Marokkanische Nächte voller Glut

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Einen weiten Weg hat Linda zurückgelegt von der grauen Londoner Vorstadt bis ins sonnendurchglühte Marokko in den Palast von Scheich Karim. Erst nach der Hochzeitsnacht verwandelt sich ihr Geliebter in einen anderen - in den stolzen und grausamen Wüstenprinzen …


  • Erscheinungstag 05.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747237
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Agavenbäume säumten die gewundene Straße, an der sich Hänge mit silbergrünen Olivenbäumen und Oleander hochzogen.

Eine Staubwolke folgte dem Taxi. Weiße Steinhäuser kauerten sich an den Hügel, während sich auf der anderen Seite ein steiler Abhang bis hinunter ins Meer erstreckte. Eine Gestalt in Schwarz schirmte die Augen mit der Hand ab und beobachtete, wie das Taxi weiterraste. Innerhalb weniger Sekunden war es verschwunden, als wäre es nichts als eine Erscheinung gewesen.

Linda erschien das alles noch wie ein seltsamer Traum, nachdem sie so hoch in der Luft gewesen und viel zu schnell wieder am Boden gelandet war. Sie hatte ihren ersten Flug genossen. Dennoch war sie froh, der Hektik des Flughafens entkommen zu sein, als der große Jet gelandet war. Dank der vielen Abende, an denen sie Spanisch gelernt hatte, hatte sie keinerlei Probleme gehabt. Als sie aus dem Terminal in den hellen Sonnenschein trat, hatte sie sich einfach in die Schlange eingereiht, um zu warten, bis auch sie endlich in ein Taxi steigen konnte.

Jetzt lehnte sie sich entspannt auf ihrem Sitz zurück, während sie die Küstenstraße entlangfuhren Dabei genoss sie den Ausblick auf die Bahia Conchas, was so viel bedeutete wie Muschelbucht. Das Meer war von einem strahlenden Blau und die Luft, die durch das offene Fenster hereinwehte, erfüllt von den Düften dieses wunderschönen, fremden Landes mit seiner jahrhundertealten Geschichte. Geprägt von der Herzlichkeit und Leidenschaft, die jedoch auch einen Anflug von Grausamkeit in sich barg.

Dies war nicht nur das Land des wunderschönen Oleanders und der samtig roten Geranien, die an den weißen Häusern bis zum Dach hochrankten. Nein, dieses Land war auch bekannt dafür, dass der Sand in der Stierkampfarena blutgetränkt war und dass die spanische Inquisition immer noch ihre Schatten warf.

Das Land der weißgoldenen Sonne und der schwarzen Schatten. Der Sinnlichkeit und ernsten Traurigkeit in der Musik und in den dunklen Augen, die die fremde Frau so neugierig betrachtet hatten.

Linda war berauscht von all dem, was sie sah und fühlte. Auch wenn sie sich nur schweren Herzens von Tante und Onkel getrennt hatte, hatte sie sich doch danach gesehnt, hierher zu kommen. Nur wenige Menschen hätten vermutet, dass sich hinter der Fassade der kühlen Selbstbeherrschung ein Wesen versteckte, das sich nach der heißen Sonne und dem leidenschaftlichen Flamenco sehnte. Hier im Süden schien die Zeit stillzustehen. Nur die Autos, die sich ab und zu auf der gewundenen Straße zeigten, brachten für die Menschen, die auf den Feldern oder in den Weinbergen arbeiteten, einen Hauch von Stadtluft mit.

Und jede Drehung der Räder brachte Linda ein wenig näher zu dem nächsten Treffen mit Don Ramos, der in jeder Hinsicht den gut aussehenden, temperamentvollen Spanier zu verkörpern schien. Ein Blick in seine Augen hatte ihr das Gefühl gegeben, dass er die Bewunderung der Frauen für selbstverständlich nahm.

Er hatte sie vermutlich als leicht zu beeindruckendes Mädchen vom Lande abgestempelt, und sie wünschte sich, ein wenig weltgewandter zu sein. Sie überlegte, wie es wohl sein mochte, das Objekt der leidenschaftlichen Aufmerksamkeit von Don Ramos Gil de Torres zu sein. Als sie kurz die Augen schloss, sah sie seine dunkle, attraktive Gestalt vor sich, in dem hellen Anzug, der seinen sehnigen Körper umschmeichelte. Und wenn sie sich sehr konzentrierte, konnte sie sogar die warme Berührung seiner Hand spüren.

Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, als sie daran dachte, dass er sie kurz berührt hatte, als er ihr die Handtasche zurückgab. In diesem Augenblick hatte sie auch den schweren Goldring an seinem Finger bemerkt.

Ein verhaltener Seufzer stahl sich von ihren Lippen. Ob verheiratet oder Single, Don Ramos war für sie genauso wenig erreichbar wie die spanische Sierra. Und trotzdem erging sie sich in romantischen Träumereien, wenn sie an ihn dachte. So, wie sie es manchmal getan hatte, wenn sie in dem samtenen Dämmerlicht eines Kinos saß und ihrem Lieblingsschauspieler zusah. Das Kino, so hatte sie gelesen, hatte einen seiner Ursprünge in den Träumen einsamer Menschen. Und sie vermutete, dass in dieser Annahme ein Fünkchen Wahrheit lag.

Es war immer noch besser, das Unerreichbare zu lieben, als sich der Liebe ganz zu versagen. Und ein Leinwandheld würde ihr nie das Herz brechen, so wie ein realer Mann dies tun könnte. Er würde für immer der ideale Held bleiben, den die Vertrautheit nie zu einem fehlerhaften menschlichen Wesen machen würde. Auf der anderen Seite könnte dieser Held sie nie wirklich in den Armen halten.

Dieses Land hatte Linda in seinen Bann gezogen, seit sie sich auf der Küstenstraße zum La Granja Vista befand. Ihr Herz schlug schneller vor Aufregung. Sie war gespannt auf das Haus, das bestimmt all ihre Erwartungen erfüllen würde und sicher etwas Maurisches an sich hätte.

Plötzlich warf ihr der Taxifahrer ein paar spanische Worte über seine Schulter zu. Und während Linda deren Bedeutung gerade klar wurde, schoss das Taxi in ein Objekt auf der Straße und geriet außer Kontrolle. Bei dem starken Aufprall wurde Lindas Kopf gegen den Fahrersitz geschleudert. Heftiger Schmerz durchfuhr sie, als ihre Stirn gegen die Kante des Sitzes schlug, ehe sie das Gefühl hatte, in eine schwarze Leere zurückgeschleudert zu werden.

Bewusstlos lag sie auf dem Rücksitz, während sich die Hinterräder des Taxis in der Luft über dem Abgrund bewegten, der steil hinab ins Meer führte. Das Hindernis, das den Unfall verursacht hatte, lag mitten auf der Straße. Ein großer Sack mit Gemüse, der wohl unbemerkt vom Lastwagen eines Bauern heruntergefallen war.

Lindas Leben hing am seidenen Faden, während der Taxifahrer zu allen Heiligen betete, die ihm einfielen. Aber sein beachtlicher Umfang und sein Fuß, der hart auf der Bremse stand, konnten sie nicht viel länger auf der Straße halten. Auch als ein großer Wagen mit zwei Männern darin um die Kurve kam, flehte er weiter um sein Leben, um seiner ganzen Verwandtschaft willen.

Das Taxi wurde schnellstens mit einem Seil an der Hinterachse der Limousine festgemacht, während der Chauffeur mit laufendem Motor hinter dem Steuer saß. Der Besitzer gab dem Taxifahrer Anweisung, sofort herauszuspringen, sobald er die junge Frau zu fassen bekommen hatte.

Ein entsetzliches Krachen, vermischt mit dem Geschmack von Cognac auf ihrer Zunge, brachte Linda wieder zu Bewusstsein. Sie hustete, als die brennende Flüssigkeit ihre Kehle hinunterrann. Benommen versuchte sie, die Flasche von ihrem Mund wegzuschieben.

„Noch einen kleinen Schluck.“ Irgendetwas in dieser Stimme ließ sie gehorchen. Als ihre Lider sich flatternd hoben, sah sie verschwommen ein sehr dunkles Gesicht mit ausgeprägten Zügen vor sich. Es gehörte einem Mann, der sie mit leicht zusammengekniffenen Augen ansah und der wohl ständig unter der Sonne lebte. Irgendwie kam ihr dieser Mann bekannt vor. Doch ihr Kopf hämmerte so schmerzhaft, dass sie sich weder an einen Namen erinnern konnte noch daran, wie sie in seine Arme und auf den breiten, komfortablen Rücksitz eines luxuriösen Wagens gekommen war.

„Sie haben eine hässliche Beule, senorita. Sobald wir im castillo angekommen sind, müssen Sie sofort ins Bett.“ Ins Bett! Linda kämpfte gegen den Schmerz und die Verwirrung in ihrem Kopf an. „Wa… warum bin ich hier?“

„Bald werden Sie sich wieder erinnern“, versicherte er ihr und reichte jemandem die Cognacflasche, der im vorderen Teil des Wagens saß. „Nehmen Sie einen Schluck davon, amigo. Sie haben auch einen furchtbaren Schock erlitten.“

Si, senor, aber hätten Sie nicht so segensreich eingegriffen, wären die Inglesa und ich mit meinem Auto ins tiefe Meer gestürzt.“

„Ich hoffe, Sie sind versichert.“ Beim Klang der tiefen Stimme hatte Linda erneut das seltsame Gefühl, sie zu kennen.

Was mochte wohl passiert sein? Sie bemühte sich darum, sich zu erinnern … Teile eines verwirrenden Bildes schoben sich in ihrem Kopf hin und her, und allmählich fügten sie sich zu einem Ganzen. „Das Taxi – es ist in irgendetwas hineingefahren“, rief sie.

„Also erinnern Sie sich langsam wieder?“

Sie musterte das dunkle Gesicht mit den ausgeprägten Zügen, während das seltsame Gefühl der Vertrautheit langsam verblasste. Nein, diesen Mann hatte sie vorher noch nie gesehen. Wer, um alles in der Welt, mochte er nur sein?

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, lieferte er gleich die Antwort. „Ich bin Karim el Khalid de Torres“, stellte er sich ihr vor. „Erinnern Sie sich denn an ihren Namen, senorita?“

„Ja. Ich heiße Linda Layne.“ Mit ungläubigem Erstaunen sah sie ihn an. Denn der Mann, mit dem sie sich zum Vorstellungsgespräch im Royale Hotel getroffen hatte, hieß Don Ramos Gil de Torres. Die beiden mussten irgendwie miteinander verwandt sein. Nur deshalb hatte sie schattenhaft eine Ähnlichkeit mit dem anderen spanischen Gesicht in den Zügen dieses Mannes entdeckt.

„Ich … ich bin auf dem Weg zum La Granja Vista“, sagte sie und versuchte, sich aus den Armen des dunklen Fremden zu lösen. Himmel, wie muskulös diese Arme waren!

„Fühlen Sie sich ein bisschen besser?“, fragte er.

Sie nickte. „Was … was ist mit dem Taxi passiert?“

„Es ist über die Klippe gestürzt, und Sie wären beinahe mit in den Abgrund gerissen worden. Mein Fahrer und ich sind gerade noch rechtzeitig vorbeigekommen und konnten behilflich sein.“

Linda erschauerte, während sie sich an den dröhnenden Widerhall erinnerte, als das Taxi aufgeschlagen war.

„Dann haben Sie uns also das Leben gerettet, senor?“

„Ich denke, ja.“

„Danke.“

„Im Land meines Vaters sagt man, dass ein Mann die Schlüssel zum Paradies bekommt, wenn er ein oder zwei Leben rettet.“

Linda vermochte nicht zu erkennen, ob ihn dies amüsierte, denn seine halb verhangenen Lider ließen keinen Schluss zu. Erneut versuchte sie, sich von ihm zu befreien. Endlich lockerte er seinen Griff, sodass sie von ihm abrücken konnte.

Sie lehnte den Kopf gegen das weiche Leder des Sitzes, und als der hämmernde Schmerz ein wenig nachließ, stellte sie endlich die Frage, die dringend nach einer Antwort verlangte, seit er ihr seinen Namen genannt hatte.

„Sind Sie mit Senora Valcarel Novalis verwandt?“

„Sie ist meine Cousine“, entgegnete er. „Und ich nehme an, dass Sie auf dem Weg zum La Granja Vista sind, weil Sie die companera ihrer Tochter werden. Ist es nicht so, Senora Layne?“

„Ja. Es war ein Glück, dass Sie die gleiche Straße genommen haben, senor.“

„Glück, oder Schicksal?“, murmelte er.

Sein Äußeres, das sowohl spanische als auch arabische Züge trug, ließ Linda vermuten, dass er das Letztere für die passende Beschreibung hielt. Die Araber nannten es Kismet. „Wollen Sie Ihre Cousine besuchen?“, fragte sie.

„Nicht unbedingt.“ Ein Anflug von trockenem Humor lag in seiner Stimme. „Mir scheint, dass Sie sich der Ausmaße des Granja nicht bewusst sind.“

„Nein“, gab sie zu und fragte sich, welche Überraschung das Schicksal heute wohl noch für sie bereithielt.

„Das Granja“, erklärte er, „ist ein Anwesen, das sich auf meinem Land befindet und in dem Dona Domaya mit ihrem Kind lebt. Als ihr Mann, ein hochgeachteter Arzt, bei den entsetzlichen Unruhen in Lateinamerika wie so viele andere ums Leben kam, habe ich für sie das Gleiche getan wie für Sie heute. Ich habe sie aus einer gefährlichen Situation befreit. Sie ist dann hierher gekommen, um auf meinem Besitztum zu leben. Sie, senorita, werden auch hier leben, wie ich gehört habe, und Pepita als britische Gefährtin Musik und Englisch beibringen.“

„So ist es, senor.“ Interessiert hatte sie zugehört, denn während des Vorstellungsgespräches mit Don Ramos war ihr nichts von alldem erzählt worden. Er hatte ihr keinen Hinweis darauf gegeben, dass Pepita und ihre Mutter aus einer schrecklichen Lebenslage gerettet worden waren. Linda wusste aus verschiedenen Zeitungsartikeln, welch schockierende Dinge sich während des Militärputsches in einigen lateinamerikanischen Ländern abgespielt hatten.

Da ihr Kopf immer noch schmerzte und sie sich benommen fühlte, schloss Linda die Augen, während ihre Gedanken zurück zu dem Treffen mit Don Ramos Gil de Torres abschweiften. Am Abend vor dem Vorstellungsgespräch in London hatte sie ihrer Tante Doris deutlich gemacht, das sie den Job annehmen würde, sollte sie dafür die passende Bewerberin sein. Jeder ihrer Pläne war bisher auf Widerstand gestoßen. Doch diesmal hatte sie ihrer Tante mit entschiedener Stimme erklärt, dass sie mit dreiundzwanzig Jahren wohl das Recht habe, ins Ausland zu gehen, wenn sie das wollte. Larry Nevins, den Sohn einer befreundeten Familie, wollte sie jedenfalls nicht heiraten. Vielmehr sehnte sie sich danach, etwas von der Welt zu sehen, und Spanien hatte sie schon immer gereizt.

Natürlich hatte es die üblichen Vorhaltungen gegeben. Linda wurde wieder einmal daran erinnert, was die Tante und der Onkel alles für sie getan hatten, seit sie nach der Scheidung ihrer Eltern im Alter von zehn Jahren zu ihnen gekommen war. Und Tante Doris hatte natürlich wie üblich betont, wie dankbar sie ihnen noch dafür sein würde, dass sie sie großgezogen und ihr die Musikausbildung am College in London ermöglicht hatten.

Auch wenn Linda begeistert an dem Unterricht teilgenommen hatte, wollte sie das Angebot, in dem bekannten Orchester mitzuspielen, nicht annehmen. Insgeheim hatte sie sich erträumt, so perfekt zu spielen, dass sie als Solistin auftreten könnte. Doch sie verfehlte um Haaresbreite die perfekte Kontrolle über das Cello. Professor Lindiscarne hatte ihr immer wieder gesagt, dass sie angespannter sei als die Saiten des Instrumentes, und dass es eigentlich umgekehrt sein sollte.

Also hatte sie das Angebot, in dem Orchester mitzuspielen, abgelehnt. Stattdessen hatte sie auf eine Anzeige geantwortet, die sie kürzlich in The Lady entdeckt hatte. Eine Frauenzeitschrift, die ihre Tante abonniert hatte. Sie hatte einen Brief an die Chiffrenummer geschickt, die in der Anzeige angegeben war. Bereits ein paar Tage später kam ein Antwortschreiben aus einem Londoner Hotel, in dem sie für den nächsten Freitag zu einem Vorstellungsgespräch gebeten wurde – zufällig Freitag der dreizehnte.

„Ich kann nur hoffen, dass du Pech hast“, meinte Tante Doris, die immer hin und her schwankte zwischen überschäumender Zuneigung und recht erschreckender Gehässigkeit. Linda hatte dieses emotionale Auf und Ab dreizehn Jahre ertragen müssen. Als sie schließlich den Brief von Senora Valcarel Novalis in der Hand hielt, betete sie darum, die Chance zu bekommen, nach Spanien gehen zu können, um dort zu arbeiten.

Nachdem der Taxifahrer sie dann am Freitag vor dem Royale Hotel abgesetzt hatte, straffte Linda sich noch einmal, ehe sie auf die großen Flügeltüren zuging, vor denen ein Portier in beige-brauner Uniform stand. Sein Blick schweifte über ihre goldblonden Haare mit dem Pony über den verblüffend honigfarbenen Augen, der leicht geschwungenen Nase und den vollen Lippen bis hin zu ihren Füßen.

Als Linda das Foyer betrat, versanken ihre Füße in dem fast knöcheltiefen Teppich. Sie gab sich den Anschein, als sei es für sie das Selbstverständlichste der Welt, eines der Hotels in Mayfair zu betreten. Doch der Mann hinter der Rezeption wusste es besser, als er ihre provinzielle Aufmachung beäugte.

„Ich bin mit Senora Valcarel Novalis verabredet“, erklärte sie ihm. „Mein Name ist Linda Layne. Ich sollte um drei Uhr hier sein.“

Der etwas feminin aussehende junge Mann warf einen Blick auf die Wanduhr, ehe er zum Telefon griff und eine Zimmernummer eingab. Während er Lindas Namen in den Hörer sagte, sah er sie weiterhin mit einem Anflug von Überlegenheit an.

„Miss Layne?“ Er hob eine Augenbraue, und Linda hätte schwören können, dass sie gezupft war. „Würden Sie bitte im Foyer warten? In Kürze wird jemand mit Ihnen Rücksprache halten.“

„Danke.“ Sie entfernte sich von der Rezeption und setzte sich in eines der tiefen Sofas mit den niedrigen Tischen aus Rauchglas davor. Ihre Beine zitterten genauso, als würde sie vor dem Prüfungsausschuss am College stehen, um ein Musikstück vorzuspielen. Sie war pünktlich im Hotel gewesen und hatte erwartet, dass man sie gleich zum Vorstellungsgespräch bitten würde. Doch als sie erneut auf die Uhr sah, war es bereits zwanzig nach drei. Ob die senora sich wohl schon für eine andere Bewerberin entschieden hatte?

Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte sich ihr neues Leben in Spanien schon in den buntesten Farben ausgemalt, die nun immer mehr verblassten. Es war dumm von ihr gewesen anzunehmen, dass sie die einzige Bewerberin sei … Plötzlich stutzte sie, als sie einen sehr selbstbewusst aussehenden Mann bemerkte, der sich der Rezeption näherte. Er blieb einen Augenblick stehen, um mit dem Angestellten zu sprechen, der dann in ihre Richtung deutete.

Der Mann war in jeder Hinsicht bemerkenswert, und Linda wurde bewusst, dass sie ihn erstaunt betrachtete, als er zu dem Sofa trat, auf dem sie saß. Er trug einen sehr eleganten, perfekt geschnittenen Anzug, der die geschmeidigen Linien seines Körpers ausgezeichnet zur Geltung brachte. Er sah nicht nur aus wie ein Matador, sondern bewegte sich auch so, nur dass ihm das rote Tuch fehlte.

„Sind Sie Senorita Layne?“ Er war vor Linda stehen geblieben.

„J…ja.“ Sie hatte das Gefühl, aufstehen zu müssen, doch das tiefe Sofa hielt sie gefangen wie Treibsand. Als sie es trotzdem versuchte, glitt die Handtasche von ihrem Schoß, und sie kam sich überaus ungeschickt vor, als er sich bückte und die Tasche für sie aufhob.

„Kein Grund, nervös zu sein.“ Er sprach Englisch mit einem leichten spanischen Akzent. Er legte die Tasche zurück in ihren Schoß und setzte sich neben sie. „Meine Schwester ist leider indisponiert. Deshalb bin ich an ihrer Stelle gekommen, um das Vorstellungsgespräch mit Ihnen zu führen. Ich bin Don Ramos Gil de Torres. Und Sie sind die junge Engländerin aus Essex, die Domaya so einen gescheiten Brief geschrieben hat.“

Dass er das Wort „gescheit“ mit einem seltsamen Anflug von Spott in der Stimme belegt hatte, mahnte Linda, sich zusammenzunehmen. Auch wenn sie einen gescheiten Brief geschrieben hatte, ließ ihre Tölpelhaftigkeit doch die Haltung vermissen, die eine spanische Familie von einer Gesellschafterin verlangte.

„In Ihrem Brief haben Sie erwähnt, Senorita Layne, dass Sie als companera noch keinerlei Erfahrung haben. Was hat Sie denn plötzlich dazu bewogen, eine solche Anstellung anzustreben?“

Obwohl seine Stimme tief und verführerisch klang, schwang trotzdem ein Hauch von Sarkasmus darin mit. Linda fühlte sich gezwungen, ihn anzusehen und merkte, dass sein sinnlich-verhangener Blick an ihren Lippen hing.

„Ich fand die Vorstellung sehr reizvoll“, entgegnete sie, „und ich würde es gerne versuchen.“

„Dann erlauben Sie mir, Ihnen mitzuteilen, senorita, dass meine Schwester sehr beeindruckt war von Ihrem Brief. Sie teilte mir mit, dass ich Ihnen die Stelle anbieten soll, wenn Ihr Verhalten dementsprechend sei.“

Linda bezwang ihre Aufregung und betrachtete ihn mit ernstem Blick „Und wie haben Sie sich entschieden, senor?“

„Sie sprechen recht gut Spanisch“, erwiderte er. „Sie sind hübsch gekleidet, und an Ihren Haaren und Fingernägeln ist nichts zu beanstanden – was will eine Mutter mehr von einer Gesellschafterin für ihre Tochter, die sie abgöttisch liebt?“

„Wollen Sie damit sagen, dass ich engagiert bin, senor?“ Linda spürte ein Flattern, als hätte ihr Herz plötzlich Flügel bekommen.

„Ja, Sie können sich als engagiert betrachten, senorita.“

„Könnten Sie mir auch sagen, wann ich anfangen soll?“

„Die Details werde ich Ihnen bei Kaffee und Kuchen mitteilen.“ Er erhob sich und hielt ihr die Hand hin, um ihr von dem Sofa aufzuhelfen. „Kommen Sie. Wir gehen in die Lounge. Dort werden in ein paar Minuten die Nachmittagserfrischungen serviert.“ Eine Stunde später verließ Linda benommen vor Glück das Hotel. Und während ihr Zug durch Essex fuhr, konnte sie nur an eines denken: Linda Layne, du fliegst nach Spanien.“

Dort würde sie auch Don Ramos wiedersehen, dessen Erscheinung sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte. Ein Mann, der eine Frau verletzen konnte und dennoch jeden Herzschmerz wert war.

Linda riss sich aus ihren Erinnerungen. Als sie die Augen öffnete, begegnete sie dem Blick des Mannes, der ihr vor Kurzem erst das Leben gerettet hatte. Jetzt, da sie wieder voll bei Bewusstsein war, sah sie, dass er wie ein Araber aussah – mit dichten Augenbrauen über schräg stehenden, fast schwarzen Augen, den ausgeprägten Wangenknochen und unverschämt sinnlichen Lippen. Er verströmte eine Aura rücksichtsloser Autorität, die auch durch den modernen Schnitt seines Anzugs nicht abgemildert wurde. Seine Ähnlichkeit mit dem attraktiven Don Ramos verlor sich, als er nachdenklich ihre schlanke Figur betrachtete, während sie kraftlos und immer noch ein wenig schockiert neben ihm auf dem weichen Lederrücksitz saß.

„Für eine Gesellschafterin scheinen Sie noch sehr jung zu sein“, sagte er unvermittelt. „Als ich noch ein Junge war, waren die companeras in unserem Haushalt immer plumpe Frauen jenseits der vierzig, die entweder zu laut waren oder sich ausgenutzt fühlten. Aber die Zeiten haben sich wohl geändert, nicht wahr?“

„Ja“, stimmte sie zu und war verunsichert, weil dieser Mann sie an schwarze Zelte in der sengenden Wüste erinnerte. Eigentlich müsste er einen Kaftan tragen, der ihn von Kopf bis zu seinen Stiefeln einhüllen würde. Ihr wurde bewusst, dass sich nur wenige Stunden Flug zwischen der ländlichen Idylle zu Hause und dem Land befanden, das zugleich mystisch und grausam war. In dem die Höflichkeit eines Mannes den Frauen gegenüber das Verhältnis von Herr und Sklave verschleiern konnte.

Instinktiv wollte sie so viel Abstand wie möglich zu diesem Mann gewinnen. Er hatte ihr zwar das Leben gerettet, doch in seinem Blick lag etwas Berechnendes, als glaubte er, sie sei ihm einen Gefallen schuldig für das, was er für sie getan hatte.

Verstohlen sah sie ihn von der Seite an. Seine ganze Haltung verströmte eine Aura von Macht. Er warf einen Blick auf das goldene Ziffernblatt seiner Uhr, deren dunkles Lederband sich von der blütenweißen Manschette seines Hemdes abhob. „In ein paar Minuten erreichen wir die Eingangstore zum castillo, senorita. Auch wenn man berücksichtigt, dass Sie eben eine schockierende Erfahrung gemacht haben, habe ich das Gefühl, dass mein Cousin Ramos über gewisse Details hinweggegangen ist und Sie in dem Glauben ließ, in ein gemütliches Heim zu kommen.“

Abrupt beugte er sich zu Linda. Ein starker Duft nach Tabak und ein Hauch von Seife wehten ihr in die Nase. Obwohl dunkel, hatte seine Haut einen goldbraunen Ton, gegen die sich seine weißen Zähne blendend abhoben.

„Mich hat er wohl mit keiner Silbe erwähnt, nicht wahr?“

Ihr Herz schien schmerzhaft gegen ihr Brustbein zu schlagen, während sie merkte, dass sie sich gegen den Ledersitz presste. Erneut wurde ihr schwindlig. Er musste ihr die Qual wohl angesehen haben, denn sein Blick wanderte zu ihrer verletzten Augenbraue. „Sie hatten nicht gerade eine gesegnete Ankunft in Spanien. Ich kann nur hoffen, dass weder ich noch das Unglück mit dem Taxi

Sie Ihren Entschluss bereuen lassen, hierher gekommen zu sein.“

„Nein“, erklärte sie, „obwohl ich mein Gepäck verloren habe.“

„Nun, in den Augen einer Frau ist das natürlich eine Katastrophe.“ Ein seltsames Funkeln lag in seinem Blick. „Vermutlich glauben Sie, dass Sie im hintersten Winkel von Spanien gelandet sind und überlegen nun, wo Sie eine Zahnbürste, einen Lippenstift und Kleider zum Wechseln herbekommen. Stimmt’s?“

„Ja.“ Sie spürte die Verzweiflung, wenn sie daran dachte, dass ihre Habseligkeiten in den Trümmern des Taxis lagen. Von ihren Ersparnissen hatte sie sich leichte, luftige Kleidung gekauft, passend für das südliche Klima. Jetzt waren sie ruiniert, bevor sie überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, auch nur eines der Kleider anzuziehen. Tränen brannten in ihren Augen, als sie daran dachte, dass die Worte ihrer Tante, sie würde den größten Fehler ihres Lebens begehen, sich bewahrheiten könnten.

„Du wirst noch an meine Worte denken“, hatte Tante Doris gesagt. „Eines Tages wirst du Hals über Kopf dieses Land der Barbaren verlassen und reumütig nach Hause zurückkehren. Diese Menschen sind doch nicht besser als die Römer, die dabei zugesehen haben, wie den Christen von den Löwen sämtliche Glieder einzeln ausgerissen wurden.“

„Tränen?“ Ein Daumen strich über ihre Haut, als Karim el Khalid eine Träne von ihrer Wange wischte. „Ich hätte Sie nicht für eine junge Frau gehalten, der Besitztümer so viel bedeuten.“

Seine Berührung hinterließ nicht das gleiche erregende Gefühl wie die von Don Ramos. Vielmehr verspürte sie nun eine seltsame Angst.

„Ich besitze nicht so viel, dass ich mir erlauben könnte, es zu verlieren“, gab sie zurück. „Sie leben in einem Kastell und fahren in einem luxuriösen Wagen. Also werden Sie kaum verstehen können, was es bedeutet, dass all meine neuen Kleider, die ich von meinen Ersparnissen gekauft habe, ruiniert sind. Vermutlich haben Sie keine Ahnung, wie es ist, von einem Gehalt abhängig zu sein. Ich denke, der Anzug, den Sie tragen, hat mehr gekostet als all meine Kleider zusammen, die ich verloren habe.“

„Vermutlich haben Sie recht, senorita Layne.“ Er rückte von ihr ab, und sie glaubte, um seinen dunkel verschatteten Mund einen Anflug von Grausamkeit zu entdecken. „Die Garderobe wird Ihnen ersetzt. Dona Domaya fährt sicher in nächster Zeit mal nach San Lopez. In der Zwischenzeit wird es Ihnen an nichts mangeln, was Sie dringend benötigen. Zu Zeiten der Militärdiktatur in Lateinamerika war mein castillo ein Zufluchtsort für die Menschen, die nichts mehr hatten außer ihr nacktes Leben. Im castillo gibt es daher genügend Kleidung, und ich bin sicher, dass Adoracion etwas Passendes für Sie finden wird.“

„Danke, senor.“ Linda hatte sich schon beinahe willenlos darin ergeben, dass dieser Mann die Verantwortung für sie übernahm. Sie stellte sich vor, mit einem Sammelsurium verschiedener Kleider ausgestattet zu werden und überlegte, wer Adoracion wohl sein mochte. Ein wunderschöner spanischer Name, der vermutlich seiner Ehefrau gehörte.

Unter verhangenen Lidern betrachtete sie sein Profil. Bei näherem Hinsehen schien er mehr einem Araber als einem Spanier zu ähneln. Vielleicht kam er nach seinem Vater, auch wenn er sich entschieden hatte, in Spanien zu leben.

Für sie sah er aus wie ein Mann, der die Gefahr liebte. Wie Linda jetzt bewusst wurde, hatte er genau das bewiesen, als er sie aus dem Taxi gezogen hatte, das wenige Augenblicke später die Klippen hinabgestürzt war. Als sie daran dachte, welchem Schicksal sie in letzter Sekunde entronnen war, wurde ihr fast übel. Denn eine ärgerliche kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr zu, dass sie Karim el Khalid nun verpflichtet war. Und er sah so aus, als ob er seine Schulden einfordern würde.

Er war ganz anders als alle Männer, die sie je in ihrem Leben getroffen hatte.

„Wir sind da.“ Er deutete mit einer dunklen Hand nach draußen, als sie das große, schmiedeeiserne Tor passierten, das in einen riesengroßen Vorhof führte. Hinter einem großen Springbrunnen schimmerte hell das hoch aufragende Kastell in der Sonne.

2. KAPITEL

Fasziniert sah Linda zu dem Kastell, das sich mit seinen unterschiedlich hohen Dächern und Türmen gegen den Himmel abhob. Sie hatte noch nie etwas so Romantisches gesehen.

Es war ein wundervoller Anblick aus honiggelbem, massivem Stein, der an frühere Zeiten erinnerte. Die runden Turmmauern strahlten Schönheit und Kraft aus, und die geschwungene Brücke, die zum Kastell führte, schien eher für Reiter denn eine Limousine gemacht zu sein.

Autor

Violet Winspear

Violet Winspear wurde am 28.04.1928 in England geboren. 1961 veröffentliche sie ihren ersten Roman „Lucifer`s Angel“ bei Mills & Boon. Sie beschreibt ihre Helden so: Sie sind hager und muskulös, Außenseiter, bitter und hartherzig, wild, zynisch und Single. Natürlich sind sie auch reich. Aber vor allem haben sie eine große...

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