Romana Exklusiv Band 292

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ZURÜCK IN DEN ARMEN DES GRIECHEN von CHASE, SARAH LEIGH
Adrian Katsaras - die Liebe ihres Lebens! Einen Sommer hatte Tessa mit ihm auf Naxos, bis die Romanze jäh zerbrach. Jetzt steht Adrian wieder vor ihr und mit einem leidenschaftlichen Kuss zeigt er ihr, wie sehr er sie noch immer begehrt. Doch Tessa spürt: Er will sie in seinem Bett - mehr nicht!

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DAS GEHEIMNIS DES SCHÖNEN ITALIENERS von GORDON, LUCY
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  • Erscheinungstag 12.01.2018
  • Bandnummer 0292
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744175
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Leigh Chase, Chantelle Shaw, Lucy Gordon

ROMANA EXKLUSIV BAND 292

1. KAPITEL

Tessa Wilson war erstaunt, wie gut sie sich heute Abend amüsierte. Während sie an ihrem Retsina nippte und den Tanzenden zuschaute, wiegte sie sich zu der griechischen Musik in den Hüften. Sie hatte seit fast zwei Jahren nicht mehr getanzt. Nicht mehr, seitdem sie Adrian – und Naxos – verlassen hatte.

Warum nur musste Nicole ausgerechnet Naxos für ihre Hochzeit auswählen? Tessa hatte sich geschworen, niemals zurückzukehren, aber es war undenkbar, nicht zur Hochzeit ihrer einzigen Schwester zu erscheinen.

Adrianos Katsaras, dachte Tessa und seufzte leise. Seit ihrer Trennung war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte. Rasch schüttelte sie den Kopf, als wollte sie eine lästige Fliege vertreiben. Sie würde sich diesen Abend nicht von den Gedanken an Adrian verderben lassen.

Als die griechische Band einen Syrtaki spielte, reihte Tessa sich in die fröhliche Schar der Tanzenden und überließ sich dem mitreißenden Rhythmus der Musik. Als das Hochzeitspaar unter dem Beifall der Gäste die Tanzfläche betrat, sah sie auf.

Liebevoll betrachtete Tessa ihre Schwester. Nicole war zwei Jahre jünger als sie, wirkte jedoch mit ihren weiblichen Formen fraulicher als sie selbst. Mit ihren vierundzwanzig Jahren sah sie immer noch wie ein junges Mädchen aus.

Das weich fallende schneeweiße Seidenkleid betonte Nicoles weiche Rundungen und bildete einen aufregenden Kontrast zu ihren pechschwarzen langen Locken. Nur die himmelblauen Augen hatten die beiden Schwestern gemeinsam.

Richard sah seine frisch angetraute Ehefrau verliebt an.

Nicole lachte glücklich und griff nach seiner Hand. Die beiden wirkten, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt, dabei waren sie schon seit ihrer Schulzeit ein Paar.

Tessa gönnte Nicole ihr Glück von ganzem Herzen, und Richard war mit der Zeit fast ein Bruder für sie geworden. Dennoch fühlte sie einen kleinen schmerzhaften Stich, als sie jetzt dem strahlenden Hochzeitspaar zuschaute. Wie schön musste es sein, mit dem über alles geliebten Menschen vor den Altar zu treten, um den Rest des Lebens miteinander zu verbringen.

Plötzlich sah sie wieder Adrians Gesicht vor sich, hatte sein mitreißendes Lachen im Ohr. Für einen Moment überwältigte sie die Sehnsucht nach ihm so sehr, dass sie ihr den Atem raubte. Mit aller Kraft drängte Tessa die Erinnerung wieder zurück. Nach all der Zeit war sie endlich wieder auf ihrem geliebten Naxos, und sie sollte das Beste aus ihrer Zeit hier machen, anstatt sie mit quälenden Erinnerungen zu vergeuden.

Ihre Eltern kamen seit dreißig Jahren nach Naxos. Während der Schulzeit ihrer Töchter nur in den Ferien, doch vor fünf Jahren hatten sie ihre kleine Buchhandlung in London verkauft und ihre gesamten Ersparnisse in eine Olivenplantage auf Naxos gesteckt. Tessa und Nicole hatten seitdem so viel Zeit wie möglich bei den Eltern verbracht, doch seit der Trennung von Adrian war Tessa nicht mehr zurückgekehrt.

Richard begleitete Nicole seit Jahren auf die Insel. Mittlerweile war er hier selbst ganz zu Hause. Er sprach sogar ein wenig Griechisch, wenn auch längst nicht so gut wie Tessa und Nicole, für die es ihre zweite Muttersprache war.

In den vergangenen zwei Jahren hatte Tessa sich manchmal so sehr nach Naxos gesehnt, dass sie kaum atmen konnte. Doch die Vorstellung, zurückzukehren und Adrian wiederzubegegnen, war noch quälender gewesen.

Schon wieder Adrian, dachte sie ärgerlich. Ihre Erinnerungen an ihn hatten bereits mehr als genug fröhliche Augenblicke ruiniert. Anstatt sich wie ihre Freundinnen in Diskotheken und mit Verabredungen zu amüsieren, hatte sie in den letzten zwei Jahren ihre gesamte Energie ihrer Arbeit als selbstständige Innenarchitektin gewidmet – mit großem Erfolg. Es wurde höchste Zeit, diese unselige Liebe zu Adrian zu vergessen und endlich wieder ihr Leben zu genießen.

Sie wollte nicht mehr an ihn denken! Doch das war hier noch viel schwieriger als zu Hause in London. Auf Naxos erinnerte sie jeder Atemzug an ihn. Die Luft besaß hier ihren ganz eigenen Duft nach Sonne, Meer und wilden Kräutern, und wenn die Musik für einen Augenblick schwieg, konnte man das Geräusch der Wellen hören, die sich auf dem Strand vor der Taverne brachen.

Mit einem großen Schluck leerte Tessa ihr Glas, stellte es auf einem Tischchen ab und erwiderte das Lachen eines jungen Mannes, der ihr den Arm zum Tanz bot. Sie schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Nach seinen kinnlangen sonnengebleichten Haaren und der sportlichen Figur zu urteilen, war er einer der vielen Surfer, die im Sommer auf Naxos lebten. Ein Junge noch, schoss es Tessa durch den Kopf. Adrian war schon damals ein Mann gewesen. Aber kein Wunder, er war schließlich acht Jahre älter als sie.

Schluss jetzt mit Adrian! ermahnte sie sich ärgerlich. Sie lehnte sich in den Arm ihres Tanzpartners und ließ sich von ihm über die Tanzfläche wirbeln.

„Ich kann nicht mehr, ich muss eine Pause machen!“, japste sie einige Zeit später.

„Kann ich dir was zu trinken holen?“, fragte der junge Mann, während er versuchte, ihr tief in die Augen zu schauen. „Vielleicht noch ein Glas Retsina?“

„Danke, ein Wasser wäre schön“, antwortete Tessa freundlich.

Sie nahm sich vor, nicht noch einmal mit ihm zu tanzen. Sie war nicht in der Stimmung zu flirten und wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen.

Tessa kannte ihre Wirkung auf das andere Geschlecht, auch wenn sie sich mit ihrer blassen Haut, den hellblauen Augen und ihren glatten blonden Haaren viel zu farblos fand. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich gewünscht, so dunkel wie ihre Schwester zu sein.

Ohne großes Interesse beobachtete sie, wie sich ihr Tanzpartner durch die Menge zur Bar schob. Wieso konnte sie sich nicht in einen netten jungen Mann wie ihn verlieben? Doch bisher hatte ihr Herz nur bei Adrian schneller geklopft.

Sie zuckte die Schultern und ließ ihren Blick über die Schar der Hochzeitsgäste schweifen. Viele waren aus England angereist, dazu hatten Nicole und Richard auch alle Freunde eingeladen, die sie im Laufe der Jahre auf Naxos gefunden hatten.

In der Taverne waren alle Tische und Stühle an die Wände gerückt worden, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Der große Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt, ebenso wie die Strandterrasse, und die Gäste schienen sich großartig zu amüsieren.

Plötzlich erstarrte Tessa. Alles drehte sich um sie, und ihre Kehle schnürte sich zu. Nein! Das konnte nicht sein! Sie zwang sich noch einmal hinzuschauen. Diesmal war kein Irrtum möglich. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht.

Am anderen Ende des Raums stand Adrian. Er trug einen hellen Sommeranzug, der seine Bräune betonte. Mit seiner hochgewachsenen athletischen Gestalt überragte er alle anderen Anwesenden.

Er hatte sich kaum verändert. Sein markantes Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen und dem energischen Kinn wirkte inmitten der lachenden Menschen um ihn herum verschlossen, ja sogar hart. Aber Tessa konnte sich nur allzu gut daran erinnern, wie jungenhaft er aussah, wenn er lachte.

Ihre Knie gaben nach, und sie griff Halt suchend nach einer Stuhllehne. Mit einem Mal fühlte sie sich wieder wie das junge Mädchen, das zum ersten Mal in seinem Leben verliebt war. Wo war die erwachsene Frau geblieben?

Wieso war Adrian hier? Nicole wusste zwar nicht, was damals zwischen ihnen vorgefallen war, doch sie hatte fest versprochen, ihn nicht einzuladen.

Nur langsam drang die besorgte Stimme ihres Tanzpartners zu ihr durch: „Geht es dir nicht gut, Tessa? Du bist ja weiß wie die Wand!“

„Keine Sorge!“ Sie riss sich mühsam zusammen. „Alles in Ordnung. Es ist nur ein bisschen heiß hier.“ Sie wedelte sich mit beiden Händen Luft zu und versuchte zu lächeln.

„Bist du sicher?“ Der junge Mann runzelte zweifelnd die Stirn. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Schock bekommen.“

Sie nahm das Wasserglas, das er ihr reichte, und trank einen großen Schluck. „Danke. Jetzt geht es mir schon viel besser.“

Er wirkte noch nicht ganz überzeugt. „Du bist immer noch ganz blass. Sollen wir vielleicht nach draußen gehen?“

„Das ist wirklich lieb von dir, aber ich habe nur Kopfschmerzen. Ich glaube, das letzte Glas Wein war zu viel.“ Sie bemühte sich um einen scherzhaften Tonfall. „Ich gehe mich erst einmal frisch machen. Wir sehen uns dann später.“

Sie drehte sich um und schob sich durch die Menge zum Ausgang. Sie musste dringend hier raus, bevor Adrian sie entdeckte.

Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, fragte eine tiefe Stimme auf Griechisch: „Darf ich um diesen Tanz bitten?“

Tessa sprang vor Schreck einen Schritt vorwärts, doch eine Hand fasste mit hartem Griff nach ihrem nackten Arm und hielt sie fest. Ihre Haut glühte unter den viel zu vertrauten Fingern, und diese Stimme hätte sie unter Tausenden wiedererkannt. Sie musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand. Doch wie unter einem inneren Zwang wandte sie sich um.

„Hallo, Tessa.“ Adrians Lächeln erreichte nicht seine Augen. „Lange nicht gesehen.“

„Ja.“ Sie nickte, während sie verzweifelt versuchte, gelassen zu wirken. Plötzlich schien der Raum viel kleiner geworden zu sein.

„Lass uns tanzen!“

„Ich … tut mir leid, aber ich kann nicht“, stotterte sie. Schon bei dem Gedanken, in seinen Armen zu liegen, wurde ihr schwindelig. „Ich wollte gerade gehen.“

Seine Augen wurden schmal. „Schon so früh?“

„Ich … ich habe Kopfschmerzen“, murmelte Tessa. „Bitte entschuldige mich.“

„Das werde ich nicht.“

„Wie bitte?“

„Ich muss mit dir reden.“ Ohne ein weiteres Wort nahm er sie bei der Hand und zog sie hinter sich her zum Ausgang.

Tessa zitterten die Knie, und ihr Herz raste. Auch die vergangenen zwei Jahre hatten nichts an seiner atemberaubenden Anziehungskraft geändert. Noch nie hatte sie einen anderen Menschen so intensiv wahrgenommen wie ihn. Ob auch er es fühlte? Unsinn! sagte sie sich. Dazu hasste er sie viel zu sehr.

Noch immer hielt Adrian mit festem Griff ihre Hand; seine Berührung hatte nichts Liebevolles an sich. Mit großen Schritten lief er über den Strand, und Tessa musste sich anstrengen, mit ihm mitzuhalten. Erst als sie die Lichter der Taverne und die Feiernden hinter sich gelassen hatten, blieb Adrian stehen.

Über dem Meer hing groß und schwer der volle Mond, doch im Moment wirkte das Bild ganz und gar nicht romantisch auf sie, sondern eher bedrohlich, ebenso wie Adrian.

Entsetzt spürte sie, wie ihr vor Sehnsucht nach einem Lächeln von ihm die Tränen in die Augen stiegen, und sie wandte den Kopf ab. „Wieso tust du das?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Was?“

Sie schluckte. „Mich hinter dir her an den Strand zerren. Du hast mir vor zwei Jahren sehr deutlich klargemacht, was du von mir hältst. Offensichtlich hat sich daran nichts geändert. Was willst du also von mir?“

„Ich will gar nichts von dir. Es geht um Nikos.“

Tessa unterdrückte ein Aufstöhnen, als Adrian seinen Bruder erwähnte. „Wie geht es ihm?“, fragte sie leise.

Er sah sie kalt an. „Was denkst du, wie es ihm geht? Er wird nie wieder richtig laufen können. Er hat seine Karriere verloren, sein ganzes Leben.“

„Du wirst mir wohl für immer die Schuld an seinem Unfall geben, nicht wahr?“ Tessa wandte sich ab und sah aufs Meer hinaus. Sie wünschte sich verzweifelt, sie könnte die Zeit noch einmal zurückdrehen.

Adrians Wangenmuskeln spannten sich an. „Wem sonst? Wärest du nicht …“ Er unterbrach sich und atmete tief durch. „Aber ich bin nicht hier, um dir deine Schuld vor Augen zu halten. Du musst mit Nikos reden.“

„Wieso? Hat er nach mir gefragt?“

„Nein, ganz im Gegenteil. Er weigert sich, auch nur ein Wort über dich oder den Unfall zu verlieren. Aber ich bin überzeugt, dass er sich damit auseinandersetzen muss, wenn er jemals darüber hinwegkommen will. Nikos … es geht ihm nicht gut. Er hat sein Training und seine Therapie aufgegeben, und ich weiß nicht, was ich noch für ihn tun kann.“

„Es tut mir leid“, flüsterte Tessa. „Ich habe gehört, dass du ihn zu den besten Ärzten nach Amerika gebracht hast. Ich hatte so sehr gehofft, dass sie ihm helfen könnten.“

„Immerhin sitzt er nicht mehr im Rollstuhl“, antwortete Adrian bitter. „Aber selbst der beste Arzt kann keine Wunder bewirken.“

Tessa hörte den Schmerz in seiner Stimme. Sie wusste, wie sehr er seinen Bruder liebte. Nikos war achtundzwanzig, vier Jahre älter als sie selbst. Er war gerade dreizehn geworden, als seine Eltern bei einem Bootsunglück ums Leben kamen.

Adrian hatte damals nicht nur eine Art Vaterstelle für Nikos übernommen, sondern auch die Verantwortung für die beiden Hotels der Familie. Dies war ihm nicht besonders schwergefallen, denn schon vorher war er trotz seiner Jugend die rechte Hand seines Vaters gewesen.

Vielleicht ist Nikos aus diesem Grund schon immer insgeheim eifersüchtig auf Adrian gewesen, schoss Tessa durch den Kopf. Das würde erklären, was er seinem Bruder vor zwei Jahren angetan hatte – von dem Adrian jedoch nichts wusste.

„Lebt Nikos bei dir?“, fragte sie leise.

„Ja.“ Adrian sah sie nicht an.

Für einen Moment dachte Tessa daran, wie glücklich sie einmal mit Adrian gewesen war. Es kam ihr vor, als wäre dies in einem anderen Leben gewesen.

„Du hast dich gar nicht von deinem Begleiter verabschiedet“, sagte Adrian plötzlich kalt.

„Mein Begleiter?“, wiederholte Tessa verständnislos. „Meinst du etwa meinen Tanzpartner? Ich weiß nicht einmal seinen Namen.“

„Dafür habt ihr euch aber großartig amüsiert.“ Adrians Stimme war schneidend.

Tessa wurde es heiß bei dem Gedanken, dass er sie offensichtlich eine ganze Weile beobachtet hatte.

„Nun, du hast ja nie sehr lange gebraucht, um mit Männern … intim zu werden“, fuhr Adrian verächtlich fort. „Vielleicht schwirren sie darum wie die Fliegen um dich herum.“

Obwohl es Tessa schon lange klar war, wie Adrian über sie dachte, zuckte sie bei seinen Worten zusammen, als hätte er sie geschlagen, und das Blut stieg in ihre Wangen. Sie wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgerte, über Adrians Unverschämtheiten oder darüber, dass er sie noch immer so sehr verletzen konnte.

„Ich habe mit dem Jungen getanzt, mehr nicht!“, rief sie aus. „Und selbst wenn, ginge dich das überhaupt nichts an!“

„Nichts könnte mich weniger interessieren als deine Liebhaber.“ Adrian wandte sich abrupt ab und ließ sie stehen. Nach zwei Schritten drehte er sich noch einmal um. „Ich erwarte dich morgen Abend um sieben“, teilte er ihr kalt mit. „Du weißt ja, wo ich wohne.“

„Ich … ich glaube nicht …“

„Ist nach allem, was du angerichtet hast, ein Abendessen wirklich zu viel verlangt?“, fragte Adrian kalt. „Ich weiß, dass du nicht in der Lage bist, Verantwortung zu übernehmen, aber zumindest das bist du Nikos schuldig.“ Er wartete nicht auf ihre Antwort.

Tessa sah ihm nach, wie er mit langen Schritten über den Strand ging, bis ihn die Nacht verschluckt hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, wie weit sie sich von der Taverne entfernt hatten. Nur leise mischte sich die Musik der Hochzeitsfeier mit dem Zirpen der Grillen und dem Geräusch der Wellen, die sich auf dem Sand brachen.

Tessa merkte, wie ein Schluchzen in ihrer Kehle aufstieg. Es war ein Fehler zurückzukommen, dachte sie verzweifelt. Während Tränen über ihre Wangen strömten, lief sie immer weiter über den Strand.

Eine ganze Weile später ließ sie sich keuchend in den Sand fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Körper glühte wie im Fieber. Sie sehnte sich nach der Kühle des Meeres, doch sie brachte es nicht über sich, ins Wasser zu gehen. Am Meer war sie Adrian zum ersten Mal begegnet. Fünf Wochen lang waren sie seit dem Tag zusammen glücklich gewesen, und sie hatte für immer auf Naxos bleiben wollen. Dann war in einer einzigen Nacht alles zerstört worden.

Tessa kauerte sich im Sand zusammen und schluchzte hilflos. Sie konnte nicht aufhören, zu weinen.

Die Zeit heilt alle Wunden, sagte man. Doch das stimmte nicht. Sie liebte Adrian noch immer. Ebenso verzweifelt und hoffnungslos wie am Tag ihrer Trennung. Und es tat noch immer genauso weh, dass sie seine Liebe für immer verloren hatte.

Adrian ballte vor Wut die Hände, als er den schnellen Schlag seines Herzens spürte. Wie war es möglich, dass diese Frau noch immer derart heftige Gefühle in ihm auslöste? Reichte es nicht, dass ihretwegen vor zwei Jahren seine Welt zerbrochen war?

Er hatte sie zutiefst geliebt, doch sie hatte ihn belogen und betrogen. Ohne sie würde sein Bruder heute seinen Traum leben und ein erfolgreicher Fußballer sein, anstatt verbittert und ohne jeden Lebensmut Tag für Tag nur aufs Meer hinauszustarren.

Adrian hatte jeden Grund, Tessa zu hassen. Was er auch tat. Und dennoch begehrte er sie mit einer fast schmerzhaften Intensität. Als er in ihre Augen geschaut und ihre Stimme gehört hatte, hätte ein Teil von ihm am liebsten ihre zarten Schultern gepackt und sie geschüttelt. Zugleich wollte er sie an sich ziehen und seinen Mund auf ihre Lippen pressen.

Wie unschuldig und mädchenhaft Tessa noch immer aussah! Doch heute kannte er sie zu gut, um darauf hereinzufallen.

2. KAPITEL

Als Tessa am nächsten Abend den Wagen vor Adrians Haus parkte, zuckte sie unter dem Schmerz ihrer Erinnerungen zusammen. Alles hier sah noch genauso aus wie vor zwei Jahren. Das flache lang gestreckte Haus schimmerte blendend weiß unter dem wolkenlosen Himmel.

Mit seinen meerblauen Fensterläden und Türen und den leuchtend roten Kaskaden der Bougainvilleen hätte es einer Postkarte entsprungen sein können. Tessa ließ den Blick über die Olivenbäume im Garten hinunter zum dunkelblauen Meer wandern. Sie erinnerte sich an kühle Zimmer hinter den dicken Mauern und eine Terrasse so groß wie ein Ballsaal, über der die Sonne aufging und die ab dem frühen Nachmittag im Schatten lag.

Plötzlich dachte sie an den letzten glücklichen Tag zurück, den sie mit Adrian verbracht hatte. Sie waren mit seinem Boot hinausgefahren und hatten einige Fische gefangen. In einer kleinen Bucht hatte Adrian Anker geworfen, und sie waren durch das warme kristallklare Wasser zu der Insel geschwommen.

Am Strand suchten sie Treibholz, Adrian entzündete ein Feuer und grillte die Fische. Nach dem Essen fielen Tessa die Augen zu. Erst Adrians zarte Küsse weckten sie.

„Ich konnte nicht länger widerstehen“, flüsterte er zärtlich.

Tessa war so glücklich wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Sie war nie zuvor mit einem Mann zusammen gewesen, doch trotz ihrer mangelnden Erfahrung wusste sie, dass Adrian ihr Schicksal war.

Ihre Wangen glühten, als sie daran dachte, wie sie sich ihm mit all ihrer unschuldigen Leidenschaft angeboten hatte. Doch er hatte sie liebevoll zurückgewiesen.

„Unser erstes Mal soll etwas ganz Besonderes sein, mein Liebling“, hatte er sanft erwidert. „Und wir haben noch ein ganzes Leben vor uns.“

Tessa war so versunken in ihre Erinnerungen, dass sie Adrian zuerst nicht bemerkte, der jetzt langsam zu ihr kam. Erst bei dem Geräusch seiner Schritte schrak sie auf und sah ihn durch das offene Autofenster an.

Das Haus hat sich vielleicht nicht verändert, Adrian dagegen schon, schoss ihr durch den Kopf. Gestern hatte sie nicht bemerkt, wie sehr. Erst jetzt, im hellen Licht der späten Nachmittagssonne, sah sie, dass sich die feinen Linien um seine dunklen Augen vertieft hatten. Sein Haar war so schwarz wie früher, aber an den Schläfen entdeckte sie erste silberne Fäden, und sie erschrak über die kalte Trostlosigkeit in seinen Augen.

Er war nicht weniger attraktiv, doch er sah härter und noch männlicher aus als vor zwei Jahren. Für einen Augenblick sehnte Tessa sich nach seinem strahlenden Lächeln, das sie damals so oft gesehen hatte.

„Bist du mit deiner Musterung fertig?“, fragte er spöttisch.

Sie zuckte zusammen, als Adrian die Wagentür öffnete.

„Du hast dich verändert“, murmelte sie und stieg aus.

„Im Gegensatz zu dir.“ Adrians Worte klangen nicht wie ein Kompliment.

Als sie mit zitternden Knien neben ihm her zum Haus ging, konnte sie fast körperlich spüren, wie sehr er sie hasste. Ich hätte niemals herkommen dürfen, dachte sie, während ihr Herz so heftig klopfte, als wollte es aus ihrer Brust springen.

Adrian hielt ihr die Tür auf. „Gehen wir hinein.“ Sein Gesicht war so ausdruckslos wie seine Stimme.

Tessa dachte an das erste Mal, als Adrian ihr sein Haus gezeigt hatte. Schon damals hatte sie die schlichte Eleganz der kühlen weiß getünchten Räume beeindruckt. Im Stillen schimpfte sie mit sich, weil sie einfach nicht vergessen konnte. Die Vergangenheit war vorbei – ein für alle Mal beendet! Nichts konnte das ändern.

Adrian führte Tessa in das große Wohnzimmer. Die hohen Fenster boten eine herrliche Aussicht auf das blaue Meer, doch Tessa hatte keinen Blick für die atemberaubende Aussicht. Sie sah nur Nikos, der am Fenster saß und hinausschaute. Bei ihrem Eintritt drehte er sich um. Als er sie erkannte, zuckte er zurück, als wäre er geschlagen worden.

„Wieso ist sie hier?“, fuhr er seinen Bruder an.

Als Adrian schwieg, ging Tessa langsam zu Nikos und reichte ihm die Hand. „Hallo Nikos“, sagte sie leise.

Sie hoffte, dass sich das Entsetzen über seinen Anblick nicht in ihrer Miene spiegelte. Nikos hatte nichts mehr mit dem kraftvollen Athleten gemeinsam, der er vor seinem Unfall gewesen war.

Damals hatte er für die griechische Fußballnationalmannschaft gespielt und ein kleines Vermögen verdient, das er mit vollen Händen ausgegeben hatte. Die Frauen hatten ihm zu Füßen gelegen, was er skrupellos ausgenutzt hatte. Jetzt war sein hübsches Gesicht hager geworden, seine Wangen waren eingefallen. Seine dunklen Locken, die er früher mit einem Haarband zurückgebunden hatte, waren kurz geschoren.

Nikos sah mit deutlichem Abscheu auf Tessas Hand, so als könnte er es nicht über sich bringen, sie zu berühren.

„Wir haben uns auf Nicoles Hochzeitsfeier getroffen, und ich habe Tessa zum Essen eingeladen“, erwiderte Adrian leichthin, als wüsste er nicht, wovon Nikos redete. Seine Miene wurde weicher, als er seinen Bruder anschaute. Dann wandte er sich an Tessa. „Setz dich. Was kann ich dir zu trinken anbieten?“

„Ein kleines Glas Weißwein, bitte!“, murmelte sie.

Sie setzte sich auf das weiße Sofa vor dem Fenster. Nikos stand auf und ging zu einem anderen Sessel, der weit von ihr entfernt war. Tessa hielt den Atem an, als sie seine schweren, ungleichmäßigen Schritte sah. Während Adrian fort war, um den Wein zu holen, breitete sich drückendes Schweigen aus.

Tessa zitterte am ganzen Körper. Sie hatte nicht erwartet, dass die Begegnung mit Nikos ihr so nahegehen würde. Fieberhaft suchte sie nach einer Ausrede, um sich noch vor dem Essen wieder zu verabschieden.

Was hatte Adrian sich von dieser Begegnung versprochen? Ihr Besuch hatte keinen Sinn. Es war ganz offensichtlich, dass Nikos nichts mit ihr zu tun haben wollte.

Hätte sie nur damals Nikos’ Einladung nicht angenommen – das Unglück wäre nie passiert! Wäre ich noch immer mit Adrian glücklich, wenn ich mich damals anders entschieden hätte? fragte sie sich traurig.

„Was willst du hier? Wolltest du mit eigenen Augen sehen, was du angerichtet hast?“

Tessa zuckte zusammen, als Nikos’ hasserfüllte Stimme sie jetzt aus ihren Erinnerungen riss. „Es tut mir unendlich leid, was damals passiert ist, Nikos“, antwortete sie leise. „Aber warum gibst du mir die Schuld daran? Du weißt genau, dass ich nichts Unrechtes getan habe.“

„Weil ich ohne dich noch mein Leben hätte!“ Voller Bitterkeit schlug Nikos mit der Faust auf sein verletztes Bein. „Oder willst du das etwa abstreiten?“

„Bitte, dein Wein, Tessa.“ Adrian war unbemerkt hereingekommen und reichte ihr ein beschlagenes Glas.

Als Tessa die Hand ausstreckte, merkte sie, wie sehr ihre Finger zitterten. Mit einem leisen Klirren stellte sie das langstielige Weinglas auf dem Tisch ab.

„In zehn Minuten ist das Essen fertig. Maria hat auf der Terrasse gedeckt“, sagte Adrian, als hätten sie sich zu einem gemütlichen Abend getroffen.

Tessa räusperte sich. „Ich … ich werde nicht bis zum Essen bleiben.“

„Unsinn! Maria hat extra Moussaka gemacht“, wandte Adrian ein. Sein freundlicher Tonfall passte nicht zu dem eisigen Blick, mit dem er Tessa ansah.

„Meine Güte, Adrian, lass doch dieses alberne Getue!“, rief Nikos ärgerlich aus. „Sie hätte gar nicht erst herkommen sollen. Glaubst du wirklich, ich würde mich mit ihr an einen Tisch setzen und gemütlich zu Abend essen?“

Tessa stand entschlossen auf. „Nun, dann sind wir uns ja wenigstens in diesem Punkt einig. Auf Wiedersehen, Nikos, Adrian.“ Mit so viel Würde wie möglich verließ sie das Haus.

Bevor sie ihr Auto erreicht hatte, hatte Adrian sie eingeholt. „Du hast dich nicht an unsere Abmachung gehalten“, sagte er scharf.

Tessa seufzte. „Du hast doch selbst gesehen, wie Nikos auf mich reagiert hat. Ich weiß nicht, was du dir von meinem Besuch erhofft hast, aber es hat ganz offensichtlich nicht funktioniert.“

„Oder hast du heute Abend vielleicht schon etwas anderes vor?“, fragte Adrian mit beißendem Spott. „Ein Treffen mit deinem Surferfreund von der Hochzeitsparty zum Beispiel. Wie viele Liebhaber hattest du in den letzten zwei Jahren eigentlich, Tessa?“

„Würdest du mir glauben, wenn ich sagte, keinen einzigen?“, flüsterte sie.

„Nein.“ Adrian hob ironisch die Brauen. „Aber ich habe auch keine ehrliche Antwort von dir erwartet.“

„Was kümmert es dich?“, fragte Tessa leise. „Übermorgen werde ich abreisen und ganz bestimmt nicht noch einmal zurückkommen.“

Für einen Moment wünschte sie sich, die Hand auszustrecken und ein letztes Mal durch sein dichtes schwarzes Haar zu streichen. Schmerzhaft genau erinnerte sie sich, wie es war, in seinen starken Armen zu liegen und sein tiefes Lachen zu hören.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, zog Adrian sie mit hartem Griff an sich und presste seine Lippen auf ihre. Noch niemals war Tessa so geküsst worden. Seine Lippen zwangen ihren Mund, sich zu öffnen, doch seiner Berührung fehlte jede Zärtlichkeit. Ihr Puls raste, und ihr Körper fühlte sich an, als würde er in Flammen stehen. Wie sehr hatte sie sich in den vergangenen Jahren nach Adrians Umarmung gesehnt!

Sie dachte nicht einmal daran, sich zu wehren. Mit aller Leidenschaft begann sie, seinen Kuss zu erwidern. Sie wollte mehr von ihm spüren. Sie schob die Hände unter den weichen Stoff seines Hemdes und stöhnte auf, als sie seine warme Haut spürte.

Noch enger wollte sie sich an ihn schmiegen, doch da ließ Adrian sie so abrupt los, dass sie taumelte.

„Die Zeit verschönert wirklich jede Erinnerung“, erklärte er kalt und musterte Tessa ohne jedes Begehren. „Du hast allerdings noch immer einen perfekten Körper. Und auch wenn man eine tote Leidenschaft nicht wieder zum Leben erwecken kann, bedauere ich inzwischen, dass ich dich damals nicht genommen habe, als du dich mir angeboten hast. Dann könnte ich vielleicht begreifen, was die Männer an dir finden. Und vielleicht hättest du dann wenigstens meinen Bruder in Ruhe gelassen.“

Unter seinem verächtlichen Blick stockte Tessa der Atem. Ihre Lippen brannten noch immer von seinem Kuss. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so gedemütigt gefühlt, aber genau das hatte Adrian wohl auch erreichen wollen.

Unaufhaltsam stiegen die Tränen in ihr auf, aber sie würde Adrian nicht die Genugtuung geben, vor ihm zu weinen. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab, stieg ins Auto und fuhr so hastig los, dass der Kies unter ihren Reifen aufspritzte.

Was in aller Welt hatte sie dazu gebracht, Adrians Kuss zu erwidern? Hatte sie sich denn überhaupt keinen Funken Stolz mehr bewahrt? Wie weit wäre sie gegangen, wenn er sie nicht weggeschoben hätte?

Adrian hatte ihr mehr als einmal deutlich gezeigt, dass sie ihm nichts mehr bedeutete! Im Gegenteil, er verachtete sie. Doch das hatte ihr offensichtlich noch immer nicht gereicht! Bei der ersten Gelegenheit war sie ihm wie eine überreife Frucht in die Arme gefallen!

Trotz des warmen Abends zitterte Tessa am ganzen Körper. Nur langsam beruhigte sie sich wieder. Aber wieso überrascht mich mein Verhalten? dachte sie dann bitter. Sie wusste doch ganz genau, dass ihre Gefühle für Adrian stärker waren als ihr Verstand. Sonst hätte sie ihn längst vergessen. Aber dies ist unsere letzte Begegnung gewesen, schwor sie sich. Sie würde über ihn hinwegkommen! Ganz bestimmt!

Blind vor Tränen fuhr sie weiter, bis sie ganz sicher war, dass er sie nicht mehr sehen konnte. Erst dann fuhr sie an den Straßenrand, legte den Kopf auf das Lenkrad und schluchzte, als könnte sie niemals wieder aufhören.

Adrian schaute der Staubwolke hinterher, die Tessas Wagen aufgewirbelt hatte. Wütend bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Diese Frau war wirklich unglaublich! Tessa war eine noch bessere Schauspielerin, als er gedacht hatte. Ihre Leidenschaft hatte vollkommen echt gewirkt. Bevor sie davongelaufen war, hatte er sogar Tränen in ihren Augen erkennen können.

Für einen Moment hatte er geglaubt, das unschuldige junge Mädchen wiederzusehen, in das er sich verliebt hatte. Dabei wusste er doch ganz genau, dass sie es ihm schon damals nur vorgespielt hatte!

Beim ersten Blick war er mit Haut und Haaren auf ihr unschuldiges Gesicht hereingefallen. Er hatte sie für die Eine gehalten, seine einzige große Liebe. Eine Liebe, an die er nicht geglaubt hatte – bis er ihr begegnet war. Bei der Erinnerung, wie er nach fünf glücklichen Wochen den Verlobungsring ausgesucht hatte, lachte Adrian bitter auf.

Zu seinem Heiratsantrag war er nicht gekommen. Er presste die Lippen aufeinander und ballte die Hände in den Taschen, als er an den Abend zurückdachte, an dem er Tessa hatte bitten wollen, seine Frau zu werden.

Wegen eines Grundstückskaufs war er für vier Tage nach Athen gefahren. Doch schon nach wenigen Stunden vermisste er Tessa so sehr, dass er seine Termine von vier Tagen auf drei Tage zusammenlegte, damit er eher zu ihr zurückfahren konnte. Nach sechsundzwanzig Stunden ohne Schlaf schaffte er es gerade noch, die letzte Fähre nach Naxos zu erwischen.

Als er endlich die Insel erreichte, war er so übermüdet, dass er trotz seiner Sehnsucht fast nach Hause gefahren wäre und sich ins Bett gelegt hätte. Aber er konnte es nicht eine Minute länger ertragen, von Tessa getrennt zu sein. In seiner Tasche fühlte er den Ring. Er zweifelte nicht daran, dass sie Ja sagen würde. Während der Fahrt zu Tessas Haus konnte er kaum die Augen aufhalten.

Doch dann hatte er sie vor ihrer Tür in den Armen seines Bruders gesehen. Mit einem Schlag war er hellwach gewesen. Er hatte sich gefühlt, als wäre ihm das Herz aus der Brust gerissen worden, als Nikos sich über sie gebeugt und sie geküsst hatte.

Bei der Erinnerung an den nachfolgenden Streit schloss er gequält die Augen. Könnte er doch nur die Zeit zurückdrehen! Nikos wäre niemals wutentbrannt weggefahren und verunglückt, wenn ich nicht eher zurückgekommen wäre, dachte Adrian schmerzerfüllt. Und Tessa war seine Liebe nicht einmal wert gewesen!

Seit zwei Jahren versuchte er nun schon, nicht mehr an sie zu denken, aber jetzt musste er sich eingestehen, dass sein Körper sie noch immer begehrte.

Er stöhnte heiser auf. Mit seinem Kuss hatte er Tessa demütigen wollen, vor allem aber sich selbst beweisen, dass seine Leidenschaft für sie nur eine Illusion war, eine leere Erinnerung an die Zeit, als er geglaubt hatte, sie zu lieben. Er war sich so sicher gewesen, dadurch seine alberne Besessenheit von ihr loszuwerden!

Doch sein Plan hatte nicht funktioniert. Ganz im Gegenteil. Die Intensität, mit der er sie wollte, hatte ihn selbst überrascht. Er wollte nur noch die Kleider von ihrem atemberaubenden Körper reißen und sie auf der Stelle lieben. Er hatte seine ganze Selbstbeherrschung gebraucht, um sie von sich zu stoßen.

Wie war es möglich, dass er sie verachtete und gleichzeitig mehr begehrte als je eine Frau zuvor?

Das Lästigste war, dass ihm seit der Trennung von Tessa jede Lust vergangen war, andere Frauen zu berühren. Anfangs hatte er sich noch oft verabredet, um sie zu vergessen. Doch seltsamerweise lenkten ihn die Frauen nicht von seinen Gedanken an Tessa ab, sondern machten es nur noch schlimmer.

Zum ersten Mal in seinem Leben war sein Verlangen stärker als sein Verstand. Wenn sie nur endlich von der Insel verschwinden würde, damit er ihr nie wieder über den Weg laufen müsste! Doch auch dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht.

„Adrian!“, hörte er die Stimme seines Bruders vom Haus her.

Adrian seufzte und ging langsam zurück. „Ich hätte mir wirklich gewünscht, du hättest mit ihr geredet, Nikos“, sagte er leise. „Es ist Zeit, dass du dich mit der Vergangenheit aussöhnst.“

„Mit der Vergangenheit ist es eine Sache, aber ich werde mich bestimmt nicht mit Tessa aussöhnen!“ Nikos funkelte ihn wütend an. „Ich hoffe, du kommst nicht noch einmal auf die Idee, sie hierherzubringen.“

„Nein, wir werden ihr ganz sicher nicht noch einmal begegnen.“

3. KAPITEL

Als Tessa auf die schmale, ungeteerte Straße zum Haus ihrer Eltern einbog, war es bereits dunkel. Am Himmel türmten sich schwarze Wolkenberge, zwischen denen hier und da ein paar Sterne glitzerten. Der Mond blieb meist hinter den Wolken verborgen.

Im Haus brannten alle Lichter. Tessa parkte den Wagen unter einem alten Olivenbaum und klappte den Spiegel an der Sonnenblende herunter.

„Ich sehe ja furchtbar aus“, murmelte sie entsetzt.

Selbst in der schwachen Beleuchtung konnte sie die verwischten Spuren ihrer Wimperntusche erkennen. Ihr Haar war so zerzaust, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen. Mit zitternden Fingern bemühte sie sich, so gut wie möglich ihre Haare zu glätten, dann befeuchtete sie ein Taschentuch aus einer halb vollen Wasserflasche, die irgendjemand im Auto vergessen hatte, und wischte sich übers Gesicht.

Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel stieg Tessa aus und ging zum hell erleuchteten Haus hinüber. Als sie die Stufen zur Veranda hinaufging, hörte sie zu ihrem Erstaunen kein Geräusch. Normalerweise empfing sie Lachen und das Klappern von Geschirr und Gläsern, wenn alle zu Hause waren. Aber sie hätten doch sicher die Lichter gelöscht, wenn sie das Haus verlassen hätten!

Mit einer unguten Vorahnung öffnete Tessa die Tür. „Hallo?“

Alles blieb vollkommen still. Das einzige Geräusch war das Surren des Ventilators, der sich träge unter der Wohnzimmerdecke drehte. Sie lauschte, ob sich irgendwo etwas regte. „Daddy! Mom?“, rief sie irritiert.

Sie öffnete eine Tür nach der anderen, aber nirgends war jemand zu sehen. An der Treppe blieb sie stehen. „Nicole, Richie? Wo seid ihr?“, rief sie nach oben. Doch nur ihre eigene Stimme war zu hören.

Draußen vor dem Haus hielt ein Auto, und eine Wagentür wurde zugeschlagen. Tessa eilte zur Haustür. Sie öffnete im gleichen Moment, in dem eine große Gestalt auf die Veranda stürmte.

Tessa schnappte erschrocken nach Luft. „Richard!“, rief sie aus, während sie die Tür ganz öffnete. „Was ist los? Wo sind denn alle hin?“

„Tessa. Ein Glück, dass du endlich zurück bist!“, rief er atemlos aus. Er brach ab und griff nach ihrer Schulter, als wollte er sie stützen. „Wir haben versucht, dich anzurufen, aber dein Handy ist ausgeschaltet. Euer Vater ist im Krankenhaus. Er hatte einen Herzinfarkt. Nicole und deine Mutter sind bei ihm. Ich habe ihnen versprochen, dich so schnell wie möglich zu ihnen zu bringen.“

„Was?“, rief sie aus und starrte ihn fassungslos an.

Sie wollte ihm nicht glauben, aber ihr Schwager war kein Mann, der so etwas im Scherz behaupten würde. Als sie seine ernste Miene sah, stieg Angst in ihr auf.

„Nein! Das kann nicht sein!“, protestierte sie schwach, doch sie wusste, dass Richard die Wahrheit sagte. Ihre Knie gaben nach, und sie ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. „Wie geht es ihm?“

„Sein Zustand ist kritisch, aber die Ärzte sind zuversichtlich, dass er es schaffen wird.“

Tessa sprang auf. „Dann lass uns keine Zeit verlieren! Fahren wir!“

Zwischen all den Schläuchen und Geräten wirkte ihr Vater erschreckend zerbrechlich, ganz und gar nicht mehr wie der kraftvolle, unverwüstliche Mann, als den Tessa ihn immer gesehen hatte. Seine Haare erschienen plötzlich grauer, und seine Haut war so weiß wie die Laken.

Leichenblass, dachte Tessa bestürzt. Doch der Monitor am Kopfende des Bettes zeigte einen regelmäßigen Herzschlag an.

Nicole stand hinter ihrer Mutter, die zusammengesunken auf dem Stuhl neben dem Bett hockte und die Hand ihres Mannes hielt. Emily Wilson schaute kaum auf, als Tessa und Richard eintraten. Sie wirkte selbst so schwach, als könnte ein Windhauch sie umwerfen.

Tessa erschrak über die Falten von Kummer und Sorge, die sich in der kurzen Zeit in das Gesicht ihrer Mutter gegraben hatten. Zum ersten Mal begriff sie wirklich, dass ihre Eltern nicht unverwundbar waren.

„Wie geht es Dad?“, fragte sie leise.

„Er ist noch immer ohne Bewusstsein, aber die Ärzte sagen, er wird durchkommen.“ Emily Wilsons Stimme zitterte so sehr, dass man sie kaum verstehen konnte.

„Was ist denn passiert?“, fragte Tessa. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. Ihre Mutter brauchte jetzt die ganze Kraft ihrer Kinder. „Vater war doch noch nie krank!“

„Offenbar doch. Aber ich wusste nichts davon.“ Emily Wilson schüttelte den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht glauben. „Er muss schon seit einiger Zeit Medikamente genommen haben. In seiner Jackentasche habe ich eine halb volle Schachtel Beta-Blocker gefunden. Wieso hat er mir nie etwas davon gesagt?“ Sie schlug die Hände vors Gesicht.

„Vielleicht hat unsere Hochzeit ihn ja so aufgeregt“, schluchzte Nicole.

Sie flüchtete sich in die Arme ihres Mannes. Richard legte seine Wange auf ihr Haar und streichelte sanft ihre zuckenden Schultern.

„Nein, das war es nicht“, erwiderte Emily Wilson leise.

Langsam ließ sie die Hände sinken und hob den Blick zu ihren Kindern, doch sie wirkte, als würde sie diese nicht sehen. „Er hat heute Abend einen Anruf bekommen.“ Ihre Stimme versagte.

„Was für einen Anruf?“, fragte Tessa verwirrt.

„Von unserer Bank. Er … wir sind bankrott!“, brachte sie heraus. „Nach dem Telefonat hat Jack mir zum ersten Mal die Wahrheit über unsere Situation gesagt, zumindest einen Teil davon, aber mitten im Wort hat er sich plötzlich an die Brust gegriffen und ist zusammengebrochen.“ Bei der Erinnerung liefen Tränen über ihre Wangen. Sie schnäuzte sich in das Taschentuch, das sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, dann fuhr sie stockend fort: „Unser Hof war offenbar schon lange in Schwierigkeiten. Die Ernte im letzten Sommer war sehr schlecht, dann ist der Traktor kaputtgegangen … Jack hat die ganze Zeit gehofft, er würde es schaffen. Er hat nie ein Wort gesagt, wie schlecht es wirklich um den Betrieb steht. Er wollte mich nicht beunruhigen. Aber jetzt …“ Erneut schlug sie die Hände vors Gesicht.

Tessa legte ihrer Mutter den Arm um die zuckenden Schultern. „So schlimm kann es gar nicht sein, Mom. Wir werden es schon irgendwie schaffen. Wenn Vater erst einmal wieder gesund ist …“

„Es ist so schlimm, Tessa“, rief Emily Wilson aus. „Zumindest das konnte dein Vater mir noch sagen, bevor er zusammengebrochen ist. Vielleicht hätten wir ja noch eine Chance gehabt, wenn Jack gesund wäre und sich um alles kümmern könnte, aber …“ Sie sah ihren reglosen Mann an, und neue Tränen stiegen in ihre Augen. „Selbst wenn er sich wieder erholen wird, wird er sich noch sehr lange schonen müssen. Wahrscheinlich kann er niemals wieder arbeiten, zumindest nicht körperlich. Und ich habe kaum Ahnung vom Olivenanbau, erst recht nicht von der Ölgewinnung.“

Tessa, Nicole und Richard sahen sich ratlos an. Sie hatten gelegentlich bei der Ernte geholfen, aber das war auch alles, was sie vom Geschäft des Vaters wussten.

„Ich habe ein bisschen gespart“, murmelte Tessa hilflos.

„Du weißt genau, dass wir niemals Geld von dir nehmen würden, Liebes“, erwiderte Emily Wilson müde.

„Aber ihr habt mein gesamtes Studium finanziert und …“

Ihre Mutter richtete sich auf. „Nicht einen Cent!“, erklärte sie mit einem Anflug ihrer üblichen Energie. „Und außerdem wäre es sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Glaub mir, wir sind zutiefst verschuldet. Es gibt keine Rettung. Alles ist verloren, das Haus, die Olivenhaine …“

Tessa warf einen raschen Blick zu ihrer Schwester. Nicole schwieg. Sie wirkte wie ein Schatten ihrer selbst. Tessa wusste, dass sie sich nicht nur um den Vater, sondern auch um ihre Zukunft Sorgen machen musste. Sie und Richard steckten mitten in ihrem Medizin-Studium. Ohne die Unterstützung der Eltern würde ihr Leben sich drastisch ändern.

„Erst einmal ist das Wichtigste, dass Vater wieder gesund wird“, sagte Tessa schwach.

„Aber wie kann er das, wenn er genau weiß, wie es um uns steht?“, rief ihre Mutter verzweifelt aus. „Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll!“

Am nächsten Morgen erwachte Tessa früh und unausgeschlafen. Müde tastete sie nach der Uhr auf ihrem Nachttisch. Viertel vor sieben. Mit einem Schlag fielen ihr die Ereignisse des gestrigen Abends ein, und sie schloss die Augen wieder.

In der Ferne hörte sie das schrille Dröhnen eines Mofas, das sich immer höher schraubte, bis der Fahrer endlich einen neuen Gang einlegte. Gleich würde wie jeden Morgen der Fischwagen durch die Straßen fahren und den Fang des Tages ausrufen.

Im Haus war es still. Nicole und Richard schliefen vermutlich noch. Ihre Mutter war über Nacht im Krankenhaus geblieben. Sie wollte bei ihrem Mann sein, wenn er erwachte.

Tessa sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihr Vater mittlerweile bei Bewusstsein war. Sie wunderte sich, wie sie nach all den Ereignissen überhaupt hatte einschlafen können.

Sie hatte mit Richard und ihrer Schwester noch lange zusammengesessen und vergeblich auf gute Neuigkeiten aus dem Krankenhaus gewartet. Niemand hatte etwas Tröstendes zu der Situation zu sagen gewusst. Schließlich waren alle erschöpft ins Bett gegangen.

Ruhelos drehte Tessa sich jetzt noch für ein paar Minuten hin und her, dann stand sie auf, duschte und schlüpfte in Jeans und T-Shirt. Sie würde Frühstück machen, ihre Schwester wecken und ins Krankenhaus fahren.

Sie trat an ihr geöffnetes Schlafzimmerfenster und sah hinaus. Eine angenehm kühle Brise wehte vom Meer her, das sich kaum hundert Meter entfernt vor dem Haus erstreckte.

Tessa stützte sich auf die breite Fensterbank und atmete in tiefen Zügen die intensiv nach Meer und wilden Kräutern duftende Luft ein. Trotz ihrer Verzweiflung fühlte sie sich ein wenig getröstet. Immer wieder hatte die Insel diese Wirkung auf sie.

Morgen ging ihr Flug zurück nach London, doch im Moment war an eine Abreise nicht zu denken. Tessa spürte, wie Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie hatte nie ernsthaft damit gerechnet, dass ihre Eltern krank werden könnten. Sie wurden zwar älter, aber sie veränderten sich kaum. Abgesehen von einer Grippe, waren sie nie krank gewesen. Doch jetzt lag ihr Vater im Krankenhaus, und niemand konnte sagen, ob er jemals wieder gesund werden würde.

Ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich an die Wand lehnen musste, und sie presste die Hände vor den Mund, um ihre Schluchzer zu unterdrücken. Sie sorgte sich entsetzlich um den Vater, aber auch um ihre Mutter. Stimmte es wirklich, dass die Eltern ihr Zuhause verloren hatten, in das sie nicht nur all ihre Kraft, sondern auch die Ersparnisse ihres ganzen Lebens gesteckt hatten?

Immer mehr Tränen flossen, als Tessa sich vorstellte, wie verzweifelt ihr Vater gewesen sein musste, als er ganz allein um die Existenz seiner Familie gekämpft hatte. Würde er verkraften, dass er gescheitert war?

Tessa zuckte zusammen, als sie die Türglocke hörte. Wer mochte um diese Uhrzeit hier auftauchen? Vielleicht ein erster Gläubiger?

Hastig wischte sie mit den Händen die Tränen ab, lief die Treppe hinunter und öffnete. Das Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie Adrian gegenüberstand.

„Was willst du hier?“, flüsterte sie heiser. Sie wandte sich ab, bevor die Versuchung, sich in seine Arme zu werfen, übermächtig wurde.

„Ich habe von deinem Vater gehört.“ Seine Stimme war kühl und beherrscht. „Es tut mir sehr leid.“

„Vielen Dank für deine Anteilnahme. Auf Wiedersehen.“ Sie wollte die Tür schließen, doch Adrian schob schnell einen Fuß dazwischen.

„Ich muss mit dir reden.“

„Ich wüsste nicht, was wir noch zu reden hätten.“

„Hör mich an, dann weißt du es.“

Misstrauisch sah sie Adrian an. „Wo hast du überhaupt von meinem Vater gehört?“

Adrian holte tief Luft, als wollte er seinen Ärger unterdrücken. „Ich bin im Aufsichtsrat des Krankenhauses“, sagte er ungeduldig. „Wir hatten gestern ein Meeting, und ich habe zufällig mitbekommen, dass dein Vater eingeliefert wurde. Ich habe übrigens veranlasst, dass deiner Mutter für die Nacht ein Bett in sein Zimmer gestellt wurde.“

„Danke“, murmelte Tessa und senkte den Blick. „Das war sehr freundlich von dir.“

„Ich bin nicht gekommen, um mir deinen Dank abzuholen.“

„Warum dann?“ Tessa konnte nicht verhindern, dass ihr Herz schneller klopfte. Doch ein Blick auf Adrians kalte Miene dämpfte rasch ihre aufkeimende Hoffnung.

„Was weißt du über die finanzielle Lage deiner Eltern?“, überging Adrian ihre Frage.

Tessa schoss das Blut ins Gesicht. Hatte sich der Bankrott bereits herumgesprochen? „Was hat das mit dir zu tun?“

„Bist du dir darüber klar, dass ihr gesamter Besitz bis oben hin mit Hypotheken belastet ist?“, erwiderte Adrian anstelle einer Antwort. „Vielleicht weißt du ja, dass deine Eltern keinerlei Ersparnisse haben. Dein Vater hat die letzten zwei Raten seiner Kredite nicht gezahlt, und wenn nichts geschieht, ist der gesamte Besitz verloren.“ Er schwieg einen Moment und musterte Tessa, als wollte er sehen, wie seine Worte auf sie wirkten, dann fuhr er fort: „Es ist nicht einmal genug Geld übrig, um die Krankenhauskosten zu bezahlen.“

Tessa wurde es schwindelig, doch sie versuchte, Adrian nicht zu zeigen, wie tief seine Worte sie getroffen hatten. „Warum bist du so gut unterrichtet? Ist die Lage meiner Eltern bereits Gesprächsthema auf der ganzen Insel?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

Adrian sah sie ungeduldig an. „Ich habe gestern Abend noch im Krankenhaus mit deiner Mutter gesprochen. Sie war völlig verzweifelt und hat mir alles erzählt. Danach habe ich heute Morgen mit der Bank geredet.“

„Bist du dort auch im Aufsichtsrat?“ Tessa merkte selbst, dass ihr Spott bemüht klang.

„Zufällig ja. Darum konnte ich deinem Vater auch eine kurze Atempause verschaffen, bevor der Besitz versteigert wird“, erwiderte Adrian trocken.

„Noch einmal: vielen Dank! Aber warum hilfst du uns?“, fragte Tessa. Sie versuchte, in seinen dunklen Augen zu lesen, doch sie gaben nichts preis.

„Ich schätze deinen Vater schon lange“, erklärte Adrian. „Deine Familie besitzt etwas, das selten geworden ist: Bei euch ist jeder für jeden da, und ihr seid bereit, Opfer füreinander zu bringen.“ Für einen winzigen Augenblick glaubte Tessa, etwas von seiner früheren Lebendigkeit in seiner Miene zu sehen, doch es war so schnell wieder vorbei, dass sie nicht sicher war, ob sie sich alles nur eingebildet hatte. „Früher habe ich euch beneidet. Eine Familie wie eure habe ich mir als Kind gewünscht“, sagte er mit überraschender Offenheit.

Tessa wusste nicht, was sie erwidern sollte, und sah ihn nur schweigend an.

Adrian schüttelte den Kopf, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben. „Im Moment gibt es allerdings nichts zu beneiden“, fuhr er mit seiner üblichen Kälte fort. „Sämtliche Konten sind gesperrt. Deine Mutter kann nicht einmal mehr Geld abheben, um etwas zu essen zu kaufen. Aber es hängt von dir ab, ob es wirklich zu einer Katastrophe kommen muss.“

„Von mir?“, flüsterte Tessa erschrocken. Plötzlich spürte sie eine seltsame, dunkle Vorahnung. „Wieso von mir?“ Sie starrte in sein unbewegtes Gesicht, das wie aus Bronze gegossen schien.

„Ich bin bereit, die Schulden deines Vaters zu begleichen.“

„Was?“, rief Tessa fassungslos aus. Vor Erleichterung drohten ihre Knie nachzugeben. Dann schüttelte sie den Kopf. „Das ist wirklich sehr … großzügig von dir, aber … unmöglich! Mein Vater würde nie zustimmen. Vielen Dank, doch irgendwie werden wir schon …“

„Meine Güte, Tessa!“, schnitt Adrian ihr scharf das Wort ab. „Lass mich endlich ausreden! Ihr werdet nicht alleine heil aus der Situation herauskommen. Falls du mir nicht glaubst, kannst du ja mit der Bank sprechen. Und natürlich weiß ich, dass dein Vater niemals Geld von mir annehmen würde. Darum gibt es nur eine Lösung: Du musst mich heiraten. Von seinem Schwiegersohn würde dein Vater die Hilfe akzeptieren.“

Im ersten Augenblick dachte Tessa, sie hätte sich verhört. Ihr Mund wurde trocken, und alles drehte sich um sie. Halt suchend griff sie nach dem Türrahmen.

„Dich heiraten?“, wiederholte sie tonlos.

Adrian nickte. „Nicht wirklich, natürlich“, sagte er kühl. „Ich habe nicht vor, das Sakrament der Ehe zu verspotten und mit dir vor den Altar zu treten. Aber wenn deine Eltern glauben, dass wir verheiratet sind, werden sie mein Geld annehmen können.“

Bei seinen Worten fühlte sich Tessa, als würde ein Messer in ihren Bauch gestoßen und herumgedreht. Sie konnte nur stumm nicken.

Für einen winzigen Augenblick hatte sie gegen alle Vernunft gehofft, dass Adrian sie liebte und ihr einen echten Heiratsantrag machte, um ihr und ihrer Familie zu helfen. Wie unglaublich dumm sie war!

Tessa senkte die Lider, damit er ihren Schmerz nicht sah. „Was hast du davon?“, fragte sie. Ihre Stimme klang heiser. „Machst du dieses großzügige Angebot aus reinem Edelmut?“

Adrian lachte spöttisch auf. „Nein, ganz und gar nicht. Ich bin sicher, dass der Betrieb deines Vaters mit ein wenig Hilfe schon bald wieder florieren wird und ich mein Geld zurückbekommen werde. Wenn dein Vater mich als Geschäftspartner akzeptiert, werde ich sogar mit der Zeit noch einen kleinen Gewinn machen können. Außerdem …“ Er betrachtete sie mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß.

Tessa wurde es eiskalt. „Selbst wenn ich zu diesem Betrug Ja sagen würde, weiß ich nicht, wie du dir das vorstellst. Du wirst wohl kaum erwarten, dass ich in deinem Haus lebe. Nikos würde niemals zustimmen, und du hast mir deutlich genug gezeigt, wie sehr du mich verabscheust. Du kannst unmöglich jemanden wie mich in deiner Nähe wollen“, sagte sie bitter.

„Oh, ganz im Gegenteil“, erwiderte Adrian mit einem zynischen Lächeln. „Ich bestehe sogar darauf. Wir werden zusammenleben wie Mann und Frau. In der Nacht erwarte ich eine feurige Geliebte in meinem Bett, tagsüber wirst du dich um Nikos kümmern.“

Unwillkürlich trat Tessa einen Schritt zurück. Adrians Hand schoss vor und hielt sie mit eisernem Griff fest, bevor sie fliehen konnte. „Du wirst Nikos helfen, wieder Interesse am Leben zu finden. Mittlerweile lehnt er sogar das Training mit seinem Physiotherapeuten ab. Außerdem stehe ich kurz vor dem Beginn eines großen Hotelprojekts und werde in den nächsten Monaten nicht viel Zeit haben, mich um Nikos zu kümmern. Sieh es als eine kleine Wiedergutmachung an, Tessa.“

Morgen würde sie blaue Flecken haben. Aber diese Aussicht erschreckte sie viel weniger als die Gefühle, die sein Griff in ihr auslöste. Von seiner Hand ging eine Hitze aus, die ihren ganzen Körper erfasste. Zugleich wurde ihr bei Adrians Worten eiskalt.

„Hast du mich eigentlich jemals wirklich geliebt?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

Adrian ließ sie abrupt los. „Es ist erstaunlich, dass gerade du diese Frage stellst. Willst du etwa behaupten, du würdest an die Liebe glauben? Du solltest doch am besten wissen, wie unbeständig und vergänglich Liebe ist.“

Für einen Moment überlegte Tessa, Adrian zu erzählen, was wirklich an dem Abend vor zwei Jahren geschehen war. Aber dazu war es jetzt zu spät. Sie hätte ihm sofort die Wahrheit sagen müssen. Doch sie war damals selbst viel zu verstört und verletzt gewesen.

Wahrscheinlich würde er mir sowieso kein Wort glauben, dachte sie bitter. „Du hast mich genug erniedrigt, Adrian“, sagte sie leise, aber entschlossen. „Ich würde alles tun, um meiner Familie zu helfen – fast alles. Ich bin bereit, Nikos zu helfen. Das verspreche ich dir. Auch wenn er es kaum ertragen kann, mit mir in einem Raum zu sitzen, kann ich versuchen, ihm irgendwie neuen Lebensmut zu geben. Aber mehr nicht! Du kannst doch nicht im Ernst glauben, dass ich mich verkaufen werde, damit du meinen Eltern hilfst! Wenn du darauf bestehst, dass ich für dein Geld mit dir ins Bett gehe, muss ich dein großzügiges Angebot ablehnen.“

„Sieh mich an!“ Adrians Stimme klang rau. Er trat einen Schritt auf sie zu. Mit jedem Herzschlag wuchs die Spannung zwischen ihnen.

„Warum?“ Tessa hob den Kopf. Als ihre blauen Augen in seine dunklen schauten, fühlte sie, wie sich ihre Wut in Verlangen verwandelte.

Die Zeit schien stillzustehen, bis Adrian mit einem heiseren Auflachen den Bann brach. „Siehst du? Du willst mich. Und ein Teil von mir begehrt auch dich noch immer. Selbst wenn dieses Gefühl ganz sicher nichts mit Liebe zu tun hat, kannst du es nicht leugnen.“

Ihr Gesicht brannte vor Scham. „Ich begehre dich nicht!“, rief sie trotzig, doch selbst in ihren eigenen Ohren klang es nicht überzeugend.

Adrian machte sich nicht einmal die Mühe, darauf einzugehen. „Diesen Rest von Leidenschaft zwischen uns auszuleben ist der beste Weg, sie loszuwerden“, sagte er so gelassen, als würde er über einen Geschäftsabschluss reden. „Und auf einen Liebhaber mehr oder weniger dürfte es dir auch nicht ankommen.“

Ohne nachzudenken, hob Tessa die Hand, um ihn zu ohrfeigen, doch er fing ihren Arm auf, als hätte er dies vorausgesehen.

„Ich schlage vor, dass wir deiner Familie in einigen Tagen mitteilen, wir hätten uns wegen der Krankheit deines Vaters in aller Stille trauen lassen“, erklärte er ungerührt. „Ich werde dann umgehend das Kapital in den Betrieb deiner Eltern stecken und alles Notwendige veranlassen. Du ziehst zu mir, meine Bedingungen kennst du ja. Nach spätestens einem halben Jahr werden wir uns ebenso still trennen.“

„Was ist mit meinem Job?“

„Ich habe gehört, du bist selbstständig“, antwortete Adrian. „Du kannst dir doch bestimmt für einige Monate eine Auszeit nehmen.“

„Das könnte ich wohl“, gab Tessa widerwillig zu. „Aber ich habe lange gebraucht, bis mein Geschäft lief.“

„Du arbeitest als Innenarchitektin, nicht wahr?“

Tessa nickte.

„Ich gehe davon aus, dass du gut bist, und engagiere dich hiermit für mein nächstes Hotelprojekt. Das Honorar sollte reichen, um dich für mögliche finanzielle Ausfälle mehr als ausreichend zu entschädigen.“

„Du glaubst wohl, mit Geld kannst du alles regeln!“ Tessa funkelte Adrian an. „Hast du schon mal daran gedacht, dass ich vielleicht einen Freund in London habe, den ich liebe und nicht verlieren möchte?“

Sie spürte, wie sein Griff fester wurde. Sie konnte erkennen, wie sich unter seinem dünnen T-Shirt seine Muskeln spannten. „Hast du?“

Tessa zitterte unter seinem Blick. Sie musste den Kopf abwenden, damit er nicht schon wieder in ihren Augen lesen konnte, wie sehr sie ihn begehrte.

Zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie Adrian wirklich noch immer liebte. Er war kalt und grausam. Jeder Satz von ihm war eine Beleidigung, jedes Wort tat weh. Hatte sie ihn überhaupt jemals gekannt? Oder hatte sie sich nur eine Illusion von einem Märchenprinzen zurechtgeträumt, weil Adrian zufällig so aussah wie ihr Traummann?

Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre fortgelaufen, so weit, dass sie ihn endlich für immer vergessen konnte. Aber dann würde ihre Familie alles verlieren, und ihr Vater würde vielleicht niemals wieder gesund werden. Durfte sie Adrians Angebot wirklich ablehnen?

„Du hast dir ja alles bereits sehr genau zurechtgelegt! Du wirkst, als hätte ich keine andere Wahl, als dieses … dieses widerwärtige Geschäft anzunehmen“, fuhr Tessa auf. „Hast du überhaupt die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du diesmal nicht bekommst, was du willst?“

„Nein. Aber du kannst dich ja damit trösten, dass du deine Familie rettest. Und in ein paar Monaten wirst du wieder frei sein. Außerdem – wir haben doch wohl beide mehr als genug Erfahrung, um keine große Sache aus ein bisschen Sex zu machen. Übrigens habe ich deiner Mutter gegenüber eine Andeutung fallen lassen, dass wir uns bereits vor zwei Jahren ineinander verliebt haben und unsere Gefühle bei unserer Begegnung auf Nicoles Hochzeit wieder aufgeflammt sind“, sagte er spöttisch. „Also lass uns nicht weiter drum herumreden. Denk in Ruhe darüber nach, dann wirst du einsehen, dass du keine Wahl hast.“

Tessa ballte ihre Hände zu Fäusten, bis sich ihre Nägel in die Handflächen gruben. Erwartete Adrian ernsthaft, dass sie seine Bedingungen akzeptierte? Keine Frau auf der ganzen Welt mit einem Funken Verstand würde das tun!

Es kostete sie alle Kraft, ihn nicht anzuschreien und ihm ihre ganze Wut und Verletzung entgegenzuschleudern. Aber wenn sie ihre Eltern retten wollte, musste sie jetzt ruhig und vernünftig bleiben.

Tessa hob den Kopf und sah Adrian an. Sie fühlte sich gefangen, und ihr war übel. „Wie lange habe ich Zeit?“

Er drehte sich um und ging ein paar Schritte zu seinem Wagen. Tessa blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Sie wollte ihre Frage gerade wiederholen, als er stehen blieb. „Ich erwarte deine Antwort bis morgen früh. Das sollte reichen. Aber überlege dir deine Entscheidung gut“, warnte er sie scharf. „Ich werde dir keine zweite Chance geben.“

Tessa hätte es nicht für möglich gehalten, Stunden um Stunden klar und logisch über ihre Situation nachzudenken und doch immer wieder zu einem vollkommen verrückten Ergebnis zu kommen: Sie hatte keine Wahl, sie musste Adrians Angebot annehmen.

Auch wenn sie genauso glücklich wie die anderen war, dass ihr Vater endlich wieder bei Bewusstsein und außer Lebensgefahr war, grübelte sie selbst im Krankenhaus unablässig über Adrians Vorschlag nach. Es muss eine andere Lösung geben! dachte sie verzweifelt. Aber der Anblick ihres Vaters, der entsetzlich schwach und hilflos wirkte, verstärkte ihre Überzeugung, dass sie ihre Eltern nicht im Stich lassen durfte.

In der Nacht wälzte sie sich schlaflos in ihrem Bett, aber sie wusste bereits, was sie am nächsten Morgen zu tun hatte. Wäre Dad wenigstens nur bankrott und nicht auch noch krank, dachte sie verzweifelt. Sie würde es sich niemals verzeihen, wenn er vor Sorge einen zweiten Herzinfarkt bekäme.

Sobald die Sonne den Horizont über dem dunklen Meer in goldenes Licht tauchte, stand sie auf, zog sich an und fuhr zu Adrians Haus. Alles war noch still, aber Adrian öffnete bereits auf ihr erstes Klopfen. Er war barfuß und trug eine weite helle Leinenhose, dazu ein weißes Hemd, das am Hals geöffnet war und seine Haut noch brauner schimmern ließ. Schweigend sah er sie an. An seinem selbstsicheren Gesichtsausdruck konnte Tessa erkennen, dass er nicht mit ihrer Ablehnung rechnete.

„Ich werde dein Angebot annehmen, aber mein Körper gehört nicht zu der Abmachung“, begann sie ohne Einleitung. Ihre Stimme klang entschlossen und fest, obwohl sie sich ganz und gar nicht so fühlte.

Adrian kniff seine Augen zusammen und lächelte schmal. „Du bist nicht in der Situation, Bedingungen zu stellen. Aber bist du zufrieden, wenn ich dir versichere, dass ich mir nichts nehmen werde, was du mir nicht freiwillig gibst?“

Tessa zögerte nur einen Moment. Sie war nicht mehr das naive Mädchen, mit dem er damals gespielt hatte. Inzwischen war sie alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. „Einverstanden.“

Mit einer raschen Bewegung packte Adrian sie an den Schultern, zog sie an sich und küsste sie. Unwillkürlich schmiegte Tessa sich noch enger an ihn. Seine Hände glitten quälend langsam über ihren Körper, erkundeten ihn und zugleich liebkosten sie ihn so geschickt, als würden sie ihn schon ewig kennen. Tessa stöhnte auf und legte die Arme um seinen Nacken.

Abrupt ließ Adrian sie los, trat einen Schritt zurück und sah sie mit hochgezogenen Brauen an. „Irgendwie fällt es mir schwer, zu glauben, dass du mich nicht in deinem Bett haben willst“, sagte er spöttisch. „Auf Wiedersehen, Tessa. Ruf mich an, wenn du deinen Eltern die frohe Neuigkeit mitteilen willst.“

4. KAPITEL

Eine Woche lang zerbrach Tessa sich den Kopf, um doch noch einen anderen Ausweg zu finden, dann gab sie auf. Ihre Kehle schnürte sich zusammen, als sie zum Telefon ging, den Hörer abhob und Adrians Nummer wählte. Er meldete sich nach dem dritten Klingeln.

Tessa verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten: „Es ist so weit. Heute werde ich meinen Eltern sagen, dass wir in aller Stille geheiratet haben. Morgen soll mein Vater entlassen werden. Ich fürchte, dass ihn die … Überraschung aufregen wird, darum möchte ich mit ihm reden, solange er noch im Krankenhaus ist.“

„Die Geschichte wirkt glaubwürdiger, wenn ich mit dir komme“, erwiderte Adrian nur. „Dann kann ich mit deinem Vater auch gleich das Geschäftliche besprechen. Ich habe bereits alles vorbereitet.“

„Warte!“, sagte Adrian schroff, als Tessa eine Stunde später die Tür zum Krankenzimmer öffnen wollte.

Verwirrt drehte sie sich zu ihm um. „Was ist?“

„Es fehlt noch etwas.“ Adrian griff in seine Tasche, dann fasste er nach Tessas rechter Hand. Bevor sie erkannte, was er vorhatte, steckte er ihr einen schmalen goldenen Ring an den Finger. Tessa hielt ihre Hand von sich gestreckt, als gehörte sie nicht zu ihr. Sie konnte ihre Blicke nicht von dem Ring lösen.

„Wir müssen so überzeugend wirken, dass dein Vater nicht einmal auf den Gedanken kommt, unsere Worte nachzuprüfen“, erklärte Adrian. „Ein Anruf reicht, um herauszufinden, dass wir ihm etwas vorgespielt haben.“

Tessa starrte noch immer den schmalen goldenen Reif an. „Was … was ist das für ein Ring? Hast du ihn gekauft?“

„Wie ein verliebter Bräutigam?“ Er hob spöttisch die Augenbrauen. „Nein, Tessa, ich muss dich enttäuschen. So viel Mühe habe ich mir nicht gemacht. Er gehörte meiner Mutter und lag im Safe. Wenn möglich, verliere ihn also nicht. Ich hoffe, ich werde ihn noch einmal brauchen.“

Bei seinen Worten zuckte Tessa zusammen. Immer wenn sie dachte, er könnte sie nicht noch mehr verletzen, kränkte er sie noch schlimmer als je zuvor. Würde das für die nächsten Monate ihr Leben sein? Sie nickte nur schweigend, dann öffnete sie die Tür.

Als Tessa und Adrian das Krankenzimmer betraten, saß nur ihre Mutter am Bett ihres Mannes. Nicole und Richard waren bereits zurück nach England geflogen, weil das neue Semester begonnen hatte.

Die Infusionsschläuche und Überwachungsmonitore waren vor einigen Tagen entfernt worden, und ihr Vater hatte wieder Farbe bekommen. Dennoch schnürte sein Anblick Tessa die Kehle zu. In seinen hellen blauen Augen, die ihren so ähnlich waren, lag eine Angst, die ihr das Herz schwer werden ließ …

Der goldene Ring war fremd und kalt an ihrer Hand, doch plötzlich fühlte Tessa eine tiefe Ruhe. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.

Überrascht sah Jack Wilson seinen Besucher an.

„Hallo, Jack.“ Adrian reichte dem älteren Mann die Hand. „Ich freue mich, dass es Ihnen wieder besser geht.“

„Adrian! Wie nett, dass Sie mich besuchen.“ Jack Wilson wirkte leicht irritiert. Die beiden Männer kannten sich zwar seit Jahren, und Jack hatte Adrian bereits einige Kartons Olivenöl für seine Hotels verkauft, aber ihr Kontakt war nie so eng gewesen, dass er einen Besuch am Krankenbett erwartet hätte. Tessa bemerkte, dass ihre Mutter Adrian allerdings verschwörerisch zublinzelte.

„Ich bin hier, um Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten“, fuhr Adrian ohne weitere Einleitung fort. Er legte Tessa einen Arm um die Taille und hauchte ihr einen Kuss aufs Haar. „Sie hat meinen Heiratsantrag angenommen und mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.“

Tessa spürte den fragenden Blick ihres Vaters, der offenbar darauf wartete, dass sie auch etwas sagte. Adrians Griff um ihre Taille wurde fester.

„Das stimmt!“ Sie lächelte so strahlend wie möglich.

„Ich … ich hatte keine Ahnung, dass ihr zwei …“ Jack Wilson schüttelte den Kopf. „Das kommt sehr überraschend!“

„Die beiden haben sich bereits vor zwei Jahren ineinander verliebt“, erklärte Emily Wilson mit leuchtenden Augen. Tessa wusste, wie sehr ihre Mutter romantische Liebesgeschichten mochte.

Jack Wilson hob die Brauen. Er wirkte eher skeptisch als begeistert. „Ich weiß, dass ihr damals miteinander ausgegangen seid. Aber danach bist du nie wieder nach Naxos gekommen, Tessa. Ich hätte nicht gedacht … Hattet ihr in den vergangenen Jahren denn Kontakt miteinander?“

„Sie haben sich auf Nicoles Hochzeit wiedergetroffen und aufs Neue ineinander verliebt, Jack. Ist das nicht furchtbar romantisch?“, warf Emily Wilson hilfreich ein. Sie stand auf und küsste Adrian auf beide Wangen. „Ich freue mich sehr, Adrian. Tessa hätte keine bessere Wahl treffen können.“

Wenn du nur wüsstest! dachte Tessa traurig. Sie blinzelte, um ihre Tränen zu vertreiben, und schmiegte sich enger an Adrian. Es kam ihr vor, als wäre sie in einen Wirbelsturm geraten. Ein Teil von ihr wünschte sich verzweifelt, dass dieses Schauspiel Wirklichkeit sein könnte, während sie gleichzeitig das Gefühl hatte, sie würde freiwillig ihr Leben aufgeben und in eine Falle laufen.

„Wir sind sehr, sehr glücklich, Dad“, versicherte sie und hoffte, ihr Vater würde die Tränen in ihren Augen ihrem großen Glück zuschreiben. „Adrian ist der Mann meines Lebens, und das weiß ich bereits seit zwei Jahren. Ich bin so froh, dass er meine Liebe erwidert.“ Wie wunderbar könnte alles sein, wenn diese Szene echt wäre, dachte sie traurig.

„Na, dann habt ihr meinen Segen.“ Jack Wilson hörte sich noch immer leicht zweifelnd an.

„Darauf haben wir gehofft, als wir uns das Jawort gegeben haben“, fuhr Adrian nach einer kleinen Pause fort.

Tessa hielt die Luft an, als ihr Vater sich abrupt aufsetzte. „Was? Soll das heißen, ihr habt bereits geheiratet? Heimlich?“

Tessa eilte zu seinem Bett und ergriff die Hände ihres Vaters. „Wir wollten dich nicht unnötig aufregen, Dad. Eine Feier wäre zurzeit sowieso nicht möglich gewesen. Darum dachten wir, es wäre so das Beste für alle.“

Jack Wilson starrte auf den goldenen Ring an Tessas Finger. „Aber … warum so eilig? Ihr hättet doch noch ein wenig warten können. Ich wäre gern bei der Hochzeit meiner ältesten Tochter dabei gewesen. Wenigstens hätte ich gern vorher davon gewusst.“

„Ich bitte Sie um Entschuldigung.“ Adrian sah Jack und Emily Wilson mit einem so strahlenden und gleichzeitig zerknirschten Lächeln an, dass Tessas Herz einen Schlag aussetzte. „Und ich verspreche Ihnen beiden, dass ich Ihr Vertrauen niemals wieder ausnutzen werde. Tessa und ich wollten Ihnen nur jede Aufregung ersparen, Jack. In Ihrem Zustand müssen Sie sich ausruhen, um schnell wieder ganz gesund zu werden. Das Wichtigste ist, dass Sie sich keine Sorgen machen. Weder wegen der Heirat noch wegen Ihres Betriebs. Wir sind jetzt eine Familie, und wenn Sie einverstanden sind, werde ich mich um alles kümmern, bis Sie wieder ganz gesund sind.“

„Um alles kümmern?“ Jack Wilson runzelte die Stirn. „Was genau meinen Sie damit?“

„Zuerst einmal – sollten wir uns nicht duzen?“

Tessas Vater wirkte noch immer völlig überrumpelt. „Na, also … ja, ich denke doch … jetzt, wo wir eine Familie sind.“

„Ganz genau!“ Adrian lächelte Jack Wilson so herzlich an, dass er selbst Tessa fast überzeugt hätte. „Und darum möchte ich auch gern die Schulden ausgleichen, die auf deinem Betrieb liegen.“

„Meine … was?“ Jack Wilson wurde so bleich, dass Tessa schon die Hand nach der Klingel ausstreckte, um nach dem Arzt zu rufen. Er hieb mit seiner Faust auf die Bettdecke. „Woher wissen Sie von meinen Schulden?“

Rasch trat Tessa einen Schritt vor und nahm Adrians Hand. „Ich habe ihm davon erzählt. Adrian ist jetzt mein Ehemann, und ich habe keine Geheimnisse vor ihm. Bitte hör dir sein Angebot wenigstens an, Dad! Er kann dir helfen!“

Besänftigend legte Emily Wilson ihrem Mann eine Hand auf den Arm. „Es wäre sowieso nicht mehr lange ein Geheimnis geblieben, mein Lieber.“

Jack Wilson wirkte noch immer aufgebracht, doch jetzt mischte sich in seiner Miene Scham mit Wut. „Ich brauche keine Almosen“, stieß er hervor. „Ich habe uns in die Schwierigkeiten gebracht, und ich werde auch selbst dafür geradestehen! Auf gar keinen Fall nehme ich Ihr … dein Geld! Niemals!“

„Ich bin kein Fremder mehr, sondern dein Schwiegersohn, Jack“, sagte Adrian ernst. „Ich kann nicht einfach zusehen, wenn meine Familie in Not ist. Außerdem bin ich durchaus nicht ganz uneigennützig. Ich bin sicher, dass wir deinen Betrieb gemeinsam zu einer Goldgrube machen können. Es wäre mir eine Ehre, zu helfen – als dein neuer Schwiegersohn.“

„Hm“, knurrte Jack Wilson.

„Ich habe nicht vor, dir irgendetwas aus der Hand zu nehmen oder Rechte an deinem Betrieb einzufordern, nur weil ich Geld hineinstecke“, erklärte Adrian. „Die Entscheidungsgewalt bleibt bei dir. Sobald es dir besser geht, können wir uns zusammensetzen und alles genauer besprechen.“

„Heißt das, du willst keine Anteile am Betrieb?“ Tessa sah mit Erleichterung, dass die Farbe in das Gesicht ihres Vaters zurückgekehrt war.

„Zehn Prozent und keine Zinsen für die Tilgung der Schulden. Aber darüber können wir reden.“

Alle schwiegen und warteten gespannt auf Jack Wilsons Antwort.

„Das hört sich fair an“, brummte er schließlich.

„Dann ist es abgemacht!“ Adrian streckte die Hand aus, und Jack Wilson schlug ein.

Was würde Dad sagen, wenn er die Wahrheit wüsste? schoss es Tessa durch den Kopf, doch sie war zu erleichtert, wie entspannt ihr Vater mit einem Mal aussah, um länger darüber nachzudenken. Von der Angst, die vorher in seinen Augen gestanden hatte, war keine Spur mehr zu sehen. Auch auf dem schmal gewordenen Gesicht ihrer Mutter zeigte sich endlich wieder ihr offenes Lachen.

Unwillkürlich wandte Tessa sich zu Adrian, um ihm zu danken. Er hatte ihren Eltern die Sorgen genommen. Sie war überrascht, wie geschickt er es geschafft hatte, ihrem Vater nicht das Gefühl zu geben, er würde ein Almosen bekommen.

Aber als sie Adrian ansah, konnte sie in seiner arroganten Miene lesen, dass dies alles zu seinem Plan gehörte. Er spielte mit den Gefühlen der ganzen Familie, um sein Ziel zu erreichen. Auch wenn Tessa nicht ganz sicher war, worum es sich dabei eigentlich handeln mochte.

„Wann setzen wir uns zusammen?“, fragte Jack Wilson. Plötzlich sah er wieder erstaunlich unternehmungslustig aus.

„Sobald wir von unserer Hochzeitsreise zurückkommen“, erwiderte Adrian.

Tessa schnappte überrascht nach Luft. „Ich bin ja schon so aufgeregt!“, rief sie mit einem kleinen Lachen aus, als sich alle zu ihr umwandten.

„Hochzeitsreise!“, rief Emily Wilson aus. „Wie romantisch! Wohin fahrt ihr, Tessa? Und wie lange?“

„Oh, nur eine Woche“, antwortete Adrian an Tessas Stelle. „Wir fahren mit meinem Boot durch die Ägäis. Tessa wollte keine exotische Reise, nicht wahr, Liebling?“

„Nein. Wozu verreisen, wenn wir schon im Paradies sind?“, brachte Tessa heraus. War das Adrians Ernst? Eine Woche zu zweit auf seinem kleinen Boot!

„Wir lassen deine Eltern jetzt besser allein“, sagte Adrian und küsste Tessa leicht auf die Wange. Fragend hob er die Brauen, als er den Ärger in ihren hellen Augen sah.

Draußen auf dem Flur entzog sich Tessa rasch seinem festen Griff.

„Was ist los mit dir?“, fragte er leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. „Du solltest zufrieden sein. Du hast deinen Teil der Abmachung bekommen, oder nicht?“

„Du benutzt uns alle, und zwar ohne Rücksicht auf unsere Gefühle und unseren Stolz“, zischte Tessa wütend.

„Und ihr werdet alle reichlich dafür entschädigt.“ Adrian verzog den Mund zu einem kalten Lächeln.

„Ich habe nicht vor, eine Woche allein mit dir auf deinem Boot zu verbringen! Oder war das auch nur eine Lüge für meine Eltern?“

„Nein, das Boot ist bereits beladen und aufgetankt. Heute Nachmittag geht’s los. Wir müssen nicht nur deine Eltern täuschen, Tessa. Jeder muss überzeugt sein, dass wir in aller Stille geheiratet haben. Wenn nur ein Einziger unser Geheimnis herausbekommt, war alles umsonst. Ich hoffe, das ist dir klar. Ich habe Nikos heute Mittag von uns erzählt.“ Adrians Mund wurde schmal, und Tessa fragte sich, ob er bereits bereute, was er angezettelt hatte. „Wie du dir denken kannst, war er nicht begeistert“, fuhr er fort. „Aber er wird sich mit dem Gedanken anfreunden. Ich denke, eine Woche sollte reichen, damit er die Situation akzeptiert.“

Dafür würde auch ein Jahr nicht reichen, dachte Tessa, aber sie erkannte, dass es sinnlos war, Adrian zu widersprechen. Sie waren schon zu weit gegangen. „Es kann nicht immer alles nach deinem Kopf gehen! Ich hoffe nur, ich bin dabei, wenn du einmal scheiterst.“

„Warum? Willst du dann meine Überreste aufsammeln?“, fragte er ironisch. Er legte eine Hand in ihren Nacken, als wollte er ihr zeigen, dass er Macht über sie besaß.

Seine Berührung erschreckte Tessa, doch gleichzeitig breitete sich die Wärme seiner Hand in ihrem ganzen Körper aus.

Offenbar konnte er in ihrer Miene lesen. „Kannst du dich nicht entscheiden, ob du mich schlagen oder küssen willst?“, fragte er spöttisch und ließ seine Hand sinken. Dabei strich er wie unabsichtlich über ihren Nacken und ihre Schulter, bevor er sie losließ.

„Du solltest nach Hause gehen und packen“, sagte er kühl. „Um ein Uhr hole ich dich ab.“

Als sie bemerkte, dass er sie mit seinen dunklen Augen musterte, drehte sie sich um und ging ohne ein weiteres Wort ins Haus. Ihre Knie zitterten so sehr, dass sie bei jedem Schritt fürchtete, zu stolpern.

Wie sollte sie eine Woche allein mit Adrian überstehen? Er durfte niemals erfahren, dass sie ihn noch immer liebte!

5. KAPITEL

Der Tag war klar und wolkenlos. Ganz im Gegensatz zu ihrer Stimmung, als sie mit ihrem gepackten Koffer an der Haustür wartete. Noch immer konnte Tessa nicht ganz glauben, was mit ihrem Leben passiert war.

Sie seufzte und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie ihre nächsten Tage und Monate aussehen würden. Doch sie musste an die gute Seite denken: Die Familie war vor dem sicheren Ruin gerettet, und ihr Vater würde wieder gesund werden.

In einem Telefonat hatte ihre Mutter ihr noch einmal versichert, wie erleichtert ihr Vater nach dem Gespräch mit Adrian war.

„Er grollt noch ein bisschen, weil ihr ohne sein Wissen geheiratet habt, aber er wird sich bald wieder beruhigen. Auf jeden Fall redet er schon in den höchsten Tönen von seinem neuen Schwiegersohn“, hatte Emily Wilson ihrer Tochter versichert.

Zumindest darüber kann ich glücklich sein, dachte Tessa, während sie mit Adrian zum Hafen von Naxos fuhr. Wie sie das Leben an seiner Seite ertragen sollte, war eine andere Sache.

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

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Chantelle Shaw
Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs.

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Schon als Kind war Sarah Leigh Chase eine Leseratte, und man traf sie selten ohne ein Buch in der Hand an. Nach den Abenteuern der „Fünf Freunde“ verschlang sie dann als Teenager stapelweise Liebesromane. Schon damals träumte sie davon, Schriftstellerin zu werden.

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