Skandal um den verwegenen Earl

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Mutig stürzt sich Francis St. Cartmail, der Earl of Douglas, in die Fluten, um Sephora vor dem Ertrinken zu retten. Doch muss es ausgerechnet er sein, das schwarze Schaf des ton? Dabei hat ihr eigener Verlobter keinen Finger gerührt, um ihr zu Hilfe zu kommen! Von nun an kreisen Sephoras Gedanken unablässig um den verwegenen Earl. Als er ihr dann auch noch sein dunkelstes Geheimnis anvertraut, hat er Sephoras Herz endgültig gewonnen. Doch wenn sie sich für ihn entscheidet, würde das einen Skandal auslösen, der die Londoner Gesellschaft erschüttert!


  • Erscheinungstag 14.09.2021
  • Bandnummer 615
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502627
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

London, 1815

Lady Sephora Connaught wusste, dass sie sterben würde. Gleich hier an Ort und Stelle, als das große schwarze Pferd auf der Brücke scheute und sie einfach über das Geländer warf, hinunter in den Fluss mit der reißenden Strömung.

Ihre Schwester schrie, genau wie alle anderen, die Geräusche wurden vom Wasser gedämpft, als sie auf die Oberfläche traf. Die Angst raubte ihr den Atem und steigerte sich zur Panik. Instinktiv schloss sie die Augen, als der Fluss sie erfasste, ihren Mund füllte, ihre Kehle und ihre Lungen, als der schwere Stoff ihres Rocks sie nach unten zog, in die Finsternis, in die Düsternis. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, konnte keinen Halt finden, sich nicht abfangen, konnte nichts greifen.

Sie zerrte an ihrer Reitjacke, versuchte, die Verschlüsse zu öffnen, aber es war hoffnungslos. Es gab zu viele Knöpfe und darunter zu viele Schnüre, zu viele Stäbe und Schichten und Enge, die sie bedeckten, erdrückten, erstickten.

Das war er.

Dies war der Augenblick ihres Endes, schon breitete sich ein taubes Gefühl aus, der Schmerz in ihrem Bein, mit dem sie gegen die Brüstung gestoßen war, ließ nach, das Licht von oben wurde schwächer, während sie zwischen die Fische und den Schlamm sank, hinunter in das schwarze Nichts. Es war vorbei. Ihr Leben. Ihre Zeit. Zu Ende, ehe es überhaupt begonnen hatte. Sie presste sich die Hände auf Mund und Nase, damit sie nicht einatmete, aber ihre Lungen schrien nach Luft, und sie konnte sie ihnen nicht länger vorenthalten.

Weiter oben gab es eine Bewegung, die sie veranlasste, den Kopf zu neigen, sie fühlte die Veränderung im Wasser mehr, als dass sie etwas sah. Da war ein dunkler Schatten, der auf sie zukam. Ein Mann, vollständig angekleidet, streckte schon eine Hand nach ihr aus, während er auf sie zuschwamm. Sie sah einfach nur dorthin, versuchte herauszufinden, ob er real sein könnte, hier in den Tiefen der Themse, hier, wo das Licht schwächer wurde und es keine Wärme mehr gab.

Himmel, das Mädchen hatte einfach aufgegeben, schwebte da wie eine riesige Qualle, mit gebauschten Röcken, das lange Haar über ihrem Kopf schwebend, mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen.

Warum, verdammt, brachten die Gentlemen des ton ihren Töchtern nicht das Schwimmen bei? Wäre das üblich gewesen, dann hätte sie sich wunderbar selbst retten und versuchen können, wieder an die Oberfläche zu gelangen. Alles, nur nicht diese schreckliche Resignation und kein Versuch, um ihr Leben zu kämpfen. Er presste seine Lippen auf ihre und schenkte ihr seinen Atem, dort unten in der kalten Dunkelheit, seine letzte Luft, ehe er mit einer heftigen Beinbewegung nach oben strebte, die Finger fest um ihren Arm geschlossen. Immerhin wehrte sie sich nicht, sondern folgte ihm, hing an ihm wie ein schweres Gewicht. Die smaragdgrüne Farbe ihrer Reitjacke schien das einzig Lebendige an ihr zu sein.

Und dann waren sie oben, in der Sonne, dem Wind, zurück im Leben, trieben wie Korken mit der schnellen Strömung des Flusses dahin. Sie hatte die Beine um ihn geschlungen und hielt ihn wie in einem Schraubstock umfangen, und als sie versuchte, sich fester an ihn zu klammern, streiften ihre Finger seine Wange und kratzten ihn so tief, dass er anfing zu bluten.

„Verdammt. Halten Sie still.“ Er stieß die Worte zwischen kurzen Atemzügen hervor, aber sie schienen ungehört zu verhallen.

Sie beruhigte sich nicht, ihre panikerfüllten Bewegungen zogen ihn unter Wasser, und ihre Augen waren vor Entsetzen riesig. Er fluchte noch einmal, drückte sie fest an sich und schwamm mit der Strömung in Richtung Ufer, und war froh, als er sah, dass auch andere den Weg entlangliefen, um zwischen Schlick und Schlamm zu ihnen zu kommen.

Er erinnerte sich wieder an den Morast bei Hutton’s Landing, wie er dort hineinfiel, hinuntergezogen wurde in die breiige Masse, so zäh wie Sirup und dabei schwer wie Öl, und er begann zu zittern. Heftig. Auch hier war überall Schlamm, an seinen Beinen, an seinen Füßen, an denen er nur Strümpfe trug, und dieser Schlamm verursachte Flecke auf den weiten Röcken des Mädchens, deren Körper sich an seinen schmiegte wie ein gut sitzender Handschuh und ihm die letzte noch verbliebene Wärme nahm.

Er hätte längst fort sein sollen, zu Hause sein, weg von den aufdringlichen Blicken anderer und dem Mitleid, das er so überhaupt nicht wollte. Sie würgte jetzt heftig, Wasser lief ihr aus dem Mund, als der Sauerstoff den schmutzigen Inhalt der Themse verdrängte. Auch sie zitterte. Der Schock, wie er vermutete, und er fühlte, wie auch in ihm die Panik aufstieg. Er war erleichtert, als ein Fremder die Arme ausstreckte, um sie von ihm wegzuziehen, als Gabriel Hughes und Lucien Howard ihn am Ufer erreicht hatten.

Da waren noch andere, eine ältere Frau, die schrie, und ein junges Mädchen, das ihr sagte, sie solle den Mund halten. Auch Männer waren da und beobachteten ihn genau, als er aus dem Wasser stieg und die alte Narbe zweifellos deutlich zu sehen war, quer über seinem Gesicht.

Er konnte nichts verbergen. Nicht das Zittern. Nicht den Zorn. Auch nicht den Hass. Er war in einer Blase gefangen, in Erinnerungen und im Schlamm.

„Komm, Francis. Wir bringen dich nach Hause.“

Gabriels Stimme drang durch die Blase, und Gabriel ergriff ihn am Arm, um ihn wegzuführen. Das Mädchen weinte jetzt, aber Francis blickte nicht zurück. Nicht ein einziges Mal.

Sie konnte nicht aufhören zu schluchzen und auch nicht ihre Angst unterdrücken, nicht einmal, als die anderen, die sie umringten, Befehle riefen – eine Kutsche sollte geholt werden, jemand sollte Decken bringen, einen Arzt holen und die Blutung an ihrem rechten Schienbein stillen.

Sie atmete und war am Leben. Sie saß auf festem Boden, hockte in der Sonne eines späten Frühlingsnachmittags auf einem Weg in der Nähe der Themse, und all das Leben, das sie schon verloren geglaubt hatte, lag jetzt direkt vor ihr.

„Wir bringen dich nach Hause, Sephora, gleich jetzt. Richard ist losgegangen, um eine Kutsche zu suchen, und ein Bote wurde geschickt, damit dein Vater Bescheid weiß über das, was hier geschehen ist.“

Die Stimme ihrer Mutter hatte einen seltsamen Klang, vermutlich hing es damit zusammen, dass sie sich Sorgen machte und versuchte, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen.

Sephora schloss die Augen in dem Bestreben, sich den Ereignissen zu entziehen. Sie konnte kaum fassen, was geschehen war, und sie fühlte sich seltsam distanziert – von den Menschen, vom Flussufer, sogar von dem Erdboden, auf dem sie saß.

Ob das vielleicht von dem Schock kam? Oder von einem anderen Unwohlsein, das sie heimsuchte, weil sie zu viel Wasser geschluckt hatte? Das Grauen, das in alledem mitschwang, überwältigte sie mit Macht, raubte dem Tag die Farben, und ihre Haut fühlte sich kalt und feucht an. Und dann wurde es um sie herum dunkel.

Sie erwachte mitten in der Nacht im Stadthaus der Alfords am Portman Square, die Kerze neben ihrem Bett warf zuckende Schatten an die Decke, und im Kamin loderte ein Feuer.

Auf einem Stuhl saß ihre Schwester Maria, die Augen geschlossen, einen Schal in den Händen. Sie schlief. Sephora lächelte und streckte sich. Sie fühlte sich besser, wieder mehr wie sie selbst. Sie fühlte sich warm, sicher und heil. An ihrem rechten Unterschenkel sah sie einen Verband, und wenn sie die Stelle berührte, tat das weh, aber abgesehen davon – rasch untersuchte sie ihren Körper, stellte aber fest, dass sie sonst keine Verletzungen hatte und nichts wehtat.

Wie ein Schlag in die Magengrube traf sie die Erinnerung an einen Mund, der sich unter Wasser auf ihren presste. Ihr Retter hatte ihr seinen Atem geschenkt, als sie keinen mehr hatte, zehn Fuß tief unter Wasser, als sein eigener Atem schon knapp und kostbar gewesen war. Ihr Herz begann heftig zu schlagen, und sie drehte sich um. Sofort erwachte ihre Schwester. Maria beugte sich vor, um sie anzusehen.

„Du siehst besser aus, Sephora.“

„Wie habe ich vorher ausgesehen?“ Ihre Stimme klang heiser und belegt. Das überraschte sie, und sie hustete.

„Halbtot.“

„Das Pferd?“

„Es hat auf der Brücke gescheut und dich abgeworfen. Der Bursche sagte später, eine Biene hätte es gestochen, es wäre ein böser Stich. Vater hat geschworen, er würde das Pferd für weniger verkaufen als es gekostet hat, denn er will es nicht mehr in seinem Stall haben.“

Insgeheim war Sephora froh, den Hengst nie wiedersehen zu müssen.

„Erinnerst du dich an irgendetwas von dem, was passiert ist?“ In der Stimme ihrer Schwester schwang jetzt ein neuer Tonfall mit, etwas wie Interesse und Neugierde.

„Ich erinnere mich, dass mich irgendjemand gerettet hat?“

„Das war nicht irgendjemand. Es war der Earl of Douglas, Francis St. Cartmail, das schwarze Schaf des ton. Das Ganze ist Stadtgespräch.“

„Wo war Richard?“

„Als du auf der Brücke warst, unmittelbar hinter dir, aber er war vor Angst wie erstarrt. Ich glaube nicht, dass er schwimmen kann. Jedenfalls hat er sich nicht die Stiefel ausgezogen und ist einfach ins Wasser gesprungen, so wie der Earl es getan hat.“

„Das hat St. Cartmail getan?“

„Ohne auch nur im Geringsten zu zögern. Der Fluss hat dort eine heftige Strömung, und die Brücke ist recht hoch, aber er wirkte keineswegs beunruhigt, als er auf die schmale Brüstung stieg.“

„Und hinuntersprang?“

„Wie ein Pirat.“ Ihre Schwester lächelte. „Wie ein Pirat mit einer großen Narbe im Gesicht, dem das offene dunkle Haar bis über den Rücken fiel.“

Sephora erinnerte sich nicht an sein Aussehen, nur an die Berührung seiner Lippen, so intim und verboten in den dunklen Wassern der Themse.

„Hat er sich verletzt?“

„Ja, als er aus dem Wasser stieg, denn du hast ihm das Gesicht zerkratzt. Auf der Seite, die keine Narbe hat, hat er jetzt drei tiefe Kratzer, aus denen Blut lief.“

„Aber jemand hat ihm geholfen?“

„Die Lords Wesley und Ross. Sie sind aber nicht geblieben, denn als er wieder den Weg erreicht hatte, sah der Earl of Douglas noch schlechter aus als du.“

Francis St. Cartmail, der Fünfte Earl of Douglas. Sephora wendete den Namen in Gedanken hin und her. Im ton kursierten so viele Gerüchte über ihn, ein Lord, der auf der zwielichtigen Seite des Rechts lebte und in einer Welt voller Gefahren.

Sie hatte ihn erst einmal gesehen, und das war zwei Monate zuvor gewesen, aus der Ferne im Garten bei dem Ball der Creightons. Dort hatte ihn eine Frau umarmt, die für ihre zweifelhafte Moral und ihre unzüchtige Art bekannt war, und sie hatte ihn mit ihrem rotgeschminkten Mund geküsst. Miss Amelia Bourne, die bei Sephora gestanden hatte, hatte neugierig und mit schwärmerischem Blick zugesehen und gleich den Klatsch mit ihr geteilt, der über ihn im Umlauf war.

„Douglas ist ein schöner Mann, nicht wahr, selbst mit dieser Narbe, und auch wenn er sich dieser Tage zusehends weniger in der Gesellschaft zeigt, wird immer sofort geredet, wenn er einmal auftaucht. Ich für meinen Teil würde auf das Gerede nicht hören, wenn ein Mann mich so küssen würde …“ Amelia vollendete den Satz nicht und lachte.

Nach jenem Ball war Sephora nach Hause zurückgekehrt und hatte sich vorgestellt, wie es wohl wäre, so voller Hingabe geküsst zu werden, mit wilder Schönheit und unverhohlener Lust.

Nun, jetzt wusste sie es ja beinahe.

Sie schüttelte diesen Gedanken ab und setzte sich auf. „Gibt es etwas zu trinken?“

Ihre Schwester schenkte ihr ein Glas süßer Limonade ein, in der Minzblätter und Rosmarin schwammen, und half ihr, daraus zu trinken.

„Wo ist Richard?“

„Gestern war er mit Vater in der Bibliothek und hat versucht, die Gemüter zu beruhigen und die Gerüchte zum Verstummen zu bringen, die im ton umgehen.“

„Welche Gerüchte?“ Sephora verstand nicht recht, was das heißen sollte. Sie bedeutete Maria, dass sie genug getrunken hatte, und legte sich wieder hin.

„Als er aus dem Wasser stieg, hast du Douglas von Kopf bis Fuß umschlungen gehalten, wie eine Decke, und für uns sah es so aus, als wolltest du ihn nie wieder loslassen. Richard musste deine Finger einzeln von St. Cartmail lösen.“

„Ich wäre fast ertrunken.“

„Du hast dich schamlos aufgeführt. Deine Jacke war vorn aufgerissen, und dein Mieder stand offen.“ Diese Aufzählung wurde von einem herzlichen Lachen begleitet. „Und es stand dir gut. Du wirktest ganz wunderbar lebendig.“

Sephora ging auf diesen leisen Spott nicht ein. „Wo ist Mama?“

„Im Bett, nachdem sie einen Toddy getrunken hat. Vor morgen früh sollte sie nicht wieder auftauchen, also musst du dich nicht um ihre Sorgen kümmern. Was sie immer und immer wieder sagte, war, wie gut es wäre, dass ihr wenigstens eure Verlobung verkündet habt, du und Richard Allerly, sodass du nicht völlig ruiniert bist.“

„Es war nicht meine Schuld, dass das Pferd so heftig reagiert hat.“

„Mama würde sagen, dass es vielleicht weniger Missfallen erregt hätte, wärest du einfach ertrunken, verglichen mit der Intimität, mit der dein Retter dich hielt, und deinem schrecklich unbekleideten Zustand.“

Sephora lächelte. „Du hast immer schon zu Übertreibungen geneigt, Maria, aber ich danke dir, dass du wenigstens hiergeblieben bist. Das ist sehr tröstlich.“

Ihre Schwester ergriff Sephoras Hand, die Wärme der Berührung hatte eine beruhigende Wirkung. „Du hast bei dem Unfall Richards Diamantring verloren. Ich glaube nicht, dass er das schon weiß, und es wird ihn vermutlich nicht gerade freuen.“

„Er war mir immer zu groß, und ich habe genau den gleichen bei Rundells gesehen, als ich vor ein paar Wochen dort im Laden war, insofern sollte es nicht zu schwer sein, ihn zu ersetzen.“

Maria lachte. „Es sieht Richard ähnlich, etwas Billiges direkt aus dem Laden zu kaufen, Sephora, wenn du doch offensichtlich so viel mehr verdienst.“

„Ich war zufrieden damit.“

„Ich glaube nicht, dass Francis St. Cartmail mit seinem neugewonnenen Vermögen so sparsam wäre, wenn er heiraten wollte. Es heißt, er ist als reicher Mann aus Amerika zurückgekehrt, reich durch eine Goldader. Aber nach deiner Rettung sah er sehr schlecht aus, er wäre beinahe gestürzt, weil er eine Art Panikanfall bekam und zitterte. Ich hoffe, er hat sich erholt.“

Ganz plötzlich erinnerte sich Sephora daran, erinnerte sich, wie erschöpft er plötzlich gewesen war, als er die letzten Meter durch den Schlamm watete. „War er sonst noch irgendwo verletzt?“

„Du meinst, abgesehen von den Kratzspuren, die du auf seinem Gesicht hinterlassen hast?“

Als Sephora nickte, antwortete Maria: „Ich habe nichts gesehen. Ich wunderte mich, warum der Earl nicht blieb, um sich in der Bewunderung derer zu sonnen, die der Rettung zugesehen hatten und ihn sicher beglückwünscht hätten, trotz seines schlechten Rufs. Es war sehr mutig und liebenswert von ihm, das zu tun, und das Wasser ist dort sehr tief und sehr kalt. Natürlich hat Richard neben dir gestanden mit seinem durchdringenden Blick und seinen tadellosen Referenzen. Vielleicht war es das, was Francis St. Cartmail vertrieben hat?“

„Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass Richard überhaupt dabei war. Ich weiß, dass er neben mir ritt, daran erinnere ich mich, aber danach …“

„Als du geschrien hast, kamen Douglas und seine beiden Freunde euch gerade entgegen und hatten in der Sekunde die Brücke erreicht.“

Dunkles Haar und dunkle Kleidung und vernarbte Haut unter ihren Fingern, als sie die Arme nach ihm ausgestreckt und sich festgehalten hatte.

Aus irgendeinem Grund konnte Sephora sich glasklar daran erinnern, aber ansonsten war alles verschwommen. Sie vermutete, dass das eine Reaktion darauf war, dass sie beinahe ertrunken wäre, und die Angst, die sie dabei empfunden hatte, denn zuvor war ihr nie etwas wirklich Schreckliches zugestoßen. Maria musterte sie prüfend und runzelte die Stirn.

„Sephora, hast du einmal daran gedacht, dass solche Ereignisse aus einem bestimmten Grund passieren?“

„Aus einem bestimmten Grund?“

„Du hast in der letzten Zeit nicht glücklich gewirkt, irgendwie abwesend. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann ist das der Fall, seit du dich einverstanden erklärt hast, Richards Frau zu werden. Er besitzt alles Geld der Welt, ein schönes Haus und eine Familie, die ihn für einen Gott hält, und dabei habe ich noch nicht einmal seine Stellung in der Gesellschaft berücksichtigt, aber …“ Sie hielt inne.

„Du hast ihn nie gemocht, Maria. Von Anfang an nicht.“

„Er ist ein aufgeblasener Kerl und so sehr von sich überzeugt, gratuliert sich ständig selbst zum nächsten Erfolg und dem nächsten Triumph.“

Gegen ihren Willen musste Sephora lachen. „Er tut sehr viel Gutes für andere …“

„Und noch viel mehr für sich selbst“, gab ihre Schwester zurück.

„Er ist freundlich zu seiner Familie …“

„Und noch freundlicher zu all jenen, die ihm bei seinem steten Aufstieg im ton behilflich sein können.“

„Er liebt mich.“

Maria nickte. „Ja, das will ich ihm zubilligen, aber wer bewundert dich nicht, Sephora? Mir ist noch kein Mensch begegnet, der etwas Schlechtes über dich sagen kann, und das schließt auch die zahllosen Verehrer mit ein, deren Bewerbung um deine Hand du freundlich abgelehnt hast.“

„Du übertreibst, Maria.“

Manchmal bin ich nicht nett. Manchmal könnte ich schreien, so langweilig ist die Person, zu der ich geworden bin. Manchmal gibt es einen anderen Menschen in mir, gleich unter der Oberfläche, der darum kämpft, zu atmen und befreit zu werden.

Wie St. Cartmail mit seinen Lippen ihren Mund berührt hatte, wie er mit seiner Hand fest und entschlossen ihren Nacken umfasst hatte. Der Atemzug, den er mit ihr geteilt hatte, als sie selbst keinen mehr übrig gehabt hatte.

Douglas hatte sie wie ein Kind auf die Arme genommen, als würde sie überhaupt nichts wiegen, als hätte er sie den ganzen Flusslauf entlanggetragen und würde gar nichts davon spüren. In der Kraft eines Mannes liegt eine gewisse Sicherheit, dachte sie, das Gefühl, beschützt zu werden, etwas Magisches. Richard mit seinem städtischen Körper und seiner Magerkeit würde kaum in der Lage sein, sie hochzuheben.

Vergleiche.

Warum um alles in der Welt dachte sie so etwas? St. Cartmail war wild, besorgniserregend, ein Unbekannter. Sie hatte gehört, dass er in Amerika einen Mann umgebracht hatte und davongekommen war.

Am nächsten Tag fühlte sie sich, als hätte etwas Schweres sie überrollt, die Muskeln, in denen sie am Vortag ein leichtes Ziehen verspürt hatte, machten sich jetzt mit pochendem Schmerz bemerkbar.

Das leise Klopfen ihrer Mutter veranlasste sie, sich umzudrehen. „Ich bin so dankbar, dich wohlausgeruht zu sehen, meine Liebe, denn du hast uns allen gestern einen furchtbaren Schreck eingejagt. Aber jetzt ist es später Vormittag, und Richard ist hier und würde gern, wenn es möglich ist, ein paar kurze Worte mit dir wechseln.“

Elizabeth setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, und ihre finstere Miene war an diesem Tag unübersehbar. „Während er mit Vater spricht, sollten wir dich anziehen und repräsentabel aussehen lassen. Es würde dir guttun, aufzustehen, denn nach einem solchen Erlebnis solltest du bald wieder im Sattel sitzen …“ Sie verstummte, als ihr bewusst wurde, was sie da gesagt hatte. „Natürlich nicht wörtlich, und ganz sicher wirst du nie wieder auf diesem schrecklichen Hengst reiten. Aber es sollte wieder Normalität einkehren, und je eher das geschieht, desto besser.“

Sephora fühlte sich überfordert und zog sich einfach die Decke über den Kopf, um alle anderen fernzuhalten. Wenn sie erklärte, sie wäre nicht in der Lage, Richard zu empfangen, würde er es dann akzeptieren oder würde er darauf bestehen, sie zu sehen? Er gehörte nicht zu der Sorte Mann, die bereit war, sich in Geduld zu üben, und manchmal sah sie hinter seinem freundlichen Lächeln eine Härte, die sie irritierte.

Sie wusste, dass sie nicht bis in alle Ewigkeit in ihrem Schlafzimmer bleiben konnte, und sie verstand auch, dass sie das Problem nur aufschieben würde, wenn sie dieses Treffen verweigerte.

Sie schob die Bettdecke weg, erhob sich und war froh, als ihre Zofe kam, um ihr beim Ankleiden behilflich zu sein.

Als Richard den kleinen blauen Salon betrat, stellte Sephora fest, dass auch ihre Mutter anwesend war, vermutlich, um sicherzustellen, dass alles so verlief, wie es sich gehörte, dass der Anstand gewahrt blieb und alle Regeln befolgt wurden.

„Meine Liebe.“ Die Hände, mit denen er nach ihren griff, fühlten sich warm an, der Ausdruck seiner braunen Augen war besorgt. „Mein liebstes, allerliebstes Mädchen. Es tut mir so schrecklich leid.“

„Es tut dir leid?“ Sephora begriff nicht, was er damit meinte.

„Natürlich hätte ich dir nachspringen müssen. Ich hätte nicht zögern dürfen, aber weißt du, ich bin ein schlechter Schwimmer, und das Wasser dort ist sehr tief …“ Er hielt inne, als würde ihm gerade bewusst, dass er immer ungeschickter wirkte, je mehr er sagte. „Wenn ich dich nun verloren hätte …“

„Nun, das hast du nicht, Richard, und ehrlich gesagt, bin ich weitestgehend unverletzt und habe es schon fast überwunden.“

„Dein Bein?“

„Ein kleiner Schnitt dort, wo ich das Steingeländer gestreift habe, aber sonst nichts. Ich glaube nicht, dass ich auch nur eine Narbe davontragen werde.“

„Ich habe eine Nachricht geschickt, mit der ich mich bei Douglas bedankt habe, sodass es für dich nicht nötig sein wird, noch einmal in Kontakt mit ihm zu treten. Ich bedaure nur, dass es nicht Wesley oder Ross waren, die dich gerettet haben, denn es wäre sehr viel leichter, ihnen zu danken.“

„In welcher Hinsicht?“ Sie befreite sich von seinen Händen und faltete ihre im Schoß. Ganz plötzlich wurde ihr kalt.

„Die beiden sind Gentlemen. Ich glaube nicht, dass Douglas überhaupt weiß, was dieses Wort bedeutet. Hast du gesehen, wie er einfach davonging, ohne etwas zu sagen oder zu erklären? Ein Gentleman hätte sich zumindest noch lange genug aufgehalten, um festzustellen, ob du noch am Leben bist. Zu jenem Zeitpunkt sahst du nicht gerade danach aus.“

Sephora erinnerte sich, dass sie sich immer und immer wieder auf Francis St. Cartmail erbrochen hatte, als sie aus dem tiefen Wasser ans Ufer wateten, und Flusswasser und Tränen hatten sich auf seinem verdorbenen dunkelbraunen Rock vermengt. Er trug einen Ring, fiel ihr dann ein, am kleinen Finger seiner linken Hand, ein schweres Stück aus Gold und einem Rubin.

„Am Ufer habe ich dich ihm abgenommen, Sephora. Meine eigene Reitjacke hat dabei gelitten, aber wenigstens warst du in Sicherheit. Ein Bursche holte eine Decke und legte sie um dich, und ich schickte nach meiner Kutsche und habe allen anderen Anweisungen gegeben. Es war ein ziemlicher Tumult wirklich, und es gehörte einiges an Organisation von meiner Seite dazu, um die Ordnung wieder herzustellen, aber ich bin froh, dass alles am Ende so gut verlief.“

Sephora dachte nach über all die Dinge, die Richard für sie getan hatte, all die Hilfe und die guten Absichten, die Kutsche, die voll war von wärmenden Wolldecken, seine Umsicht und seine Besorgnis waren so unübersehbar.

Ganz plötzlich begann sie zu weinen, ein Gefühl, das ganz aus ihrem Innern kam und ihr in die Kehle stieg, ein tiefes, ganz und gar nicht damenhaftes Heulen, das ihr Herz, ihren Verstand und ihre Zurückhaltung traf. Unabänderlich. Unerklärlich. Verzweifelt.

Ihre Mutter eilte herbei und schloss sie in ihre tröstenden Arme, und Richard verließ das Zimmer so schnell wie es ihm nur möglich war, ohne unhöflich zu wirken. Sephora war froh, dass er fort war.

„Männer haben nie ein Gefühl dafür, was sie in einer Krisensituation sagen sollen, Liebes. Richard war wirklich ganz wunderbar mit seinen Anweisungen und seiner Vorsorge und seiner Klugheit. Mehr hätten wir uns nicht wünschen können.“

„Mehr?“ Das eine Wort fiel in die Stille.

Er war ihr nicht ins Wasser hinterhergesprungen, er hatte nicht sein Leben für sie riskiert. Stattdessen hatte er nur zugesehen, wie sie gestürzt und in den Fluss gefallen war, immer tiefer und tiefer gesunken war in das dunkle kalte Wasser, ohne Luft zum Atmen und ohne Hoffnung.

Richard hatte getan, was er für ausreichend hielt, und er war ihr Verlobter. Dem Earl of Douglas war sie noch nie zuvor begegnet, und doch war Francis St. Cartmail ohne Zögern ins Wasser gesprungen, um sie zu retten aus den eisigen grünen Tiefen.

Sie wusste nicht mehr, was die Wahrheit war und was nicht. Durch eine einzige selbstlose Tat war ihr Leben auf den Kopf gestellt worden, und alles stand nun infrage, unsicher und unklar in einer verworrenen Realität. Diese Sekunden, diese Momente, dieser Morgen, an dem die Sonne durch die großen Fenster einfiel.

Wäre Lord Douglas ihr nicht nachgesprungen, hätte sie jetzt in einem kalten Marmorsarkophag im Familienmausoleum gelegen, durch ein Missgeschick ertrunken, die unglückliche, tragische Lady Sephora Connaught, zweiundzwanzigeinhalb Jahre alt und tot.

Sie bohrte sich die Fingernägel in die Haut an ihrem Handgelenk, wo sie weiße halbmondförmige Abdrücke hinterließen, die schrecklich wehtaten, und der Schmerz gefiel ihr. Er zeigte ihr, dass sie am Leben war, aber das taube Gefühl, das ihr Herz umgab, breitete sich aus, und sie konnte nichts tun, um das zu verhindern.

2. KAPITEL

Nach der Rettungsaktion am Fluss zog Francis seinen durchnässten Rock aus, legte sich auf das Sofa in seiner Bibliothek und schloss die Augen, um die aufsteigende Übelkeit niederzuringen. Seine Kleidung war vollkommen durchnässt, aber in diesem Augenblick brauchte er nichts als Ruhe.

Es war immer so erschreckend überwältigend wie jetzt, es kam plötzlich über ihn, zog ihn von allem weg, das ihn umgab, und schickte ihn in andere Momente, andere Zeiten, andere Orte, an die er sich nicht erinnern wollte.

Nicht einmal die veränderte Umgebung vermochte die Panik zu verbannen, auch wenn es hier, zwischen seinen Büchern, leichter war abzuwarten und seine Kehle sich nicht mehr wie zugeschnürt anfühlte.

„Trink etwas, Francis. Und falls du uns dann wegsterben solltest, dann wenigstens nicht mehr mit dem schlechten Geschmack der Themse im Mund.“ Gabriel reichte ihm ein großes Glas, das bis zum Rand mit Brandy gefüllt war, und Francis setzte sich auf und trank zwei große Schlucke, ehe er das Glas abstellte.

„Das ist – mir schon früher passiert. Es – es ist nicht tödlich. Es ist nur – nur verdammt unangenehm.“ Noch immer zitterte er, und das war auch in seiner Stimme zu hören. Er fühlte sich, als wäre da Eis in seinen Knochen und zerbrochenes Glas in seinem Kopf. Er war so schrecklich müde.

„Warum?“ Ein Wort nur von Lucien, hart und zornig. „Es ist die Affäre bei Hutton’s Landing, nicht wahr? Diese verdammte Sache mit Seth Greenwood, und irgendwie ist sein Tod jetzt für immer dein Problem.“

Francis schüttelte den Kopf. „Es ist – der Schlamm.“

„Der Schlamm?“

„Der Schlamm, der uns bedeckte. Manchmal kommt die Erinnerung zurück – und ich kann mich gegen das Gefühl nicht wehren.“

„Himmel, Francis. Du bist nach Amerika gegangen und als ein vollkommen anderer Mann zurückgekommen. Reicher, das will ich dir zugestehen, aber – verändert in einer Art und Weise, die an dir zehrt, und du lässt dir von uns nicht helfen.“

Francis versuchte, sich zu konzentrieren, um herauszufinden, was nun wichtig war.

„Wer war – sie?“

„Das Mädchen, das du aus der Themse gefischt hast? Du weißt es nicht?“ Lucien musste lächeln. „Das war Lady Sephora Connaught, der so genannte Engel des ton, die Frau, der jedes weibliche Wesen nachzueifern versucht – und die mit Richard Allerly verlobt ist.“

„Der Marquess of Winslow. Der Sohn des Dukes?“

„Sein einziger Sohn. Die perfekte Verbindung. Beide Elternpaare sind gute Freunde. Braut und Bräutigam kennen einander, seit sie Kinder waren, und dann wurde mehr daraus. Es wird die Hochzeit des Jahres sein.“

Gabriel, der auf der anderen Seite des Zimmers stand, schien diese so positive Sichtweise nicht zu teilen. „Allerly ist ein Dummkopf, Luce, und das weißt du, und außerdem ist er ein verdammter Feigling.“

Zum ersten Mal seit einer Stunde spürte Francis, dass bei diesem Themenwechsel sein Zittern nachließ. „Inwiefern ist er ein Feigling?“

„Winslow war dabei, verdammt, er war gleich hinter seiner zukünftigen Frau. Er hat zugesehen, wie ihr scheuendes Pferd sie über das Geländer und in den Fluss hinunterwarf.“

„Und er hat nichts unternommen?“

„Nun, ganz offensichtlich ist er nicht ohne nachzudenken von einer hohen Brücke in einen Fluss mit heftiger Strömung gesprungen. Sein Verhalten wäre am besten damit beschrieben, dass er sich gegen die Steine des Geländers presste. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest war der Griff, mit dem er sich festklammerte.“

Lucien sah aus, als fände er Gabriels Beschreibung außerordentlich amüsant. „Aber als du sie ans Ufer getragen hast, Francis, da war Allerly eiligst zur Stelle. Mir ist aufgefallen, dass er darauf achtete, keinen Schlamm an seine neuen Stiefel kommen zu lassen, als er sie deinen Händen entriss.“

„Entrissen hat er sie kaum“, erwiderte Gabriel. „So wie es aussah, wusste zumindest das Mädchen, wer ihr Retter war, und der Marquess brauchte etwas Zeit, um sie dazu zu bringen, dich loszulassen. Und ihr Mieder war zerfetzt. Ihr Geliebter ließ sich Zeit, in Ruhe zu betrachten, was es da zu sehen gab, ehe er seinen eigenen Rock auszog, um sie zu bedecken. Lady Alford, Sephora Connaughts Mutter, sah nicht so aus, als wäre sie mit ihm zufrieden.“

Zum ersten Mal seit Stunden entspannte Francis sich. „Es scheint, als hätte Lady Sephora euch alle beide ziemlich beeindruckt.“

Gabriel wehrte ab. „Wir sind beide glücklich verheiratete Männer, Francis. Aber wir hoffen, dass du ihren offensichtlichen Charme bemerkt hast.“

„Nun, das habe ich nicht. Ich habe zu sehr gezittert.“

Francis lehnte sich auf dem Sofa zurück und hüllte sich in eine Decke, ehe er den Rest des starken Brandys austrank. Der Name, den er gerade gehört hatte, war ihm vertraut, und er versuchte, ihn zuzuordnen.

„Lady Sephora Connaught. Kann es sein, dass ich sie kenne?“

„Sie ist Anne-Marie McDowells jüngste Kusine.“

Anne-Marie. Ihr hatte er vor vielen Jahren den Hof gemacht, aber sie war plötzlich an einer kurzen Krankheit gestorben, ehe sie ihre Beziehung vertiefen konnten. Als er das erfuhr, hatte er sich betrunken, so sehr betrunken, dass er es nicht einmal zu ihrem Begräbnis geschafft hatte. Rückblickend betrachtet vermutete er, dass seine Reaktion nicht nur von dem Schock über Anne-Maries Tod gekommen war, sondern weil er daran erinnert worden war, dass der Sensenmann sich die Menschen wahllos holte, ohne nach dem Alter, der Erfahrung oder dem Charakter zu fragen.

Die Familie allerdings war über seine Abwesenheit nicht sehr erfreut gewesen, und jetzt wusste er, dass er die Angelegenheit mit mehr Souveränität hätte handhaben müssen, als er es getan hatte.

Dort, wo Sephora Connaught ihn gekratzt hatte, schmerzte ihn die rechte Wange. Drei rote Striche verliefen vom Auge bis zum Kinn, das hatte er im Spiegel gesehen. Er hoffte, dass sie sich nicht entzündeten, so wie die Wunde auf der anderen Wange es getan hatte, und schloss die Augen.

Als er sich an diesem Tag von der Brücke gestürzt hatte, hatte ein Teil von ihm gehofft, nie wieder an die Oberfläche zu kommen, und wenn er nie wieder auftauchte, würde er als Held gefeiert werden. Eine solche Hinterlassenschaft würde vielleicht das nächtliche Heulen seiner Vorfahren zum Verstummen bringen. Die Porträts der Douglas’ säumten den steilen Treppenaufgang, wenn er nachts zu seinem Schlafzimmer ging, und es lag etwas Tröstliches darin, sich so etwas vorzustellen, bevor sein wahres Leben von Klatsch und böswilligen Unterstellungen zerstampft würde.

Einsam lief er vor einer Vergangenheit davon, die ihn immer wieder einzuholen drohte, selbst hier, in einem ruhigen, warmen Zimmer und in der Gesellschaft von Freunden. Er hob das Glas mit dem Brandy an die Lippen und trank es leer.

„Du siehst aus wie ein Mann, der seine Dämonen loswerden muss, Francis.“ Das kam von Gabriel, dessen Stimme besorgt klang. „Adelaide ist der Meinung, du hast denselben Ausdruck, den auch ich hatte, als sie mir zum ersten Mal begegnete, voller Geheimnisse und Bedauern.“

„Wie ist es ihr gelungen, dich zu heilen?“

„Oh, eine gute Ehefrau hat da so ihre Methoden, glaub mir, und meine gehört nicht zu den Frauen, die jemals etwas aufgeben.“

Jetzt mischte sich auch Lucien in das Gespräch ein. „Das ist genau das, was du brauchst. Eine Frau mit gesundem Menschenverstand, Geist und Humor.“

„Und wo, glaubst du, könnte ich dieses Muster einer Frau, das du hier beschreibst, finden?“ Der Brandy lockerte ihm die Zunge und vertrieb das Zittern, und mit der Decke über seinen Schultern fühlte er sich endlich warm und sicher.

„Vielleicht hast du sie schon gefunden und weißt es nur noch nicht.“

Ungläubig runzelte Francis die Stirn. „Lady Sephora Connaught ist verlobt und steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem einzigen Sohn eines Dukes. Ein kleines Hindernis, meinst du nicht auch, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich noch kein Wort mit ihr gewechselt habe.“

„Aber das wirst du. Sie wird dir dafür danken müssen, dass du dein Leben für sie riskiert hast, und ich bin sicher, ein Sprung in einen gefährlichen eiskalten Fluss wird eine Gegenleistung notwendig machen.“

„Der Brandy scheint euch beide dazu zu bringen, Unsinn zu reden, denn ich bin verdammt sicher, dass der so genannte Engel des ton über genügend gesunden Menschenverstand verfügt, um sich von mir fernzuhalten, oder?“

„Du stellst dich zu schlecht dar, Francis. Adam Stevenage, Seth Greenwoods Cousin, hat gesagt, du hättest versucht, Seth zu retten. Er sagte, du hättest ihn den ganzen Tag lang oberhalb des Wassers und des Schlamms gehalten, und dass es am Ende die Kälte war, die ihn mit Einbruch der Dunkelheit getötet hat.“ Das sagte Lucien mit leiser Stimme, aber voller Überzeugung.

„Aufhören.“ In diesem einen Wort lag ein Zorn, den Francis nicht verbergen konnte, und er wandte sich von beiden Freunden ab, die ihn ansahen. „Du weißt überhaupt nichts über das, was bei Hutton’s Landing passiert ist.“

„Dann erzähl es uns. Lass uns dir dabei helfen, es zu verstehen, anstatt dich wegen der Folgen aufzureiben.“

Francis schüttelte den Kopf, aber er konnte nicht verhindern, dass die Worte aus ihm herauskamen. „Stevenage irrt sich. Ich habe Seth mit meiner eigenen Dummheit getötet.“

„Wie das?“

„Es war die Gier. Nach dem ersten Glückstreffer wollte er gehen, aber ich habe ihn überredet zu bleiben.“

„Für wie lange?“

„Einen Monat oder mehr.“

„Dreißig Tage?“ Lucien stand auf und trat ans Fenster. „Damit hätte er genügend Zeit gehabt, um seine Meinung zu ändern, wenn er es wirklich gewollt hätte. Wie lange hast du heute gebraucht, um dich zu entscheiden, in den Fluss zu springen?“

Francis runzelte abermals die Stirn. Er wusste nicht, worauf der Freund hinauswollte, und Lucien sprach weiter.

„Zwei Sekunden, fünf Sekunden, zehn?“

„Zwei vielleicht.“ Er antwortete ganz ruhig.

„Hast du während dieser Sekunden daran gedacht, deine Meinung zu ändern?“

„Nein.“

„Nun, Seth Greenwood hatte Millionen und Abermillionen Sekunden Zeit, Francis, und er hat seine Meinung ebenso wenig geändert. Wäre es unsere Schuld gewesen, wenn du heute gesprungen und nie wieder aufgetaucht wärst? Hätten wir uns bis in alle Ewigkeit in Schuldgefühlen wälzen müssen, weil du entschieden hast zu versuchen, Lady Sephora Connaught zu retten? Sind die Taten des einen Mannes das Kreuz des anderen, das er für immer tragen muss, wenn die Dinge sich nicht so entwickeln, wie sie sollten?“

Gabriel begann zu lachen und holte die Brandyflasche, um ihre Gläser wieder zu füllen.

„Du hättest Jurist werden sollen, Luce, und du, Francis, hättest ein Mann der Kirche werden sollen. Streit und Schuldgefühle haben ihre eigenen Methoden, den Verstand eines Mannes zu verwirren, daran gibt es keinen Zweifel. Aber trinken wir auf die Freundschaft. Und auf das Leben, das noch übrig ist“, fügte er hinzu, als sie einander im schwindenden Licht der Bibliothek zuprosteten.

„Ich danke euch.“ Francis fühlte sich unendlich viel besser, war erleichtert durch die plausiblen Worte seines Freundes. Es stimmte, er hatte sich in seinen Schuldgefühlen verloren, war in der Dunkelheit geblieben, wie ein Mann, der jede Hoffnung aufgegeben hatte und nicht weitermachen konnte.

Aber es musste weitergehen. Er musste wieder leben und daran glauben, dass er alles wiederfinden könnte, was er einst gehabt hatte. Glück. Freude. Die Kraft, sich selbst treu zu sein.

Ehe er ins Wasser gesprungen war, hatte er eine Stimme gehört. Ob sie von oben kam oder nur in seinem Kopf existierte, das wusste er nicht. Es war eine Stimme, die er kannte und liebte, eine Stimme, die ihm befahl, das Mädchen zu retten, um sich selbst zu retten und wieder ein ganzer Mensch zu werden.

Himmel, stand er im Begriff, verrückt zu werden? War dieser Wahnsinn die Folge von zu viel Selbstbetrachtung und Schuld? Er hob sein Glas und trank einen großen Schluck, und er dachte daran, dass er seinen Freunden nur die Hälfte jener langen und schmutzigen Geschichte erzählt hatte, weil die andere Hälfte zu schmerzlich für jeden sein würde, um sie anzuhören.

3. KAPITEL

Fünf Tage danach kam sein Butler mit sehr finsterer Miene in die Bibliothek.

„Ein Gentleman möchte Sie sprechen, Lord Douglas. Er kommt aus Hastings, Mylord. Dies hier hat er mir gegeben.“

Walsh reichte ihm eine Karte, und Francis betrachtete sie. Mr. Ignatius Wiggins, Anwalt, stand dort zu lesen. „Führen Sie ihn herein, Walsh.“

Der Anwalt war ein kleiner Mann, der altmodische braune Kleidung trug. Er wirkte nervös, als er an dem Verschluss einer Aktentasche aus Leder nestelte, die er wie einen Schild vor sich her trug.

„Ich bin der bestellte Nachlassverwalter von Mr. Clive Sherborne, Mylord, und bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass er vor einer Woche in Hastings ermordet wurde. Allem Anschein nach ging es schnell, eine durchschnittene Kehle und ein Stich in die Nieren.“

Gütiger Himmel, dachte Francis. Er stand auf, um die Grausamkeit eines solchen Todes zu verarbeiten, und er dachte an den Ermordeten. Er war Sherborne nur einmal begegnet, als dieser in das Stadthaus der Douglas’ gekommen war, zusammen mit seiner Frau, einer auffällig gekleideten, aber attraktiven Erscheinung von üblem Charakter und noch schlechterer Ausdrucksweise. Sie waren gekommen mit dem ausdrücklichen Vorhaben, seinem Onkel von der Geburt eines Babys zu berichten, von dem sie behaupteten, er hätte es gezeugt. Wiggins hatte die beiden begleitet.

Lynton St. Cartmail war außer sich gewesen und hatte mit solchen Betrügereien nichts zu tun haben wollen. Er hatte das eine Erpressung genannt, daran erinnerte Francis sich, und er hatte die beiden hinausgeworfen.

Clive Sherborne aber hatte das Kind, das die beiden mitgebracht hatten, in seinen Armen gehalten, ein weinendes, rotgesichtiges Baby mit dunklem Haar und heller Haut, und hatte angekündigt, einen Anwalt einzuschalten, der sich des Vierten Earl of Douglas annehmen sollte. Seine Stimme hatte sanft und traurig geklungen, ein Mann, der nicht aussah wie jemand, der Jahre später so heimtückisch ermordet werden würde, und Francis fragte sich, was in der Zwischenzeit geschehen sein mochte, dass so etwas passieren konnte.

„Mr. Sherborne hat mich gebeten, Sie über alle wichtigen Vorgänge in seinem Haus zu informieren, Mylord, und das tue ich hiermit – ich meine, ich informiere Sie über seinen Tod. Ein nach allgemein gültigen Vorstellungen unbedingt wichtiger Vorgang.“

„So ist es in der Tat, Mr. Wiggins.“ Ganz kurz fragte sich Francis, ob die Mutter des Kindes, Sherbornes Frau, wohl noch am Leben sein mochte, und was aus dem kleinen Mädchen geworden war. Und er fragte sich auch, warum Wiggins hierhergekommen war, in Anbetracht der Tatsache, dass so viele Jahre vergangen waren, seit er das letzte Mal hier gewesen war.

„Der Dahingegangene hat bei mir einen Brief hinterlegt, Sir, in besseren Zeiten, müssen Sie wissen, eine Nachricht, die im Falle seines Todes nur in Ihre Hände übergeben werden sollte, denn er wollte sichergehen, dass Anna Sherborne – versorgt wird. Er hat großen Wert darauf gelegt, dass ich Ihnen diese letzte Botschaft persönlich überreiche, Mylord, und dass ich niemand anderen an meiner Stelle schicken sollte …“

Francis erinnerte sich genau an Wiggins, denn der Mann sah noch genauso aus wie damals. Beim letzten Mal hatte er angesichts der Situation heftig gestikuliert, aber dieses Mal hatte er die Hände fest miteinander verschränkt, und in seinen Augen war eine kaum versteckte Verwunderung zu erkennen, vermischt mit Furcht.

„Ich werde nicht länger Teil dieser Lügen sein, Lord Douglas. Ihr Onkel, der Vierte Earl of Douglas, Lynton St. Cartmail, hat mich gut bezahlt, um über seine illegitime Tochter Stillschweigen zu bewahren, und das habe ich seither bedauert.“

„Er hat Sie bezahlt?“

„Aus seiner eigenen privaten Tasche, Mylord, und die war üppig gefüllt. Die Belege sind alle hier.“

Entsetzen schnürte Francis die Kehle zu. Der Gedanke an ein Kind, das tatsächlich seine Kusine war, und ein Opfer dieses Frauenhelden, schockierte ihn so sehr, dass sich die Härchen an seinen Armen aufstellten. Lynton hatte gelacht und die Angelegenheit als Farce bezeichnet, als dreiste Lüge einer irregeleiteten Dirne, die sich an den Geldtruhen der Familie Douglas bereichern wollte, und der damals zweiundzwanzigjährige Francis hatte keinen Grund gehabt, etwas anderes zu denken, als dass der alte Earl die Wahrheit sagte. Noch jetzt konnte er so viel Falschheit kaum glauben und bemühte sich, weiter zuzuhören, als der Anwalt fortfuhr.

„Dies ist das Ende, verstehen Sie, und ich werde nicht für die Konsequenzen verantwortlich gemacht. Ich bin ein älterer Mann, Mylord, und ich versuche meinen Frieden mit dem Allmächtigen zu schließen, und dieser Betrug hat jahrelang schwer auf meinem Gewissen gelastet.“

Er öffnete seine Tasche und nahm einen dicken Stapel Papiere heraus, die er auf den Tisch legte. „Dies ist die Nachricht, die Mr. Sherborne in meiner Obhut hinterließ. Darin sind die Beträge aufgelistet, die die Familie Douglas ihm zukommen ließen, damit er das Kind aufzog, und zusätzlich noch alle Sonderzahlungen. Außerdem möchte ich gern erwähnen, dass sich mit Gold zwar manche Dinge kaufen lassen, dass Glück aber nicht dazugehört. Unglücklicherweise ist Miss Anna Sherborne nun im Wesentlichen der Gnade der Gemeinde überlassen, wo niemand etwas weiß über die wahren Umstände ihrer Herkunft und ihres Ranges.“

Autor

Sophia James
Romane von Georgette Heyer prägten Sophias Lesegewohnheiten. Als Teenager lag sie schmökernd in der Sonne auf der Veranda ihrer Großmutter mit Ausblick auf die stürmische Küste.
Ihre Karriere als Autorin nahm jedoch in Bilbao, Spanien, ihren Anfang. Nachdem ihr drei Weißheitszähne gezogen wurden, lag sie aufgrund starker Schmerzmittel tagelang flach. Die...
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