Julia Herzensbrecher Band 22

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  • Erscheinungstag 09.09.2022
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512602
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Stephanie Howard, Lucy Monroe

JULIA HERZENSBRECHER BAND 22

1. KAPITEL

„Ich weiß, es klingt verlockend, einen Kronprinzen zu heiraten und dann irgendwann einmal Königin zu werden.“ Daphne Snowden hoffte, dass ihre Stimme ruhig und gelassen klang, obwohl sie mit ihrer Geduld fast am Ende war, als sie mit ihrer Nichte sprach. „Aber die Realität sieht anders aus. Du kennst Prinz Murat nicht. Er ist ein schwieriger eigensinniger Mann.“

Das wusste sie aus eigener Erfahrung. „Außerdem ist er doppelt so alt wie du.“

Brittany blickte von ihrer Modezeitschrift auf. „Du machst dir zu viele Sorgen. Entspann dich, Tante Daphne. Es wird alles gut.“

Daphne sank entnervt in den Sitz des luxuriösen Privatjets zurück. Nur mit Mühe schaffte sie es, sich zusammenzureißen. Das alles durfte doch nicht wahr sein! Wahrscheinlich träumte sie nur. Ihre Lieblingsnichte konnte unmöglich eingewilligt haben, einen Mann zu heiraten, den sie nie zuvor gesehen hatte. Seit Wochen versuchte Daphne nun schon vergeblich, ihr die Sache auszureden.

„Ich möchte doch bloß, dass du glücklich wirst“, sagte sie eindringlich.

Brittany lächelte gutmütig. „Du machst dir unnötig Sorgen. Ich weiß, dass Murat bereits ein älteres Semester ist.“

Daphne presste die Lippen zusammen. Sicher, für eine Achtzehnjährige war ein Mann mit fünfunddreißig Jahren praktisch ein Greis, aber sie selbst, Daphne, war nur fünf Jahre jünger als er.

„Er soll sehr nett sein“, fügte ihre Nichte hinzu. „Und reich. Ich werde in einem Palast leben.“ Sie legte die Zeitschrift beiseite und streckte die Beine aus. „Meinst du, ich hätte lieber andere Sandaletten anziehen sollen?“

Daphne unterdrückte einen hysterischen Aufschrei. „Deine Schuhe interessieren mich nicht. Ich rede über deine Zukunft. Über dein Leben. Wenn du Kronprinz Murat heiratest, kannst du nicht mehr den ganzen Tag shoppen. Du musst Verantwortung für das Volk von Bahania übernehmen, musst Wohltätigkeitsveranstaltungen und offizielle Empfänge besuchen. Und man erwartet von dir, Erben zu produzieren.“

Brittany zeigte sich nicht im Geringsten beeindruckt. „Die Partys sind okay. Ich kann alle meine Freundinnen dazu einladen. Und was das Kinderkriegen angeht, ältere Männer sind sowieso die besseren Liebhaber“, erklärte sie ihrer geschockten Tante. „Meine Freundin Deanna hatte Sex mit einem Typen vom College. Sie meinte, das sei viel besser gewesen als mit ihrem Freund von der Highschool. Erfahrung zahlt sich aus.“

Am liebsten hätte Daphne ihre Nichte geschüttelt. Was war nur in das Kind gefahren? Sie kannte Brittany seit ihrer Geburt und hatte sie mit großgezogen. Was war passiert, dass sie sich plötzlich in eine gefühllose, hohle junge Frau verwandelt hatte?

Daphne sah auf ihre Uhr. Die Zeit wurde allmählich knapp. Wenn sie erst in Bahania gelandet und auf dem Weg zum Palast waren, gab es kein Zurück mehr. Es war schon einmal eine Snowden-Braut kurz vor dem Jawort davongelaufen. Diese Chance würde man Brittany sicher nicht einräumen.

„Was hat sich deine Mutter nur dabei gedacht?“ Diese Frage stellte Daphne eigentlich mehr sich selbst.

„Mom fand die Sache von Anfang an cool“, meinte Brittany freimütig. „Sie hofft, dass für die Brautmutter auch ein paar Juwelen abfallen. Außerdem mache ich mit einem Prinzen eine bessere Partie als Tante Grace mit ihrem Harvard-Professor.“

Daphne nickte nur. Manche Familien konkurrierten im Sport miteinander, während andere um Geld und sozialen Status wetteiferten. In ihrer Familie ging es um Macht, genau gesagt, um politische Macht. Eine ihrer Schwestern war mit einem Senator verheiratet, der für das Präsidentenamt kandidieren wollte. Die andere mit einem Industrieboss. Nur sie, Daphne, hatte einen anderen Weg eingeschlagen.

Sie beugte sich vor und nahm Brittanys Hände. „Bitte überleg es dir noch einmal. Warum willst du einen Mann heiraten, den du noch nie gesehen hast? Als Frau eines Prinzen kannst du nicht mehr tun und lassen, was du willst. Dein Leben wird einer strengen Reglementierung unterworfen sein. Du kannst nicht einfach eine Freundin besuchen oder ins Shoppingcenter gehen.“

Brittany sah sie ungläubig an. „Was soll das heißen, ich kann nicht ins Shoppingcenter?“

Daphne horchte auf. Brittany hatte nach dem Köder geschnappt. „Eine zukünftige Königin kann nicht im Ausverkauf nach Kaschmirpullovern wühlen.“

„Warum nicht?“

„Das habe ich dir jetzt schon hundertmal erklärt.“ Daphne seufzte. „Du wirst in einem fremden Land leben, dessen Sitten du respektieren musst. Man wird Erwartungen an dich stellen, die du zu erfüllen hast.“

Brittany zog die Mundwinkel nach unten. „Ich dachte eigentlich, ich könnte jederzeit nach Hause fliegen und meine Freunde treffen.“

„Dein Zuhause wird in Bahania sein. Willst du dafür wirklich alles aufgeben? Deine Freunde in Amerika, das College?“

Brittany krauste ihr niedliches Näschen. „Wieso? Ich kann doch ein College besuchen, wenn ich möchte.“

„Überleg doch mal. Welcher Professor möchte gern eine zukünftige Königin in seinem Seminar haben? Er könnte ihre Leistung doch niemals neutral bewerten.“

Die junge Frau begann nachdenklich auf ihrer Unterlippe zu kauen.

„Brittany, ich liebe dich, als wärst du meine eigene Tochter. Ich will doch nur verhindern, dass du dein Leben wegwirfst. Wenn du dich verliebt hättest, dann wäre es mir egal, ob in einen Prinzen oder einen Außerirdischen. Aber so ist es nun mal nicht. Hätte ich doch nur früher davon erfahren, aber deine Mutter hat ihr Bestes getan, um die Sache vor mir zu verheimlichen.“

„Sie hat eben ihren eigenen Kopf“, seufzte Brittany.

„Hör mal, Mädchen, sag mir ganz ehrlich, ob du hundertprozentig überzeugt bist, das Richtige zu tun. Dann bin ich sofort still. Aber wenn du nur die Spur eines Zweifels hast, dann musst du dir das Ganze noch einmal überlegen.“

„Ich bin nicht sicher“, gab Brittany mit dünner Stimme zu. „Natürlich wünsche ich mir, dass alles gut läuft. Aber was, wenn nicht?“ Jetzt traten ihr plötzlich Tränen in die Augen. „Na ja, meine Eltern legen so viel Wert darauf, und ich wollte ihnen eigentlich diesen Wunsch erfüllen, aber nun wird mir doch ganz anders.“ Sie blickte sich hektisch um. „Der Pilot hat gesagt, dass wir in zwanzig Minuten landen. Das ist nicht mehr lange. Wie soll ich dem Prinzen gegenübertreten und ihm beiläufig eröffnen, dass ich nicht sicher bin?“

Daphne schwor sich, bei nächster Gelegenheit ein ernstes Wort mit ihrer Schwester Laurel zu reden. Wie konnte sie ihre einzige Tochter in diesen Gewissenskonflikt stürzen? In Daphnes Wut mischte sich Erleichterung. Sie nahm ihre Nichte in die Arme.

„Es wird alles gut“, versprach sie. „Ich kümmere mich darum. Du bleibst hier an Bord und fliegst direkt nach Amerika zurück. Ich fahre allein zum Palast und regele die Angelegenheit dort.“

Brittanys Augen leuchteten auf. „Wirklich? Dann muss ich ihn also nicht treffen?“

„Richtig. Du fliegst zurück und versuchst, die ganze Sache so schnell wie möglich zu vergessen.“

„Und was ist mit Mom?“

Daphnes Miene wurde grimmig. „Deine Mutter kannst du getrost mir überlassen.“

Eine Stunde später saß Daphne in der schwarzen Limousine, die sie zum Rosa Palast von Bahania brachte. Sie durchquerten die Stadt, in der jetzt am späten Nachmittag besonders quirliges Treiben herrschte. Vor den Neubauten des Finanzbezirks erhoben sich die alten historischen Gebäude. Das Meer erstrahlte in einem satten Blau wie nirgendwo sonst auf der Welt. Für Daphne waren diese Eindrücke atemberaubend und vertraut. Sie hatte sich in dieses Land verliebt, als sie es vor zehn Jahren zum ersten Mal besuchte.

Doch dies war nicht der Moment, in Erinnerungen zu schwelgen. Stattdessen musste sie sich überlegen, was sie Murat sagen sollte. Bedenken, dass sie etwas falsch gemacht hatte, brauchte sie nicht zu haben. Murat war derjenige, der sich schämen musste. Wie kam er nur auf die Idee, ein Mädchen heiraten zu wollen, das nur halb so alt war wie er?

Daphne fühlte sich im Recht und war entschlossen, ihren Standpunkt energisch gegen alle Angriffe zu verteidigen. Dennoch verspürte sie ein nervöses Kribbeln im Bauch, als die Limousine vor dem Palast hielt. Vor zehn Jahren war sie, Daphne, schon einmal hier gewesen: jung und verliebt.

Und mit Murat verlobt.

Doch drei Wochen vor der Hochzeit hatte sie den Traum platzen lassen und war ohne ein Wort der Erklärung abgereist.

„Miss Snowden?“

Ein junger Mann, der in Landestracht gekleidet war, kam auf Daphne zu.

„Ja?“

„Der Prinz erwartet Sie. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Daphne fragte sich, ob der Mann wusste, dass sie nicht Brittany war. Aber wahrscheinlich hatte Murat sein Personal nicht über Einzelheiten informiert, sondern es nur angewiesen, eine Frau abzuholen und zu ihm zu bringen.

Als sie dem jungen Mann durch den Palast folgte, spürte sie, wie beruhigend die Umgebung auf sie wirkte: die Wandteppiche, die zierlichen geschnitzten Möbel mit der kunstvollen Intarsienarbeit, die spektakuläre Aussicht.

In einer sonnigen Nische hockte eine große Katze und putzte sich. Daphne lächelte, als ihr die vielen Dutzend Katzen einfielen, die der König im Palast hielt.

„Bitte hier entlang, Miss Snowden.“ Der junge Mann öffnete eine Tür. „Der Prinz kommt sofort zu Ihnen.“

Sie betrat den kleinen Raum, der im westlichen Stil eingerichtet war: ein Sofa und drei Sessel mit Kaffeetisch in der Mitte und eine Anrichte an der Wand. Auf der Anrichte standen ein Telefon und eine Karaffe mit Eiswasser und einigen Gläsern. Daphne schenkte sich ein Glas Wasser ein, trank einen Schluck und blickte sich kopfschüttelnd um.

Das sah Murat ähnlich, seine Braut von einem Fremden in irgendein unpersönliches Zimmer führen und dort warten zu lassen. Aber er erwartete ja auch ein unerfahrenes junges Mädchen, das ängstlich darauf bedacht war, ihm zu gefallen und ihm jeden Wunsch zu erfüllen. In diesem Punkt irrte er sich allerdings gewaltig.

Daphne war ganz und gar nicht ängstlich. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie viel dazugelernt.

Als sie Schritte auf dem Flur hörte, setzte sie sich auf das Sofa und straffte die Schultern. Sekunden später betrat der Prinz ihrer schwärmerischen Jungmädchenträume das Zimmer.

Er bewegt sich mit der Anmut des geborenen Herrschers, war ihr erster Gedanke, als sie ihn in seinem eleganten dunklen Anzug auf sich zukommen sah. Vor allem ist er ein nicht zu unterschätzender Gegner, ermahnte sie sich.

Murat blieb stehen und sah sie an. Er zeigte nicht das geringste Zeichen von Erstaunen. „Daphne“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Bist du schließlich zurückgekehrt …“

„Ich weiß, dass du mich nicht erwartet hast, aber Brittany lässt sich entschuldigen.“

Er hob eine Braue. „Ist sie krank?“

„Nein, im Gegenteil. Sie ist einfach nur zu Verstand gekommen. In diesem Augenblick fliegt sie in die Vereinigten Staaten zurück. Es wird keine Hochzeit geben.“ Um diese barsche Mitteilung abzuschwächen, fügte sie etwas scheinheilig hinzu: „Es tut mir leid.“

„Sicher, ich spüre dein Mitgefühl deutlich.“ Er ging zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte. „Den Flughafen, bitte. Flugkontrolle.“

Er wartete einen Moment und erkundigte sich dann nach seinem Privatjet.

Daphne beobachtete ihn. Zuckte da nicht ein Muskel an seinem Kinn? Sie war sich nicht sicher. Irgendetwas musste er doch empfinden. Oder vielleicht auch nicht. Vor zehn Jahren hatte er sie ohne ein Wort gehen lassen. Warum sollte es ihn kümmern, wenn ihm wieder eine Braut davonlief?

Er legte auf und wandte sich zu ihr. „Ich nehme an, du warst an Brittanys Entscheidung nicht ganz unbeteiligt.“

Das war eigentlich keine Frage, aber Daphne antwortete trotzdem. „Allerdings. Die Sache ist doch Wahnsinn. Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast. Sie ist kaum achtzehn, Murat. Ein Kind. Wenn du unbedingt eine Braut willst, dann such dir jemanden, der dir gewachsen ist.“

Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, zeigte er eine Gefühlsregung. Zorn. „Du beleidigst mich mit deinem unangemessenen Verhalten.“

Sie seufzte leise. Richtig, er war schließlich ein Prinz, und sie mischte sich so unbedarft in seine Privatangelegenheiten ein. Das war er ganz sicher nicht gewohnt. „Sorry, aber ich kann leider nicht anders.“

„Und weiter?“

„Ich werde alles tun, um Brittany vor dir zu schützen.“

„Dass du mich nicht heiraten wolltest, bedeutet nicht, dass andere Frauen genauso denken.“

„Dem stimme ich zu. Die Welt ist voller williger junger Frauen. Du kannst sie alle haben. Aber nicht meine Nichte.“

Statt einer Antwort zog er ein kleines Gerät aus der Jackentasche. Sekunden später stürmten sechs Wachen ins Zimmer und umringten Daphne.

„Was soll das?“ Sie hob spöttisch die Brauen. „Willst du mich einsperren, weil ich nicht möchte, dass du meine Nichte heiratest?“

„Ich nehme dich in Schutzhaft, weil du die Privatangelegenheiten des Kronprinzen von Bahania sabotierst.“

Sie wurde eine Spur blasser. „Das kannst du mit mir nicht machen.“

„Wie du gleich feststellen wirst, irrst Du dich.“

„Du Schuft!“ Sie sprang auf und wollte sich auf ihn stürzen, doch die Wachen stellten sich ihr in den Weg. „Versuch ja nicht, Brittany zurückzuholen. Ich lasse nicht zu, dass du sie berührst. Das schwöre ich.“

Murat hatte sich bereits zum Gehen gewandt, drehte sich an der Tür aber noch einmal um. „Täusch dich nicht, Daphne, in vier Monaten gibt es eine Hochzeit. Und die Braut wird eine Snowden sein. Du kannst mich nicht davon abhalten.“

„Wollen wir wetten?“, rief sie aufgebracht.

„Sicher, ich wette gern mit dir.“ Er lächelte nonchalant. „Was bekomme ich, wenn ich gewinne?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer.

Als Daphne die berühmten goldenen Doppeltüren erblickte, wusste sie, wohin die Wachen sie brachten. Diese Relieftüren waren gut drei Meter hoch und zeigten eine ausgelassene Szene junger Frauen in einer Oase.

Einer der Wachen öffnete den linken Türflügel, woraufhin die anderen Daphne hineinführten. Für einen Augenblick dachte sie daran zu fliehen. Doch ihr war klar, dass sie nicht weit kommen würde. Also akzeptierte sie ihr Schicksal mit Würde und nahm gelassen hin, wie die Wachen sich zurückzogen und die große Tür von außen verriegelten. Stimmen auf dem Flur verrieten ihr, dass zwei oder drei Wachposten vor der Tür blieben.

„Das sieht dir ähnlich, Murat.“ Daphne stemmte die Hände in die Hüften. „So mächtig du dich auch fühlst, ich gebe nicht nach. Ich werde alles ertragen, um zu verhindern, dass du Brittany heiratest.“

Sie schaute sich nach etwas um, was sie gegen die Tür werfen konnte, doch der Raum war absolut leer. Die einzige Dekoration stellte der bunte Mosaikfußboden dar.

Durch einen Rundbogen betrat sie den riesigen Wohnbereich, wo Dutzende von Sesseln und Sofas standen. Ein Gang auf der linken Seite führte zu den Bädern. Rechts befanden sich die Schlafzimmer. Sie erinnerte sich an diesen Teil des Palastes von einem Rundgang vor zehn Jahren.

Murat hatte es tatsächlich gewagt, sie in den Harem zu sperren.

Wütend machte Murat sich auf den Weg zum Regierungsflügel des Palastes. Nach all den Jahren besaß Daphne Snowden die Frechheit, hier aufzukreuzen, nur um erneut als Störenfried in seine Welt einzudringen.

Mit keinem Wort hatte sie sich für ihr Verhalten von damals entschuldigt. Er fluchte im Stillen. Diese Frau hatte ihm in die Augen gesehen und mit ihm gesprochen, als sei sie ihm ebenbürtig. Sie hatte sich ihm widersetzt.

Er stürmte in das Büro seines Vaters und blieb vor dem großen Schreibtisch stehen. „Sie ist da.“

Der König zog die Brauen hoch. „Du klingst nicht gerade begeistert. Hat deine Verlobte dich schon verstimmt?“

„Sie ist nicht meine Verlobte.“

Sein Vater seufzte tief. Dann stand er auf und kam um den Schreibtisch herum. „Murat, ich kenne deine Vorbehalte wegen dieser Verlobung. Du fürchtest, das Mädchen sei zu jung und unerfahren und wird hier nicht glücklich. Aber ich bitte dich trotzdem, ihr eine Chance zu geben.“

Murat blickte seinen Vater an, ohne seinen Zorn zu zeigen. Er hatte schon als Kind gelernt, seine Gefühle zu verbergen.

„Du hast mich falsch verstanden, Vater“, sagte er ruhig. „Brittany Snowden befindet sich nicht hier im Palast. Sie ist in diesem Moment auf dem Rückflug nach Amerika.“

Der König runzelte die Stirn. „Und wer …?“

„Daphne.“

„Deine ehemalige …“

Murat fiel ihm ins Wort. „Ja.“

Es gehörte zu den Vorrechten des Kronprinzen, Befehle zu erteilen. Vor zehn Jahren, nachdem er von seiner Verlobten ohne Erklärung verlassen worden war, hatte er angeordnet, dass keiner im Palast je wieder ihren Namen aussprechen durfte. Alle hatten gehorcht, mit Ausnahme seines Vaters. Der König stand natürlich über den Dingen.

„Sie sagte mir doch glatt ins Gesicht, sie erlaube nicht, dass ich ihre Nichte heirate.“ Murat lachte hart auf. „Als ob ihre Wünsche mich interessieren. Ich bin Kronprinz Murat von Bahania. Ich bestimme selbst über mein Leben. Niemand darf es wagen, mir Vorschriften zu machen.“

Sein Vater nickte bedächtig. „Verstehe. Dir passt also nicht, dass Daphne dich daran hindern will, eine Frau zu nehmen, auf die du selbst auch nicht gerade versessen bist.“

„Darum geht es nicht.“ Murat machte eine wegwerfende Handbewegung. „Diese Frau hat meine Position schon vor zehn Jahren nicht respektiert, und daran hat sich nichts geändert.“

„Aha“, bemerkte König Hassan wissend. „Wo ist sie jetzt eigentlich?“

Murats Blick wanderte zu einer der Katzen, die sich genüsslich auf dem Sofa rekelte.

„Ich habe ihr angeboten zu bleiben, bis die Dinge geklärt sind.“

„Es überrascht mich aber, dass sie dein Angebot angenommen hat.“

„Ihr blieb keine Wahl. Ich habe sie in den Harem sperren lassen.“

Der König geriet nur selten aus der Fassung, aber nun wurde Murat Zeuge, wie sein Vater vor Staunen vergaß, den Mund zu schließen.

„Ich konnte ihr Verhalten nicht tolerieren“, erklärte Murat stolz. „Sie muss im Harem auf nichts verzichten und wird so lange dort bleiben, bis ich sie freilasse.“

Jener Teil des Palastes wurde seit mehr als sechzig Jahren nicht mehr für seinen ursprünglichen Zweck genutzt, dennoch wurde er im Originalzustand instand gehalten.

„Daphne hat selbst Schuld“, fügte Murat fast trotzig hinzu. „Sie hatte kein Recht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Natürlich wollte ich Brittany nicht heiraten. Ich habe nur eingewilligt, sie kennenzulernen, um dir einen Gefallen zu tun. Trotzdem war es eine Unverschämtheit von Daphne, meine Pläne zu durchkreuzen.“

„Ich verstehe vollkommen“, sagte sein Vater. „Wie soll es jetzt weitergehen? Lässt du Brittany nach Bahania zurückbringen?“

„Nein. Ich weiß, du hättest sie gern als meine Frau gesehen, aber ich habe kein Interesse.“ Murat akzeptierte den Wunsch seines Vaters nach Enkelkindern, und er war bereit zu heiraten, doch er konnte sich nicht vorstellen, den Rest seines Lebens mit einer so viel jüngeren Frau zu verbringen.

„Vielleicht behalte ich Daphne ein paar Tage hier“, überlegte er laut. „Nur, um ihr eine Lektion zu erteilen.“

„Im Harem?“ König Hassan konnte es nicht glauben.

„Ja.“ Murat lächelte verschmitzt. „Das wird sie am meisten ärgern.“

Sie würde ihn verfluchen und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen. Und natürlich würde sie sich ihm weiterhin widersetzen. Trotz allem, was sie ihm angetan hatte, konnte er es kaum erwarten, sie wiederzusehen.

Daphne entdeckte ihr Gepäck in einem der größten Schlafzimmer des Harems. Der Schlafbereich bestand aus mehreren Einzelzimmern, die für die Lieblingsfrauen des Königs reserviert gewesen waren, und großen schlafsaalähnlichen Zimmern mit zehn oder zwölf schönen Betten.

Die Betten wie auch die anderen Möbel, einschließlich der handgearbeiteten Teppiche, die den Fliesenboden in den Schlafzimmern bedeckten, waren über hundert Jahre alt.

Statt ihre Koffer auszupacken, begann Daphne, die Wände zu untersuchen. Irgendwie musste ihr Gepäck ins Schlafzimmer gelangt sein. Durch den Haupteingang konnte niemand hereingekommen sein. Das hätte sie bemerkt. Also musste es eine Geheimtür geben. Sie tastete sich an den Möbeln entlang durch die Zimmer, bis sie schließlich wieder im Foyer ankam, doch sie fand nichts.

„Wahrscheinlich bleibt mir noch jede Menge Zeit, nach der Geheimtür zu suchen.“ Sie seufzte tief. Dann öffnete sie die Terrassentür, die in den von einer hohen Mauer umgebenen Garten führte.

Daphne trat hinaus in den strahlenden Sonnenschein und atmete den Duft der exotischen Blumen ein. Durch den Garten mit seinen Bäumen, Sträuchern und Blumenbeeten führte ein schmaler Weg. Steinbänke luden zum Verweilen ein. Ein Geräusch erweckte ihre Aufmerksamkeit. Im nächsten Moment flatterten zwei aufgeschreckte Papageien von einem Baum hoch.

„Ihre lauten Schreie übertönen sogar Frauenstimmen.“

Sie wirbelte herum. Murat trug immer noch seinen Anzug und seine gebieterische Miene. Leider war er der faszinierendste Mann, der ihr je begegnet war, sodass sein Anblick sie nicht wütend machte, sondern ihr ein erregendes Kribbeln im Bauch verursachte.

Hormone, dachte sie verächtlich. Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihn damals zu verlassen. Doch sie hatte viel zu lange gebraucht, um ihre Liebe zu ihm abzutöten. Und es war ihr auch nicht wirklich gelungen. Selbst der Schmerz darüber, dass er nicht versucht hatte, sie zurückzugewinnen, konnte daran nichts ändern.

„Viele von den Papageien hier sind schon sehr alt“, fuhr er im Plauderton fort. „Es gibt nur ein einziges Pärchen, das für Nachwuchs sorgt.“

„Wenn ihr keine Frauen mehr im Harem habt, warum behaltet ihr dann die Papageien?“

Er zuckte die Achseln. „Manchmal fällt es schwer, sich von Traditionen zu lösen. Aber das interessiert dich ja nicht. Du möchtest lieber darüber diskutieren, was ich tun und lassen soll.“ Er nickte auffordernd. „Bitte. Fang an.“

„Was hast du mit Brittany vor?“, fragte sie prompt, obwohl sie an der Aufrichtigkeit seines Angebots zweifelte.

„Nichts.“

Sie glaubte ihm nicht. „Lässt du das Flugzeug umkehren?“

„Nein. Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst, ich werde meine Braut zu nichts zwingen. Sie wird zur Stelle sein, wenn es so weit ist.“

Daphnes Augen funkelten zornig. „Nein, das wird sie nicht.“

Er tat ihren Protest mit einer Handbewegung ab. „Die Bäume sind gewachsen, seit du das letzte Mal hier warst. Erinnerst du dich? Damals hat dich der Harem entzückt. Du warst enttäuscht, dass wir die Räume nicht mehr für den ursprünglichen Zweck nutzen.“

„Das stimmt nicht“, widersprach sie. „Ich finde es furchtbar, dass Frauen gefangen gehalten wurden, nur um dem König Vergnügen zu bereiten.“

Er lächelte süffisant. „Das sagst du heute. Aber ich weiß noch deutlich, wie aufregend du die Vorstellung fandst. Du konntest nicht genug über die alten Bräuche hören.“

Sie spürte, dass sie rot wurde. Okay, vielleicht hatte es sie tatsächlich interessiert, wie ein Harem funktionierte. Vor zehn Jahren war sie gerade zwanzig gewesen und hatte noch nicht viel von der Welt gesehen. Das Leben im Palast hatte sie fasziniert. Besonders Murat.

„Ich bin darüber hinweg“, erklärte sie. „Wie lange willst du mich hier eigentlich festhalten?“

„Das habe ich noch nicht entschieden.“

„Meine Familie wird sich für meine sofortige Freilassung einsetzen. Du weißt, dass die Snowdens über nicht unerheblichen politischen Einfluss verfügen.“

Die Drohung ließ ihn unbeeindruckt. „Ich weiß nur, dass sich ihre Ambitionen nicht geändert haben. Sie setzen alles daran, eine Snowden an der Seite eines Herrschers zu sehen.“

Dem konnte Daphne nicht widersprechen. Zuerst hatten ihre Eltern sie gedrängt, Murat zu heiraten. Und nun war Brittany an der Reihe.

„Ich teile ihren Ehrgeiz nicht“, sagte Daphne.

Er blickte auf seine Uhr. „Das Dinner wird um sieben serviert. Ich bitte um angemessene Kleidung.“

Sie lachte freudlos auf. „Und wenn ich nicht mit dir essen will?“

Er hob spöttisch eine Braue. „Dir bleibt leider keine Wahl. Wann wirst du das endlich begreifen? Außerdem sehe ich in deinen Augen, dass du sehr gern mit mir essen möchtest. Allein schon deswegen, weil dir tausend Fragen auf der Zunge brennen.“

Damit ließ er sie allein.

Murat hatte recht, auch wenn Daphne sich das nur ungern eingestand. Er kannte sie wohl besser, als ihr lieb war. Blieb nur zu hoffen, dass er nicht bemerkte, wie heftig ihr Herz immer noch für ihn schlug.

2. KAPITEL

Daphne stand vor ihrem geöffneten Koffer und überlegte, was sie anziehen sollte. Ein Teil von ihr wollte Murats Forderung nach angemessener Kleidung ignorieren. Doch ein anderer Teil wollte sich so sagenhaft kleiden, dass es ihm die Sprache verschlug. Es war ein Kampf zwischen Prinzipien und Eitelkeit. Und sie wusste bereits, wie dieser Kampf ausgehen würde.

Eine Viertelstunde später stand sie frisch geduscht und in ein flauschiges Badetuch gehüllt vor dem Spiegel. Wie viele Frauen vor ihr hatten sich in diesen Räumen auf den Besuch eines Königs vorbereitet? Wie viele Frauen hatten hier gelacht und geweint? Diese Fragen faszinierten sie, und unter anderen Voraussetzungen hätte Daphne nichts dagegen gehabt, in diesem historischen Teil des Palastes zu wohnen.

„Mach dir doch nichts vor“, murmelte sie, während sie ihr Haar bürstete. „Du hast auch jetzt nichts dagegen. Es gefällt dir sogar.“

Sie hatte dieses Land und den Palast vom ersten Augenblick an geliebt. Das einzige Problem war Murat gewesen.

Natürlich nicht von Anfang an. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sich von seiner charmantesten Seite gezeigt und ihr Herz im Sturm erobert. Daphne erinnerte sich noch genau an die Party in Spanien, auf der sie sich kennengelernt hatten.

Vor ihrer Collegezeit hatte Daphne eine Europareise unternommen, bei der sie den Freunden ihrer Eltern so weit wie möglich aus dem Wege gegangen war. Doch in Barcelona hatte sie auf Drängen ihrer Mutter schließlich doch eine Einladung zu einem Cocktailempfang mit Botschaftern und Ministern angenommen. Nach zehn Minuten langweilte sie sich so sehr, dass sie wieder gehen wollte. Doch dann lernte sie einen hinreißenden Mann kennen.

Er war groß, sah fantastisch aus und brachte sie zum Lachen, als er sie um Hilfe bat, weil er sich vor der liebestollen jüngsten Tochter des Gastgebers in Sicherheit bringen musste.

„Ich verstecke mich unter dem Tisch, und Sie schicken sie weg“, schlug er vor. „Würden Sie das für mich tun?“

Dann sah er sie aus seinen tiefbraunen Augen an, und es war um Daphne geschehen. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch, und sie wäre ihm bis ans Ende der Welt gefolgt.

Er verbrachte den ganzen Abend mit ihr, begleitete sie zu Tisch und ließ keinen Tanz aus. Sie redeten über Bücher und Filme, über Kindheitsfantasien und Erwachsenenträume. Daphne spürte sofort, dass sie sich in ihn verlieben würde.

Erst beim dritten Date eröffnete er ihr, wer er war. Die unerwartete Erkenntnis, es mit einem leibhaftigen Kronprinzen zu tun zu haben, machte sie zunächst befangen. Doch dann erwies sich die Tatsache, eine Snowden zu sein, endlich auch mal als Vorteil. Sie war dazu erzogen worden, eine First Lady zu werden, die Ehefrau eines Staatsoberhauptes oder sogar eines Königs.

„Komm mit“, bat Murat kurz vor seiner Rückkehr nach Bahania. „Lern mein Land kennen und mein Volk. Gib auch ihnen die Chance, dich kennenzulernen und zu entdecken, wie entzückend du bist.“

Ohne lange nachzudenken, war sie seiner Einladung gefolgt und hatte sich bis über beide Ohren in Murat und seine Welt verliebt.

Daphne trug ein wenig Make-up auf und zog Slip und BH an. Dann entfernte sie die Lockenwickler aus ihrem Haar, beugte sich vor und sprayte die Haaransätze mit Haarspray ein. Erst zum Schluss schlüpfte sie in ihr Kleid. Die feine Seide umspielte ihren Körper bis knapp über den Knien. Dazu trug sie hochhackige Sandaletten.

Nun trat sie vor den Spiegel. Sie sah müde aus, wie sie fand. Ihre Mutter hätte sicherlich einiges an ihr auszusetzen. Aber was würde Murat denken? Wie unterschied sich die Frau von heute von dem Mädchen von damals? Vor zehn Jahren hatte sie ihn geradezu abgöttisch geliebt. Nur die Erkenntnis, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte, hatte sie dazu bringen können, ihn zu verlassen.

Als Daphne den Wohnbereich des Harems betrat, stand bereits der starke süße Tee auf dem niedrigen Tischchen. Murat lehnte an der Balkontür und schaute hinaus in den Garten.

Er drehte sich mit einem galanten Lächeln zu ihr um. „Du kommst früh.“

„Schade, jetzt habe ich verpasst, wie das Personal das Dinner serviert.“

„Was ist daran so aufregend?“

„Dass sie vielleicht einen geheimen Eingang benutzen.“

„Aha.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Du suchst also einen Fluchtweg. Das ist nicht einfach. Wie du weißt, entspricht es unserer Tradition, schöne Frauen einzusperren. Wenn sie so einfach aus dem Palast flüchten könnten, würden wir unser Gesicht verlieren.“

„Soll das heißen, du wirst dafür sorgen, dass ich den Geheimgang nicht finde?“

Er trat an den Couchtisch. „Nicht nötig. Es ist nämlich unmöglich, die Tür von innen zu entriegeln. Sie lässt sich nur von außen öffnen.“

Murat schenkte aus einer silbernen Kanne Tee in zwei kleine, reich verzierte Gläser.

„Warum willst du eigentlich fliehen? Hier ist es doch wie im Paradies.“

„Wollen wir tauschen?“

Seine Augen funkelten amüsiert. „Ich sehe, du hast dich nicht verändert. Genau wie damals hältst du mit deiner Meinung nicht hinterm Berg.“

„Du meinst, ich weiß immer noch nicht, wo mein Platz ist“, korrigierte sie ihn mit leisem Spott.

„Exakt.“

„Mein Platz ist immer genau dort, wo ich es möchte.“

„Das ist typisch für euch Frauen.“ Er erhob sein Glas. „Auf unsere gemeinsame Vergangenheit und darauf, was die Zukunft bringt.“

Sie dachte an Brittany, die demnächst in New York landen würde. „Trinken wir lieber auf unser getrenntes Leben.“

„Wir könnten schon bald eine Familie sein.“

„Wohl kaum. Du heiratest nicht …“

„Auf die Schönheit der Snowden-Frauen“, unterbrach er sie. „Komm, Daphne, trink mit mir. Lass uns die heiklen Themen vertagen.“

„Einverstanden.“ Je länger sie diese Unterhaltung ausdehnte, desto mehr Zeit blieb ihrer Nichte, sicher nach Hause zu gelangen. „Auf Bahania.“

„Wenigstens darauf können wir uns einigen.“ Sie tranken einen Schluck. Dann führte Murat sie zu einem der riesigen Sofas. „Fühlst du dich in den Räumen hier wohl?“

„Bis auf den Umstand, dass ich gefangen gehalten werde, ist alles in Ordnung.“ Sie stellte ihr Glas auf den Tisch. „Die Haremsgemächer sind wunderschön. Ich werde mir alles genau anschauen, solange ich hier bin.“

„Meine Schwester ist Expertin für Antiquitäten. Soll sie dich mal besuchen kommen?“

Daphne lachte. „Um für mich eine private Führung zu veranstalten? Bestimmt hat sie in ihrem Leben Besseres zu tun.“

„Etwas Besseres, als mir zu dienen?“

Er sagte dies scherzend, aber sie wusste, dass ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten enthalten war. Murat war das Produkt einer Erziehung, die ihn zum Mittelpunkt des Universums erhoben hatte. Wahrscheinlich wurden alle zukünftigen Könige so erzogen. Als Daphne ihn nun ansah, fiel ihr auf, wie gut er aussah. Sie seufzte. In den vergangenen zehn Jahren war ihr kein einziger Mann begegnet, der es mit ihm hätte aufnehmen können.

„Es hat sich einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war“, sagte sie. „Deine Brüder haben geheiratet.“

„Das stimmt. Meine Schwägerinnen stammen alle aus Amerika. In den Zeitungen wurde viel darüber spekuliert, warum sich die Prinzen von Bahania Amerikanerinnen ausgesucht haben. Man vermutet, das frische Blut soll den Stammbaum verbessern.“

„Oh, wie schmeichelhaft für die betreffenden Frauen“, versetzte sie ironisch.

Er lehnte sich zurück. „Was spricht dagegen, die Gene einer so edlen Familie aufzupeppen?“

„Die wenigsten Frauen träumen davon, eine gute Zuchtstute zu sein.“

„Warum musst du die Dinge immer so hindrehen, dass ich in einem schlechten Licht dastehe? Meine Schwägerinnen sind wundervolle Frauen und Mütter. Sie werden von ihren ergebenen Ehemännern nach Strich und Faden verwöhnt und sind wunschlos glücklich.“

Er malte ein Bild, das Daphne im tiefsten Innern berührte. Es machte sie ein wenig traurig. Nein, eigentlich eher neidisch. Sie hatte sich immer gewünscht, einen Mann zu treffen, der sie über alles liebte. Doch bisher war dieser Wunsch unerfüllt geblieben.

„Du hast recht“, sagte sie. „Alle schweben auf rosaroten Wolken. Jetzt bist du der letzte unverheiratete Prinz.“

Er verzog unwillig das Gesicht. „Darauf werde ich fast täglich hingewiesen. Der Druck wächst.“ Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Dann nahm er ihre linke Hand und betrachtete ihre unberingten Finger. „Wie ich sehe, hast du dein Herz noch nicht verschenkt.“

Seine Berührung ließ sie erschauern. Diese Wirkung hatte er schon immer auf sie gehabt. Mit einer einzigen zarten Berührung reduzierte er sie zu Wachs in seinen Händen. Warum war sie immer noch nicht immun gegen ihn?

„Ich bin nicht verlobt, falls du das meinst. Aber ich habe nicht die geringste Lust, mein Liebesleben mit dir zu diskutieren.“

„Wie du wünschst. Erzähl mir von deinem Studium.“

Ihr Herz schlug schneller. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie darauf brannte, ihn mit ihrem beruflichen Erfolg zu beeindrucken. „Ich habe Tiermedizin studiert und arbeite jetzt in diesem Beruf.“

Sein Blick drückte gemischte Gefühle aus. „Das ist schön für dich. Gefällt dir die Arbeit?“

„Sehr. Bis vor Kurzem war ich in einer großen Praxis in Chicago. In den ersten zwei Jahren dort habe ich im Sommer in Indiana auf einer Molkereifarm gearbeitet.“

Sie konnte sich nicht erinnern, Murat jemals schockiert gesehen zu haben. Umso mehr genoss sie nun seine erstaunte Reaktion. „Was hast du dort gemacht? Kühe entbunden?“

„Ganz genau.“

„Das schickt sich nicht für eine Frau.“

Sie lachte. „Es war mein Job. Ich habe es geliebt. In letzter Zeit arbeite ich aber nur noch mit Kleintieren. Hunde, Katzen, Vögel. Das Übliche.“ Sie nippte an ihrem Tee und lächelte. „Wenn dein Vater mit seinen Katzen Hilfe braucht, soll er mir Bescheid sagen.“

„Ich werde das Angebot weiterleiten.“ Nach kurzem Zögern wechselte er das Thema. „Chicago ist ganz anders als Bahania.“

„Allerdings. Am schlimmsten ist der eisige Wind im Winter.“

„Solche Unannehmlichkeiten gibt es hier nicht.“

„Nein, das Wetter in Bahania ist wie im Paradies.“

„Du wohnst weit weg von deiner Familie“, bemerkte Murat. „Soweit ich weiß, leben sie alle an der Ostküste. Bist du deshalb nach Chicago gezogen?“

„Das war sicher mit ein Grund“, räumte sie ein. „Aus der Entfernung kann ich besser mit der ständigen Kritik umgehen.“

„Sind deine Eltern nicht stolz darauf, dass etwas aus dir geworden ist?“

„Nicht wirklich. Sie warten immer noch darauf, dass ich endlich aufwache und einen Senator heirate. Aber ich widerstehe dem Impuls.“

Sie sprach so gleichmütig von ihren Eltern, als ob deren Erwartungen sie nicht berührten, aber Murat las die Wahrheit in ihren blauen Augen.

Schmerz und Enttäuschung entdeckte er darin. Sie litt darunter, dass sie nicht um ihrer selbst willen akzeptiert wurde. Aber Daphne hatte sich schon als junge Frau durch Entschlossenheit, Hartnäckigkeit und Stolz ausgezeichnet. Darin war sie sich, wie er jetzt feststellte, treu geblieben.

Äußerlich jedoch hatte sie sich verändert. Ihr Gesicht war schmaler, und ihre Züge waren ausgeprägter. Vor zehn Jahren hatte man die Schönheit, zu der sie inzwischen herangereift war, bereits erahnen können. Außerdem strahlte sie ein Selbstvertrauen aus, das ihn beeindruckte.

Daphne beugte sich vor. „Ich habe einige Jahre Tierpsychologie studiert.“

„So etwas gibt es? Ich habe noch nie davon gehört.“

Sie lächelte verschmitzt. „Es würde dir gefallen. Es geht darum herauszufinden, warum Tiere so handeln, wie sie es tun. Warum sie aggressiv werden oder Möbel anknabbern oder zum Beispiel ein Baby in der Familie nicht akzeptieren.“

Er konnte sich nicht vorstellen, wie man das erforschen wollte. „Arbeitest du jetzt auf diesem Gebiet?“

„Ich fange damit an. Ich habe viel darüber gelernt, wie man mit Alphatieren umgeht.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Vielleicht könnte ich diese Techniken benutzen, um dich zu zähmen.“

„Mich zähmen?“ Er lachte leise. „Daran liegt uns wohl beiden nichts, oder?“

„Oh, da bin ich mir nicht sicher.“

„Ich aber.“

„Das nenne ich gesundes Selbstvertrauen.“

„Das Privileg eines Alphamännchens.“ Als er sie nun schweigend musterte, wurde ihm bewusst, wie sehr er diese Frau begehrte. Er atmete ihren Duft ein, eine Mischung aus feiner Seife und einem speziellen Parfum, das er nur mit ihr assoziierte.

In Murat regte sich ein Verlangen, das ihn vor allem durch seine Heftigkeit erstaunte. Nach all den Jahren? Er hatte sich oft ausgemalt, was er bei einem Wiedersehen empfinden würde. Alles Mögliche hatte er erwartet, aber nicht dieses intensive Begehren.

Am liebsten wäre er auf der Stelle mit Daphne in eins der Schlafzimmer verschwunden, um sie nach allen Regeln der Kunst zu verführen.

„Im Moment siehst du tatsächlich wie ein Raubtier aus“, bemerkte sie. „Woran denkst du?“

„An deine Skulpturen“, log er. „Bleibt dir noch Zeit für dieses Hobby?“

Bevor sie antwortete, sah sie ihn einen Moment lang zweifelnd an. „Leider viel zu wenig.“

„Vielleicht sollte ich dir etwas Ton bringen lassen. Dann kannst du deiner Leidenschaft frönen, solange du hier bist.“

„Wie lange willst du mich im Harem festhalten?“

„Das habe ich noch nicht entschieden.“

„Dann müssen wir jetzt doch über Brittany sprechen.“

In diesem Moment öffneten sich die goldenen Türen. Mehrere Bedienstete schoben Servierwagen herein, und ein köstlicher Duft zog durch den Raum.

Murat stand auf. „Dinner.“

„Perfektes Timing“, erwiderte sie grimmig. „Man könnte meinen, das hast du mit Absicht gemacht.“

Er lächelte süffisant. „Selbst ich kann Befehle noch nicht durch Gedankenübertragung erteilen.“

„Aber du arbeitest daran, gib’s zu.“

Daphne pickte mit den Fingerspitzen die letzten Krümel des köstlichen Mandelgebäcks zusammen, das zum Dessert serviert worden war. „Wenn ich hier länger bleibe, werde ich bald aufgehen wie ein Hefeteig.“ Sie seufzte zufrieden.

„Es sind nicht alle Mahlzeiten so üppig“, meinte er tröstend.

„Gott sei Dank. Aber morgen muss ich fünfzig Runden durch den Garten joggen.“ Sie hob ihr Glas mit eisgekühltem Mangosaft und sah ihn über den Rand hinweg an. „Außer, du hast vor, mich bald freizulassen.“

„Sind wir wieder beim Thema?“

„Ja, Murat. Ich meine es ernst. Du kannst mich nicht für immer hier festhalten.“

„Vielleicht möchte ich die Tradition dieser Räume wieder aufleben lassen.“

„Sehr komisch“, konterte sie, obwohl sie nicht davon überzeugt war, dass er scherzte. „Ich werde dir bestimmt nicht dabei helfen.“

„Die meisten Frauen kamen nicht freiwillig hierher, obwohl es eine große Ehre bedeutete. Aber mit der Zeit haben sie Gefallen an diesem Leben gefunden. Luxus, Vergnügen. Was wünscht man sich mehr?“

„Zum Beispiel Freiheit und Selbstbestimmung.“

„Begehrt zu werden, bedeutet Macht. Die klugen Frauen haben das schnell begriffen und zu ihrem Vorteil genutzt. Sie herrschten über den Herrscher.“

„List war noch nie meine starke Seite“, erklärte sie. „Außerdem will ich nicht hinter den Kulissen wirken, sondern in der ersten Reihe stehen. Als gleichberechtigte Partnerin.“

„Das ist ausgeschlossen. Ich werde eines Tages König von Bahania mit all den Vor- und Nachteilen, die mit dieser Position verbunden sind.“

Nachteile für einen König? Darüber hatte Daphne noch nie nachgedacht. Auf jeden Fall erschien ihr dieses Thema sicherer, als über das Leben im Harem zu spekulieren.

„Was ist so schlecht daran, König zu sein?“, fragte sie.

„Schlecht ist es nicht. Es gibt nur jede Menge Einschränkungen. Gesetze. Verantwortung.“

„Man steht immer im Rampenlicht“, bemerkte sie. „Und muss immer das Richtige tun.“

„Genau.“

„Einen Teenager zu heiraten, den du gar nicht kennst, kann doch nicht richtig sein, Murat, oder?“

„Du bist sehr beharrlich.“

„Und entschlossen. Ich liebe das Mädchen wie eine Tochter. Ich würde alles für Brittany tun.“

„Sogar mich verärgern?“

„Offensichtlich.“ Sie zuckte die Achseln. „Lässt du mich dafür enthaupten?“

„Deine Frage zeigt mir, dass du mich nicht im Geringsten fürchtest. Ich muss dringend etwas unternehmen, um dich von meiner Macht zu überzeugen.“

„Deine Macht ist mir durchaus bewusst.“ Kopfschüttelnd stellte sie das Glas auf den Tisch. „Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass du ernsthaft vorhast, dieses Kind zu heiraten. So ein Mensch bist du einfach nicht.“

„Und falls du dich irrst?“

„Dann muss ich diese Heirat verhindern. Ich werde tun, was nötig ist.“

Seine dunklen Augen funkelten amüsiert. „Ich bin Kronprinz Murat von Bahania. Willst du mir drohen?“

Gute Frage. Wodurch sie sich zu ihrer nächsten Bemerkung hinreißen ließ, konnte sie sich hinterher selbst nicht erklären. Vielleicht waren ihr die Nachtluft und Murats berauschende Gegenwart zu Kopf gestiegen. „Du benimmst dich wie ein Alphahund, der an jedem Baum sein Territorium markieren muss. Genau das ist Brittany für dich. Ein Baum oder ein Busch.“

Kaum waren die Worte ausgesprochen, hätte sie sie am liebsten zurückgenommen. Sie hatte nicht beabsichtigt, Murat derart zu provozieren. Doch er überraschte sie mit seiner Reaktion. Amüsiert warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

Dann stand er auf. „Komm, wir machen einen Spaziergang, damit du wieder einen klaren Kopf bekommst.“

„Das ist kein Scherz“, beharrte sie. „Du benimmst dich wie ein Deutscher Schäferhund. Ein bisschen Erziehung in Gehorsam könnte dir nicht schaden.“

Während sie sprach, war sie einen Schritt auf ihn zugegangen. Doch ihre Füße erhielten vom Gehirn anscheinend nicht die richtigen Signale. So stolperte sie Murat direkt in die Arme.

„Erziehung in Gehorsam“, wiederholte er gedehnt. Er fing sie auf und schaute ihr in die Augen. „Willst du das wirklich? Ein gut erzogener Mann würde das hier nicht tun.“

Er beugte sich vor und drückte die Lippen auf ihren warmen weichen Mund.

Im selben Moment stand ihr Körper buchstäblich in Flammen. Ein überwältigendes Verlangen begann in ihr zu pulsieren. Sehnsüchtig presste sie sich an ihn.

Sie hatten sich früher oft geküsst. Vor einer Ewigkeit. Damals hatte Murat sie zärtlich in den Armen gehalten und mit sanften Liebkosungen erobert.

Diesmal war es anders. Er küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem nahm und sie vor Verlangen willenlos machte. Fest zog er sie in die Arme, und sie spürte deutlich seine Erregung.

Daphne schmiegte sich an ihn, wie um seine Hitze und seine Kraft in sich aufzusaugen. Als er sanft ihren Kopf umfasste, öffnete sie willig die Lippen. Er erforschte ihren Mund so leidenschaftlich, dass sie sich vor Verlangen ganz berauscht fühlte.

Mehr … Er durfte jetzt nicht aufhören.

Doch Murat hob den Kopf und löste sich von ihr. „Brittany wird inzwischen in New York sein“, überlegte er laut.

Daphne sah ihn irritiert an. Musste er jetzt über Brittany reden? Wollte er sie nicht noch einmal küssen?

Offenbar nicht. Sie zwang sich, ihre Gedanken zu sortieren. Brittany, Murat, die Hochzeit, die nicht stattfinden durfte …

„Ich stehe zu meinem Wort“, erklärte Murat mit fester Stimme. „Ich werde eine Snowden heiraten.“

„Pech gehabt“, gab sie zurück. „Brittany steht nicht zur Verfügung.“

Er sah sie forschend an. „Bist du sicher?“

„Absolut.“

Daphne erwartete eine protestierende Bemerkung, doch er nickte nur.

„Wie du wünschst.“ Damit ließ er sie allein.

Daphne konnte lange Zeit nicht zur Ruhe kommen. Wie du wünschst, hatte Murat gesagt. Was meinte er damit? Wollte er Brittany wirklich so einfach aufgeben? Das erschien ihr unwahrscheinlich.

Da sie kaum geschlafen hatte, fühlte Daphne sich am nächsten Morgen wie zerschlagen. Der Duft von frischem Kaffee lockte sie ins Wohnzimmer. Auf dem Servierwagen standen eine Kanne Kaffee, Blätterteigtaschen mit salziger und süßer Füllung und frisches Obst bereit. Daphne schenkte sich Kaffee ein und trank einen Schluck. Dann fiel ihr Blick auf die Tageszeitung, die neben dem Obst lag. Sie erstarrte.

Ihr Foto starrte ihr von der Titelseite der heutigen Ausgabe von USA Today entgegen. Darunter prangte die Schlagzeile, die ihre Verlobung mit Murat bekannt gab.

3. KAPITEL

„Ich bringe ihn um!“, fauchte Daphne.

Wütend warf sie die Zeitung auf den Tisch, nur um sie gleich wieder aufzuheben und den Artikel noch einmal zu lesen. Unmissverständlich wurde ihre bevorstehende Heirat mit Murat angekündigt.

„Dieser Schuft!“, rief sie empört. „Murat, hörst du mich? Du bist zu weit gegangen. Das lasse ich mir nicht gefallen!“

Es kam keine Antwort. Typisch, dachte sie. Erst so eine Gemeinheit anzetteln und sich dann verstecken.

In diesem Moment klingelte das Telefon.

„Aha! Auch noch zu feige, mir ins Gesicht zu sehen!“ Sie durchquerte den Raum und nahm den Hörer ab. „Ja?“

„Wie konntest du so etwas tun?“, hörte sie eine vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Laurel?“

„Wer sonst?“, gab ihre Schwester aufgebracht zurück. „Ich frage dich, Daphne, warum musst du immer alles kaputtmachen? Besitzt du denn gar kein Gewissen? Der eigenen Nichte den Verlobten ausspannen, nur weil du ihn selbst heiraten willst.“

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, wovon ihre Schwester sprach. „Das ist doch Unsinn, Laurel. Ich weiß nicht, wie dieser Artikel in die Zeitung kommt. Nichts davon ist wahr. Warum sollte ich Murat heiraten wollen? Ich habe ihm doch schon einmal einen Korb gegeben.“

„Ja, und wahrscheinlich hast du es seitdem jeden Tag bereut. Wer kann sich schon mit einem zukünftigen König messen?“

„Glaub, was du willst. Ich sage dir noch einmal, es wird keine Hochzeit geben.“

„Erzähl das meiner enttäuschten Tochter. Du hast nie an die Familie gedacht, immer nur an dich selbst. Diese Sache werde ich dir nie verzeihen. Was auch geschieht.“

Damit legte Laurel auf.

Daphne schüttelte fassungslos den Kopf. Was passierte hier? Es gab nur einen Menschen, der ihr diese Frage beantworten konnte.

Sie trat an die schweren goldenen Türen. „Hey, ist jemand da draußen?“, rief Daphne energisch.

„Ja, Madam. Gibt es ein Problem?“

„Allerdings. Sagen Sie Murat, dass ich ihn sofort sehen will.“

Sie hörte leises Tuscheln.

„Wir werden dem Kronprinzen die Nachricht überbringen.“

„Das genügt mir nicht. Er soll sein königliches Hinterteil auf der Stelle in Bewegung setzen. Das können Sie ihm ausrichten. Wörtlich.“

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür.

Murat trank seine zweite Tasse Kaffee und blätterte im Finanzteil der London Times, als sein Vater mit einer Perserkatze auf dem Arm hereinkam.

„Guten Morgen“, sagte König Hassan.

Murat stand respektvoll auf und bot ihm einen Stuhl an.

Der König schüttelte den Kopf. „Ich bleibe nicht lange. Eigentlich wollte ich nur schnell die Sensation des Tages mit dir besprechen.“

„Dass der Euro steigt?“, scherzte Murat. Natürlich wusste er genau, weshalb sein Vater hier war.

Der König schlug den Zeitungsteil mit dem Foto von Daphne auf. „Interessante Lösung.“

Murat zuckte die Achseln. „Ich sagte doch, ich werde eine Snowden heiraten.“

„Ich bin erstaunt, dass sie eingewilligt hat.“

„Das hat sie doch auch nicht“, gab Murat zu. „Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit. Schließlich hat sie selbst diese Wahl getroffen.“

„So?“

„Ich habe ihr klargemacht, dass die Hochzeit auf jeden Fall stattfinden wird. Und da sie darauf besteht, dass Brittany nicht die Braut ist … kommt nur Daphne infrage.“

„Verstehe“, meinte König Hassan gelassen. „Und wann planst du das große Ereignis?“

„In vier Monaten.“

„Keine lange Vorbereitungszeit für so einen wichtigen Anlass.“

„Ich denke, wir schaffen es.“

„Meinst du, ich sollte Daphne meine Glückwünsche überbringen?“

Murat zögerte. „Sie würde sich über deinen Besuch sicher freuen, aber du solltest vielleicht noch ein paar Tage warten, bis sie sich wieder abgekühlt hat.“

„Wahrscheinlich hast du recht.“ Der König streichelte die Katze auf seinem Arm. „Du hast eine kluge Wahl getroffen.“

„Danke. Daphne und ich werden bestimmt sehr glücklich miteinander“, entgegnete Murat überzeugt.

Daphne war inzwischen so oft auf und ab gegangen, dass sie davon überzeugt war, eine Spur in den Marmorboden gelaufen zu haben. Wegen des Zeitunterschieds hatte sie noch keine Telefonate führen und nichts für ihre Freilassung veranlassen können. Nur eins war sicher: Murat würde für diese Hinterlist bezahlen.

„Dieser arrogante, gefühllose, chauvinistische Schuft“, murmelte sie mit unterdrückter Wut, als sie an die Balkontür trat.

„So viel Energie.“

Sie wirbelte herum und sah Murat auf sich zukommen. „Ich hasse es, wie du hier nach Belieben auftauchst und verschwindest. Wenn ich diese Geheimtür finde, schiebe ich irgendeinen Schrank davor.“

Ihre Verärgerung schien ihn nicht zu berühren. „Wie du magst.“

Seine Gelassenheit brachte sie auf die Palme. Sie riss die Zeitung vom Esstisch und hielt sie ihm hin. „Wie konntest du es wagen? Wer gibt dir das Recht dazu?“

„Du.“

„Wie bitte?“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Das glaubst du ja wohl selber nicht.“

„Ich sagte, dass ich eine Snowden heiraten würde, und du hast deutlich erklärt, dass die Braut nicht deine Nichte sein wird.“

„Wie bitte?“, rief sie noch einmal. „Das bedeutet noch lange nicht, dass ich dich heirate.“

„Immerhin habe ich zugestimmt, auf Brittany zu verzichten. Freust du dich denn gar nicht?“

Freuen? „Hast du den Verstand verloren?“ Sie warf die Zeitung auf den Tisch. „Ich bin wütend. Du hältst mich hier fest und lässt Lügen in die Zeitung setzen. Meine Schwester hat mich schon angerufen. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie sehr du mein Leben durcheinanderbringst? Und deins übrigens auch.“

„Sicher. Eine Ehe verändert das Leben. Aber, wie ich hoffe, zum Besseren.“

„Wir werden nicht heiraten“, fauchte sie.

Er antwortete nicht, sondern schaute sie nur gelassen an. Diese ruhige Selbstsicherheit, die er aus jeder Pore verströmte, steigerte ihre Wut ins Unerträgliche.

Daphne atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. „Okay, fangen wir noch einmal von vorn an. Du heiratest Brittany nicht. Das ist gut so.“

Murat lächelte – eine Spur zu überheblich, wie Daphne fand. „Hast du wirklich geglaubt, ich würde einen Teenager zur Frau nehmen? Brittany nach Bahania kommen zu lassen, war allein die Idee meines Vaters. Ich habe nur zugestimmt, sie kennenzulernen, um ihm einen Gefallen zu tun.“

Vor ihren Augen begannen schwarze Punkte zu tanzen. „Wie bitte? Sag das noch einmal.“

„Ich hatte nie die Absicht, Brittany zu heiraten.“

„Aber du …“ Sie bekam keine Luft mehr. Ihre Brust wurde eng und heiß. „Aber du hast doch gesagt …“

„Ich wollte dich ärgern, weil du es eigentlich besser hättest wissen müssen. Als du dann angeboten hast, Brittanys Platz einzunehmen, habe ich mir die Sache überlegt.“

„Angeboten? Ich habe überhaupt nichts angeboten.“

„Doch, natürlich. Und ich habe zugestimmt.“

„Nein. Das kann nicht wahr sein.“ Sie sank auf einen Stuhl. „Ich weiß, du bist es gewohnt, deinen Willen zu bekommen. Aber diesmal funktioniert es nicht. Du kannst mich nicht dazu zwingen.“

Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. „Mach dir nichts vor. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Wir beide werden heiraten. Die Presseerklärung diente dazu, dir die Wahrheit vor Augen zu führen. Jetzt hast du Zeit, das Ganze zu akzeptieren.“

„Das Einzige, was ich akzeptiere, ist die Tatsache, dass du verrückt geworden bist. Wir leben nicht im Mittelalter, und du kannst mich zu nichts zwingen. Dies ist ein freies Land.“ Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich nicht in Amerika befanden. „Jedenfalls so etwas Ähnliches.“

„Ich bin Kronprinz Murat von Bahania. In der Regel widerspricht man mir nicht.“

„Ich schon, und das weißt du.“

Er lehnte sich zurück und musterte sie keineswegs unfreundlich. „Du enttäuschst mich nie. Wie sehr mir dein Temperament gefällt … Es ist wie ein Feuerwerk.“

Ihre Augen funkelten vor Wut. „Ich werde jetzt ganz langsam sprechen, damit du mich auch wirklich verstehst. Ich … heirate … dich … nicht. Ich habe mein eigenes Leben, meine Freunde und meine Arbeit.“

„Ach ja. Deine Arbeit. Ich habe gestern Abend einige Telefonate geführt und interessante Dinge erfahren. Du hast deinen Job in Chicago gekündigt.“

„Ja, weil ich mich beruflich verändern möchte. Nicht, weil ich dich heiraten will.“

„Und du warst sehr entschlossen, mich von deiner Nichte fernzuhalten. Bist du sicher, dass du mich nicht doch insgeheim für dich selbst willst?“

Sie verdrehte entnervt die Augen. „Erstaunlich, dass du zusammen mit deinem Ego in denselben Raum passt.“ Allerdings hatte ihre Schwester ihr denselben Vorwurf gemacht.

„Ich habe seit Jahren nicht mehr an dich gedacht“, verteidigte sie sich. Es war die Wahrheit. „Darauf leiste ich sogar einen Eid.“

In diesem Moment klingelte das Telefon. Daphne zögerte. Wenn es noch einmal ihre Schwester mit womöglich weiteren Vorwürfen war, wollte sie lieber nicht abnehmen. Aber falls nun Brittany sie sprechen wollte, die sie vielleicht brauchte?

Seufzend griff sie nach dem Hörer. „Hier ist Daphne.“

„Darling, wir haben es gerade erfahren. Wir sind entzückt.“ Die Stimme ihrer Mutter klang so deutlich, als befände sie sich im selben Zimmer.

Daphne sog scharf die Luft ein. „Hat Laurel euch angerufen?“

„Ja. Oh, Darling, wie klug von dir, dich doch noch für Murat zu entscheiden. Dieser Mann wird eines Tages König sein.“ Ihre Mutter seufzte verzückt. „Ich wusste immer, dass du uns stolz machen wirst.“

Daphne fühlte sich völlig überrollt von den Ereignissen. Wie sollte sie den Enthusiasmus ihrer Mutter nur bremsen? In dieser Stimmung war diese für gewöhnlich nicht zu halten.

„Dein Vater ist begeistert“, fuhr Mrs Snowden fort. „Wir freuen uns schon so auf die Hochzeit. Steht der Termin bereits fest?“

„Ich …“

Ihre Mutter lachte. „Natürlich nicht. Ihr habt euch ja gerade erst verlobt. Nun, sag mir Bescheid, sobald du Näheres weißt. Wir müssen dann sicher einige Reisen umbuchen, aber das ist doch selbstverständlich. Dein Vater kann es kaum erwarten, dich deinem Mann zu übergeben.“

Daphne kehrte Murat den Rücken zu, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Er musste nicht unbedingt merken, wie sehr sie dieses Gespräch demütigte.

„Laurel war ziemlich aufgebracht“, brachte Daphne gepresst hervor.

„Ich weiß. Sie hatte sich partout in den Kopf gesetzt, Brittany als Königin von Bahania zu sehen. Ehrlich, das Mädchen ist nett und wird eine gute Partie machen, aber sie ist einfach zu jung für eine Königin.“ Mrs Snowdens Stimme überschlug sich fast vor Verzückung. „Königin. Wie das klingt … Meine Tochter, die Königin. Du musst sehr glücklich sein, Daphne. Es ist eine wundervolle Nachricht. Einfach wundervoll. So, jetzt muss ich mich beeilen. Ich melde mich wieder.“

Damit legte ihre Mutter auf. Daphne versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ihre Augen brannten. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Aber sie würde darüber hinwegkommen. Wie immer.

„Deine Eltern?“, fragte Murat.

„Meine Mutter. Meine Schwester hat sie angerufen und ihr alles erzählt. Sie ist entzückt.“ Daphne schluckte, als sie das Zittern in ihrer Stimme registrierte. Keinesfalls würde sie ihren Gefühlen nachgeben. „Sie möchte so bald wie möglich den Termin der Trauung erfahren, damit sie entsprechend planen kann.“

„Du hast nichts davon erwähnt, dass die Hochzeit nicht stattfindet.“ Das klang halb wie eine Frage, halb wie eine Feststellung.

„Nein.“ Weil sie kaum hatte sprechen können vor Schmerz und Enttäuschung.

„Bilde dir nur nicht ein, ich hätte bereits kapituliert“, flüsterte sie.

„Bestimmt nicht. Dazu kenne ich dich zu gut.“

Sie hörte Murat aufstehen und näherkommen. Im nächsten Moment umfasste er ihre Arme und drehte sie zu sich herum. In seinen Augen spiegelte sich Mitgefühl.

Emotionen offen zur Schau zu stellen entsprach Murat so gar nicht, dass Daphne regelrecht wie gelähmt war. So protestierte sie nicht, als er sie tröstend in die Arme nahm. Instinktiv schmiegte sie sich vertrauensvoll an ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter.

„Ich hasse dich“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor.

„Ich weiß.“ Er strich ihr sanft über das Haar. „Na komm. Erzähl mir, was dich quält.“

Sie schüttelte den Kopf. Es auszusprechen, würde noch mehr schmerzen.

„Es ist deine Mutter“, sagte er leise. „Sie kann ihr Glück kaum fassen, stimmt’s? Deine Familie war schon immer ehrgeizig. Ein König als Schwiegersohn ist fast noch besser als ein Präsident.“

Sie schlang die Arme um seine Taille und klammerte sich regelrecht an ihm fest. „Es ist furchtbar. Sie ist furchtbar. Sie behauptet, sie sei stolz auf mich. Es ist das erste Mal, dass ich diese Worte aus ihrem Mund höre. Weil ich sie bisher immer nur enttäuscht habe.“

Zehn lange Jahre hatte ihre Familie sie mehr oder weniger ignoriert. „Keiner ist zu meiner Examensfeier gekommen. Wusstest du das? Und das alles nur, weil ich dich nicht geheiratet hatte. Und über meine Arbeit als Tierärztin rümpfen sie nur die Nase. Sie ignorieren mich einfach. Es ist, als hätte ich aufgehört zu existieren, nur weil ich damals ihre Pläne durchkreuzte.“

Er küsste sie zärtlich aufs Haar. „Es tut mir leid.“

Daphne schluchzte. „Sie akzeptieren mich nur als ihre Tochter, wenn ich das tue, was sie wollen. Sonst bin ich nicht weiter wichtig.“

„Für mich bist du wichtig – immer.“ Er hob ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu schauen.

Es gefiel ihr, so von ihm gehalten zu werden. Sie genoss seine Umarmung und sein Mitgefühl. Aber war es wirklich ehrlich gemeint?

„Warum dieses Spielchen mit der Verlobung, Murat?“, platzte sie heraus.

„Es ist kein Spiel. Ich habe mich für dich entschieden.“

„Warum denn nur? Du empfindest doch gar nichts für mich. Du hast nie etwas für mich empfunden.“

Er zog die Stirn kraus. „Wie kommst du darauf? Vor zehn Jahren habe ich dich schon einmal gebeten, meine Frau zu werden.“

„Wenn du mich geliebt hättest, dann hättest du mich nicht einfach gehen lassen. Aber es hat dich anscheinend gar nicht gekümmert. Ich habe dich verlassen, und du hast tatenlos zugesehen. Du hast nicht einmal versucht, den Grund herauszufinden.“

Dieser Vorwurf traf ihn härter, als er sich eingestehen wollte. Was sollte er darauf erwidern? Er wusste es nicht.

Murat ließ Daphne allein und ging in sein Büro. Doch anstatt an der vorgesehenen Besprechung teilzunehmen, bat er seinen Assistenten, dafür zu sorgen, dass er nicht gestört wurde, und schloss die Tür hinter sich.

Das Büro war ein repräsentativer Raum, wie es sich für den Kronprinzen eines so reichen Landes gehörte. Für persönliche Unterredungen gab es eine Sitzecke mit drei Sofas und Blick in den Garten. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Konferenztisch aus massivem Rosenholz, an dem bequem sechzehn Personen Platz fanden.

Murat trat auf den Balkon hinaus. Die Frühlingsluft kündigte bereits die Hitze des Sommers an. Vogelgezwitscher erklang aus Büschen und Bäumen. Doch nichts davon nahm er wahr, als er in die Ferne starrte und mit der Vergangenheit rang.

Typisch Frau, dachte er. Daphnes Frage, warum er nicht versucht hatte, sie zurückzuholen, erschien ihm unsinnig. Warum sollte er einer Frau nachlaufen, die ihn verlassen hatte? Es entsprach einfach nicht seiner Stellung. Sie hätte von sich aus zurückkommen und ihn um Verzeihung bitten können.

All dass musste ihr bekannt sein. Sie entstammte einer Familie, die mit den Gepflogenheiten der Herrschaftshäuser vertraut war und die wusste, wie die Welt funktionierte.

Murat kehrte dem Garten den Rücken, blieb aber zögernd auf dem Balkon stehen, als die Erinnerung vor seinem geistigen Auge auflebte. Sein Vater hatte ihm damals die Nachricht von Daphnes Abreise überbracht. Er hatte auch gleich verschiedene Vorschläge parat, wie man sie am besten zurückholte. Doch Murat hatte abgelehnt. Er würde Daphne nicht um die halbe Welt verfolgen. Wenn sie gehen wollte, dann bitte. Sie war ja nur eine Frau. Leicht zu ersetzen.

Heute, zehn Jahre später, erkannte er seinen furchtbaren Irrtum. Daphne war einzigartig und keineswegs zu ersetzen. Sicher, nach ihr hatte es andere Frauen gegeben. Doch keine von ihnen hatte er heiraten wollen.

Er ging in sein Büro zurück und dachte an die Zeit, nachdem sie ihn verlassen hatte. Trauer hatte er sich nicht erlaubt. Ihr Name durfte nicht mehr erwähnt werden, basta. Für ihn war es, als hätte sie nie existiert.

Und jetzt war sie zurückgekehrt. Sie würden heiraten. Mit der Zeit würde sie einsehen, dass es die richtige Entscheidung war. Auch wenn sie noch so gern mit ihm stritt, wusste sie doch, wo ihr Platz im Leben war.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und entnahm einer Schublade ein rotes Lederkästchen, in dem er das offizielle Siegel seines Büros aufbewahrte. Murat legte das Siegel beiseite und entfernte das Samttuch vom Boden des Kästchens. Dort lag zwischen weichen Schutzpolstern ein Diamantring.

Das Geschenk eines Königs an seine Geliebte im Jahr 1685. Er war ihr fast dreißig Jahre treu gewesen. Nach dem Tod seiner ersten Frau machte er seine Geliebte zur Königin. Es kursierten viele Legenden, wie dieser Ring der Geliebten mehr als einmal das Leben rettete, als eifersüchtige Frauen aus dem Harem sie töten wollten. Dem Stein wurde nachgesagt, magische Kräfte zu besitzen.

Von all den Ringen im Besitz der königlichen Familie hatte Murat diesen für Daphne ausgesucht. Sie hatte ihn zurückgelassen, als sie damals abgereist war.

Er hielt den Ring gegen das Licht. So ein kleiner Stein, dachte Murat. Was war er für ein Narr gewesen, dass er an die magische Kraft dieses Diamanten geglaubt hatte.

Murat legte den Ring in das Versteck zurück und verschloss die Schachtel wieder in der Schublade. Später am Nachmittag würde ein Juwelier ihm eine Auswahl an Ringen vorlegen. Er würde einen anderen Diamanten für Daphne aussuchen. Einen Stein ohne Geschichte und ohne Magie.

Gegen vier öffneten sich die goldenen Türen der Haremsgemächer. Daphne stand respektvoll auf, als der König eintrat.

„Eure Hoheit.“ Sie knickste ehrerbietig und voller Grazie.

„Daphne.“ Murats Vater kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Er nahm ihre Hände und küsste die Handknöchel. „Wie schön, dass du wieder in Bahania bist.“ Mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu: „Die meisten jungen Frauen heutzutage wissen nichts über einen guten Knicks, aber du hattest schon immer Stil.“

„All die Jahre Anstandsunterricht zahlen sich eben aus“, erwiderte sie lächelnd. Auch wenn sie Murat grollte, freute sie sich doch, den König zu sehen. Er war immer sehr nett zu ihr gewesen.

„Komm.“ König Hassan führte sie zu einem der Sofas. „Erzähl. Wie geht es dir und deiner Familie?“

„Es geht allen großartig.“ Außer Laurel, die nicht so rasch verdauen würde, dass Brittany Murat nicht heiraten würde. „Sie lassen herzlich grüßen.“ Hätten sie jedenfalls, wenn sie gewusst hätten, dass sie mit dem König sprechen würde.

„Ich bin sicher, dass sie sich über die jüngsten Ereignisse freuen.“

Ihre gute Stimmung schwand. „Ja. Meine Eltern sind entzückt.“

König Hassan war Ende fünfzig, sah aber wesentlich jünger aus. Er strahlte eine natürliche Autorität und Entschlossenheit aus. Zweifellos das Erbe einer königlichen Geschichte, die über tausend Jahre zurückreichte. Er gehörte zu den vorausschauenden Herrschern dieser Welt. Ein König, der den Respekt seines Volkes verdiente.

Murat wird ein ebenso herausragender Herrscher, dachte Daphne. Er war für diese Aufgabe geboren und hatte nie daran gezweifelt. Wofür sie ihn bewunderte. Heiraten wollte sie ihn aber trotzdem nicht.

„Mein Sohn schickt dir eine kleine Überraschung“, erklärte der König, als die Türen sich noch einmal öffneten.

Zwei Diener kamen mit Servierwagen herein. Aber diesmal brachten sie keine erlesenen Speisen, sondern Ton und Töpferwerkzeug.

Daphnes Miene hellte sich auf. Beim Anblick des Tons juckte es sie in den Fingern, sofort anzufangen. Andererseits – das sollte bestimmt ein Bestechungsversuch sein. Alle Achtung, keine schlechte Idee.

„Richten Sie ihm bitte meinen Dank aus“, sagte Daphne, nachdem die Bediensteten gegangen waren.

„Du kannst dich selber bei ihm bedanken. Er schaut nachher noch mal vorbei.“

Oh Freude, dachte sie ironisch, lächelte aber höflich.

„Du bist über den Termin im Bilde?“

Daphne sah ihn verblüfft an. „Den heutigen Termin?“

„Nein. Den Hochzeitstermin. Die Trauung soll in vier Monaten stattfinden. Eine ziemliche Herausforderung, alles in so kurzer Zeit zu organisieren, aber mit dem richtigen Personal bekommen wir das hin.“

Sie straffte die Schultern und atmete tief durch. „Eure Hoheit, ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber das Problem ist nicht das Personal, sondern dass ich Murat nicht heiraten werde. Und es gibt nichts, was mich umstimmen kann.“

Sie hatte mit Bestürzung, zumindest aber mit Erstaunen gerechnet, doch er lachte nur leise. „Aha, haben wir also zwei Dickköpfe. Wer wird wohl die Schlacht gewinnen?“

„Ich natürlich. Es ist die alte Geschichte vom Kaninchen und dem Jagdhund. Das Kaninchen kommt davon, weil der Jagdhund nur um sein Abendessen läuft, das Kaninchen aber um sein Leben.“

„Interessanter Standpunkt.“ Der König drückte vertrauensvoll ihre Hand. „Ich habe mich oft gefragt, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn du damals geblieben wärst und Murat geheiratet hättest. Hast du dich das auch gefragt?“

„Nein.“ Nun, vielleicht schon manchmal, aber das wollte sie nicht zugeben. „Ich war viel zu jung. Und Murat auch. Die Position einer Königin stellt hohe Anforderungen. Ich bin nicht sicher, ob ich der Aufgabe gewachsen gewesen wäre.“

„Sicher. Als Königin trägt man eine große Verantwortung. Allerdings zeigen mir deine Fragen und Selbstzweifel, dass du diese Rolle bestimmt gut ausgefüllt hättest. Er hat nie geheiratet.“

Daphne entzog ihm ihre Hand. „Murat? Das ist mir nur allzu bewusst. Wenn er geheiratet hätte, wäre ich jetzt nicht eine Gefangene in diesem Harem.“

„Du weißt, dass ich auf etwas anderes hinauswollte“, meinte der König freundlich. „Du hast ebenfalls nicht geheiratet.“

„Ich habe studiert und mich um meine Karriere gekümmert“, erklärte sie eine Spur trotzig.

„Das ist keine überzeugende Rechtfertigung. Vielleicht habt ihr ja beide darauf gewartet, dass der andere den ersten Schritt macht.“

Daphne wäre am liebsten vor Empörung aufgesprungen, beherrschte sich aber im letzten Moment mit Rücksicht auf die königlichen Umgangsformen. „Ich versichere Ihnen, dass es nicht so ist. Murat hat sich mit so vielen schönen Frauen vergnügt, dass er sich wahrscheinlich gar nicht an jede Einzelne erinnern kann. Geschweige denn an eine junge Frau, die er vor zehn Jahren kannte.“

„Und heute?“ König Hassan ließ nicht locker.

„Wir kennen uns kaum“, erwiderte sie ausweichend.

„Ein ausgezeichnetes Argument. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das zu ändern.“ Er stand auf. „Murat wünscht diese Heirat, Daphne. Deine Eltern und ich auch. Willst du wirklich gegen die ganze Welt kämpfen?“

Sie erhob sich ebenfalls. „Ja, wenn es sein muss.“

„Vielleicht wäre es einfacher, weise nachzugeben. Ist eine Ehe mit Murat denn so abschreckend?“

„Allerdings.“ Sie sah ihr Gegenüber gespannt an. „Würden Sie mich zwingen, Ihren Sohn auch gegen meinen Willen zu heiraten?“

Er erwiderte ihren Blick ernst. „Ja, wenn es sein muss.“

Murat entdeckte Daphne im Garten. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont. Ein kühler Abendwind lag in der Luft.

Daphne saß zusammengesunken auf einer Bank. Fast sah es aus, als würde sie weinen.

Er eilte zu ihr, um sie in die Arme zu nehmen, doch sie wich vor ihm zurück. „Was willst du?“, fuhr sie ihn barsch an.

„Dich trösten.“

„Ausgerechnet du? Du bist der Grund für meinen Kummer“, gab sie wütend zurück.

„Ich bin alles, was du hast.“

„Na, großartig. Und was sagt dieser Satz über mein Leben aus?“

„Dass es wenigstens einen Menschen an deiner Seite gibt.“

Obwohl es schnell dunkel wurde, konnte Murat ihr Gesicht deutlich erkennen. Er sah, wie sich ihre Augen sorgenvoll verdunkelten. Es war, als würde die Last der ganzen Welt sie niederdrücken.

„Komm.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Glaub mir, es geht dir gleich besser.“

„Vielleicht will ich das gar nicht.“ Dennoch stand sie auf und lehnte sich an ihn.

Murat legte ihr die Arme um die Schultern. Sie war so schmal und zierlich und trotzdem so stark. Und ihr betörender Duft, den er nie vergessen hatte …

Verlangen regte sich in ihm. Aber er spürte noch etwas anderes, als sie ihre Hände auf seinen Rücken und ihren Kopf an seine Schulter legte. Er spürte in diesem kostbaren Moment eine so komplette Übereinstimmung mit ihr, dass er erschauerte.

„Niemand will mir helfen“, klagte sie. „Ich habe alle möglichen Leute angerufen. Jeder scheint begeistert zu sein, dass wir heiraten. Keiner glaubt mir, dass ich gegen meinen Willen festgehalten werde. Und natürlich wollen alle eine Einladung zur Hochzeit.“

„Dann setz sie auf die Liste.“

Sie hob den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Das ist nicht das, was ich hören wollte.“

Er wusste, was sie von ihm erwartete. Dass er sie freigab. Doch das würde er nicht tun. Niemals.

„Du wirst glücklich sein als Königin“, versprach er sanft. „Mit dieser Position bekommst du eine Menge Macht.“

„Macht hat mich nie interessiert.“

„Du hattest bisher auch keine.“

„Murat, du weißt, dass es falsch ist.“

„Warum? Schließlich wirst du mich heiraten, einen Kronprinzen, und nicht irgendeinen hergelaufenen Kamelhändler.“

Halb lachend, halb schluchzend löste sie sich von ihm. Tränen liefen ihr über die Wange. Er tupfte sie mit den Fingerspitzen weg.

„Weine nicht, bitte“, sagte er leise. „Ich lege dir die Welt zu Füßen.“

„Ich will aber nur meine Freiheit.“

„Um was zu tun? Um übergewichtige Hunde und Katzen zu therapieren? Hier in diesem Land kannst du Einfluss nehmen. Du wirst in die Geschichte eingehen. Deine Kinder und Enkelkinder werden dieses Land regieren.“

„Das genügt mir nicht.“

Er fluchte im Stillen. War sie immer so eigensinnig gewesen? Wollte sie ihn für sein Verhalten von damals bestrafen? Nun gut. Vielleicht sollte er in diesem Punkt etwas einlenken.

„Warum hast du mich damals verlassen?“, fragte er.

Sie ließ die Schultern hängen. „Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr.“

„Für mich ist es wichtig. Erzähl es mir.“

„Du würdest es nicht verstehen.“

„Dann erklär es mir. Ich bin ziemlich intelligent.“

„Aber nicht, wenn es mich betrifft.“ Sie schluckte. „Murat, du musst mich gehen lassen.“

Statt ihr zu antworten, nahm er sie in die Arme und küsste sie.

Zu ihrer eigenen Überraschung wehrte sie sich nicht, sondern ließ es geschehen, dass er mit einer Hand ihre Taille umfasste und mit der anderen ihren Kopf. Als er mit der Zunge über ihre Unterlippe strich, legte sie den Kopf in den Nacken und öffnete die Lippen.

Heißes Verlangen durchströmte ihn. Doch er kontrollierte seine Gefühle, während er zärtlich ihren Mund erforschte. Anstatt gleich hier auf der Gartenbank mit ihr zu schlafen, wie er es am liebsten getan hätte, wollte er ihr Zeit lassen, sich an seine Nähe zu gewöhnen. Er liebkoste mit der Zunge ihren Mund, bis sie sich aufseufzend an ihn schmiegte und den Kuss vertiefte.

„Siehst du“, meinte er mit leisem Triumph, nachdem er sich sachte von ihr gelöst hatte. „Es knistert gewaltig zwischen uns. Wir müssen uns nur Zeit nehmen, um einander besser kennenzulernen. Es wird nicht lange dauern, und du kannst es kaum erwarten, meine Frau zu werden.“

„Darauf würde ich an deiner Stelle nicht wetten.“ Doch ihre glühenden Wangen und das Verlangen in ihren Augen straften ihre Worte Lügen.

Murat strich ihr zum Abschied zärtlich über die Wange, bevor er den Haremsbereich verließ. Der Sieg war greifbar nah. Stück für Stück würde er Daphnes Widerstand brechen. Dann würden sie heiraten, einander lieben und glücklich sein bis ans Ende ihrer Tage.

4. KAPITEL

Daphne rollte den Ton in ihren Händen. Die Skulptur hatte so weit Gestalt angenommen, dass man einen Mann erkennen konnte, der sich ein wenig zu weit nach rechts beugte. Es fehlten noch der Kopf, die Arme und ein Tablett mit Tellern. Das Tablett sollte aussehen, als würde es ihm aus der Hand rutschen.

Daphne liebte das Arbeiten mit Ton. Und dann noch in dieser paradiesischen Umgebung! Sie lauschte dem Ruf der Papageien und dem Rascheln der Blätter. Einige Katzen lagen wohlig ausgestreckt in der Sonne. Säße sie nicht gegen ihren Willen hier fest, wäre sie restlos glücklich.

Auch über den Service konnte sie sich nicht beklagen. Sie bekam erlesene Speisen vorgesetzt, würzige orientalische Speisen. Ihr Bett war mehr als komfortabel, und das luxuriöse Bad grenzte an Verschwendung. Wenn ihr nur nicht die Hochzeit mit Murat bevorstehen würde.

Sie dachte an seine vollmundige Ankündigung, einander besser kennenzulernen. Nun, Männer wie er öffneten sich kaum jemandem wirklich. Das veranlasste Daphne zu der Vermutung, dass er die Zeit nur dazu nutzen würde, sie mit vernünftigen Argumenten von der Richtigkeit dieser Ehe zu überzeugen. Sie glaubte nicht an seine Bereitschaft, ihr sein wahres Selbst zu offenbaren.

Am meisten aber ärgerte sie die Tatsache, dass es sie durchaus reizte, diesen Mann und seine tiefsten Gedanken zu ergründen.

Autor

Lucy Monroe
<p>Die preisgekrönte Bestsellerautorin Lucy Monroe lebt mit unzähligen Haustieren und Kindern (ihren eigenen, denen der Nachbarn und denen ihrer Schwester) an der wundervollen Pazifikküste Nordamerikas. Inspiration für ihre Geschichten bekommt sie von überall, da sie gerne Menschen beobachtet. Das führte sogar so weit, dass sie ihren späteren Ehemann bei ihrem...
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Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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Stephanie Howard
Stephanie Howard studierte Sozialwissenschaft an der Harding University im Bundesstaat Arkansas. Außerdem ist sie ein Tausendsassa: Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Fitnesstrainerin, Raumausstatterin und viel beschäftigte Mutter von zwei Kindern. Engagiert setzt sie sich für Frauen ein. Stephanie Howard schreibt in ihren Romanen gern über emanzipierte Frauen, die...
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