Werde meine Königin, Leyna

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

König Xavier sieht nur eine Möglichkeit, um den Frieden für sein Land zu sichern: Er muss seine Jugendliebe Leyna heiraten! Ausgerechnet die Frau, die ihn einst zurückwies – und die insgeheim immer noch leidenschaftliches Verlangen in ihm weckt …


  • Erscheinungstag 05.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514712
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Prinzessin Leyna war noch nie so zufrieden gewesen wie in diesem Moment. Der Ozean erstreckte sich glitzernd im Sonnenschein, sie lag im warmen Sand – mit dem zukünftigen König von Mattan direkt neben sich.

„Wir sollten das öfter machen“, meinte sie glücklich.

„Wir machen das mindestens einmal pro Woche“, erwiderte Xavier amüsiert.

„Wir besuchen den Strand mindestens einmal pro Woche. Das hier zu tun“, sie machte eine umfassende Handbewegung, „ist eine Seltenheit, für die wir uns öfter Zeit nehmen sollten.“

„Das sagst du nur, weil du deinen Pflichten entkommen möchtest“, neckte er sie.

„Und du willst das nicht?“, konterte sie und lächelte ihn strahlend an. Dabei achtete sie nicht auf die eine innere Stimme – die genauso klang wie die ihrer Großmutter und ihr vorwarf, Xavier wäre nur ein Vorwand, um genau das zu machen: die Pflichten vernachlässigen.

„Ich bin der zukünftige König von Mattan“, erwiderte er, plötzlich bitter. „Ich bin mir meiner Verpflichtungen durchaus bewusst. Aber man erwartet von mir auch Dinge, die ich mir nicht einmal vorstellen kann.“

Das klang müde und entnervt. Leyna wandte sich ihm zu. „Hacken deine Mutter und deine Großmutter mal wieder auf dir herum?“

Er drehte sich zu ihr hin. Bewundernd betrachtete sie seinen muskulösen Körper und die dunkelbraunen Haare, die noch nass und zerzaust vom Schwimmen waren. Sein attraktives Gesicht trug meistens einen Ausdruck von Wohlwollen und Freundlichkeit, jetzt allerdings eine Miene, in der sich Traurigkeit mit einer Spur Wut und Hoffnungslosigkeit mischte.

„Wann tun sie das nicht?“ Xavier schüttelte den Kopf. „Jedes Mal, wenn ich denke, jetzt habe ich etwas richtig gemacht, kommen sie mir mit etwas, was ich stattdessen hätte tun sollen. Vielleicht mache ich überhaupt nichts richtig!“

„Das ist Unsinn, und das weißt du.“ Sie setzte sich auf. „Ich kenne niemand, der sich seinen Aufgaben als Thronfolger intensiver widmet als du.“

„Abgesehen von dir.“ Nun lächelte er.

„Das versteht sich von selbst!“, erwiderte sie scherzhaft.

Aber du könntest dich ihr noch mehr widmen, wenn du Xavier nicht so viel Aufmerksamkeit schenken würdest, meldete sich wieder die innere Stimme.

„Du setzt dich für deine Sache ein, und das bedeutet, dass du etwas richtig machst, Xavier. Vertrau darauf.“

Sie drückte ihm die Hand, und er verschränkte seine Finger mit ihren. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. Sie wusste, was er jetzt sagen würde, und wollte es verhindern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Nein, diesmal wirst du mich nicht abwimmeln, Leyna.“

„Was … was meinst du?“

„Ich möchte, dass du mich heiratest“, erklärte Xavier.

„Ich glaube nicht, dass …“

„Unsere beiden Familien wollen das auch“, unterbrach er sie.

„Sie wollen eine Union von Aidara und Mattan, das ja. Aber eine zwischen dir und mir? Nein. Die haben sie eher nicht im Sinn. Du weißt doch, was sie von unserer Freundschaft halten.“

„Ich weiß auch, was wir beide von unserer Freundschaft halten. Ist das nicht viel wichtiger? Leyna, es gibt für mich keine Wahl.“ Auch er setzte sich auf und sah sie voller Ernst an. „Ich muss dich heiraten, oder es wird mir ewig leidtun. Ich weiß, du empfindest dasselbe.“

„Warum machst du mir einen Antrag?“

„Weil es Zeit dafür ist.“ Xavier stand auf, dann zog er Leyna hoch. Sie ließ sofort seine Hand los.

„Zeit, etwas zu ruinieren, an dem mir mehr liegt als an allem anderen?“, fragte sie eindringlich.

„Nein, Zeit, um aus uns das zu machen, wofür wir immer bestimmt waren: ein glückliches Paar … und in absehbarer Zeit eine glückliche Familie.“

„Ich habe schon eine Familie. Ich habe Eltern, die Monarchen eines Königreichs sind, das sie braucht. Ich habe eine Großmutter, die noch immer um ihren vor zehn Jahren verstorbenen Mann trauert.“

Aber meine Eltern, die ich doch auch brauche, haben keine Zeit für mich, und meine Großmutter ist so auf die Monarchie fokussiert, dass sie mich nicht unterstützen kann bei meiner Aufgabe, eines Tages Königin zu sein.

„Was ich nicht habe“, fuhr sie laut fort, „sind Freunde. Ich brauche dich als Freund, ich brauche unsere Freundschaft.“

„Du meinst, wenn wir heiraten, können wir keine Freunde mehr sein?“, fragte Xavier ernst.

Sein Ton verriet ihr, dass sich zwischen ihnen nun etwas für immer ändern würde, egal, wofür sie sich entschied. Panisch ermahnte sie sich, die richtige Wahl zu treffen.

„Wir sind am besten dran als Freunde. Nur Freunde“, beharrte sie.

„Ist das deine eigene Meinung – oder die deiner Familie?“

„Meine“, versicherte sie rasch, aber sie fragte sich, ob das so ganz stimmte. „Mir ist egal, was meine Familie über uns sagt. Da höre ich gar nicht hin.“

„Warum hast du dann Angst vor dem, was zwischen uns ist?“, fragte er und machte einen großen Schritt auf sie zu, sodass er direkt vor ihr stand.

„Weil …“ Sie schüttelte den Kopf. „Du führst kein einfaches Leben, und ich auch nicht. Was mir bisher geholfen hat, ist unsere Freundschaft. Die besteht seit beinahe zwanzig Jahren. Nimm sie mir jetzt nicht weg“, bat sie.

„Ich nehme dir doch nichts weg. Im Gegenteil: ich möchte etwas hinzufügen.“ Xavier lächelte flüchtig. „Ja, wir sind seit zwanzig Jahren Freunde, aber du weißt auch, dass ich den größten Teil dieser Zeit immer schon in dich verliebt war.“

„Nein“, erwiderte sie fest.

„Ach, wirklich? Warum hast du mich dann immer abzuhalten versucht, es dir zu sagen?“ Als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: „Weil du es weißt. Seit dem Moment, als ich dir die Rose geschenkt habe. Damals, als wir fünf Jahre alt waren.“

Ihr wurde bei der Erinnerung ganz warm ums Herz, und endlich gestand Leyna sich ein, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte auch damit recht, dass sie sich fürchtete. Vor der Veränderung und dem, was diese für ihr Leben bedeuten würde. Eines Tages würde sie Königin von Aidara sein, mit allem, was dazugehörte.

Vor diesen Anforderungen hatte sie Angst. Sie wusste, was diese sie kosten würden, denn sie hatte es bei ihrem Vater miterlebt. Der war von einem ausgelassenen Prinzen zu einem zurückhaltenden König geworden. Sie erinnerte sich gut, wie er glücklich mit ihr durch den Garten tobte, während ihre Mutter ihnen lachend zusah. Aber in den zehn Jahren, die er nun schon regierte, war ihm diese Fröhlichkeit abhandengekommen. Statt Lachfältchen hatte er Falten vom Stress, und jedes Lächeln schien ihn Anstrengung zu kosten.

Immerhin liebt er meine Mutter noch so wie früher …

„Wirst du mich noch lieben, wenn wir König und Königin sind und den schwersten Beruf der Welt ausüben müssen?“, fragte Leyna leise.

„Natürlich werde ich das.“ Er schob ihr eine Strähne hinters Ohr. „Ich weiß doch am besten, was du dann durchmachst.“

„Es wird härter als alles, was wir bisher zu tun hatten“, erinnerte sie ihn. „Du hast ja mitbekommen, was es meinem Vater angetan hat.“

„Wir werden es meistern“, versprach Xavier sanft.

„Und wenn wir es als Freunde besser meistern könnten?“

„Wir waren niemals nur Freunde, Leyna!“

„Warum bringst du das alles jetzt zur Sprache?“, wollte sie wissen.

„Weil du in zwei Tagen einundzwanzig wirst. Man wird von dir erwarten, dass du bald heiratest. So wie man von mir seit einem Jahr erwartet, dass ich heirate. Du weißt, dass ich auf dich gewartet habe. Nur so konnte ich meine Familie vertrösten. Ich liebe dich, Leyna. Ich möchte mit dir verheiratet sein. Für mich gibt es keine andere Frau im Leben. Und ich weiß, dass wir gemeinsam stärker sein werden als jeder für sich. Oder wenn wir nur Freunde sind.“

Sie spürte, wie ihre Angst nachließ. „Falls du denkst, es kommt bei mir gut an, auf alles eine Antwort zu haben, liegst du falsch.“

„Trotzdem liebst du mich“, behauptete er.

„Auch noch selbstgefällig“, meinte sie spöttelnd.

„Aber trotzdem liebst du mich“, beharrte Xavier.

Sie lächelte. „Da du dir dessen so sicher zu sein scheinst, brauche ich es ja gar nicht zu sagen.“

„Wenn du es nicht tust, sehe ich mich gezwungen, dich ins Wasser zu werfen“, drohte er scherzhaft.

„Dann sehe ich mich gezwungen, deinen Antrag abzulehnen“, konterte sie.

„Das würdest du nicht tun!“

„Oh, du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin.“

„Dann zeig es mir“, forderte er sie heraus, und jetzt klang er nicht scherzend. Seine Augen funkelten.

„Schlägst du etwa vor, dass …“

Weiter kam sie nicht, denn da presste Xavier ihr die Lippen auf den Mund.

Das war nicht ihr erster Kuss. Zum ersten Mal hatten sie sich geküsst, als sie dreizehn und er vierzehn war. Genau unter der Palme, unter der sie auch jetzt standen. Damals waren sie von Neugier getrieben worden. Danach hatte es noch den einen oder anderen Kuss gegeben … aber keiner ließ sich mit dem jetzigen vergleichen.

Dieser besaß die Hitze eines Sommertages in Aidara, das Versprechen einer Leidenschaft, die seit Jahren gezügelt worden war. Leyna legte Xavier die Arme um die Mitte und presste sich an seinen herrlich festen Körper. Zum ersten Mal fühlte sie sich ganz als Frau. Nur als Frau – nicht als Tochter oder Enkelin, und schon gar nicht als Thronfolgerin.

Xavier stöhnte leise. Das liegt an mir, sagte Leyna sich, stolz auf ihre Macht über diesen wunderbaren Mann. Er hob sie hoch und drückte sie gegen den Stamm der Palme, damit er selber, zwischen ihren Beinen stehend, sich enger an sie pressen konnte. Es war ein herrliches Gefühl, seine Lippen auf ihren zu spüren, seine Zunge in ihrem Mund. Leyna gab sich diesen sinnlichen Empfindungen ganz hin.

Da sie nur einen Bikini und Xavier eine Badehose trug, traf sonnenwarme Haut auf sonnenwarme Haut, fühlten seine Muskeln sich fest unter ihren Händen an, und seine Finger glitten erregend über die Kurve ihrer Taille. Dann hob er ihren Oberschenkel an, um sich noch enger an sie zu drängen.

Ein Laut kam aus ihrer Kehle, ob zustimmend oder abwehrend, konnte Leyna nicht mal selbst sagen. Es war irgendetwas dazwischen.

Xavier hielt still, neigte den Kopf zurück und fragte. „Was stimmt denn nicht?“

„Alles okay“, flüsterte sie.

„Nein, das glaube ich nicht. Ich kenne dich zu gut. Also sag es mir, Leyna!“

„Es ist nur … ich habe … noch nie.“ Sie errötete heiß.

„Ich auch nicht.“

„Ich weiß.“ Ja, sie hätte es gewusst, wenn er jemals eine andere Frau gehabt hätte! „Aber sollen wir es jetzt machen? Hier am Strand, an eine Palme gepresst und mit unseren Leibwächtern in Rufweite?“

„Oh! Das habe ich gar nicht bedacht“, gab Xavier zu und trat einen Schritt zurück.

Sie vermisste den Kontakt augenblicklich. „Das heißt nicht, dass wir es gar nicht tun sollten. Nur hatte ich mir ausgemalt, es würde in unserer Hochzeitsnacht passieren. In einem großen Bett, umgeben von Kerzen und Rosen, mit einer Flasche Champagner im Kühler auf dem Nachttisch.“

Xavier lächelte. „Du hast es dir also ausgemalt?“

„Vielleicht.“

„Für unsere Hochzeitsnacht?“

„Ja“, gab sie zu.

„Du hast also auch schon immer gewusst, dass da mehr zwischen uns ist als reine Freundschaft!“

„Natürlich habe ich das, Xavier.“

„Jedenfalls liebst du mich.“

„Ja, das tue ich“, bestätigte sie. Und dann sagte sie es, weil ihr klar war, dass er es hören wollte. „Ich liebe dich, Xavier.“

Er zog sie wieder in die Arme und presste seine Stirn gegen ihre. „Und du wirst mich heiraten, Leyna.“

„Das werde ich“, versicherte sie ihm. „So bald wie möglich.“

„Ich denke, es könnte …“

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Plötzlich stand ihr Adjutant Carlos da, die Leibwächter hatten sich hinter ihm postiert. Ihre Mienen spiegelten ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte, aber das ihr Herz vor Furcht schneller pochen ließ.

„Was ist?“, fragte Leyna und löste sich aus Xaviers Umarmung.

Carlos räusperte sich. „Es tut mir sehr leid, Sie zu stören … Majestät.“

1. KAPITEL

Zehn Jahre später.

„Ist er hier, Carlos?“

„Ich fürchte nein, Majestät.“

Zum zweiten Mal in ihrem Leben brachte Carlos ihr Nachrichten, die sie nicht hören wollte. Inzwischen war er ihr Privatsekretär, denn seit dem Tod ihres Vaters hatte sich einiges geändert. Sie war damals sozusagen von einer Sekunde auf die andere Königin geworden – und sie hatte Xavier verloren, den einzigen Mann, denn sie geliebt hatte.

Nun hörte sie also, dass König Zacchaeus von Kirtida nicht zu dem Staatsbankett erschienen war, das die Allianz der drei Inselkönigreiche festigen sollte. Das würde schwerwiegende Folgen haben.

„Carlos, suchen Sie König Xavier, und bitten Sie ihn, zu mir in die Bibliothek zu kommen.“

„Sehr wohl, Majestät.“

Nachdem ihr Sekretär den Raum verlassen hatte, öffnete sie die Balkontür und atmete tief durch. Widerstreitende Gefühle erfüllten sie.

Dann kam die Panik. Nicht dumpf wie in dem Moment, als man ihr mitgeteilt hatte, dass König Jaydon von Kirtida von seinem eigenen Sohn Zacchaeus vom Thron gestoßen worden war, sondern scharf. Sogar noch schärfer als zu dem Zeitpunkt, an dem der neue König sich geweigert hatte, die Zukunft der Allianz der drei Reiche mit ihr und Xavier zu besprechen.

Jetzt war es wirklich schlimm. Ihr wurde die Kehle eng, und ihre Hände bebten. Leyna blieben nur wenige Momente, um sich durch bewusstes Atmen zu beruhigen, so wie sie es seit ihrer Thronbesteigung gelernt hatte.

Nachdem sie sich damals mit Xavier überworfen hatte und zu allem Übel mit ansehen musste, wie ihre Mutter das Land verließ, hatte ihr gebrochenes Herz oft so wild gepocht, dass sie glaubte, es müsse explodieren.

Nun richtete sie sich kerzengerade auf, als es an der Tür klopfte. Da kam auch schon Xavier herein, und ihr wurde schwer ums Herz, wie immer, wenn sie ihn sah. Dabei war die Beziehung zwischen ihnen nur noch eine auf politischer Ebene.

Sie war trotzdem erleichtert, dass er da war.

„Zacchaeus ist nicht hier, was bedeutet, dass er seinen Platz in der Allianz der drei Inseln nicht einzunehmen gedenkt“, begann er ohne Einleitung.

„Ich würde gern glauben, dass das nicht stimmt und Kirtida noch Teil des Bündnisses ist. Aber seine Taten sprechen dagegen.“

„Ja, dass er auf unsere Bemühungen nicht eingegangen ist, ihn zu treffen und alles zu besprechen, ist vielsagend. Heute ist er also auch nicht erschienen, was seine Haltung überdeutlich macht. Jetzt wissen wir, woran wir mit ihm sind.“

„Wenn er sich aus dem Bündnis tatsächlich ausklinkt, wie sollen wir dann reagieren?“, fragte sie, wieder von Panik überfallen.

„Wir machen ihm klar, dass Aidara und Mattan noch immer zusammenhalten. Und wir lassen unsere Untertanen das ebenfalls wissen.“

„Daran besteht ja wohl kein Zweifel, Xavier. Genau deshalb bist du doch hier. Es ist der Sinn des Banketts, die guten Beziehungen unserer beiden Reiche zu demonstrieren.“

„Ja, aber das genügt nicht.“ Seine blaugrauen Augen glitzerten entschlossen.

Sie verspannte sich unwillkürlich und erkannte, dass er ebenfalls unter Spannung stand.

„An welche Maßnahme hattest du denn gedacht?“, erkundigte sie sich.

„An etwas, das keinen Zweifel lässt an der Stärke unserer Allianz.“

„Und das wäre?“

„Wir beide heiraten“, antwortete er ruhig.

Ihr wurden die Knie weich, als sie an den Tag vor zehn Jahren dachte, als Xavier ihr am Strand den Heiratsantrag gemacht hatte. Rasch wandte sie sich um und ging auf den Balkon. Verzweifelt versuchte sie, die Erinnerungen zu verdrängen.

Die waren hinterhältig und überfielen sie meist, wenn sie es absolut nicht wollte. So wie jetzt. Damals war sie von Hoffnung erfüllt gewesen. Und von Liebe. Daran durfte sie jetzt nicht denken. Sonst müsste sie ebenso daran denken, was für ein eisiger Schauder sie überkommen hatte in dem Moment, als Carlos sie mit Majestät anredete.

Sie müsste an die Tage voller Trauer denken, die verschärft wurde, als ihre Mutter sofort nach dem Begräbnis das Land verließ. Sie würde sich an die Furcht erinnern, nun allein regieren zu müssen. An die Warnungen ihrer Großmutter … und an die Verzweiflung, als ihr klar wurde, dass sie mit Xavier an der Seite tatsächlich nicht die Regentin sein konnte, die ihr Land brauchte.

Leyna benötigte einige Momente, um sich zu fassen. Als sie sich sicher war, die gefühlsgeladenen Erinnerungen verdrängt zu haben, ging sie zurück in die Bibliothek. Xaviers Miene war starr, nur ein kleiner Nerv zuckte neben dem Mund. Ein Zeichen von Zorn, wie sie erkannte.

„Wie genau soll das funktionieren?“, fragte sie nüchtern. „Wir beide verheiratet?“

„Unsere Ehe würde nicht nur Kirtida, sondern der ganzen Welt beweisen, dass unsere beiden Länder eine Union bilden. Mit vereinten militärischen Kräften könnten wir jede mögliche Bedrohung abwehren, die Kirtida möglicherweise versucht.“

„Ehen können enden“, hielt sie ruhig dagegen. „Und wir können unmöglich die Zukunft voraussehen.“

Die Ehe ihrer Eltern hatte durch plötzlichen Tod geendet. Danach hatte ihre Mutter alle Pflichten in den Wind geschlagen. Die gegenüber der Krone – und gegenüber ihrer Tochter.

Nun ja, ihre Mutter stammte nicht aus Aidara und war selber nicht aus königlichem Haus. Vielleicht hatte sie nicht hier bleiben wollen, wo ihr das Herz durch den Verlust des geliebten Manns gebrochen worden war.

Das dachte Leyna in ihren nachsichtigen Momenten. Meist folgten dann aber die kritischen Gedanken daran, dass sie im Stich gelassen worden war und den härtesten Job der Welt ohne Unterstützung ausüben musste.

„Was genau willst du mir damit sagen?“, fragte Xavier eindringlich.

„Dass Ehen nicht ewig halten. Das weißt du doch selbst sehr gut.“

„Lass Erika aus dem Spiel“, verlangte er schroff.

„Du hast sie jetzt erst ins Spiel gebracht. Ich habe von der Ehe als Institution gesprochen“, erklärte sie.

„Worauf willst du hinaus, Leyna?“

„Eine Ehe allein genügt nicht, um eine Allianz zu sichern. Speziell eine so prekäre wie unsere.“

„Was willst du denn noch? Ein gemeinsames Kind?“, fragte Xavier sarkastisch.

Ihr lag schon eine schnippische Erwiderung auf der Zunge, dann überlegte Leyna. An seinem Vorschlag ist was dran, dachte sie. Nur was es war, konnte sie nicht sofort sagen, weil sie von ungestümen Gefühlen überflutet wurde – ausgelöst durch seine Worte.

Mühsam riss sie sich zusammen. Ihr blieb ja nichts anderes übrig. Den Traum, Xavier zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben, hatte sie vor langem aufgeben. Das machte sie traurig. Außerdem spürte sie heftiges Widerstreben dagegen, eines Tages ein Kind zu bekommen von einem Mann, der ihr Ehemann sein würde, ohne dass sie ihn liebte. Von einem Mann, den sie aus Staatsräson heiraten würde.

Dem Wohl ihres Landes hatte sie schon so viel geopfert, vor allem ihren Lebenstraum. Würde er nun doch wahr werden? Weil es ihr die Pflicht befahl?

„Nein, das ist keine Option“, sagte Xavier und riss sie damit aus den Gedanken.

„Und wenn doch?“, hakte sie nach.

„Wie könnte ein Kind die Situation mit Zacchaeus verbessern?“

„Weil es, rein sachlich betrachtet, noch mehr als eine Ehe die Allianz zwischen deinem und meinem Land stärken würde. Wenn dir oder mir etwas zustößt, werden Aidara und Mattan immer noch vom überlebenden Regenten geschützt werden, der dann ja Elternteil des Thronfolgers beider Länder ist.“

„Mattan würde Aidara immer in Schutz nehmen, wenn dir etwas passieren würde“, versicherte er ernst.

„Ja, aber ich würde ein Kind bekommen müssen, damit es einen Thronerben gibt. Das weißt du“, erinnerte sie ihn und sah ihm an, dass er ihrer Meinung war. „Für dich gilt dasselbe, auch du brauchst einen Erben für Mattan. Es wäre politisch sinnvoll, wenn dieses Kind Monarch beider Reiche werden könnte.“

Xavier strich sich durch die dunklen Haare, die von helleren Strähnen durchzogen waren. Seine goldbraune Haut, die er aufgrund seiner sowohl europäischen als auch afrikanischen Wurzeln hatte – so wie sie selber ebenfalls –, sah aus wie von der Sonne gebräunt, als hätte er sie faul bei einem Urlaub erworben. Dabei arbeitete er so hart für sein Land!

Er ist mit jedem Zoll ein König, fand Leyna. Ein König mit echter Autorität, kompromisslos und mächtig. Nur sie hatte seine andere Seite kennengelernt, als sie aufgewachsen waren: den leichtherzigen, gelassenen Mann, der sich am Strand mit ihr zusammen entspannte und Hand in Hand mit ihr durch die Gärten schlenderte.

Diesen Xavier hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, und das kam ihr wie eine Strafe vor. Auch ihr gegenüber verhielt er sich wie ein König. Mit Autorität, kompromisslos und distanziert. Das konnte sie ihm nicht verübeln, oder?

„Lass mich zusammenfassen, was du gesagt hast, und feststellen, ob ich dich richtig verstanden habe, Leyna“, sagte er. „Du meinst, eine Heirat allein wäre nicht genug, um die Allianz zu stärken, weil ja dir oder mir etwas zustoßen könnte. Deshalb willst du ein Kind, das Erbe beider Reiche sein wird und somit beiden Ländern Schutz sichert.“

„Ja, genau. Und du brauchst gar nicht so abfällig über die Möglichkeit zu sprechen, dass uns etwas passieren könnte. Wir beide haben erlebt, dass Menschen, die wir geliebt haben, viel zu früh gestorben sind. Ein Kind wäre also ein unmissverständliches Zeichen an Kirtida, dass unsere Allianz stark ist und Bestand hat.“

„Ja, damit magst du recht haben, aber es gibt da ein kleines Problem.“

„Und das ist?“

„Ich kann dir kein Kind schenken.“

Autor

Therese Beharrie

Autorin zu sein war immer Therese Beharries Traum. Doch erst während ihres letzten Studienjahres, als der Arbeitsalltag in einem Unternehmen bereits auf sie wartete, wurde ihr klar, dass sie diesen Traum bald zur Wirklichkeit machen wollte. Also machte sie sich ernsthaft ans Schreiben. Inzwischen verdient sie tatsächlich ihren Lebensunterhalt mit...

Mehr erfahren