Julia Royal Band 32

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DIE GEHEIME GELIEBTE DES THRONFOLGERS von MICHELLE SMART

Amy genießt die leidenschaftliche Stunden in den Armen von Prinz Helios. Doch ihr Traum vom Happy End endet jäh, als sie erfährt, dass Helios bald heiraten wird – allerdings nicht sie! Zutiefst verletzt packt Amy ihre Koffer. Aber Helios hält sie zurück. Siegt am Ende doch die Liebe?

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  • Erscheinungstag 19.10.2024
  • Bandnummer 32
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525381
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Smart

1. KAPITEL

„Musst du dich wirklich rasieren?“, fragte Amy Green schmollend.

Helios begegnete ihrem Blick im Spiegelbild des luxuriösen Badezimmers. „Der Bart wächst doch wieder.“

Sie zog ein Gesicht. Das gelang ihr nicht ganz, da die Feuchtigkeitsmaske, die sie vor wenigen Minuten aufgetragen hatte, inzwischen fest geworden war. Trotzdem dauerte es noch zehn Minuten, ehe sie die getrocknete Pflegepaste abwaschen konnte. „Aber du bist so unheimlich sexy mit Bart.“

„Ohne etwa nicht?“

Sie gab einen spöttischen Laut von sich und tauchte ein bisschen tiefer in ihr dezent duftendes Schaumbad. „Natürlich bist du immer unfassbar sexy!“

Mehr als gut für ihn war. Mit oder ohne Bart. Selbst seine Stimme klang extrem verführerisch: voll und tief und angereichert mit einem rau klingenden Akzent, der ihr Herz höherschlagen ließ.

Dazu war er groß und gut gebaut, unheimlich stark und sah mit seiner dunklen Haut und den rabenschwarzen Haaren aufregend exotisch aus. Wie ein Pirat! Attraktiv und gefährlich zugleich. Dazu passte auch seine markante Nase, die eine verwegene Narbe zierte. Ein Überbleibsel eines Kampfes, den er als Teenager mit seinem Bruder ausgefochten hatte. Und Helios trug diese Narbe mit Stolz, ohne jegliche Eitelkeit.

Er war mit Abstand der aufregendste Mann, den sie kannte.

Schon bald würde sein Luxuskörper in einem schwarzen Maßanzug stecken, und er würde sich in Prinz Helios Kalliakis verwandeln, den offiziellen Thronfolger von Agon. Aber er war immer noch ein echter Mann von Fleisch und Blut.

Amy streckte den Fuß aus und drehte damit das heiße Wasser wieder auf, das fast geräuschlos in die Badewanne lief.

Lächelnd hockte er sich neben sie und kam ihr mit seinem Gesicht ganz nahe. „Wenn du weiterhin versuchst, mich davon abzuhalten, mich fertig zu machen, werte ich das als Verrat an der Krone. Und das zwingt mich leider dazu, dich bestrafen zu müssen.“

Sein heißer Atem streifte ihre Haut.

„Und was für eine Strafe hältst du für angemessen?“, fragte sie herausfordernd und verspürte ein verheißungsvolles Kribbeln in ihrem Bauch.

Diese dunklen Augen und diese vollen Lippen, von denen sie schon buchstäblich überall geküsst worden war … Diese Kombination machte sie rasend.

„Eine Strafe, die du niemals vergessen wirst.“ Zum Spaß fletschte er die Zähne und knurrte, und sein vielsagender Blick versprach ihr Wonnen anstelle von Repressalien. Dann fuhr er damit fort, sich seinen dunklen Bart zu entfernen.

Fasziniert beobachtete sie ihn dabei. Die Rasierklinge war messerscharf und glitt lautlos über seine Haut … Irgendwie aufregend. Helios war ein Mann voller Testosteron, und sie bewunderte ihn glühend.

Mit einem Fingerschnipsen könnte er eine Armee von Sicherheitsleuten auf den Plan rufen, aber das war nicht sein Stil. Er war in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Die Kalliakis-Familie stammte einer Ahnenreihe von Kriegern ab. Sein Vorfahr Ares Patakis hatte vor mehr als achthundert Jahren im Kampf gegen die venezianischen Eindringlinge sein Land gerettet. Den Prinzen von Agon war es praktisch in die Wiege gelegt, ihr königliches Blut mit aller Macht zu verteidigen.

„Muss ich etwa davon ausgehen, dass du heute Abend keine Zeit mehr für mich hast?“, wollte sie wissen.

In letzter Zeit hatte sie bei jeder Gelegenheit erwähnt, wie gern sie dem heutigen Ball beigewohnt hätte, dem die gesamte Inselprominenz entgegenfieberte. Obwohl sie bisher keine Einladung erhalten hatte. Schließlich war sie nur eine einfach Angestellte im Palastmuseum, und das auch nur auf absehbare Zeit.

Natürlich würden sie nicht ewig zusammenbleiben, das war Amy schmerzlich bewusst. Ihre Affäre war zwar kein Staatsgeheimnis, aber sie war auch nie öffentlich diskutiert worden. Amy war eben nur seine Bettgefährtin, nicht seine feste Freundin, und das hatte sie von Anfang an gewusst.

„So sehr ich deine Anwesenheit auch zu schätzen weiß, wäre sie heute wohl mehr als unangemessen“, erklärte er und rasierte sich in aller Seelenruhe weiter.

Amy verzog beleidigt das Gesicht. „Ja, ich weiß. Ich bin eine Bürgerliche, und an der Gala nimmt nur die High Society teil.“

„Nichts würde mich glücklicher machen, als dich dort zu sehen. Gekleidet in der feinsten Haute Couture, die man für Geld kaufen kann. Trotzdem wäre es unangemessen, wenn ich meine Geliebte zu dem Termin mitnehme, an dem ich meine zukünftige Braut auserwählen muss.“

Zuerst glaubte sie, sich verhört zu haben, und dann wurde ihr eiskalt. „Deine zukünftige Braut? Wovon redest du da?“

Im Spiegel trafen sich ihre Blicke.

„Der eigentliche Anlass dieser Veranstaltung ist, dass ich mir offiziell eine Frau aussuche.“

„Wie im Märchen?“, fragte sie erstickt.

„Genau“, antwortete er und rieb sich mit dem Handtuch über das frisch rasierte Kinn. „Du kennst das Spiel.“

„Nein, kenne ich nicht“, gab sie eisig zurück. „Ich bin davon ausgegangen, dieser Ball wäre schlicht eine Vorveranstaltung zur eigentlichen Gala.“

Schon in wenigen Wochen wurde auf der Insel Agon nämlich das fünfzigjährige Kronjubiläum von Helios’ todkrankem Großvater Astraeus gefeiert. Zu diesem Anlass ließ man Staatsoberhäupter aus aller Welt einfliegen.

„Das ist er auch. Man könnte es als zwei Fliegen mit einer Klappe erledigen bezeichnen.“

„Wieso suchst du dir keine Frau auf normalem Weg?“ Ihr wurde körperlich übel bei dieser Frage, weil sie sich einfach keine andere Frau an seiner Seite vorstellen wollte.

„Matakia mou, ich bin der Thronfolger. Das bedeutet, ich muss jemanden mit blauem Blut heiraten. Das weißt du doch!“

Zugegeben, das wusste sie. Nur hatte sie nicht erwartet, dass sie die Realität derart schnell einholen würde. Immerhin schliefen sie so gut wie jede Nacht zusammen im selben Bett!

„Ich muss die perfekte Frau für mich finden“, fuhr er nüchtern fort und klang dabei, als würde er eine Essensbestellung aufgeben. „Selbstverständlich habe ich schon eine Vorauswahl getroffen: diverse Prinzessinnen und Herzoginnen, die mir im Laufe der Jahre über den Weg gelaufen sind.“

„Selbstverständlich …“, wiederholte sie tonlos und fühlte sich plötzlich innerlich taub. „Gibt es da auch irgendjemand Bestimmten?“

„Die besten Aussichten hat Prinzessin Catalina von Monte Cleure. Ich kenne sie und ihre Familie praktisch eine Ewigkeit. Seit ihrer Kindheit besuchen sie regelmäßig unseren jährlichen Winterball, beim letzten hat sich ihre Schwester schon einen Bräutigam ausgesucht.“

Schlagartig wurde Amy übel, als ihr das Bild einer bildschönen schwarzhaarigen Prinzessin in den Sinn kam.

„Davon hast du nie einen Ton gesagt.“

„Was gab es da schon groß zu sagen?“, gab er zurück.

„Hast du mit ihr geschlafen?“

Regungslos starrte er sie im Spiegel an. „Was ist das denn für eine Frage?“

„Eine ganz normale, die ich dir als deine Geliebte stelle!“

Bis zu diesem Zeitpunkt hätte sie sich niemals als solche bezeichnet, aber nun lagen die Dinge offenbar anders. Helios hatte ihr zwar nie die Treue versprochen, aber andererseits war das zwischen ihnen auch kein Thema gewesen. Seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht war ihr Hunger aufeinander unersättlich …

„Die Prinzessin ist Jungfrau und wird es bis zum Hochzeitstag auch bleiben, ganz egal, ob sie mich oder einen anderen Mann heiratet. Beantwortet das deine Frage?“

Im Gegenteil, diese Aussage warf noch viel mehr Fragen auf, soweit es Amy betraf. Allerdings hatte sie leider kein Recht, Helios unter Druck zu setzen.

„Und wann wirst du die Glückliche ehelichen?“, brachte sie mühsam hervor.

Die Ironie in ihrer Stimme überhörte er geflissentlich. „Die Trauung wird ein Staatsakt. Ich denke, die Eheschließung wird innerhalb weniger Monate stattfinden.“

Innerhalb weniger Monate? Er wollte sich eine Braut suchen und sie noch dieses Jahr heiraten? Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein!

Anderseits handelte es sich hier um Helios, den Thronfolger von Agon. Er war ein Mann, der keine halben Sachen machte, das wusste sie. Aber eine baldige Hochzeit?

Ihr Arbeitsvertrag in Agon lief im September aus, und bis dahin waren es noch fünf Monate. Sie stellte sich vor … nein, sie hoffte …

Seufzend dachte Amy an König Astraeus, Helios’ Großvater. Sie war dem alten Mann nie begegnet, aber während ihrer Arbeit im Palastmuseum war sie ihm trotzdem innerlich nähergekommen. Der König lag ganz offensichtlich im Sterben. Darum musste Helios auch heiraten und einen Erben zeugen, der den Familiennamen weitertrug.

All dies wusste sie. Dennoch hatte sie irgendwie gehofft, dass Helios diese Pläne wenigstens aufschob, bis ihre Zeit in Agon abgelaufen war.

Mit zitternden Händen klammerte sie sich an den Badewannenrand und stand auf. Dann stieg sie aus der Wanne und wickelte sich in ein flauschiges Handtuch.

Helios legte den Rasierer auf dem Waschbecken ab. „Ich melde mich bei dir, sobald ich zurück bin.“

Langsam ging sie auf die Tür zu. „Nein, das wirst du nicht tun.“

„Wo willst du hin? Du bist ja immer noch triefend nass.“

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er ihr folgte. In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Karussell.

Seit drei Monaten teilte sie schon das Bett mit ihm, und während dieser Zeit waren sie nur wenige Nächte getrennt gewesen, wenn Helios geschäftliche Verpflichtungen außerhalb der Stadt gehabt hatte. Bei einem dieser Anlässe war er nach Dänemark geflogen und hatte dort mit Prinzessin Catalina zu Abend gegessen. Und jetzt? Jetzt gab er einen Ball, um die Frau auszuwählen, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte.

Natürlich war ihr von Anfang an klar gewesen, dass sie beide keine Zukunft miteinander hatten. Darum hatte sie auch stets versucht, ihre Gefühle fest im Zaum zu halten.

Aber ihn nun derart trocken davon reden zu hören, war mehr als verletzend …

Leise öffnete sie die geheime Tür, die ihre Apartments miteinander verband. Solche Geheimgänge fanden sich in diesem Palast zuhauf – eine echte Festung der Geheimnisse.

„Ich ziehe mich in meine Räume zurück“, murmelte sie. „Genieße deinen Abend!“

„Habe ich gerade irgendetwas verpasst?“

Perplex starrte er sie an.

„Du hältst es für unangemessen, wenn ich heute Abend erscheine. Aber ich will dir sagen, was ich für unangemessen halte! Nämlich der Frau, mit der man seit drei Monaten schläft, zu erzählen, dass man sich eine Ehefrau sucht.“

„Ich verstehe nicht ganz, wo das Problem liegt“, sagte er achselzuckend und hob abwehrend die Hände. „Meine Eheschließung wird nicht das Geringste zwischen uns ändern.“

„Wenn du das glaubst, bist du nicht nur rücksichtslos, sondern schlichtweg dumm! Du sprichst von Frauen, als wären sie Supermarktware!“ Angewidert schüttelte sie den Kopf und beobachtete, wie sich der Ausdruck auf Helios’ Gesicht verfinsterte.

Er war kein Mann, der Kritik vertragen konnte. Auf dieser Insel traute sich kaum jemand, ihm zu widersprechen oder seine Entscheidungen infrage zu stellen. Sein humorvolles Wesen wirkte ansteckend, aber es war allgemein bekannt, dass man ihn lieber nicht zum Feind haben sollte.

Wäre Amy nicht so wütend auf ihn gewesen, hätte sie vermutlich Angst vor seinem unberechenbaren Temperament gehabt.

Helios kam auf sie zu, und dabei war er splitternackt. Dicht vor ihr blieb er stehen und verschränkte die Arme vor seiner breiten, muskulösen Brust. Seine Anspannung war ihm anzumerken. „Sei vorsichtig, wie du mit mir sprichst! Auch wenn ich dein Liebhaber bin, gibt dir das kein Recht, mich zu beleidigen.“

„Wieso? Weil du ein Prinz bist?“ Sie wickelte das Handtuch noch enger um ihren Körper, als könnte sie sich dadurch vor seiner üblen Laune schützen. „Du willst dich fest an eine andere Frau binden? Und dann ein Verhältnis zu dritt führen? Davon will ich einfach kein Teil sein!“

Benedict, Helios’ schwarzer Labrador, witterte die angespannte Atmosphäre und trottete auf Amy zu, um sich an ihre Beine zu schmiegen. Helios bemerkte es und tätschelte seinem Hund den Kopf.

„Mach jetzt kein Drama daraus! Bekommst du deine Periode, und macht dich das so überemotional?“

„Meine Periode? Hast du das gerade wirklich gesagt? Du lebst wohl echt auf einem anderen Planeten. Gott bewahre, mein Liebhaber wählt eine andere zur Frau und erwartet, dass ich weiterhin sein Bett wärme. Aber keine Sorge! Ich krieg ja nur meine Tage! Dann klopf dir mal auf die Schulter und sag dir, dass du ganz bestimmt nichts falsch gemacht hast!“

Mittlerweise war sie dermaßen sauer, dass sie ihm nicht mehr in die Augen sehen konnte. Mit der Hüfte stieß sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf.

„Machst du Schluss mit mir?“, wollte er wissen.

War das etwa ein Lachen in seiner Stimme? Fand er das Ganze etwa lustig?

Amy ignorierte ihn und verschwand hoch erhobenen Hauptes im Zwischengang. Doch ein kräftiger Ruck an ihrem Arm zwang sie dazu, sich umzudrehen.

„Finger weg!“, fuhr sie ihn an. „Wir beide sind fertig miteinander.“

„Nein, das sind wir nicht.“ Er schob seine Hand in ihren Nacken und zog sie zu sich heran, um ihr folgende Worte ins Ohr zu flüstern: „Während du heute Nacht schmollst, stelle ich mir vor, was ich alles im Bett mit dir veranstalten werde, sobald der Ball vorüber ist.“

Trotz ihrer Vorsätze, ihm eine Lektion zu erteilen, reagierte ihr Körper auf seine Nähe … wie üblich. In Helios’ Armen wurde sie zur Sklavin ihrer eigenen Lust, dagegen konnte sie nichts unternehmen. Sie hatte ihn vom ersten Moment, als sie ihn gesehen hatte, begehrt. All die Monate zusammen hatten rein gar nichts daran geändert.

Doch jetzt war es an der Zeit, diese Schwäche endlich zu überwinden!

Entschlossen stemmte sie sich mit einer Hand gegen seine kräftige Brust und widerstand dem Impuls, ihn zärtlich zu streicheln. Stattdessen sah sie ihm fest in die Augen. „Genieße deinen Abend! Und verschütte bloß keinen Wein auf dem kostbaren Kleid deiner Prinzessin!“

Sein spöttisches Gelächter folgte ihr bis in ihr Schlafzimmer.

Endlich konnte sie diese blöde Gesichtsmaske loswerden!

Helios führte seine Tanzpartnerin – die Erbin einer griechischen Adelsfamilie – quer über die Tanzfläche des Ballsaals. Sie war eine hübsche, junge Frau, aber während er ihrem unablässigen Geplapper lauschte, strich er sie im Geiste gleichzeitig von der Liste möglicher Bewerberinnen auf den Platz an seiner Seite.

Nach dem Walzer verbeugte er sich höflich und entschuldigte sich, um seinem Bruder Theseus am Tisch Gesellschaft zu leisten. Dabei ignorierte er die flehenden Blicke der weiblichen Gäste um sich herum.

Ihm spukte Amys Vorwurf im Kopf herum, er würde Frauen wie Supermarktware behandeln. Und er war Manns genug, um anzuerkennen, dass in dieser Bemerkung ein Fünkchen Wahrheit steckte. Und warum auch nicht? Wenn er sich schon spontan für eine Lebenspartnerin entscheiden musste, die ihm Kinder gebar, dann wollte er sich zumindest eine Frau aussuchen, die seinem Geschmack entsprach.

Wenn Amy die Frauen sehen könnte, die für ihn infrage kamen, würde sie schnell merken, dass sie sich vollkommen freiwillig wie Ware anboten!

Nachdenklich betrachtete er seinen jüngeren Bruder Talos, der mit der hinreißenden Violinistin tanzte, die auf der Jubiläumsgala zu Ehren ihres gemeinsamen Großvaters auftreten würde.

„Irgendwas ist da im Busch“, kommentierte Theseus und stürzte einen großen Schluck Champagner hinunter. „Sieh ihn dir an! Dieser Kerl ist doch bis über beide Ohren verknallt!“

Helios folgte dem Blick seines Bruders und wusste sofort, wovon er redete. Talos und seine Tanzpartnerin hatten nur Augen füreinander, und sie strahlten eine ganz bestimmte, ansteckende Energie aus.

Und nicht zum ersten Mal an diesem Abend wünschte Helios sich, Amy würde bei ihm sein. Sie hätte es geliebt, sich zum Walzertakt auf der Tanzfläche zu wiegen. Es machte immer Spaß, mit ihr zusammen zu sein.

Theseus sah Helios an. „Was ist mit dir? Solltest du dich nicht ebenfalls auf dem Parkett bewegen?“

„Ich mache eine kurze Pause.“

„Und die solltest du mit Prinzessin Catalina verbringen.“

Helios und sein Bruder hatten sich unzählige Male über das Thema Braut auseinandergesetzt. Und sie waren sich einig, dass Catalina perfekt in ihre Familie passen würde.

Eine Generation zuvor waren die Ehen der Agon-Erben noch von dritter Seite geschlossen worden. Auch die Hochzeit von Helios’ Eltern. Seine Zukünftige wusste also ganz genau, worauf sie sich einließ und würde bestimmt keine hohen Erwartungen haben.

Das beruhigte Helios ein bisschen, denn er wollte niemandem falsche Hoffnungen machen.

„Findest du?“, fragte er lahm. Ihm graute davor, einen weiteren Tanz mit einer Frau zu absolvieren, die ihm nichts bedeutete – ganz gleich, wie schön sie war. Gut aussehende Frauen konnte er an jeder Straßenecke aufgabeln, aber leider keine mit wirklicher Substanz.

Amy war definitiv eine Frau mit Substanz!

Er blickte auf seine Uhr. In spätestens zwei Stunden würde dieses Spektakel vorüber sein. Vielleicht sollte er Amy danach einfach anrufen, dann würde sie sicherlich vorbeikommen.

Ein Schauer durchfuhr ihn, als er an den Streit mit ihr dachte. Sie war regelrecht eifersüchtig gewesen. Normalerweise schlug ihn ein solches Verhalten sofort in die Flucht, aber bei ihr …

Bei Amy fand er es irgendwie belebend. Ihre Eifersucht rührte ihn. Schon länger vermutete er, dass sie bestimmte Seiten ihres Charakters vor ihm verbarg. Körperlich gab sie sich ihm zwar hemmungslos hin, aber ihr Geist und ihr Verstand blieben ihm ein Rätsel.

Sie war von Anfang an anders gewesen als die Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Bildhübsch und intelligent, und sie hielt ihn körperlich wie emotional auf Trab wie keine zuvor.

Ihr Ausbruch vorhin hatte ihn neugierig darauf gemacht, was wirklich in ihr vorging. Er wollte mehr über diese brillante, leidenschaftliche Frau erfahren, von der er gar nicht genug bekommen konnte. In ihren Armen konnte er den Rest der Welt vergessen, zumindest für einen Moment.

Die lebensbedrohliche Krankheit seines Großvaters lag ihm wie eine drückende Last auf den Schultern. Aber in Amys Gegenwart wurde er ruhig und fühlte sich bereit, das Schicksal bei den Hörnern zu packen. Sie war seine Geliebte, und so sollte es auch bleiben. Er hatte nicht vor, sie aufzugeben – ob er nun heiraten musste oder nicht.

„Hat irgendjemand anderes deine Aufmerksamkeit erregt?“, erkundigte sich Theseus.

„Nein.“

Helios hatte immer gewusst, dass er einmal eine standesgemäße Braut heiraten würde. Eine Alternative hatte nie zur Debatte gestanden. Die Ehe war eine Institution, geschaffen dafür, einen Thronerben für das eigene Land zu produzieren.

Und er konnte sich glücklich schätzen, dass er sich die betreffende Kandidatin selbst aussuchen durfte, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Seine Eltern hatten dieses Glück nicht gehabt. Deren Ehe war schon im Kleinkindalter arrangiert worden und hatte in einer handfesten Katastrophe geendet.

Er hoffte zutiefst, dass ihn selbst kein ähnliches Schicksal ereilte. Nachdenklich beobachtete er Prinzessin Catalina, die gerade mit einem britischen Prinzen die Tanzfläche eroberte. Sie war in der Tat bildschön. Und kultiviert. Das hatte sie ihrer tadellosen Herkunft zu verdanken.

Ihr Bruder war ein alter Schulfreund von ihm, und ihre Begegnungen in Dänemark hatten ihm gezeigt, wie gebildet, kultiviert und anziehend sie war. Auch wenn sie ihm ein bisschen zu ernst erschien.

Allerdings verfügte sie nicht über Amys stolze Haltung.

Trotzdem würde Catalina eine hervorragende Königin abgeben, und er hatte schließlich schon genug Zeit mit der Suche nach einer passenden Partnerin verschwendet. Er hätte sich schon vor Monaten entscheiden sollen, vor allem angesichts der gesundheitlichen Situation seines Großvaters.

Catalina war – genau wie er – streng nach Protokoll erzogen worden. Sie machte sich keine Illusionen über eine Liebesheirat, sondern wusste, dass die Eheschließung ein Akt der Pflichterfüllung war. Nicht mehr und nicht weniger. Keine emotionalen Verwicklungen, und genauso wollte er es.

Mit ihr eine Familie zu gründen, dürfte nicht schwer werden. Schließlich mochten sie sich, also gab es da eine reelle Basis für ein Zusammenleben. Natürlich herrschte zwischen ihnen keine knisternde Chemie wie zwischen ihm und Amy! Aber darauf kam es auch nicht an. Und so etwas gab es vermutlich sowieso nur einmal im Leben …

Ihm fiel ein, wie Amy barfuß und nur mit einem Handtuch bekleidet aus seinem Zimmer gerauscht war. Ihr dunkelblondes Haar hatte nass an ihren Schultern geklebt, und trotzdem hatte sie den Kopf stolz wie eine Prinzessin getragen.

Er konnte es kaum abwarten, sie für diese Frechheit abzustrafen. Beim nächsten Mal würde er ihren Höhepunkt schmerzhaft lange hinauszögern, bis sie darum bettelte, erlöst zu werden.

Nur in diesem Augenblick durfte er gar nicht daran denken, sonst würde er sofort hart werden. Also verdrängte er seine Erregung und konzentrierte sich stattdessen auf die Frauen direkt vor ihm. Seine Entscheidung war endgültig gefallen – Schluss mit dem ewigen Hin und Her. Aber ehe er den nächsten Tanz wagte, musste er unbedingt noch etwas trinken.

Ungeduldig winkte er einen Kellner herbei.

Sein Bruder Theseus beäugte ihn neugierig. „Was ist denn bloß los mit dir?“

„Nichts.“

„Du siehst aus, als hättest du gerade in eine Zitrone gebissen.“

Helios zwang sich zu einem breiten Grinsen. „Besser?“

„Jetzt siehst du aus wie ein irrer Serienmörder.“

„Dein Zuspruch ist mir stets eine Hilfe“, entgegnete Helios trocken und stand auf. „Und da ich hier nicht der Einzige bin, von dem bald Nachwuchs erwartet wird, schlage ich vor, du widmest dich ebenfalls den anwesenden Damen.“

Sein Bruder und er schnitten sich gegenseitig Grimassen. Denn während Helios sein Schicksal von Beginn an akzeptiert hatte, wehrte sich sein Bruder noch hartnäckig dagegen, die persönliche Freiheit aufzugeben.

Der König wohnte diesem Abend aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit nicht bei, weil er seine Kräfte für die Jubiläumsgala aufsparen wollte. Aber für diesen großartigen Mann, der Helios und seine beiden Brüder aufgezogen hatte, war Helios bereit, jedes Opfer zu bringen. Er würde schlichtweg alles für seinen Großvater tun.

Schon bald würde man Helios krönen – viel früher, als er erwartet hatte – und dafür brauchte er eine passende Königin an seiner Seite. Der alte Monarch sollte in Frieden sterben … in der Gewissheit, dass die Kalliakis-Linie in seinem Sinne weitergeführt wurde.

Falls die Zeit ihnen gnädig war, erlebte der alte Herr sogar noch den entscheidenden Hochzeitsschwur.

2. KAPITEL

Wo, zur Hölle, war sie bloß?

Seit fünfzehn Minuten war Helios nun schon zurück in seinem Apartment, aber Amy blieb verschwunden und reagierte einfach nicht auf seine Anrufe.

Laut dem Sicherheitschef hatte sie den Palast verlassen, und zwar genau um Viertel vor acht. Genau zu der Zeit, als seine Brüder und er die Gäste in Empfang genommen hatten.

Ein letztes Mal wählte er erfolglos ihre Nummer, dann ging er zur Hausbar hinüber und schenkte sich einen großzügigen Gin ein, den er in einem Zug leerte. Danach nahm er die Flasche mit in sein Arbeitszimmer.

Dort entdeckte er eine große Schachtel vor seinem Schreibtisch, in der sich alle Geschenke befanden, die er Amy bisher gemacht hatte: Parfumfläschchen, Juwelen, Bücher und noch andere Dinge. Der Anblick löste einen regelrechten Wutanfall in ihm aus!

Mit einem Fußtritt beförderte er die Kiste in die Ecke. Dabei ging irgendetwas darin zu Bruch, aber das kümmerte ihn wenig.

Eine ganze Weile tat er nichts anderes, als nur angestrengt ein- und auszuatmen. Er zitterte vor Wut. Zumindest konnte er sich so weit beherrschen, kein Kleinholz aus den ungeliebten Geschenken zu machen.

Gewalt war eher die Antwort seines Vaters auf jedes Problem gewesen. Helios entdeckte in sich zwar dieselben Anlagen, allerdings gab er – im Gegensatz zu seinem alten Herrn – nicht gleich jedem Impuls nach. Selbstbeherrschung ging ihm über alles.

Und er hatte ziemlich damit zu kämpfen, dass Amy ihn an die Grenze seiner Geduld brachte!

Als ihr bewusst wurde, wie spät sie dran war, verließ Amy ihr Apartment und hetzte die Treppe zum Palastmuseum hinauf. Eilig gab sie ihren Code ein, wartete auf das grüne Licht und stieß anschließend die Tür auf. Und schon stand sie im privaten Bereich des Museums, der keinem Besucher zugänglich war.

Sehnsüchtig warf sie im Vorbeigehen einen Blick in die Personalküche und hoffte, dass nicht alle kleinen Pasteten schon verzehrt waren. Die bougatsas, die täglich vom Palastkoch geliefert wurden, gehörten längst zu ihren Lieblingsspeisen. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen beim Gedanken an diese außergewöhnlichen Leckerbissen.

In den vergangenen Tagen hatte sie allerdings viel zu wenig gegessen, und allmählich rebellierte ihr Magen. Hinzu kam der Schlafmangel.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin“, rief sie zur Begrüßung und presste sich die flache Hand aufs Dekolleté. „Ich habe …“ der Rest erstarb auf ihren Lippen, als sie Helios erblickte.

Er saß am Kopf des Konferenztischs.

„Schön, dass Sie sich endlich zu uns gesellen, Despinis Green“, sagte er. Sein Tonfall klang gelassen, aber seine Augenbrauen waren eng zusammengezogen. „Nehmen Sie Platz!“

Erschrocken über die Tatsache, ihn in dieser Runde zu sehen, blinzelte sie und vergaß darüber fast das Weiteratmen. Helios war natürlich offiziell der Museumsdirektor, aber üblicherweise mischte er sich kaum in das Alltagsgeschäft ein.

In den vier Monaten, die sie bereits hier arbeitete, hatte er erst ein einziges Mal an ihrem wöchentlichen Meeting teilgenommen. Selbstverständlich hatte Amy damit gerechnet, sich ihm irgendwann stellen zu müssen, aber sie war davon ausgegangen, noch ein paar Tage Schonfrist zu bekommen. Wieso musste er ausgerechnet heute hier auftauchen? Zu allem Überfluss hatte sie verschlafen und sah einfach nur fürchterlich aus.

Unglücklicherweise befand sich der einzige freie Stuhl direkt gegenüber von ihm. Der Stuhl machte ein unangenehmes, kratzendes Geräusch, als sie ihn zurückzog und sich hinsetzte. Dann verschränkte sie die zitternden Hände im Schoß, um ihre Nervosität zu verbergen.

Greta, eine der anderen Kuratorinnen und gleichzeitig Amys beste Freundin auf der Insel, saß neben ihr. Mitten auf dem Tisch stand ein Tablett mit den begehrten bougatsas, doch Amy war der Appetit vergangen. Um ehrlich zu sein, war ihr sogar richtig flau im Magen.

Ihre Freundin Greta schenkte ihr eine Tasse Kaffee ein. Sie nahm Amys Hand und drückte sie. Greta wusste alles über die Beziehung zwischen Amy und Helios.

„Wir haben gerade über die Artefakte gesprochen, die noch für die Ausstellung zu Ehren meines Großvaters gebraucht werden“, begann Helios.

Das Palastmuseum von Agon war sehr berühmt, und es zog Kuratoren aus allen Teilen der Welt an. Deshalb wurden die wöchentlichen Besprechungen auch zuerst in verschiedenen Sprachen geführt. Aber zumindest hatte man sich irgendwann auf die englische Sprache als gemeinsamen Nenner geeinigt.

Amy räusperte sich und versuchte, sich zu sammeln. „Die Marmorstatuen sind unterwegs und kommen direkt aus Italien. Eigentlich müssten sie schon morgen früh im Hafen ankommen.“

„Haben wir Personal, um sie in Empfang zu nehmen?“

„Bruno benachrichtigt mich gleich, wenn sie da sind“, berichtete Amy. „Sobald ich von ihm Bescheid bekommen, fahre ich selbst hin. Die Fahrer sind auf Abruf, es ist also alles unter Kontrolle.“

„Und was ist mit den Artefakten aus dem griechischen Museum?“

„Die kommen am Freitag an.“

Selbstverständlich wusste Helios das alles bereits. Er hatte die Ausstellung perfekt durchgeplant und war mit den Partnern des Museums in engem Kontakt geblieben. Nur die Meetings hatte er bisher meistens den anderen überlassen.

Amy war im November als Teil eines Teams vom Britischen Museum dazugekommen, das regelmäßig Ausstellungsstücke an das Museum von Agon verlieh. Schon während der ersten Tage auf der Insel hatte sie sich mit Pedro angefreundet, dem Leiter des Museums, und der hatte sie wiederum schließlich als Kuratorin für die Jubiläumsausstellung vorgeschlagen. Ihr umfangreiches Wissen über die Geschichte Agons hatte ihn von ihrem Können überzeugt.

Diese Position war ein echter Traum, und für jemanden mit so wenigen Referenzen wie Amy bedeutete es eine besondere Ehre. Sie war erst siebenundzwanzig, aber was ihr an Erfahrung fehlte, machte sie mit ihrem Enthusiasmus wett.

Schon im Alter von zehn Jahren hatte sie begriffen, dass die perfekte Familie, an die sie als kleines Kind geglaubt hatte, nicht existierte. Nicht einmal sie selbst war diejenige, die sie geglaubt hatte zu sein. Ihr Vater war zwar ihr biologischer Erzeuger, doch ihre Brüder waren lediglich ihre Halbbrüder. Denn ihre Mutter war nicht wirklich ihre Mutter. Die Frau, die sie in Wahrheit zur Welt gebracht hatte, stammte nämlich von der mediterranen Insel Agon …

Seitdem diese Bombe geplatzt war, hatte Amy alles in Bezug auf Agon fasziniert. Sie hatte zahllose Bücher über die frühe Geschichte und ihre Entwicklung zur Demokratie gewälzt. Die Berichte über diverse Kriege und das ungeheure Temperament des Volkes von Agon zogen sie in ihren Bann. Sie studierte leidenschaftlich gern alte Landkarten und Fotos und war regelrecht versessen darauf, diesen exotischen Ursprung ihres Daseins bis ins Letzte zu erkunden.

Ein Teil dieser Geschichte war nämlich auch ihre Geschichte. Und nur auf diese Weise konnte sie begreifen, wer sie wirklich war. Jetzt hatte sie neun Monate lang die Gelegenheit, ihre Wurzeln vor Ort zu entdecken. Es war ein Wink des Schicksals, denn in diesem schönen Land – mit seiner halben Million Einwohner – lebte ihre leibliche Mutter.

Siebzehn Jahre lang hatte Amy sich über sie den Kopf zerbrochen. Sich gefragt, wie ihre Mutter wohl war, ob sie ihr ähnlich sah, wie ihre Stimme wohl klang und ob sie sich Vorwürfe machte? Schämte sie sich für das, was sie getan hatte? Bestimmt, oder? Wie konnte man tun, was Neysa Soukis getan hatte, und sich nicht dafür schämen?

Es war relativ leicht gewesen, sie ausfindig zu machen, aber wie sollte Amy sich ihr jetzt nähern? Das war die große Frage. Schließlich konnte sie nicht einfach unangemeldet vor ihrer Tür auftauchen. Wahrscheinlich würde ihre Mutter sie einfach abweisen, und dann bekam Amy nie ihre Antworten.

Sie hatte an einen Brief gedacht. Doch was könnte sie schreiben? Hi, erinnerst du dich an mich? Du hast mich neun Monate lang ausgetragen und dann im Stich gelassen. Dürfte ich bitte den Grund dafür erfahren?

Die griechischen sozialen Medien, die Greta Amy gezeigt hatte, erwiesen sich als ziemlich hilfreich. Neysa nutzte sie zwar nicht, aber Amy hatte zumindest erfahren, dass sie einen Halbbruder hatte. Zwischen ihnen beiden war eine zaghafte Kommunikation entstanden, und Amy hoffte, er würde irgendwann als Mittelsmann fungieren, um den Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen.

„Hast du einen Transport für Freitag arrangiert?“, fragte Helios und sah sie ernst an.

„Ja, habe ich. Alles läuft nach Plan“, beruhigte Amy ihn zum wiederholten Male und dachte darüber nach, dass seine wunderbaren Lippen wohl niemals wieder ihre berühren würden. „Wir sind dem Zeitplan sogar voraus.“

„Dann wird die Ausstellung auf jeden Fall rechtzeitig zur Gala fertig?“

Sein Tonfall klang beiläufig, jedoch mit einem harten, skeptischen Unterton.

„Ja, allerdings“, bestätigte sie und biss die Zähne zusammen.

Ganz offensichtlich wollte er sie mit seiner nüchternen Art bestrafen. Vielleicht hätte sie doch wenigstens einen seiner Anrufe beantworten sollen. Doch sie war feige gewesen und aus dem Palast geflohen in der Hoffnung, dass ihr einige Tage fern von ihm die Kraft geben würden, ihm endgültig zu widerstehen.

Denn sie musste sich ihn unbedingt aus dem Kopf schlagen! Sie durfte und konnte nicht die andere Frau sein.

Aber ihn heute wiederzusehen, tat ihr fast körperlich weh und brachte die Sehnsucht nach ihm zurück.

Die Galaausstellung war Helios unglaublich wichtig, und glücklicherweise traute er ihr zu, die Aufgabe zu bewältigen. Er hatte ihr vor Kurzem erklärt, dass ihre Leidenschaft und ihr Enthusiasmus ihn letztendlich davon überzeugt hatten, dass sie die Richtige für den Job war.

Als sie Helios zum ersten Mal begegnete … Er war überhaupt nicht so gewesen, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Nicht der steife, pompöse Prinz, den sie erwartet hatte.

Und sie hatten sich sofort zueinander hingezogen gefühlt: eine chemische Reaktion, über die man einfach keine Kontrolle hatte.

Dieses Phänomen war für sie eine echte Überraschung gewesen. Trotzdem hatte sie sich zuerst nichts dabei gedacht. Immerhin war er ein Prinz – reich, mächtig und umwerfend attraktiv. In ihren wildesten Träumen hatte sie nicht damit gerechnet, dass eine magische Anziehungskraft zwischen ihnen zum Problem werden könnte. Aber das wurde sie …

Die Ausstellung war ihm wesentlich wichtiger, als sie sich ursprünglich vorgestellt hatte, und das machte die gemeinsame Arbeit am Projekt teilweise schwierig. Affären am Arbeitsplatz hatte sie immer vermeiden wollen. Sie liebte ihre Aufgabe und war voll und ganz darauf fokussiert. Die Arbeit gab ihr Halt und innere Sicherheit.

Ständig versuchte sie, sich selbst zu beweisen, dass die Vergangenheit nicht die Zukunft beherrschte. Die Entscheidungen ihrer leiblichen Mutter sollten keinen wesentlichen Einfluss auf Amys eigenes Leben nehmen.

Zwischenmenschliche Beziehungen waren für sie nie reizvoll gewesen. Wie hätte sie sich jemandem hingeben können, ohne zu wissen, wer sie eigentlich war? Und dann fühlte sie sich plötzlich zu einem Mann hingezogen, der nicht nur ihr Boss, sondern obendrein ein Prinz war!

Helios dagegen hatte keinerlei Hemmungen gezeigt.

Lange bevor er einen Annäherungsversuch unternommen hatte, war er ihr ständig mit hungrigen Blicken gefolgt. Eines Nachmittags, als sie mit ihm zusammen durch einen der kleineren Ausstellungsräume gestreift war, hatte sich seine korrekte Haltung plötzlich in brennendes Interesse verwandelt. Er war mit festen Schritten auf sie zugekommen und hatte sie in seine Arme geschlossen.

Da war es um sie geschehen gewesen. Und die folgenden drei Monate waren wie im Rausch vorübergegangen. Körperlich war es eine höchst intensive, aber ansonsten eine emotional unbeschwerte Liaison gewesen. Es gab auf beiden Seiten keinerlei Erwartungen. Auch keine Hemmungen, nur Leidenschaft.

Es hätte ihr leicht fallen sollen, einfach wieder fortzugehen.

Seine Augen, die sie unzählige Male mit ihren Blicken ausgezogen hatten, wanderten nun zu Pedro, der daraufhin weitere Einzelheiten über den Museumsbetrieb zum Besten gab. Denn auch wenn eine außergewöhnliche Ausstellung geplant war, musste der normale Museumsbetrieb ebenfalls auf gewohnt hohem Niveau weitergehen.

Am Ende seiner Ausführungen wies Pedro noch darauf hin, dass für die Führungen am Donnerstag dringend eine Ersatzkraft benötigt wurde. Dafür meldete Amy sich freiwillig. Es war ohnehin der ruhigste ihrer Arbeitstage, und obendrein nahm sie gern selbst an diesen Führungen teil, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab.

Eines der Dinge, die sie speziell an diesem Museum liebte, war die Art, wie es geleitet wurde. Hier half jeder jedem – eine Philosophie, die auf der obersten Ebene bei Helios persönlich begann.

Zum Schluss verkündete Pedro: „Ehe wir auseinandergehen, möchte ich noch einmal an unsere Firmenfeier am Mittwoch erinnern.“

Als Dankeschön für die harte Arbeit des Museumspersonals hatte Helios all seine Mitarbeiter zu einer Party eingeladen. Für ihn eine ganz typische Geste, und Amy hatte sich schon auf diese Feier mit ihren Kollegen gefreut. Jetzt allerdings bereitete ihr die Vorstellung, einen ganzen Abend zusammen mit Helios zu verbringen, heftige Magenschmerzen.

Als sich die kleine Versammlung auflöste, atmeten die Anwesenden spürbar auf und beeilten sich, den Konferenzraum zu verlassen. Niemandem war die ungewöhnlich angespannte Atmosphäre entgangen.

„Amy, auf ein Wort!“, rief Helios ihr zu, ehe sie den Raum verlassen konnte. „Und schließe bitte die Tür hinter dir!“

Sie tat, was er verlangte, und setzte sich wieder auf ihren alten Platz an den Tisch. Leider war der Abstand zu Helios bei Weitem nicht groß genug. Die magnetische Anziehungskraft, die von ihm ausging, zog Amy fest in ihren Bann.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Sie presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust.

Und sie hörte nicht auf, ihn anzustarren. Seine silberne Kette lag glänzend um seinen Hals. Wie oft hatte sie diesen Anhänger mit ihren Lippen berührt, während Helios sich zur gleichen Zeit tief in ihr bewegte?

Als sie darauf wartete, dass er zu sprechen begann, spürte sie seinen intensiven Blick mit jeder Faser ihres Körpers.

Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Hattest du eine schöne Zeit bei Greta?“, fragte er.

„Ja, danke“, gab sie steif zurück und stutzte. „Woher weißt du, wo ich gewesen bin?“

„GPS auf deinem Handy.“

„Wie bitte? Hast du mir etwa nachspioniert?“

„Du bist die Geliebte des Thronfolgers von Agon. Unsere Beziehung ist ein offenes Geheimnis. Ich beschütze eben, was mein ist.“

„Ich gehöre dir nicht. Nicht mehr“, zischte sie, und ihre anfängliche Furcht verwandelte sich in Wut. „Was immer du auf meinem Handy für ein Programm installiert hast, lösch es wieder! Sofort!“

Damit knallte sie ihr Mobiltelefon auf den Tisch und schob es in seine Richtung.

Er nahm es und lachte trocken. „Da ist kein Programm installiert. Das funktioniert allein mit deiner Telefonnummer.“

„Nun, dann lass einfach deine Spionage!“

Nachdenklich betrachtete er sie. „Wieso bist du verschwunden?“

„Ich wollte weg von dir.“

„Und hast dabei nicht daran gedacht, dass ich mir Sorgen machen könnte?“

„Mir war klar, dass du genug mit deiner zukünftigen Braut zu tun haben würdest“, giftete sie zurück.

Jetzt lächelte er. „Ach so, deshalb wolltest du mich bestrafen?“

„Nein, darum ging es nicht“, widersprach sie. „Ich brauchte eine Auszeit, weil ich wusste, dass du nach deiner Brautschau bestimmt mit mir Sex haben wolltest.“

„Und dir war klar, dass du mir nicht widerstehen könntest?“

Ihre Wangen wurden flammend rot, und Helios war zufrieden, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

Seine wunderhübsche, leidenschaftliche Geliebte war rasend eifersüchtig.

Schlank und dennoch extrem weiblich mit einer dichten blonden Mähne … Amy war wohl die attraktivste Frau, die ihm jemals begegnet war. Ein professioneller Bildhauer hätte sie wohl ohne zu zögern als Aphrodite bezeichnet. Sie brachte sein Blut mit einem einzigen Blick zum Kochen – selbst in diesem Moment, wo sie nur einen schlichten Businessrock und ein lilafarbenes Top trug.

Und heute hatte ihr Äußeres Makel, die sonst nicht sichtbar waren: dunkle Ränder unter ihren graubraunen Augen, ihre vollen Lippen wirkten trocken, und sie war blasser als sonst.

Er allein war schuld daran. Dieser Gedanke durchfuhr ihn wie ein Stich. Sie hatte ihn bestrafen wollen und dabei selbst gelitten. Er würde ihr niemals verraten, wie wütend sie ihn in dem Augenblick gemacht hatte, als er die Schachtel mit seinen Geschenken entdeckte.

Was ihn daran erinnerte …

Wortlos legte er einen gepolsterten Umschlag direkt vor sie. Als er dem Karton in seinem Apartment einen Tritt verpasst hatte, waren ein paar Parfumflaschen zu Bruch gegangen und hatten die Bücher ruiniert. Wenigstens waren die Juwelen unversehrt geblieben.

Misstrauisch öffnete sie den Umschlag und biss sich auf die Unterlippe, als sie den Inhalt sah. „Die will ich nicht.“

„Sie gehören dir. Du beleidigst mich, wenn du sie zurückweist.“

Sie blinzelte nicht einmal. „Und du beleidigst mich, indem du sie mir zurückgibst, obwohl du gerade dabei bist, einer anderen Frau einen Verlobungsring an den Finger zu stecken.“

Mit einem Satz war er auf den Beinen und kam auf sie zu. Bevor sie ausweichen konnte, zog er sie auf die Füße und schloss sie in die Arme. Er war so stark, und ihr Kopf ruhte plötzlich an seiner Brust. Es gelang ihr nicht, sich seiner Umarmung zu entziehen.

Er konnte ihre Wärme spüren, und sie wollte in seinen Armen liegen!

Langsam legte sie den Kopf in den Nacken, und ihr Atem stockte.

„Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein“, murmelte er und drückte sie an sich. „Meine bevorstehende Ehe ändert doch nicht meine Gefühle für dich.“

Ihre Mundwinkel zuckten. „Aber sie hat meine Gefühle für dich verändert!“

„Lügnerin! Du kannst nicht abstreiten, dass du mich immer noch willst.“ Mit einer Hand strich er ihr das Haar hinters Ohr und flüsterte: „Noch vor wenigen Tagen hast du meinen Namen geschrien. Ich trage immer noch deine Kratzer auf meinem Rücken.“

Sie wich zurück. „Das war alles, ehe ich wusste, dass du auf der Suche nach einer geeigneten Ehefrau bist. Ich werde ganz sicher nicht deine Geliebte bleiben.“

„Da gibt es doch nichts, wofür du dich schämen müsstest. Generationen von Agon-Monarchen hatten Liebhaberinnen, nachdem sie verheiratet wurden.“ Sein Großvater war die Ausnahme, allerdings nur, weil er sich in seine Angetraute verliebt hatte.

Von den einunddreißig Agon-Herrschern, die das Land seit 1203 regiert hatten, war nur eine Handvoll Könige ihren Partnerinnen treu geblieben. Helios’ eigener Vater, der lange vor seiner Thronfolge starb, hatte Dutzende Liebhaberinnen gehabt. Und es hatte ihm gefallen, all das unter den Augen seiner liebenden Ehefrau zu zelebrieren.

„Vor Ewigkeiten haben deine Ahnen ihren Feinden auch die Gliedmaßen abgehackt, aber auch das hat man inzwischen überwunden, oder nicht?“

Anstelle einer Antwort fuhr er mit seinem Zeigefinger über ihr Kinn. Sie war ungeschminkt und dennoch – oder gerade deswegen – unbeschreiblich schön.

„Wir heiraten nicht aus Liebe, wie andere Leute es tun. Wir heiraten zugunsten unseres Landes. Es ist ein geschäftliches Arrangement, nicht mehr und nicht weniger. Aber du bist meine Geliebte. Du bist die Frau, mit der ich zusammen sein will.“

Seine eigene Mutter war an ihrer Liebe zu ihrem Ehemann zugrunde gegangen. Helios selbst würde niemandem den Schmerz zufügen, den sein eigener Vater verursacht hatte. Sicher, er musste eine Frau königlichen Blutes heiraten und den nächsten Thronfolger mit ihr zeugen. Keine Emotionen. Keine Treueversprechen. Eine Zweckverbindung, mehr nicht.

Lange starrte Amy ihn einfach nur an.

Helios wollte sie auf den Mund küssen, doch sie wich ihm aus.

„Ich meine das ernst, Helios. Es ist vorbei. Ich werde nicht deine Geliebte.“ Ihre Worte waren mehr ein Flüstern.

„Glaubst du?“

„Ja.“

„Warum stehst du dann noch hier? Warum wärmt dein Atem immer noch mein Gesicht?“

Sein Mund streifte ihren Nacken, und sie unterdrückte einen sehnsüchtigen Seufzer.

„Siehst du?“ Er küsste die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr. „Du begehrst mich immer noch. Aber du willst mich bestrafen.“

„Nein, ich …“

„Sch …“ Er legte seinen Finger an ihre Lippen. „Wir wissen doch beide, dass ich dich hier und jetzt nehmen könnte, ohne dass du Einwände hättest.“

Mutig hob sie ihr Kinn, obwohl ihre Gesichtsfarbe ihre Aufregung verriet.

„Ich gebe dir exakt fünf Sekunden, diesen Raum zu verlassen. Falls du danach noch hier sein solltest …“ Jetzt flüsterte er in ihr Ohr. „Ich werde deinen Rock hochschieben und dich genau hier auf diesem Tisch nehmen.“

Sie zitterte und hoffte gleichzeitig, er würde es nicht merken. Natürlich hatte er recht. Sie war ihm hoffnungslos verfallen.

Er ließ sie los und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.

„Eins.“

Mit einer Hand fuhr sie sich über ihren Mund und ihr Kinn.

„Zwei.“

Amy schluckte, doch ihr Blick verließ nie sein Gesicht.

„Drei.“ Er konnte ihre Sehnsucht beinahe spüren. „Vier.“

Auf dem Absatz drehte sie sich um und floh zur Tür.

„Eine Woche“, rief er ihr nach. „Eine Woche, und dann wirst du wieder in meinem Bett liegen, matakia mou. Das garantiere ich dir!“

3. KAPITEL

Fasziniert begutachtete Amy die drei Marmorstatuen, die an diesem Morgen geliefert worden waren. Drei Könige auf dem Zenit ihres Schaffens, alle mit dem Namen Astraeus. Der vierte in der Reihe – eine Sonderanfertigung für die Ausstellung – würde im Laufe der Woche noch geliefert werden. Und sie würde den jungen vierten König Astraeus zeigen, den gegenwärtigen Regenten.

Helios hatte diese Skulptur persönlich in Auftrag gegeben.

Amy wollte nicht an Helios denken, aber sie konnte nicht anders.

Er war einfach überall. In jedem Gemälde, in jeder Figur, in jedem einzelnen Ausstellungsstück. Alles erinnerte sie an seine Vorfahren und letztendlich an ihn.

Helios trug das Blut eines Kriegers in sich. Das Blut dieser Vorfahren, die stolz und unbeugsam in Marmor verewigt vor ihr standen.

Und Amy war versucht, Helios noch eine Chance zu geben. Doch ihr Verstand erinnerte sie daran, dass er auf der Suche nach einer passenden Frau war. Und diese Frau konnte sie selbst niemals sein.

Er musste einen Erben zeugen, und das bedeutete, er würde mit seiner Zweckehefrau ins Bett gehen.

Andererseits bot er ihr eine zwanglose Affäre an. Im Grunde das perfekte Arrangement: keine falschen Versprechungen, keine faulen Kompromisse. Nur leider konnte Amy dieses Angebot nicht annehmen, so gern sie es auch tun würde.

Sie hatte aus erster Hand erfahren, wie zerstörerisch eine Affäre sein konnte. Schließlich war sie selbst das Produkt einer solchen. Siebzehn Jahre lang hatte sie nun schon in dem Bewusstsein gelebt, das Ergebnis einer unangemessenen Verbindung zu sein. Nichts weiter als ein dunkles Geheimnis …

Helios’ Chauffeur parkte die Limousine am Hintereingang des Palasts. Unzählige Schulkinder picknickten auf dem Rasen vor dem Museumseingang: Einige von ihnen spielten Ball, andere übten Handstand oder Purzelbäume. In einiger Entfernung befand sich eine kleine Gruppe, die sich den Irrgarten vom Palast ansehen wollte – einen der größten und spektakulärsten Irrgärten der Welt.

Helios sah auf die Uhr. Normalerweise war er viel zu beschäftigt, um sich den Palastbesuchern zu widmen, aber heute blieb ihm etwas Zeit, ehe er sich mit seinen Brüdern treffen musste. Alle drei mussten wegen der Krankheit ihres Großvaters mehr royale Aufgaben übernehmen, als eigentlich für sie vorgesehen waren.

Immerhin war Helios der Prinzregent und damit nach dem alten Herrn der Hauptvertreter dieser wunderschönen Insel. Es war seine Aufgabe, Touristen und Investoren anzulocken und die Vorzüge seines Landes in die Welt hinauszutragen. Nur das sicherte das Einkommen und Leben seiner Untertanen.

Als Helios sich den Kindern näherte, während sich die Palastgarde diskret im Hintergrund hielt, wandten ihm die Kleinen neugierig ihre Gesichter zu. Und plötzlich dachte Helios daran, wie es wohl wäre, eigene Kinder mit Amy zu haben. Woher kam dieser abstruse Gedanke?

Er und Catalina hatten sich längst formell darauf geeinigt, zwei Kinder zu bekommen. Sie hatten sich auf viele Dinge geeinigt. Das war eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Ehe – die ja nur auf dem Papier bestehen musste.

Doch wann immer Helios sich die Zukunft mit diesen möglichen Kindern vorstellen wollte, löste sich alles in Luft auf. Das Bild wollte einfach keine Form annehmen. Aber er fand die Gegenwart von Kindern äußerst erfrischend, weil sie – im Gegensatz zu den anderen Menschen um ihn herum – wertfrei urteilten.

Und dann gab es noch ein Problem: trotz ihrer offensichtlichen Schönheit fühlte er sich überhaupt nicht zu Catalina hingezogen. Aber diese kleine Schwierigkeit würde er sicherlich mit der Zeit in den Griff bekommen. Schon morgen würde er nach Monte Cleure reisen, um dort in aller Form um Catalinas Hand anzuhalten.

Entschlossen lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Kinder, die ihn mit ihren Fragen löcherten.

„Stimmt es, dass Ihre Toilette ganz aus Gold ist?“

„Stimmt es, dass Sie immer und überall eine Maschinenpistole mit sich tragen?“

Daraufhin zog er das Klappmesser aus der Tasche, das er zur Abschlussprüfung an der berühmten Sandhurst-Militärakademie von seinem Großvater bekommen hatte – eine größere Version von dem, das man ihm zum zehnten Geburtstag gab.

„Nein, aber ich habe das hier immer dabei“, erklärte er.

Wie erwartet, rissen sich die Kinder darum, das Messer zu begutachten.

„Die meisten meiner Landsleute tragen eines bei sich“, erklärte er und dachte gleichzeitig daran, dass heute Donnerstag war, was bedeutete, dass Amy die öffentlichen Führungen übernahm.

Seit ihrem Zusammentreffen im Konferenzraum waren erst zwei Tage vergangen. Und seitdem verspürte er ein sehnsüchtiges Ziehen im Bauch, wenn er an Amy dachte.

Die Lehrerin der Kinder klatschte laut in die Hände. „Stellt euch bitte zu zweit auf, gleich fängt unser Rundgang an!“ Dann warf die Frau einen vernichtenden Blick auf das Messer in Helios’ Händen.

Doch der beachtete sie gar nicht. Heute würde er Amy endlich wieder nahe sein können …

Ihm stellten sich die Nackenhaare auf, und er drehte sich ganz langsam zum Museumseingang um. Dort oben auf den Stufen stand eine schlanke Gestalt. Auch wenn sie zu weit entfernt war, als dass er sie richtig erkennen könnte, wusste sein Herz, dass es sich um sie handelte.

Lächelnd richtete er sich zu voller Größe auf. Erst vor zwei Tagen war sie wutschnaubend aus dem Konferenzraum geflohen und hatte ihn mitsamt seiner schmerzhaften körperlichen Sehnsucht nach ihr stehen lassen.

Dabei war er sicher, dass es ihr ähnlich gegangen war. Sie begehrte ihn, ob sie es nun zugab oder nicht. Und bestimmt war sie während der vergangenen achtundvierzig Stunden bei jedem Telefonklingeln zusammengezuckt und hatte alles daran gesetzt, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen.

Ihm war klar, dass er mit seiner bevorstehenden Verlobung ihren Stolz verletzt hatte, aber darüber würde sie schon hinwegkommen. Schließlich konnte sie ihn nicht ewig bestrafen, vor allem dann nicht, wenn sie sich gleichzeitig nach ihm verzehrte. Schon bald würde sie buchstäblich bei ihm angekrochen kommen …

Kurzentschlossen beauftragte er einen Palastdiener, ihn bei seinen Brüdern zu entschuldigen. Sie konnten ihr Meeting auch einmal ohne ihn abhalten.

Die Zeit war reif, Amy ein wenig auf die Sprünge zu helfen, damit sie auch wirklich angekrochen kam!

Die Palastkerker von Agon waren seit jeher ein Publikumsmagnet. Tief unter der Erde und nur über eine steile Wendeltreppe erreichbar, lag das Gewölbe, das man allerdings erst im Alter von acht Jahren betreten durfte. Im Inneren wies schwaches Licht aus winzigen elektrischen Kerzen den Weg, die systematisch flackerten und unheimliche Schatten warfen. Wenig überraschend, dass die Kinder sich heute besonders eng zusammendrängten.

„Dieser Kerker war ursprünglich eine Grube, in die man venezianische Eindringlinge geworfen hat“, erklärte Amy und bemühte sich, deutlich zu sprechen, sodass alle dreiundzwanzig Kinder sie hörten. „Die Venezianer waren die einzigen Menschen, denen es gelungen ist, nach Agon einzumarschieren. Und als Ares der Eroberer, ein Vetter des jetzigen Königs, den Aufstand von 1205 anführte, befahl er seinen Männern, diese Gruben zu bauen. König Timios – der damals amtierende König, den die Agoniten für den Einmarsch der Venezianer verantwortlich gemacht hatten – wurde in die Zelle gleich links von mir geworfen.“

Die Kinder pressten sich abwechselnd an die Eisengitter, um sich die winzige quadratische Steingrube anzusehen.

„Die Fessel an der rechten Wand ist ein Originalstück. Damit war der König hier tatsächlich angekettet“, fügte sie hinzu.

„Ist er da drin gestorben?“, fragte ein kleiner Junge.

„Nein“, antwortete eine tiefe männliche Stimme, die zwischen den engen Wänden widerhallte.

Vor Schreck kreischten einige der Kinder auf, als ein langer Schatten über sie fiel.

Helios füllte den Durchgang zu den Kerkern mit seinem muskulösen Körper fast vollständig aus. Im flackernden Licht der Kerzen wirkte er wie ein Riese.

Was tut er denn hier? schoss es Amy durch den Kopf.

Sie hatte ihn erst vor einer Stunde gesehen, als er sich in den Gärten der Schule mit den Kindern beschäftigte. Sein Anblick war einfach überwältigend gewesen, und für einen Moment hatte sie sogar vergessen zu atmen.

Es wird besser werden, versuchte sie sich einzureden. Die Trennung ist noch nicht lange her, und ich bin sehr verletzt. Aber bald werde ich mich bestimmt besser fühlen.

„König Timios wurde in dieser Zelle sechs Monate lang gefangen gehalten, bevor Ares Patakis ihn vertrieb und mit der Zustimmung des Volkes die Krone für sich selbst in Anspruch nahm“, sagte Helios zu den faszinierten Kindern. „Der Palast wurde über diesem Kerker gebaut, damit König Ares höchstpersönlich Kontrolle über die Gefangenen hatte.“

„Hat er auch mal jemanden umgebracht?“, wollte ein anderer Junge wissen.

„Er hat viele Menschen getötet oder töten lassen“, erwiderte Helios ernst. „Aber nur während der Schlachten. Kriegsgefangene wurden entlassen und nach Venedig zurückgeschickt.“ Er unterbrach sich. „Aber erst, nachdem er ihnen die Hände abgeschlagen hatte. König Ares wollte eine Botschaft in die Welt hinausschicken … an andere Armeen, die vielleicht vorhatten, Agon zu erobern. Seine Botschaft lautete: Solltet ihr an unserer Küste landen, werdet ihr nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen können. Das hieß, wenn sie es überhaupt schafften zu überleben.“

Je tiefer sie ins Gewölbe eindrangen, in dem man mühelos um die dreihundert Insassen unterbringen konnte, desto mehr Fragen stellten die aufgeregten Kinder. Dabei wurden sie nicht müde, einander zu erschrecken, indem sie gruselige Geräusche von sich gaben oder mit den Händen wilde Schatten an die Wand warfen.

Erleichtert stellte Amy fest, dass Helios mit seiner Aufgabe, die neugierige Besucherschar herumzuführen, vollends beschäftigt war. Denn sie selbst fühlte sich in seiner Anwesenheit, als hätte es ihr die Sprache verschlagen.

„Haben Sie mal jemanden unter die Erde gebracht?“, erkundigte sich ein kleines Mädchen und kicherte nervös.

Zögernd schüttelte er den Kopf. „Aber seit ich laufen kann, trainiere ich den Umgang mit Messern und mit Pfeil und Bogen. Meine Brüder und ich haben auch eine militärische Grundausbildung absolviert. Auf eines könnt ihr vertrauen: Sollte jemals eine andere Nation versuchen, uns zu überfallen, sind wir kampfbereit. Wir würden nicht zögern, Blut zu vergießen – ob nun das unserer Feinde oder unser eigenes – um zu schützen, was uns gehört. Wir würden unsere Insel bis in den Tod verteidigen.“

Betroffenes Schweigen folgte dieser leidenschaftlichen Rede. Dreiundzwanzig Paar große Augen schauten ihn mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen an. Vor allem die Lehrerin wirkte schockiert.

Auf Amy hatte Helios’ Ansprache allerdings einen ganz anderen Effekt.

Seine Worte waren durch ihre Haut gedrungen und flossen als Adrenalin durch ihre Adern. Es war zwischen ihnen nie in erster Linie um sein Aussehen gegangen, so attraktiv er auch war. Am meisten hatte sie seine glühende Leidenschaft angezogen.

Die Kalliakis-Familie war eine Dynastie, in deren Adern rotes Blut lief, kein blaues. Und kein Blut kochte so sehr vor Leidenschaft wie das von Helios. Äußerlich war er ein echter Prinz, doch in ihm schlummerte ein wilder Krieger.

„Und das, Kinder, beweist uns Folgendes: Prinz Helios hat nicht nur die Gene seines Vorfahren – des Eroberers Ares – geerbt, sondern auch die hingebungsvolle Heimatliebe.“ Amy sprach schnell, um die Stille zu durchbrechen und auch, um sich von dem Schmerz abzulenken, der sich plötzlich in ihr auszubreiten drohte. „Also, wer hier möchte gern vom Prinzen adoptiert werden? Irgendwelche Freiwilligen? Nein? Hmm … Das überrascht mich aber. Na gut, dann kommt mit! Wir werden dem Geschenkladen des Museums einen Besuch abstatten.“

Das erweckte die Schar wieder zum Leben: der Gedanke daran, ihr Taschengeld in Souvenirs und Süßigkeiten anzulegen.

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Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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