Romana Gold Band 53

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MEIN GRIECHISCHER MILLIARDÄR von KATE WALKER
Wie geschaffen für die Liebe scheint die schöne Rebecca, die Andreas auf seiner Insel in Griechenland besucht. Und so versucht er alles, um sie zu erobern. Was der griechische Milliardär nach einem Unfall nicht mehr weiß: Sie brach ihm schon einmal das Herz …

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  • Erscheinungstag 04.10.2019
  • Bandnummer 53
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745158
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Walker, Sarah Morgan, Rebecca Winters

ROMANA GOLD BAND 53

1. KAPITEL

Die Villa sah genau so aus, wie Rebecca sie in Erinnerung hatte.

Oder besser gesagt, sie sah genau so aus, wie sie ihr immer in ihren Träumen erschienen war. Denn eigentlich hatte sie an jenem einen Tag, den sie hier verbracht hatte, nur sehr wenig davon wahrgenommen.

An dem Tag, an dem ihre Flitterwochen hätten beginnen sollen.

Dem einen Tag ihrer Ehe.

Als sie damals angekommen waren, ging gerade die Sonne unter, deshalb hatte Rebecca nur einen flüchtigen Eindruck von dem großen, weiß gestrichenen Haus und der dahinter liegenden Bucht gewonnen. Aber das hatte offenbar genügt, um sich das Bild einzuprägen. Was sicher daran lag, dass man Dinge viel besser registrierte, wenn man glücklich war, als wenn Trauer die Wahrnehmung verdüsterte. Und Rebecca war im Taumel des Glücks auf der kleinen Insel gelandet, die sie dann wenige Stunden später in tiefster Verzweiflung wieder verlassen hatte.

Tatsächlich hatte sie nicht einmal Zeit gehabt, ihren Koffer auszupacken. Trotz der heißen Sonnenstrahlen auf ihrem Rücken zitterte Rebecca, als sie daran dachte, wie Andreas wütend den Koffer hochgerissen und nach draußen geworfen hatte. Und das war der Moment gewesen, in dem sie aufgegeben hatte und gegangen war. Weil sie jede Hoffnung verloren hatte, Andreas beruhigen und ihm schließlich die Wahrheit erklären zu können.

Es hatte so ausgesehen, als würde sein Zorn niemals verebben.

Bis jetzt.

„Sind wir hier richtig?“

Neben ihr auf der steilen, kurvenreichen Straße trat der Taxifahrer ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Offensichtlich wollte der Mann so schnell wie möglich zurück in das winzige Dorf und in den Schatten.

„Oh ja“, versicherte ihm Rebecca hastig. Sie holte ihr Portemonnaie heraus, durchblätterte die ungewohnten Geldscheine, die sie erst in letzter Minute eingetauscht hatte, und suchte nach einem, der ungefähr dem Betrag auf dem Taxameter entsprach. „Ja, dies ist das richtige Haus.“

Unwillkürlich verglich Rebecca ihre chaotische, beschwerliche Reise an diesem Tag mit ihrem ersten Besuch der Villa Aristea vor knapp einem Jahr. Damals waren Andreas und sie in seinem Privatjet nach Rhodos geflogen und von dort mit einem Hubschrauber zu dieser Insel, die kaum mehr war als ein kleiner Fleck im Meer. Rebecca hatte keinen Finger rühren müssen. Alles war für sie arrangiert worden. Alles war für den Abschluss eines perfekten Tages und den Beginn einer ebenso perfekten Ehe vorausgeplant.

Nur dass es nicht funktioniert hatte. Dieser Tag hatte zum Scheitern ihrer Ehe geführt, bevor sie wirklich begonnen hatte. Außer in der einen Hinsicht, dass Andreas …

Tränen stiegen ihr in die Augen, als Rebecca daran dachte, wie skrupellos er sichergestellt hatte, dass die Ehe nicht schnell und unkompliziert aufgelöst werden konnte.

„Falls du deine Freiheit willst, wirst du dich auf ein langwieriges Scheidungsverfahren einlassen müssen“, hatte er kühl erklärt. „Eine Annullierung wird es nicht geben, dafür habe ich gesorgt.“

Da wurde ihr klar, dass er genau dieses Szenario die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt hatte. Er wollte sie nicht mehr für sich selbst, aber so lange wie möglich verhindern, dass sie mit jemand anderem zusammen sein konnte.

„Falls? Ich würde nicht einmal zu dir zurückkehren, wenn du mich auf Knien darum bittest!“, erwiderte sie und wusste, dass sie wegmusste, bevor sie zusammenbrach und ihm damit zeigte, was er ihr antat.

„Du wirst angekrochen kommen, ehe ich überhaupt einmal an dich denke. Wenn auch nur deshalb, weil du für irgendetwas Geld brauchst.“

„Niemals …“, begann sie.

Verächtlich hatte Andreas ihrem Protest ein Ende gemacht. „Tja, Geld werde ich dir geben. Aber sonst nichts. Rein gar nichts.“

„Miss …“

Der Taxifahrer hielt ihr das Wechselgeld hin.

„Oh nein, behalten Sie den Rest.“ Trotz ihrer quälenden Erinnerungen rang sich Rebecca ein Lächeln ab. Vielleicht brauche ich den Mann später noch, sagte sie sich. Wohl eher früher als später, wenn das Gespräch nicht gut lief. Um zur Fähre zurückzugelangen, würde sie ein Taxi benötigen. Und er schien die einzige Firma dieser Art auf der Insel zu führen.

Sein Dankeschön und das Dröhnen des Motors, als der Taxifahrer die steile Bergstraße wieder hinunterraste, hörte Rebecca kaum. Sie blickte auf die große, mit Schnitzereien verzierte Holztür, und Andreas’ brutale Worte an jenem Abend vor einem Jahr hallten in ihrem Kopf wider: „Du wirst angekrochen kommen, ehe ich überhaupt einmal an dich denke.“

Und sie hatte es getan. Verzweiflung hatte sie dazu getrieben.

Aber mittlerweile gab es einen anderen, ebenso wichtigen Grund, warum sie ihn nun tatsächlich besuchte.

Die furchtbare Neuigkeit über ihre kleine Nichte hatte Rebecca veranlasst, Andreas den Brief zu schreiben und ihn um Geld zu bitten. Sie hatte ihm versprochen, es zurückzuzahlen, und wenn es das Letzte war, was sie in ihrem Leben tat.

Fast postwendend war der förmliche Antwortbrief gekommen. Sie wurde gebeten, sich mit seinem Anwalt zu treffen und ihm genau darzulegen, warum und zu welchen Bedingungen sie das Geld brauchte. Sobald er die Details kenne, werde Mr. Petrakos ihren Wunsch erwägen.

Während ihr von dem knappen, kühlen Schreiben noch ganz schwindlig gewesen war, hatte das Telefon geklingelt. Ein Mann verlangte, mit Mrs. Petrakos zu sprechen. Sie brauchte mehrere Sekunden, bis ihr bewusst wurde, dass sie Mrs. Petrakos war. Nach dem brutalen Ende ihrer Ehe hatte sie wieder ihren Mädchennamen benutzt und zu vergessen versucht, dass sie jemals Rebecca Petrakos gewesen war. Als sie von Andreas’ persönlichem Assistenten erfuhr, dass ihr Ehemann einen Unfall gehabt hatte, erstarrte sie trotz allem vor Entsetzen. Die Bremsen hätten versagt, und er sei von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Andreas habe den verheerenden Unfall mit schlimmen Prellungen überlebt, und jetzt frage er nach ihr. Wäre es ihr möglich, ihn zu besuchen?

Becca sagte Ja, ohne erst zu überlegen, ob diese Entscheidung klug war oder nicht. Andreas war verletzt und fragte nach ihr. Für sie stand sofort fest, dass sie zu ihm fahren würde. Sobald sie aufgelegt hatte, rannte sie die Treppe hinauf und begann zu packen.

Doch die Reise nach Griechenland ließ ihr viel Zeit zum Nachdenken. Zeit, das Telefongespräch immer wieder durchzugehen und lauter Dinge zu finden, die ihr Sorgen machten. Wie schwer war Andreas wirklich verletzt? Warum wollte er mit ihr sprechen, nachdem sie fast ein Jahr lang überhaupt keinen Kontakt gehabt hatten – abgesehen von dem förmlichen Brief?

Dennoch hatte Becca ihr Verhalten nicht bereut. Für sie zählte nur, dass Andreas nach ihr verlangt hatte. Es wäre nicht infrage gekommen, ihm in so einer Situation den Rücken zu kehren.

Energisch ging sie jetzt auf die Tür zu und klingelte.

„Mrs. Petrakos!“

Die Haushälterin Medora öffnete. Andreas hatte einmal gesagt, sie sei wie eine Mutter für ihn. An dem einen schrecklichen Tag, den Becca in der Villa verbracht hatte, war Medora die Einzige gewesen, mit der sie gesprochen hatte. Die Einzige, die ein Lächeln für sie übrig gehabt hatte und ihr anscheinend noch immer freundlich gesinnt war.

„Willkommen! Mr. Petrakos wird sich freuen, Sie zu sehen.“

Tatsächlich? fragte eine quälende innere Stimme. Becca hatte die Reise so zielstrebig und selbstbewusst angetreten, doch unterwegs war ihr ganzer Mut verschwunden. Was, wenn alles ein Missverständnis war? Wenn Andreas gar nicht nach ihr, sondern nach jemand anderem gefragt hatte? Was, wenn er wirklich nach ihr gefragt hatte, aber nur, um die Qualen noch zu vergrößern, in die er sie vor einem Jahr gestürzt hatte?

„Mrs. Petrakos?“

Eine Männerstimme riss Becca aus ihren Gedanken, und sie drehte sich um. Nach dem grellen Sonnenlicht draußen blinzelte sie in der schattigen Eingangshalle einige Male, bevor sie den großen, dunkelhaarigen jungen Mann deutlich sah, der ihr die Hand entgegenstreckte.

„Mein Name ist Leander Gazonas. Ich arbeite für Andreas. Wir haben miteinander telefoniert.“

Leanders Händedruck war beruhigend warm und fest und vertrieb einige ihrer Zweifel und Ängste. „Danke, dass Sie sich mit mir in Verbindung gesetzt haben. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“

„Möchten Sie etwas trinken oder sich frisch machen? Medora wird Sie in Ihr Zimmer führen.“

Wenn ein Zimmer für sie hergerichtet worden war, hatte Andreas wohl fürs Erste nicht vor, umzuschwenken und sie wieder zurückzuweisen. Aber wo war er? Wie ging es ihm? „Ich würde gern meinen Mann sehen.“ Irgendetwas an Leanders Gesichtsausdruck ließ Becca in Panik geraten. „Ist alles in Ordnung mit ihm? Wo ist er?“

„Bitte regen Sie sich nicht auf, Mrs. Petrakos“, sagte Leander beruhigend. „Ihrem Mann geht es den Umständen entsprechend gut. Allerdings ist er noch in ärztlicher Behandlung. Vielleicht wäre es das Beste, wenn …“

„Nein! Ich möchte jetzt zu ihm!“ Becca zuckte zusammen. Ihre Stimme klang zu hoch, zu scharf, zu nervös. Und die plötzlich angespannte Miene des jungen Mannes bestätigte ihr, dass sie zu weit gegangen war. Sie hatte in diesem Haushalt nicht die Stellung, die zu solchen Forderungen berechtigen würde. Was für Anweisungen Andreas vor seinem Unfall oder auch danach gegeben hatte, wusste sie nicht. Hatte er seinem Mitarbeiter erlaubt, sie anzurufen? Oder hatte Leander eigenmächtig gehandelt? Wenn das der Fall war … „Bitte“, fügte Becca hinzu. „Kann ich jetzt gleich zu meinem Mann?“

„Na schön“, gab Leander nach. „Folgen Sie mir.“

Auf der breiten geschwungenen Treppe und der Galerie hinter ihm zu bleiben, fiel Becca schwer. Ungeduldig vor Sorge, wollte sie vorauslaufen, um vor ihm bei Andreas zu sein. Als Leander vor einer Tür stehen blieb, war Becca jedoch dankbar, dass sie es nicht getan hatte. Weil Andreas offensichtlich nicht mehr den Raum bewohnte, der ihr gemeinsames Schlafzimmer geworden wäre, wenn die Ehe nicht schon am ersten Tag kaputtgegangen wäre. Wie hätte sie überhaupt dieses Zimmer mit all seinen Erinnerungen betreten können? Niemals wäre sie damit fertig geworden, das Bett zu sehen, auf dem Andreas sie zu seiner Frau gemacht hatte. Kurze Zeit, bevor er sie verstoßen hatte. Der Anblick würde sie zugrunde richten.

Also war sie froh, dass Leander die Tür zu einem Zimmer öffnete, in dem sie noch nie gewesen war. Er blieb stehen und wartete darauf, dass sie an ihm vorbeiging. Becca bekam weiche Knie, als sie den Raum betrat. Wie würde Andreas aussehen? In was für einer Stimmung würde er sein? Ja, er hatte nach ihr gefragt. Aber warum?

Vor ihrem geistigen Auge tauchte das wütende Gesicht ihres Mannes auf, die schönen, sinnlichen Lippen grimmig zusammengepresst, sodass sie einen Moment lang nur dieses Bild sah und die Wirklichkeit um sich herum gar nicht wahrnahm. Dann blinzelte sie und erblickte Andreas zum ersten Mal wieder, seit er ihr vor fast zwölf Monaten die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Die blauen Flecken in seinem Gesicht ließen Becca scharf einatmen. Seine Augen waren geschlossen, die dichten schwarzen Wimpern beschatteten wie Halbmonde die hohen Wangenknochen. Ein Dreitagebart verdunkelte das energische Kinn. Rebecca war entsetzt darüber, wie still und reglos Andreas dalag.

„Ist er bewusstlos?“, fragte sie, den Tränen nahe.

„Er schläft“, versicherte Leander ihr. „Eine Zeit lang war er bewusstlos. Aber die Ärzte hätten ihn bestimmt nicht aus dem Krankenhaus entlassen, wenn er nicht auf dem Weg der Besserung wäre.“

„Kann ich bei ihm bleiben? Er hat nach mir gefragt“, fügte Rebecca hinzu, als der junge Mann zögerte. „Ich verspreche, dass ich ihn nicht wecken oder irgendwie beunruhigen werde.“

Schließlich nickte Leander und zeigte auf einen Sessel neben dem Bett. „Ich sollte Sie wohl warnen. Ihr Mann hat sich bei dem Unfall eine Gehirnerschütterung zugezogen und leidet an Gedächtnisproblemen – nur vorübergehend, wie die Ärzte glauben. Deshalb ist er vielleicht ein bisschen verwirrt, wenn er aufwacht. Soll ich Ihnen etwas zu trinken bringen lassen?“

„Nein danke, nicht nötig“, erwiderte Becca schnell, obwohl sie vor Sorge fror und gern eine Tasse heißen Tee gehabt hätte, um sich zu wärmen und zu stärken. Allein gelassen zu werden war wichtiger. Seit dem Telefonanruf war sie völlig aus dem Gleichgewicht, und sie musste sich erst einmal erholen.

Physisch und psychisch erschöpft, konnte sich Becca kaum noch auf den Beinen halten. Sobald Leander hinausgegangen war, ließ sie sich dankbar in den Sessel sinken und blickte starr die reglose Gestalt im Bett an. Sie hatte versprochen, Andreas nicht zu wecken oder zu beunruhigen, doch er war es, der sie beunruhigte. Als sie ihn zuletzt gesehen hatte, war er so groß, stark und stolz gewesen. Und jetzt lag er so still und blass da. Der Anblick war fast unerträglich.

Doch etwas anderes machte ihr noch mehr zu schaffen.

Becca hatte das vergangene Jahr damit verbracht, sich einzureden, die Beziehung sei ein Fehler gewesen, den sie bitter bereue, aber dass sie jetzt über Andreas hinweg sei. Ein einziger Blick auf ihn hatte genügt, um diese Überzeugung zu erschüttern. Wenn er bei ihrem ersten Wiedersehen nach so vielen Monaten wie der Mann vor ihr gestanden hätte, der sie benutzt und dann hinausgeworfen hatte, wäre es vielleicht anders gewesen. Aber dieser Andreas in seinem Krankenbett war zu still, zu verwundbar.

Trügerisch verwundbar, warnte eine innere Stimme. Denn normalerweise hätte Becca das Wort „verwundbar“ niemals mit Andreas Gregorie Petrakos in Zusammenhang gebracht.

„Ich hasse ihn“, flüsterte sie verzweifelt, doch der Satz kam ihr seltsam fremd vor. Fast ein Jahr lang war „Ich hasse ihn“ das Erste gewesen, was sie nach dem Aufwachen gesagt hatte. Und oft das Letzte, was ihr abends über die Lippen gekommen war. Es hatte den Satz ersetzt, der früher da gewesen war, in der kurzen Zeit vor ihrer Heirat. Damals hatte sie vor sich hingeflüstert, wie sehr sie Andreas liebte. Aus Angst, das Schicksal herauszufordern, hatte sie nicht gewagt, es laut auszusprechen.

Darüber hätte ich mir keine Sorgen machen sollen, dachte Becca verbittert. Sie hatte das Schicksal nicht herausgefordert, aber es war schließlich doch noch so gekommen, wie sie befürchtet hatte. Andreas hatte sie niemals so geliebt wie sie ihn. Sie zu heiraten war nur ein Racheakt für ihn gewesen.

Er seufzte und murmelte irgendetwas. Hatten seine Augenlider sich bewegt? Oder hatte sie sich das eingebildet? Was würde sie tun, wenn er aufwachte? Allein bei dem Gedanken daran schlug ihr Herz schneller. Was hatte es mit diesen „Gedächtnisproblemen“ auf sich? Becca konnte sich genau vorstellen, wie schwer es ihm fallen würde, eine Einschränkung seiner eindrucksvollen geistigen Fähigkeiten hinzunehmen. Er würde sich darüber ärgern, und ein wütender Andreas war furchterregend.

Vielleicht sollte sie besser überlegen, was diese Neuigkeit für sie bedeutete. Würde er sich überhaupt daran erinnern, dass er nach ihr gefragt hatte? Und was hatte er im Sinn gehabt, als er es getan hatte?

Jetzt hatte er eindeutig die Hand bewegt. Vom Ringfinger bis hoch zum Handgelenk verlief eine schlimm aussehende Schramme. Der Anblick des Risses in der schönen bronzefarbenen Haut tat Becca in der Seele weh. Während sie seine Hand betrachtete, dachte Becca unwillkürlich daran, wie es sich angefühlt hatte, wenn Andreas sie gestreichelt, ihre Sehnsucht nach ihm geweckt hatte …

„Nein!“

Diesen Weg durfte sie nicht gehen. Es würde sie zerstören, bevor sie mit Andreas gesprochen und herausgefunden hatte, warum er nach ihr gefragt hatte. Nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren war unter den gegebenen Umständen schwer genug. So viele bittere Erinnerungen stürmten allein schon auf sie ein, weil sie wieder in Andreas’ Haus war.

Bittersüße Erinnerungen. Denn Becca konnte nicht leugnen, dass einige von ihnen wundervoll waren. Bei ihrer Ankunft auf der Insel hatte sie geglaubt, ihr würde das Herz bersten vor Glück.

Aber das war gewesen, bevor Andreas ihr dieses liebende Herz gebrochen hatte.

„Pu ine …?“ Wo ist …?

Er hatte etwas gesagt. Leise und heiser, doch gut zu verstehen. Beim Klang der früher einmal innig geliebten Stimme, die sie so lange nicht gehört hatte, wurde Becca fast ohnmächtig. „Andreas …“

„Pu ine …?“, flüsterte er wieder.

„Mr. Petrakos!“

Das brachte ihn dazu, die Augen zu öffnen und Becca anzusehen. Er schob sich hoch gegen die Kopfkissen, stützte sich auf den Ellbogen und starrte ihr ins Gesicht.

Sein wütender Blick zeigte ihr deutlich, dass sie in Schwierigkeiten war.

„Wo, zum Teufel, bist du gewesen?“, fragte er langsam und deutlich auf Englisch.

2. KAPITEL

„Wo, zum Teufel, bist du gewesen?“

Andreas wurde bewusst, dass er englisch gesprochen hatte. Aber warum? Er hatte keine Ahnung. Irgendwie waren die Worte in dieser Sprache über seine Lippen gekommen, ohne dass er darüber nachgedacht hatte.

Und was bedeutete das? Nichts war mehr klar, seit er aus dem Koma aufgewacht war. Zuerst hatte er sich nicht einmal daran erinnert, wie er hieß und wo er wohnte. Und es hatte zwei höllische Wochen gedauert, bis in seinem lädierten Schädel wieder alles haften geblieben war, was man ihm sagte. Er sei im Auto herumgeschleudert worden und habe sich eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen, hatte man ihm erzählt. Dass er sich an manches nur undeutlich erinnere, sei zu erwarten gewesen.

Mit „undeutlich“ konnte er fertig werden. Was ihn wirklich beunruhigte, war die totale Leere, was seine Erinnerungen an das letzte Jahr betraf. Allerdings hatten die Ärzte auch darauf eine Antwort gehabt: Sein Erinnerungsvermögen werde mit der Zeit ganz von selbst zurückkehren. Er müsse sich nur entspannen und warten.

Leider verriet ihm niemand, wie lange er warten müsste. Oder was er machen sollte, falls sich die Gedächtnislücke überhaupt nicht schloss. „Entspannt“, fühlte er sich nun wirklich nicht. Auch hatte ihn niemand darauf vorbereitet, wie er mit einer schwierigen Situation umgehen sollte. Zum Beispiel, wenn er in seinem Zimmer aufwachte und eine schöne Frau in einem Sessel neben dem Bett saß.

Eine schöne Frau, die ihm nicht fremd erschien. Soweit er erkennen konnte, war sie mittelgroß und hatte eine klasse Figur, schlank und kurvenreich. Über einem blau und grün gemusterten Kleid trug sie eine kurze weiße Baumwolljacke. Ihr Haar war dunkelbraun und zu einem perfekt sitzenden fedrigen Bob geschnitten, der das herzförmige Gesicht umrahmte und die hohen Wangenknochen und den sinnlichen Mund betonte. Ihre Augen waren blau, ein gedämpftes Blau, wie die Farbe des Meeres draußen in der Bucht an einem kühlen, schattigen Tag.

„Du bist Rebecca, stimmt’s?“, fragte Andreas, als die Frau nichts sagte, sondern ihn nur verwirrt anblickte.

„Ja, ich bin Becca … Rebecca“, erwiderte sie auf Englisch.

Ihrer Aussprache nach war sie Engländerin, also war es richtig gewesen, sie auf Englisch anzusprechen. Er wusste nicht, warum er es getan hatte. Nur dass es passend erschien, als er die Augen geöffnet und den Blick auf diese Frau gerichtet hatte. Ihm wurde bewusst, dass sie die Erste war, die echtes Interesse in ihm auslöste, seit er nach dem Unfall in einer auf den Kopf gestellten Welt wieder zu sich gekommen war. Zumindest bin ich mir noch der Anziehungskraft einer schönen Frau bewusst, dachte Andreas verbittert. Das plötzliche heftige Verlangen bewies, dass er als Mann nach wie vor funktionierte.

Und erstaunlicherweise konnte er sich an sie erinnern. Also kannte er sie bereits aus der Zeit, die in seinem Gedächtnis nicht ausgelöscht war.

Becca … Rebecca Ainsworth. Die Frau, der er auf einer Party in London begegnet und von der er sofort fasziniert gewesen war. Er musste noch immer eine leidenschaftliche Beziehung mit ihr haben, denn warum wäre sie sonst hier aufgetaucht?

„Warum hast du so lange gebraucht?“

Ihre schockierte Miene sagte ihm, wie aggressiv und feindselig er geklungen hatte. Das war die Folge der starken Anziehungskraft, die ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Weil sie darauf hindeutete, wie es früher einmal gewesen war – in dem Leben, an das er sich nicht erinnern konnte.

„Entschuldige“, fügte Andreas hinzu. „Es fällt mir nicht leicht, zu ertragen, dass alle mehr über mich wissen als ich selbst. Ich bin wirklich erleichtert, ein bekanntes Gesicht zu sehen.“

Irgendetwas an ihrem Blick, ein plötzliches Aufflackern von Unbehagen, machte Andreas nervös. Hatte er alles falsch verstanden? War Becca überhaupt hier, weil sie noch immer zusammen waren? Oder hatte Leander sie gerufen, um die Empfehlung des Arztes zu umgehen, eine Pflegerin ins Haus zu holen? Bei dem Gedanken wurde Andreas wütend. Waren seine Anweisungen einfach ignoriert worden?

„Wir sind doch noch zusammen? Oder bist du nur als meine Pflegerin hier?“

„Ob ich …?“ Völlig verwirrt beobachtete Becca, wie sich Andreas’ Gesichtsausdruck veränderte. Seit er die Augen geöffnet und sie neben dem Bett hatte sitzen sehen, war seine Stimmung immer wieder umgeschlagen. So verheerend schnell, dass sie Schwierigkeiten hatte, seine Gefühle zu deuten.

Natürlich war Becca darauf gefasst gewesen, dass er ungläubig und misstrauisch reagierte. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass er sich wirklich über ihren Besuch freuen würde, auch wenn er angeblich nach ihr gefragt hatte. Schließlich waren sie unter schrecklichen Bedingungen auseinandergegangen. Wie er mit vor Wut und Hass funkelnden Augen an der Tür stand: Das war ihre letzte Erinnerung an ihn. Niemals hätte er sie zurück ins Haus gelassen, wenn sie so dumm gewesen wäre, es zu versuchen.

Aber das tat sie nicht. Nach seiner letzten Bemerkung drehte sich Becca noch einmal um, doch da war alles zu spät. Er hatte ihr schon die Tür vor der Nase zugeschlagen. Mit Tränen in den Augen ging sie weiter und schwor sich, niemals zurückzukehren. Niemals! „Ich habe dich des Sex wegen geheiratet – wegen nichts anderem“, hatte er gesagt. Und Becca redete sich ein, von ihrer Liebe zu ihm sei nichts übrig und sie hasse ihn. An diesen Hass klammerte sie sich, und er half ihr, es bis auf die Straße und in das Taxi zu schaffen, das Andreas gerufen hatte.

Erst als das Auto um die Ecke gebogen und die Villa außer Sicht gewesen war, hatte Becca den Tränen freien Lauf gelassen.

Nach seinem jetzigen Benehmen zu urteilen, erinnerte sich Andreas an nichts davon. „Gedächtnisprobleme“, hatte Leander gesagt. Furchtbar nervös und besorgt, hatte Becca nicht daran gedacht zu fragen, was genau das bedeutete. Anscheinend war sie für Andreas die Frau, mit der er vor einem Jahr eine Beziehung hatte. Oder besser vor gut fünfzehn Monaten – nach nur vier gemeinsamen Monaten hatten sie geheiratet. Diese Hochzeit und die schrecklichen Ereignisse danach waren offensichtlich aus seinem Gedächtnis gelöscht. Er erinnerte sich weder an die Trennung noch an die Gründe dafür. Wie sollte sie damit fertig werden? Und wie sollte sie sich jetzt verhalten?

„Nun?“, fuhr Andreas sie an.

Becca wurde klar, dass sie zu lange gezögert hatte. Geduld hatte nicht zu Andreas’ Tugenden gehört, und zumindest das schien sich nicht geändert zu haben.

„Hat Leander dich ins Haus geholt, damit du die Arbeit der Pflegerin übernimmst, die man mir angedroht hat?“

„Siehst du eine Pflegerin als eine Bedrohung an?“, wich Becca aus und unterdrückte mühsam ein Lächeln. Natürlich, eine Pflegerin zu haben war für Andreas eine wahre Strafe. Ihm war zweifellos schon der Gedanke verhasst, Hilfe zu benötigen. Und sein Stolz würde ihn veranlassen, sich dagegen zu wehren.

Ihre Frage wurde mit einem Blick quittiert, der sie im Innersten traf. Er zeigte keinesfalls Wut, sondern verriet ihr, dass Andreas ihre Belustigung, das fast unmerkliche Zucken ihres Mundes sofort bemerkt hatte. Der Blick erinnerte Becca an eine Zeit, als sie geglaubt hatte, nicht glücklicher sein zu können. Als sie geglaubt hatte, dass dieser fantastische, verheerend gut aussehende Mann sie tatsächlich ebenso sehr liebte wie sie ihn. Doch diese Illusion war ihr auf schmerzliche Weise genommen worden.

„Ich habe dem Arzt gesagt, ich brauche keine Pflegerin, die mich bemuttert.“

„Aber dir … geht es nicht gut.“ Zu ihrer Verzweiflung versagte ihr bei den Worten für einen kurzen Moment die Stimme. Denn gerade jetzt bewegte sich Andreas und enthüllte noch mehr Prellungen von den Rippen bis zur Taille. Was ich empfinde, ist ganz normales Mitgefühl für jemanden, der bei einem Autounfall verletzt worden ist, beruhigte sie sich. Mehr konnte es nicht sein, weil sie Andreas nicht mehr liebte.

„Mir geht es so gut, dass mich die Ärzte aus dem Krankenhaus entlassen haben. Und ich brauche nicht mehr gepflegt zu werden!“

„Nicht einmal von jemandem, der kein großes Aufheben davon macht?“ Was tue ich denn da? dachte Becca verwirrt. Sie hatte praktisch angeboten, sich um ihn zu kümmern. Offensichtlich hatte Andreas es auch so verstanden.

„Willst du damit sagen, dass du kein großes Aufheben um mich machen wirst?“

Seine Augen funkelten plötzlich, und ein schwaches Lächeln umspielte seinen Mund. Flirtete Andreas etwa mit ihr? „Nein …“

„Was dann?“

„Ich bin nicht …“ Völlig durcheinander suchte Becca nach einer passenden Antwort. Sie kannte diesen Andreas nicht. Oder vielmehr hatte sie ihn früher nur flüchtig so erlebt, sodass sie Mühe hatte, sich daran zu erinnern. Er hatte nicht mit ihr geflirtet, als sie sich kennengelernt hatten. Damals war er konzentriert gewesen, zielstrebig. Seine verheerende persönliche Macht hatte er auf sie gerichtet, und Becca hatte in seiner Gegenwart kaum noch atmen können.

Es war ihr einfach so unwahrscheinlich vorgekommen, dass dieser umwerfende Mann, dieser Multimillionär, an der durchschnittlichen, schlichten Rebecca Ainsworth Interesse haben könnte.

Und anscheinend war Rebecca Ainsworth diejenige, an die er sich erinnerte. Dass sie Rebecca Petrakos geworden war, wusste er nicht mehr. Was durfte sie ihm erzählen? Wenn sie ihm jetzt ganz sachlich mitteilte, dass sie seine ihm entfremdete Ehefrau war, würde er ihr dann überhaupt glauben?

Ihr fiel ein, dass man ihr einmal erklärt hatte, wie ein Amnesiekranker die Zeit „vergaß“, an die er sich nicht erinnern wollte: Dass der Zustand nicht nur körperlich, sondern auch psychisch bedingt sein konnte. Hatte Andreas vergessen, dass sie geheiratet hatten, weil ihm die Erinnerung unerträglich war? Irgendwann musste er sein Gedächtnis wiedererlangen. Und dann würde er sowieso wissen, wer sie war. Aber sie hatte nicht den Mut, ihm jetzt die Wahrheit zu sagen und zu riskieren, dass er sie sofort wegschickte.

„Andreas, du weißt, dass ich keine bin, die unnötiges Theater macht“, brachte sie schließlich heraus.

„Dann bin ich froh, dass du hier bist und mich vor jemandem bewahrst, der es vielleicht tun würde.“ Er schob sich noch weiter hoch gegen die Kissen. „Komm her.“

Typisch Andreas, dieser gebieterische Ton. Unwillkürlich stand Becca auf, dann zögerte sie. Wollte er etwa die Bettdecke zurückschlagen? „Was machst du denn?“, fragte sie schockiert. Als sie noch zusammen gewesen waren, hatte Andreas immer nackt geschlafen. Bei dem Gedanken, dass sie noch mehr von seinem kräftigen Körper sehen würde, wurde ihr erst heiß und dann kalt.

„Ich muss aufstehen.“

Sein Blick war offen und ernst. Alle Zweideutigkeiten und Hintergedanken waren reine Einbildung. Ihr schlechtes Gewissen machte sie nervös.

„Und da ich noch nicht ganz sicher auf den Beinen bin, ist es wohl besser, wenn meine Pflegerin in Reichweite ist.“

Erleichtert erkannte Becca, dass er zumindest eine Pyjamahose trug. Aber trotzdem bekam sie mehr von der schönen bronzefarbenen Haut zu sehen, als ihr guttat. Vor dem Unfall musste Andreas noch härter trainiert haben als früher, denn Brust und Arme waren straff und muskulös.

Sollte sie ihm die Hand hinhalten, um ihm zu helfen? Beccas Puls fing an zu rasen, als sie sich vorstellte, wie sich seine Finger um ihre schließen würden. In den Monaten nach der Trennung war es ihr gelungen, sich einzureden, dass ihre Reaktion auf Andreas’ erotische Anziehungskraft eine Form geistiger Verwirrung gewesen war. Ein vorübergehender Anfall von Wahnsinn, der dazu geführt hatte, dass sie nicht mehr so vernünftig und kontrolliert gehandelt hatte wie sonst.

Und jetzt genügte seine Nähe, und alles ging von vorne los. Sie fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen, empfand seine Präsenz wie eine berauschende Verführung, als würden sich ihm alle ihre Sinne unterwerfen. Becca sah, wie das Sonnenlicht auf seinem schwarzen Haar funkelte, atmete seinen Duft ein …

„Hier, bitte.“ Beunruhigt über ihre Gedanken, klang ihre Stimme scharf und unfreundlich, während sie die Hand ausstreckte. Im letzten Moment verlor Becca den Mut und winkelte den Arm ab, sodass sie ihm ihren von der Jacke bedeckten Unterarm und nicht die Hand als Stütze anbot.

„Danke … ich verstehe.“ Andreas lächelte zynisch. „Es war dir Ernst damit, kein unnötiges Theater um mich zu machen.“

„Es tut mir leid. Ich …“ Becca vergaß, was sie sagen wollte, sobald Andreas ihren Oberarm umfasste. Sie spürte die Berührung durch den Jackenstoff wie einen kleinen Stromschlag im ganzen Körper. Und in dem Moment, in dem sich Andreas auf sie stützte und aufstand, war Becca völlig verloren. Erinnerungen daran, wie er sie früher berührt hatte, blitzten in ihr auf. Daran, was für Gefühle es in ihr geweckt und wozu es geführt hatte. Die Vorstellung seiner Liebkosungen ließen ihre Haut prickeln, und Becca sehnte sich danach, von ihm geküsst zu werden.

Unbewusst neigte sie sich zu ihm und fing sich erst, als sie ihm durch die Bewegung so nahe kam, dass sie seine Körperwärme spürte. Das Problem war, dass sie sich wünschte, er würde sie richtig wiedererkennen, doch gleichzeitig hatte sie schreckliche Angst vor den Folgen. Ihr war nicht bekannt, was genau die Ärzte über diesen Gedächtnisverlust gesagt und was sie empfohlen hatten. Und solange wollte sie kein Risiko eingehen. Für sich selbst fürchtete sie, dass Andreas sie – so wie vor knapp einem Jahr – hinauswerfen würde, wenn ihm klar wurde, dass sie seine Ehefrau war.

„Becca …“

Rau flüsterte er ihren Namen, wie er es früher getan hatte, wenn sie in seinen Armen gelegen hatte. Bei der Erinnerung traten ihr heiße Tränen in die Augen.

„Becca …“

Diese Seite von ihm kannte sie nur zu gut. Den sinnlichen Mann, der ihr alles über Leidenschaft und Lust beigebracht hatte. Seine veränderte Stimme hatte ihr sofort verraten, wie erregt er war. „Andreas …“, begann Becca bebend und klang fast so heiser wie er.

Er schüttelte den Kopf und blickte auf ihren Mund.

Auch diesen Blick kannte sie. Andreas wollte sie küssen. Und sie sehnte sich danach, dass er genau das tat.

Aber wen würde er küssen? Die Frau, der er einmal einen Heiratsantrag gemacht und die er noch am Hochzeitstag zurückgewiesen und aus seinem Haus geworfen hatte? Die Frau, an die er sich nicht mehr erinnerte? Oder würde er die Geliebte küssen, für die er sie hielt?

Und würde der Kuss irgendetwas in seinem Gehirn wachrütteln, die Blockade lösen, die ihn daran hinderte, sich an sie als seine Ehefrau zu erinnern?

Sie würde es riskieren. Weil sie schon verloren gewesen war, sobald Andreas sie berührt hatte. Dem tosenden Strudel sexuellen Verlangens preisgegeben.

Wie sehr sie sich wünschte, dass er sie küsste! So sehr, dass sie sicher war, er konnte es ihr ansehen.

Bitte küss mich.

Andreas holte schwer Atem und stieß ihn seufzend wieder aus. Mit leicht geneigtem Kopf, die funkelnden dunklen Augen zusammengekniffen, betrachtete er eingehend ihr Gesicht. „Schön“, flüsterte er.

„Ich …“ Becca konnte nicht weitersprechen. Sie hatte das Gefühl, Andreas sei überall, die Wärme seines Körpers, der Duft seiner Haut. Es war, als hätte die Welt aufgehört zu existieren. Als würde es nur noch sie beide geben und die sinnliche Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte.

Reglos, wie hypnotisiert, stand Becca da, während Andreas die Hand hob und die Fingerspitzen langsam von ihrer Schläfe über die Wange zu ihrem Mund gleiten ließ. Sanft zeichnete er die Konturen ihrer Lippen nach, und Becca konnte ein Stöhnen gerade noch unterdrücken. Die Versuchung, seine Fingerspitze mit der Zunge zu berühren, war fast unwiderstehlich.

Plötzlich wurde ihr jedoch bewusst, dass es alles andere als klug wäre, so etwas zu tun. Und im nächsten Moment war sie dankbar, dass sich ihre Selbstbeherrschung gemeldet hatte, ihr Selbsterhaltungstrieb. Denn unvermittelt zog Andreas seine Hand zurück.

„Lieber nicht“, sagte er scharf und löste sich von ihr. „Das ist keine gute Idee.“

Während Becca nach dieser Zurückweisung, die sie wie einen Schlag ins Gesicht empfunden hatte, um Fassung rang, ging er durchs Zimmer und riss eine Tür auf, die in ein Bad führte.

„Ich brauche eine Dusche. Warte unten. Ich komme nach, wenn ich fertig bin. Lass dich von Leander in ein Gästezimmer führen. Wir reden später darüber, wie wir mit der Situation umgehen.“ Andreas verschwand im Bad, schlug die Tür zu und drehte energisch den Schlüssel herum, als hätte er das Bedürfnis, sich zu schützen.

Vor was? Glaubte er etwa, sie wäre so schwach, so töricht – verzweifelt –, dass sie ihm zu folgen versuchte, um sich ihm in die Arme zu werfen? Besorgt fragte sich Becca, was ihr Gesichtsausdruck offenbart hatte, als Andreas sie berührt hatte. Wie viel von ihren geheimsten Gedanken hatte sie verraten? War ihr der Schmerz anzusehen gewesen, den Andreas verursacht hatte, ohne sich daran zu erinnern?

Oder hatte er gerade eben so reagiert, weil er sich zu erinnern begann?

Am ganzen Körper zitternd, sank Becca kraftlos aufs Bett. Doch fast sofort stand sie wieder auf. Sie konnte es nicht ertragen, auf den Laken zu sitzen, zwischen denen Andreas gelegen hatte. Noch immer spürte sie seine Gegenwart. Aber seine Zurückweisung führte ihr unbarmherzig wieder vor Augen, wie sie sich gefühlt hatte, als er sie an ihrem Hochzeitstag verurteilt und aus seinem Leben verbannt hatte. Allein, indem sie hier war, riskierte sie, denselben Schmerz und dieselbe Verbitterung noch einmal durchleiden zu müssen.

„Oh, Becca, Becca, du Idiotin!“, schalt sie sich, während sie sich vom Bett entfernte. Sie hatte sich selbst eine Falle gestellt. Aus der sie nur wieder herauskam, wenn sie Andreas gestand, was passiert war.

„Nein …“, flüsterte sie bei dem Gedanken an die kalte, herzlose Wut, zu der ihr Ehemann fähig war. Und hatte sie nicht irgendwo gelesen, dass es gefährlich war, einem an Amnesie Leidenden die Wahrheit über seine Situation zu sagen? Es war verboten, oder? Natürlich würde sie Andreas nicht mit etwas konfrontieren, was er ganz bestimmt nicht wissen wollte.

Aber er hatte nach ihr gefragt. Das war es doch, was Leander ihr mitgeteilt hatte, oder?

Oder nicht?

Die vergangenen Wochen hatten Becca psychisch so mitgenommen, dass die einzelnen Ereignisse zu einer großen verworrenen Masse verschwammen. Und sie hatte sich noch nicht einmal von der knappen geschäftsmäßigen Antwort auf ihren Brief an Andreas erholt, als der Anruf wegen des Unfalls gekommen war. Sofort danach hatte sie gepackt und war nach Griechenland gereist. Auf diese winzige Insel, die Andreas sein Zuhause nannte und die auch ihr Zuhause hätte werden sollen.

An den genauen Wortlaut des Gesprächs konnte sie sich nicht erinnern. Doch sie wäre jetzt bestimmt nicht hier, wenn Andreas es nicht erlaubt hätte. Nur wusste sie nicht, wann. Bevor oder nachdem er sein Gedächtnis verloren hatte? Davon hing es ab, ob er nach der Geliebten verlangt hatte oder nach der Ehefrau, die er verstoßen hatte.

Im Bad lief die Dusche, und das Geräusch rüttelte Becca aus ihren Überlegungen auf. Es war unmöglich, das laufende Wasser zu hören und nicht an früher zu denken, als sie noch mit Andreas zusammen duschen durfte. Sie stellte sich vor, wie das heiße Wasser auf ihn hinunterprasselte, über die breiten Schultern strömte, vorbei an der schmalen Taille, über die festen Rundungen seines …

„Nein!“ Schnell verließ Becca das Zimmer. Sie konnte das einfach nicht ertragen. Deshalb würde sie jetzt sofort Leander suchen und ihm erklären, dass alles ein schreckliches Missverständnis war. Und dann nichts wie raus hier! Sie würde vor Andreas davonlaufen, wie sie es vor einem Jahr getan hatte. Niemals hätte sie auf die Insel, in die Villa zurückkehren sollen. Zu dem Mann, den sie einmal leidenschaftlich und verzweifelt geliebt hatte. Wie war sie bloß auf den Gedanken gekommen, sie könnte mit Andreas reden, ihn dazu bringen, sie anzuhören und ihr zu helfen?

Sie war fast an der Treppe, als sie abrupt stehen blieb. Bei dem Wort „helfen“ war ihr wieder eingefallen, warum sie eigentlich hier war. Oh, wie hatte sie nur Macy und die kleine Daisy vergessen können? Daisy war noch ein Säugling, und ihr Leben hing davon ab, wie sich Becca jetzt verhielt. Ohne ihre Hilfe würde Daisy sterben. Und Becca hatte versprochen, alles zu tun, was in ihren Kräften stand, um das Baby zu retten.

Und sie würde dieses Versprechen halten. Sie brauchte Andreas’ Hilfe, und sie würde sie bekommen, ganz gleich, was er dafür von ihr verlangte. Zunächst einmal musste sie dafür sorgen, dass sie hier in der Villa bleiben konnte, bis sich Andreas schließlich daran erinnerte, wer sie war und worum sie ihn gebeten hatte. Bis er wieder wusste, dass er zumindest in Erwägung hatte ziehen wollen, ihr das Geld zu geben. Und wenn sie dafür vortäuschen musste, seine Geliebte zu sein, würde sie die Rolle spielen. Daisy zuliebe würde sie es tun.

Becca atmete tief durch und ging schließlich die Treppe hinunter.

3. KAPITEL

Andreas drehte den Strahl der Dusche voll auf, sodass das Wasser hart und heiß auf ihn hinunterprasselte und er nicht mehr nachdenken konnte.

So war es zumindest geplant. Nur funktionierte der Plan anscheinend nicht.

Er wollte jenen Moment in seinem Schlafzimmer vergessen, als er Becca berührt hatte.

Als er so viel mehr gewollt hatte. Nicht nur ihren Arm umfassen und die zarte Haut ihrer Wange streicheln. Er hätte Becca so gern geküsst. Andreas hatte das Verlangen danach wie einen nagenden körperlichen Schmerz empfunden, was ihm zusätzlich zu seinen Rippenprellungen weitere Qualen verursacht hatte. Seine Sehnsucht, Becca zu halten und zu liebkosen, hatte das Blut durch seine Adern pulsieren lassen. Zum ersten Mal seit dem Unfall hatte er sich wieder … ja, wieder wie ein Mann gefühlt, voller Leidenschaft und Begierde.

Einer Begierde, der er jedoch nicht nachgeben sollte.

„Verdammt!“ Andreas drehte am Temperaturregler und zuckte zusammen, als das eisige Wasser auf ihn herabströmte. Er hatte eine lange kalte Dusche nötig, um die Leidenschaft abzukühlen, die seine Denkfähigkeit zu beeinträchtigen drohte. Sich nach seinem Verlangen zu richten wäre dumm, verrückt. Ganz gleich, wie sehr er sich danach sehnte, es zu befriedigen. Noch mehr Komplikationen in seinem Leben konnte er nicht gebrauchen. War es nicht schlimm genug, dass er keine Erinnerung an die vergangenen zwölf Monate hatte? Alles, was er über dieses Jahr und seinen Unfall wusste, basierte auf den Erzählungen anderer, erst im Krankenhaus und dann hier zu Hause.

Zu Hause.

Andreas stellte das Wasser ab und trat aus der Duschkabine. Wütend blickte er in den beschlagenen Spiegel. Dies war sein Zuhause, zumindest hatte er es wiedererkannt. Aber als er angekommen war, hatte er schon an der Tür das Gefühl gehabt, dass irgendetwas nicht stimmte. Und dieses Gefühl hatte ihn nicht losgelassen, während er durch die Villa gegangen war. Allein bei dem Gedanken, das Hauptschlafzimmer zu betreten, war er von Traurigkeit überwältigt worden. Er hatte keinen Fuß in diesen Raum setzen können und stattdessen das Schlafzimmer gewählt, das am weitesten davon entfernt lag.

Kopfschüttelnd griff Andreas nach einem Handtuch und begann, sich abzutrocknen. Er tat es grob, fast aggressiv, als wollte er die Frustration über sein fehlendes Erinnerungsvermögen zusammen mit den Wassertropfen wegwischen.

„Verdammt!“ Er streifte mit dem Handtuch einen blauen Fleck und atmete scharf ein vor Schmerz. Aber die Prellungen würden heilen. Noch ungefähr eine Woche, und alles würde wieder normal sein. Körperlich, jedenfalls.

Und was war mit seinem Gedächtnis?

Andreas stieß weitere Flüche aus, während er über seine Perspektiven nachdachte. Ohne Erinnerung an die vergangenen zwölf Monate war selbst eine ausschließlich sexuelle Beziehung zu einer Frau ja wohl unmöglich. Wie könnte er sich ein Gefühlsleben erlauben, solange er nichts über das frühere wusste? Er hatte Becca wiedererkannt, sich daran erinnert, was er für sie empfunden hatte. Aber in welcher Phase ihrer Beziehung standen sie jetzt?

Zweifellos keine Frage, die er Leander stellen würde. Manche Dinge waren sogar für einen persönlichen Assistenten zu intim.

Gereizt schleuderte Andreas das nasse Handtuch weg, zog einen schwarzen Bademantel an und band den Gürtel so fest zu, dass ein scharfer Schmerz von seinen Rippen ausging.

Becca war eine zu große Versuchung. Ihm war der Gedanke unerträglich, dass sie im Haus wohnte, während er die sinnliche Herausforderung nicht annehmen konnte, die sie darstellte. Mit unnötiger Gewalt drehte Andreas den Schlüssel und riss die Tür auf.

„Dies wird nicht funktionieren …“ Er verstummte, als er sah, dass das Schlafzimmer leer war. Also hatte Becca getan, was er gesagt hatte. Und dabei war er so sicher gewesen, dass sie seine Anweisung ignorieren würde. Dass sie auf ihn warten würde, wenn er aus dem Bad kam. Möglicherweise fest entschlossen, ihn wieder ins Bett zu packen … Hitze brandete in ihm auf, sobald er sich vorstellte, von der schönen Becca ins Bett gesteckt zu werden. Ihre Hand sanft auf seiner Stirn zu spüren, ihre Finger an seinem Handgelenk, wenn sie ihm den Puls fühlte. Sofort begann sein Herz zu rasen, und erneut keimte Begierde in Andreas auf.

Wie schlimm würde es erst sein, wenn Becca blieb? „Ruhe und Erholung“ hatten die Ärzte ihm verordnet. Mit solchen Fantasien im Kopf würde daraus nichts werden. Wie könnte er jeden Tag mit Becca in diesem Haus leben, wo doch allein schon ihr Anblick ein kaum kontrollierbares Verlangen in ihm weckte? Und wie könnte er diesem Verlangen nachgeben, solange er nichts über die Monate wusste, die sie beide zusammen verbracht haben mussten? Es war besser, wenn sie ihn verließ, zumindest, bis er einigermaßen wiederhergestellt war.

Nachdem er eine Entscheidung getroffen hatte, ging Andreas zum Kleiderschrank, suchte ein Hemd und Jeans heraus, nahm einen Slip aus der Kommodenschublade und zog sich an. Barfuß ging er lautlos die Treppe hinunter. Es war früher Abend, die Hitze des Tages ließ ein wenig nach.

Überrascht hörte Andreas ihr Lachen. Ein heller, perlender Klang, der sofort seine Sinne ansprach. Er zögerte, blieb stehen und überdachte seine Entscheidung erneut.

Was gab es eigentlich an einem Flirt auszusetzen? Becca und er waren beide erwachsen, und sie fühlte sich ebenso zu ihm hingezogen wie er sich zu ihr. Sie hatte nichts dagegen gehabt, von ihm berührt zu werden. Tatsächlich hatte sie mehr von ihm gewollt. Ihre Augen hatten sie verraten. Aber eine gemeinsame Zukunft konnte er ihr nicht bieten. Na, wenn schon! Er glaubte nicht, dass ihr das wichtig sein würde. Offensichtlich war sie ja während des vergangenen Jahres bei ihm geblieben. Also musste sie mit dem zufrieden sein, was sie hatten.

Wieder hörte Andreas ihr Lachen. Diesmal ging ihm jedoch irgendetwas daran auf die Nerven. Es klang anders. Schwang ein flirtender Unterton darin mit? Es war, als würde sich eine dunkle Wolke über Andreas senken. Er bekam schlechte Laune, sein ganzer Körper wurde starr. Langsam schlich er weiter nach unten.

Jetzt konnte Andreas schon in den Raum sehen, in dem Becca am Tisch saß, ein Glas vor sich. Sie hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt und wirkte viel entspannter als oben im Schlafzimmer. Ihr dunkles Haar umrahmte verführerisch zerzaust das schöne Gesicht. Die leichte Jacke hing schief von der Lehne, ein Ärmel berührte den Boden. Becca blickte jemanden ihr gegenüber an, auf der anderen Seite des Tisches. Und sie lächelte.

Dieses Lächeln ging Andreas unter die Haut. Er war hin- und hergerissen zwischen zwei gegensätzlichen Gefühlen. Zu beobachten, wie das Lächeln ihre Miene aufhellte, den küssenswerten Mund weicher und noch verlockender erscheinen ließ, bereitete Andreas große Freude. Gleichzeitig ballte er die Hände zu Fäusten vor Wut, und er musste sich auf die Lippe beißen, um seinen wilden Zorn nicht hinauszuschreien.

„So habe ich das niemals betrachtet“, sagte Becca. Sogar ihre Stimme klang anders als oben im Schlafzimmer: unbeschwert, entspannt, neckisch. „Jetzt, da Sie es mir erklärt haben, ist es völlig logisch.“

„Natürlich ist es das.“ Eine Männerstimme, die Andreas sofort erkannte.

Leander, sein persönlicher Assistent. Sein junger, großer, dunkelhaariger, gut aussehender persönlicher Assistent. Eine schreckliche Eifersucht packte Andreas und zerstörte jede Hoffnung, vernünftig und gelassen zu bleiben. Ein weiterer lautloser Schritt brachte ihn in eine Position, aus der er voll in das Zimmer hineinsehen konnte. Leander lehnte lässig an der Wand, die Knöchel übereinandergeschlagen, ein Glas in der Hand.

„Streiten Sie niemals mit einem Griechen über griechische Mythen“, riet der junge Mann. Sein Ton kam Andreas vertraulich vor, fast verschwörerisch.

„Werde ich nicht“, versprach Becca. Das belustigte Lächeln, das sie Leander zuwarf, versetzte Andreas einen Stich ins Herz.

Er spürte, wie es in seinem Kopf zu hämmern begann. Sein Atem ging schwer und unregelmäßig. Woher die Wut stammte, fragte sich Andreas nicht. Er nahm sie einfach als richtig hin, als das, was er fühlen sollte. Hatte er nicht genau deshalb beschlossen, Becca müsse wieder abreisen? Weil es nur Ärger mit ihr geben würde, wenn sie im Haus blieb?

Ihm reichte es. Er übersprang die letzten beiden Stufen und marschierte in das Zimmer. Seine schlechte Laune zeigte sich in jedem Schritt, jeder Bewegung. Er konzentrierte sich völlig auf Becca und sah, wie ihre Augen groß wurden vor Verwirrung. Und Schuldbewusstsein? Zweifellos war sie blass geworden.

„Okay, das war’s“, stieß er hervor. „Es wird Zeit, dass du von hier verschwindest, Becca. Jetzt!“

Schockiert blickte sie ihn an. „Aber …“

„Andreas …“, warf Leander ein.

„Hast du verstanden, was ich gesagt habe?“, fragte Andreas sie, ohne seinen persönlichen Assistenten zu beachten.

Becca musste erst einmal ihre Stimme wiederfinden. „Ja, ich hab’s gehört.“ Ihr war fast das Herz stehen geblieben, als Andreas ins Zimmer gekommen war. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, ohnmächtig zu werden vor Schreck. Doch dann war sie von einem ganz anderen Gefühl überwältigt worden. Einer Besorgnis, die dermaßen stark war, dass sie an Panik grenzte. Was ging hier vor? Warum benahm sich Andreas so? Oben in seinem Schlafzimmer hatte er sie kühl, aber durchaus höflich zurückgewiesen und weggeschickt. Jetzt war er total feindselig.

Hatte er sich daran erinnert, wie die Sache zwischen ihnen wirklich stand? War er fuchsteufelswild nach unten gekommen, um seine schon einmal brutal verstoßene Ehefrau noch einmal hinauszuwerfen?

„Ich habe doch gerade erst ausgepackt.“

„Dann pack wieder ein“, befahl er.

Becca hatte ihn früher schon so erlebt. Schlagartig tauchten Erinnerungen an die grässliche Szene vor einem Jahr wieder auf und brachten sie für einen Moment vollkommen aus dem seelischen Gleichgewicht.

Sie musste all ihre Kraft zusammennehmen, um sich wieder auf Andreas zu konzentrieren. Doch als sie zu ihm sah, genügte sein Anblick, um sie erneut aus der Fassung zu bringen. Andreas trug das weiße Hemd lässig über der Hose. Es schmiegte sich an die breiten Schultern und die muskulöse Brust, bevor es lose über die schmalen Hüften fiel. Das strahlende Weiß bildete einen verheerend attraktiven Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Die verwaschene Jeans war an einigen Stellen eingerissen und betonte die langen kräftigen Beine. Andreas sah eher aus wie ein ungezähmter, einfacher griechischer Schafhirte oder Fischer, nicht wie der weltmännische, mächtige Multimillionär, der er in Wirklichkeit war. Und wenn er so schlicht und lässig gekleidet war, übte seine reine körperliche Stärke einen umwerfenden Reiz auf Becca aus. Ihr Blut pulsierte so heftig in ihren Adern, dass sie seine nächsten Worte fast überhörte.

„Pack zusammen und verschwinde.“

„Aber du hast gesagt …“

„Ich weiß, was ich gesagt habe, und ich habe meine Meinung geändert. Ich brauche keine Frau in meinem Leben, schon gar nicht eine, die mit meinen Angestellten flirten will.“

Flirten. Wenn Eifersucht sein Problem war, dann durfte sie hoffen, dass noch nicht alles verloren war. Vielleicht hatte er sich gar nicht daran erinnert, wer sie tatsächlich war. Falls doch, wäre es die reinste Ironie. Nachdem Becca aus dem Schlafzimmer geflüchtet war, hatte der Gedanke an Daisy ihr geholfen, sich zusammenzureißen. Noch immer hörte Becca im Geiste die Stimme des Arztes, der ihnen die vernichtende Wahrheit mitgeteilt hatte. Daisy sei ein sehr krankes Baby. Ihr Leben könne nur durch eine Operation gerettet werden – eine Operation, die so neu, so experimentell sei, dass bisher nur ein einziger Chirurg in Amerika sie jemals erfolgreich durchgeführt habe. Wenn sie das Geld aufbringen könnten …

Mit Schaudern erinnerte sich Becca an diesen Moment. Macy und sie waren von abgrundtiefer Verzweiflung überwältigt worden. Es gab nur einen einzigen Ausweg. Daisys bedauernswerter Zustand hatte Becca dazu gebracht, sich mit ihrer Bitte um Geld an Andreas zu wenden. Und deshalb hoffte sie, so lange hierbleiben zu können, bis er sein Gedächtnis wiedererlangte, sich an ihren Brief erinnerte und sich anhörte, warum sie seine Hilfe brauchte. Auch wenn er seine von ihm getrennt lebende Ehefrau hasste, würde Andreas doch wohl nicht sein Herz gegen das Baby verhärten. Dieser Plan hatte ihr den Mut verliehen, nach unten zu gehen und Leander eine Version der Wahrheit zu erzählen: Dass sie bleiben würde, um Andreas zu pflegen.

Zu ihrer großen Freude hatte Leander sofort die Agentur angerufen und Bescheid gegeben, dass die Pflegerin nicht benötigt würde, die sie hatten schicken sollen.

„Wer könnte sich besser um einen Mann kümmern als seine Ehefrau?“, hatte Leander gesagt, der offensichtlich über eine sentimentale Ader verfügte.

Da er Becca bis zu ihrer Ankunft hier niemals begegnet war, wusste er ja nicht, dass sein Chef bei ihr ganz bestimmt nicht sentimental werden würde. Becca ließ dem jungen Mann seine Illusionen. Leander auf ihrer Seite zu haben war mehr, als sie sich hatte erhoffen können. Und seine Unterstützung hatte sie veranlasst, zu glauben, dass es ihr gelingen würde, zu bleiben und Daisy schließlich zu retten.

Aber das war gewesen, bevor Andreas mit finsterer Miene ins Zimmer gestürmt war und ihr befohlen hatte, zu verschwinden. Er sollte sich daran erinnern, wer sie war, damit sie ihn um Hilfe für ihre Nichte bitten konnte. Dass er sie hinauswarf, ohne sie angehört zu haben, durfte nicht passieren.

„Ich habe nicht geflirtet“, widersprach Becca scheinbar ruhig.

„Nicht?“ Andreas zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

„Nein!“ Lass dich nicht einschüchtern, machte Becca sich Mut. Sie musste stark sein. Daisy zuliebe musste sie sicherstellen, dass sie hierbleiben konnte.

Bei ihrem energischen Ton sah Andreas einen Moment lang erstaunt aus, dann kehrte der skeptisch-zynische Gesichtsausdruck zurück.

„Du warst es doch, der mir gesagt hat, ich solle nach unten gehen“, fügte sie gespielt beleidigt hinzu. Und das war eine gute Idee. Mit ihrer Empörung hatte Andreas eindeutig nicht gerechnet. „Du wolltest kein Getue.“

Zwar nickte er nicht – das wäre ein zu großes Zugeständnis gewesen –, aber in seinem Blick flackerte so etwas wie Respekt auf.

„Andreas …“, mischte sich Leander ein.

Schnell und ziemlich nervös sagte er etwas auf Griechisch. Hatte er das Gefühl, dass sein Job auf dem Spiel stand? Becca fragte sich, ob Leander sie weiter unterstützen würde. Andreas antwortete in derselben Sprache. Es klang wie ein kurzer, scharfer Befehl, und Becca schloss daraus, dass Andreas den jüngeren Mann hinausschickte. Leander zögerte, er sah verlegen aus.

„Ist schon in Ordnung, Leander“, beruhigte Becca ihn. „Um mich brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.“

Andreas warf ihr einen zornigen Blick zu, und sie merkte, wie besorgt Leander darauf reagierte. „Wirklich“, versicherte sie ihm. „Dies ist nicht Ihr Problem.“

Ein unheilvolles Schweigen herrschte im Zimmer, während Leander hinausging. Als die Tür hinter ihm zufiel, wartete Becca mit angehaltenem Atem auf den unvermeidlichen Wutausbruch.

4. KAPITEL

Doch zu ihrem Erstaunen blieb Andreas vollkommen ruhig.

„Und wer hat dir die Rolle des Chefs zugewiesen?“, fragte er lediglich sachlich. „Wer hat dir erlaubt, meinen Angestellten Befehle zu geben?“

Becca atmete wieder normal, fest entschlossen, ebenso kühl und beherrscht zu sein wie er. „Nicht Befehle.“ Wenn sie sich von seiner eindrucksvollen Statur, der arroganten Kopfhaltung und dem kalten Blick einschüchtern ließ, würde Andreas gewinnen. Sie wusste, dass er noch nie einen Machtkampf verloren hatte. Wenn er für irgendjemanden ein leichter Gegner wäre, hätte er nicht schon im Alter von dreiunddreißig Jahren das Familienvermögen verdreifacht. Aber sie musste gewinnen, zumindest erreichen, dass sie bleiben durfte. An die Möglichkeit einer Niederlage würde sie nicht einmal denken. Die Folgen für Daisy wären zu schrecklich. „Du hattest Leander bereits befohlen, hinauszugehen. Ich wollte nur nicht, dass er sich verpflichtet fühlt, zu bleiben, um mich zu beschützen.“

„Du verstehst Griechisch?“

Andreas klang so verblüfft, dass sie lächeln musste. Typisch Mann – typisch griechischer Mann. Hochmütig setzte er voraus, dass seine Einschätzung der Lage richtig war. Und war völlig überrascht, wenn sie sich als nicht ganz so zutreffend erwies, wie er meinte.

„Ich muss nicht jede einzelne Vokabel kennen, um zu verstehen, was du gemeint hast“, erklärte sie. „Kommandierst du immer alle so herum?“

„Sein Job ist ihm viel zu wichtig, als dass Leander irgendetwas Dummes tun würde.“

„Er weiß, dass du schlechte Laune hast und ihm wahrscheinlich den Kopf abreißt, wenn er nicht gehorcht. Du hast doch wohl nicht im Ernst geglaubt, ich hätte mit ihm geflirtet? Dir muss klar sein, dass …“

Ach, du Schreck! Fast wären ihr die verräterischen Worte herausgerutscht. Hatte sie wirklich sagen wollen, dass neben ihm kein anderer Mann eine Chance hatte? Dass neben ihm jeder andere nur noch wie ein Schatten seiner selbst wirkte?

„Was muss mir klar sein?“, fragte Andreas sanft.

Zu ihrem Entsetzen spürte Becca, dass sie rot wurde. „Dass ich mit dir zusammen bin.“ Sie gewann ihre Fassung wieder, indem sie sich daran erinnerte, dass er sie für seine Geliebte hielt. Und diese würde sich wahrscheinlich lachend über seine Überreaktion hinwegsetzen. „Und selbst wenn du keine Pflegerin willst, muss ja wohl irgendjemand ein Auge auf dich haben, solange du obendrein auch noch deine Angestellten zurückweist.“

„Und du tust das liebend gern?“

„Natürlich.“ Bedeutete seine Frage, dass er es sich vielleicht noch anders überlegte? Dass er sie bleiben ließ? „Du solltest dich setzen.“ Becca zeigte auf einen Sessel und verfluchte das Zittern ihrer Hand, das Andreas zu viel verriet. „Möchtest du etwas trinken? Wasser? Kaffee?“

„Wein?“

Er provozierte sie, um sie auf die Probe zu stellen. Zu dem Sessel ging er trotzdem. „Du bist gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden. Meinst du, Wein ist gut für dich? Wie wäre es, wenn du etwas anderes in Erwägung ziehst?“

„Würde ich ja, aber dagegen würdest du wahrscheinlich auch Einspruch erheben“, erwiderte Andreas überraschend gelassen.

Scheinbar mühelos ließ er sich in den Sessel sinken, lehnte sich zurück und streckte die langen Beine aus. Becca bemerkte jedoch den angespannten Zug um seinen Mund. Zweifellos hatte Andreas noch Schmerzen. Schnell schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. „Dann hole ich dir Wasser.“

„Wenn das alles ist, was du mir anbietest …“

Bei seiner Antwort erstarrte Becca für einen Moment, bevor sie sich langsam umdrehte. Hatte sie richtig gehört? Oder hatte sie sich diesen Unterton in seiner Stimme nur eingebildet? Konnte es sein, dass Andreas mit ihr flirtete? Ihr wurde klar, was passiert war. Sie hatte so reagiert, wie sie es getan hätte, wenn sie noch zusammen wären. Ein Streit war ausgebrochen, und sie hatte sich gegen Andreas’ Wut behauptet. Dann hatte sie das Gespräch auf ein anderes Thema gelenkt, und er war darauf eingegangen. Genauso wie früher hatte er sich aus seiner schlechten Laune herausmanövrieren und in eine ganz andere Stimmung versetzen lassen. Aber war diese andere Stimmung weniger gefährlich?

Ihn herauszufordern war die einzige Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, seine Karten aufzudecken. Und obwohl er sich vielleicht nicht an ihr gemeinsames Leben erinnerte, war er doch immer noch der alte Andreas. Sie musste herausfinden, woran sie war. Wie sie das anzupacken hatte, glaubte sie zu wissen.

„Wasser“, sagte sie energisch und ging in die Küche.

Ich brauche nichts zu trinken, schon gar kein Wasser, dachte Andreas, während Becca nach einem Glas stöberte. Aber er genoss es, den Schwung ihrer Hüften zu beobachten, die sanfte Bewegung ihrer Brüste, als sie sich bückte, um eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank zu nehmen. Ihm gefiel es, hier zu sitzen und Becca in seinem Haus herumgehen zu sehen, sie für ihn sorgen zu lassen. Es mochte frustrierend und unbequem sein, trotzdem genoss er es sogar, wie sein Körper darauf reagierte, sie in seiner Nähe zu haben. Seit seinem Unfall hatte sich Andreas nicht mehr so lebendig gefühlt. Becca war so viel attraktiver als Medora, seine treue, aber matronenhafte Haushälterin. Sie war fast wie eine Mutter für ihn, jedoch keineswegs eine Augenweide wie Becca.

Die schöne, sexy Becca, die er mehr begehrte als …

Verdammt, warum meinte er, dass er sie mehr begehrte, als er es in der Zeit getan hatte, in der sie zusammen gewesen waren? Schließlich erinnerte er sich nur an einen sehr kleinen Teil dieser Zeit. An die ersten Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Und seine deutlichste Erinnerung war, dass er Becca in seinem Bett haben wollte. Wie jetzt. Hatte sich also irgendetwas geändert? Er wusste nur, dass sein heftiges Verlangen nach ihr ihn dazu gebracht hatte, sich wie ein Narr zu benehmen.

Seufzend fuhr sich Andreas durchs Haar. Er hatte die Beherrschung verloren, als er Becca zusammen mit Leander gesehen hatte. Weil er geglaubt hatte, sie würden miteinander flirten. Blind vor Wut, hatte er gehandelt, ohne nachzudenken. Jetzt, da er sich beruhigt hatte, wusste er, dass er sich bei seinem persönlichen Assistenten entschuldigen musste. Er war auf Leander losgegangen wie ein eifersüchtiger Hund, der sein Revier verteidigte.

Eifersüchtig!

Benehme ich mich so, wenn ich eifersüchtig bin? fragte sich Andreas. Das Problem war, dass er keinen Vergleich hatte. Er konnte wirklich nicht sagen, ob er schon einmal so empfunden hatte. War er schon einmal dermaßen wütend geworden, weil er glaubte, jemand anderes hätte bekommen, was er wollte? Hatte er mit seinem wilden Zorn etwas Wertvolles kaputt gemacht?

Weil Becca etwas Wertvolles sein könnte. Um das zu wissen, musste er sich nicht an die Vergangenheit erinnern können. Dafür genügte die Wirkung, die Becca in der Gegenwart auf ihn hatte. Und deswegen war er so wütend gewesen. Weil er sie so sehr begehrte, dass es sein Urteilsvermögen getrübt hatte.

Morgen würde er das mit Leander in Ordnung bringen. Ihm aber auch klarmachen, dass er die Finger von Becca lassen sollte. Sie gehörte ihm.

Jetzt kam sie mit dem Glas in der Hand auf ihn zu. Becca von vorn zu sehen war noch viel besser als von hinten und der Seite. Ihr energischer Gang lenkte seine Aufmerksamkeit auf die schlanken Rundungen ihrer Hüften, und es erregte Andreas, wie sich ihre Brüste unter der weichen Baumwolle ihres Kleides abzeichneten. Becca hob herausfordernd das Kinn, und insgeheim lächelte er über den bevorstehenden verlockenden Machtkampf.

„Dein Wasser.“

Becca überreichte ihm das Glas so schwungvoll und unachtsam, dass nur Andreas’ schnelle Reflexe verhinderten, dass der Inhalt sich über ihn ergoss. „Ich ziehe es im Glas vor“, sagte er trocken, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte. Ihre meerblauen Augen funkelten wie Edelsteine. Das abgedroschene „Du bist schön, wenn du wütend bist“, lag ihm auf den Lippen, doch er provozierte sie nicht weiter und bedankte sich stattdessen nur höflich.

„Bitte sehr“, erwiderte Becca ebenso höflich. „Genieß deinen Drink.“ Mit einer herablassenden Handbewegung wandte sie sich von ihm ab.

Und Andreas ahnte, was sie vorhatte. Als sie tatsächlich zielstrebig zur Tür ging, fragte er belustigt: „Hast du etwas Bestimmtes vor?“

„Ich gehe auf mein Zimmer. Um mein Gepäck zu richten. Schließlich hast du ja deutlich gemacht, dass du mich hier nicht haben willst. Es wäre einfacher gewesen, wenn du es mir mitgeteilt hättest, bevor ich meinen Koffer ausgepackt hatte.“

Andreas wartete, bis sie an der Tür war, wartete auf das fast unmerkliche Zögern, bevor sie den Griff umfasste … die Tür öffnete … „Du kannst bleiben.“

„Was hast du gesagt?“ Becca blickte starr nach vorn in die inzwischen dämmerige Eingangshalle.

„Du kannst bleiben.“

Einen Moment lang konnte sich Becca nicht rühren. Ihre Strategie hatte funktioniert. Sie hatte Andreas gezwungen, Farbe zu bekennen, indem sie den Anschein erweckt hatte, abreisen zu wollen. Und er hatte es so weit kommen lassen und sie dann zurückgerufen. Sie sollte triumphieren, glücklich sein. Jetzt durfte sie hoffen, mit ihm über Daisy und die finanziellen Mittel zu sprechen, die sie so dringend benötigte, damit ihre kleine Nichte eine Überlebenschance hatte. Aber bevor es dazu kommen konnte, musste Andreas sein Gedächtnis wiedererlangen.

Und wie würde es sein, wenn ihm die Wahrheit einfiel? Er hatte sie, Becca, aus dem Haus, aus seinem Leben geworfen, weil er geglaubt hatte, sie sei nur hinter seinem Geld her. Wenn er sich daran erinnerte und erfuhr, dass sie jetzt wieder aus diesem Beweggrund hier war … Bei dem Gedanken an seine Reaktion zitterten ihr die Knie.

„Becca? Hast du gehört?“

Sie hatte zu lange gezögert und ihn misstrauisch gemacht. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass er aufgestanden war. „Ja, ich habe es gehört.“ Langsam drehte sie sich um und sah ihn an. „Soll ich als deine Pflegerin bleiben oder als …?“ Was war die Alternative? Partnerin? Geliebte? Ehefrau?

„Ganz bestimmt nicht als meine Pflegerin! Du weißt, was ich von dem Plan halte. Warum bleibst du nicht einfach als … mein Gast? Dann kannst du mich ja im Auge behalten, wenn du es für nötig hältst.“

„Und was tue ich die übrige Zeit?“

„Ach, ich bin sicher, uns fällt etwas ein.“

„Was, zum Beispiel?“ Vorsichtig musterte Becca ihn. Ihr kleiner Sieg über ihn hatte seiner Flirtlaune, entgegen Beccas Vermutung, keinen Abbruch getan. Sein sinnliches Lächeln verriet ihr, dass er nicht die Vergnügungen plante, mit denen man normalerweise seine Gäste unterhielt.

„Dies, zum Beispiel.“ Mit mehreren langen Schritten war er bei ihr, hob ihr Kinn an und küsste sie hart auf den Mund.

Andreas hatte sie völlig überrumpelt, sodass er sofort die Oberhand gewann und die Lage beherrschte. Sein leidenschaftlicher Kuss machte Becca das Denken unmöglich, sie konnte nur noch fühlen. Sie spürte die Hitze, die sie durchflutete. Spürte seinen muskulösen Körper an ihrem, als er die Arme um sie legte. Spürte, wie ihre Sehnsucht mit jedem Schlag ihres Herzens zunahm. Ihr war, als würde sie dahinschmelzen. Unfähig, aufrecht zu stehen, sank sie gegen Andreas. Nur seine Umarmung verhinderte, dass Becca zusammenbrach.

Andreas begann, mit ihrer Zunge zu spielen, und Becca klammerte sich an seine Schultern. Diesmal nicht Halt suchend, sondern aus reinem sexuellen Verlangen griff sie nach ihm und schmiegte sich so eng an ihn, wie sie konnte. Was es unmöglich machte, nicht zu bemerken, wie erregt er war.

Gefühllose Begierde und herzlose Leidenschaft.

Die kalte Stimme der Vernunft meldete sich, und Beccas eigene Erregung verschwand so schnell, dass ihr schwindlig wurde.

Andreas Petrakos war imstande, sie mit seinem Mund, seiner Zunge, seinem Körper zu verführen, während er emotional völlig unbeteiligt blieb.

Hatte er das nicht bewiesen, als er sie nach ihrer Heirat in dieses Haus gebracht hatte? Damals hatte er sie sofort die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer getragen, sie mit fast grober Hast ausgezogen und leidenschaftlich geliebt. Er hatte eine ebenso starke Leidenschaft in ihr geweckt, ihr vollkommen unbekannte Wonnen gezeigt und sie auf noch nie erlebte Gipfel der Ekstase geführt.

Bevor er sie nur ein paar Stunden später unbarmherzig in die raue Wirklichkeit zurückgeholt hatte. Noch immer trug Becca die Narben auf ihrem Herzen, die Andreas ihr mit seiner Grausamkeit zugefügt hatte.

Die Erinnerung daran ließ sie augenblicklich erstarren.

„Becca?“

Er hatte die Veränderung gespürt, die mit ihr vorgegangen war, und den Kuss beendet. Doch nun wurde Becca nicht nur von quälenden Gedanken und Empfindungen gepeinigt, sondern zusätzlich von einem schrecklichen Verlustgefühl. Und der Verzweiflung darüber, dass sie so schwach war. Das bittere Wissen, dass Andreas sie nur hatte zu küssen brauchen, und sie war in seine Arme gesunken. Wie ein törichtes Kind, das noch nicht gelernt hatte, dass man sich am Feuer die Finger verbrennen konnte.

„Nein“, sagte Becca. Nein, nein, nein! schrie eine innere Stimme in heller Panik. Das war die Stimme der Frau, die diesen Mann einmal so sehr geliebt hatte, dass sie ihn ohne zu überlegen überstürzt geheiratet hatte. Der Frau, der er das Herz gebrochen und deren Liebe sich in Hass verwandelt hatte, als sie von ihm weggegangen war.

Es war die Stimme der Frau, die sie Andreas nicht sehen lassen durfte. Zumindest nicht, bis er sich wieder richtig an sie erinnerte. Nicht, bis sie eine Gelegenheit gehabt hatte, ihn um Hilfe für Daisy zu bitten.

Und selbst dann würde Becca ihm nicht zeigen, was er ihr angetan hatte, wie er ihr Leben zerstört hatte.

„Nein?“, fragte Andreas finster.

Was bedeutete, dass sie eine Erklärung für ihren plötzlichen Stimmungsumschwung finden musste. Einen Grund, warum sie in der einen Minute eine willige Partnerin gewesen war und in der nächsten die Notbremse gezogen hatte. Mit einem Schaudern sah Becca ein, wie ihr Benehmen gedeutet werden konnte. Es konnte so aussehen, als wüsste sie nicht, was sie wollte. Oder – schlimmer – als wäre sie eine Frau, die Männer erst in Erregung versetzte und dann einen Rückzieher machte.

5. KAPITEL

„Vorhin hast du gesagt, dies sei keine gute Idee.“ Becca blieb fast das Herz stehen, als sie Andreas ins Gesicht blickte. Er runzelte drohend die Stirn, und seine Augen funkelten vor Frustration. Einen Moment lang dachte sie, er wollte mit ihr streiten, aber dann nickte er.

„Ist es vermutlich nicht, solange ich nichts über unsere gemeinsame Vergangenheit weiß. Und du wirst mir nichts darüber erzählen, oder?“

Becca schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe. Na gut, die Ärzte haben mir erklärt, dass es besser ist, wenn alles von selbst zurückkehrt. Falls es jemals zurückkehrt. Und das kompliziert die Sache.“

Obwohl Andreas ihr zustimmte, ließ er sie nicht los. Und jetzt, da er sie nicht mehr küsste, kam es Becca noch intimer vor, wie fest, wie eng er sie an sich gedrückt hielt.

„Allerdings nur in dieser Hinsicht. In jeder anderen Hinsicht hat es sich richtig angefühlt. So richtig, dass ich nicht will, dass es aufhört …“ Sein konzentrierter, leidenschaftlicher Blick flackerte, umwölkte sich.

Sofort geriet Becca in Panik. Andreas’ plötzliche Geistesabwesenheit traf sie schwer. Erinnerte er sich an das vergangene Jahr und an die Rolle, die sie darin gespielt hatte?

Aber genau das wollte sie doch. Oder nicht?

Andreas musste wissen, was passiert war, bevor sie ihn um Hilfe bitten konnte. Bevor sie ihm von Daisy und der lebenswichtigen Operation erzählen konnte, die das Baby benötigte. Und wenn das Küssen Erinnerungen wachrief, warum dann nicht fürs Erste damit weitermachen?

„Das ist schon besser“, sagte Andreas leise.

Bei der Richtung, die ihre Gedanken eingeschlagen hatten, war Beccas Körper weicher geworden, und sie hatte sich unwillkürlich an Andreas geschmiegt. Als er erneut ihr Kinn anhob, hatte sie keine Kraft, sich gegen ihn zu wehren. Oder vielmehr hatte sie keine Kraft, gegen sich selbst zu kämpfen. Schließlich war dies, was sie wollte, wonach sie sich sehnte. Es noch länger zu leugnen, war unmöglich. Sie brauchte seinen Kuss. Und in dem Moment, in dem Andreas die Hände über sie gleiten ließ, wusste Becca, wie schmerzlich sie ihn vermisst hatte. Alles, was sie so lange tief in sich verschlossen hatte, begann nun langsam zu neuem Leben zu erwachen. Ganz so, wie sich eine Blume der Sonne öffnete. Und wie eine Blume zur größten, herrlichsten Lichtquelle neigte sich Becca zu Andreas hin. Sie presste sich an ihn, wand sich vor Wonne unter seinen Liebkosungen und seufzte zwischen leidenschaftlichen Küssen seinen Namen.

„Siehst du“, sagte Andreas rau, während er den Mund zu der äußerst empfindlichen Stelle unter ihrem Ohr gleiten ließ. „Es ist richtig, Becca. So richtig.“

Langsam küsste er sich einen Weg über ihren Hals zu dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides. Ihr schwanden fast die Sinne, als Andreas mit den Lippen sanft das Tal zwischen ihren Brüsten liebkoste.

„Ich will dich …“, flüsterte er.

Und sie wollte ihn. Sie sehnte sich nach Berührungen, die härter und kraftvoller waren. Was kümmerte es sie, wenn ihn die in seinem Gedächtnis verborgenen erotischen Erinnerungen in die Vergangenheit zurückführten, die sie miteinander geteilt hatten? Wenn er sich durch das Zusammensein mit ihr wieder bewusst wurde, dass sie seine Ehefrau war? Irgendwann musste er sich an alles erinnern, das war unvermeidlich. Und früher war doch sicherlich besser als später? Wenn die Wahrheit erst einmal heraus war, konnten sie neu verhandeln.

Jetzt war sie ohnehin nicht mehr imstande, sich davon abzuhalten. Sie wollte es. Sie brauchte es. Und es war richtig. Dies war immer richtig gewesen zwischen ihnen. In Andreas’ Armen hatte Becca stets das Gefühl gehabt, dass sie dort war, wo sie hingehörte. Wie sich schon nach ihrer Ankunft oben in seinem Zimmer gezeigt hatte, war die Anziehungskraft zwischen ihnen niemals verschwunden. Obwohl alles andere durch Hass, Misstrauen und Zurückweisung zerstört worden war.

Zurückweisung.

Das Wort schnitt wie eine Messerklinge durch den Rausch der Erregung, machte die sinnlichen Fantasien zunichte und holte Becca auf den Boden der Tatsachen zurück. Wollte sie diese Zurückweisung etwa noch einmal herausfordern? Konnte sie solche Qualen ein zweites Mal durchstehen? Sie war beim ersten Mal fast daran zugrunde gegangen, und dennoch setzte sie wieder ihr Seelenheil aufs Spiel.

Nur wegen der Lust, der körperlichen Befriedigung durfte sie das nicht tun. Es würde sie vernichten. Andreas war dazu in der Lage. Er hatte es schon einmal getan, und Becca zweifelte nicht daran, dass es ihm wieder gelingen würde. Für ihn war es kein Problem, mit ihr zu schlafen, sich alles zu nehmen, was sie zu geben hatte, und sie dann ohne Skrupel einfach fallen zu lassen.

Die Angst davor ließ Becca erneut erstarren. „Andreas …“ Er reagierte nicht. Während er sie weiter mit dem Mund liebkoste, fuhr er mit den Händen über ihre Hüften und schob ihr langsam das Kleid hoch. „Andreas … Stopp!“ Ihre wachsende Panik verlieh ihr eine Kraft, die sie sich nicht zugetraut hatte.

Becca riss sich so heftig von ihm los, dass sie mehrere Meter zurücktaumelte. „Nein“, sagte sie schwer atmend. „Nein, es ist nicht richtig. Es kann nicht richtig sein. Und ich werde es nicht zulassen.“

„Du wirst es nicht zulassen?“ Andreas zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Erwartest du im Ernst, dass ich das glaube?“

„Natürlich! Ich …“

„Aber das tue ich nicht. Ich glaube dir kein Wort. Warum sollte ich dir deinen feigen kleinen Protest abkaufen, wenn ich doch die Wahrheit kenne.“

„Oh, jetzt kannst du also Gedanken lesen?“

„Das brauche ich nicht. Ich bin ziemlich gut darin, Körpersprache zu verstehen. Pech für dich, Becca. Weil dein Körper die Wahrheit gesagt hat. Also mach mir nichts vor.“

„Ich mach dir nichts vor!“

„Entweder du tust es jetzt, oder du hast es eben in meinen Armen getan. Beides geht nicht, Becca. Also? Wie lautet die Wahrheit?“

Was sollte sie darauf antworten? Wie konnte sie ihr Benehmen erklären, ohne sich völlig zu verraten? Keinesfalls durfte sie Andreas denken lassen, dass sie ihm etwas vorgespielt hatte. Dann würde er höchstwahrscheinlich verlangen, dass sie sofort abreiste. Was bedeutete, dass sie Daisy nicht würde helfen können. Und Daisys Leben zu retten stand bei ihr an erster Stelle.

„Es tut mir leid.“ Sie streckte sogar bittend die Hand aus, doch Andreas registrierte die Geste so kalt, dass Becca den Arm wieder sinken ließ. „Es tut mir leid …“

„Das hast du schon gesagt.“ Andreas verschränkte die Arme vor der breiten Brust und musterte Becca verächtlich. „Was tut dir leid?“

„Dass … dass ich überreagiert habe.“ Sie hatte gehofft, es würde ihm als Erklärung genügen, aber er verzog nur spöttisch den Mund. Offensichtlich würde sie sich mehr Mühe geben müssen, um Andreas zu überzeugen. „Ich begehre dich wirklich.“ Aufrichtigkeit, zumindest in dieser Hinsicht, war ihre einzige Chance. Andreas hasste Lügen. Es überlief sie kalt bei der Erinnerung an das eine Mal, als sie versucht hatte, ihm die Wahrheit zu verheimlichen. Damals hatte sie nicht bewusst gelogen, trotzdem waren die Folgen so schlimm gewesen, als hätte sie es getan.

„Warum stehst du dann auf der anderen Seite des Zimmers?“

„Weil … weil …“ In ihrer Verzweiflung appellierte sie erneut an seine Vernunft. „Weil du recht hattest. Es ist keine gute Idee. Es wäre unvernünftig.“

Andreas verdrehte entnervt die Augen. „Und wir müssen ja immer vernünftig sein, stimmt’s?“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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