Wie ein wildes Feuer

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Als Weltenbummler Jake Lowell nach Falling Brook zurückkehrt, ist Nikki alarmiert! Vor fünf Jahren hat sie mit ihm eine unvergessliche Liebesnacht verbracht, mit süßen Folgen. Sie hat bestimmt nicht die Absicht, ihm jetzt zu verraten, dass er eine Tochter hat. Aber lange kann sie es nicht verheimlichen, denn noch immer lodert zwischen ihnen ein wildes, verzehrendes Feuer. Nikki weiß, dass es gefährlich ist, trotzdem lässt sie sich erneut auf eine Affäre mit dem Abenteurer ein, der die Stadt bald wieder verlassen wird …


  • Erscheinungstag 21.12.2021
  • Bandnummer 2217
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503983
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jake Lowell hatte in den letzten fünfzehn Jahren mehr als einmal den Erdball umrundet und praktisch schon alles gesehen. Na ja, abgesehen von der Antarktis. Der Kontinent stand noch auf seiner Liste. Er war schon in vielen Ländern gewesen, hatte in vielen Städten gewohnt. Doch der eine Ort, von dem er gedacht hatte, dass er nie dorthin zurückkehren würde, war Falling Brook, New Jersey. Der Name der Stadt klang idyllisch – Jakes Erinnerungen daran waren es nicht.

Im Alter von zweiundzwanzig Jahren hatte er seinen Geburtsort inmitten eines tragischen Skandals verlassen und war nie zurückgekehrt – bis heute. Und das auch nur gezwungenermaßen.

Als sein Magen bereits zum dritten Mal knurrte, hielt er an einer Tankstelle, um sich einen verspäteten Mittagssnack zu gönnen. Ein Schokoriegel würde vorerst reichen. Jake hatte schon immer eine Vorliebe für Süßes gehabt.

Während er bezahlte, fielen ihm die Zeitungen neben der Kasse ins Auge. Die üblichen Verdächtigen: New York Times, Wall Street Journal. Doch es war der Wochenanzeiger einer Kleinstadt, der ihm beinah körperliche Schmerzen bereitete. Die Schlagzeile lautete: „Vernon Lowell am Leben! Black Crescent Betrüger in Karibik aufgegriffen“.

Jake drehte sich der Magen um. Die Story war schon vor einer Woche bekannt geworden, doch die örtlichen Nachrichtendienste schlachteten sie weiterhin tagtäglich aus. Mittlerweile hatte er sich ein wenig an die erschütternden Neuigkeiten gewöhnt, doch eigentlich stand er immer noch unter Schock. Fünfzehn Jahre lang war sein Vater verschwunden gewesen, und eigentlich war Jake davon ausgegangen, dass Vernon längst in der Hölle schmorte. Doch nun war er scheinbar von den Toten wiederauferstanden.

Die Kassiererin reichte Jake die Quittung und warf ihm einen neugierigen Blick zu. Zu spät erkannte er, dass er besser bar gezahlt hätte. Hatte die Frau den Namen auf seiner Kreditkarte gesehen und eins und eins zusammengezählt? War sie eine der berüchtigten Kleinstadtklatschbasen?

Der Name „Lowell“ war nicht gerade ungewöhnlich, aber hier in Falling Brook ließ er die Leute sofort aufhorchen. Vor fünfzehn Jahren hatte Vernon Lowell, Jakes Vater, sich mit einer riesigen Summe Geld aus dem Staub gemacht – dem Vermögen von Falling Brooks Elite. Etwa ein Dutzend prominenter Klienten hatte dem Black Crescent Hedgefonds ihr Vermögen anvertraut – und ihre Zukunft. Vernon und sein Finanzchef und bester Freund Everett Reardon waren die reinsten Finanzgenies und hatten Unmengen Geld gescheffelt.

Doch irgendetwas war furchtbar schiefgelaufen, denn das Geld hatte sich praktisch in Luft aufgelöst. Everett Reardon starb auf der Flucht vor der Polizei bei einem Autounfall, und Jakes Vater war wie vom Erdboden verschluckt gewesen – höchstwahrscheinlich tot. Ihre Hinterbliebenen hatten das Chaos wieder aufräumen dürfen.

Ziellos fuhr Jake umher, selbst jetzt noch von Erinnerungen gequält. Falling Brook war eine kleine Enklave mit kaum mehr als zweitausend Einwohnern. Vor seiner Rückkehr hatte Jake einige Recherchen betrieben. Während seiner Abwesenheit hatte sich anscheinend nicht viel verändert. Das Städtchen mit den teuren Immobilien schirmte die Reichen und Berühmten weiterhin vor der Außenwelt ab.

Kurz hielt Jake gegenüber von Nikki Reardons altem Haus – oder eher gesagt vor ihrer alten Villa – und schaltete in den Leerlauf. Genau wie seine war Nikkis Welt durch die kriminellen Machenschaften ihres Vaters zerstört worden. Vor fünfzehn Jahren war sie mit ihrer Mutter aus der Stadt geflohen, ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen.

Wenn Jake sich hin und wieder gestattete, in Erinnerungen an Nikki zu schwelgen, überkam ihn immer eine seltsame Mischung aus Sehnsucht und Unbehagen. Da ihre Väter Geschäftspartner und beste Freunde gewesen waren, hatten die Familien während Jakes Kindheit sehr viel Zeit miteinander verbracht. Aber seine intensivste Erinnerung an Nikki lag nur fünf Jahre zurück: ihre wilde gemeinsame Nacht in Atlantic City.

Auch wenn sie vier Jahre jünger war als er, war sie doch schon immer sehr reif für ihr Alter gewesen. Vor einer halben Ewigkeit war sie seine erste feste Freundin gewesen. Trotz alledem war die verführerische Frau, mit der er eine heiße Wiedervereinigung in einem Kasinohotel gefeiert hatte, ganz anders gewesen als die blasse rothaarige Schönheit aus seiner Jugend. Diese neue Nikki hatte ihn geradezu überwältigt – und eingeschüchtert.

Leise vor sich hin murmelnd fuhr Jake weiter. Die meisten seiner Erinnerungen an Nikki waren an dieses Haus gebunden, dabei war sie schon lange nicht mehr hier.

Sein eigentliches Ziel war zunächst ein kleines Luxushotel, das für seine Diskretion bekannt war. Er war auch durchaus schon mit weniger zurechtgekommen, doch mittlerweile bevorzugte er es, am Ende des Tages in ein gemütliches Bett zu fallen. Nachdem er eingecheckt und sein geräumiges Zimmer betreten hatte, ließ er sich auf den Rand der Matratze sinken und starrte auf sein Handy. Er musste Joshua Bescheid geben, dass er angekommen war. Joshua Lowell – seinem Zwillingsbruder. Gemein hatten sie nur ihr Äußeres: blondes Haar, hellbraune Augen und eine Größe von beinahe einem Meter neunzig.

Als Josh ihn angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass ihr Vater gefunden worden war, hatte er Jake gebeten, nach Falling Brook zurückzukehren. Eigentlich hatte Josh ihm sogar angeboten, ihn zu beherbergen, doch diese Einladung hatte er sicher nur aus Pflichtgefühl ausgesprochen. Schließlich hatten sie sich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Abgesehen von gelegentlichen steifen Textnachrichten oder E-Mails zu besonderen Anlässen – und dem kürzlichen Telefonat – hatten sie keinen Kontakt gehabt. Sie hätten ebenso gut Fremde sein können.

Im Laufe der Jahre hatte Jake dafür gesorgt, dass er schwer aufzufinden war – und das ganz bewusst. Er hatte die Verbindung zu seinen Brüdern gekappt und wusste nur noch sehr wenig über ihr Privatleben. Mit zweiundzwanzig hatte er noch nicht verstanden, dass Familie nun mal Familie war, komme, was wolle. Ebenso wenig war ihm klar gewesen, dass das Vagabundenleben mit der Zeit seinen Reiz verlieren würde.

Nun wesentlich erfahrener und mittlerweile siebenunddreißig, hoffte er, die Beziehung zu seiner Familie wieder ins Reine bringen zu können – vor allem, da Joshua ihn um seine Meinung zur CEO-Suche für Black Crescent gebeten hatte. Es fühlte sich gut an, um Rat gefragt zu werden.

Sie wollten sich um sieben Uhr im Restaurant des Hotels treffen, und Jake steckte der Oberkellnerin einen Fünfziger zu, damit sie ihnen einen gut abgeschirmten Tisch zuwies. Wenn irgendjemand zwei der drei Lowell-Brüder zusammen entdeckte, würde ihr Abend alles andere als ruhig verlaufen.

Jake hasste Paparazzi. Nach dem Verschwinden seines Vaters waren die Lowells und die Reardons ständig von Journalisten verfolgt worden. Damals war Jake ein frischgebackener Collegeabsolvent gewesen. Seine Rucksacktour quer durch Europa war bereits fertig geplant, also war er einfach früher abgereist, um dem Wahnsinn zu entfliehen.

Josh – der gute alte, verlässliche Josh – war geblieben, um den Schlamassel zu beseitigen. Die Schuldgefühle verfolgten Jake bis heute. Stück für Stück hatte sein Bruder Black Crescent wieder aufgebaut. Joshua hatte sich den Anschuldigungen gestellt und mit der Polizei kooperiert. Statt sein unglaubliches künstlerisches Talent auszuschöpfen, hatte er seine Träume auf Eis gelegt und versucht, die Missetaten ihres Vaters wiedergutzumachen. Jake hingegen hatte nur seine eigenen egoistischen Ziele verfolgt. Manchmal tat die Wahrheit wirklich weh.

Als Joshua das Restaurant betrat und an den Tisch kam, sprang Jake auf und umarmte ihn unbeholfen. „Lange nicht gesehen.“ Innerlich zuckte er zusammen. Das musste unheimlich gedankenlos klingen.

Sie setzten sich, und der Sommelier schenkte ihnen einen seltenen Burgunder ein – Jake hatte sich daran erinnert, dass sein Bruder diese Sorte besonders gern trank. Wobei, wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit. Geschmäcker änderten sich.

Josh stürzte das halbe Glas hinunter, lehnte sich zurück und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Du siehst gut aus, Jake.“

„Du auch.“

Kurzes Schweigen.

„Das hier ist komisch.“ Joshua fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er trug einen teuren Anzug und eine purpurne Krawatte. Im Vergleich dazu fühlte Jake sich in Jeans und Rugby-Trikot ein wenig ungepflegt. Aber das war schon immer der Unterschied zwischen ihnen gewesen: Josh kleidete sich gemäß seiner Rolle als wohlhabender Mann, während Jake es bevorzugte, sich diesen gesellschaftlichen Zwängen zu widersetzen.

Er richtete sich ein wenig auf. „Ich möchte dir etwas sagen, und das kann ich auch einfach gleich tun“, begann er geradeheraus. „Es tut mir leid, Josh. Es tut mir leid, dass Dad uns in diesen Schlamassel gebracht hat, und es tut mir leid, dass ich dich mit der ganzen Arbeit alleingelassen habe. Ich habe dich im Stich gelassen. Aber jetzt bin ich hier, falls das hilft.“

Josh lächelte angestrengt und seufzte. Er war drei Minuten vor Jake geboren worden und hatte die Rolle des „älteren“ Bruders stets ernst genommen. „Ach Jake, ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, wütend auf dich zu sein. Wir haben alle unseren eigenen Weg gewählt. Niemand hat mich dazu gezwungen, hierzubleiben und den Scherbenhaufen aufzukehren, den Dad hinterlassen hat.“

„Aber wir dachten beide, er sei tot.“ Das stimmte. Ihre Mutter Eve hatte vor fünfzehn Jahren mehr als einen Privatdetektiv angeheuert, und das FBI hatte monatelang nach Vernon Lowell gesucht. Doch es hatte kein einziges Lebenszeichen gegeben.

Joshuas Blick verfinsterte sich. „Es wäre leichter, wenn er tatsächlich tot wäre, oder?“

Die brutale Wahrheit hing zwischen ihnen in der Luft. Jake zog sich der Magen zusammen. Vor Kurzem hatten die Behörden Vernon auf einer abgelegenen Insel der Bahamas aufgegriffen und an die USA ausgeliefert. Seitdem saß er in Haft – und wollte seine beiden ältesten Söhne sehen. Oliver, ihr jüngerer Bruder, hatte ihm erst kürzlich einen Besuch abgestattet, was nicht gut gelaufen war.

„Wir müssen hingehen, oder?“, fragte Jake.

Josh zuckte die Achseln. „Er kann uns nicht dazu zwingen.“

„Andererseits könnten wir vielleicht endlich mit der Sache abschließen, wenn wir ihm ins Gesicht sagen, dass er zur Hölle fahren soll.“

Joshs Mundwinkel zuckten. „Da könntest du recht haben.“

„Die letzten sechs Monate waren wahrscheinlich nicht leicht für dich, nachdem diese verdammte Reporterin einen Jubiläumsartikel über den Black-Crescent-Skandal geschrieben hat. Ich bin erst kürzlich darüber gestolpert.“

Joshua lächelte. „Tatsächlich kann ich mich nicht beschweren. Ich bin mittlerweile mit dieser verdammten Reporterin verlobt.“

Jake fiel die Kinnlade herunter. „Im Ernst? Warum hast du mir das bei unserem Telefonat nicht erzählt?“

„Wir hatten schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen. Ich wollte es dir persönlich sagen. Die Hochzeit soll schon bald stattfinden. Sophie ist echt toll. Du wirst sie mögen. Sie war auch diejenige, die mich dazu ermutigt hat, mich wieder meiner Kunst zu widmen. Deswegen gebe ich auch die Führung von Black Crescent auf.“

„Das erklärt die Suche nach einem neuen CEO. Ich hatte mich schon gewundert, warum du das ausgerechnet jetzt erledigen willst.“ Wenn irgendjemand es verdient hatte, seine Träume zu verwirklichen, dann Josh. „Ich freue mich für dich. Aber was ist mit der Firma?“

Josh antwortete nicht gleich und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Ganz offensichtlich war ihm unbehaglich zumute. Nachdem ein Kellner ihnen die Vorspeise serviert hatte, sagte er: „Du hast in den letzten Jahren wirklich sehr erfolgreich den Nichtsnutz gespielt. Niemand hätte auch nur vermutet, dass du in Wahrheit ein kleines Finanzgenie bist.“ Er lächelte trocken.

„Wie kommst du darauf?“ Verwundert sah Jake seinen Bruder an.

„Ich habe ein paar Recherchen angestellt. Du bist ein verblüffend erfolgreicher Daytrader. Wahrscheinlich hast du sogar mehr Geld als ich. Das soll keine Beleidigung sein, aber es scheint ganz so, als hättest du Dads Geschäftssinn geerbt. Wenn auch nicht seine fragliche Moral“, fügte Josh hastig hinzu.

Jake bemühte sich, nicht überzureagieren. „Ja, ich bin einigermaßen erfolgreich“, gab er zu.

Eindringlich sah Joshua ihn an. „Ich möchte, dass du die Führung von Black Crescent übernimmst.“

Was?! „Oh nein.“ Vehement schüttelte Jake den Kopf. „Teufel auch, nein.“ Er ballte die Hand auf dem Tisch zur Faust. „Du hast doch sicher noch andere Kandidaten in der Hinterhand.“

„Ja, die haben wir tatsächlich. Ich führe nun schon seit Längerem Bewerbungsgespräche. Aber keiner der Kandidaten passt perfekt für den Posten.“

„Tja, du liegst absolut falsch, wenn du denkst, ich wäre es.“

„Vielleicht.“ Joshuas Miene war schwer zu deuten.

„Was ist denn mit Oliver? Wahrscheinlich will er das Fotografieren nicht aufgeben, oder?“ Der jüngste der Lowell-Brüder war vom Betrug ihres Vaters schwer getroffen worden, vielleicht sogar noch schwerer als Josh und Jake. Wut und Verzweiflung hatten ihn in die Sucht getrieben. Doch glücklicherweise war er nun schon lange wieder clean.

„Oliver ist endlich zufrieden mit seinem Leben. Es war nicht leicht für ihn, herauszufinden, dass Dad noch am Leben ist. Er muss die ganze alte Wut noch verarbeiten. Aber er geht gut damit um.“

Irgendwann neigte sich ihr Essen dem Ende zu, und Joshua bestand darauf, die Rechnung zu übernehmen. Eine nette – wenn auch unnötige – Geste. Erneut machte sich Unbehagen breit.

Stirnrunzelnd steckte Joshua die Kreditkarte wieder weg. „Ich muss mit dir über etwas Wichtiges sprechen“, sagte er. „Noch eine Sache, die ich nicht am Telefon erwähnen wollte.“

„Noch wichtiger als die Tatsache, dass unser Vater scheinbar von den Toten wiederauferstanden ist?“ Jake dachte, er würde für den bissigen Kommentar zumindest ein Lächeln ernten.

Doch Josh blieb ernst. „Vielleicht. Gehen wir doch eine Runde spazieren, während wir uns unterhalten.“

Jake schwirrte der Kopf, während er seinem Bruder aus dem Restaurant und hinaus auf den Gehweg folgte. Die Luft draußen war angenehm kühl. Es war Anfang November, und einige der Geschäfte hatten ihre Fenster bereits für die Feiertage geschmückt.

Die letzten fünfzehn Male war die Weihnachtszeit für Jake sehr schmerzhaft gewesen – und für den Rest seiner Familie vermutlich auch. Weihnachten erinnerte ihn stets an all das, was er verloren hatte. Während seiner Kindheit hatte Jake spektakuläre Geschenke bekommen: Ponys, Gitarren, Rennräder. Einfach alles, was ein Kind sich wünschen konnte. Und dann hatte das alles schlagartig geendet. Schlimmer noch, andere Familien, absolut unschuldige Familien, waren verletzt worden. Jake und seine Brüder, seine Mutter, waren ebenfalls unschuldig, aber das hatte niemand glauben wollen. Sie wurden verachtet – gehasst.

Jake zog die Schultern hoch und passte sich den Schritten seines Bruders an, während sie die Straße hinuntergingen. Er wollte nicht an diese schlechten Zeiten zurückdenken, doch die Erinnerungen hingen an ihm wie Spinnweben. In Falling Brook gab es für ihn keinen Frieden.

Aber es fühlte sich gut an, sich ein wenig zu bewegen. Drei Blocks lang sagte Joshua kein Wort. Jake versuchte, ihm Zeit zu geben, doch allzu schnell war seine Geduld am Ende. „Warum so mysteriös?“

Abrupt blieb Joshua stehen, direkt unter einer Straßenlaterne. „Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll.“

„Was? Bin ich etwa sterbenskrank?“

„Das ist nicht witzig.“

„Woher soll ich denn wissen, worum es geht? Bisher hast du kein Wort gesagt.“

Josh lehnte sich an die Laterne, seine Miene angespannt und erschöpft. Er wirkte alles andere als sorglos, auch wenn er glücklich verliebt sein mochte. Schließlich zuckte er die Schultern. „Als im Frühling dieser Artikel veröffentlicht wurde, fehlte darin ein ziemlicher Knüller.“

„Ach ja?“ Jake schob die Hände in die Hosentaschen.

„Sophie hatte einen DNA-Nachweis dafür, dass ich angeblich der Vater eines Kindes bin.“

„Verdammt, Joshua. Warum hast du mir das nicht gesagt?“

„Anfangs wollte sie ihre Quelle nicht preisgeben, aber als wir uns dann näherkamen, hat sie schließlich zugegeben, dass Zane Patterson ihr die DNA-Ergebnisse zugespielt hat.“

Jake war mehr als nur schockiert – er war misstrauisch. „Zane Patterson von der Highschool? Er war im Jahr unter Oliver, oder? Was hat er mit alldem zu tun?“

„Zane hatte den Bericht von einer anonymen Quelle erhalten. Er war immer noch wütend darüber, was seine Familie alles verloren hat, als Dad mit dem Geld verschwunden ist. In dem Test sah er seine Chance, es mir und Black Crescent heimzuzahlen. Bloß hat Sophie sich letztendlich dagegen entschieden, Zanes Informationen in dem Artikel zu veröffentlichen.“

„Aber du hast mittlerweile doch bestimmt beweisen können, dass das alles bloß ein Schwindel war. Das ist jetzt wie lange her? Sechs Monate? An der Sache ist doch sicher nichts dran, oder?“

Langsam schüttelte Joshua den Kopf, sein Kiefer angespannt. „Der Bericht war nicht gefälscht. Er war echt. Irgendwo da draußen gibt es ein vierjähriges Mädchen mit meinen Genen. Also habe ich diskret sämtliche Frauen aus meiner Vergangenheit ausfindig gemacht, die in den Zeitrahmen passen würden. Es waren nicht sonderlich viele, und keine von ihnen hat ein Kind in dem Alter.“

„Dann war der Bericht also doch gefälscht?“ Verwirrt starrte Jake seinen Bruder an. Das ergab doch alles keinen Sinn.

Joshua straffte die Schultern und musterte ihn ernst, und Jake wich leicht vor ihm zurück. Plötzlich hatte er das Gefühl, sich in Gefahr zu befinden.

Schließlich wurde Joshs Miene nachgiebiger, und eine seltsame Mischung aus Mitgefühl und Entschlossenheit spiegelte sich darin wider. „Der Bericht ist echt, Jake. Aber ich bin nicht der Vater des Kindes – sondern du.“

Nikki Reardon sah auf die Uhr. In einer halben Stunde musste sie ihre Tochter Emma von einem Ausflug in die Kirche ihrer winzigen Gemeinde in New Jersey abholen. Emma liebte es, zweimal in der Woche in den Kindergarten zu gehen und hatte schon mehrere Freunde gefunden.

Außerdem ermöglichte der Kindergarten Nikki ein wenig kostbare Freizeit. An vier Tagen in der Woche arbeitete sie als stellvertretende Managerin im örtlichen Diner und kümmerte sich gleichzeitig um ihre Tochter und ihre Mutter. Da war es manchmal schwer, sich nicht überfordert zu fühlen. Wann immer Nikki die Nachtschicht im Diner übernehmen musste, blieb ihre Mutter über Nacht bei ihr.

Das war zwar bei Weitem keine perfekte Lösung, aber es funktionierte. Manchmal fühlte Nikki sich schuldig, ihre Mutter so häufig als Babysitterin einzuspannen. Aber zugleich glaubte sie fest daran, dass Emma einen Lichtblick in dem sonst leeren Leben der Großmutter darstellte.

Nikki wandte sich wieder ihrem Tablet zu und las einen Artikel, der allzu viele schlechte Erinnerungen weckte. Vor ein paar Tagen hatte sie erfahren, dass Vernon Lowell noch am Leben war. Die heutige Schlagzeile verkündete, dass er sich all die Jahre über auf den Bahamas versteckt hatte. Nach einer schnellen Auslieferung wartete Vernon nun in einem Staatsgefängnis auf seinen Prozess.

Sie wollte mit ihm reden. Schließlich war er der Einzige, der die Wahrheit kannte. Vernon und ihr Vater waren beste Freunde und Geschäftspartner gewesen. Aber ihr Vater war tot. Sie hatte den Leichnam gesehen, die Beerdigung durchlitten. Alle hatten Vernon ebenfalls für tot gehalten – doch nun war er zurück.

Wenn sie über den Black-Crescent-Skandal nachdachte, wanderten ihre Gedanken unweigerlich auch zu Jake, ihrem ersten festen Freund. Sie konnte verstehen, wieso er gegangen war. Die Journalisten hatten ihm das Leben zur Hölle gemacht. Seitdem hatte sie ihn nur einmal gesehen – in der besten und zugleich schlimmsten Nacht ihres Lebens.

Als es laut an der Tür klopfte, spähte sie vorsichtig durch den Schlitz zwischen den billigen Vorhängen. Großer Gott. Es war Jake. Höchstpersönlich. Was wollte er hier? Seine Familie lebte immer noch in Falling Brook, mehr als eine Stunde entfernt. Warum war er hergekommen?

Langsam öffnete sie die Tür, darum bemüht, leise Neugier auszustrahlen, obwohl ihr Herz wie wild klopfte. „Jake“, sagte sie. „Was für eine Überraschung.“

Er durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick. „Stimmt es?“

Gedanklich ging sie tausend Gründe durch, aus denen er hier sein könnte. „Stimmt was? Komm doch erst mal rein. Möchtest du was trinken?“

Sie machte einen Schritt zurück und hielt ihm die Tür auf, und Jake trat in ihr kleines Wohnzimmer und tigerte darin auf und ab. Wütend betrachtete er ihre bescheidene Einrichtung. „Ich will wissen, warum du Zane Patterson anonym die Information zugespielt hast, dass Joshua der Vater deines Kindes ist.“

Erschrocken starrte sie ihn an und ließ sich aufs Sofa fallen. „Mein Kind?“ Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie sehr ihre Stimme zitterte. Sie hatte nichts falsch gemacht.

„Spar dir die Show.“ Finster schüttelte Jake den Kopf. „Ich weiß, dass es stimmt. Was hast du dir davon erhofft, meinen Bruder zu erpressen?“

Nikki straffte die Schultern und warf ihm einen bösen Blick zu. „Wenn du dich setzen und das zivilisiert diskutieren willst, höre ich dir gern zu. Aber du liegst wirklich vollkommen daneben. Ich hatte nie Kontakt zu deinem Bruder oder zu Zane, zumindest nicht mehr, seit wir Teenager waren. Ich habe also keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Endlich ließ Jake sich in einen Sessel fallen und trommelte mit den Fingern auf der Armlehne herum. Während sie noch versuchte, wieder zu Atem zu kommen, musterte sie ihn. Er war wirklich ein sehr attraktiver Mann. Das war er schon immer gewesen. Heute trug er eine abgewetzte Bomberjacke aus Leder und eine alte Jeans, die so ausgewaschen war, dass sie sich perfekt an seinen Körper schmiegte. Er war braungebrannt – wie ein Mann, der sein Leben hauptsächlich draußen verbrachte. Sein blondes Haar könnte mal wieder einen Schnitt vertragen. Früher hatte die Sonne es im Sommer golden gebleicht. Nun war der Farbton ein wenig dezenter.

Sie sah auf die Uhr, darum bemüht, nicht in Panik zu verfallen. Kannte er die Wahrheit über Emma, oder fischte er im Trüben? Sie würde nicht lügen, was ihre Tochter betraf, aber sie würde auch nicht einfach so irgendwelche Informationen preisgeben. „Ich habe was Wichtiges zu erledigen“, sagte sie ruhig. „Das hier wird also warten müssen.“

Er knirschte mit den Zähnen. „Dann begleite ich dich.“

Ihr zog sich der Magen zusammen. In seiner Nähe spielten ihre Sinne immer verrückt. Warum fiel es ihr bloß so schwer, in Jake Lowells Gegenwart vernünftig zu bleiben? „Ich werde nicht lange brauchen. Wir könnten uns später zum Abendessen treffen.“

„Ich werde dich nicht aus den Augen lassen, Nikki Reardon.“ Sein Blick war finster. Unnachgiebig. Als wäre er der Jäger und sie die Beute.

„Na schön.“ Sie stand auf und nahm sich Tasche und Schlüssel. Sie hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn er Emma sah, aber sie würde einfach einen Fuß vor den anderen setzen, bis es so weit war. Ihre Mutter hatte sie gedrängt, Jake zu kontaktieren und ihn um Unterhalt zu bitten, aber Nikki war zu stolz dazu gewesen, ihn um Geld anzubetteln. Als Jake sie vor fünf Jahren ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte, hatte sie erkannt, dass er immer noch vor seiner Vergangenheit davonlief. Er wäre niemals der Mann, den sie brauchte.

Vor dem Haus schnitt sie eine Grimasse, als sie seinen schicken schwarzen Sportwagen sah. Das schnittige Fahrzeug wirkte in dieser Nachbarschaft völlig fehl am Platz. Ihr eigenes Auto war ein fünfzehn Jahre alter Kleinwagen mit einem Kindersitz auf der Rückbank. Sie schloss das Auto auf und sah zu, wie Jake sich auf den Beifahrersitz quetschte. Bei seiner Körpergröße würde er es nicht allzu bequem haben. Gut so.

„Wo fahren wir denn hin?“

„Ich muss Emma vom Kindergarten abholen.“

„Emma?“ Er klang erstickt.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Er war kreidebleich. „Ja, Emma. Meine Tochter.“

2. KAPITEL

Durch die Windschutzscheibe beobachtete Jake, wie Nikki mit einem lebhaften kleinen Mädchen an ihrer Seite zurück zum Auto kam. Ihm war mulmig zumute. Er wurde von so vielen Gefühlen überwältigt, dass er sie gar nicht alle benennen konnte.

Während der kurzen Fahrt hierher hatten er und Nikki sich nicht weiter unterhalten. Ihre Fingerknöchel waren weiß hervorgetreten, so fest hatte sie das Lenkrad umklammert. Nun versuchte er, sie ganz objektiv zu mustern, doch seine Erinnerungen machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Nikki, nackt auf seinem Hotelbett. Lächelnd. Warm und befriedigt, nachdem sie sich geliebt hatten. Ihre bleiche Haut makellos wie Porzellan.

Es war nur eine Nacht gewesen. Eine ganz besondere Nacht vor beinah fünf Jahren. Und nun war er Vater? Warum hatte Nikki es ihm nicht gesagt? Oder war das alles bloß ein Missverständnis? Noch während er sich Nikkis Verhalten zu erklären versuchte, musste er an die anonymen E-Mails denken, die irgendwann bei seinem Bruder angekommen waren. Trotz Joshuas Beharren, dass es ein Kind mit Lowell-Blut gab, blieb Jake misstrauisch. Das lag einfach in seiner Natur. Der Betrug seines Vaters hatte ihn gelehrt, niemandem zu leicht zu vertrauen.

Die hintere Wagentür wurde geöffnet, und Nikki half ihrer Tochter auf den Kindersitz. Fröhlich brabbelnd stieg Emma ein, verstummte jedoch, als sie Jake bemerkte. Sie hatte hellbraune Augen, doch das musste nichts heißen, denn die könnte sie ebenso gut von ihrer Mutter geerbt haben. Doch ihr blondes Haar war unverwechselbar.

Jake wollte die Kleine begrüßen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen nickte er ihr bloß kurz zu und drehte sich dann wieder nach vorn. Am liebsten hätte er Emma weiter angestarrt, sie von Kopf bis Fuß gemustert. Aber er wollte sie nicht erschrecken. Es reichte, wenn einem von ihnen unbehaglich zumute war.

Wieder vor ihrem Haus angekommen, senkte Nikki die Stimme, während sie parkte. „Ich gebe ihr normalerweise eine Kleinigkeit zu essen, und dann spielt sie etwa eine halbe Stunde lang allein in ihrem Zimmer. Bei der Gelegenheit können wir uns weiter unterhalten.“

Jake nickte, unsicher, was er dazu sagen sollte. Lauter verrückte Offenbarungen schossen ihm durch den Kopf: Sein Vater war am Leben. Nikki hatte ein Kind, und er könnte der Vater sein. Das war einfach zu viel auf einmal.

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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