Wunder einer zärtlichen Nacht

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Vor zehn Jahren verfiel die blutjunge Verity dem Charme des viel umschwärmten Galen Bromney, und das Unerhörte geschah: Sie wurde in einer zärtlichen Nacht seine Geliebte. Nicht ohne Folgen - nur dem Heiratsantrag ihres inzwischen verstorbenen Mannes war es zu verdanken, dass ihre gesegneten Umstände ihr nicht zum Verhängnis wurden. Jetzt trifft Verity ganz unverhofft auf Galen, der nach zehn Jahren aus Italien nach England zurückgekehrt ist. Sie findet den Mann, der sie in das Geheimnis der Liebe einweihte, verändert. Sicher, noch immer sehr charmant, aber gleichzeitig ernsthaft und verantwortungsvoll. Als Galen ihr gesteht, dass er beabsichtigt, eine standesgemäße junge Dame zu heiraten, schwankt sie zwischen Hoffnung und Verzweiflung...


  • Erscheinungstag 07.09.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763312
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Auf der Kante eines Sofas in ihrem prächtig ausgestatteten Salon sitzend, musterte Lady Bodenham ihren Cousin Galen Bromney, den Duke of Deighton.

„Nun, mein Lieber“, stellte sie in mütterlichem Tonfall fest, „ich muss sagen, die italienische Luft hat dir gut getan, auch wenn du ziemlich braun bist.“

Mit ihrem fein gearbeiteten Elfenbeinfächer tippte sie Galen bei jedem Wort auf den Arm. „Wirklich …“ Tipp. „Ziemlich …“ Tipp. „Braun.“

Ein Lächeln breitete sich über die sinnlichen Lippen des Duke of Deighton, während er den Blick Ihrer Ladyschaft erwiderte. Seine haselnussbraunen Augen blitzten amüsiert.

Seine Cousine wirkte ebenso prächtig herausgeputzt wie der große Raum, der ursprünglich Teil eines mittelalterlichen Klosters gewesen war. Eloises Familie war unter der Herrschaft Heinrichs VIII. in den Besitz der Abtei gelangt und renovierte seither mehr oder weniger geschmackvoll daran herum.

An diesem Abend trug Lady Bodenham ein blassgrünes Musselinkleid mit hoch angesetzter Taille, das jedoch ihren fahlen Teints unvorteilhaft hervorhob. Ihr dünnes Haar hatte man in eine komplizierte Frisur gequält.

„Wahrscheinlich hast zu viel zu lange wie ein Bauer gelebt“, fuhr Eloise ein wenig nörglerisch fort.

„Dann wäre ich aber ein sehr reicher und träger Bauer gewesen“, erwiderte der Duke. „Sind das alle Veränderungen, die dir auffallen?“

„Was sollte ich denn sonst noch sehen? Eine Tätowierung oder etwas ähnlich Unerhörtes?“

Galen wusste nicht, weshalb er überhaupt gefragt hatte. Schließlich war Eloise noch nie durch eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit aufgefallen.

Was seine Erscheinung anging, hatte sie allerdings recht. Bis auf die gebräunte Haut und ein paar Fältchen um die Augen sah er kaum anders aus als zehn Jahre zuvor, als er England verlassen hatte.

Mit einem Seufzer wandte er die Aufmerksamkeit Eloises Gästen zu, der üblichen Versammlung von echten Freunden und unvermeidlichen Schmarotzern, die die großzügige Gastfreundschaft seiner Cousine genossen. Wenig überraschend senkten einige der Damen errötend die Lider, wenn sein Blick dem ihren zufällig begegnete, um dann wie gebannt in eine andere Richtung zu sehen.

Wäre sein Ruf nur zusammen mit ihm verschwunden!

Leider war das nicht der Fall, wie dem Duke klar geworden war, sobald er nach seiner Rückkehr Almack’s betreten hatte. Ein salbungsvolles Lächeln hier, ein wissendes Grinsen dort, scherzhafte Bemerkungen, dass man nun ein wachsames Auge auf Frauen und Schwestern haben müsse …

Zehn Jahre zuvor war er der wichtigtuerischste, lüsternste Schurke gewesen, den man sich denken konnte, ein Mann, der Affären nach Belieben begann und beendete und keine Moral kannte – bis zu jener Nacht, die sein Leben für immer verändert hatte.

„Ich muss gestehen, dass ich nicht begreife, weshalb du die letzten zehn Jahre im Ausland gelebt hast“, unterbrach Ihre Ladyschaft seine Gedankengänge.

Galen war versucht zu erwidern, er zöge die italienischen Bauern seiner Familie und der britischen Aristokratie insgesamt vor, schwieg jedoch. Schließlich war er Eloises Gast, und niemand zwang ihn zu bleiben. „Weil es mir dort gefällt.“

Von dieser Antwort fühlte seine Cousine sich offensichtlich gekränkt. „Vielleicht hättest du dann dort bleiben sollen“, erwiderte sie gereizt.

„Das hätte ich auch getan, wenn mein Vater nicht gestorben wäre.“

Eloise errötete beschämt, und um ihr über die Verlegenheit zu helfen, fuhr Galen im gleichen beiläufigen Ton fort. „Deshalb kam ich zurück. Aber du hast mich noch nicht gefragt, liebe Cousine, weshalb ich geblieben bin.“

„Du musst dich um den Besitz kümmern“, entgegnete Eloise. „Oder es gibt da eine Frau.“

„Nein, die Güter sind in den besten Händen. Jasper ist ein fähiger Verwalter“, antwortete Galen.

Er rückte ein Stück näher an seine Gastgeberin heran und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Aber du hast recht. Es geht um eine Frau.“

Neugierig riss Eloise die Augen auf, während er melodramatisch zögerte. „Ich habe beschlossen, mir eine Braut zu suchen.“

Eloise schaute verdutzt drein. „Eine … was?“

„Eine Braut. Eine Frau. Eine Gefährtin, mit der ich meine restlichen Tage verbringen und einen Erben zeugen kann. Ich bin nach Hause gekommen, um zu heiraten.“

„Ich glaube kaum … Ich kann nicht begreifen …“

Besorgt runzelte der Duke die Stirn. „Soll ich ein Glas Wasser oder Riechsalz bringen lassen, Eloise? Du siehst aus, als stündest du am Rande einer Ohnmacht.“

„Nein, nein, mir geht es gut. Ich bin nur überrascht! Was sage ich, schockiert! Erfreut! Du … als Ehemann!“

Obwohl sie zu ihrem Cousin sprach, ließ sie den Blick suchend durch den Raum wandern.

„Ich hab’s!“, rief sie aus, als hätte sie das sagenhafte Eldorado entdeckt. Mit dem Fächer deutete sie verstohlen auf eine junge Frau in jungfräulich weißem Kleid mit rosaroter Schärpe und rosa Teerosen im glänzend schwarzen Haar. Selbst der Teint der jungen Dame war weiß und ihre Wangen rosig überhaucht, und sie hatte einen langen, anmutigen Hals, der nur von einem einfachen schmalen Goldkettchen geschmückt wurde.

Eloise senkte die Stimme zu einem aufgeregten Flüstern. „Lady Mary, die Tochter des Earl of Pillsborough! Ihr Vermögen ist ungeheuer. Und, wie du siehst, ist sie obendrein eine Schönheit.“

Galen stimmte ihr insgeheim zu, obwohl die junge Frau ihn kalt ließ. Es würde mehr brauchen als Äußerlichkeiten, um ihn zur Heirat zu verlocken.

„Sie hat auch beachtliche Fertigkeiten vorzuweisen. Sie musiziert und singt und häkelt die erlesensten Retiküls …“

Der Duke unterbrach sie. „Ich hatte nicht vor, die Auswahl gleich heute zu treffen.“

Seine Cousine runzelte die Stirn. „Schließlich bist du nicht mehr jung, Galen. Du bist über dreißig.“

„Ich weiß, dass ich ziemlich viel Zeit vergeudet habe, Eloise, aber ich hatte meine Gründe.“

„Ach?“

„Persönliche Gründe, liebe Cousine.“

Eloise blickte noch finsterer drein. „Oh.“

„Allerdings brauche ich deine überragende Kenntnis des ton“, erklärte Galen, nicht nur, weil das den Tatsachen entsprach, sondern auch um ihre verletzten Gefühle zu besänftigen. „Ich möchte mich nicht von einem hübschen Gesicht oder charmantem Benehmen zu etwas Törichtem verleiten lassen.“

Ihre Ladyschaft lächelte beschwichtigt. „Ich werde dir mit Freuden behilflich sein, Galen. Mit Freuden!“ Dann verdüsterte sich ihre Miene wieder.

„Was gibt es? Befindet sich hier eine ungeeignete Frau mit hübschem Gesicht und bezaubernden Manieren? Und wenn ja, weshalb käme sie als mögliche Braut nicht infrage?“

„In der Tat, ja … wenn auch nicht aus den Gründen, die du vielleicht annimmst oder von anderen hörst“, brachte seine Cousine zögerlich hervor.

„Ich platze bald vor Neugier“, meinte Galen nur wenig übertrieben.

„Sie ist eine liebe Freundin aus der Schulzeit“, erläuterte Eloise.

Der Duke erinnerte sich an seine Cousine als Schulmädchen. Ständig hatte sie gekichert, und wenn ihre „liebe Freundin“, ihr ähnelte, war die Warnung ziemlich überflüssig.

„Sie ist Witwe. Ihr Mann starb vor zwei Jahren, und sie lebt seither praktisch wie eine Einsiedlerin.“ Eloise wedelte heftig mit ihrem Fächer, als müsste sie einen Angriff von Stechmücken abwehren. „Heute ist sie zum ersten Mal wieder zu Besuch gekommen.“

„Ich sehe keine Frau in schwarzer Kleidung“, bemerkte Galen, indem er den Blick rasch über die Menge der Damen in Samt und Seide gleiten ließ.

„Sie ist noch nicht hier“, antwortete Eloise. „Aber sie sollte bald herunterkommen, wenn das Kind sie nicht aufhält. Meine Freundin liebt ihre Tochter über alles und wird sie völlig verwöhnen, wenn sie nicht aufpasst.“

Galens Lächeln war ein wenig angespannt. „Bestimmt hast du ihr einen guten Rat erteilt“, meinte er ironisch.

„Natürlich, aber ich bezweifle, dass sie auf mich hört. Sie war schon immer eigenwillig.“

„Dann beruhige dich, liebe Cousine. Ich meide eigensinnige Frauen aus Prinzip, und eigensinnige Witwen mit Kindern erfüllen mich mit Entsetzen. Sobald wir einander vorgestellt wurden, werde ich sie also ignorieren“, sagte er.

Sein leichter Sarkasmus war an Eloise verschwendet. „Ich kenne dich und weiß, dass du eine hübsche Frau nicht in Ruhe lassen kannst. Aber mit ihr flirtest du bitte nicht, sonst flüchtet sie im Handumdrehen zurück nach Jefford. Sie hat nämlich schon von dir gehört. Ich fürchte sogar …“ Eloise schoss das Blut in die Wangen. „Nun, ich habe ihr vielleicht ein ziemlich … lebendiges Bild von dir vermittelt.“

Nur zu gut konnte sich Galen vorstellen, wie Eloise ihn und sein Verhalten vor seiner Abreise aus England beschrieben hatte. Vermutlich stellte sich die Witwe ihn mit Hörnern und Quastenschwanz vor.

„Über den Tod ihres Mannes war sie ziemlich erschüttert. Offen gesagt, ich fand ihn zu alt für sie. Doch man sagt, er hat sie angebetet und war außer sich vor Freude, als sie ein Kind bekamen, obwohl es kein Sohn war.“

Eloise rückte näher, wodurch dem Duke ihr schweres Parfüm in die Nase stieg. „Ihre angeheiratete Verwandtschaft soll erbost gewesen sein. Jahrelang hatte sie in der Überzeugung gelebt, das Geld des alten Mannes zu erben, verstehst du. Und dann geht er nicht nur eine neue Ehe ein, sondern es kommt auch noch ein Kind. Der Hauptteil seines Besitzes ging an meine Freundin und ihre Tochter. Die Verwandten bekamen nur noch ein kleines Vermächtnis. Nach Daniel Davis-Jones’ Tod sollen sie sogar eine Untersuchung gefordert haben.“

„War sein Tod denn so mysteriös?“

„Nun …“ Eloise beugte sich noch dichter zu ihrem Cousin. „Er kam ziemlich plötzlich. Der Arzt jedoch war sicher, dass eine Lungenentzündung schuld war. Wie jemand glauben kann, seine Frau wäre fähig zu …“ Viel sagend hob sie die Brauen.

„Einem Mord?“

„Sprich so etwas nicht aus!“, rief Ihre Ladyschaft ehrlich entsetzt aus. „Wenn du sie erst getroffen hast, hältst du es auch nicht mehr für möglich. Sie ist ein so sanftes Wesen.“

„Diese Ideen setzt du mir doch in den Kopf“, bemerkte Galen. „Woher weißt du das nur alles?“

„Ich habe meine Quellen, Cousin.“

Natürlich, sie gab Gesellschaften, hatte beinah ständig Hausgäste, fuhr zur Kur nach Bath und Baden-Baden und korrespondierte. So verfügte sie über ein Netzwerk an Klatschlieferanten, das, was die Informationsbeschaffung anging, vermutlich sogar die Möglichkeiten der Regierung in den Schatten stellte.

„Du liebe Güte, ich glaube, ich habe da einen Fehler gemacht“, meinte Eloise reuevoll. „Du bist ja regelrecht fasziniert.“

„Uralter Tratsch interessiert mich wirklich nicht, und ich versichere dir, Witwen mit Kindern und ohne großen Besitz haben wirklich keinen Reiz für mich.“

„Gut, dann komm. Ich will dich Lady Mary vorstellen“, forderte Eloise ihn auf und machte eine Kopfbewegung zu einer jungen Frau auf der anderen Seite des Salons hin.

„Gibst du mir noch einen Moment, um mich auf diese wichtige Begegnung vorzubereiten?“, wehrte sich der Duke mit einer Halbwahrheit. „Wenn du mich bitte entschuldigst. Eine Runde durch den Garten wäre jetzt genau das Richtige für mich.“

Bevor seine Cousine widersprechen konnte, wandte Galen sich ab und trat auf die Terrasse hinaus. Mit einem raschen Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass er allein war, und seufzte erleichtert auf.

Nach der parfümgeschwängerten Atmosphäre im Salon genoss er die Frische der herbstlichen Luft.

Als er Eloises Einladung nach Potterton Abbey annahm, hätte er sich erinnern müssen, dass ihr das Haus leer vorkam, wenn es nicht wenigstens zwanzig Gäste beherbergte.

Und nachdem er ihr seine Zukunftspläne verraten hatte, fühlte er sich nun wie der Gegenstand einer Auktion. Genauso gut könnte man ihm gleich ein Schild um den Hals hängen mit den Aufschrift: „Duke, leicht gebrauchter Zustand, meistbietend zu verkaufen.“

Er blieb stehen und betrachtete die Gartenanlagen seiner Cousine. Sie mochte klatschsüchtig sein und sich einmischen, aber sie hatte einen wunderschönen Garten. Galen atmete tief durch. Er roch den Duft feuchten Grases, aber es lag noch etwas in der Luft, flüchtig und nicht benennbar, das ihn spüren ließ, er war zu Hause. Denn nirgendwo waren die Wiesen grüner als hier in England. Und darin verstreut standen Sträucher und Bäume, die der Herbst in bunte Farbtupfer verwandelt hatte.

Mit diesen Betrachtungen lenkte er seine Schritte dem Gebüsch zu, das scheinbar natürlich die Rasenflächen unterbrach. In Wirklichkeit würde Eloise der Natur in ihrem Einflussbereich ebenso wenig freien Lauf lassen, wie sie es gestattete, dass ihr Gatte zu Wort kam, wenn sie redete. Aber er würde dort sicher ein wenig Ruhe finden können.

„Sir!“

Durch diesen Warnruf alarmiert, duckte sich Galen. Ein Wurfgeschoss flog an seinem Kopf vorbei. „Was zum …!“

Zwischen den Büschen hervor kam ein kleines Mädchen auf ihn zugelaufen. „Entschuldigen Sie“, rief es und hob seinen Ball auf. Mit seinen leuchtend blauen Augen sah es ihn verlegen an. Sein dunkles Haar war lockig und dicht. „Ich wusste nicht, dass jemand in der Nähe ist“, setzte es schuldbewusst hinzu.

Seiner Größe nach zu urteilen, musste das Kind zwischen acht und zwölf Jahren alt sein. Es trug ein dunkles, schmuckloses Kleid, das verriet, dass es in Trauer war. Aus der Qualität des Stoffes schloss Galen jedoch, dass es der feinen Gesellschaft angehörte.

Mitgefühl regte sich in ihm. Dann schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, ob es sich wohl um die Tochter von Eloises Freundin, der eigensinnigen Witwe, handelte.

Falls sie es war, täuschte seine Cousine sich mit ihrer Einschätzung, das Mädchen sei verwöhnt. Er kannte verhätschelte Kinder, und dieses hier verhielt sich anders. Sein eigener jüngster Halbbruder etwa hätte ihn, den Duke, ohne zu zögern getadelt, weil er ihm in den Weg gelaufen war.

„Das ist schon in Ordnung“, versicherte er lächelnd. „Gut zu wissen, dass dies kein Angriff war.“

Erschrocken riss das Kind die Augen auf und drückte seinen Ball an sich. „Ist Ihnen so etwas schon einmal passiert?“

„Oh, ja, durchaus“, antwortete Galen.

Das Gesicht des Mädchens zeigte einen bewundernden Ausdruck.

„Auf die Gefahr hin, meinen Ruf zu riskieren, und um ganz ehrlich zu sein“, erläuterte Galen, „die Waffen waren Worte, nicht Schwerter.“

Enttäuschung breitete sich auf den Zügen der Kindes aus, und Galen fühlte sich unbegreiflicherweise, als hätte er etwas Wertvolles verloren. „Gestatte mir, mich vorzustellen. Ich bin der Duke of Deighton“, sagte er förmlich und machte eine vollendete Verbeugung.

Es freute ihn unbeschreiblich, dass der bewundernde Blick in die blauen Augen des Mädchens zurückkehrte. Es machte einen anmutigen Knicks. „Ich bin Miss Jocelyn Davis-Jones“, entgegnete es ernst.

„Und wie geht es Ihnen, Miss Davis-Jones?“

„Sehr gut, danke, Euer Gnaden.“

Der Duke war beeindruckt, dass sie die richtige Anrede für seinen Titel kannte. „Bist du ganz allein?“, fragte er, indem er sich nach anderen Kindern umschaute.

„Ja“, bestätigte sie in einem Tonfall, der sowohl verletzt als auch trotzig klang.

Sie musste seine Verblüffung bemerkt haben. „Die anderen wollten nicht mit hinaus, also bin ich ohne sie gegangen. Es macht mir nichts aus, allein zu sein.“

„Bewundernswerte Unabhängigkeit, Miss Davis-Jones.“

„Ich wäre lieber zu Hause. Mir gefällt es hier nicht“, verriet sie.

„Das zu hören tut mir leid“, meinte Galen.

Die kleine Jocelyn wurde verlegen. „Lady Bodenham ist sehr nett, und sie hat ein prächtiges Haus, und ihre Köchin macht herrliche Puddings, aber ich habe Heimweh.“

„Ich auch“, gestand Galen. „Mein Zuhause ist in Italien.“

Sie runzelte die Stirn. „Sind Sie Italiener?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich habe die letzten zehn Jahre in Italien gelebt, und es ist meine Heimat geworden.“

Tatsächlich war ihm seine Villa dort mehr Zuhause, als der Familiensitz es je für ihn gewesen war, auch wenn er sich in Italien oft sehr einsam fühlte.

„Oh. Ich fürchte, ich muss jetzt hinein zum Tee“, wechselte Jocelyn das Thema.

„Ich glaube, es ist noch nicht soweit“, widersprach Galen und deutete auf den Ball in ihren Händen. „Hättest du Lust, mit mir zu spielen?“

Jocelyn Davis-Jones neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn skeptisch. Während sie das tat, erkannte der Duke, wie sehr er sich wünschte, dass sie ihn mochte.

„Sie könnten Ihre Kleider schmutzig machen“, gab sie zu bedenken.

Vermutlich hatte das Mädchen selbst diese Warnung schon oft gehört. „Ich bin bereit, das in Kauf zu nehmen“, erklärte er mutig.

Er wurde mit einem Lächeln belohnt. Während Galen ihre dichten Locken bewunderte, lief sie los und warf ihm den Ball aus einer Drehung heraus unvermutet kraftvoll zu.

Er vermochte sich gerade rechtzeitig von seiner Überraschung zu erholen, um ihn zu fangen. Dann spielte er den Ball zu Jocelyn zurück und richtete sich auf ihren nächsten Wurf ein.

Das Mädchen war schnell und schien geübt. Einen Augenblick später flog der Ball in hohem Bogen wieder in Galens Richtung. Der Duke versuchte ihn mit einem verzweifelten Luftsprung zu erreichen.

Mit einem Schreckensschrei und nicht geringen Schmerzen landete er auf dem Boden.

„Sind Sie verletzt?“, rief Jocelyn besorgt.

„Nein“, murmelte Galen und stand auf, so rasch seine dreißig Jahre alten Beine und ein leicht gezerrter Muskel es zuließen.

Er warf den Ball in die Luft und gab ihm einen beschleunigenden Schlag mit der Hand, sodass er in Jocelyns Richtung schoss. Mit einem Aufjauchzen stürmte das Mädchen ihm hinterher, und Galen nutzte den Moment, um ein paar Grashalme von seiner Hose zu streichen.

Als er aufblickte, sah er Jocelyn vor dem Gebüsch knien. Sie schaute suchend umher. „Ich sehe ihn nicht!“

Hilfsbereit eilte Galen zu ihr.

Gemeinsam bückten sie sich unter die Büsche und sahen zwischen den Stämmen und den gleichmäßig geschnittenen Zweigen nach, als sie eine Frauenstimme Jocelyns Namen rufen hörten.

Sie richteten sich auf. „Das ist meine Mutter“, erklärte Jocelyn. „Es muss Teezeit sein.“ Kummervoll betrachtete sie die Büsche, die ihr Spielzeug verschluckt zu haben schienen. „Sie wird böse sein, wenn ich den Ball verloren habe.“

„Dann bleibe ich hier und suche weiter“, erbot sich Galen. „Weit kann er ja nicht sein, obwohl ich ihn schon kräftig geworfen habe.“

„Der Wurf war schlecht platziert, sonst hätte ich den Ball gefangen“, erklärte Jocelyn.

„Nein, er ging in die richtige Richtung“, widersprach Galen.

Jocelyns Miene verriet ihre Zweifel. „Sie wollten, dass er in den Büschen verschwindet?“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe auf dich gezielt.“

„Aber ich war dort drüben!“

Galen musste lachen. „Na gut, es war mein Fehler … aber du bist in diese Richtung gelaufen, nicht wahr?“

„Jocelyn?“

Galen und seine kleine Freundin drehten sich um. Der Duke bemerkte eine junge Frau, die ihn erstaunt musterte.

Verity Escombe.

Beim Anblick ihrer unvergesslichen Züge wurde Galen von den verschiedenartigsten Gefühlen überflutet – von Freude, Bestürzung, Wut und Erregung.

Er trat einen Schritt vor und bremste sich dann.

Er hatte diese Frau nie wieder sehen wollen. Das hatte er zumindest bis heute gedacht, ja gehofft. Du lieber Himmel, weshalb musste er ihr ausgerechnet jetzt begegnen?

Zehn Jahre waren vergangen, doch Verity Escombe hatte sich kaum verändert. Er blickte in die fragenden blauen Augen, die sie ihrer Tochter vererbt hatte. Verity öffnete die Lippen, als wollte sie etwas sagen … oder als erwartete sie seinen Kuss.

Galen bemerkte ihr einfaches schwarzes Kleid mit der modisch hohen Taille. Ein zarter Schal aus schwarzer Spitze bedeckte die schmalen Schultern. Das hellbraune Haar war einfach frisiert, und sie trug auch keine Handschuhe.

Dann bemerkte er den Ehering an ihrer Linken.

„Mama, das ist der Duke of Deighton“, erklärte Jocelyn, lief zu ihrer Mutter, nahm sie bei der Hand und führte sie zu ihm. „Wir haben miteinander gespielt.“

Er warf dem Kind einen Blick zu. Was immer er Verity gegenüber empfinden mochte, das Mädchen wollte er nicht erschrecken oder gar verletzen. Also verneigte er sich galant, als wäre er Verity Escombe nie zuvor begegnet.

Als hätte sie ihn nicht zehn Jahre zuvor verführt und dann verlassen.

2. KAPITEL

Zutiefst erschrocken, mit Herzklopfen und einer Erregung, die sich nicht unterdrücken ließ, aber auch voll Angst erinnerte sich Verity an ihre letzte Begegnung mit dem Duke of Deighton.

Nackt hatte er auf dem Bett gesessen und sie angefleht, ihm zu sagen, was sie bedrückte. Unfähig zu antworten und vor Reue über ihre selbstsüchtige, wollüstige Tat in Tränen aufgelöst, war sie davongelaufen, so rasch ihre zitternden Beine sie tragen wollten.

Danach hatte sie das Haus, in dem sie beide zu Gast waren, fluchtartig verlassen. Bei Lord Langley hatte sie sich damit entschuldigt, dass man sie zu Hause brauche. Verzweifelt hatte sie gehofft, Galen Bromney nie wieder zu begegnen.

Und nun stand er vor ihr, gut aussehend und elegant wie vor zehn Jahren, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Der Blick seiner Augen zeigte noch dieselbe Mischung aus Neugier und Selbstbewusstsein, und wie damals schien sein Lächeln ein großes Kompliment anzudeuten.

Und er trug sein dunkles, welliges Haar immer noch unmodisch lang.

Schon bevor sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte sie Bemerkungen aufgeschnappt, der berüchtigte Duke of Deighton mit seinen schulterlangen Locken müsse sich wohl für Samson halten. Doch nur wenige Männer wirkten so überwältigend maskulin mit einer derartigen Haartracht. Tatsächlich verlieh sie ihm sogar etwas Ungebärdiges und schien anzudeuten, dass er zu wilder Leidenschaft fähig war.

So hatte sie es empfunden, als sie ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte und so, das erkannte sie jetzt, da sie innerlich zu glühen begann, fühlte sie immer noch.

Und was die Manneskraft des Duke anging, wusste sie, dass der Vergleich mit Samson nicht übertrieben war.

Sie sah zu ihrer Tochter, die nichts von einer Verbindung zwischen ihrer Mutter und diesem Mann ahnte.

Jocelyn durfte es nicht erfahren, ebenso wenig wie irgendjemand anderes. Sonst wären sie ein gefundenes Fressen für Skandal und Klatsch und ihre Tochter würde eine traurige Berühmtheit erlangen, die ihre Zukunft belasten würde.

„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte der Duke mit seiner weichen, tiefen und verführerischen Stimme, wie sie kein anderer Mann besaß. „Sie müssen Mrs Davis-Jones sein, wenn Jocelyn Ihre Tochter ist“, setzte er lächelnd hinzu.

„Ja, die bin ich, Euer Gnaden.“ Auch Verity hielt sich an die Regeln einer höflichen Begrüßung, wobei sie den Blick des Duke jedoch mied. „Komm, Jocelyn, wir müssen uns entschuldigen und ins Haus gehen zum Tee“, fuhr sie dann ohne Pause fort.

„Kommen Sie auch mit hinein?“, fragte Jocelyn ihn.

„Noch nicht“, antwortete Galen.

Verity atmete auf.

„Ich will noch eine Runde durch den Garten drehen, bevor ich mich wieder in die Höhle des Löwen wage“, fügte er hinzu.

„Hier gibt es Löwen?“, wollte Jocelyn aufgeregt wissen. Offensichtlich erwartete sie eine Menagerie irgendwo auf Lady Bodenhams weitläufigem Besitz.

Der Duke lachte leise, und um seine Augen wurden kleine Fältchen sichtbar. „Das ist nur eine Redewendung, fürchte ich.“

Verity wandte sich ihrer Tochter zu. „Komm jetzt, Jocelyn. Wir sollten nicht zu spät kommen.“

Sie spürte das Widerstreben des Mädchens, schenkte ihm jedoch keine Beachtung. „Wir dürfen die anderen nicht warten lassen, und der Duke hat sicher noch etwas … anderes vor …“

Galen lächelte, als sich ihre Worte verloren. „Ihre Tochter war mir eine sehr angenehme Gesellschaft.“

„Dort ist mein Ball!“, rief Jocelyn plötzlich aus. Sie machte sich los und lief auf einen in der Nähe stehenden Busch zu, um ihr Spielzeug hervorzuholen, und ließ ihre Mutter schutzlos zurück – allein mit dem lächelnden, verführerischen, immer noch so begehrenswerten Duke of Deighton.

Verity stürzte ihrer Tochter hinterher und nahm sie wieder an die Hand.

„Auf Wiedersehen, Euer Gnaden“, sagte sie, während sie Jocelyn so gefasst wie möglich fortführte.

„Wahrlich ein Fortschritt, gemessen an deinem letzten Abschied von mir, meine Schöne“, murmelte der Duke vor sich hin, während er ihnen nachschaute, bis sie im Haus verschwunden waren.

„Das verstehe ich nicht. Wir sind doch eben erst angekommen“, murmelte Nancy Knickernell vor sich hin, während sie dem Wunsch ihrer Herrin gemäß die Taschen packte.

Verity saß an dem zierlichen Toilettentischchen aus Mahagoni und brachte ihre Frisur in Ordnung. Die enttäuschte Miene der Zofe blieb ihr nicht verborgen.

„Es ist wirklich schön hier, und es war sehr freundlich von Lady Bodenham, uns einzuladen“, erklärte sie, „aber Jocelyn hat Heimweh, und ich auch. Außerdem treffen jeden Tag weitere Gäste ein, und ich bin doch noch nicht so bereit, mich unter Fremde zu mischen, wie ich dachte.“

Die sommersprossige, rothaarige Nancy richtete sich auf. „Achten Sie nicht auf mich. Ich habe gesprochen, ohne nachzudenken“, meinte sie entschuldigend.

„Nein, mir tut es leid, dich zu enttäuschen“, erwiderte Verity. Und dich zu belügen, setzte sie in Gedanken hinzu. Doch sie hatte keine andere Wahl, sie musste Jocelyn von hier fortbringen.

Allerdings wagte sie nicht, den Abend in ihrem Zimmer zu verbringen, so verlockend ihr das auch erschien. Doch wenn sie sich nicht unter die anderen Gäste mischte, würde sie sicher deren Fantasie anstacheln und unwillkommene Vermutungen auslösen.

„Wie sehe ich aus?“, fragte sie und stand auf. Sie drehte sich langsam um die eigene Achse, damit Nancy sie kritisch beäugen konnte. Insgeheim wünschte sie sich, endlich nicht mehr Schwarz tragen zu müssen und sich auch wieder modischer frisieren zu können.

„Bildhübsch“, erklärte die Zofe. „Na ja, vielleicht ist es besser, wenn wir von diesen feinen Herrschaften und ihrem Personal wegkommen“, fuhr sie mit einem nachdenklichen Seufzer fort. „Manche von denen sind schon genauso arrogant wie ihre Herren. Wenn ich bloß an den Kammerdiener denke, der heute angekommen ist! Hat versucht, mir weiszumachen, dass er Claudius Caesar Rhodes heißt. ‚Wenn das stimmt, dann bin ich die Königin von Saba Knickernell‘, habe ich ihm gesagt.“

Verity lächelte und bedauerte den armen, ahnungslosen Burschen, denn sie konnte sich gut vorstellen, wie viel Gift Nancy dieser Bemerkung beigemischt hatte.

„Er ist der Diener des Duke of Deighton, was kann man da schon erwarten?“, plauderte die Zofe weiter. Sie beobachtete ihre Herrin scharf. „Ist das der Grund, warum Sie abreisen wollen?“

Mühsam rang Verity um äußerliche Unbekümmertheit. „Weshalb sollte ich abreisen, nur weil der Duke of Deighton eingetroffen ist?“

„Weil Sie eine schöne Frau sind, deswegen. Jeder hat von den Weibergeschichten des Duke gehört. Er soll so viele Geliebte gehabt haben, dass er sich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnert.“

„Oder erinnern wollte, falls jemand ihm unverschämte Fragen stellen würde“, ergänzte Verity. „An einer Witwe meines Alters hätte er allerdings bestimmt kein Interesse.“

„Ihr Glück!“ Nancys Miene zeigte plötzlich brennende Neugier. „Es stimmt also, dass er zahllose Geliebte hatte? Sogar eine Pariser Schauspielerin und eine, die er mehr oder weniger an den Prinzregenten weitergereicht hat?“

„Nancy!“

„Nun, Sie kennen Lady Bodenham schon so lange, und sie ist seine Cousine, also könnte sie …“

Dann gewahrte die Zofe den Blick ihrer Herrin und verstummte. „Ich habe ja nur laut gedacht“, murmelte sie und wandte sich wieder dem Gepäck zu.

Verity seufzte leise. Sie konnte ihrer Dienerin den Wissensdrang nicht übel nehmen, denn zu oft schon hatte sie in der Vergangenheit erlebt, wie Eloise ihre genauso neugierigen Freundinnen mit Berichten über die angeblichen Liaisons, Wetten und Duelle des Duke unterhielt.

Wenn sie das seinerzeit nicht getan hätte, dachte Verity bitter, dann wäre ich vielleicht bei unserer ersten Begegnung nicht so fasziniert von ihm gewesen.

„Wann fahren wir ab?“, wollte Nancy wissen, während sie eines von Veritys Unterkleidern zusammenfaltete.

„Ich wollte Lady Bodenham fragen, ob sie uns eine Kutsche zur Verfügung stellt, die uns früh am Morgen zur Posthalterei bringt. Du wirst doch rechtzeitig fertig mit Packen?“

„Ja, das schaffe ich“, bestätigte die Zofe.

„Vielen Dank. Ich werde nicht lange unten bleiben“, kündigte ihre Herrin an und ging in den angrenzenden Raum.

Da Verity ihre Tochter nicht im weiter weg gelegenen Kinderzimmer allein lassen wollte, hatte sie Eloise gebeten, das Boudoir als Schlafraum herrichten zu lassen. Dort schlief auch Nancy, sodass es ein wenig eng war.

Jocelyn war bereits gewaschen und lag im Bett. Auf dem kleinen Nachttisch neben ihr brannte eine einzelne Kerze.

„Hübsch siehst du aus, Mama“, stellte das Mädchen mit einem zufriedenen Lächeln fest.

„Danke.“ Verity zog ihrem Kind die Bettdecke fest über die Schultern. „Du versuchst am besten, gleich zu schlafen, mein Kleines. Morgen früh werden wir sehr zeitig aufstehen.“

„Ich will nicht zurück nach Hause.“

Verblüfft setzte Verity sich auf den Bettrand. „Ich dachte, hier gefällt es dir nicht?“

„Das war, bevor mir der Duke begegnet ist.“

Energisch zog Verity die Decken noch fester um Jocelyn. „Freust du dich denn nicht auf zu Hause?“

„Ich mag ihn. Er ist lustig. Gar nicht so, wie ich mir einen Duke vorgestellt habe. Ball spielen kann er nicht sehr gut, aber er hat es versucht. Hat er dir nicht gefallen?“

„Er scheint nett zu sein“, meinte Verity vorsichtig.

„Ich dachte, wir fahren erst am Freitag. Bis dahin sind es noch vier ganze Tage“, stellte Jocelyn fest.

„Liebes, ich weiß. Aber Lady Bodenham hat jetzt jedoch so viele andere Gäste bekommen, und ich habe ein bisschen Heimweh. Deshalb möchte ich gern abfahren“, erklärte ihre Mutter. „Sei ein braves Mädchen und versuch zu schlafen. Wir haben eine lange Reise vor uns – aber am Ende sind wir wieder zu Hause.“

Zwar war Jocelyn immer noch nicht besänftigt, doch sie nickte trotzdem und kuschelte sich in die Decken. „Ich wünschte, ich könnte dem Duke ‚Auf Wiedersehen‘ sagen.“

„Nancy packt unsere Sachen. Sie ist nebenan, falls du sie brauchst“, sagte Verity, ohne auf die Bemerkung ihrer Tochter einzugehen. Sie blies die Kerze aus. Das Mondlicht badete das kleine Zimmer in silbernem Licht. „Gute Nacht, schlaf schön, mein Mädchen.“

„Gute Nacht, Mama.“

Draußen auf dem Gang holte Verity tief Atem, bevor sie zu Eloises elegant möbliertem Salon hinunterging. Mehrere andere Gäste waren bereits anwesend, einschließlich des Duke of Deighton, wie sie sofort feststellte. Er lehnte am Kaminsims und lächelte die junge Lady Mary an.

Ich will ihn nicht wieder anschauen, wenn es sich vermeiden lässt, schwor Verity sich und blickte sich nach ihrer Gastgeberin um. Nicht, wenn er so gut und elegant aussah in seinem schwarzen Abendanzug und in seiner lässigen Pose an einen Löwen erinnerte, der in der Sonne döste.

Ein Löwe, der jedoch sofort fähig wäre, seine Beute anzuspringen und zu fangen, wenn er wollte.

Eloise war leider nirgends zu entdecken. Vielleicht war sie noch oben und versuchte, ihren Gatten zu überreden, seine Abendkleidung anzulegen. Es war kein Geheimnis, dass Lord Bodenham jede Form gesellschaftlicher Veranstaltung verabscheute, es sei denn, es handelte sich um eine Jagd, bei der Pferde und seine geliebten Hunde dabei sein konnten.

Nun, jedenfalls kann ich nicht wie eine Schneiderpuppe am Eingang stehen bleiben, überlegte Verity und ging auf ein paar Gäste zu, die der Tür am nächsten standen.

„Diese Schauspielerin war am Royal Theater, und dann die Tänzerin aus Paris“, hörte sie die Gattin General Ponsonbys gerade aufgeregt erzählen, als sie sich der Gruppe näherte. Die Damen trugen teure und farbenprächtige Kleider und waren außerdem mit Juwelen behangen. Ihre kunstvollen Frisuren waren mit Perlen, Federn und Bändern geschmückt.

Verity ermahnte sich, dass sie sich nicht wie Aschenputtel zu fühlen brauchte. Sie hatte jedes Recht, hier zu sein. Und sie war schließlich in Trauer.

Außerdem wollte sie auf keinen Fall Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

„Und die Duchess of …“

Die hagere Mrs Ponsonby verstummte, als sie die neu Hinzugekommene bemerkte, und musterte sie abschätzig.

Unwillkürlich biss Verity die Zähne zusammen. Sie fragte sich, ob die Dame ihre, Veritys, unelegante Erscheinung missbilligte oder sich vergangener Skandale erinnerte. „Bitte, lassen Sie sich nicht stören“, sagte sie so freundlich wie möglich.

Die Gattin des Generals warf einen Blick zum Duke hinüber. „Es war nichts Wichtiges.“

„Vermutlich haben Sie gerade von Seiner Gnaden gesprochen“, half Verity ihr auf die Sprünge.

Vertraulich näherte sie sich Lady Smurston, einer hoch gewachsenen Frau in einem schlecht sitzenden violetten Kleid, das über ihrem fülligen Busen spannte. Die gerafften Fältchen unterhalb des Mieders taten nichts dazu, ihren gleichermaßen fülligen Leib zu verbergen.

„Ich muss gestehen, er macht mir Angst“, fuhr Verity fort. „Er sieht so wild aus. Wenn er mich anspräche, würde ich vermutlich in Ohnmacht fallen.“

„Davor sind Sie sicher, denke ich“, entgegnete Lady Smurston. „Er hat ein Auge auf Lady Mary geworfen, und sie scheint sich darüber zu freuen. Wahrscheinlich malt sie sich schon ihr Hochzeitskleid aus.“

„Ach, sie muss es doch besser wissen“, meinte die grauhaarige Lady Percy mit den dunklen Augen bestürzt. „Diese Bromneys legen sich nicht fest, bevor sie fünfzig sind, wenn überhaupt.“

„Ich wusste gar nicht, dass der Duke Brüder hat“, bemerkte eine der anderen Damen.

„In der Tat, die hat er“, antwortete Lady Percy, erfreut, ihr Wissen weitergeben zu können. „Der verstorbene Duke war zwei Mal verheiratet. Deighton stammt aus seiner ersten Ehe mit der Tochter des Earl of Hedgeford. Nach ihrem Tod heiratete der Duke Lady Crathorn, die sehr schön war, und stolz darauf. Ihre Heirat mit dem Duke ließ sie ziemlich unausstehlich werden. Allein schon die Namen, die sie ihren Kindern gab! Bestimmt wollte sie damit an die Geschichte ihrer Familie erinnern. Jeder Name ist der Titel einer Familie, in die die Crathorns irgendwann eingeheiratet haben.“

Eine andere junge Frau, die so blass war, dass Verity die Adern durch die Haut schimmern zu sehen glaubte, trat herbei.

„Wie heißen sie?“, fragte die Unbekannte neugierig.

„Buckingham ist in der Kriegsmarine und irgendwo auf See. Warwick ist ein Adjutant Wellingtons, und der Jüngste ist Huntington, ein unerhörter Schlingel. Er ist zusammen mit meinem Jungen in Harrow. Es ist unglaublich, was er schon alles angestellt hat.“

„Und warum wird er dann nicht der Schule verwiesen?“, erkundigte sich die blasse junge Dame.

„Der Duke hat zu viel Geld und einflussreiche Freunde“, erläuterte Lady Percy.

„Wenn ich boshaft wäre“, stellte Mrs Ponsonby mit einem gehässigen Lächeln fest, „würde ich Lady Bodenham raten, eine Wache vor Lady Marys Tür zu postieren.“

„Ich glaube nicht, dass eine einzige Wache den Duke abhalten kann, wenn er entschlossen ist einzutreten“, meinte Lady Smurston.

Mrs Ponsonbys Lächeln wurde noch gehässiger, als sie sich Verity zuwandte. „Verzeihen Sie uns, falls wir Sie schockieren. Aber vielleicht tun wir das ja gar nicht …“ Sie ließ die höhnischen Worte bedeutsam in der Luft hängen und zuckte die bleichen Schultern.

„Ich habe vom Ruf des Duke gehört, ebenso wie anderen Klatsch, von dem manche zu glauben scheinen, die ganze Welt müsse davon erfahren“, erwiderte Verity würdevoll. „Wenn Sie die Aufmerksamkeit Seiner Gnaden für Lady Mary jedoch für nicht ehrenhaft halten, sollten Sie die junge Frau warnen, nicht uns.“

Bevor Mrs Ponsonby ihren vor Verblüffung offen stehenden Mund schließen konnte, zischte Lady Smurston: „Pst! Er kommt hierher.“

„Wer?“, fragte Verity, obwohl sie Galen nahen spürte. Sie schluckte und rührte sich nicht, bis Eloise mit ihm im Schlepptau neben ihr auftauchte.

„Ich glaube, du bist allen hier schon vorgestellt worden, außer Mrs Davis-Jones“, wandte Lady Bodenham sich an ihren Cousin.

Verity straffte sich. Sie hatte keine andere Möglichkeit, als sich ihm zuzuwenden.

„Gestatte mir, dir Mrs Davis-Jones vorzustellen. Mrs Davis-Jones, der Duke of Deighton.“

„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Euer Gnaden“, äußerte Verity, wie die Etikette es verlangte.

Galen blickte Verity in die Augen, als wollte er sie hypnotisieren. Sie erkannte die goldenen Sprenkel in seinen ungewöhnlichen Pupillen, die sie das letzte Mal, als sie ihn aus dieser Nähe sah, für den Widerschein der brennenden Kerze gehalten hatte, deren Licht auch seine nackte Haut golden schimmern ließ.

Der Duke ergriff ihre nun behandschuhte Hand. Einen entsetzlichen und doch aufregenden Moment lang glaubte Verity, er wolle ihr die Innenfläche küssen – eine unerhörte Intimität in Gesellschaft anderer.

Zum Glück hauchte er nur einen Kuss auf ihren Handrücken.

Autor

Margaret Moore
Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit...
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