Sklavin des tapferen Wikingers

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Lady Fearns Schicksal ist besiegelt: Ein Jahr muss die schöne Angelsächsin mit dem Wikingerfürsten Aric dem Unbarmherzigen leben, als Rache für etwas, das Fearns Vater ihm angetan hat. Doch was als Strafe gedacht war, wird zu sinnlicher Lust: Der blonde Hüne versteht sich meisterhaft darauf, das Feuer des Verlangens in seiner Gefangenen zu schüren. Mit süßen Folgen - aber was, wenn er das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, nach Ablauf des Jahres behalten will? Bei Nacht und Nebel flieht Fearn und gerät Sklavenhändlern in die Hände! Ihr Leben scheint endgültig verspielt. Es sei denn, der Wikinger rettet sie, bevor sie verschleppt wird …


  • Erscheinungstag 15.10.2019
  • Bandnummer 354
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736965
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jorvik – heute bekannt als York –, im Jahr 993

Es war noch früh am Morgen, doch es lag bereits ein dichter Rauchschleier über den reetgedeckten Häusern von Jorvik, wie eine graue Decke, die langsam mit dem ersten Dämmerlicht verschmolz. Die Feuerstelle des Schmieds brannte bereits lichterloh, genau wie die Öfen des Glasers und des Töpfers, des Bäckers und des Münzmeisters. Lady Fearn und ihre junge Dienstmagd Haesel waren schnellen Schrittes auf dem Pfad stadtauswärts unterwegs, und bald schon erreichten sie das Flussufer, wo die Schiffe der Händler in gehörigem Sicherheitsabstand zum Hafen vertäut waren. Friedlich dümpelten sie auf dem bräunlichen Wasser, während der Fährmann sein Boot vom Ufer in den Fluss zog.

„Guten Morgen, meine Damen!“, rief er. „Nehmt Ihr heute nicht die Brücke?“

Die Brücke über die Ouse, den Fluss, der durch Jorvik floss, befand sich in der Nähe des Hafens, der heute allerdings verlassen dalag, denn Berichten zufolge war eine Langschiffflotte vor zwei Tagen dabei gesichtet worden, wie sie die Mündung des Humbers hinaufgefahren war. Die Handelsschiffe wären zu leicht zu erkennen und daher leichte Beute.

Fearn verzichtete auf eine Antwort. „Könnt Ihr uns auf die andere Seite bringen, Gaut?“, fragte sie. „Wir wollen nach Clementhorpe.“

Gestern Abend hatten sie und Haesel ein paar Leinenkittel fertig genäht für die Kranken und Alten, um die sich die zwölf Nonnen im Kloster aufopferungsvoll kümmerten, und Fearn, die Ziehtochter von Earl Thored of Northumbria, hatte nicht vor, ihnen wegen eines drohenden Wikingerangriffs ihre Hilfe zu verweigern.

Das Kloster Clementhorpe bestand lediglich aus einer Ansammlung von ein paar Hütten, einigen Ställen für die Tiere, einer Krankenstation und einer kleinen schindelgedeckten Kirche am äußeren Rand von Jorvik. Zwei Kühe grasten mit ihren Kälbchen auf der Weide vor dem Wald, außerdem gab es einen Obst- und einen Kräutergarten sowie mehrere Gemüsebeete, die von den Nonnen liebevoll gepflegt wurden. Ihre meist adelige Herkunft war nicht von Bedeutung, hier hießen alle einfach nur „Schwester“, bis auf Mutter Bridget, die Gründerin des Konvents.

„Willkommen, meine Lieben“, sagte diese, als die Frauen eintrafen, und nahm ihnen die Bündel ab. „Wie überaus freundlich von Euch. Ich hoffe, der Earl hat nichts dagegen, dass Ihr so oft zu uns kommt, Mylady.“ Wenn sie sprach, konnte man eine irische Einfärbung hören, sodass jedes ihrer Worte wie Musik klang.

Fearn lächelte über ihre Sorge. Earl Thored war zwar christlich getauft, doch er tat sich schwer damit, seinen alten heidnischen Glauben ganz abzulegen. Er war überzeugt davon, dass es nicht schaden konnte, im Zweifelsfall auch auf die zahlreichen altbewährten Götter zurückzugreifen.

„Nein, er hat nicht das Geringste dagegen, Mutter“, sagte Fearn, als sie der Nonne ins Innere des Hauses folgte. Ein Feuer brannte im Ofen, und zwei Schwestern arbeiteten mit geschickten Fingern an einem Webstuhl. „Er hat ganz andere Dinge im Kopf“, fügte sie hinzu. „Seit die Dänen gesichtet wurden, erhält er Tag und Nacht neue Nachrichten.“

„Ist er denn sicher, dass es wirklich Dänen sind? Keine Nordmänner?“ Sie zeigte auf einen gepolsterten Stuhl und brachte ihnen jeweils einen Becher mit Buttermilch. Als sie Fearn das Getränk reichte, musterte Mutter Bridget noch einmal Fearns schöne Gesichtszüge. Ein paar dicke schwarze Haarsträhnen lugten unter dem weißen Schleier mit dem goldenen Reif hervor, die dichten Wimpern und die feinen Brauen waren ebenso schwarz wie ihr Haar und umrahmten das wohl auffälligste Merkmal in ihrem Gesicht: ihre Augen. Eines war moosgrün und das andere leuchtete so blau wie Vergissmeinnicht. Auch ohne diese Besonderheit wäre sie schon eine Schönheit gewesen, doch diese Auffälligkeit verlieh Fearn eine beinahe hypnotische Wirkung, und zwar auf jeden, der sie ansah.

Mutter Bridget hatte gehofft, dass die junge Frau heute kommen würde, und hatte die ganze Nacht für ihre Sicherheit gebetet. Sie wäre nämlich in großer Gefahr, wenn die Eindringlinge einen Blick auf sie werfen sollten, denn sowohl Wikinger, Dänen als auch Nordmänner waren berüchtigt für ihre Grausamkeit Frauen gegenüber. Fearn und Haesel hätten keine Chance.

„Es sind sicher Dänen.“ Fearn nahm einen Schluck von dem kühlen Getränk. „Swein Forkbeards Männer. Sie kommen, um die nächste Tributzahlung zu holen. Er wird dieses Mal keine Zerstörungen in Jorvik anrichten, schließlich ist die Stadt jetzt zur Hälfte von seinen Leuten bevölkert. Ich glaube nicht, dass es zu Überfällen kommt, Mutter.“

Die Mutter Oberin stellte ihren Becher zur Seite. Durch ihre jahrelange Disziplin war sie in der Lage, sich weder Angst noch Sorge anmerken zu lassen. Schließlich hatte sie die meiste Zeit ihres Lebens in Angst verbracht. „Fearn“, sagte sie nun mit so viel Entschlossenheit, wie sie nur aufbringen konnte. „Hört mir gut zu.“

„Das tue ich immer, Mutter.“

„Aber dieses Mal ist es besonders wichtig. Was auch immer diese Männer hier wollen, als Frauen sind wir stets in Gefahr, und Ihr noch viel mehr als wir. Ihr wisst, wovon ich spreche. Es hat Jahre gedauert, bis sich unsere Gemeinde vom letzten Angriff erholt hat. Selbst wenn sie tatsächlich nur Tributzahlungen eintreiben wollen, so glaube ich trotzdem, dass der sicherste Ort für Euch und für Haesel hier bei uns im Wald ist. Ihr solltet Euch dort verstecken, bis sie fort sind. Wenn Ihr Euch im Saal des Earls blicken lasst, werden sie Euch als Beute betrachten und in ihren Besitz bringen wollen. Bitte, ich flehe Euch an, bleibt hier.“

Fearn war von Mutter Bridgets Sorge gerührt. Kaum jemand zeigte sonst auch nur das leiseste Interesse an ihrem Wohlergehen, am wenigsten Barda, Fearns Gemahl, einer der Soldaten ihres Ziehvaters. Er war ein bulliger, prahlerischer Mann mit rohen Manieren, der den christlichen Glauben nur angenommen hatte, um sie ehelichen zu können. Dennoch hoffte Fearn, die Mutter Oberin davon überzeugen zu können, dass sie in Sicherheit war. Barda würde alles verteidigen, was ihm gehörte, sogar sein Pferd.

„Ich bin Euch sehr dankbar, Mutter, wirklich. Aber ich werde mich nicht verstecken wie eine Geflohene; die Männer des Earls können mich beschützen und Barda ebenfalls. Er würde niemals zulassen, dass sie mich mitnehmen. Er ist zwar zu vielem imstande, aber er würde mich niemals hergeben. Macht Euch bitte keine Sorgen.“

Während sie sprach, dachten die drei Frauen daran, wozu Barda noch imstande war. Denn sie wussten alle, dass er gewalttätig gegenüber seiner Gemahlin auftrat, so viel stand fest. Mutter Bridget hatte schon oft die Male gesehen, die seine Schläge auf Fearns Körper hinterlassen hatten, und hatte sie behandelt. Fearn hatte noch niemals in ihrem Leben so etwas wie Liebe für einen Mann empfunden, und für Barda schien Liebe ein Fremdwort zu sein.

Ein unwilliges Seufzen entfuhr Mutter Bridget, und sie presste kopfschüttelnd ihre Lippen zusammen. „Nun gut“, sagte sie leise. „Ich hatte auch nicht geglaubt, dass Ihr Euch darauf einlassen würdet. Kann ich Euch wirklich nicht überzeugen?“

„Ich könnte Haesel hierlassen, sie ist noch so jung.“

„Danke, nein!“, rief Haesel aus, und erntete überraschte Blicke. „Es tut mir leid, Mylady, aber ich würde Euch nie alleinlassen. Das weiß die Mutter Oberin doch sicher auch.“

„Natürlich, mein Kind, genau wie Lady Fearn. Dann bleibt uns nur zu hoffen, dass ihr besitzergreifender Gemahl genauso loyal ist wie du. Weiß er, dass Ihr hier seid? Letztes Mal habt Ihr Ärger bekommen, wenn ich mich recht erinnere.“

Fearn lächelte kläglich. „Der Earl hat ihn und zwei weitere Männer losgeschickt, um Erkundigungen einzuholen. Sie reiten flussaufwärts in Richtung Küste. Vielleicht sind sie schon zurück und haben Neuigkeiten.“

„Dann trinkt besser aus und macht Euch auf den Rückweg. Und denkt noch einmal über meinen Rat nach, einen besseren werdet Ihr nicht bekommen.“

Schon gar nicht von Fearns gehässiger Schwiegermutter und ihrer ebenso abscheulichen Ziehmutter. Keine der beiden Frauen hatte Fearn jemals auch nur das kleinste Gefühl von Mütterlichkeit entgegengebracht. Im Gegenteil, ihre Missgunst ihr gegenüber war allzu offensichtlich. „Ich begleite Euch noch zum Fluss“, sagte Mutter Bridget und nahm ihnen die leeren Becher ab.

Die Ouse floss unterhalb des Obstgartens der Nonnen entlang und von dort aus in Richtung Nordsee. Normalerweise war die Luft vom Rufen der Arbeiter und dem metallischen Dröhnen der Hämmer, von Hundegebell und Kindergeschrei erfüllt. Doch heute herrschte auf dem Pfad, der an den Werkstätten entlang zum Ufer führte, eine unheilvolle Stille. Haesel blieb abrupt stehen und blickte in Richtung Sonne, die nun zwar hoch am Himmel stand, doch hinter einem dichten Dunstschleier verborgen war.

„Was ist?“, rief Fearn. „Siehst du etwas?“

„Ich rieche etwas“, antwortete Haesel, ohne sich umzudrehen. „Ihr nicht?“

Fearn und Mutter Bridget hoben die Köpfe und sogen die Luft ein. „Rauch“, flüsterte die Nonne. „Aber er kommt nicht aus Jorvik.“ Sie blickten weiter in die Ferne, denn dort, am Ufer des Flusses, befanden sich einige kleinere Dörfer. Mehrere graue Rauchsäulen stiegen hoch in den Himmel hinauf, immer wieder durchbrochen von stechend hellen Flammen. „Sie sind da!“, rief Fearn aus. „Oh, gütiger Gott, hab Gnade mit uns! Sie greifen doch an. Und sie werden schon bald hier sein. Schnell, lauf und warne den Earl! Renn! Und Ihr, Mutter, geht zurück! Sofort!“

Die Nonne zögerte, ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu erfüllen. Doch sie hatte weniger um sich selbst Angst, als um die zwei jungen wehrlosen Frauen. „Fearn, bitte, kommt mit mir zurück. Geht nicht weiter. Kommt zu uns und versteckt Euch in den Wäldern. Es ist sicherer.“ Sie umarmte die junge Frau, doch die machte sich los. „Nein, Mutter. Sie werden die Stadt nicht erneut überfallen. Beeilt Euch! Ich sende Euch eine Nachricht, sobald sie fort sind.“ Und schon lief sie mit Haesel auf die Fähre zu. „Möge Gott Euch schützen!“

Doch Mutter Bridget blieb stehen und schlug erschüttert die Hände vors Gesicht. Fearn drehte sich noch einmal um und blickte zurück. Die Masten der Schiffe würden jeden Moment an der Flussbiegung auftauchen.

Zu ihrem Schrecken mussten sie feststellen, dass Gaut die Fähre im Stich gelassen hatte und bereits geflohen war, doch immerhin befand sich das Boot auf ihrer Seite des Flusses. Sie griffen sich schnell jeweils ein Ruder und steckten es umständlich und mit zitternden Händen in die Halterungen, ehe sie sich schließlich vom Ufer wegstießen und losruderten, verzweifelt bemüht, einen Rhythmus zu finden. Unter anderen Umständen hätten sie über ihre Unbeholfenheit gelacht, doch jetzt hatten sie anderes im Sinn, denn durch die starke Strömung trieben sie weit weg von der Anlegestelle an, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als durch das schlammige Wasser ans Ufer zu waten. Als sie schließlich den Pfad zurück nach Earlsborough, einem der Stadtviertel von Jorvik, erreichten, gaben sie ein wesentlich weniger elegantes Bild ab als auf dem Hinweg. Und zu allem Übel wurde ihre Ankunft ausgerechnet von Catla, Fearns Schwiegermutter, und Hilda, ihrer Ziehmutter und die Gemahlin von Earl Thored, beobachtet, den zwei Frauen, die es noch nie gut gemeint hatten mit ihr; sie zeigten sich über die verschlammten Kleider, die schwer an den Beinen der jungen Frauen klebten, höchst entsetzt.

Obwohl sie der Priester schon häufig ermahnt hatte, dass es nicht schaden würde, sich diesen beiden Frauen gegenüber ein wenig unterwürfiger zu zeigen, beschloss Fearn, dass jetzt nicht der geeignete Augenblick war, um damit anzufangen. Schließlich erwarteten sie jeden Moment einen Wikingerangriff.

„Ja … ich weiß“, sagte sie schnell zu Catla. „Aber mein Aussehen ist jetzt unwichtig. Wo ist Earl Thored? Auf dem Fluss sind Angreifer, sie sind auf dem Weg hierher. Ist er im Saal?“

„Wenn du die Dänen meinst“, erwiderte Catla mit kalter Stimme, „dann ist dein Ziehvater bereits informiert. Es bestand also kein Grund für dich, die Heldin zu spielen, damit du die Erste bist, die ihm diese Nachricht überbringt. Alles ist unter Kontrolle.“ In ihrem Gesicht spiegelte sich deutlich ihre Abneigung gegenüber ihrer Schwiegertochter wider.

„Er weiß Bescheid?“, fragte Fearn. „Dann ist Barda schon zurück?“

„Nein, noch nicht. Aber es wäre wohl besser, wenn er dich nicht in diesem Aufzug sieht, wenn er kommt, oder? Besser, du gehst ins Haus und lässt dich von deiner Magd wieder herrichten. Wofür erhält sie schließlich ihren Lohn? Ich hätte große Lust, sie auspeitschen zu lassen.“

„Das werdet Ihr nicht tun, Catla. Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre ich womöglich ertrunken.“

Mit missbilligenden Mienen wandten Catla und Hilda sich von ihnen ab, aber nicht ohne der jungen Frau noch einen letzten Hieb zu versetzen. „Wie schade …“, murmelte Catla so deutlich, dass Fearn es hören konnte.

Sie hatte sich nie etwas vorgemacht. Sie wusste um die Feindseligkeit ihrer Schwiegermutter ihr gegenüber. Diese unverhohlene Bosheit traf sie dennoch. Vor allem weil es unter Frauen üblich war, einander in Notsituationen zu helfen und sich gegenseitig beizustehen. Sie musste zugeben, dass sie eine gewisse Erleichterung verspürte, weil Barda noch nicht zurück war. Doch in diese Erleichterung mischte sich auch ein Gefühl von Schuldbewusstsein, denn sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, wer oder was ihn bei seinem Erkundungsritt aufgehalten haben mochte.

Sie wartete, bis die beiden Frauen aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, und ging dann direkt in den großen Saal, wo Earl Thored sie über die neuesten Entwicklungen unterrichten würde. Ihr vollgesogener Rock klebte noch immer an ihren Beinen, und ihre nassen Stiefel quietschten beim Gehen auf dem Holzboden, sodass ihre ohnehin nutzlosen Versuche, keine Aufmerksamkeit zu erregen, völlig umsonst waren. Es war nur wenigen Frauen erlaubt, bei den Gesprächen anwesend zu sein, es sei denn, sie hatten eine wichtige Position inne; zudem gab es so viele unter den Männern des Earls, die sie begehrten, dass es unmöglich war, mit ihrer Anwesenheit keinen Aufruhr zu erregen, egal ob sie nun tropfnass war oder nicht.

Der große Saal war bei Weitem der beeindruckendste seiner Art in ganz Jorvik, sogar eindrucksvoller noch als der von St. Peter, der nahe gelegenen Kirche. Massive Säulen stützten das Dach, in die furchterregende Fratzen geschnitzt worden waren, die Wände schmückten bunte Teppiche sowie blitzblank polierte Waffen und Schilde. Earl Thored saß an einem Tisch, umgeben von einigen seiner Thanes, seiner Lehnsherren, deren Wohlstand und Rang man ihnen an ihrer Kleidung und der Qualität ihrer Waffen deutlich ansah. Mit tiefen Stimmen redeten sie durcheinander, doch als Earl Thored mit seiner ihm eigenen Autorität das Wort ergriff, schwiegen alle. „Ich sage euch“, hörte Fearn ihn sagen, als sie sich ihnen näherte, „dieses Mal werden sie Jorvik nicht angreifen. Sie wollen lediglich Gold und Silber, keine Ländereien oder Besitzgüter.“

„Aber, Mylord“, protestierte einer der Männer, „sie brennen schon Häuser nieder. Warum sollten sie das nur auf den Dörfern tun und uns verschonen?“

„Um uns zu zeigen, was uns erwartet, wenn wir nicht bezahlen“, erklärte Thored ungeduldig. „Reine Taktik. Aber ich werde nicht mit ihnen verhandeln wie ein gemeiner Händler am Hafen. Nein, wenn sie Gold wollen, dann müssen sie herkommen und es eigenhändig zu ihren Schiffen tragen. Ist Arlen, der Münzmeister, hier?“

„Ja, Mylord“, rief Arlen aus einer der hinteren Reihen.

„Gut. Füll die Münzen in Säcke und bring sie her.“

„Wie viele, mein Herr?“

„Bei Thor! Woher soll ich das wissen?“, brüllte Thored. „Bereite dich einfach auf das Schlimmste vor. Diese Teufel werden nicht verschwinden, ehe sie uns auch die letzte Münze abgenommen haben, so viel ist sicher. Nimm dir deinen Jungen zu Hilfe. Dann lernt er auch gleich unsere neue Art, zu kämpfen. Auch wenn es mir widerstrebt, sie auf diese Weise abzuwehren. Aber wir sind ihnen gegenüber in der Unterzahl, und mein Schwiegersohn hat sich noch nicht festgelegt, wie er gegen das Problem vorgehen will.“ Zustimmendes Gemurmel ertönte von den Männern, aber auch unzufriedene Bemerkungen fielen, wenn auch keiner von ihnen König Ethelred offen für seine Unentschlossenheit kritisierte.

Dann fiel Thoreds Blick auf Fearn, die neben einer der dunklen Säulen stand. „Ah, Lady Fearn, Ihr wollt sicher Neuigkeiten von Eurem Gemahl hören, aber ich bin genauso verwundert wie Ihr. Normalerweise brauchen drei Männer keine zwei Tage, um Informationen über den Feind einzuholen. Nun gut, dass wir uns schützen müssen, wissen wir inzwischen auch so. Er kommt bald zurück, keine Sorge.“

„Vielen Dank, Mylord. Bis dahin trete ich Euch besser nicht mehr unter die Augen“, erwiderte sie und wandte sich zum Gehen um.

„Nein, ich will, dass Ihr bleibt. Ihr könnt ein wenig Farbe in unsere Diskussion bringen, nicht wahr? Aber um Himmels willen, wo seid Ihr gewesen?“, bellte er, als er ihren Rock sah.

„Die Fähre, Mylord. Gaut hat die Flucht ergriffen, also mussten meine Magd und ich selbst rudern.“ Weiter kam sie nicht, denn ihre Stimme wurde von spöttischem Gelächter übertönt, in dem eine gehörige Portion männlicher Überheblichkeit mitschwang.

Auch Earl Thored hielt sich eine Faust an den Mund, um sein Lachen zu unterdrücken. Seine blauen Augen funkelten amüsiert in seinem wettergegerbten Gesicht. „Dann ist es besser, wenn Ihr geht und Euch kleidet, wie es sich für eine Dame Eures Standes gehört, Mylady. Geht an der Küche vorbei und sagt, dass sie Met, Bier und Ale für die Gäste bereitstellen sollen. Das Mindeste, was wir tun können, ist, sie unter den Tisch zu trinken.“

Unbewusst hob er die Hand und berührte verstohlen den silbernen Thorhammer, der an einem Lederband um seinen Hals baumelte. „Drei von euch müssen am Hafen warten und die Anführer begleiten. Und wo ist der Harfenspieler? Und der Schreiber? Lasst uns diesen Rohlingen zeigen, was Kultur ist.“

Fearn überbrachte den Küchenmägden die Anweisungen des Earls, wohl wissend, dass sich die Dienerschaft um jede Kleinigkeit gekümmert haben würde, wenn sie den Saal das nächste Mal betrat. Alle gingen sie davon aus, dass die Dänen gekommen waren, um zu verhandeln, nicht um zu zerstören und zu plündern. Als Fearn ihre Kammer betrat, sah sie, dass Haesel bereits vorgesorgt und einen tiefblauen Umhang für sie herausgelegt hatte, unter dem sie ein feines Leinenkleid tragen würde, das unter dem Ausschnitt, den Ärmeln und dem Saum hervorblitzte. Sie selbst hatte es an den Rändern mit Goldstickereien verziert, die dezent schimmerten, wenn sie sich bewegte, und gut zu der goldenen Spange mit dem runden Amethysten passten, die das Gewand zusammenhielt. Doch als sie Haesel bat, ihr ihre Schmuckschatulle zu reichen, musste sie feststellen, dass Haesel sie in einen Lederbeutel gepackt hatte, genau wie eine Auswahl ihrer Kleider und Schuhe.

„Was soll das?“, fragte sie ihre Magd.

Haesel setzte sich auf das Bett und blickte ihre Herrin nachdenklich an. Offensichtlich hatte sie Mühe, die richtigen Worte zu finden.

„Haesel? Hast du wieder etwas gesehen?“, fragte Fearn. „Sag es mir.“

„Es ist nicht so einfach, zu unterscheiden, was ich wirklich vorhersehe, und was ich nur glaube, gesehen zu haben, Mylady. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber wir waren unterwegs, und es gab starken Wind. Ihr brauchtet Euren Mantel, aber es war der, den Ihr für Euren Gemahl gemacht habt. Deswegen habe ich … nun ja … alles eingepackt, was Ihr brauchen könntet.“

„Moment! Sagtest du, dass ich Bardas neuen Mantel getragen habe? Aber er hat ihn mitgenommen.“

„Ja, Mylady. Das verstehe ich ebenso wenig. Es sei denn, er hat Euch erlaubt, ihn zu tragen.“

Fearn blickte ihre Magd schweigend an. Das Mädchen war gerade erst sechzehn Jahre alt, von denen sie die letzten vier in Fearns Diensten verbracht hatte. Ihr Vater war Töpfer gewesen, und der Brennofen war eines Tages plötzlich überhitzt und hatte das Haus in Brand gesetzt. Einzig Haesel hatte überlebt, jedoch starke Verbrennungen an Hals, Brust und Schultern davongetragen. Ihre dichten hellen Locken waren inzwischen wieder nachgewachsen, und ihr Gesicht war so hübsch und freundlich, dass niemand auf die Narben achtete, die sie für gewöhnlich unter einem Schleier verbarg. Fearn hatte schnell herausgefunden, dass das Mädchen die außergewöhnliche Fähigkeit besaß, in die Zukunft zu sehen. Auch wenn es manchmal schwierig war, die Bedeutung der Bilder, die Haesel sah, richtig zu entschlüsseln. Genau wie jetzt, da sie Bardas Mantel gesehen hatte, obwohl er gar nicht Fearn gehörte. Dennoch nahm Fearn es immer sehr ernst, wenn Haesel etwas vorhersah. „Also, was hast du gepackt, und wohin werden wir gehen?“, fragte sie daher.

„Euren Schmuck, Eure Kleider, Schuhe, Euer Buch über die Heilkunst. Eure Harfe hat nicht hineingepasst. Ich weiß nicht, wohin wir gehen, Mylady. Nur dass der Wind heftig geweht hat.“

„Dann müssen wir wohl abwarten und sehen, was passiert. War mein Gemahl auch dabei?“

Haesel schüttelte den Kopf. „Nein, Mylady. Er war nicht da.“ Manchmal hielt Haesel Informationen zurück, die sie für unsicher hielt oder von denen sie der Meinung war, dass ihre Herrin sie besser nicht wissen sollte. Viele Männer waren in ihrer Vision aufgetaucht, aber Barda war nicht dabei gewesen.

Der Däne, der unter dem Namen Aric der Unbarmherzige bekannt war, hatte nicht erwartet, dass es seiner Langschiffflotte gelingen würde, unbemerkt nach Jorvik vorzudringen, auch nicht am frühen Morgen, wenn die Sonne noch vom Rauch, der aus den Häusern der Dörfer aufstieg, verdeckt wurde. Seine Männer hatten ihre Vorräte auffüllen müssen, nachdem sie so lange gegen die Strömung gerudert waren, und da es zu lange dauerte, höflich darum zu bitten, dass man ihnen etwas gab, mussten sie es sich eben holen, ohne zu fragen. Als sie die letzte noch schiffbare Biegung des Flusses erreichten, entdeckte Aric, dass die Anlegestellen der Händler leer waren, und die Warenberge, die man normalerweise am Hafen vorfand, waren ebenfalls verschwunden. Das einzige Anzeichen von Leben im Ort war eine kleine Gruppe bewaffneter Männer, die sie bereits mit grimmigen Mienen erwarteten. Der Earl of Northumbria hatte seine besten Gefolgsmänner hergeschickt, um ihn höchstpersönlich nach Earlsborough zu bringen.

Sie begrüßten einander höflich, aber alles andere als herzlich. Einer der Krieger zog sein Schwert, dessen scharfe Klinge bedrohlich aufblitzte, und Aric bat ihn, es wieder einzustecken, als er von der Schiffsplanke trat. „Wir sind gekommen, um zu reden“, sagte er. „Wer von Euch ist der Earl?“

„Der Earl of Northumbria erwartet Euch in seiner Burg“, sagte der Anführer. „Er will um die Sicherheit von Jorvik nicht wie ein Kaufmann am Hafen verhandeln. Erweist uns die Ehre, mit uns zu kommen.“

„Um von lauter Engländern umgeben zu sein?“, fragte Aric.

„Nehmt so viele Männer mit, wie Ihr wünscht, Jarl.“

Der Weg zog sich hin, und sie stellten in der Zeit schnell fest, dass die dänische Sprache der anglo-dänischen, wie sie in Jorvik gesprochen wurde, recht ähnlich war, sodass sie sich gut verständigen konnten. Aric rückte seinen Biberpelz-Mantel auf seinen breiten Schultern zurecht und schritt in Begleitung seiner Gastgeber und seiner Männer durch die verlassenen schmutzigen Straßen von Jorvik. Anspannung lag in der Luft und Angst, denn die Kleider der Eindringlinge verströmten noch immer den beißenden Geruch von Rauch, und alle wussten, dass die Höflichkeit jeden Augenblick enden konnte. Ein Nicken oder ein Fingerzeig genügte, und sie würden einander bis aufs Blut bekämpfen.

Earl Thored stand vor der großen hölzernen Tür seiner Burg. Jarl Aric wusste sofort, dass es sich um den Earl handeln musste, als er dessen imposante Statur, seine kräftigen Schultern und das dichte weiße Haar und den Bart sah. Er war ein ausgesprochen stattlicher Mann von vielleicht fünfzig Jahren, dem seine Lebenserfahrung deutlich anzumerken war.

Als er Aric mit einem kurzen Nicken begrüßte, bemerkte er, dass dieser den feinen Schnitzereien an der Tür und am Giebel bewundernde Blicke zuwarf. „Nicht anders als in Dänemark, was?“, sagte er, als er sie zur Tür hineinführte.

„In vielen Dingen sind wir gleich, Lord Thored. Offenbar unterscheiden sich unsere Bedürfnisse nicht sehr.“

„Unser Bedürfnis ist vor allem Frieden, Jarl.“

„Dann haben wir noch etwas gemeinsam“, erwiderte Aric, streng darauf bedacht, sich von dem Älteren nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Ich sehe keinen Grund, warum wir uns in dieser Hinsicht nicht einigen sollten. Irgendwann.“

Thored warf ihm einen skeptischen Blick zu, denn der Däne war der Anführer einiger Überfälle auf die Küste von East Anglia gewesen, die erst kürzlich stattgefunden hatten. Das Wörtchen „irgendwann“ bedeutete, dass harte Verhandlungen anstanden ohne eine Garantie darauf, dass die Dänen nicht im nächsten Jahr wiederkämen, um noch mehr zu verlangen. Doch er konnte nicht umhin, den jungen Mann auch zu bewundern, nicht nur für seine Jugend, sondern auch für sein ausgesprochen gutes Aussehen, das bei den Frauen sicher Begeisterung auslöste. Thored, der es gewohnt war, meist auf andere Männer hinunterzusehen, stellte fest, dass sich ihre Blicke auf gleicher Höhe trafen. Außerdem sah er, dass der Däne mit seinen grauen Augen bereits den ganzen Saal abgesucht hatte, wahrscheinlich um sich ein Bild davon zu machen, welche Wertgegenstände sich hier befanden.

Im Schein der Kerzen leuchtete Arics glattes Haar hell auf, er hatte es nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Ein feiner Goldring lag auf seiner Stirn, und seine sonnengebleichten Brauen und der kurze gepflegte Bart betonten sein kantiges Kinn und den entschlossenen Zug um seinen Mund. Thored wusste sogleich, dass dieser Mann sich nicht so einfach abspeisen lassen würde, und ein Schauer überzog seine Arme und seinen Nacken. Vor dreißig Jahren hatte er das gleiche überhebliche und siegessichere Auftreten gehabt wie dieser Mann, der jetzt breit in seinen ledernen Beinkleidern vor ihm stand, die Hände am Gürtel, den er um seine schmale Hüfte gebunden hatte. Seinetwegen waren die Frauen damals ebenfalls reihenweise errötet und hatten gekichert wie kleine Mädchen.

Arics Gedanken über Earl Thored waren nicht viel anders. Er bewunderte die edle tiefrote Tunika des Älteren und die massive goldene Schnalle an dessen Gürtel, ein Zeichen seiner Autorität. Er musste die Verhandlungen mit diesem alten Fuchs ruhig und überlegt angehen, denn Earl Thored war bekannt dafür, stets mehr als eine Taktik zu verfolgen, auch wenn er dieses Mal ihren Forderungen wohl oder übel würde nachkommen müssen. Aric hatte jedoch auch weniger schmeichelhafte Dinge über den Earl gehört. Und genau diese Dinge würde er heute ansprechen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Sein König, Swein Forkbeard, hatte ihm aufgetragen, mit vieren seiner vierundneunzig Langschiffe an die Küste von Jorvik zu segeln, um mit Earl Thored in seinem Namen zu verhandeln. Swein wusste, dass Aric noch eine andere Mission hatte, die zwar gegenüber dem Einfordern der Tributzahlungen zweitrangig, für die Ehre seiner Familie jedoch von großer Wichtigkeit war. Aric zählte zwar erst siebenundzwanzig Winter, doch er war einer von König Sweins engsten Vertrauten und hatte schon viele militärische Feldzüge in der Nordsee angeführt. Aric würde dafür sorgen, dass man ihn für alle Zeiten als einen Mann in Erinnerung behielt, der stets bekam, was er wollte.

Thored gab seiner Gemahlin, die nervös neben ihm stand, das Zeichen, ihren Pflichten als Gastgeberin nachzukommen, und sofort ging sie auf die Gäste zu, um sie zu ihren Plätzen zu bringen. Fearn stand etwas weiter hinten, einen Krug mit Rotwein in der Hand, und wartete auf den Wink, dass sie einschenken sollte. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde schlagartig abgelenkt, als der Anführer der Dänen nach vorne trat, direkt unter einen der Leuchter, die von der Decke hingen, sodass sein flachsblondes, zu einem Zopf gebundenes Haar im Lichtschein aufleuchtete. Er trug einen Biberpelzmantel mit einem voluminösen Kragen. Fearn presste den Steinkrug erschrocken an ihren Körper, als sie zuerst den dunklen Streifen im Fell entdeckte und anschließend die handgewebten gemusterten Bordüren, mit denen sie die Kanten umsäumt hatte. Als der Däne sich plötzlich umdrehte, wusste sie mit schrecklicher Gewissheit, dass es sich um den Mantel handelte, den sie ihrem Gemahl vor nur wenigen Wochen zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Doch nun warf der Fremde den Mantel lässig zur Seite, sodass sie das Futter sehen konnte, das sie wochenlang aus heimischer Wolle gesponnen hatte. Barda hatte den Mantel sehr zu ihrem Missfallen unbedingt bei seinem Erkundungsritt tragen wollen, denn die Nächte konnten zu dieser Jahreszeit noch bitterkalt werden; außerdem diente das braune Biberfell der Tarnung. Anscheinend hatten weder Catla noch Hilda etwas bemerkt, doch Fearn traf die Erkenntnis wie ein Schlag, so eiskalt wie der Nordwind, sodass ihre Hände, in denen sie noch immer den Weinkrug hielt, heftig zitterten. Sie war wie erstarrt vor Schreck und konnte ihre Augen nicht von dem Kleidungsstück losreißen – dem schrecklichen Beweis, dass diese Männer Barda entweder getötet oder gefangen genommen hatten. Denn eines war sicher: Kein Mann würde seinen Mantel freiwillig dem Feind überlassen.

Mit entsetztem Blick, vor Angst wie gelähmt, starrte sie den hochgewachsenen Dänen an, und er erwiderte ihren Blick so intensiv, als wäre sie die einzige Frau im Saal. Er war zu weit entfernt, um ihm in die Augen sehen zu können, doch sie meinte, in seinem unbarmherzigen Blick zu erkennen, dass er wusste, was der Grund für ihr Entsetzen war.

Die meisten Frauen hätten wüste Anschuldigungen ausgestoßen und tränenreich nach einer Erklärung verlangt. Doch es lag nicht an der überheblichen Miene des Dänen, dass Fearn schwieg, sondern daran, dass es Earl Thored wenig nutzen würde, wenn sie ihn oder die Gäste vor der gesamten Versammlung bloßstellte, ehe die Verhandlungen begonnen hatten; und schon gar nicht, wenn Bardas Mutter und natürlich auch Hilda in hysterisches Weinen verfielen. Dafür war die Situation viel zu kritisch. Sie musste ihr Wissen fürs Erste noch für sich behalten und ihr Bedürfnis, den Fremden zur Rede zu stellen, unterdrücken. Der richtige Moment würde sich schon noch einstellen. Oder auch nicht. Vielleicht würde ihre Tat auf andere Weise ans Licht kommen, wenn die Männer bereits fort waren.

Sie spürte plötzlich einen Schmerz an ihren Rippen und stellte fest, dass sie den Krug so fest an sich gedrückt hatte, dass sie befürchtete, er würde gleich zerbrechen. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken umher, Fassungslosigkeit und Erleichterung waren die einzigen Gefühle, die sie klar und deutlich zuordnen konnte. Der Däne hörte nicht auf, sie anzustarren, und als Earl Thored ihm erklärte, wer sie war, wurde sein Blick noch durchdringender. Fearn wandte sich zitternd ab, dankbar, dass nicht sie, sondern Hilda ihm den Met einschenken musste.

Den Rest des Gesprächs nahm Fearn wie einen wirren Traum wahr. Die ganze Zeit über musste sie gegen ihren Drang ankämpfen, mit der Wahrheit herauszuplatzen. Wie ein Schatten bewegte sie sich durch den Saal. Sie war es gewohnt, dass die Blicke der Männer ihr folgten, doch dieses Mal war sie sich nur der Blicke eines einzigen Mannes bewusst, auch wenn sie mühsam versuchte, sich vor ihm zu verstecken. Doch dann war er da, der Moment, den sie so gefürchtet hatte, und er rief sie zu sich und verlangte nach Wein. Er hatte den Mantel ausgezogen, darunter trug er eine edle Tunika aus honigfarbener Wolle, die mit Zwiebelschalen gefärbt worden war, wie sie wusste. Die Ränder waren mit feinen Goldfäden umsäumt, und die kostbare kreisförmige Anstecknadel am Halsausschnitt schien irischen Ursprungs zu sein. Zum ersten Mal kam sie ihm nahe genug, dass er ihr in die Augen sehen konnte, und als sie seinen Blick schließlich widerstrebend erwiderte, sah sie, dass er für einen winzigen Moment die Augen aufriss, als reagierte er auf einen plötzlichen Lichtwechsel, ehe er sie wieder zu engen Schlitzen zusammenkniff. Sie sah außerdem die kleine Falte zwischen seinen Augen, die sich vertiefte, während er sprach.

„Lady Fearn“, sagte er und hielt ihr sein Trinkhorn hin. „Wie ich hörte, seid Ihr die Tochter des vorherigen Earls.“

Earl Thored, der ihm gegenübersaß, unterbrach ihn. „Des verbannten vorherigen Earls.“

Aric sprach weiter, als habe er ihn nicht gehört. „Vermisst Ihr ihn?“

Die dunkelrote Flüssigkeit zitterte fast unmerklich, als sie ihm einschenkte, und sie bemühte sich mit all der Kraft, die sie aufbringen konnte, wenigstens ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben. Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht an ihre Eltern dachte. „Ich vermisse alle, die mir plötzlich genommen wurden“, gab sie zur Antwort und füllte das Horn absichtlich bis ganz zum Rand, damit der Wein überlief, wenn er es zurückzog. Reglos, ohne ein Wort, sahen sie einander kampfeslustig in die Augen, seine Hand hielt bewegungslos das Trinkhorn. In Fearns Blick stand deutlich die Aufforderung, den Mord an ihrem Gemahl zuzugeben, während in seinem Blick nichts als kühle Gleichgültigkeit zu erkennen war. Aric der Unbarmherzige würde sich nicht von einer Frau in die Knie zwingen lassen, schon gar nicht von der Ziehtochter Earl Thoreds. Doch das bezweckte Fearn auch gar nicht, sie wollte ihn lediglich dazu bringen, etwas von dem Wein zu vergießen, als Eingeständnis seiner Schuld. Ihre Botschaft war zweifellos angekommen.

Aric führte das Horn jedoch ruhig und ohne den Anflug eines Zitterns zum Mund, ehe er es schließlich, ohne auch nur den kleinsten Tropfen zu verschütten, in die silberne Halterung steckte, die sich auf dem Tisch befand. Kurzer Beifall und Gelächter brandeten auf, aber Fearn ließ es sich nicht nehmen, dem Fremden noch einen geringschätzigen Blick zuzuwerfen, ehe sie sich von ihm abwandte. Der Earl würde sie sicher für ihr Verhalten bei einer so wichtigen Zusammenkunft tadeln, doch man hatte sie schließlich nicht gefragt, ob sie diesem Treffen überhaupt beiwohnen wollte. Man ging einfach davon aus, dass sie es wohl oder übel über sich ergehen lassen würde, und das, obwohl sie die wahren Gründe für das Fehlen ihres Gemahls nicht kannte. Sie musste ihre dunkle Vorahnung jedoch noch für sich behalten, auch wenn Catla sich bereits besorgt nach Barda erkundigt hatte. „Ich weiß nicht, wo er ist“, hatte sie ehrlich geantwortet, und sie hätte selbst zu gern gewusst, ob er bereits tot im Wald lag oder ob sie ihn gefesselt und auf eines ihrer Langschiffe geschleppt hatten.

Fearn ließ Catla und Hilda stehen und setzte sich neben Arlen, den Münzmeister, und dessen Gemahlin Kamma. Arlen hatte ganz nach Anweisung Säcke mit Münzen und Silber hergebracht. Sein Sohn Kean, ein hübscher, etwa zehnjähriger Junge, hatte ihm dabei geholfen. Er lächelte, als Fearn neben ihm Platz nahm, offenbar fühlte er sich durch ihre Anwesenheit geschmeichelt.

„Verstehst du, was da vor sich geht, Kean?“, flüsterte sie ihm zu.

„Ja, Mylady, die Dänen fordern viel Geld von unserem Herrn, dem Earl.“

„Denkst du, das reicht?“, fragte sie und deutete mit dem Kopf auf die Säcke.

„Ich hoffe es, die Säcke waren nämlich schwer.“

Die Verhandlungen schienen eine halbe Ewigkeit zu dauern, dabei war ohnehin von vornherein klar gewesen, dass die Eindringlinge nicht gehen würden, bevor sie ihnen die letzte Münze abgenommen hatten. Dennoch hörte Fearn, wie die Männer abwechselnd entrüstet brüllten und mit Fäusten auf die Tischplatte schlugen, ehe sie wieder für einen Augenblick leiser wurden und ihre Mienen sich entspannten. Thored stellte sich den Feinden mutig entgegen, und er versuchte, sie dazu zu bringen, sich mit weniger zufriedenzugeben, obwohl er selbst wusste, dass der Frieden einen hohen Tribut fordern würde. Letzten Endes waren seine Bemühungen aber nicht mehr als ein letztes Aufbäumen. Es würde zu keiner Einigung kommen, und die Dänen würden ihr gesamtes Geld auf ihre Schiffe tragen und davonsegeln.

Fearn hörte voller Groll zu, als der Däne seine unverschämte Forderung von zehntausend Silberpfund noch einmal bekräftigte. Niemand konnte etwas dagegen tun, als seine Männer sich schließlich mit zufriedenen Gesichtern die schweren Säcke über die Schulter warfen und sie nach draußen trugen. Im Saal herrschte absolute Stille, keiner sagte ein Wort, stattdessen warf man sich wütend verstohlene Blicke zu.

Die Dänen hatten bekommen, was sie wollten, doch Aric war noch nicht fertig. Langsam drehte er sich um und zeigte auf Kean, den Sohn des Münzmeisters. Der Junge dachte, der fremde Krieger wolle ihm etwas sagen, und ging bereitwillig auf ihn zu. Selbst als der Mann ihm eine Hand auf die Schulter legte, wich er nicht zurück. Sofort ging Thoreds Rechte an den Griff seines Schwerts, während Arlen und Kamma erschrocken aufsprangen.

„Nein!“, brüllte Thored. „Nicht der Junge!“

Kamma presste sich entsetzt eine Hand auf den Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. „Sagt mir, wie alt ist der Junge?“, wandte sich Aric an sie.

Mit ängstlichem Gesicht trat sie ihm entgegen. „Er ist zehn, mein Herr, zu jung, um als Sklave verschleppt zu werden. Bitte … er ist unser einziges Kind.“

„Euer Kind, ja?“, fragte Aric. „Habt Ihr ihn selbst zur Welt gebracht?“

Earl Thored wusste, worauf sein Gegner hinauswollte, und trat ärgerlich den Tisch um, der vor ihm stand, sodass die Trinkhörner und Becher laut zu Boden krachten. Mit langen Schritten ging er auf Kean zu, der nun voller Furcht zwischen den beiden Männern hin und her sah. Sofort stellten sich die bewaffneten dänischen Krieger vor ihren Anführer und ließen Thored nicht zu ihm und dem Jungen durch. „Das wolltet Ihr also“, knurrte Thored. „Zwei arme Eltern beleidigen und ihnen ihr Kind wegnehmen. So zahlt Ihr mir meine Gastfreundschaft zurück, Däne? Ist das der Preis für den Frieden?“

„Nein, um den Frieden haben wir bereits verhandelt, Earl“, antwortete Aric mit kalter Stimme. „Hier geht es um etwas anderes, und ich glaube, Ihr wisst auch, worum. Denkt einmal zwölf Jahre zurück: Da kamen mehrere junge Eheleute aus Dänemark hierher, um sich bei Euch niederzulassen. In Eurem fünften Jahr als Earl, erinnert Ihr Euch?“

Thored zuckte ungeduldig mit den Schultern. „Nur vage“, behauptete er.

„Ich glaube Euch kein Wort, Earl. Sicher erinnert Ihr Euch an eines der Ehepaare, frisch verheiratet und sehr ansehnlich, besonders die Frau.“

Hilda stieß einen gedämpften Schrei der Empörung aus, denn sie kannte ihren Gemahl nur zu gut. Thored schenkte ihr jedoch keine Beachtung. „Und?“, gab er zurück. „Was wollt Ihr damit sagen, Jarl? Verratet es uns doch. Aber ich versichere Euch, dass Ihr Euch mächtig irrt.“

„Das glaube ich kaum. Es gibt genügend Dänen in Jorvik, die ihren Verwandten zu Hause genau berichten können, was hier drüben geschieht. Vor allem mit jungen Ehemännern, die sich dem Earl und seinen Wünschen in den Weg stellen.“

„Verwandte? Wen meint Ihr?“

„Mich! Ich bin der Bruder der jungen Frau, die mit ihrem Gemahl, einem Goldschmied, hierherkam, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und sie wurde zu Eurer Beute, Earl Thored, zur Beute Eurer Lust.“

Nun konnte jeder im Saal Hildas Schluchzen hören, Thored aber sah nicht einmal in ihre Richtung. „Eure … Schwester?“, flüsterte er entgeistert. „Ihr lügt! Sie hat nie erwähnt …“

„Damals war ich nur ein Junge, gerade mal fünfzehn Jahre alt, und noch kein Jarl des Königs. Aber ich war alt genug, um dem Mann Rache zu schwören, der meinen Schwager getötet hat, um sich meine Schwester zu nehmen und ein Kind mit ihr zu zeugen. Ja, von diesem Jungen spreche ich! Mein Neffe! Euer Sohn!“

Wütend machte sich Kean von Aric los und wirbelte zu ihm herum. „Nein!“, rief er und zeigte auf seine Eltern. „Das sind meine Eltern! Ich habe keine anderen als sie, ich schwöre es!“

„Mein Junge, die Wahrheit ist“, sagte Aric, „dass meine Schwester Tove deine Mutter ist, ob es dir nun gefällt oder nicht, und dein Vater ein Mann, der so widerstandslos ist wie Wasser, wenn es um Frauen geht. Ich habe bei Odin geschworen, dass ich dich zurück zu deiner wahren Familie bringen werde, und nun ist der Zeitpunkt gekommen.“

Hilda, die ihren Kopf auf Catlas Schulter gelegt hatte, wurde nun von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt und war ihrem Gemahl damit keine große Hilfe, im Gegenteil. Dessen Untreue war für sie allerdings nichts Neues. Sie hatte ihm keine Kinder gebären können, und sie hatten schon lange aufgehört, es zu versuchen. Trotzdem war Thoreds ständige Suche nach Trost bei anderen Frauen eine tiefe Wunde in ihrer Seele. Er hatte ihr Fearn aufgezwungen, als diese gerade einmal fünf Jahre alt gewesen war, aber nicht, weil er so ein weiches Herz hatte, sondern weil es ihm gelegen kam, dass ihre Eltern, die er in die Verbannung geschickt hatte, wussten, dass das Leben ihres Kindes von nun an in seinen Händen lag. Tove, die junge Dänin, war nicht länger als ein Jahr Teil ihres Haushalts gewesen. Fearn erinnerte sich an die junge Frau, die nur ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod ihres Gemahls bei einem Handgemenge ein Kind zur Welt gebracht hatte. Sie hatte jedoch gehört, dass sowohl Tove als auch ihr Kind bei der Geburt gestorben waren, auch wenn sie sich nicht an die Beerdigung erinnern konnte. Und jetzt schien es so, als ob Kean Thoreds eigener Sohn war, den er mit Tove gezeugt hatte.

Kamma, die Frau, die für Kean in den letzten Jahren die Mutter gewesen war, warf sich vor Aric zu Boden und streckte ihm flehend die Hände entgegen. „Mein Herr … tut mir das nicht an. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen. Wir haben uns gut um ihn gekümmert … ihm all unsere Liebe geschenkt … bitte“, flehte sie weinend.

„Ja, das weiß ich, werte Frau. Euer Gemahl wurde zum Münzmeister gemacht, damit er Stillschweigen darüber bewahrte. Keine schlechte Entlohnung. Aber nun liegen die Tatsachen auf dem Tisch. Schaut Euch nur seine Haarfarbe an. Das sagt alles darüber, aus welcher Familie der Junge stammt.“

Die Ähnlichkeit war nur schwer zu übersehen. Kean hatte flachsblondes Haar, während seine Zieheltern beide dunkelhaarig waren, und er hatte die gleichen eisblauen Augen wie Thored.

„Aber das hier ist sein Zuhause“, sagte nun Arlen. „Wenn ihr ihn uns wegnehmt, haben wir nichts mehr. Er ist unser einziges Kind. Und er wird auch Münzmeister werden, genau wie ich.“

Da ergriff Thored das Wort, der seit der Enthüllung seiner schändlichen blutigen Vergangenheit geschwiegen hatte. „Rache also“, rief er mit lauter Stimme. „Blutrache, nehme ich an. Wollt Ihr wirklich das Leben des Jungen zerstören und diese beiden gutherzigen Leute für alle Zeiten ins Unglück zu stürzen? Und wofür das Ganze? Für Eure eigene Genugtuung? Wird sich die Lücke, die Eure Schwester hinterlassen hat, dadurch schließen? Sie hat ihre Familie aus freien Stücken verlassen. Und ebenso freiwillig hat sie sich mir hingegeben. Ich habe sie nicht gezwungen.“

„Ihr habt ihren Gemahl getötet, Earl!“, brüllte Aric ihn an. „Wagt es nicht, es abzustreiten!“

„Das tue ich aber. Toves Gemahl wurde in einem Handgemenge getötet. Ich habe sie in meinem Haus aufgenommen und für sie gesorgt und …“

„Und ein Kind mit ihr gezeugt, weshalb sie dann auch gestorben ist.“

„Es passiert leider manchmal, dass eine Mutter es nicht schafft … oder das Kind.“

„Wie Ihr selbst nur zu gut wisst, Thored“, sagte Aric und es war mehr als deutlich, was er damit meinte. Die Gemahlin des Earls schluchzte gequält auf, denn sie hatte mehrmals ein Kind verloren, und jeder dieser Verluste schmerzte noch immer wie am ersten Tag. „Aber dieses Kind hat überlebt, nicht wahr?“, fuhr Aric fort. „Und es war ein Junge. Der einzige Sohn, den Ihr je bekommen habt. Ein Bastard zwar, aber dennoch ein Sohn. Aber auch der Sohn meiner Schwester, mein Neffe. Und meine Familie verlangt ihn jetzt zurück, als Ausgleich für den Tod meiner Schwester.“

„Eure Schwester hatte Dänemark bereits verlassen, Jarl“, bellte Thored. „Der Junge gehört hier nach England, zu seinen Zieheltern, er kennt sie seit seiner Geburt. Es wäre vollkommen sinnlos, ihn zu entwurzeln. Er wird ein guter Münzmeister werden, genau wie Arlen. Akzeptiert Euren Verlust endlich. Ihr habt uns schon genug genommen. Sagt Eurer Familie, dass der Junge hier glücklich ist. Er hat ein liebevolles Zuhause und wird einmal sehr vermögend sein. Sagt ihnen das, und lasst die Götter für Eure Rache sorgen, wenn sie denn wollen.“

Fearns Herz schlug heftig gegen ihre Rippen, so schnell wie eine Kriegstrommel, während sie die beiden aufgebrachten Männer beobachtete, die einander wie zwei wutschnaubende Bullen gegenüberstanden, jederzeit bereit, aufeinander loszugehen. Thoreds Gesicht glühte rot vor Zorn und Scham über sein Fehlverhalten, wohingegen Aric ihm mit stolz erhobenem Kopf direkt in die Augen sah, ohne auch nur einen Funken Furcht. Fearn wusste, dass Thored sich niemals auf die Forderung des Dänen einlassen würde, jetzt, da sie wusste, was Kean wirklich für ihn bedeutete. Auch verstand sie nun, wie sehr Hilda unter der ständigen Untreue ihres Mannes gelitten haben musste. Im heidnischen Glauben war solch ein Verhalten zwar erlaubt, aber nicht unter Christen. Thored wollte anscheinend beides: die Freiheiten der alten Religion und das Ansehen der neuen.

Der Ziehvater des Jungen neben ihr zitterte am ganzen Körper und dennoch konnte er nichts tun, um das schreckliche Schauspiel, das sich vor ihren Augen abspielte, zu beenden. Fearn konnte das Ausmaß seiner Angst, den Jungen zu verlieren, nur erahnen, er liebte ihn schließlich wie seinen eigenen Sohn. Zehn Jahre lang hatten er und Kamma ihr Geheimnis für sich behalten, und sie waren Earl Thored sicher unendlich dankbar dafür, dass er ihnen das Kind geschenkt hatte, das sie selbst niemals bekommen konnten, und ihnen mit Arlens Ernennung zum königlichen Münzmeister außerdem noch zu großem Wohlstand verholfen hatte. Fearn spürte regelrecht, wie der Mann innerlich mit sich kämpfte, nicht doch einzuschreiten. Schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten, er trat nach vorn und sprach die ersten Worte aus, die ihm in den Sinn kamen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. „Warum nehmt Ihr Euch nicht einen Ersatz? Jemanden, der älter ist und Euch mehr von Nutzen sein kann?“ Als der Earl ihm einen wütenden Blick zuwarf, trat er schnell wieder zurück.

„Euer Münzmeister hat recht“, erwiderte Aric und übertönte damit Thoreds Protest. Dann drehte er sich blitzschnell um und zeigte mit dem Finger auf Fearn. „Da! Die Frau. Eure Ziehtochter im Tausch für ihren Ziehsohn. Wie wäre es damit, Earl? Das wäre doch ein gerechter Handel, nicht? Ich nehme sie für ein Jahr mit, und wenn ich sie zurückbringe, nehme ich an ihrer Stelle den Jungen mit. Dann wäre er ein Jahr älter, und wer weiß, was sie bis dahin mit sich herumträgt. Das nenne ich einen guten Tausch. Seht Ihr, Thored, dass ich Euretwegen verzichten kann?“

Der ganze Saal hielt erschrocken den Atem an. Sogar Thored war entsetzt von der Unverschämtheit des Dänen. Es war allerdings Fearn selbst, die als Erste ihre Stimme wiederfand. „Dann verzichtet gänzlich, Däne!“, rief sie und ging Schritt für Schritt nach vorne, bis nur noch der umgeworfene Tisch zwischen ihnen stand. „Diese Sache betrifft allein Euch und den Earl. Haltet mich da raus und macht vor allem keine üblen Scherze über meine Tugend. Das lasse ich mir nicht gefallen.“

Wie zwei Katzen starrten sie einander kampfbereit an, die Augen zusammengekniffen zu Schlitzen, und die Luft zwischen ihnen schien vor Spannung zu vibrieren. Angesichts ihrer zornigen Herausforderung hatte jeder im Saal den Atem angehalten; nur wenige Frauen waren so mutig wie Fearn, einem Mann, noch dazu einem Feind, so entschlossen entgegenzutreten. Auch in Arics Blick lag nun eine Spur von Bewunderung, als er sie taxierte. „Ihr habt in dieser Angelegenheit nichts zu entscheiden, Weib! Weder Ihr noch Eure Zieheltern habt unter diesen Umständen das Recht, mir etwas abzuschlagen.“

Fearn fiel auf, dass Lady Hilda bei der letzten Forderung des Dänen mit einem Mal still geworden war; offensichtlich war der Gedanke für sie nicht so abscheulich wie für Fearn selbst. Doch sie würde sich nicht so einfach zum Schweigen bringen lassen. „Da liegt Ihr falsch, Däne, das können wir sehr wohl. Ich habe mir Eure rührselige Geschichte über Eure Schwester ruhig angehört, aber jetzt ist es an Euch, einzugestehen, dass Ihr meinen Gemahl, der zudem ein mutiger Krieger des Earls war, getötet habt. Der Mann, dessen Mantel Ihr tragt, und zwar hier, im Saal seines Herrn. Versucht nicht, es zu leugnen!“

„Was?“, brüllte Earl Thored aufgebracht. „Bardas Mantel? Seid Ihr sicher, Fearn?“

„Ja, Barda hat ihn von mir zu seinem letzten Geburtstag bekommen, Mylord. Ich bin mir ganz sicher.“

Autor

Juliet Landon
Juliet Landon hat Anleitungen für Stickarbeiten veröffentlicht. Die Umstellung ins Romangenre war für sie kein großer Wechsel, die Anforderungen sind ähnlich: große Fantasie, einen Sinn für Design, ein Auge fürs Detail, genauso wie Liebe zu Farben, Szenen und Recherche. Und ganz wichtig, bei beidem muss man bereit sein, innere Gedanken...
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