Multimillionäre - zwischen Reichtum und Leidenschaft 2

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NUR DIESE EINE NACHT DER SÜNDE?

Der argentinische Multimillionär Alejandro du Crozier liebt die Frauen - und seine Freiheit! Als er wegen einer Autopanne mit der entzückenden Lulu in einem Hotel in den Highlands übernachten muss, kann er sich ihren sinnlichen Reizen nicht entziehen. Aber er sagt ihr gleich: Mehr als diese eine Nacht der Leidenschaft kann sie von ihm nicht erwarten! Doch schon kurz darauf muss er sich fragen, ob Lulu ihn in eine Falle gelockt hat. Denn ihr heißes Liebespiel hat unerwartet schockierende Folgen für ihn …

KÜSSE, SÜßER ALS RACHE

"Hallo Grace!" Zwei Worte genügen, um ein Prickeln durch Graces Körper zu jagen und sie herumwirbeln zu lassen. Seth Mason! Sie hätte seine Stimme unter tausenden erkannt. Wie oft hat er sie in ihren Träumen verfolgt, seit jener wunderbaren Liebesnacht vor acht Jahren? Jetzt ist aus dem armen Jungen von damals ein attraktiver Multimillionär geworden, der sie mehr denn je fasziniert. Doch so verlockend seine Küsse schmecken, sollte Grace doch auf der Hut sein. Denn Seth hat ihr nie verziehen, dass sie ihm den Laufpass gab. Und er scheint nur eins zu wollen: Rache!

EIN KARIBISCHER TRAUM

Lizzys Hochzeitsreise mit Luciano könnte schöner nicht sein: Der heißblütige
italienische Multimillionär lässt sie in der Karibik den Himmel auf Erden
erleben! Nur auf die magischen drei Worte hofft sie leider vergebens. Lizzy
begreift, dass Luciano etwas vor ihr verbirgt …

HERZ AUS EIS

Unwiderstehlich - und unmöglich! Kristian ist der schwierigste Patient, den Elizabeth jemals hatte. Nach einem Helikopter-Unfall hat sich der arrogante griechische Multimillionär auf sein luxuriöses Anwesen zurückgezogen und lehnt jede Hilfe ab, besonders von einer Frau! Nach und nach gelingt es Elizabeth jedoch, die Mauer um Kristians Herz niederzureißen, hinter der das Feuer der Leidenschaft verzehrend lodert. Aber kaum hat sie eine berauschende Liebesnacht in seinen Armen erlebt, bedroht eine schicksalhafte Begegnung ihr junges Glück ...

MEHR ALS NUR EINE NACHT

Valentinas ganz persönlicher Glückstag: Ausgerechnet an einem Freitag den 13. tritt der gut aussehender Multimillionär Richard Anderson in ihr Leben. Mit seinem unwiderstehlichen Charme erobert er ihr Herz im Sturm. Verliebt wie noch nie, verbringt sie mit ihm das Wochenende auf seinem feudalen Anwesen vor den Toren Londons. Und als er ihr nach nur einer Nacht einen Heiratsantrag macht, fühlt sie sich wie im siebten Himmel. Bis sie den wahren Grund für Richards Eile erfährt: Nicht aus Liebe will er sie heiraten, sondern aus purer Berechnung!

TRAUMMANN AUF RATEN

Seit zwei Jahren hat Joanna ihren Mann Gabriel nicht mehr gesehen. Mit achtzehn - himmelhochjauchzend verliebt - hatte sie den Multimillionär geheiratet - mit zwanzig blieb sie allein auf dem Familiensitz Westroe Manor zurück! Gabriel konnte keine Gefühle zeigen - jede zärtliche Berührung ließ ihn erstarren. Und heute? Joanna bekommt eine unerwartete Chance, herauszufinden, ob ihre heimliche Sehnsucht doch noch Erfüllung finden kann. Ihr Schwiegervater hinterlässt ein überraschendes Testament! Sie und Gabriel müssen zusammen ein Jahr lang auf Westroe Manor leben - erst dann können sie das Erbe antreten. Sollte der alte Herr geahnt haben, dass Joanna ihren Mann noch immer liebt?


  • Erscheinungstag 20.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734374
  • Seitenanzahl 912
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Lucy Ellis, Elizabeth Power, Michelle Reid, Jane Porter, Lee Wilkinson, Sara Craven

Multimillionäre - zwischen Reichtum und Leidenschaft 2

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Lucy Ellis
Originaltitel: „Kept at the Argentine’s Command“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2274 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Julia Hummelt

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708221

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Alejandro bemerkte sie beim Boarding. Sie war mit Abstand das entzückendste Geschöpf weit und breit – ein strahlend heller Lichtblick an einem trüben Tag.

Die langen, schlanken Beine übereinandergeschlagen, den Kopf gesenkt, schien sie ganz in ihr Magazin vertieft zu sein. Die glänzenden blauschwarzen Locken fielen ihr verspielt ins Gesicht. Mit ihrem raffiniert geschnittenen Pagenschnitt und der femininen Kleidung, die an die 30er-Jahre erinnerte, erschien sie wie eine Grand Dame aus einer längst vergessenen Zeit.

Als er durch den schmalen Gang zu seinem Sitz ging, sah sie auf, und ihre Blicke trafen sich.

Ihre frechen Locken umrahmten ein auffallend zartes Gesicht mit schmaler leicht gebogener Nase, großen dunklen Augen und einem Mund, der ihn an die rosarote Knospe einer Rose denken ließ. Ihm entging nicht, wie ihre Augen sich weiteten. Doch der Ausdruck darin hatte nichts Wohlwollendes. Fast wirkte sie panisch, als sie den Blick hastig wieder abwandte. Wie eines seiner Fohlen zuhause auf der Ranch, das herumwirbelte, um sich die Aufmerksamkeit zu sichern und verschreckt zur Seite hüpfte, sobald man sich ihm näherte.

Schüchterne Frauen waren kein Problem für ihn – damit konnte er umgehen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sie erneut zu ihm aufsah. Ein wenig mutiger dieses Mal. Ihre Mundwinkel zuckten, und ihr verführerischer rosiger Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln.

Unwillkürlich erwiderte er es. Es fiel ihm schwer. Er hatte schon so lange nicht mehr gelächelt, dass er völlig aus der Übung war.

Mit hochroten Wangen wandte sie sich sichtlich nervös wieder ihrem Magazin zu.

Alejandro war fasziniert.

Kaum, dass er zu seinem Sitz zurückgekehrt war, winkte sie einer Stewardess. Belustigt beobachtete er während der nächsten zwanzig Minuten, wie seine braunäugige Schönheit die Kabinenbesatzung auf Trab hielt. Ein Glas Wasser, ein Kissen, eine Decke … Als sie jedoch begann, hysterisch auf die inzwischen verärgert wirkende Stewardess einzureden, war es vorbei mit seiner heimlichen Schwärmerei für die junge Frau.

„Nein, ich kann mich wirklich nicht bewegen!“ Ihre Stimme klang schrill und fordernd, auch wenn ein unvergleichlich erotischer französischer Akzent in ihr mitschwang.

Als die aufgebrachte Flugbegleiterin den Gang entlangeilte, beugte er sich vor, um sich zu erkundigen, ob es ein Problem gäbe.

„Ein älterer Herr schafft den weiten Weg zum WC nicht, Sir“, erklärte sie. „Wir versuchen gerade, einen neuen Platz für ihn zu finden.“

Sie vermied es, die arrogante Dunkelhaarige zu erwähnen, obwohl man sie kaum ignorieren konnte.

Ohne zu zögern griff Alejandro nach seinem Jackett und erhob sich, um sein Handgepäck aus dem Gepäckfach über ihm zu nehmen.

„Er kann meinen haben“, bot er an und schenkte der Stewardess ein Lächeln, das ihr das Blut in die Wangen steigen ließ.

Nachdem er es sich auf seinem neuen Sitzplatz bequem gemacht hatte, vertiefte er sich wieder in seinen Tablet-PC und verdrängte die dunkelhaarige Schönheit aus seinen Gedanken.

Die morgendlichen Nachrichtenmeldungen trugen nicht gerade zur Vorfreude auf sein Reiseziel bei. Wenn einer der reichsten russischen Oligarchen mit einem schillernden Showgirl mit knallroten Haaren in einem schottischen Schloss den heiligen Bund der Ehe einging, war das zweifellos eine Meldung wert. Und vom Bräutigam höchstpersönlich hatte er erfahren, dass die Presse sich bereits vor Ort aufgebaut habe, um mit ihren Teleobjektiven heißbegehrte Schnappschüsse von den hochkarätigen Gästen zu ergattern.

Da er selbst zur Prominenz gehörte und den Rummel um seine Person nicht nötig hatte, ja sogar verabscheute, hatte er beschlossen, auf konventionellem Wege anzureisen. Was bedeutete, dass er Economy flog und bereits einen Tag vorher anreiste, um die vierstündige Autofahrt durch die malerische Landschaft ein wenig genießen zu können. Mit einem unauffälligen Wagen würde er bei der Ankunft auf Dunlosie jegliche Aufmerksamkeit vermeiden.

Der bevorstehende Hochzeitstrubel behagte ihm dennoch nicht. Es würde ein anstrengendes Wochenende werden.

Ungeduldig schob Alejandro sein Tablet beiseite und erhob sich aus seinem Sitz, der viel zu schmal für seinen breitschultrigen Oberkörper war. Er hatte noch nie lange stillsitzen können.

In diesem Moment vernahm er von der Seite ein dezentes Hüsteln und sah sich um.

Es war seine dunkelhaarige Schönheit.

Sie war bereits mehrfach an seiner Sitzreihe vorbei den Gang hinaufgelaufen. Entweder hatte sie ein Blasenproblem oder sie suchte seine Aufmerksamkeit.

Er warf ihr einen kühlen Blick zu. Offenbar ahnte sie nicht, dass sie es sich längst mit ihm verscherzt hatte.

Mit jedem Mal, das sie an ihm vorbeigelaufen war, waren ihm ihre Schritte unsicherer erschienen. Vermutlich war sie ein wenig betrunken.

Außerdem wirkte sie ungewöhnlich groß für eine Frau. Ein Blick nach unten auf ihr Schuhwerk ließ ihn schmunzeln: Ihre Füße steckten in fast lächerlich hohen türkisfarbenen Stilettos. Was ihre Schönheit noch hervorhob, wie er sich eingestehen musste.

„Pardon, monsieur“, nuschelte sie. Sie hatte definitiv getrunken.

Unbeeindruckt erwiderte er ihren verlegenen Blick. „Vielleicht sollten Sie ein bisschen kürzer treten mit dem Sekt, Señorita. Sie würden uns allen damit einen Gefallen tun.“

Irritiert zwinkerte sie mit den Augen. „Pardonnez-moi?“

„Sie haben mich schon verstanden.“

Für einen kurzen Augenblick schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben. Dann hob sie trotzig den Kopf und stampfte mit dem Fuß auf.

Alejandro musste sich beherrschen, um nicht laut aufzulachen.

„Warum machen Sie nicht einfach Platz, statt harmlose Leute zu beleidigen?“, zischte sie ihn an. Ihr französischer Akzent vermischte sich auf höchst wohlklingende Weise mit ihrem Englisch. Was sie umso attraktiver wirken ließ.

Ungehemmt ließ er seinen Blick über ihre glänzenden Locken bis hinab zu ihren Schuhspitzen gleiten. Und blieb schließlich an ihren perfekt verteilten weiblichen Kurven hängen …

Sie wich zurück, doch er ließ sie nicht ungeschoren davonkommen.

„Sie haben ganz schön hohe Ansprüche, Chica, nicht wahr?“, zog er sie auf.

„Wie bitte?“

„In der Ersten Klasse sitzen heute vierzehn Passagiere“, erklärte er. „Sie führen sich hier auf, als ob ein Schriftzug mit Ihrem Namen auf dem Flieger prangt. Die Flugbegleiterinnen sind nicht Ihre persönlichen Sklaven. Wie wär’s, wenn Sie uns allen mal eine kleine Verschnaufpause gönnen?“

Unangenehm berührt schlug sie die Augen nieder. „Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden“, murmelte sie. „Und jetzt machen Sie bitte den Weg frei!“

Darauf hatte er gewartet. „Nur wenn Sie mich dazu bringen!“

Entgeistert starrte sie ihn an.

Seine Reaktion überraschte ihn selbst. Normalerweise behandelte er Frauen mit Respekt. Auch zickige Mädchen, die erst noch erwachsen werden mussten.

Eine Sekunde lang glaubte er, ihre großen braunen Augen würden sich mit Tränen füllen. Irgendetwas ging in ihr vor, er wusste nur nicht, was.

Darum ergab er sich und ließ sie passieren.

Zumindest so weit, dass sie gerade so an ihm vorbeikam.

Mit einem verächtlichen Schnaufen, das sehr französisch klang, stakste sie hoch erhobenen Hauptes zurück zu ihrem Sitz.

Es dauerte nicht lange, und er hörte sie erneut zetern. Um ihn herum reckten die Passagiere die Köpfe, um zu sehen, was passiert war. So wie es aussah, war ihr das Tablett mit dem Essen auf den Boden gefallen. Der schnell herbeigeeilte Steward, der sich bemühte, das Chaos zu beseitigen, ohne dabei viel Aufsehen zu erregen, tat ihm leid.

Mit einem Seufzen ließ Alejandro sich zurück in seinen Sitz sinken und warf einen Blick auf sein Handy. Er hatte genug von dieser Frau.

Es war eine Nachricht vom Bräutigam eingegangen.

Planänderung. Tu mir einen Gefallen und nimm eine Brautjungfer mit. Ihr Name ist Lulu Lachaille. Sie kommt mit Flug Nr. 338 an Gate 4 an. Wertvolle Fracht! Wenn du ohne sie auftauchst, bringt Gigi mich um und lässt die Hochzeit platzen.

Am liebsten hätte Alejandro seinem Freund eine Absage erteilt. Wie sehr hatte er sich auf die Fahrt durch die grüne Landschaft Schottlands gefreut. Nun würde er die vier Stunden vermutlich mit irgendeiner nervtötenden kleinen Brautjungfer im Auto sitzen.

Wenigstens war die Gästeliste gespickt mit langbeinigen Showgirls. Vielleicht würde er sich bei der Hochzeitsfeier doch nicht langweilen.

Dios.

Gerade hatte er einen weiteren Blick den Gang hinauf riskiert, da sah er, dass seine französische Mademoiselle sich ebenfalls suchend umsah. In ihrem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck von Hoffnung und Verzweiflung zugleich. Unvermittelt musste er an eine in Not geratene Prinzessin aus einem Zeichentrickfilm denken.

Dann fiel ihr Blick auf ihn, und ihr Gesicht verdunkelte sich.

Kopfschüttelnd beobachtete er, wie eine Stewardess ihr ein Tablett mit einem Glas Wasser reichte und etwas, das aussah wie eine Tablette.

Jetzt hatte sie wohl auch noch Kopfschmerzen? Das wurde ja immer besser.

Mit ungutem Gefühl öffnete er den Anhang, den Khaled ihm geschickt hatte. Ein Teil von ihm ahnte bereits, was ihn erwartete.

Als er das Bild sah, wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Eine dunkelhaarige junge Frau sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck vom Bildschirm an.

Sie war unglaublich attraktiv.

Es gab nur ein Problem – missmutig warf er einen weiteren Blick in den Gang – die Frau auf dem Foto war sie.

2. KAPITEL

Nur wenn Sie mich dazu bringen!

Innerlich schäumte Lulu noch immer vor Wut, als sie über die Fluggastbrücke in das Flughafengebäude lief. Sie war kurz davor, den Vorfall der Fluggesellschaft zu melden.

Frauen sollten ein Recht darauf haben, sicher zu fliegen. Ohne von Wüstlingen belästigt zu werden, die einem Moralpredigten hielten.

Ihr war bewusst, dass sie selbst nicht ganz unschuldig an der Situation war. Offenbar hielt er nicht viel von ihr, da er mitbekommen hatte, dass sie ihren Sitzplatz für den älteren Herrn nicht hatte freimachen wollen.

Lulus Herz wurde schwer.

Sie hatte die Blicke der anderen Passagiere gesehen und wusste, sie dachten alle das Gleiche. Aber was hätte sie tun sollen?

Das Kabinenpersonal war über ihre Krankheit unterrichtet worden und hatte sich sehr bemüht, ihr den Flug so angenehm wie möglich zu machen. Nur eine der Stewardessen war offensichtlich nicht informiert worden. Und als sie sie gebeten hatte, den Platz zu wechseln, hatte Lulu sich mit einem Mal nicht mehr bewegen können. Sie war so erleichtert gewesen, endlich zu sitzen und ihre Sachen verstaut zu haben, dass die Bitte der Stewardess sie vollkommen überfordert hatte.

Als sie endlich an der Gepäckausgabe angelangt war, fühlte sie sich erbärmlich. Wer weigerte sich schon, einem gebrechlichen alten Mann zu helfen?

Vielleicht hätte sie sich den Rat ihrer Mutter zu Herzen nehmen und jemanden mitnehmen sollen, der sie auf ihrer Reise begleitete. Dann wäre das alles nicht passiert.

Aber wie sollte sie jemals lernen, ein eigenständiges Leben zu führen, wenn sie keinen Schritt allein machte? Sie war eine erwachsene Frau, keine Invalidin! Es steckte mehr in ihr als das, was sie heute gezeigt hatte. Instinktiv richtete sie sich auf. Sie würde sich in Zukunft mehr anstrengen.

Vor sechs Monaten hatte sie fast die Freundschaft zu ihrer besten Freundin zerstört, seitdem hatte sie hart an sich gearbeitet.

Sie hatte sich einen besseren Therapeuten gesucht als den, den ihre Eltern für sie ausgewählt hatten, und eine ordentliche Diagnose stellen lassen. Zumindest wusste sie jetzt, dass ihr eigenartiges Verhalten in Bezug auf Gigi auf Verlustangst zurückzuführen war – eines der Symptome ihrer Krankheit.

Doch es wäre nur allzu einfach, ihr Verhalten mit dieser Krankheit zu entschuldigen und Gigi anzulügen, nur damit ihre Freundin ihr verzieh und sie sich wieder sicherer fühlte. Um ihr anschließend das neue Liebesglück zu vermiesen. Wer tat seiner besten Freundin so etwas an?

Doch nur ein völlig verzweifelter, psychisch labiler Mensch. Das wollte sie nicht mehr sein.

Darum war sie nun dabei, ihr Leben von Grund auf umzukrempeln.

Vor ein paar Tagen hatte sie sich für einen Kurs in Kostümdesign angemeldet. Es musste doch noch ein anderes Leben als die tagtägliche Arbeit im Kabarett für sie geben.

Ihre Entscheidung hatte ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben, diese Flugreise alleine zu bewältigen.

Was sie bei all ihren Vorbereitungen nicht einkalkuliert hatte, war die Begegnung mit einem großen dunklen Macho-Typen, der sie auf dem Rückweg vom WC einkesselte, wo sie fast ihren gesamten Mageninhalt entleert hatte.

Er hatte sie angesehen, als ob etwas nicht stimmte mit ihr. Als sei sie defekt. Dabei hatte sie gerade eine monatelange Therapie hinter sich, um genau solche Gedanken wie diese endlich aus ihrem Kopf herauszubekommen.

Lulu bemerkte, wie ihre Hand zitterte, als sie dem freundlichen Flughafenangestellten, der ihr seine Hilfe mit dem Gepäck angeboten hatte, zeigte, welcher ihr Koffer war.

Warum war dieser Grobian aus dem Flugzeug nicht genauso hilfsbereit gewesen? Stattdessen hatte er sie sogar beschimpft. Und das, wo sie den gesamten Flug über so gelitten hatte. Immer wieder hatte sie sich in der Toilette übergeben müssen. Bis ihr Magen komplett leer war.

Vergiss ihn einfach, rief sie sich energisch zurecht. Wahrscheinlich hat er dich schon längst aus seinem Gedächtnis gelöscht.

Als sie endlich mit ihrem Trolley in der Ankunftshalle ankam, fühlte sie sich ziemlich matt. Sie war froh, wenn sie endlich Susie und Trixie in die Arme schließen konnte, die beiden anderen Brautjungfern.

Jetzt in diesem Moment lagen Lulus Nerven blank. Für weitere Herausforderungen war sie nicht gewappnet. Sie wollte nur noch in Ruhe ankommen, und das ohne erneute Zwischenfälle.

Gerade wollte sie ihren Freundinnen texten, da strömte eine Gruppe Reisender auf sie zu, und sie stieß rücklings gegen einen warmen harten Körper. Einen unglaublich harten Körper. Definitiv maskulin, wenn man von seiner Größe und dem Gewicht seiner starken Hände ausging, die auf ihren Schultern ruhten, um sie vor einem Sturz zu bewahren.

Dann sprach er einige Worte, und Lulu erstarrte.

Sie kannte die Stimme.

Dieu! Es war der Machotyp aus dem Flugzeug.

Lauf so schnell du kannst!

Doch ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Sie war so verletzlich. Sie hatte diesem Mann nichts entgegenzusetzen. Auch wenn sie wusste, dass er ihr nichts antun durfte. Das Gesetz schützte sie schließlich. Aber sie hasste dieses Gefühl. Es strengte sie an, immer stark sein zu müssen.

Umso mehr verwunderte es sie, warum sie ihren Blick nicht von seinem sinnlichen Mund abwenden konnte. Fasziniert starrte sie auf den leichten Schatten um sein Kinn herum, dort, wo er sich am Morgen sicher rasiert hatte. Er war wirklich ein sehr maskuliner Typ.

Doch Lulu ermahnte sich, dass sie maskuline Männer im Grunde hasste. Es gefiel ihr nicht, wie rücksichtslos sie sich durchboxten im Leben und sich durch bloße Einschüchterung Dinge erlauben konnten, die Frauen sich nicht leisten durften. Diese Männer machten sie nervös. Wobei dieser Mann sie nicht unbedingt nervös machte – es war etwas anderes.

Und dieses andere machte ihr zu schaffen. Obwohl sie wusste, was für ein Tyrann er war. Aber er war mehr als das. Er war auch wunderbar groß gewachsen und breitschultrig und hatte ein unglaublich hübsches Gesicht. Die markanten Wangenknochen, die verführerischen Lippen und die goldbraunen Augen wirkten geradezu magnetisch im Zusammenspiel mit seiner olivfarbenen gebräunten Haut.

Sein leicht zerzaustes kastanienbraunes Haar sah so füllig und seidig aus, dass es ihr direkt in den Fingern juckte, es zu berühren. Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten.

Sie mochte ihn nicht. Und er schaute sie an, als ob er sie ebenso wenig mochte.

Das war gut. Dann ging es zumindest beiden so. Was das nicht mögen anging.

Auch wenn er ein wenig Gary Cooper ähnelte, als dieser noch am Beginn seiner Karriere gestanden und mit jedem Filmsternchen geschlafen hatte, dessen er habhaft werden konnte.

Nicht so wie Gregory Peck. Gregory Peck war einer von den Guten. Vernünftig und mit anständigen Manieren. Der hätte niemals eine Frau beleidigt.

Jetzt hör schon auf, ihn so anzustarren und mit Filmstars aus Hollywood zu vergleichen.

„Buenas tardes, Señorita“, sagte er mit einer Stimme, die klang, als machte er ihr gerade ein unmoralisches Angebot. „Ich nehme an, Sie suchen nach mir.“

Lulu unterdrückte das aufkeimende Gefühl von Erregung, die seine tiefe Stimme in Verbindung mit dem spanischen Akzent in ihr auslöste.

Nein. Nein. Und nochmals nein. Sie würde es nicht zulassen, dass sie seiner Anziehungskraft erlag.

Instinktiv machte sie sich größer als sie war. „Nein. Ganz sicher nicht.“

Alejandro zwang sich, der Versuchung zu widerstehen und sich einfach umzudrehen und zu gehen. Damit die kleine Princesita auf die harte Tour erfuhr, dass er gar nicht vorhatte, sie anzugraben. Aber schließlich hatte er seinem Freund versprochen, ihm einen Gefallen zu tun, und das bedeutete, dass er sich zusammenreißen musste.

„Alejandro du Crozier“, erklärte er und reichte ihr die Hand.

Lulu blickte auf seine Hand, als ob er in diesem Moment eine Waffe auf sie richtete.

„Bitte lassen Sie mich in Ruhe“, entgegnete sie einen Tick zu aggressiv und wandte sich demonstrativ von ihm ab.

„Ich wollte nicht mit Ihnen flirten, Señorita“, verteidigte er sich und war selbst überrascht, wie ruhig er blieb.

Sie reagierte nicht.

„Sie haben mich wohl nicht verstanden, Lulu“, fuhr er fort.

Der Klang ihres Namens erzielte den Effekt, den er beabsichtigt hatte. Verwirrt wandte sie sich wieder zu ihm um und musterte ihn misstrauisch.

„Woher wissen Sie meinen Namen?“

Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Ich bin Ihre Mitfahrgelegenheit“, erklärte er trocken. „Sie haben die große Ehre, von mir höchstpersönlich zu der Hochzeit gefahren zu werden.“

Lulu glaubte, sich verhört zu haben. Und wurde prompt rot, als sie seinen Blick auffing. Er betrachtete sie, als wüsste er ganz genau, wie sie in Unterwäsche aussah.

Kurz zuvor im Flugzeug hatte er ihr noch das Gefühl gegeben, sie sei ein grässliches Insekt, das er am liebsten zerdrücken wollte.

Peinlicherweise wäre sie in der nächsten Sekunde fast noch über ihren eigenen Koffer gestolpert, als sie einen Schritt zurücktrat. Geistesgegenwärtig packte er sie beim Arm und rettete sie somit vor dem sicheren Fall.

„Vorsichtig, Bella“, murmelte er, und sein heißer Atem streifte an ihrem Ohr entlang.

Seine plötzliche Nähe ließ ihre Knie zittern. Energisch versuchte sie, sich von ihm loszureißen. „Lassen Sie mich los, und dann lassen Sie mich vorbei“, fauchte sie.

„Señorita“, erwiderte er und erhob seine Stimme, während er sich weigerte, den Griff um ihren Arm zu lockern. „Ich bin Alejandro du Crozier, und ich werde Sie zu der Hochzeitsfeier fahren, ob Sie es nun glauben, oder nicht.“

Unsicher erwiderte sie seinen Blick. Er wusste also von der Hochzeit. Das konnte nur bedeuten, dass er ebenfalls eingeladen war.

„Ich hatte eigentlich vor, mit meinen Freundinnen zu fahren.“ Im gleichen Moment realisierte sie, dass es wohl eine Planänderung gegeben haben musste.

„Davon weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass ich Sie mitnehmen soll.“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er nicht gerade begeistert darüber war.

Was völlig in Ordnung ist, überlegte Lulu. Dann waren sie sich in dieser Sache schon mal einig. Erneut versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, und dieses Mal ließ er sie los.

„Ich steige aber nicht zu fremden Männern ins Auto, Mr. … Mr. …“

Seufzend zog er sein Handy aus der Hosentasche und hielt es ihr entgegen. Mit gerunzelter Stirn las sie die auf dem Display angezeigte Nachricht, um dann entgeistert zu ihm aufzusehen.

Khaled hat Sie geschickt?“

Erst als er nicht antwortete, fiel ihr auf, wie dicht er vor ihr stand. Und warum schaute er so interessiert auf ihre Lippen? Was sie noch viel mehr irritierte, war ihr eigenes wild pochendes Herz.

Der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen mit den herrlich langen Wimpern traf ihren mit einer unerwarteten Intensität.

„Wenn Sie nicht vorhaben, die Strecke zu laufen, Chica, dann schlage ich vor, Sie steigen jetzt ein.“

Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab und ging davon. Offenbar erwartete er, dass sie ihm folgte.

Fassungslos sah Lulu ihm nach. Er war der unmöglichste und unfreundlichste Mann, der ihr je begegnet war.

Entschlossen griff sie nach ihrem Koffer, während die schwere Reisetasche schmerzhaft gegen ihr Bein schlug. Sie sah es gar nicht ein, drei oder sogar vier Stunden mit ihm im Auto zu sitzen.

Sie würde sich ein Taxi suchen und auch ohne ihn nach Schloss Dunlosie kommen. Zum Glück konnte sie sich das leisten. Es war ihr immer wichtig gewesen, finanziell unabhängig zu sein. Geld bedeutete Schutz und Freiheit für eine Frau. Das hatte sie aus der Beziehung ihrer Eltern gelernt. Ihre Mutter hatte es lange Jahre nicht geschafft, ihrem gewalttätigen Vater zu entkommen.

Doch als sie das Flughafengebäude verließ, sank ihr Mut. Draußen regnete es Bindfäden. Typisches Edinburgh-Wetter. Lulu griff in die Seitentasche ihres Koffers, um ihren Regenschirm herauszuholen. Dann erspähte sie einen Taxistand. Doch es standen bereits unzählige Wartende an.

Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich in die Schlange einzureihen. Fluchend stakste sie mit ihren hochhackigen Stilettos durch eine Pfütze. Das schmutzige Wasser spritzte mit jedem Schritt auf ihre seidene Strumpfhose. Die Tatsache, dass sie von ihren Angstattacken in den letzten paar Stunden noch immer völlig erschöpft war, machte das Ganze nicht besser. Lulu wünschte sich nichts sehnlicher, als in einem warmen, bequemen Autositz die Schuhe von den Füßen zu streifen, den Kopf an die Scheibe zu lehnen und das regnerische schottische Wetter zu beobachten.

Sie hatte sich zu früh gefreut.

Denn in diesem Moment kreuzte ein roter Jaguar vor ihr die Straße.

Das Beifahrerfenster fuhr herunter.

„Steigen Sie ein“, forderte er sie auf.

3. KAPITEL

Lulu wusste, sie hatte eine Entscheidung zu treffen.

Zögernd hob sie ihren Regenschirm ein wenig an, um nachzusehen, ob die Schlange noch immer so lang war. Dann sah sie sich ihre Mitfahrgelegenheit an.

Attraktiv, sexy und viel zu sehr von sich überzeugt.

Sofort meldete sich ihr Stolz wieder. Sie würde definitiv nicht in einen Wagen zu einem Mann steigen, der nicht einmal den Anstand besaß, ihr die Tür zu öffnen.

In diesem Augenblick hätte Lulu am liebsten ihre Eltern angerufen, die heute Abend zum Schloss reisen würden. Aber was für einen Eindruck würde das machen? Und Gigi konnte sie ausgerechnet an ihrem Hochzeitswochenende nicht um Hilfe bitten.

Sie rang nach Luft, als ein weiterer Schwall schmutzigen Wassers über ihre Füße schwappte, dieses Mal von einem vorbeifahrenden Auto. Ihre hübschen blauen Schuhe waren hinüber. Und ihr Stolz verließ sie.

Dieu, sie würde das hier bereuen, das wusste sie genau.

Dennoch griff sie nach ihrem Koffer und zog ihn hinter sich her zur Rückseite des Wagens. Es wäre dumm, wenn sie die Chance nicht nutzte. Auf ein freies Taxi würde sie bei dem Ansturm ewig warten müssen.

Während sie vor dem Kofferraum auf Alejandro wartete, nahm der Regen zu. Er ließ sich Zeit. Mit schmalen Augen beobachtete sie, wie er betont lässig aus dem Wagen stieg und sich langsam auf sie zu bewegte. Er hatte etwas Wildes an sich, das ihn außergewöhnlich maskulin und selbstbewusst wirken ließ. Seine breiten Schultern und die geschmeidigen Bewegungen erinnerten an ein Raubtier.

Aber Lulu wusste, der erste Eindruck täuschte oft. Hinter einer harten Schale steckte oft ein weicher Kern, ein Mensch mit Fehlern und Schwächen.

Sie würde wetten, dass dieser Mann hier eine Menge davon aufzuweisen hatte. Zunächst einmal konnte er Frauen nicht ausstehen. Was er ihr alles an den Kopf geworfen hatte im Flugzeug … Und wie missbilligend er den Mund verzogen hatte, als er auf ihre Schuhe geschaut hatte …

„Würden Sie bitte den Kofferraum öffnen, ich möchte nicht länger im Regen stehen“, bat sie ungeduldig und richtete sich unwillkürlich auf. So leicht würde sie sich nicht von ihm einschüchtern lassen, auch wenn er sie noch so spöttisch anschaute. Es ärgerte sie zudem, dass sie trotz der hochhackigen Schuhe gezwungen war, zu ihm aufzusehen.

Mit einem unmerklichen Lächeln kam er ihrer Bitte nach und begann, ohne ein weiteres Wort ihr Gepäck einzuladen. Mit beneidenswerter Leichtigkeit verstaute er den schweren Koffer im Kofferraum. Als er nach ihrem Handgepäck griff, schrie Lulu auf.

„Doux Jésus, bitte nicht!“

Fragend sah er sie an und hielt inne.

„Da sind Kristallgläser drin. Mein Hochzeitsgeschenk für Gigi und Khaled“, erklärte sie. „Geben Sie mir die Tasche, bitte.“

Zwar folgte er ihrer Aufforderung, jedoch ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Auf einmal war sie sich seiner Nähe mehr bewusst als ihr lieb war. Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase – etwas Holziges vermischt mit dem Duft seiner Haut. Eine männliche Mixtur, die sie nicht gewöhnt war.

Verwirrt sah Lulu zu ihm auf. Er hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Der Anblick seines eigenwilligen Kinns und der sinnlichen Linie seiner Lippen machten es nicht besser.

Hastig nahm sie ihm die Reisetasche aus den Händen, um sie vorsichtig neben ihrem Koffer zu verstauen.

Was für ein grober, widerlicher Kerl!

Nachdem sie die Kofferraumklappe geschlossen hatte, ging sie um den Wagen herum und wartete mit ihrem Regenschirm vor der Beifahrertür. Doch er sah es scheinbar gar nicht ein, ihr die Tür zu öffnen und lief direkt zur Fahrerseite des Wagens.

„Der widerliche Kerl will, dass Sie endlich einsteigen“, rief er ihr über das Wagendach zu.

Zwei Dinge wurden Lulu in diesem Augenblick bewusst. Erstens: Sie hatte laut gedacht. Und zweitens: Er verzichtete darauf, ein Gentleman zu sein und ihr die Tür zu öffnen.

Da ihr Gepäck nun verstaut war, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als in seinen Wagen zu steigen. Auch wenn sie sich in diesem Moment wünschte, doch auf ein Taxi gewartet zu haben.

Als wollte er sie daran erinnern, warum sie ihre Entscheidung getroffen hatte, prasselte der Regen noch härter auf das Autodach.

Warum passiert mir das nur?

Seufzend schloss sie ihren Regenschirm, öffnete die Wagentür und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken.

„Bitte nicht das Polster volltropfen“, fuhr er sie von der Seite an.

Lulu runzelte die Stirn und sah sich suchend um. Wo sollte sie den Schirm denn lassen?

„Hier.“ Mit einer schnellen Bewegung nahm er ihn ihr ab und warf ihn auf seinen Mantel auf dem Rücksitz. Dann wandte er sich wieder zu ihr um und stöhnte entnervt, als er sah, dass es neben ihr reinregnete. „Schließen Sie doch endlich die verdammte Tür!“

Für eine Sekunde sah sie aus, als würde sie jeden Moment aus dem Wagen springen. Dann beobachtete er zu seinem Entsetzen, wie sie die Wagentür noch weiter öffnete, sich nach draußen beugte und ihr Körper von heftigen Würgeanfällen erschüttert wurde.

Schnell sprang er aus dem Wagen und kam zu ihr herum. Er kniete sich zu ihr nieder und erschrak, als er sah, wie kreidebleich ihr Gesicht war. Das konnte sie unmöglich nur spielen. Es ging ihr tatsächlich nicht gut. Und ihm wurde klar, dass er wohl einige Dinge falsch verstanden hatte. Mitfühlend tupfte er ihr mit einem Taschentuch die Tränen von den Wangen.

Wie zerbrechlich sie auf einmal wirkte mit diesen großen feucht schimmernden Augen und dem leidenden Ausdruck im Gesicht. Ihr extravagantes Outfit und die hohen Schuhe hatten darüber hinweggetäuscht. Vielleicht war das sogar beabsichtigt, und sie nutzte ihre Kleidung als Schutzschild …

Als er die Hände auf ihre Schultern legte, um ihr dabei zu helfen, sich wieder aufzurichten und zurück ins trockene Auto zu gelangen, wurde er von ihrer unerwarteten Reaktion förmlich überwältigt. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich plötzlich an ihn und schlang die Arme um seinen Hals.

Ihr betörender Duft ließ ihn fast die Kontrolle über sich verlieren. Für einen Augenblick fragte er sich, ob sie ihn mit dieser Blitzaktion anmachen wollte. Doch das Gefühl ihres wild pochenden Herzens an seiner Brust sagte ihm, dass sie panische Angst hatte. Ihm war, als drückte er einen kleinen nervösen Vogel an sich. Wovor hatte sie bloß eine solche Angst?

Sicher ist sie bloß übermüdet, sagte er sich. Oder sie hatte im Flugzeug doch zu viel Alkohol getrunken. Und nun musste er sich mit der unliebsamen Aufgabe abfinden, eine wodka-trunkene Brautjungfer an ihrem gemeinsamen Reiseziel abzuliefern.

Es musste Wodka sein, denn er konnte keine Alkoholfahne an ihr wahrnehmen. Sie duftete nach Veilchen. Und nach etwas noch Süßerem, ihrer ganz persönlichen weiblichen Note.

Zögernd streichelte er ihr über den Rücken, so wie er es bei einem der Kinder auf der Estancia machen würde, das vom Pferd gefallen war. Dabei ignorierte er unter größter Anstrengung die Tatsache, dass sie eine unglaublich attraktive junge Dame war, die in diesem Moment ihre Brüste gegen seinen Oberkörper presste.

„Es geht schon wieder“, murmelte sie matt. Er glaubte ihr nicht so recht, denn noch immer wirkte sie völlig entkräftet. „Bitte erzählen Sie niemandem davon“, flüsterte sie kaum hörbar an seinem Ohr.

Es war eine seltsame Bitte, doch es schien, als meinte sie es ernst.

Alejandro räusperte sich und half ihr zurück in den Sitz. „Kommen Sie, wir schnallen Sie erst mal an. Sind Sie wirklich sicher, dass es Ihnen besser geht?“

Sie nickte bloß.

Nachdem er auf dem Fahrersitz Platz genommen und ihr eine Flasche Wasser gereicht hatte, aus der sie dankbar einige Schlucke nahm, entschuldigte sie sich. „Es wird bestimmt nicht wieder vorkommen.“ Verlegen vermied sie es, ihn anzusehen.

„Sollen wir irgendwo halten und etwas essen? Damit Sie etwas in den Magen bekommen?“

Angeekelt verzog Lulu das Gesicht. „An Essen mag ich gerade gar nicht denken.“

„Dann werden Sie aber wenigstens wieder nüchtern.“

„Ich bin nüchtern“, entgegnete sie empört und warf ihm einen verwirrten Seitenblick zu.

Er wirkte nicht besonders überzeugt. „Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, Querida, aber Sie haben während des Flugs nicht gerade sicher auf den Beinen gewirkt. Außerdem haben Sie gelallt. Und sich gerade fast übergeben.“

„Wenn Sie es wirklich unbedingt wissen wollen …“, stieß sie hervor. „Ich habe ein Beruhigungsmittel auf leeren Magen genommen und es nicht vertragen. Das ist alles.“

„Nun, das war nicht besonders klug.“

Er ignorierte ihren verletzten Gesichtsausdruck bewusst. Zu oft hatten Frauen versucht, ihn zu manipulieren. Darauf ließ er sich nicht mehr ein. Seine letzte Scheidung lag noch nicht lange zurück, und er hatte dazugelernt. Das Problem war nur ihre Wirkung auf ihn. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto weniger konnte er sich ihr entziehen.

Verärgert über sich selbst startete er den Wagen und reihte sich in den Verkehr ein. „Das war fast so unklug wie Ihre Entscheidung, Ihren Sitzplatz nicht zu wechseln.“

Jetzt hatte er sie in eine Ecke gedrängt, aus der sie nicht so leicht wieder herauskäme. Wie sollte sie darauf reagieren?

„Das geht Sie gar nichts an“, stotterte sie und wich seinem bohrenden Blick aus. Sie würde ihm auf keinen Fall verraten, was der wahre Grund für ihr eigenartiges Verhalten war. Denn das würde nur zu weiteren unangenehmen Fragen führen.

„Entschuldigen Sie, wenn ich es mir doch herausnehme, etwas dazu zu sagen, aber Sie haben sich im Flugzeug benommen wie ein verwöhntes Gör. Vielleicht ahnen Sie nun, warum ich Sie genau so behandelt habe.“

Lulu wäre am liebsten gestorben vor Scham.

„Sie sind ein schrecklicher Mann“, zeterte sie. „Ich hoffe, wir laufen uns an diesem Hochzeitswochenende nicht allzu oft über den Weg.“

„Schätzelein, Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.“

4. KAPITEL

Nachdem sie etwa zwei Stunden gefahren waren, hielten sie an einer Tankstelle. Lulu betätigte den Fensterheber und kniff die Augen zusammen, um die Schlagzeile der Zeitung hinter dem Tankstellenfenster zu lesen: Promi-Hochzeit. Oligarch bringt private Sicherheitsarmee mit.

Es war nicht gerade ermutigend, zu wissen, dass sie gerade genau dorthin fahren würde.

Ebenso entmutigend war der Anblick ihres Fahrers, der in diesem Moment auf sie zukam. Denn zu ihrem eigenen Ärger fühlte sie sich immer mehr zu ihm hingezogen. Sein prächtiger sportlicher Körper steckte in einer schlicht, aber perfekt geschnittenen dunklen Hose und einem wertvoll aussehenden dunkelblauen Hemd. Wie ein Mann, der an geheimen militärischen Missionen teilnahm und Felswände ohne Seil und Sicherung emporklomm. Jemand, der seinen Körper als Waffe einsetzte, weil das allein ausreichte.

Lulu zwang sich, in die andere Richtung zu sehen.

Oui, dieser Mann war ihr neuestes kleines Problem. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie für diesen Latin-Lover-Typ empfänglich war, für den so viele andere Frauen schwärmten. Es mussten die Hormone sein. Sie würde sich sehr anstrengen müssen, ihre Fantasie im Zaum zu halten.

Als er sich dem Wagen näherte, drehten die Leute sich nach ihm um. So wie es aussah, hatte er nicht nur auf sie diese Wirkung. Es war diese Aura von größtem Selbstvertrauen, die ihn umgab. Wobei dieses Selbstvertrauen sicher auch daher rührte, dass er es gewohnt war, sich um die kleinen Dinge im Leben nicht kümmern zu müssen. Für einen Alejandro du Crozier war es sicher ungewöhnlich, sein eigenes Auto zu betanken. Wenngleich er sich zugebenermaßen ziemlich geschickt dabei angestellt hatte.

Sie hatte ihn heimlich durch den Seitenspiegel dabei beobachtet, wie er den Benzinschlauch in den Tank gesteckt hatte. Es hatte etwas, diesen muskulösen männlichen Arm mit der dunklen Behaarung zu betrachten, wie er mit festem Griff den Stutzen einführte. Einer Frau gingen dabei allerlei erotische Bilder durch den Kopf.

Jedoch musste sie sich eingestehen, dass diese Bilder eher aus den Büchern stammten, die sie gelesen hatte. Sie selbst hatte nicht gerade viel vorzuweisen, was sexuelle Erfahrungen anging.

Alejandro warf ihr ein in Folie gewickeltes Sandwich in den Schoß, als er neben ihr in den Wagen stieg.

„Käse-Schinken. Es ist nicht viel, aber es sollte Sie hoffentlich satt machen bis wir Dunlosie erreichen.“

Lulu fragte sich insgeheim, ob sie sich vielleicht doch in ihm getäuscht hatte. Auf jeden Fall war es eine nette Geste von ihm, ihr etwas zu Essen mitzubringen.

„Danke“, murmelte sie leicht verunsichert und konzentrierte sich darauf, das Sandwich aus der Folie zu wickeln, um ihn nicht ansehen zu müssen. Doch sie spürte seinen Blick.

„Möchten Sie ein Stück?“, bot sie an.

Eigentlich hatte Alejandro das Sandwich für sie gekauft, um sie ein wenig zu provozieren. Er hatte erwartet, dass sie die Nase rümpfen würde bei solchem Fastfood. Umso überraschter war er nun zu sehen, mit welchem Heißhunger sie sich über das Sandwich hermachte.

„Ich hatte ein ausgiebiges Frühstück, danke“, entgegnete er knapp.

Eine halbe Stunde später ging Alejandros Handy, und er stellte die Freisprechanlage ein. Eine männliche Stimme sprach auf Spanisch, und Alejandro antwortete in der gleichen Sprache.

Fasziniert hörte Lulu zu, wie er mit seiner tiefen, melodischen Stimme in seiner Muttersprache sprach. Es hatte etwas Hypnotisches. Plötzlich sprach ein Schotte in die Leitung, und Lulu schrak auf.

„Wir freuen uns sehr, Sie hier in Edinburgh begrüßen zu dürfen, Mr. du Crozier, und wir gratulieren Ihnen herzlich zu dem Sieg in Palermo!“

Was bedeutete das jetzt?

Alejandro lachte. „Vielen Dank! Es war ein gutes Match.“

Was war denn jetzt auf einmal mit ihm los? Dieses Lächeln, dieser Charme? So kannte sie ihn gar nicht.

„Wir werden morgen unseren Vorsitzenden vorbeischicken, damit Sie einen Rundflug über das Gelände machen können. Sind Sie allein, Mr. du Crozier?“

„Möglicherweise kommt noch eine Person dazu.“ Mit diesen Worten warf er ihr einen Seitenblick zu. „Zwei Uhr klingt gut.“

Als er das Gespräch beendete, zwang Lulu sich, keine neugierigen Fragen zu stellen. Was ihr reichlich schwerfiel.

„Ich suche hier in der Gegend nach einem Grundstück“, erklärte er, die Augen auf die Straße gerichtet. „Ich möchte in einen Golfplatz investieren und habe schon ein schönes Fleckchen an der Küste in der Nähe vom Schloss ins Auge gefasst.“

„Sind Sie professioneller Golfspieler?“, erkundigte sie sich zaghaft.

„Ich bin der Kapitän des Poloteams für Südamerika“, entgegnete er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Offenbar erwartete er, dass sie beeindruckt war. „Über die letzten Spiele wurde ausgiebig in der Presse berichtet.“

Auf einmal erinnerte sie sich vage daran, seinen Namen schon einmal irgendwo gehört zu haben.

„Ich bin ein kleines bisschen berühmt, Lulu. Was sagen Sie dazu?“

Er lachte, als sie die Stirn runzelte und zugleich nicht allzu beeindruckt auszusehen versuchte. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass es sie gar nicht interessierte, wer er war oder wen er kannte. Sie würde ihn keines weiteren Blickes würdigen sobald sie am Schloss ankamen. Er war für sie nichts weiter als ihre Mitfahrgelegenheit.

Um sich abzulenken, zog sie ihr Handy aus ihrer Handtasche. Irgendwie musste sie sich seiner magnetischen Ausstrahlung entziehen.

Irritiert blickte sie auf, als er das Radio einschaltete.

„Muss das unbedingt sein?“

Herausfordernd sah er sie von der Seite an. „So vergeht die Zeit schneller.“

„Ich wollte eigentlich etwas arbeiten.“

„Arbeiten?“

„Hochzeitsspiele vorbereiten“, erklärte sie stolz. „Ich bin die Trauzeugin.“

Alejandro schlug mit der Hand aufs Lenkrad. Dann begann er zu lachen. „Santa Maria“, entfuhr es ihm.

„Was ist denn so lustig?“

Als er nicht aufhörte zu lachen, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, und sie wirkte mit einem Mal sehr jung, und absolut hinreißend.

Er wollte nicht, dass sie hinreißend aussah. Unauffällig riskierte er einen weiteren Blick. Oh ja, sogar sehr hinreißend. Kein Wunder, dass sie hohe Ansprüche hatte. Er bezweifelte, dass es auch nur einen einzigen Mann auf der Welt gab, der diesen großen braunen Augen und dieser verletzlichen Art widerstehen konnte.

Es würde ihn eifersüchtig machen. Jedenfalls wenn er das, was sich hier anbahnen könnte, weiterverfolgen würde. Doch seit dem Tag, an dem er die Ranch und sämtliche Schulden seines Vaters geerbt hatte, hatte er dazugelernt. Seine Mutter hatte nicht aufgehört, immer mehr Geld zu verlangen, während seiner Ehefrau ihre Freiheit wichtiger war als er. Seine enterbten Schwestern dagegen gaben ihm die Schuld an ihrer Misere. Am Ende war er das Gefühl nicht mehr losgeworden, alle enttäuscht zu haben.

Und sensible Frauen erforderten noch viel mehr Aufmerksamkeit. Mehr als er zu geben in der Lage war.

„Ich will wissen, warum Sie lachen“, beharrte sie.

„Den werde ich mir vorknöpfen“, stieß er noch immer lachend hervor. „Ich rede von Khaled Kitaev. Vielleicht war es auch nur das Schicksal. Oder das Universum.“

„Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie reden.“

„Ich bin auch Trauzeuge, Querida!“

Entgeistert sah sie ihn an. Das Handy fiel ihr aus der Hand und rutschte über ihren Satinrock auf den Boden.

„Das glaub’ ich nicht!“

„Doch, es ist so.“

„Aber wir können uns doch nicht ausstehen …“ Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, als könnte sie gar nicht fassen, was ihr da gerade herausgerutscht war.

Erstaunlicherweise hatte er gerade realisiert, dass er sie doch mochte. Auch wenn sie ein wenig verwöhnt und egozentrisch wirkte. Er lebte schließlich in einer Welt, wo ihm alle Frauen zu Füßen lagen und alles dafür gäben, ein paar Stunden mit ihm zu verbringen. Darum wirkte Lulu Lachaille auf ihn so erfrischend anders.

Und auch sie würde ihm nicht widerstehen können. Dafür müsste er nur die richtigen Knöpfe bei ihr drücken. Darin war er Experte. Vielleicht war sie genau das, was er sich für dieses Wochenende vorgestellt hatte.

Nämlich Abwechslung von einem Spektakel, das sich Hochzeit nannte. Wo sich die Beteiligten ewige Liebe und Treue schworen, um ihren Schwur meist schon kurze Zeit darauf zu brechen.

Khaled und Gigi schienen eines der wenigen Ausnahmepaare zu sein, das sich wirklich und aufrichtig liebte.

Und er mochte Gigis kleine süße Freundin. Mit ihren hübschen dunklen Locken und dem rosigen Schmollmund und diesem typisch französischen Gesichtsausdruck, der sie leicht arrogant und gelangweilt erscheinen ließ. Als sei es seine Aufgabe, sie zu bespaßen.

„Ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich Sie nicht mag“, erwiderte er und betrachtete ihre hübschen Knie, die unter ihrem Rock hervorschauten. Sie sah seinen Blick und beeilte sich, den Rock mit den Händen glattzustreichen.

„Ich will gar nicht, dass Sie mich mögen“, entgegnete sie ein wenig naserümpfend. „Ich will, dass wir professionell miteinander umgehen. Wie sich das für Trauzeugen gehört. Nicht mehr und nicht weniger.“

Lulu versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ihr mit einem Mal sehr heiß geworden war. Flirtete er mit ihr? „Ich meine es ernst“, sprach sie weiter, als er schwieg. „Ich erwarte, dass Sie höflich zu mir sind, damit die Leute nicht merken, dass etwas nicht stimmt.“

Dabei stimmt etwas ganz gewaltig nicht, überlegte Lulu und schaute ihn verstohlen von der Seite an. Warum musste er nur so ein sexy Lächeln haben? Man konnte es gerade so erahnen, denn es umspielte lediglich seine Mundwinkel. Und er sah sie immer wieder an, obwohl sie das gar nicht wollte. Es löste ein ungewohntes Gefühl in ihr aus, das sie verunsicherte.

Alejandro du Crozier flirtete mit ihr, und sie genoss es auch noch. Lag es daran, dass sie genau wusste, sie würde ihn nach diesem Wochenende nicht wiedersehen?

Es war ja nicht so, als wäre er ernsthaft interessiert an ihr. Sie saßen bloß ein paar Stunden im Auto zusammen und würden ein Wochenende gemeinsam verbringen. Vielleicht war es vollkommen in Ordnung, für ein paar Stunden so zu tun, als ob das alles ganz normal war? Dass er mit ihr flirtete und sie deswegen rot wurde?

„Meinen Sie nicht, wir sollten uns duzen?“, schlug er nun vor. „So als Trauzeugen?“

Lulu nickte nach kurzem Zögern, als im selben Moment von draußen ein lauter Knall ertönte. Es klang, als wäre etwas direkt unter ihnen explodiert. Lulu stieß einen kleinen Schrei aus und klammerte sich an ihren Sitz, während Alejandro lautstark auf Spanisch fluchte. Er bremste energisch, und all die Hitze, die sich zwischen ihnen aufgestaut hatte, verschwand in dem Augenblick, als das Auto am Straßenrand zum Halten kam.

„Was ist los, warum halten wir?“, fragte Lulu und spürte das altvertraute Gefühl von Panik in sich aufsteigen. Sie würde hier draußen, mitten im Nirgendwo, auf keinen Fall aussteigen!

„Wir haben einen Platten. Der linke Hinterreifen ist geplatzt.“

Wenigstens war es kein Motorschaden. Das bedeutete, sie konnte ganz ruhig und sicher hier sitzen bleiben. Es würde nicht allzu lange dauern. Das würde sie schon irgendwie schaffen. Hektisch kramte sie ihr Telefon hervor, damit sie etwas hatte, worauf sie sich fokussieren konnte.

In der darauffolgenden Stille sah sie irritiert auf. Er beobachtete sie, was ihr unangenehm war, denn sie wollte nicht, dass er merkte, wie nervös sie war. „Dann wechseln Sie … ich meine, dann wechsel halt den Reifen!“, forderte sie ihn ungeduldig auf, ehe sie sich wieder ihrem Handy zuwandte.

Verwundert zog Alejandro die Augenbrauen hoch. Was fiel ihr ein, so unhöflich zu ihm zu sein?

Mit einem tiefen Atemzug stellte Alejandro den Motor ab und lehnte sich in seinem Sitz zurück, um sie in Ruhe von der Seite zu betrachten. Eine verwöhnte kleine Pariserin hatte er sich angelacht. Er war doch nicht ihr verdammter Mechaniker. Sein Blick blieb an ihren eigenwilligen weichen Lippen hängen. Er hätte gerade durchaus Lust, etwas ganz anderes zu reparieren.

Stattdessen langte er nach ihrem Telefon und nahm es ihr aus den Händen, um es auf den Rücksitz zu legen.

Es war an der Zeit, zu ergründen, was es mit seinem sexuellen Interesse an ihr auf sich hatte.

Lulus überraschter Gesichtsausdruck sprach Bände. Auch sie würde in wenigen Augenblicken wissen, was zwischen ihnen war.

Er beugte sich zu ihr herüber, und ihre Augen weiteten sich. Sie schien die Luft anzuhalten, doch sie stieß ihn nicht weg, als er seine Finger durch ihre seidig weichen Locken gleiten ließ und seine Lippen mit geübter Lässigkeit auf ihre presste.

Ihr unterdrückter Aufschrei erlaubte es ihm, in ihren süßen Mund zu dringen. Eigentlich hatte er ihr nur einen schnellen, stürmischen Kuss verpassen wollen. Doch Lulu wehrte ihn nicht ab, ganz im Gegenteil, sie schlang ihre Arme um seine Schultern und begann zögernd, seine Küsse zu erwidern.

Und er ließ sie gewähren.

Es ging nicht mehr darum, zu zeigen, dass er der Stärkere war.

Zärtlich strich sie mit der Hand über seine Schulter, während sie hingebungsvoll seinen Mund mit ihren Lippen liebkoste.

Sie war dabei, ihn zu verführen. Und es funktionierte. Auf einmal wurde er von einer Welle der Leidenschaft erfasst, die ihn gar nicht mehr losließ.

Was in dieser Situation – in einem liegen gebliebenen Wagen am Straßenrand, mitten im Nirgendwo Schottlands – etwas ungünstig war.

Da er sich nicht mehr zu helfen wusste, fing er an, sich vorzustellen, wie er in Eislöcher in Reykjavik sprang. Oder gegen ein schwaches Team verlor. Oder dass ein Foto von ihm im Internet auftauchte, wie er sich wie ein unkontrollierter Teenager über dieses Mädchen hermachte.

Was seine Leidenschaft jedoch tatsächlich abflauen lassen sollte, waren die zärtlichen Gefühle, die ihn plötzlich überkamen, als sie sich zurückzog und ihr Gesicht beschämt an seinem Hals verbarg. Eine Geste, die seltsamerweise einen heftigen männlichen Beschützerinstinkt in ihm weckte.

Versonnen strich er ihr über den Rücken. Seine Zuneigung zu ihr wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er wollte sie gar nicht mehr loslassen.

Wie zerbrechlich sie ist …

Lulu spürte, wie Alejandro sich ihr entzog und unterdrückte erneut aufwallende Panik. Denn jetzt konnte sie sich nirgendwo mehr verstecken. Noch vor wenigen Minuten hatte sie wegen des liegen gebliebenen Wagens fast eine Panikattacke bekommen, und auf einmal passierte etwas, das sie in ihren dreiundzwanzig Jahren noch nicht besonders oft erlebt hatte: Dieses aufregende, überwältigende Gefühl, weil ein Mann sie küsste. Und nicht nur irgendein Mann. Sondern dieser Mann. Dieser unfassbar maskuline Mann, der genau wusste, was er tat.

Das Herz wäre ihr fast aus der Brust gesprungen als seine Lippen ihren Mund berührten. Noch nie zuvor hatte sie etwas Aufregenderes in ihrem Leben erlebt.

Sie wartete darauf, dass er etwas sagte. Denn sie selbst brachte gerade kein Wort heraus.

„Jetzt haben wir alles erledigt“, erklärte er nach einigen Sekunden feierlich.

Es waren gar nicht seine Worte, sondern die Art, wie er sie aussprach, die sie erstarren ließ.

Erledigt? Lulu brauchte einen Moment, ehe sie begriff, was er meinte. Hatte ihr Kuss ihn etwa nicht so berührt wie sie? Hatte er bloß ausprobieren wollen, wie sie küsste?

Mon Dieu, wie naiv sie doch war!

Ihr Herz pochte noch immer wie wild in ihrer Brust. Es war ihr bewusst, dass er sie verstohlen beobachtete … und dass er jetzt eine ganze Menge mehr über sie wusste als noch vor wenigen Minuten. Mehr als jeder andere Mann, den sie kannte, musste sie sich zu ihrer tiefsten Beschämung eingestehen. Er hatte sie reingelegt, um sie zu demütigen.

Ehe sie sich versah, hatte sie die Hand erhoben, doch er griff nach ihr, ehe sie ihr Ziel erreichte. „Keine Gewalt, bitte, mi Belleza.“

Mit Genugtuung beobachtete er, wie sie innerlich mit sich kämpfte. Doch so sehr er es auch begrüßte, dass die Machtverteilung zwischen ihnen erneut gefestigt worden war, so sehr war ihm auch bewusst, wie mies er sich verhalten hatte.

In diesem Moment hörte er es. Das Dröhnen.

Ein Blick in den Rückspiegel und er wusste, was auf sie zukam.

Wütend wand sich Lulu aus seinem Griff. „Das machst du nicht noch mal mit mir!“

„Ich verspreche es“, entgegnete er trocken, während er das Geschehen weiterhin im Rückspiegel beobachtete. „Aber ich möchte dich daran erinnern, dass du freiwillig mitgemacht hast“, fuhr er spöttisch fort. „So etwas nennt man gute Chemie, falls du das noch nicht wusstest.“

Irritiert beobachtete er sie dabei, wie sie sich hektisch losschnallte und anschickte, die Beifahrertür zu öffnen.

„Wo zum Teufel willst du hin?“, fuhr er sie an. Diese unerwartete Wendung gefiel ihm überhaupt nicht.

„Irgendwohin, wo ich weit weg von dir bin!“, schnappte sie zurück.

In der nächsten Sekunde schlug sie die Beifahrertür mit einem schrillen Aufschrei wieder zu.

Sie waren umringt von einem Meer aus Hunderten von schwarzköpfigen Schafen. Sie schienen wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein und drängten sich so dicht um den Wagen, dass er leicht schaukelte.

„Ich hätte es vielleicht ein wenig eher erwähnen sollen“, murmelte Alejandro und öffnete sein Fenster. „Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft bekommen.“

5. KAPITEL

Ich glaube, ich sterbe.

Lulu wurde steif wie ein Brett als sie sah, dass die ganze Straße samt Seitenstreifen voller blökender Schafe war.

„Willkommen in Schottland“, sagte Alejandro und stützte seinen Ellbogen betont entspannt auf dem Fensterrahmen auf, als sei er es gewöhnt, regelmäßig in einer Schafherde stecken zu bleiben.

Ein wimmernder Laut steckte ihr in der Kehle, den sie mit aller Macht unterdrückte. Sie wollte auf keinen Fall, dass er merkte, was mit ihr los war.

„Lass uns hier wegfahren“, presste sie stattdessen hervor.

„Wohin sollen wir denn fahren? Schau dich doch einmal um!“ Er gestikulierte in Richtung der wollenen Flut. „Das hier ist Schottland, Chica. Hier haben Schafe Vorfahrt.“

Lulu wusste nicht, ob er recht hatte oder ob er sie bloß aufziehen wollte. Sie nahm an, ein wenig von beidem.

„Abgesehen davon …“, fuhr er fort, „… haben wir einen platten Hinterreifen.“

Wenn es doch nur der Reifen wäre. Sie fühlte sich mindestens genauso platt. Ihre Lippen brannten noch immer von seinem Kuss, und ihr Körper schien seltsam schwerelos zu sein, was sicher auf den Schock zurückzuführen war. Denn diese großen wolligen Mammuts mit ihren unheimlichen schwarzen Gesichtern machten ihr mehr Angst als sie sich eingestehen mochte. Sie wusste selbst, wie albern das war. Es waren doch nur Schafe. Aber ihr Puls ging so schnell, dass sie kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen.

Das hier war tausend Mal schlimmer als ein zweistündiger Flug von Paris nach Edinburgh. Oder sich von einem Mann küssen zu lassen, den sie gerade ein paar Stunden kannte.

Das hier war ihr schlimmster Albtraum.

Weil sie nicht fliehen konnte. Und das Wissen, dass sie kurz davor war, vor diesem Mann zusammenzubrechen, war das Einzige, was sie noch aufrecht auf ihrem Sitz hielt.

Sie hätte niemals mit ihm in diesen Wagen steigen sollen.

Ein klickendes Geräusch ertönte von der Seite, und Lulu sah, dass er seine Tür geöffnet hatte.

„Was machst du?“, kreischte sie.

Ihr Tonfall überraschte ihn sichtlich. „Ich werde mal gucken, ob ich den Schäfer finde“, erklärte er ruhig. „Immerhin besser, als die ganze Zeit hier zu sitzen. Komm mit!“

„Nein!“ Sie klammerte sich an seinen Arm.

„Oder wir bleiben hier und knutschen noch eine Runde“, fügte er trocken hinzu.

Abrupt ließ Lulu ihn los. So langsam wurde ihr klar, dass sie sich in einer ziemlich misslichen Lage befand.

„Na komm schon“, forderte er sie etwas freundlicher auf. „Du musst dir doch auch mal die Beine vertreten.“

Innerlich wand Lulu sich und suchte verzweifelt nach einer glaubwürdigen Ausrede. „Ich mag aber keine Schafe. Sie stinken, und … ich mag mir nicht die Schuhe schmutzig machen.“

Sein Blick sagte mehr als tausend Worte. Sie wusste ja selbst, wie lächerlich sie wirkte. Wo war nur die selbstsichere Lulu geblieben? Die Lulu, die vor wenigen Minuten in seinen Armen zum Leben erweckt worden war. Sie hatte sich wieder in das Häufchen Elend verwandelt, das sie schon immer gewesen war.

„Wie du meinst, Chica.“ Mit diesen Worten öffnete er die Tür, und Lulu wurde klar, dass er es ernst meinte. Er würde sie tatsächlich allein hier zurücklassen. Und er nannte sie wieder Chica.

Vollkommen bestürzt beobachtete sie, wie er mit wenigen schnellen Schritten die Straße überquerte und den beiden Männern, die die Schafe vor sich hertrieben, etwas zurief. Es mussten magische Worte gewesen sein, denn sie warteten auf ihn und unterhielten sich anschließend als seien sie alte Freunde.

Die Nase an das Fensterglas gepresst fragte Lulu sich, was in aller Welt sie sich wohl erzählen mochten. Wenn er mit ihr sprach, war er fast immer schlecht gelaunt oder verärgert. Außer, wenn er sie küsste. Instinktiv berührte Lulu ihre Lippen und hätte schwören können, dass sie noch immer das Kribbeln spürte.

Ein lautes Blöken direkt neben ihr ließ sie zusammenfahren. Jegliche Gedanken an Alejandros Küsse waren verflogen. Zu ihrer Erleichterung sah sie in diesem Augenblick, wie er zurück zum Auto geschlendert kam.

Am Wagen angekommen stützte er sich an dem heruntergefahrenen Fenster auf.

„Wir sind vermutlich über einen scharfen Gegenstand gefahren. Ich werde den Pannendienst anrufen und einen anderen Wagen organisieren. Am Ende der Straße ist ein Pub. Wir können zu Fuß hinlaufen und dort auf sie warten.“

Lulu wusste, dass dies der Moment war, in dem eine normale vernünftige Frau tief Luft geholt und ihr Problem gestanden hätte. Sie würde erklären, warum sie jetzt nicht aus dem Wagen steigen konnte, er hätte idealerweise Verständnis, und sie würden gemeinsam eine Lösung finden.

Nur gab es nicht wirklich eine Lösung, oder?

Und sie war keine vernünftige Frau. Jedenfalls nicht gerade jetzt, wo sie von einer erneuten Panikattacke erfasst zu werden drohte.

Wie aus der Ferne hörte sie sich selbst sagen: „Ich habe nicht die Absicht, dieses Auto zu verlassen.“

Sichtlich entnervt richtete er sich auf, und für einen langen bangen Moment glaubte Lulu, er würde sich umdrehen und gehen.

Bitte lass mich nicht allein.

Die Worte kamen aus ihrem tiefsten Inneren, wo noch immer ein kleines angsterfülltest Mädchen kauerte.

Dann realisierte sie, dass er ging, und ein widerlich kaltes Gefühl begann durch ihren Körper zu kriechen.

„Mach mal die Motorhaube auf“, rief er ihr auf einmal zu, und sie sah, dass er lediglich einmal um den Wagen gegangen war.

Lulu beeilte sich, seiner Aufforderung nachzukommen und betätigte nach einigem Suchen den kleinen Hebel unter dem Lenkrad. Wenn er wüsste, wie dankbar sie gerade war, dass er nicht fortgegangen war. Sie würde sicher sein, solange sie nur im Auto blieb.

Um sich ein wenig zu entspannen, zog sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, das in Lavendel-, Pfefferminz- und Rosmarinöl getränkt war und hielt es sich mit einer Hand gegen die Nase, während sie sich mit der anderen die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren steckte.

Nachdem sie es sich auf ihrem Sitz gemütlich gemacht hatte und ihre Meditationsmusik eingeschaltet hatte, schloss sie die Augen und inhalierte tief den Duft ihres Taschentuchs. Nach und nach vergaß sie alles um sich herum und glitt in eine Art Traumwelt, in der ihr nichts und niemand etwas anhaben konnte.

Derweil hatte Alejandro den Motorraum überprüft und die hintere Tür geöffnet, um sich ein Handtuch zum Händeabwischen zu holen, das unter dem Fahrersitz lag.

Die kleine französische Prinzessin lauschte ihrer Musik und hielt sich ein Taschentuch an die Nase, vermutlich, um den Gestank der Schafe … des Schäfers … und allem anderen, das ihre sensiblen Sinne irritierte auszublenden. Ihn sicherlich eingeschlossen.

Es gibt einen Namen für Männer, die unwilligen Frauen nachstellen.

Schürzenjäger.

Mit einem lauten Knall schloss er die Wagentür.

Erschrocken zog Lulu die Kopfhörer aus den Ohren und sah sich um. Die Schafe schienen endlich weitergezogen zu sein. Von Alejandro war keine Spur zu sehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt. Und als sie sich sicher fühlte, wagte sie sich hinaus auf die Straße. Nichts passierte. Der Boden unter ihren Füßen bewegte sich nicht, und in der Luft hing ein Duft nach frisch gemähtem Gras, Schafdung und Torf. Sie inhalierte einige Male ganz tief. Gar nicht so schlecht.

Aus dem Augenwinkel sah Alejandro den türkisfarbenen Stoff ihres Kleids aufleuchten und blickte auf. Stirnrunzelnd beobachtete er, wie sie den Kofferraum öffnete und etwas umständlich den Ersatzreifen herauszog.

Langsam kam er näher und lächelte belustigt. „Darf ich fragen, was du vorhast?“

Sie ignorierte ihn und konzentrierte sich darauf, den Reifen mit beiden Händen zur hinteren Seite des Wagens zu ziehen.

Als Nächstes zog sie den Stoffbeutel hervor, der neben dem Ersatzreifen im Kofferraum lag, öffnete ihn und holte den Wagenheber hervor.

Alejandro nickte beeindruckt, und Lulu sah es und fühlte sich sofort ein klein wenig sicherer.

Es gab nicht viel, was sie ihrem toten Vater zu verdanken hatte. Aber für die Tatsache, dass sie in der Lage war, einen Reifen zu wechseln, einen tropfenden Wasserhahn zu reparieren und den verstopften Abfluss im Badezimmer zu reinigen, war sie ihm dankbar. Auch wenn es bloß Dinge waren, die sie lernen musste, weil ihr gar keine andere Wahl blieb nachdem ihr Vater sie verlassen hatte. Und ihre Mutter hatte sich keine Hilfe leisten können. Sie hatten alles selbst erledigen müssen.

„Du solltest dir vielleicht erst einmal die Schuhe ausziehen, Querida“, schlug er vor.

Auf seinen geringschätzigen Blick bekam er die Antwort, die er verdiente. „Ich war mal Ballerina, falls du es nicht wissen solltest. Stilettos sind nichts gegen Spitzenschuhe.“ Sie bemühte sich gar nicht, den arroganten Ton zu unterdrücken.

Wenige Sekunden später musste sie ihm recht geben. Es war ziemlich mühselig, den Wagenheber in die richtige Position zu bringen und sich zugleich das Kleid nicht schmutzig zu machen.

Alejandro beobachtete jede ihrer Bewegungen. So routiniert sie konnte, begann sie, die Schrauben zu lösen. Fast wäre sie gestürzt, als sie den Reifen endlich gelöst hatte und abzunehmen versuchte. Doch Alejandro war sogleich zur Stelle und stützte sie.

Und Lulu ertappte sich dabei, wie sie sich für eine Sekunde wünschte, er würde sie nicht mehr loslassen. Sein kräftiger muskulöser Körper vermittelte ihr so ein angenehmes Gefühl von Sicherheit, während die Berührung seiner Hände kleine Stromstöße an längst vergessenen Stellen ihres Körpers auslöste.

„Das reicht“, murmelte er schließlich mit seiner tiefen Stimme. „Lass mich den Rest erledigen.“

Für einen kurzen Augenblick glaubte Lulu, er meinte etwas ganz anderes. Tatsächlich nahm er mit erstaunlicher Leichtigkeit den gelösten Reifen ab und montierte an seiner Stelle das Ersatzrad. Anschließend entfernte er den Wagenheber.

Er hat mich in eine Nymphomanin verwandelt, dachte sie bei sich. Was er wohl mit Frauen machte, die ohnehin Sex liebten?

Nachdem er das alte Rad zusammen mit dem Wagenheber und dem Werkzeug im Kofferraum verstaut hatte, streckte Lulu ihm die Hand entgegen.

„Gib mir die Schlüssel“, bat sie.

Alejandro ahnte, was nun passieren würde. Dennoch reichte er ihr die Schlüssel.

Während sie um den Wagen herum zur Fahrerseite lief, warf sie ihm über das Wagendach einen herausfordernden Blick zu. „Steig ein!“

Mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht ließ er sich neben ihr auf dem Beifahrersitz nieder.

Veilchen. Ihr Duft ließ ihn einfach nicht mehr los. Er mochte ihn.

Ein Blick zur Seite, und er wunderte sich ein wenig. Sie sah gar nicht mehr so aus wie das Mädchen, dass er heute Morgen abgeholt hatte. Ihre dunklen Locken umrahmten ihr zartes Gesicht wie ein Heiligenschein. Ihre Wangen waren leicht gerötet, entweder von der Anstrengung oder durch die Aufregung. Die dunklen Augen glänzten, und ihr Rock war ziemlich zerknittert. Auf ihrem Oberteil prangte ein Ölfleck. Aus dem weiten Ausschnitt lugte der wohlgeformte Ansatz zweier hübscher kleiner Brüste.

Sie sah genauso aus wie in dem Moment, als er sie geküsst hatte. Wild und zerzaust und wunderschön. Sie weckte seinen Hunger nach ihr erneut.

„Bitte nicht den Tacho aus den Augen verlieren“, ermahnte er sie, nachdem sie den Wagen auf die Hauptstraße gelenkt hatte und nicht aufhören wollte zu beschleunigen.

„Sag du mir lieber, warum du mich mitten im Nirgendwo im Auto eingesperrt zurückgelassen hast.“

„Du warst nicht eingesperrt. Und ich wollte bloß ein paar Informationen für uns einholen.“ Wieder richtete er seinen Blick auf ihr fleckiges Kleid. „Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum du dich vorhin so angestellt hast und nicht aus dem Wagen steigen wolltest …“

„Das geht dich gar nichts an.“

„Wo du doch sonst so kompetent bist, wie wir gerade gesehen haben.“

Ein wenig perplex blickte sie ihn von der Seite her an. Dann richtete sie den Blick wieder auf die Straße.

„Ja, kompetent bin ich durchaus.“

„Dann kennst du ja sicher den Weg, Querida?“

Mit einer ungeduldigen Geste strich sie sich die Locken aus dem Gesicht und schaltete einen Gang höher. „Ich denke schon.“

Aus dem Augenwinkel sah er ein Ortsschild mit der Aufschrift Inverary an ihren vorbeirauschen. Dann wurde er wieder von ihrem Dekolleté abgelenkt, das sich so verführerisch mit jedem ihrer Atemzüge hob und senkte.

Sie wirkte so zufrieden mit sich, dass er beschloss, ihr nicht zu sagen, dass sie die ganze Zeit in die falsche Richtung fuhren. Er hatte es nicht eilig. Es reichte, wenn sie morgen am Schloss ankamen. Dieses ganze Gerede vom Glücklichsein bis der Tod sie scheidet würde ihn ohnehin nur langweilen.

Nein. Entspannt lehnte er sich in seinem Sitz zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und gab vor, ein Nickerchen zu machen. Er würde das hier jetzt ein Weilchen laufen lassen, bis sie sich abreagiert und ihre Lektion gelernt hatte. Und dann würde er dieser unwiderstehlichen Chemie zwischen ihnen ihren natürlichen Lauf lassen.

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Lulu durch die Windschutzscheibe in die an ihnen vorbeiziehende Landschaft. Ihrer Straßenkarte nach sollten sie eigentlich schon längst die Autobahn erreicht haben. Langsam brach die Dunkelheit über ihnen herein, und es regnete. Sie mochte es sich kaum eingestehen, aber sie hatte keine Ahnung, wo sie waren.

Es blieb ihr wohl keine andere Wahl, als anzuhalten und auf der Karte nachzusehen. Der Tank war fast leer, sie mussten dringend eine Tankstelle finden.

An der nächsten schmalen Haltebucht stoppte sie den Wagen. Alejandro schien zu schlafen. Jedenfalls hatte er die Augen geschlossen. Zaghaft berührte sie ihn an der Schulter. Er fühlte sich warm und verführerisch männlich unter ihrer Hand an.

„Mr. du Crozier.“

Keine Antwort.

„Alejandro!“

Träge öffnete er die Augen und ließ seinen Blick provozierend langsam über sie hinweggleiten. Er sah sie an als sei sie nackt. Und Lulu fragte sich, ob er überhaupt geschlafen hatte. Hatte er sie womöglich heimlich von der Seite beobachtet?

„Ich fürchte, wir haben uns verfahren“, gab sie kleinlaut zu.

„Was du nicht sagst.“

Seine Stimme klang rau. Vor Erregung. Nicht, weil er geschlafen hatte. Lulu schluckte.

Diese Situation hier im dunklen, stillen Auto mit ihnen beiden nur wenige Zentimeter voneinander getrennt hatte etwas sehr Intimes. Nervös fuhr Lulu sich mit der Zunge über die Lippen.

„Ich habe keine Ahnung, wo wir gerade sind.“

„Welch ein Glück, dass ich es weiß, nicht wahr?“, entgegnete er belustigt.

Mit diesen Worten öffnete er seinen Anschnallgurt und dann die Beifahrertür.

Ich fahre“, bestimmte er.

Fast ein wenig erleichtert stieß Lulu die Luft aus und kletterte über den Schaltknüppel auf den Beifahrersitz.

„Woher weißt du, wo wir sind?“, erkundigte sie sich, nachdem er den Wagen wieder auf die Straße gelenkt hatte.

„Ich hab das letzte Ortsschild gesehen. Wir sind kurz hinter Inverness.“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Ich dachte, du hättest geschlafen?“

„Sagen wir mal so. Ich bin kein besonders tiefer Schläfer, Querida“, entgegnete er mit einem verdächtigen Funkeln in den Augen.

Sie hatte es doch gewusst! Dieser Mann war einfach unmöglich. Dennoch klopfte ihr das Herz bis zum Hals, und sie ertappte sich dabei, wie sie ihn beobachtete, um zu sehen, was er wohl als Nächstes machen würde.

In weniger als zehn Minuten hatte Alejandro sie zur Autobahn gebracht. Jetzt, wo ihr kleines Abenteuer vorüber war, spürte Lulu, wie müde sie auf einmal war.

Sie versuchte, sich das vor ihr liegende Wochenende auszumalen, und die Vorstellung, wieder einmal allein und ohne Partner eine Hochzeit zu besuchen war so deprimierend, dass sie im Geiste Sätze formulierte, die sie niemals wagen würde auszusprechen.

Du bist dieses Wochenende allein … ich bin dieses Wochenende allein. Wir sind beide Trauzeugen. Sollten wir uns nicht zusammentun? Vielleicht könntest du mich noch einmal küssen?

Genau in dem Moment wurde der Wagen von einer heftigen Windböe erfasst und der Himmel über ihnen verdunkelte sich so sehr, dass man nunmehr überhaupt nichts mehr sah. Der Regen prasselte wie aus Kübeln auf das Wagendach.

Alejandro drosselte die Geschwindigkeit, bis sie nur noch Schritttempo fuhren.

„Kilantree …“, entzifferte Lulu auf einem Schild durch den Regenschleier hindurch. „Eine Meile. Liegt Kilantree in der Nähe von Dunlosie Castle?“, erkundigte sie sich.

„Nein, wir sind ziemlich weit ab vom Schuss.“

Zu ihrer Überraschung lenkte Alejandro den Wagen in eine Autobahnabfahrt.

„Was machst du?“

„Es ist dunkel, es regnet und ich kenne die Straßen hier nicht. Wir schaffen es heute Abend nicht mehr nach Dunlosie.“

„Und das bedeutet?“

Eigentlich wusste sie es selbst. Und zum ersten Mal seit Jahren kamen keine Angstgefühle in ihr auf, weil ihre Routine gestört war und etwas Unerwartetes passierte. Eher im Gegenteil …

„Wir verbringen die Nacht hier.“

6. KAPITEL

Die Wegbeschreibung, die sie in dem Pub im kleinen Ortskern von Kilantree erhielten, führte sie aus dem Ort heraus und eine lange schmale und steile Zufahrt hinauf zu Mrs. Baileys B&B. Die Unterkunft erwies sich als ein recht solide wirkendes gemütliches Holzhaus. Mrs. Baileys öffnete ihnen in Schürze und Hausschuhen.

„Schnell, kommen Sie rein, ehe Sie weggeweht werden. Der Sturm ist ja furchtbar! Wie geht es Ihnen, mein Liebes? Sie sehen schrecklich blass aus. Fast so schlimm wie unser Hausgeist. Keine Sorge, er wird Sie heute Nacht sicher in Ruhe lassen.“

„Hausgeist?“

Lulus Augen wurden immer größer. Sie wirkte überhaupt nicht begeistert. Alejandro nahm erstaunt zur Kenntnis, wie sich ihre kleine Hand in seine schob.

„Der beschert Ihnen sicher eine Menge Touristen, was?“, bemerkte Alejandro, und Mrs. Bailey lachte.

„Oh ja! Die Leute lieben Geistergeschichten. Damit will ich nicht sagen, dass es ihn nicht gibt. Folgen Sie mir die Treppe hoch. Es macht Ihnen doch nichts aus, Ihr Gepäck selbst zu tragen? Mein Mann ist schon im Bett. Er steht immer schon um vier Uhr auf wegen der Schafe.“

Lulu erschrak für eine Sekunde. Noch mehr Schafe?

Alejandro war ihre Reaktion nicht entgangen, und er unterdrückte ein Lächeln. Am oberen Ende der Treppe musste er den Kopf einziehen. Die Decke war hier oben sehr niedrig, die uralten Deckenbalken über ihnen bogen sich von der Last, die sie zu tragen hatten.

Die rundliche ältere Dame führte sie durch einen schmalen Flur und öffnete die Tür an dessen Ende, die in ein gemütliches wenn auch etwas enges Schlafzimmer führte, das gerade so Raum für ein Bett, einen Schrank und einen ziemlich unbequem aussehenden Sessel hatte.

In der Ecke war ein Kamin, an dem ihre Wirtin sich sogleich zu schaffen machte.

„Wir wollen doch nicht, dass Sie frieren“, erklärte sie, nachdem sie ein Feuer entzündet hatte. „Ich bringe Ihnen in einer halben Stunde das Abendessen hoch, wenn es Ihnen recht ist. Das Badezimmer ist am anderen Ende des Flurs. Dort finden Sie auch frische Handtücher.“

Lulu sah die ganze Zeit über entgeistert von einem zum anderen. „Ich schlafe auf keinen Fall im gleichen Zimmer mit dir“, zischte sie, nachdem Mrs. Bailey die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

Er war bereits auf ihren Widerstand vorbereitet. „Bitte reg dich nicht auf, Querida.“

Doch sie rollte bloß mit den Augen. Dennoch meinte er, eine gewisse Spannung bei ihr zu verspüren. War es Vorfreude, die sie zu verbergen versuchte? Dieses Mal würde er jedenfalls nicht den ersten Schritt machen. Es würde ganz klar ihre Entscheidung sein müssen.

„Du hättest ihr die Situation erklären müssen“, beschwerte sie sich.

Seufzend verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Es gibt nur ein Bett!“, fuhr sie aufgebracht fort.

„Sí. Und es sieht sehr bequem aus.“

Jetzt war es an ihr, die Arme abwehrend zu verschränken.

„Ich fürchte, du wirst auf dem Boden schlafen müssen.“

Wie abgesprochen blickten sie beide auf den harten Holzboden zu ihren Füßen.

„Nein“, entgegnete er in einem Ton, der keine Widerrede zuließ.

Lulu errötete. „Vielleicht kannst du dann in dem Sessel schlafen“, schlug sie gönnerhaft vor.

Alejandro zog eine Augenbraue hoch. „Wie wär’s, wenn wir eine Münze werfen?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten zog er eine Münze aus seiner Hosentasche. „Kopf oder Zahl?“

„Zahl.“

Er warf die Münze, fing sie auf und hielt sie ihr triumphierend entgegen. „Kopf. Du darfst auch die Decke haben.“

Während er das Feuer weiter anfachte, spürte er, wie sich ihr Blick in seinen Rücken bohrte. Am liebsten hätte er sie gepackt und auf seine spezielle Art auf andere Gedanken gebracht. Er würde heute Nacht ganz sicher nicht allein schlafen.

„Ich brauche meine Sachen“, forderte sie nun.

Seelenruhig schob Alejandro die Scheite tiefer in die glühende Asche.

„Gut. Ich werde ein Gentleman sein und sie dir holen“, entgegnete er und richtete sich auf, während sie jede seiner Bewegungen misstrauisch beobachtete.

Als er an ihr vorbei zur Tür ging, trat sie unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Schüchtern wie ein Mäuschen. Auch wenn ihm ihr selbstzufriedener Ausdruck im Gesicht nicht entgangen war. Es schien ihr durchaus zu gefallen, dass er bereitwillig tat, was sie ihm sagte.

„Der kleine blaue Koffer sollte reichen“, rief sie ihm nach, als er kurz vor der Treppe war. „Und nicht vergessen, da ist etwas Zerbrechliches drin.“

„Welcher Großmutter hast du das Teil denn gestohlen?“, fragte er belustigt, als er mit zwei Gläsern Wein wieder ins Zimmer trat, nachdem er Lulu den Koffer hochgetragen hatte.

Ein wenig beleidigt sah Lulu an sich herunter. Sie trug einen dicken grauen Morgenmantel aus warmer Wolle. „Ich hab mir sagen lassen, die Nächte in Schottland seien kalt. Wegen der Nähe zur Nordsee“, verteidigte sie sich.

„Die Nordsee?“

„Na da draußen.“ Vage deutete sie mit der Hand in Richtung Fenster.

Alejandros Kalkulationen nach lag der Atlantik genau auf der anderen Seite. Aber er wollte sie nicht noch mehr verunsichern.

Lulu sah, dass sein Haar nass vom Regen war. Er hatte den wilden Duft einer stürmischen Nacht mit ins Zimmer gebracht, der ihre Sinne ganz verwirrte. Unwillkürlich kam ihr der Gedanke, dass er die Elemente für sie bezwungen hatte. Eigentlich sollte sie das nicht sexy finden … Aber sie tat es. Ihr Blick blieb an dem feuchten Stoff seines Hemds hängen, worunter sich seine harten männlichen Muskeln abzeichneten.

„Möchtest du nichts essen?“ Er deutete auf das Tablett mit dem Dinner auf dem Boden, das Mrs. Bailey ihnen zuvor heraufgebracht hatte. Daneben lagen zwei Kissen.

Erst jetzt realisierte Lulu, dass sie die ganze Zeit wie angewurzelt auf einer Stelle gestanden und ihn angestarrt hatte. Hastig wandte sie sich von ihm ab und ließ sich auf einem der Kissen nieder, um nachzusehen, was Mrs. Bailey ihnen Köstliches gebracht hatte. Es sah aus wie Eintopf mit Klößen. Genau das Richtige an einem stürmischen Abend im schottischen Hochland.

„Cheers.“ Nachdem er sich zu ihr gesetzt hatte, hob er aufmunternd sein Glas Wein.

Lulu stieß mit ihm an und nahm einen Schluck. „Woher hast du den Wein? Es scheint ein richtig guter zu sein.“

„Ich hab ihn auf einer Auktion erstanden. Eigentlich sollten die Flaschen ein Hochzeitsgeschenk für Gigi und Khaled sein. Auf eine Flasche mehr oder weniger kommt es aber nicht an“, erklärte er.

„Du kaufst Wein auf einer Auktion?“

„Warum nicht?“

„Ist das nicht unglaublich teuer?“

Er warf ihr einen spekulativen Blick zu, der all ihre Hormone in ihrem Körper durcheinanderzuwirbeln schien. „Ein wenig, ja.“

„Das ist so verschwenderisch“, murmelte Lulu leise und las die Aufschrift auf dem Flaschenetikett. „Ich bin mir sicher, Mrs. Baileys Suppe entspricht nicht so ganz dem Standard eines fünfundvierziger Burgunder.“

„Mit gutem Wein ist man in bester Gesellschaft“, entgegnete er lächelnd, und sie wusste, er meinte im Grunde nicht den Wein. Sie ertappte sich dabei, wie sie nach unten schaute, um zu sehen, ob ihr Morgenmantel zu weit geöffnet war.

Um sich abzulenken, nippte sie an ihrem Wein. Er schmeckte so himmlisch, dass sie ein leises Seufzen ausstieß. Dann sah sie wieder zu ihm rüber. Und bemerkte zu ihrem Erstaunen, dass er sein Glas noch gar nicht angerührt hatte. Stattdessen beobachtete er sie. Und sie fühlte sich unwillkürlich zurückversetzt in die Situation im Wagen. Wie er sie berührt hatte, wie seine Lippen all diese magischen Dinge mit ihren Lippen vollbracht hatten. Wie er sie atemlos gemacht und völlig durcheinandergebracht hatte. So wie jetzt in diesem Augenblick wieder.

„Von der Ballerina zum Oben-ohne-Showgirl“, murmelte er auf einmal bewusst provozierend. „Magst du mir die Geschichte erzählen?“

Nachdenklich starrte Lulu ihn an, wie er dort gegen das Bettgestell gelehnt auf dem Teppich saß, die langen Beine lässig von sich gestreckt. Er war der perfekte Traummann, entsprungen aus den heimlichen Fantasien von Frauen. Und er wusste es.

Sie konnte er jedoch nicht locken. Sie wollte einen Gregory Peck. Jemand Bodenständiges, auf den man sich verlassen konnte. Der einer Lady fraglos sein Bett überließ und nicht erwartete, dass sie es mit ihm teilte. Der außerdem keine neugierigen Fragen über ihren Broterwerb stellen würde.

Es stimmte, mindestens die Hälfte der Tänzerinnen im L’Oiseau Bleu trat oben ohne auf. Splitterfasernackt. Und das war in Ordnung, denn es war Kunst. Die Show hatte eine lange Tradition. Aber Geschichte interessierte Alejandro sicher nicht. Er stand einfach nur auf nackte Frauen.

Das war allerdings kein Grund für sie, ihn so unverhohlen anzusehen. Ihr Blick ruhte verdächtig lange auf der sinnlichen Linie seiner Lippen, dann auf dem dunklen Schatten um sein Kinn, der einen starken Bartwuchs verriet. Ob es wohl kratzen würde, wenn er sie noch einmal küsste?

Nach Atem ringend wedelte Lulu sich mit der Hand etwas Luft zu. „Das Feuer ist ganz schön warm.“

„Dafür wirst du später noch dankbar sein, wenn die Temperatur unter null geht“, entgegnete er.

Unmerklich schielte sie zum Bett, dann trafen sich ihre Blicke. Eigentlich wartete sie darauf, dass er freiwillig anbot, den Sessel zu nehmen.

Er tat es nicht.

Mit zusammengepressten Lippen griff sie nach ihrem Weinglas.

„Vom Mann ohne Benehmen zum professionellen Polospieler. Wie hat sich das zugetragen?“

Er verzog keine Miene. „Ich wurde schon mit vier Jahren von meinem Vater auf ein Pferd gesetzt. Ich hatte gar keine Wahl. Außerdem hat meine Familie schon seit Generationen Pferde gezüchtet. Der Sport ist in Argentinien sehr beliebt. Es liegt mir sozusagen im Blut.“

Lulu hatte Mühe, ihn sich als vierjähriges Kind vorzustellen. Er war so groß und männlich, so voller Testosteron, dass es schwer war, ihn klein und verletzlich vor sich zu sehen.

„Du hast also alles geerbt?“, fragte sie, noch immer beleidigt wegen des Bettes. Wenn er ein Gentleman wäre, dann würde sie es vielleicht – aber auch nur vielleicht – in Betracht ziehen, das Bett mit ihm zu teilen. Natürlich auf rein platonische Art.

Wenngleich Alejandro du Crozier ihr nicht gerade wie ein Mann erschien, der rein platonische Freundschaften mit Frauen pflegte.

Er war der Typ Mann, der eine Frau packte und küsste, bis sie ihm eine Ohrfeige versetzte, um sie dann mit hundert schwarzköpfigen Schafen allein zu lassen.

„Geerbt?“ Er schien mit dem Ausdruck zu hadern. „Nein, ich habe es mir verdient. Jeden Zentimeter Land, jedes einzelne Pferd, jedes Match. Geschenkt bekommen habe ich nichts“, erklärte er stolz.

Offenbar hatte sie hier ein Thema angesprochen, das sehr wichtig für ihn war. Er nahm einen Schluck Wein, dann sprach er weiter. „Ich betreibe eine Ranch, Lulu. Eine Estancia, wie wir sie in Argentinien nennen.“ Eindringlich sah er sie an. „Und ich verfüge über ein Unternehmensportfolio, das unter anderem unser nationales Poloteam unterstützt.“

„Wow! Dann hast du ja sicher viel zu tun.“

„Ich glaube, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel, Querida.“

Nein, das konnte sie nicht. Aber das würde sie schon bald. Denn in einem Monat ging das College los, und sie würde eine komplette Saison bei L’Oiseau Bleu durchtanzen. Das würde sie ziemlich in Atem halten. Auch wenn es sicher nicht vergleichbar war mit Pferdezucht und einer Rolle als Kapitän in internationalen Polospielen.

Bestimmt war er unglaublich ehrgeizig. Sonst hätte er es bestimmt nicht so weit gebracht im Sport. Seltsamerweise gefiel ihr das. Sie mochte sein Selbstvertrauen … Die Art, wie er sich durchsetzte im Leben und es mit harter Arbeit zu etwas brachte. Vor allem aber mochte sie es, sich mit ihm darüber zu unterhalten. So wie sie es jetzt taten.

Und zum ersten Mal an diesem Tag kam sie auf den Gedanken, dass sie diese Nacht ganz für sich haben könnte. Die anderen Mädels waren nicht da, um ihm zu stecken, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Ihre Eltern waren nicht da, um noch deutlicher klarzustellen, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Und Gigi gegenüber hatte sie heute Nacht keine Verpflichtungen.

Es gab niemanden, dem sie Rechenschaft ablegen müsste. Das könnte ihre Nacht werden. Was bedeutete, dass sie aufhören musste, ihn über Polo auszufragen!

Aufgeregt nahm sie einen Schluck Wein und verschluckte sich fast. „Deine Eltern müssen sehr stolz auf dich sein.“

Rastlos ließ Alejandro den Wein in seinem Glas kreisen und legte ein Bein über das andere. „Sie haben sich getrennt als ich fünfzehn war“, sagte er betont leichtfertig.

Also war er ein Scheidungskind so wie sie. Sie hatten etwas gemeinsam.

„Scheidungen können ganz schön hart sein“, bemerkte sie mitfühlend.

Doch er zog skeptisch die Augenbraue hoch. „Meine Eltern haben sich eine Scheidungsschlacht geliefert, Lulu. Ich war einfach nur froh, als es vorbei war. Der Tag ihrer Trennung war der Tag, an dem endlich wieder Frieden herrschte.“

Sie wusste genau, was er meinte. Aber darüber wollte sie jetzt nicht mit ihm sprechen. „Bist du bei deiner Mutter geblieben?“

Sí, wir sind bei ihr geblieben, meine Schwestern und ich.“ Er nahm einen weiteren Schluck Wein und stellte das Glas auf dem Tablett ab. „Bevor du fragst, Querida, meine Mutter ist jetzt viel zu beschäftigt mit ihrem neuen Ehemann in Rio de Janeiro, um meine Karriere zu verfolgen.“

Das musste sehr schmerzhaft für ihn sein. Auch wenn er nach außen so wirkte, als ob ihm nichts etwas anhaben könnte.

„Dein Vater hat dich also irgendwann, als du ein Kind warst, auf ein Pferd gesetzt. Aber wie kam es dann dazu, dass du den Pferdesport zu deinem Beruf gemacht hast? Es scheint dir ja viel Spaß zu machen.“

„Ich messe mich gern mit anderen.“ Er sagte es auf die gleiche selbstverständliche Art, als ob er die Farbe seiner Augen nennen würde. „Ich hatte die Möglichkeit, gegen die besten Spieler der Welt zu spielen. Warum sollte ich mir so eine Gelegenheit entgehen lassen?“

Es klang so leicht. Als hätte ihm das alles kein bisschen Mühe bereitet. Lulu fragte sich, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie manchmal Tage hatte, an denen sie nicht einmal das Haus verlassen konnte.

„Mein Sport nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch, die ich manchmal lieber auf der Ranch verbringen würde. Aber das ist es mir wert. Meine Ex-Frau war da leider anderer Meinung. Professioneller Sport ist nicht gerade förderlich für das Privatleben.“

„Du warst verheiratet?“

„Überrascht dich das?“

„Ich hätte es nicht von dir gedacht. Du siehst nicht gerade aus wie jemand, der sich fest bindet.“

Sein fragender Blick machte sie nervös. „Wie sehe ich denn aus?“

„Nun ja … wie ein vielbeschäftigter Geschäftsmann …“, stotterte sie, verwundert über ihre eigene Kühnheit.

„Nicht so vielbeschäftigt, wie du vielleicht annimmst, Querida“, murmelte er mit der leichten Andeutung eines Lächelns, das Lulu ganz benommen machte. Auf einmal hörte sie nur noch ihren eigenen Puls.

Sie war auf das hier nicht vorbereitet. Mit einem Mann zu flirten, sich von ihm angezogen zu fühlen. Und sich gleichzeitig zu fragen, was er wirklich von ihr dachte.

Nicht viel nahm sie an.

„Wir arbeiten auf der Estancia nach einem international anerkannten Zuchtprogramm“, fuhr er fort.

Gerade als sie glaubte, alle wichtigen Eckdaten über ihn zu kennen, fuhr er mit noch beeindruckenderen Errungenschaften auf.

„So habe ich Khaled kennengelernt. Wir haben vor einigen Jahren Kabardiner aus dem Kaukasus von ihm gekauft, daraus hat sich eine enge Freundschaft entwickelt.“

Lulu wollte nicht über Khaled Kitaev sprechen. Alejandro hingegen schien ganz in seinem Element zu sein. Scheinbar hatte sie hier einen Nerv getroffen. Es war wohl das, worüber sie die Mädchen im Kabarett hatte reden hören. Sprich mit einem Mann über das, was ihn fasziniert, und er wird dich lieben.

„Du bist also die beste Freundin“, stellte er fest und widerlegte damit ihre Annahme, dass er nur über sich selbst sprechen wollte.

„Pardon?“

„Die Freundin von Gigi. Habt ihr zusammen gewohnt? Oder woher kennt ihr euch?“

Beunruhigt darüber, dass er so viel über sie zu wissen schien, fragte Lulu sich, was Khaled und Gigi ihm wohl noch alles erzählt haben mochten über sie.

„Wir haben uns zur gleichen Zeit bei Bluebirds beworben“, erklärte sie knapp. „Gigi hat außerdem ein Zimmer gesucht, und meine Eltern hatten mir eine nette Wohnung in der Nähe des Kabaretts besorgt. Sie ist dann meine Mitbewohnerin geworden, ja.“

Sein trockenes Lachen ließ sie aufblicken.

„Was ist so lustig daran? Weil meine Eltern mir die Miete bezahlt haben? Haben deine Eltern dir am Anfang nicht geholfen, als du noch kein Geld verdient hast?“

„Meine Eltern waren mir nur im Weg, Querida. Und nein, sie haben mir kein Geld gegeben. Entspann dich, ich verurteile dich deswegen nicht.“

Lulus Augen wurden schmal, als sie seinen amüsierten Tonfall vernahm.

Er verurteilte sie sehr wohl.

Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie nicht nur eine wunderschöne Wohnung von ihren Eltern finanziert bekam, sondern auch vom Fahrer ihrer Mutter überall hingefahren wurde? Und dass ihre Rechnungen häufig von ihren Eltern gezahlt wurden? All das war Teil ihres komplett durchorganisierten Lebens, das man für sie geplant hatte, als sie achtzehn geworden war. Um ihre unzähligen Ängste bestmöglich abzumildern. Was würde er von ihr denken, wenn er wüsste, dass sie eine wandelnde Verliererin im Spiel des Lebens war?

„Hast du deswegen diese Abneigung gegen ihn?“

„Gegen wen?“

„Khaled. Gigi hat mit ihm einen guten Fang gemacht.“

Was sollte das jetzt heißen? Was wollte er damit sagen? Lulu spürte ein Gefühl von kalter Wut in sich aufsteigen.

„Ich habe keine Abneigung gegen ihn. Wie kommst du darauf? Ich freue mich sehr für Gigi.“ Es war ihr bewusst, dass sie ihre Stimme gehoben hatte, was sie sonst nie tat. „Und warum meinst du hat sie einen guten Fang gemacht?“

„Er schreibt ihr ziemlich großzügige Schecks soweit ich weiß.“

Jetzt verschluckte Lulu sich fast an ihrem Wein. „Wie bitte? Gigi heiratet Khaled doch nicht wegen dem Geld!“

„Das weiß ich. Ich rede von dir.“

„Von mir? Ich will Khaleds Geld nicht!“, sprudelte es aus ihr hervor. Sie rang nach Luft. „Oder glaubst du, ich will mir jetzt auch einen Milliardär suchen?“

„Du wärst nicht die erste Frau, die das tut.“

7. KAPITEL

Sein vor Zynismus nur so triefender Kommentar machte Lulu sprachlos.

„Wenn du glaubst, dass Gigi und ich Wie angel’ ich mir einen Millionär gespielt haben, dann hast du dich leider getäuscht“, verteidigte sie sich schließlich und versuchte dabei, ebenso missbilligend zu klingen wie er, was ihr nicht gelang. „Wir arbeiten beide sehr hart!“

„Du wärst jedenfalls nicht die erste Frau, die genau das haben will, was ihre Freundin hat. Vielleicht täusche ich mich …“ Er zuckte die Schultern.

Lulu hasste ihn für diese Geste. Als ob es ihm im Grunde egal war, ob er recht hatte oder nicht. Denn es war definitiv nicht egal, wenn sie selbst die zu Unrecht Beschuldigte war.

„Ja du täuschst dich ganz gewaltig! Und Khaled Kitaev hat nicht das Recht, dir Dinge über mich zu erzählen.“

„Er hat überhaupt nichts erzählt.“ Entspannt lehnte Alejandro sich zurück. Lulu kam nicht umhin, seine breiten Schultern heimlich zu mustern. Er wirkte unwiderstehlich.

„Ich hab’ dich bereits nach fünf Flugminuten durchschaut, Querida.“

„Du hast mich durchschaut?“ Innerlich fiel Lulu in sich zusammen.

„Du bist eine kleine Unruhestifterin.“

„Wie bitte …?“ Die Worte kamen nur als Flüstern über ihre Lippen.

Plötzlich war sie sicher, dass er alles wusste. Gigi hatte Khaled bestimmt nicht ihre Geheimnisse verraten, er musste es auf anderem Wege herausgefunden haben.

Ob er wusste, dass sie noch nie einen Freund hatte? Wahrscheinlich. Dachte er, sie war verrückt? Bestimmt. Machte er sich bloß einen Spaß daraus, ihr vorzumachen, er wolle die Nacht mit ihr verbringen?

Ihr Selbstwertgefühl war am Boden.

Khaled hatte ihr die beste Freundin weggenommen, und es fühlte sich an als sei ihr ein riesengroßer Teil ihres Lebens entrissen worden. Ihr Privatleben war doch ohnehin schon so karg. Nun musste sie auch noch auf ihre beste Freundin verzichten. Wie es Alejandro wohl gefallen würde, wenn man ihn zwang, sein ganzes Leben infrage zu stellen?

„Was habe ich eigentlich getan, dass du all diese schrecklichen Dinge zu mir sagst?“, entfuhr es ihr verzweifelt. „Seit wir uns im Flugzeug begegnet sind, hast du mich attackiert. Ich bin kein schlechter Mensch. Aber mir scheint es, du willst, dass ich mich so benehme, damit du deine schlechte Laune an mir auslassen kannst. Ich hatte gedacht … ich meine, als du mich geküsst hast …“

Mon Dieu, was redete sie da bloß? Hektisch erhob sie sich vom Boden und wäre fast gestürzt, als sie mit dem Po gegen das Bett stieß. In dem kleinen Zimmer konnte sie ihm ohnehin nicht entkommen. Doch das realisierte sie erst jetzt.

„Du weißt überhaupt gar nichts von mir!“, fuhr sie ihn an und wandte ihm den Rücken zu. „Und ich hoffe, dass wir uns nach diesem Wochenende nie wieder sehen.“

Alejandros erste Reaktion war, sie in seine Arme ziehen und küssen zu wollen. Aber als er das beim letzten Mal getan hatte, hatte sie sich ziemlich aufgeregt.

Normalerweise ging er ausschließlich mit unabhängigen, selbstsicheren Frauen aus. Nicht, dass er mit dieser Linie immer Erfolg gehabt hätte. Seine Ex-Frau war so unabhängig gewesen, dass sie es als ihr Recht angesehen hatte, nebenbei mit anderen Männern ins Bett zu steigen. Doch an Lulus Worten war durchaus etwas Wahres dran.

Sie war überhaupt sehr authentisch, vor allem, wenn er sie mit seiner Ex-Frau verglich.

Manchmal kam es eben nur auf die Chemie zwischen zwei Menschen und das richtige Timing an. Beides hatte er hier. Und er verschwendete ihre kostbare Zeit, indem er mit ihr stritt.

Als sein Blick auf ihre angespannten Schultern fiel, kam ihm der Gedanke, dass diese ablehnende Haltung im Grunde ihre einzige Waffe gegen ihn war.

Sie hatte sie den ganzen Tag benutzt.

Jetzt fühlte er sich noch schlechter als ohnehin schon.

„Tut mir leid, Lulu. Es war ein langer Tag, und ich hab meine Laune an dir ausgelassen. Das war nicht fair.“

Eigentlich hatte Lulu nicht mit einer Entschuldigung gerechnet. Und schon gar nicht hatte sie erwartet, dass er so schnell auf den Beinen sein würde. Auf einmal stand er direkt hinter ihr. Sie mochte sich nicht umdrehen, denn sie wusste, ihr Gesicht war rot, und ihre Mascara verlaufen.

Außerdem wusste sie nicht, was er dann von ihr erwarten würde. Und diese Spannung zwischen ihnen verunsicherte sie.

„Lulu?“

„Ich nehme deine Entschuldigung an“, entgegnete sie steif.

In der darauffolgenden Stille wurde Lulu klar, dass sie ihm sicher bloß leidtat. Was ungefähr so sexy war wie ein Teller Haferbrei.

„Wir könnten einfach nett zueinander sein, oder?“, murmelte sie mit schwacher Stimme.

„Einverstanden. Auch wenn es mir nicht leichtfallen wird.“

„Warum?“ Über die Schulter hinweg riskierte sie einen Blick in seine Richtung. Warum sah er sie so an? Er stand so dicht hinter ihr, dass er sicher ihr Herz pochen hörte.

„Ich glaube, du weißt, warum.“ Das leise Lächeln auf seinen Lippen verriet nichts. Doch der ernste Ausdruck in seinen Augen erschien ihr wie ein Versprechen. Welcher Art dieses Versprechen war, das konnte sie nur ahnen. Eines jedoch wusste sie. Es würde das, was sie im Auto miteinander erlebt hatten, mit hundertprozentiger Sicherheit in den Schatten stellen.

Und es war genau dieses Unbekannte, das Lulu reizte. Sie konnte ihm nicht widerstehen, auch wenn es ihr alles zu schnell ging. Irgendwie ging alles schnell, wenn dieser Mann in ihrer Nähe war.

In der einen Minute hasste sie ihn, in der nächsten wollte sie ihn küssen. Und die Tatsache, dass er sie in einigen ihrer schlimmsten Momente erlebt hatte, machte die Sache noch komplizierter.

In diesem Augenblick jedenfalls war sie kurz davor, ihn zu sich herunterzuziehen und dazu zu bringen, dass er sie wieder küsste.

Aber das würde sie nicht zulassen. Nicht jetzt.

„Ich glaube, ich sollte besser ins Bett gehen“, sagte sie leise und redete sich ein, nicht enttäuscht zu sein, als er ihr nicht widersprach.

Frisch rasiert und nur mit einer Boxershorts bekleidet kehrte Alejandro aus dem Badezimmer zurück und fand Lulu auf dem Sessel zusammengekauert vor.

Eigentlich war er fest davon überzeugt gewesen, sie würde sich das Bett nehmen. So wie es aussah hatte er sich geirrt. Ihr Gesichtsausdruck im Schein der Stehlampe war ernst. Den ganzen Tag über hatte er immer wieder beobachtet, wie sie offensichtlich unter größter Anstrengung versuchte, sich zu entspannen. Es war ein Verhalten, das er nicht einordnen konnte.

Alejandro blickte auf das Bett, dann auf das Mädchen, das sich dort auf dem Sessel zusammengerollt hatte.

Dios.

Insgeheim hatte er es geahnt, dass sie sich weigern würde, das Bett mit ihm zu teilen. Es würde eine lange unbequeme Nacht für ihn werden auf dem Sessel. Er würde es überleben, schließlich hatte er sogar schon im Sattel geschlafen. Ein schlecht gefederter Sessel in einem schottischen Bauernhaus war geradezu Luxus dagegen.

Langsam durchquerte er das Schlafzimmer, beugte sich zu ihr herunter und hob sie zusammen mit der Decke, in die sie sich gewickelt hatte, auf seine Arme. Es war ein Fehler. Denn plötzlich veränderte sich die Atmosphäre zwischen ihnen. Alles fühlte sich unerwartet intim zwischen ihnen an. Ihre Arme um seinen Hals, das Gefühl ihres Gewichts … Es war, als wäre sie seins.

Und sie schien es zu wissen, denn sie wehrte sich kein bisschen.

Vorsichtig ließ er sie samt Decke auf das Bett sinken.

„Was machst du?“

„Was meinst du denn, was ich mache? Ich überlasse dir das Bett.“

Erst jetzt, wo die Decke an ihrem Körper heruntergerutscht war, realisierte er, dass sie den Morgenmantel ausgezogen hatte und nichts weiter als Unterwäsche trug. Es war nicht irgendeine beliebige Unterwäsche, es waren die heißesten Dessous, die er jemals an einer Frau gesehen hatte.

Oder vielleicht lag es auch an der Frau, die die Wäsche trug.

Ein Vintage-Satin-BH mit passendem Höschen in Creme, verziert mit altmodischer weißer Spitze. Als wäre das nicht genug, wurde er nahezu überwältigt von Lulus weiblichen Kurven, die nur spärlich von dem glänzenden Satin bedeckt wurden. Ihre Haut wirkte unglaublich zart. Sie war das liebreizendste Geschöpf, das er sich vorstellen konnte.

Auch er schien ihr zu gefallen. Die engsitzenden Boxershorts verbargen nicht viel.

Sie schien fasziniert. Und es war erst in dem Moment, als die Matratze unter seinem Gewicht nachgab und er ihr nah genug war, um die Wärme ihres Körpers an seinem zu spüren, dass sie zu realisieren schien, dass sie nichts weiter als Unterwäsche trug. Hastig zog sie die Decke über sich.

Er küsste sie dennoch. Nicht so, wie er sie im Auto geküsst hatte. Voller Ungeduld und Verlangen, und mit der Absicht, ihr zu zeigen, wer der Stärkere von ihnen beiden war.

Dieses Mal ging es ihm um etwas anderes.

Er wollte ihr beweisen, dass er gut genug für sie war.

Dass sie ihm vertrauen konnte.

Dass sie seins war.

Doch sie zog sich zurück und er sah, dass sie ebenso erstaunt über die unerwartete Situation war wie er selbst.

„Ich weiß nicht …“, murmelte sie zögernd.

Es war das, was er gerade nicht hören wollte. Abwartend beobachtete er sie.

Lulu sah seine wachen bernsteinfarbenen Augen unter den langen dunklen Wimpern leuchten. Er war nicht nur einer der attraktivsten Männer, der ihr je begegnet war, sondern auch einer der intelligentesten. Er machte sie so … lebendig. Und sie war dankbar, dass er sie nicht wie ein zerbrechliches Baby behandelte, wie sie es aus ihrem Umfeld gewohnt war. Er war fast ein bisschen ruppig mit ihr umgegangen. Und genau das hatte dieses Verlangen nach ihm in ihr geweckt.

Wenn ich nicht mit ihm schlafe, werde ich es für den Rest meines Lebens bereuen.

Wie von selbst strichen ihre Fingerspitzen auf einmal über seine leicht geöffneten Lippen.

Er nahm ihre Hand und ballte ihre Finger sanft zu einer Faust. „Du bist dir nicht sicher, Hermosa.“

„Doch, das bin ich.“

„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Du aber schon, denke ich.“

Da irrte er gewaltig. Non, sie wusste, wie schwierig Beziehungen waren, wenn man eine Gefangene seiner eigenen Ängste war, so wie sie es war. Auf eine Beziehung würde sie in diesem Leben verzichten müssen.

„Das stimmt nicht. Ich will keine Beziehung.“

„Nicht?“

Eigentlich wusste sie gar nicht so richtig, was sie wollte. Außer das, was sie gerade in diesem Moment hatte. Denn das erschien ihr bereits sehr viel, hatte sie doch all die Jahre zuvor nichts gehabt.

„Nicht?“ Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Ich denke trotzdem, dass du es morgen Früh bereuen wirst“, versicherte er ihr.

Wäre sie doch nur nicht so bedürftig. Ihr ganzer Körper war in Aufruhr. Aufgewühlt von seinen Küssen und dem Verlangen zwischen ihren Schenkeln. Sie wusste, es würde wieder nachlassen, und irgendwann würde sie einschlafen. Und morgen würde sie sich darüber grämen, dass sie ihre große Chance verpasst hatte, herauszufinden, wie es sich anfühlte, mit einem anderen Menschen intime Momente zu teilen.

Es war durchaus möglich, wenn man die Umstände in ihrem Leben und ihren Zustand betrachtete, dass sich eine solche Chance nie wieder bieten würde.

Ehe sie es sich anders überlegen konnte, erhob sich Lulu und kniete vor ihm. Mit einer schnellen Bewegung schlang sie die Beine um ihn und blickte ihn voller Verlangen an.

Alejandro verkniff sich jegliche Widerrede. Er war ein Mann, kein Mönch.

Und Lulu … Lulu ließ sich auf seinem Schoß nieder und legte ihre Arme um seine Schultern.

„Ich will nur diese eine Nacht. Nichts weiter“, beteuerte sie. Alejandro konnte gar nichts sagen. Er war ihr hilflos ausgeliefert, als ihr Blick wie hypnotisiert über seinen nackten Oberkörper glitt. „Nur eine Nacht. Mit dir.“

Ungestüm presste sie ihre Lippen auf seine, sodass er kaum noch an sich halten konnte.

Entschlossen umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. Denn er wusste, wenn sie jetzt so weitermachte, würde es kein Zurück mehr geben.

„Bist du sicher?“

Sie lächelte, und ein Grübchen erschien neben ihrem Mund, als sie sich zu ihm herunterbeugte, um ihn erneut zu küssen.

Jetzt übernahm er. Mit der Zunge begann er, zunächst ihre Unterlippe zu liebkosen, um dann in die süße Höhle ihres Munds vorzustoßen.

Mit Genugtuung stellte er fest, wie das Feuer in ihm auf Lulu übergriff. Denn es waren nicht nur seine Lippen, die es in ihr entfachten. Sie spürte ihn an ihrer intimsten Stelle. Und er war größer als sie sich vorgestellt hätte. Und hart. Seine Hände auf ihrem satinbedeckten Po pressten sie an ihn.

Lulu konnte es gar nicht fassen, wie sehr er sie erregte. Wie sehr sie ihn wollte. Zum ersten Mal in ihrem Leben bekam sie eine Ahnung davon, was sie alles verpasst hatte. Es war, als hätte sie bisher gar nicht richtig gelebt. Ihre Angst hatte es ihr nicht erlaubt, sich auf einen Mann einzulassen.

Das hier würde sie sich jedenfalls nicht entgehen lassen.

Die Nacht gehörte ihr.

Er unterbrach ihren Kuss, um sie ein letztes Mal zu warnen. „Du bist dir darüber im Klaren, Lulu, dass ich nicht mehr will als das hier, ja?“

„Bon“, hauchte sie atemlos und ignorierte mit aller Macht die Stimme der Vernunft in ihr. Ein einziges Mal in ihrem Leben wollte sie nur für den Moment leben.

Alejandro ließ seine Hand unter den Satinstoff ihres BHs gleiten und erspürte eine Haut, die noch viel zarter war als der Satin, der sie bedeckte. Und eine erstaunlich füllige Brust für eine solch schmal gebaute junge Frau. Ihre Brustwarze war hart und schien sich unter seiner Berührung aufzurichten.

Madre de Dios.

Hingebungsvoll rieb er sie, und sie stöhnte vor Lust. Atemlos fluchte er auf Spanisch, denn was hier passierte, brachte ihn an seine Grenzen. Dabei war sie noch nicht einmal nackt.

Ihr Atem wurde flach und ging immer schneller. Doch er dachte gar nicht daran, von ihr abzulassen. Als Nächstes beugte er sich über sie und nahm ihr Brustwarze vorsichtig zwischen die Zähne und saugte an ihr. Ein überraschter Aufschrei entrang sich ihrer Kehle, der in ein lustvolles Wimmern überging, als er seine Hand unter ihr Höschen gleiten ließ. Sie fühlte sich so feucht und heiß an, dass er nicht mehr warten konnte.

Hastig entledigte er sich seiner Boxershorts.

Lulu kniete auf dem Bett und sah ihn bloß an. Der neugierige Ausdruck in ihren Augen sprach Bände. Für einige Augenblicke schien sie völlig fasziniert von seinem Anblick.

Dann erinnerte sie sich, dass sie ihren BH noch trug und griff nach hinten, um den Verschluss zu öffnen. Doch er kam ihr zuvor. Er spürte die leichte Anspannung in ihrem Körper als er die Träger über ihre Schultern streifte. Nur kurz gewährte sie ihm einen Blick auf ihre himbeerfarbenen Brustwarzen und die üppigen Rundungen ihrer Brüste. Dann beeilte sie sich, ihre Arme vor ihren Brüsten zu verschränken, um sich zu bedecken. Der kurze Anflug von Unsicherheit in ihrem Blick war ihm nicht entgangen. Dann hob sie stolz ihr Kinn und ließ die Arme langsam sinken.

Ein Gefühl von Zärtlichkeit breitete sich in ihm aus, das seltsamerweise so gar nicht im Widerspruch zu der Erregung in ihm stand. Sanft strich er über ihre Schultern und Arme, beobachtete, wie ihre Brustspitzen sich spannten, wie ihre Brüste sich hoben und senkten mit jedem flatternden Atemzug.

„Schlafen wir jetzt miteinander?“

Es war eine verrückte Frage, doch er nahm sie ernst, denn es war Lulu, die sie stellte.

„Nur wenn du das willst.“

„Mmmm. Ja, ich will es.“ Sie schlang die Arme um seinen Hals, als er sich auf sie legte. „Mit dir“, fügte sie hinzu und blickte ihm tief in die Augen.

Gab es noch jemand anderen im Raum außer ihm? Er musste schmunzeln. Sie war wirklich zu süß.

Süß und sexy und so ganz anders als alle anderen Frauen.

„Lulu?“

„Hmm?“

„Nur diese eine Nacht.“

„Hör auf, das zu sagen.“ Naserümpfend senkte sie den Blick.

Dabei hatte sie es doch auch gesagt? Das Problem war nur, dass er sich wie ein Lügner vorkam. Er sagte ihr, er wolle nur eine Nacht mit ihr verbringen und fühlte etwas ganz anderes. Tatsächlich wollte er mehr.

Nachdem er ihr das Höschen über die Schenkel gestreift hatte, bewunderte er ihre unerwartet gerundeten Hüften und die winzigen schwarzen Löckchen in ihrer Mitte. Ihre Haut schien an dieser Stelle noch nie die Sonne gesehen zu haben – sie war weiß wie Schnee.

Lulus Atem ging noch immer schwer. Die Art, wie sie ihn beobachtete, als ob sie herauszufinden versuchte, was er dachte, hatte etwas berührend Intimes.

Am liebsten hätte er ihr gesagt, was er dachte. Nämlich, dass er heute Abend der glücklichste Mann in Schottland war.

Mit ihren großen Augen, ihrem von ihren Küssen feuchten Lippen und den rosigen aufgerichteten Brustwarzen war sie der wahrgewordene Traum eines jeden Mannes.

„Es gibt da noch etwas, was du wissen solltest“, murmelte sie nun.

Sein Kopf fuhr hoch, und er sah sie prüfend an.

„Ich war noch nicht mit vielen Männern zusammen“, erklärte sie sichtlich verlegen.

Es überraschte ihn nicht besonders. Doch die Art, wie sie über diese sehr persönliche Sache sprach und ihn mit diesem vertrauensvollen Blick ansah, löste ein unglaublich großes Bedürfnis in ihm aus, sie zu beschützen.

Es ist ein Geschenk, dachte er bei sich. Sie gibt dir ein Geschenk. Ihr Vertrauen.

Versonnen spielte sie mit dem weichen Flaum seines Brusthaars. „Ich möchte endlich eine richtige Frau sein“, sagte sie nach einer kleinen Weile und lächelte.

„Dann schauen wir mal, was ich da tun kann“, entgegnete er ebenfalls lächelnd. Im nächsten Moment rutschte er ein Stück tiefer, teilte mit der Hand ihre Schenkel und begann, sie mit dem Mund zu verwöhnen.

„Non!“, protestierte sie sofort. Ihre Stimme war heiser. Doch ihr Körper sprach eine andere Sprache, und sie schmolz unter den Liebkosungen seiner Zunge dahin. Genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Bis er sie soweit hatte, dass sie sich unter ihm wand und aufbäumte und als sie den Höhepunkt erreichte, in das Kissen schrie und schluchzte.

Er überlegte, ob er ihr nicht sagen sollte, dass die Baileys annahmen, sie seien verheiratet. Dass sie so laut schreien könne wie sie wolle. Doch ihre Zurückhaltung hatte etwas höchst Erotisches.

Das Vibrieren seines eigenen Körpers wurde langsam unerträglich. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als endlich in ihr zu sein. Während sie unter ihm nach Atem rang, nestelte er mit einem Kondom aus seiner Hosentasche und ließ sich schließlich neben sie auf das Kissen sinken, um ihre weichen Lippen zu küssen. Ein Kuss, den sie nur allzu gern erwiderte. Ihre Wangen waren gerötet, und sie wirkte höchst zufrieden.

Er registrierte es nicht ohne Stolz. War er es doch gewesen, der sie in diesen Zustand versetzt hatte. Er arbeitete hart, ritt wie der Teufel, und er bot Frauen guten Sex. Bisher hatte noch keine sein Bett enttäuscht verlassen.

Doch was er jetzt tat, hatte nichts damit zu tun. Er strich Frauen nicht durchs Haar und blickte ihnen tief in die Augen. Doch er verzichtete darauf, sich zu fragen, warum er sich in ihrer Nähe so gut fühlte.

„Bist du bereit?“

Sie nickte und küsste ihn, und er legte sich vorsichtig auf sie. Erwartungsvoll teilte er mit dem Knie ihre Schenkel und rutschte zwischen sie. Vor Verzweiflung hielt er es kaum noch aus. Er wollte endlich in ihr sein. Doch als er versuchte, in sie einzudringen, realisierte er, wie schmal sie gebaut war. Ihr Körper gewährte ihm keinen Einlass.

Lulu war sich darüber bewusst, was los war, und musste die Tränen unterdrücken. Sie war so aufgeregt gewesen, sie hatte es so sehr gewollt. Und dann das. Es war wieder einmal typisch für sie. Wieder ließ ihr Körper sie im Stich. Ausgerechnet jetzt, in dieser für eine Frau so bedeutsamen Situation.

Sie war eine Versagerin.

„Lulu.“ Alejandro legte die Hand an ihr Kinn, damit sie ihn ansah. „Du musst dich entspannen“, forderte er sie auf.

Entspannen? Sie wollte sich nicht entspannen. Sie wollte Sex haben. Hinterher würde sie sich entspannen. Wenn alles vorbei war. Also im Grunde jetzt, so wie es aussah …

Oh

Sie spürte, wie sein Finger sanft um die kleine Knospe kreiste, an der all ihre Nervenenden zusammentrafen. Ein vertrautes Gefühl überkam sie – nur war es dieses Mal intensiver, brennender. Denn er war halb in ihr und fuhr fort, sich in kreisenden Bewegungen seinem Ziel zu nähern. Gleichzeitig hing er an ihren Lippen, und es dauerte nicht lange, bis Lulu ein weiteres Mal in einen tranceartigen Zustand fiel, der sie vor lauter Genuss alles um sich herum vergessen ließ.

Erst als sie ganz weich um ihn wurde, ihm damit den Weg freigab, und er mit einem Mal tief in sie eindrang, realisierte sie, was passiert war. Doch jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Denn er begann, sie geschickt mit dem Daumen zu massieren, bis alles in ihr pulsierte.

Mit rauer Stimme forderte er sie auf, ihre Beine um seine Hüften zu schlingen, damit sie ihn noch tiefer spürte. Sie spürte, wie es ihn anstrengte, seine Bewegungen nicht zu heftig werden zu lassen und wusste, er tat es für sie. Es raubte ihr für eine Sekunde den Atem, so sehr berührte es sie.

Eindringlich musterte er sie.

„Tu ich dir weh?“

Sie schüttelte den Kopf. Und dann hörte sie auf zu denken und gab sich ganz ihrem Rhythmus hin. Stöhnend hob sie sich ihm entgegen und hörte wie aus der Ferne ihre eigenen leisen Schreie als seine Stöße immer härter wurden. Bis sie sich mit einem wilden Zucken unter ihm aufbäumte, um anschließend erleichtert zurück in das Kissen zu sinken.

Seine Bewegungen beschleunigten sich, und es dauerte nicht lange, bis auch er den Gipfel erklomm. Heftig zitternd vergrub er den Kopf in ihrem Haar, und Lulu wurde förmlich überwältigt von dem Gefühl der Einheit zwischen ihnen, von der Hitze ihrer Körper, wie sie umschlungen aufeinanderlagen.

Schwer atmend klammerte Alejandro sich an sie, etwas, was er sonst nie tat. Als er sah, dass sie ihr Gesicht an seiner Schulter verbarg, musste er an den Moment im Auto denken. Wie ablehnend er sich verhalten hatte. Auf einmal schämte er sich. Er hatte nichts verstanden, und er fragte sich, ob er sie verletzt hatte.

Dulzura …“, flüsterte er, überfordert von seinen eigenen unwillkommenen Gefühlen.

Sie hob den Kopf, und ihre Augen strahlten hell wie Sterne durch die seidigen dunklen Locken. Zu seinem Erstaunen erkannte er, dass sie kein bisschen unglücklich wirkte. Er hatte sie unterschätzt.

„Das war wunderbar“, stieß sie hervor. „Wann machen wir das noch mal?“

8. KAPITEL

Lulu lehnte sich zurück und stieß gegen seinen Arm, der wiederum gegen die Wand stieß. Ein Scheppern ertönte. Irgendetwas schien auf den Boden gefallen zu sein.

Oje.

Doch Alejandro zog sie in diesem Moment noch fester an sich. Die Beine um seine Taille geschlungen spürte sie ihn so intensiv in sich, dass ihre Gedanken sich verflüchtigten und sie sich nur noch darauf konzentrieren konnte, wie gut er sich anfühlte.

Sie war sich nicht sicher, ob es richtig war, dass eine Frau mit so wenig sexueller Erfahrung wie sie sich so Hals über Kopf in ein solch wildes Liebesabenteuer stürzen sollte. Aber etwas, das sich so herrlich anfühlte, konnte doch nicht falsch sein?

Nach ihrem Liebesspiel streckte er sich schwer atmend neben ihr aus.

Lulu lag auf dem Rücken und genoss den kühlen Lufthauch auf ihrer überhitzten Haut. Eine vollkommen neue Welt hatte sich ihr eröffnet. Sie fühlte sich erschöpft und entspannt zugleich, und ihr Herz schlug noch immer wie wild. Doch nicht aus Angst, wie sonst, sondern vor Aufregung und Erregung. In ihrem Blut tanzten Glückshormone und vernebelten ihr Denken. Sie konnte gar nichts sagen, nur ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern.

Als sie den Kopf wandte, sah sie einen ähnlich zufriedenen Ausdruck in Alejandros Gesicht. Unter halb geschlossenen Lidern betrachtete er sie.

Sie fühlte sich kein bisschen eingeschüchtert und rutschte näher an ihn heran, bis sein Brusthaar sie kitzelte.

Er stützte sich auf, um sie besser anschauen zu können.

„Ich will alles von dir wissen“, forderte sie.

Bettgeflüster. Normalerweise ließ er sich nicht dazu hinreißen. Doch in diesem Fall machte es ihm überraschenderweise nichts aus.

Während er ihr von seinen Pferden und seinem Großvater erzählte, lächelte Lulu ihn mit großen Augen und glühenden Wangen an. Ihr Haar war an einigen Stellen um das Gesicht herum feucht und lockte sich. Sie sah aus, als hätte sie ein leidenschaftliches Liebesspiel hinter sich. Zärtlich strich er einzelne Strähnen aus dem Gesicht.

Zu gern wäre er erneut in ihre süße Schlucht geglitten. Doch er wusste, sie würde wund sein. Denn er ahnte, dass sie ihm nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte.

Er war noch nie mit einer Jungfrau zusammen gewesen, aber er würde eine Menge Geld darauf wetten, dass das hier ihr erstes Mal gewesen war. Darum fühlte er sich irgendwie für sie verantwortlich. Oder so etwas Ähnliches. Er wollte seine Gefühle für sie lieber nicht allzu gründlich analysieren.

Sie erzählten einander von ihrer Kindheit und ihren abwesenden Vätern.

Lulu runzelte die Stirn, als sie heraushörte, dass Alejandros Vater ein ziemlicher Tyrann gewesen sein musste. Zu gern hätte sie ihn in die Arme genommen und getröstet, während er erzählte. Doch sie wollte ihm lieber nicht zu nah treten. Nicht in diesem kostbaren Moment, wo er sich ihr ein wenig öffnete und Dinge preisgab, die er sicher nicht jeder Frau erzählen würde.

Außerdem lag ihr nichts ferner, als an ihre eigene Kindheit und ihren leiblichen Vater erinnert zu werden. Sie hatte schon genug mit ihren Ängsten und Phobien zu tun, die eine Folge dieser schlechten Erfahrungen waren. Und die sie spätestens morgen wieder einholen würden. Denn so ganz verschwanden sie nie.

Ihre Rettung war normalerweise Routine. Wenn alles wie gewohnt und nach Plan ablief, ging es ihr gut. Das würde sie an diesem Wochenende nicht haben können.

Aber sie würde es schon durchstehen. Und in diesem Augenblick fühlte sie sich sogar besser als normal. Ihr war, als hätte eine neue Zeit für sie angefangen. Und diese Zeit hatte in diesem Zimmer und in dieser Nacht begonnen.

Sie hatte noch keine Panikattacke gehabt, und sie hatte sich noch nie so sicher gefühlt wie hier in seinen Armen.

Sie sah an sich herab. Eigentlich war sie sehr schüchtern und hätte ihren nackten Körper bedeckt. Doch als er sie betrachtete fühlte sie sich kein bisschen schüchtern. Ganz im Gegenteil. Der bewundernde Ausdruck in seinen Augen gab ihr ein Hochgefühl. Und sie scheute auch nicht davor zurück, ihn anzusehen. Sein Körper unterschied sich so sehr von ihrem. Wo sie weiche Rundungen hatte, war er hart.

Lächelnd rollte sie sich auf die Seite und erspürte die Muskeln seiner männlichen Brust mit ihrer Hand, um ihre Finger dann weiter nach unten zu seinem Bauch gleiten zu lassen. Seine olivfarbene Haut war von unzähligen weichen schwarzen Härchen bedeckt, und sie folgte der Linie bis hinab zwischen seine Schenkel, wo sie ihn in die Hand nahm.

Alejandro hätte eine solche Kühnheit nicht von ihr erwartet. Von seiner kleinen Fast-noch-Jungfrau.

Scharf sog er die Luft ein.

„Tu ich dir weh?“

„Nein …“, presste er hervor.

Bon. Ich werde so vorsichtig wie möglich sein. Männer sollen in dem Bereich ja so empfindlich sein.“

Ein Stöhnen ging über seine Lippen. „Empfindlich ist noch untertrieben.“

„Ich war schon mal gezwungen, mein Knie bei einem Mann einzusetzen. Er ist umgefallen wie ein Sack Kartoffeln.“

„Darauf möchte ich wetten“, entgegnete er, ehe ihm der volle Umfang dessen, was sie da gerade gesagt hatte, bewusst wurde. Er hob den Kopf. „Was meinst du damit, dass du gezwungen warst?“

„Der Mann, mit dem ich einen netten Abend verbringen wollte, hatte eine etwas andere Vorstellung davon als ich, wie der Abend enden sollte“, erklärte sie knapp.

„Hat er dich verletzt? Körperlich meine ich?“

Energisch schüttelte sie den Kopf. „Er hat mich bedroht. Und einige schlimme Dinge gesagt.“

Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz an die Erinnerung. Es gab ihm einen Stich. Zu gern wäre er diesem Typen in einer dunklen Gasse begegnet und hätte ihm gezeigt, was er von ihm hielt.

Tröstend zog er sie in seine Arme und küsste sie. Und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er nicht einfach am Montag nach Hause fliegen und sie vergessen könnte.

Warum auch? murmelte eine leise Stimme in seinem Kopf eindringlich. Warum muss es denn nach diesem Wochenende vorbei sein? Verdammt, er könnte auch einfach die Hochzeit sausen lassen und mit ihr ans Mittelmeer fliegen.

Doch Lulu würde das nicht zulassen. Sie würde ihn erbost an seine Pflichten als Trauzeuge erinnern. Das war mit ein Grund, warum er sich so zu ihr hingezogen fühlte. Jede andere Frau würde tun, was er wollte. Ohne auch nur aufzumucken.

Und so küsste er sie zärtlich, und sie schien ihn gar nicht mehr loslassen zu wollen. Als hätte sie Angst, dass er plötzlich aufstehen und gehen könnte. Nichts in aller Welt würde ihn heute Nacht von ihr trennen können.

„So wie es aussieht, werde ich beim Buenos Aires Cup nächsten Monat wohl Probleme haben, mich auf das Spiel zu konzentrieren“, murmelte er lächelnd. „Weil du mir immer noch im Kopf herumspuken wirst.“

Lulu lächelte zurück. Das Flackern in ihren Augen sagte ihm, dass sie seine Botschaft verstanden hatte. Das, was er damit eigentlich wirklich sagen wollte.

Jetzt musste er nur noch sich selbst davon überzeugen.

9. KAPITEL

Der nächste Morgen kam viel zu schnell.

Sie wusste, ihre Eltern warteten bereits auf sie, denn sie standen ebenfalls auf der Gästeliste. Sie würden einen kurzen Blick auf Alejandro werfen, dann würde ihre Mutter ihn beiseitenehmen und ihm alles erzählen.

Lulu ist kein normales Mädchen. Auf Lulu muss man aufpassen. Sind Sie sicher, dass Sie der richtige Mann dafür sind?

Er würde ihre Mutter entsetzt ansehen und sich umdrehen und gehen.

Es wäre nicht das erste Mal. Ihre Mutter hatte schon ihren ersten großen Schwarm vertrieben. Julien Levolier. Sie war gerade achtzehn gewesen damals.

Alejandro kam aus der Dusche, sein Oberkörper war noch feucht und glänzte ihm Licht der Morgensonne, die durchs Fenster schien. „Du musst dich anziehen, Querida.“

Ein Kloß machte sich in ihrer Kehle breit, und sie schluckte. „Alejandro, wir müssen reden.“

Sí, das müssen wir.“ Mit diesen Worten setzte er sich zu ihr aufs Bett, zog sie zu sich heran und gab ihr einen innigen Kuss. Die Daunendecke, in die sie sich gewickelt hatte, rutschte ihr vom Körper, und sie schmiegte sich seufzend an ihn.

Als er sich wieder zurückzog, bemerkte er, dass sie zitterte.

„Wir müssen wirklich los, Lucero“, erinnerte er sie sanft.

„Ach ja, richtig …“ Umständlich rutschte sie zur Bettkante und zog die Decke hinter sich her. Auf einmal war sie sich ihrer Nacktheit unangenehm bewusst. Doch Alejandro kam ihr zur Hilfe und griff nach der Decke, um sie ihr umzulegen.

Es war eine solch liebevolle Geste, dass ihr Herz sich vor Rührung zusammenzog.

„Was ich letzte Nacht gesagt habe, Lulu“, begann er auf einmal leise. „Dass das mit uns nur für eine Nacht war … Ich hab es nicht so gemeint. Ich möchte dich wiedersehen, Hermosa …“

Jede andere Frau hätte wahrscheinlich Luftsprünge vor Freude gemacht. Lulu jedoch wurde fast panisch. „Ich kann nicht“, entgegnete sie erstickt.

„Gibt es da noch jemand anderen?“ Sein Gesichtsausdruck wurde hart. Er ließ sie nicht aus den Augen.

Doch sie schüttelte den Kopf. „Du magst deine Meinung geändert haben“, sagte sie sanft und wagte es kaum, ihn dabei anzusehen. „Aber ich nicht. Und ich wollte nur diese eine Nacht.“

„Bist du sicher?“ Seine tiefe Stimme klang schmeichelnd. Und unsagbar sexy. Sein spanischer Akzent zog sie jedes Mal aufs Neue in den Bann, wenn er sprach.

Er glaubte ihr nicht. Sicher, weil er es von anderen, normalen Frauen nicht gewöhnt war, dass sie sein Angebot ausschlugen. Das Problem war nur, sie war nicht normal …

„Ich kann wirklich nicht“, wiederholte sie und entfernte sich einige Schritte von ihm. „Bitte dräng mich nicht, Alejandro.“

Doch er stand bloß reglos vor ihr und beobachtete sie. Es war nicht zu übersehen, dass er herauszufinden versuchte, was in ihr vorging. Lulu wollte ihm am liebsten sagen, dass er sich die Mühe schenken konnte. Dass es alles ganz einfach war – nämlich dass sie schlichtweg zu viel Ärger bereiten würde.

„Dir ist aber bewusst, dass ich an diesem Wochenende keine Gelegenheit auslassen werde, zu versuchen, dich umzustimmen?“ Seine wunderbar schmeichelnde Stimme ließ sie dahinschmelzen.

„Bitte tu das nicht“, wehrte sie ab, der Ausdruck in ihren Augen flehend. „Meine Freunde und meine Familie werden da sein, sie werden nur unangenehme Fragen stellen.“ Sie schaffte es kaum, die Worte hervorzubringen und wandte hastig den Blick ab.

Alejandro gefiel die Vorstellung nicht sonderlich, das schmutzige kleine Geheimnis einer Frau zu sein. Es schnürte ihm geradezu die Luft ab. Eine Reaktion, die ihn selbst überraschte.

Vielleicht lag es daran, dass Lulu ihn gerade daran erinnerte, dass man von Frauen nichts erwarten konnte. Sobald man etwas von ihnen erwartete, enttäuschten sie einen. Das war zumindest seine persönliche schmerzliche Erfahrung.

Es sind ihre bloßen Schultern, entschied er dann. Und die wilden Locken, die nach der Nacht in alle Himmelsrichtungen abstanden und sie noch hübscher machten als sie ohnehin schon war. Ihre Lippen, die noch immer leicht geschwollen von ihren heißen Küssen waren. Das war es, was ihn so verrückt machte.

Sobald sie wieder ihren normalen Alltag hätten, würde diese Besessenheit von ihr nachlassen. Außerdem gab es genug andere schöne Frauen in seiner Welt, die ihn ablenken würden.

„Ich muss sagen, ich bin ein wenig verwundert, Querida. Du wirkst gar nicht wie diese Art von Frau.“

„Welche Art von Frau meinst du?“, hakte sie sofort nach. Langsam fühlte sie sich etwas unbehaglich.

„Eine Frau, die auf One-Night-Stands aus ist.“

Alejandro sah den kurzen Anflug von Schmerz in ihrem Gesicht ehe sie den Blick abwandte. Sie widersprach ihm nicht, was ihn bestätigte und zugleich unsagbar wütend machte. So wütend, dass er am liebsten etwas an die Wand geworfen hätte.

Als junger Mann hatte er mit vielen Frauen geschlafen, die durch ihn bloß ein klein wenig Berühmtheit erhaschen wollten. Es hatte ihn nie gestört, weil er nichts weiter als Sex gewollt hatte.

Lulu ließ ihn an Valentina denken. Seine Ex-Frau, die er mit ihrem Geliebten in flagranti erwischt hatte. Noch immer hatte er die Bilder vor Augen, wie sie ihre bloßen Brüste erschrocken mit dem Bettlaken bedeckte, während ihr Liebhaber – ausgerechnet sein ehemaliger Teamkollege – sich beeilte, in seine Hose zu schlüpfen.

Letzten Endes hatte sein Kollege ihm einen Gefallen getan, denn er hatte den letzten Rest seines Glaubens an eine glückliche Beziehung zerstört. Das Bisschen, was ihm noch geblieben war nach der verrückten Ehe seiner Eltern.

Als er Valentina beim Unterzeichnen der Scheidungspapiere gefragt hatte, warum sie ausgerechnet ihn geheiratet hatte, hatte sie schlicht und einfach gesagt: „Weil du der erfolgreichste Polospieler von Argentinien bist.“

Und wenn er Lulu jetzt ansah – ihren verschlossenen Gesichtsausdruck, die fest zusammengepressten Lippen – dann fragte er sich, was sie eigentlich von ihm wollte. Er erinnerte sich, wie sie sich im Flugzeug verhalten hatte. Verwöhnt und ständig fordernd. Nie zufrieden. Der Typ Frau, den er normalerweise wie die Pest mied. Denn Valentina war genauso gewesen. Er hatte zwei Jahre mit einer Frau vergeudet, die innerlich leer war und ihn dafür verantwortlich gemacht hatte. Dieses Mal würde er keine Zeit verlieren.

Entschlossen griff er nach seiner Tasche und stopfte einige seiner Habseligkeiten hinein. „Wir sollten uns beeilen“, erinnerte er sie.

Wie erstarrt beobachtete Lulu ihn dabei, wie er seelenruhig den Reißverschluss der Tasche schloss. Als sei nichts zwischen ihnen vorgefallen. Sie vermutete, dass Situationen wie diese absolut nichts Neues für ihn waren. Ganz im Gegensatz zu ihr. Für sie fühlte sich alles so ungewohnt und emotional an.

Das Problem war, dass sie sich nicht erklären konnte. Weder warum sie ihn nur für eine Nacht wollte noch warum sie ihren Sitz im Flugzeug nicht hatte wechseln können.

„Ziehst du dich nun an?“, drängte er. Sein Gesichtsausdruck war kühl. Sie konnte es ihm nicht verübeln. „Der Pilot wartet nicht gern.“

„Der Pilot?“

Irritiert folgte sie seinem Blick aus dem Fenster und riss die Augen auf, als sie ihn sah.

Auf dem Hügel vor dem Haus stand ein glänzender schwarzer Helikopter.

Nachdem sie ihr Gepäck nach unten in den Flur getragen hatten, zog Alejandro einige Geldscheine aus seinem Portemonnaie, um für den zu Bruch gegangenen Bilderrahmen aufzukommen, den sie bei ihrem ungestümen Liebesspiel von der Wand gerissen hatten.

Mrs. Bailey warf ihnen einen wissenden Blick zu. „Noch nicht lange verheiratet, wie?“

Lulu wäre fast im Boden versunken.

Wäre sie ein ganz normales Mädchen, hätte sie die Situation lustig gefunden. Dieser Morgen wäre der Beginn von etwas ganz Wundervollem gewesen. Das war er leider nicht.

Stattdessen schien sie einen schweren Stein im Magen zu haben und brachte kaum ein Wort hervor. Mit einer schnell gemurmelten Verabschiedung eilte sie nach draußen und bestand darauf, ihren Koffer selbst zu tragen.

„Warum dachte sie, wir wären verheiratet?“, fragte sie ihn, während sie zum Auto liefen, um das Gepäck darin zu verstauen. Alejandro hatte ihr erklärt, ein Mitarbeiter des Schlosses würde den Wagen für ihn nach Dunlosie fahren. Langsam hatte sie genug Beweise dafür gesammelt, dass Alejandro in einer anderen Stratosphäre lebte. Wer mit Helikoptern reiste und Schlossmitarbeiter die unbequemen Aufgaben für einen erledigen ließ, hatte offenbar ein goldenes Händchen, was Finanzen anging.

„Ich schätze, es war der Lärm, den du gemacht hast“, entgegnete er und grinste, während Lulu errötete und darauf verzichtete, seine Aussage zu kommentieren. Innerlich jedoch ärgerte sie sich schon wieder über ihn.

Es war ein kurzer und glücklicherweise ereignisloser Flug bis nach Dunlosie Castle.

Der Anblick aus der Luft auf das alte Schloss, das rund um die Ruinen des Originals aus dem zwölften Jahrhundert gebaut worden war, und den direkt angrenzenden See war überwältigend.

Als sie ausstiegen, stöhnte Lulu beim Anblick der Frau, die auf sie zueilte, innerlich auf. Das war das Letzte, wonach ihr jetzt war. Eine Konfrontation mit ihrer Mutter, während Alejandro bei ihr war.

„Nimm deine Hände weg“, zischte sie, als er ihr behilflich sein wollte.

Alejandro schien nicht so recht zu verstehen, was in ihr vorging. Nach einem langen Blick jedoch ließ er sie los. Diese Frau gab ihm immer wieder Rätsel auf.

Während Lulu über den Rasen vor dem Schloss auf ihre Mutter zulief, sah sie bereits von weitem den typischen besorgten Blick in ihrem Gesicht. Als wäre ihre Tochter zum Trekking im Amazonasgebiet aufgebrochen und nicht zu einer kurzen Flugreise von Paris nach Edinburgh.

Hinter sich hörte sie Alejandros Schritte. Sie durften sich auf gar keinen Fall begegnen. Je schneller sie lief, desto größer ihre Chance, diese beiden Welten auseinanderzuhalten.

Auf einmal stolperte sie. Alejandro war sofort an ihrer Seite und griff nach ihrem Ellbogen, um sie zu stützen. Doch sie riss sich los, als hätte er sie unangemessen berührt.

„Ich hab dir doch gesagt, dass du mich allein lassen sollst!“, sagte sie mit schriller Stimme. „Warum verstehst du das nicht? Ich will dich nicht!“

Ihre harten Worte ließen ihn zusammenzucken, doch er kam ihrer Bitte nach und ließ sie los. „Gut, wenn du es so willst“, antwortete er bloß.

In diesem Moment verlor sie endgültig die Kontrolle über ihre Beine und schlug der Länge nach ins Gras.

10. KAPITEL

„Sie macht dir was vor“, bemerkte Khaled und schüttelte den Kopf, während er ihnen ein Glas Whiskey einschenkte.

Alejandro hatte das Gleiche gedacht, diese Worte jedoch von einem anderen Mann zu hören, rief eine aggressive Reaktion in ihm hervor.

„Du hast sie nicht gesehen“, erwiderte er grimmig. „Irgendetwas stimmt nicht.“ Versonnen erinnerte er sich daran, wie er sie auf seine Arme gehoben und ins Schloss getragen hatte. Wie ihre Mutter die ganze Zeit besorgt auf ihn eingeredet hatte.

„Lulu ist ein bisschen anders“, erklärte Khaled und nahm einen Schluck von seinem Whiskey.

„Anders, wie meinst du das?“ Alejandro spürte, wie sein Puls wieder hochging.

„Sie wird von ihren Eltern in Watte gepackt. Überbehütet. Sie kennt sich in der rauen Realität der Welt nicht aus. Ich bezweifle, ob sie überhaupt jemals einen Freund hatte.“

Das Glas in Alejandros Händen fiel klirrend auf den harten Steinboden.

Khaled zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Jetzt weiß ich Bescheid. Du kannst nur hoffen, dass Gigi das nicht rausbekommt. Es würde ihr gar nicht gefallen, wenn sie wüsste, dass du dich an ihre beste Freundin rangeschmissen hast.“

„Lulu, was ist letzte Nacht passiert?“ Gigi ließ sie nicht aus den Augen. Sie saßen zusammen in Lulus Zimmer auf dem Bett.

„Wir hatten einen Platten und haben in einem kleinen Bed & Breakfast übernachtet“, erklärte Lulu knapp.

„Und?“

„Was und? Es war ganz nett.“

„Lulu, was war zwischen euch?“

Ich habe ihn verführt.

„Du hast mit ihm geschlafen, habe ich recht?“, fuhr Gigi fort.

„Nein.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Oder vielleicht. Ein kleines bisschen.“

„Lulu!“

„Jetzt mach doch bitte keine so große Sache daraus“, bat Lulu ihre Freundin inständig. „Ich bin schließlich über einundzwanzig.“

„Seid ihr jetzt zusammen? Wie geht es nach diesem Wochenende weiter?“ Gigi wollte alles wissen. Sie hoffte schon lange, dass ihre Freundin endlich einen Freund finden würde.

„Nein, es war nur diese eine Nacht.“ Lulu schaffte es kaum, ihrer Freundin dabei in die Augen zu sehen.

„Nur eine Nacht? Lulu, es war dein erstes Mal.“

„Wir haben gemeinsam beschlossen, es bei diesem einen Mal zu belassen“, erklärte sie. Natürlich stimmte das nicht ganz.

Gigi schwieg einen Moment und schien nachzudenken. „Du willst nicht, dass er von deinen Panikattacken erfährt, hab ich recht?“

Lulu öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber was brachte das schon? Gigi kannte sie einfach zu gut. „Es geht ihn nichts an.“

Mitfühlend legte Gigi den Arm um ihre Freundin. Sie war klug genug, Lulu zu nichts zu drängen.

„Hat meine Mutter Alejandro irgendetwas gesagt? Hast du irgendetwas in der Richtung gehört?“, erkundigte Lulu sich nun. „Ich meine, als ich vorhin ohnmächtig geworden bin da draußen.“

„Er hatte ziemlich besorgt gewirkt. Soweit ich weiß, hat deine Mutter ihm nur gesagt, dass du Medikamente nimmst.“

„Was? Oh nein.“

„Er wird wohl eine Erklärung von dir fordern.“

Die Wahrheit werde ich jedenfalls nicht sagen, beschloss Lulu.

Als sie sich für das Dinner ankleideten, klärten die anderen Brautjungfern Lulu auf.

„Er ist der Gott des Polo!“, meinte Susie aufgeregt. „Der Mann hat so ziemlich alle Preise gewonnen, die man sich vorstellen kann. Die Leute zahlen ein Vermögen, um ihn spielen zu sehen.“

„Ich konnte es gar nicht glauben, als ich ihn aus dem Hubschrauber steigen sah“, rief Trixie dazwischen. „Ich wusste, dass er kommt, aber so live und in Farbe wirkt er noch mal umso beeindruckender finde ich.“

„Erinnert ihr euch an die Posterreihe von ihm am Strand in Patagonien mit den Pferden?“, fragte Susie die Mädchen. „Mit nacktem Oberkörper, braungebrannt und perfekt gebaut. Ich bin dahingeschmolzen.“

Die Schwärmerei der anderen brachte Lulu ganz durcheinander.

„Die Frauen liegen ihm alle zu Füßen“, rief Trixie aus dem Bad. „Er datet aber nur die schönsten Frauen der Welt. Der hätte niemals Interesse an einer wie uns.“ Sie seufzte.

Dieu, was redeten sie da bloß alle? Dachte Alejandro jetzt vielleicht, sie hätte sich nur an ihn rangemacht, weil er berühmt war? Sie schuldete ihm unbedingt eine Erklärung. Eine Entschuldigung. Auch wenn sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählen konnte, dann doch wenigstens etwas. Sie wollte nicht, dass sie auseinandergingen und er das Allerschlimmste von ihr dachte.

Es war leichter gesagt als getan.

Eine Stunde später beobachtete sie ihn, wie er von Grüppchen zu Grüppchen ging und sich mit den Gästen unterhielt. Mit seinen breiten Schultern, dem leicht gelockten kastanienbraunen Haar, das ihm bis auf den Hemdkragen fiel, und dem angedeuteten Lächeln im Gesicht, das ihn so aussehen ließ, als kannte er ein Geheimnis, von dem kein anderer wusste.

Seit sie den Raum betreten hatte, hatte er noch keine Anstalten gemacht, sich ihr zu nähern. Sie dagegen konnte den Blick gar nicht von ihm abwenden. Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht gingen ihr durch den Kopf, und sie wusste, es war ihre eigene Entscheidung gewesen, dass sie jetzt nicht zusammen waren. Sie hatte es so gewollt.

Während Gigi auf die Bühne trat, um eine Ankündigung zu machen, blickte er auf einmal zu ihr herüber. Seine Augen strahlten im Licht der Kronleuchter an der Decke. Er erinnerte sie an einen Leopard, der scheinbar träge auf den Ästen eines Baumes lag. Jeder Muskel des Killerkörpers schien entspannt. Doch seine Augen … Es waren die Augen eines Jägers.

Lulu sah, wie Susie sich näherte, ihn am Arm berührte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, das ihn zum Lachen brachte. Er strahlte den leichtfertigen Charme eines Mannes aus, für den attraktive Frauen alles taten, nur um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

Es war seltsam entmutigend, zu realisieren, was passieren würde. Er würde sie vergessen und sich einer anderen Frau zuwenden. Nicht Susie, und auch nicht dieses Wochenende, aber danach.

Um sie herum begannen die Leute zu klatschen. Gigi hatte offenbar gerade bekanntgegeben, dass nun ein Spiel gespielt würde. Stühle wurden gerückt, die Gäste griffen nach ihren Champagnergläsern, ein Hut mit Zettelchen machte die Runde.

Vom anderen Ende des Saals sah sie ihre Mutter auf sich zukommen, und ihr Herz sank. Gleich würde sie aufgefordert werden, sich zu ihren Eltern zu gesellen, so als wäre sie dreizehn und nicht dreiundzwanzig.

„Komm“, ertönte plötzlich eine vertraute Stimme an ihrem Ohr. „Wir können das hier gewinnen.“

Mit seinem mächtigen Körper schirmte er sie vor den Blicken der Gäste und ihrer Mutter ab, während er sie unauffällig in Richtung Ausgang schob.

„Aber du hast Lila, und ich habe Pink“, protestierte sie schwach. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie wusste, darum ging es gar nicht.

Leichtfertig nahm er das Papier aus ihrer Hand und warf es zusammen mit seinem eigenen Zettelchen wie Konfetti über die Schulter.

„Problem gelöst. Jetzt sind wir im gleichen Team.“

Lulu spürte ein warmes Gefühl von Hoffnung und Erleichterung in sich aufsteigen, das sich nach und nach in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Immer wieder sah sie ihn von der Seite an, um sicherzugehen, dass er es wirklich war. Dass es keine Halluzination war, dass er mit einem Mal aufgetaucht war.

Zielstrebig führte er sie in einen mit Unmengen von Büchern gefüllten ruhigen Raum, der an eine mittelalterliche Bibliothek erinnerte, und schloss die Tür hinter ihnen. Endlich waren sie allein. Und Lulu wusste, er hatte sie nicht aus den Gründen hierher geführt, aus denen andere Pärchen diesen Ort aufsuchen würden. Er suchte keine dunkle Ecke, um sich mit ihr vergnügen zu können.

Das hier war ihre Gelegenheit, sich bei ihm zu entschuldigen. Auch wenn sie ihm nicht alles erklären können würde.

„Alejandro …“

Er trat einen Schritt auf sie zu, und Lulu wich unwillkürlich zurück, bis sie an einen Schreibtisch stieß, der aus der Zeit der Jahrhundertwende zu stammen schien.

Vielleicht hat er mich doch aus anderen Gründen hierher geführt, dachte sie bei sich. Der Gedanke ließ ihren Puls hochgehen.

„Wenn du immer noch möchtest, dass ich nichts weiter als dein heimlicher Lover bin, dann bin ich dabei“, murmelte er und sah sie herausfordernd an.

Es war ihr unangenehm, das seine Worte ein verräterisches Verlangen in ihr auslösten, und sie versuchte, etwas Abstand zwischen ihnen zu schaffen, indem sie ein wenig zurücktrat.

„Nein, darum geht es mir gar nicht.“

„Worum dann, Lulu?“

„Ich will einfach nur, dass du mich nicht mehr willst.“

Was natürlich nicht stimmte. Tatsächlich wollte sie es mehr als sie sich eingestehen mochte.

Alejandro ließ sich jedoch nicht beirren. Seine heiße, maskuline Ausstrahlung raubte ihr fast den Atem, als er mit einem Mal so dicht vor ihr stand, dass ihr Po gegen die Tischkante stieß.

„Dann haben wir wohl ein kleines Problem. Ich will dich nämlich immer noch.“

Lulu stieß ein unfreiwilliges Seufzen aus, das fast wie ein Schluchzer klang. Sofort stieg ihr das Blut in die Wangen. Sie wollte nicht, dass er mitbekam, wie sehr sie das Gefühl, ihm nicht entkommen zu können, da er sie mit seinem großen furchteinflößenden Körper in die Ecke gedrängt hatte, erregte.

Seine Hüften stießen spielerisch gegen ihre, und sie registrierte, dass er eine mächtige Erektion hatte.

„Hast du Angst, dass deine Mutter es herausfinden könnte, oder warum stellst du dich so an?“

Oh ja. Das würde sie.

„Ganz bestimmt nicht. Ich bin eine erwachsene Frau.“

„Dann benimm dich wie eine.“

Und das war zugleich das Problem und auch der Ausweg. Denn wenn sie sich auf ihn einließ, würde er keine weiteren Fragen stellen, und sie würde in den Genuss kommen, ein weiteres Mal mit ihm zu schlafen. Nur ein einziges Mal. Sie hatte so viele einsame Nächte vor sich. Ein Mal könnte sie es noch zulassen, danach ihre Entschuldigung anbringen, und anschließend würden sie beide zurückkehren in ihren Alltag.

Ohne weiter nachzudenken griff sie nach seinem Hemd und versuchte, es zu öffnen. Ein perlförmiger Knopf nach dem anderen fiel zu Boden, bis sie das Hemd vor lauter Ungeduld mit beiden Händen aufriss. Manchmal war das Leben einfach zu kompliziert, um sich mit Knöpfen zu befassen.

Alejandro schien es nicht das Geringste auszumachen, dass sie seine teure Kleidung kaputtmachte. Er reagierte, indem er sie packte, mit einem Ruck auf den Schreibtisch setzte und ihren Rock bis zu den Hüften hochschob.

Er musste sich ein wenig bremsen, schließlich wollte er nicht rücksichtslos über sie herfallen. Hingebungsvoll strich er über ihre entblößten Oberschenkel. Ihre Haut war noch immer so glatt wie in seiner Erinnerung. Und er hatte während der letzten Stunden fast ausschließlich in Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht geschwelgt. Ihr Duft vernebelte seine Sinne förmlich: Veilchen und Frau.

Wieder trug sie cremefarbenen Satin – dieses Mal mit rosafarbenen Einsätzen. Dazu durchsichtige Strümpfe und hellblaue Strumpfhalter. Alejandro hatte gar nicht gewusst, dass er auf altmodische Dessous stand. Sie erregten ihn sehr. Oder vielleicht war es auch nur die Frau, die sie trug. Er lächelte, als er seine Finger unter den dünnen Stoff ihres Höschens schob, um sie zu streicheln, denn er erinnerte sich an das letzte Mal.

Lulus Brust hob und senkte sich rhythmisch. Sie stöhnte leise.

Ihre Lippen fanden sich, und er biss zärtlich in ihre Unterlippe, spürte wie sie vibrierte und sich gegen seine Hüften presste. Dann löste er ihre Strumpfhalter und zog ihr das hübsche Vintage-Höschen aus, bevor er sich selbst seiner Kleidung entledigte.

Als er nun mit der Hand über die Innenseite ihrer Schenkel und ihre empfindlichste Stelle strich, spürte er ihre feuchte Hitze und realisierte, dass sie mehr als bereit für ihn war.

Der moschusartige Duft nach Sex vermischte sich mit dem Aroma alter Bücher, Ledermöbel und dem subtilen Aprikosenduft von Lulus Haar. Er erinnerte sich gerade so daran, ein Kondom überzuziehen, ehe er in sie eindrang.

Lulu biss vor Erregung in seine Schulter. Ein unterdrücktes Stöhnen erklang, als er mit den Fingern die Stelle gefunden hatte, auf die sie am heftigsten reagierte.

„Du fühlst dich an wie heiße Seide“, murmelte er stöhnend, während sie ihre langen Beine um ihn schlang, um ihn noch tiefer zu spüren. „Lulu, du bist so wunderschön … ich konnte den ganzen Tag an nichts anderes denken als an dich.“

„Ging mir genauso.“

Er bog sie über den Tisch und fixierte ihre Hände über ihrem Kopf, während er wieder und wieder in sie hineinstieß. Mit jeder seiner Bewegungen blickte er ihr tief in die Augen und suchte nach dem Wunder, das er letzte Nacht in ihr gesehen hatte. Und da war es und leuchtete und tanzte strahlend hell wie das Nordlicht.

Ihm war klar, er würde es nicht lange durchhalten, darum folgte er ihr in das Paradies, als er spürte, dass sie soweit war.

Erschöpft klammerte Lulu sich an ihn, als er sie aufsetzte. Jeder Anflug von Ärger und Groll, den er zuvor beim Gedanken an sie gehegt hatte, war komplett verflogen.

Er fühlte nichts weiter als eine tiefe Zufriedenheit.

Sie gehörte ihm.

Noch immer wirkte sie vollkommen entrückt, noch nicht wieder in dieser Welt angekommen. Es schmeichelte seinem männlichen Stolz ungemein, dass er es war, der sie so überwältigt hatte.

Zumindest hoffte er, dass es sein Stolz war. Sollte seine Reaktion auf ihren Anblick etwas anderes bedeuten, saß er in der Klemme.

„War ich dieses Mal wieder zu laut?“ Ihre Frage klang ernst.

Alejandro erinnerte sich, was er ihr zuvor im Eifer des Gefechts vorgeworfen hatte, und sein Gewissen machte etwas, was es sonst nie tat. Es machte sich bemerkbar.

„Ich liebe dein lautes Stöhnen“, beruhigte er sie mit rauer Stimme und strich sanft über ihre Wange.

Ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, was ihn dahinschmelzen ließ.

Ehe er seine nächsten Worte sprach, räusperte er sich verlegen. „Wie wäre es, wenn wir uns weiterhin sehen? Was meinst du?“

„Du meinst an diesem Wochenende?“

Langsam kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass man sie nicht drängen durfte. „Ich weiß nur, ich bin nicht bereit, das hier einfach so aufzugeben …“ Mit dem Daumen strich er verträumt über ihre Unterlippe. „Das war unglaublich schön.“

„Ich will ja“, begann sie. „Aber …“

„Lulu“, unterbrach er sie sanft. „Hör auf, etwas Einfaches so kompliziert zu machen.“

Wenn es doch nur so einfach wäre.

Ihr war bewusst, dass sie sich aus seiner Sicht absolut irrational verhielt. Doch je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er herausfand, was mit ihr los war. Und dann wüsste er, dass sie einen widerlichen Makel hatte.

Zum Glück waren es nur achtundvierzig Stunden. Sie würde einfach dafür sorgen, dass ihre Mutter sich von ihm fernhielt.

„Du sagst ja gar nichts. Ist das ein Ja?“

Alejandro beobachtete, wie Lulus nachdenklicher Gesichtsausdruck weich wurde und spürte ein seltsames Ziehen in seiner Brust. Was war das bloß mit diesem Mädchen, dass sie all diese ungewohnten Gefühle in ihm auslöste? Sie verunsicherte ihn sehr.

„Oui“, antwortete sie kurz angebunden.

Dann wandte sie den Kopf leicht, als ob sie horchte, und erstarrte. Alejandro brauchte ein paar Sekunden, ehe er realisierte, dass Stimmen aus der Halle näher kamen.

Hektisch begann sie, ihr Oberteil herunterzuziehen und diese vollen Brüste mit den himbeerfarbenen Brustwarzen, die er so liebte, zu bedecken. Sie sah so herrlich zerzaust und liebenswert aus, dass er beschloss, sie auf gar keinen Fall die Nacht mit einer Horde anderer Mädchen verbringen zu lassen.

Sie würde bei ihm schlafen. Etwas anderes kam gar nicht infrage.

Gerade wollte er ihr sagen, dass er die Tür zur Bibliothek abgeschlossen hatte, da gab sie ihm einen schnellen Kuss und flüsterte: „Ich bin so froh, dass du mein Tanzpartner bist. Wir sehen uns morgen.“

Und damit lief sie zur Tür, öffnete sie und entschwand.

Ihr Tanzpartner?

Er stieß einen kurzen Fluch aus. Langsam wurde es wirklich kompliziert.

Gerade wollte er ihr nachlaufen, da fiel ihm ein, dass er das Kondom noch nicht entsorgt hatte. Und die Zeit schien zum zweiten Mal an diesem Tag stillzustehen.

Jegliche Gedanken daran, dass er Lulu erklären musste, dass er bereits eine Tanzpartnerin für die Hochzeit hatte, die morgen anreisen würde, verflüchtigten sich.

Denn er hatte ein viel größeres Problem.

Es war geplatzt. Das Kondom war geplatzt.

Autor

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