haben gesagt, wir sollten unsere Plätze einnehmen“, erinnerte ihn Eve.

„Richtig. Noch länger kann ich es nicht ertragen, mich unter die Gäste zu mischen.“ Es klang nicht gereizt, sondern erschöpft.

Der runde, für acht Personen gedeckte Tisch stand ganz vorn, gleich rechts neben der Bühne. Eine Frau und zwei Jungen saßen schon dort. Mürrisch lümmelten sich die Jungen auf ihren Stühlen, aber ihre Mienen hellten sich auf, sobald sie Dawson entdeckten.

„Onkel Dawson!“, schrien sie einstimmig.

„Du bist hier!“, sagte der ältere von ihnen verwundert, aber begeistert.

„Mom hat mit Dad gewettet, dass du einen Grund findest, in diesem Jahr auch nicht aufzutauchen“, fügte der jüngere hinzu.

Sein Bruder verdrehte die Augen. „Das sollst du doch nicht erzählen.“

„Warum nicht? Es ist wahr.“

„Du bist so was von megablöd.“

„Keine Beschimpfungen, Jungs“, warnte ihre Mutter. „Hallo, Daw.“

„Hallo.“ Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Neffen. „Nette Anzüge.“

Wie alle Männer im Saal trugen die Jungen schwarze Smokings. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ihre Fliegen schief saßen und die weißen Hemden herausgerutscht waren und zerknittert aussahen. Eve fand die beiden kleinen Kerle ganz entzückend.

„Mom hat uns gezwungen, sie anzuziehen“, murrte der jüngere der Brüder und zerrte an seinem Kragen.

„Ich weiß, wie ihr euch fühlt.“ Dawson legte ihr die Hand auf den Rücken und schob Eve ein wenig vorwärts. „Ich möchte euch meinen Gast vorstellen, Eve Hawley. Eve, das sind meine Neffen Brian und Colton. Brian ist acht, und Colton ist zehn.“

„Ich bin neun“, verbesserte Brian.

„Und ich bin im Sommer elf geworden, Onkel Dawson. Du konntest nicht zum Essen kommen, aber du hast mir diesen Chemiebaukasten geschickt.“ Colton verzog den Mund.

Das Geschenk war nicht gut gewesen, schloss Eve daraus. Bestimmt hatte es jemand anders gekauft, Carole vielleicht.

„Ah. Stimmt. Neun und elf“, wiederholte Dawson. Er sah verlegen aus.

Weil er das Alter seiner Neffen vergessen hatte? Oder weil das Geschenk offenbar – um den Ausdruck des Jungen zu benutzen – „megablöd“ gewesen war?

„Freut mich, euch beide kennenzulernen“, sagte Eve und meinte es aufrichtig. Bis zum Ende des Abends wollte sie unbedingt herausgefunden haben, was für ein Geschenk ihnen gefallen würde von einem Onkel, den sie zweifellos anbeteten.

„Möchtest du uns nicht miteinander bekannt machen, Daw?“, fragte seine Schwester.

Wie er hatte sie dunkles Haar. Dazu hatte sie von ihrer Mutter die verblüffend blauen Augen geerbt. Sie war eine auffallend schöne Frau, die im Moment unverhohlene Neugier zeigte.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das tun sollte“, antwortete Dawson.

„Dann stelle ich mich selbst vor.“ Lächelnd stand sie auf. „Ich bin Lisa Granderson, die jüngere Schwester von dem ungehobelten Klotz da.“

„Hallo. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Das schien Eves Standardspruch an diesem Abend zu werden. Und der Abend war noch jung.

Lisa musterte sie von oben bis unten, und Eve wappnete sich.

Aber Lisa sagte nur: „Ich mag Ihr Kleid. Die Farbe sieht fantastisch an Ihnen aus. Findest du nicht auch, Dawson?“

„Fantastisch“, wiederholte er hölzern.

„Setzen Sie sich doch neben mich, Eve“, forderte Lisa sie auf. „Dann können Sie mir erzählen, wie Sie es geschafft haben, diesen Einsiedler für heute Abend aus seiner Höhle zu zerren.“

Eve kam nicht dazu, etwas zu erwidern.

„Tut mir leid. Mom hat die Sitzordnung festgelegt.“ Dawson nahm eine der kleinen Tischkarten in die Hand. „Hiernach sitzt Eve neben Colton und David neben dir. Wo ist dein Mann überhaupt?“

„Er und Dad sind draußen an der Garderobe. Sie hören sich auf Davids iPod das letzte Drittel des Eishockeyspiels an.“ Lisa verdrehte die Augen.

„Die Avalanche spielen gegen die Red Wings“, warf Colton ein.

„Weiß Mom, was sie da machen?“, fragte Dawson seine Schwester.

„Was glaubst du?“

„Ich glaube, dass der Teufel los ist, wenn Mom sie erwischt.“ Kopfschüttelnd lachte Dawson.

Was Eve überraschte. Der Mann konnte lachen? Anscheinend war sie nicht die Einzige, die sich darüber wunderte. Alle Augen waren auf Dawson gerichtet, und ihr fiel der Gesichtsausdruck seiner Schwester auf. Lisa wirkte wehmütig und … hoffnungsvoll?

„Ich habe dich so vermisst“, sagte sie. „Ich bin froh, dass du heute Abend gekommen bist, Daw.“

Sein Schulterzucken sollte wohl lässig aussehen, doch Eve erkannte das Unbehagen, das er zu verbergen suchte.

„Du kennst Mom. Sie hätte ein Nein nicht akzeptiert, da es der fünfundzwanzigste Jahrestag des Balls ist.“

„Warum auch immer, ich bin froh, dass du hier bist. Und es tut gut, dich wieder lachen zu hören“, meinte Lisa.

Rasch blickte er zu Eve, wurde aber durch einen älteren Mann abgelenkt, der auf ihn zueilte und ihn ungestüm an sich drückte.

„Dawson! Du bist gekommen!“

Der gut aussehende grauhaarige Mann war genauso groß wie Dawson, allerdings fülliger und weniger muskulös.

„Hallo, Dad. Wie geht es dir?“

„Besser jetzt, da du hier bist.“

War Dawson das schwarze Schaf der Familie? Der verlorene Sohn, der zurückkehrte? Eve konnte nicht umhin, sich über all die Bemerkungen zu wundern.

„Und? Wie steht es?“, fragte Dawson.

Sein Vater schüttelte empört den Kopf. „Die Avalanche sind mit ganzen zwei Punkten im Rückstand. Sie hätten den Torhüter auswechseln sollen, als sie die Gelegenheit dazu hatten.“

„Inzwischen sind es drei“, warf ein jüngerer Mann ein. „Detroit hat beim Powerplay gerade ein Tor erzielt.“

„Das war’s.“ Lisa stand auf und streckte die Hand aus. „Gib mir den iPod, David, bevor Mom hier auftaucht und Zustände kriegt. Und bevor Dawsons Date den Eindruck gewinnt, dass seine Verwandten nicht ganz normal sind.“

„Dawson hat ein Date?“, fragte David, während er den iPod aushändigte.

„Ja, hat er.“ Tallulah gesellte sich zu ihnen.

Eve verkrampfte sich, doch das war, bevor die Frau lächelnd weitersprach.

„Warum stellst du Eve nicht allen vor, Daw, und dann können wir uns setzen und uns besser kennenlernen.“

Nachdem er das getan hatte, sagte Tallulah: „Eve, meine Liebe, erzählen Sie uns ein wenig von sich.“

„Was möchten Sie denn wissen?“

„Alles, was Sie uns mitteilen möchten. Dies ist kein Verhör.“ Dawsons Mutter lachte freundlich, um Eve die Befangenheit zu nehmen.

„Nein, das kommt später“, witzelte David.

Seine Frau schlug ihm auf den Arm, und die Jungs kicherten. Dawsons Miene wurde weicher.

„Fangen Sie einfach damit an, woher Sie stammen“, schlug Tallulah vor. „Man hört Ihnen an, dass Sie nicht von hier sind.“

„Ich bin in Maine geboren.“

„Maine? Sie sind weit weg von zu Hause.“

„Haben Sie Verwandte hier?“, fragte Lisa.

„Nein.“ Zumindest im Moment nicht. Das konnte sich ändern. Ihr Vater kam herum. Als Studentin war sie in den Semesterferien einmal in eine Bar in Daytona Beach, Florida gegangen und hatte zufällig entdeckt, dass ihr Vater dort auftrat.

„Was hat Sie eigentlich hierher nach Denver geführt?“, fragte Dawson.

„Ich habe mich wegen der Aussicht für die Stadt entschieden.“

„Das ist ein interessanter Grund, seine Zelte abzubrechen und von der Ostküste in den Westen zu ziehen.“

„Ich war bereit zu einem Tapetenwechsel.“

„Was ist mit einem Job?“, mischte sich Dawsons Vater in das Gespräch ein. „Hatten Sie sich hier schon einen besorgt?“

„Nicht direkt, aber ich hatte kein Problem, nach meiner Ankunft Arbeit zu finden.“

„In welcher Branche sind Sie denn?“, wollte Tallulah wissen.

Wieder musste Eve nicht lügen. „Ich habe mich auf den Vertrieb spezialisiert.“

„Falls Sie jemals einen Anlageberater brauchen, sprechen Sie mit Dawson. Er ist ein Genie, wenn es darum geht, Wertpapiere auszuwählen.“ Tallulah strahlte vor Stolz.

„Das werde ich mir merken.“

In den nächsten Minuten wurde Eve von Dawsons Verwandten hintergründig ins Kreuzverhör genommen, und sie machte mit ihnen dasselbe. Nicht nur für berufliche Zwecke. Es war eine interessante, sympathische Familie. So viel Herzlichkeit und Charme hatte Eve nicht erwartet. In Anbetracht von Dawsons Reichtum war sie davon ausgegangen, dass die Burkes zur Oberschicht gehörten, und auf unnahbares, überhebliches Verhalten gefasst gewesen. Drews Verwandte waren gnadenlos kritisch gegenüber jenen gewesen, die nicht aus reichem Hause kamen.

Ganz anders die Burkes.

Und auch Dawson entpuppte sich als Überraschung. Zuerst hatte Eve ihn für einen Workaholic gehalten, der zu beschäftigt war, um Geschenke für seine Angehörigen zu kaufen. Dann hatte sie gedacht, dass er vielleicht ein egozentrischer Vorstandsvorsitzender war, dem seine Mitmenschen gleichgültig waren und der sich sämtlichen Familienmitgliedern entfremdet hatte.

Aber sie liebten ihn offensichtlich abgöttisch, und es schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, auch wenn Dawson seine Gefühle nicht offen zeigte.

„Eve?“ Er beugte sich zu ihr.

„Hm?“ Als sie sich ihm zuwandte, berührte ihre Wange seine.

„Sind Sie schon zu einem Ergebnis gekommen?“, flüsterte er.

„Nein“, gab Eve zu. Und blinzelte. „Oh, Sie meinen wegen der Geschenke?“

Er runzelte die Stirn. „Natürlich. Wovon haben Sie denn gesprochen?“

„Ach, nichts.“ Da er weiter die Stirn runzelte, erklärte Eve: „Geschenke habe ich noch nicht im Sinn. Immerhin mache ich mir gerade erst ein Bild von Ihren Verwandten.“

Und deswegen bin ich heute Abend hier, ermahnte sie sich. Nicht, um herauszufinden, warum Dawson sie engagiert hatte. Nicht, um seine Vergangenheit zu ergründen. Sie war auf dem Wohltätigkeitsball, damit sie mehr über die Menschen auf Dawsons Liste erfuhr, insbesondere über seine Angehörigen.

Also plauderte sie beim Essen höflich mit den Erwachsenen und fragte zwischendurch die Jungen nach ihren Freizeitbeschäftigungen. Als die Salatteller abgeräumt wurden, hatte Eve schon einige tolle Anhaltspunkte.

Während die Kellner den Hauptgang auftrugen – gegrillten Lachs auf Gemüse mit Reis –, tat Dawson so, als würde er den Klagen seines Vaters über die Entscheidungen der amerikanischen Notenbank gewisslich folgen. In Wirklichkeit hörte er allerdings Eve und seinen Neffen zu, die über Computerspiele fachsimpelten. Brian und Colton waren absolut hingerissen.

Dawson war es auch. In seinem Fall nicht von Eves Tipps, sondern von ihrem Lachen.

Autor

Shirley Jump
<p>Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
Mehr erfahren
Heidi Rice
<p>Heidi Rice wurde in London geboren, wo sie auch heute lebt – mit ihren beiden Söhnen, die sich gern mal streiten, und ihrem glücklicherweise sehr geduldigen Ehemann, der sie unterstützt, wo er kann. Heidi liebt zwar England, verbringt aber auch alle zwei Jahre ein paar Wochen in den Staaten: Sie...
Mehr erfahren
Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
Mehr erfahren