Zärtliche Barbaren: Highlander, Krieger und Wikinger - Best of Historical 2021

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Historical-Romane aus 2021 - leidenschaftlich, aufregend und romantisch. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

Die Heilerin und der wilde Highlander (Historical 367)

Die kupferroten Locken, ihre zarte, sommersprossige Haut, das Lächeln in ihren grünen Augen: Beim Anblick Annas regt sich in Davidh Cameron ein Gefühl, das er schon lange vergessen glaubte - Verlangen. Doch er ist nicht gekommen, um Annas Gunst zu erringen, er benötigt ihre Hilfe. Die Hexe von Caig Falls soll seinen todkranken Sohn heilen! Anna willigt ein und folgt ihm ins Dorf. Bald fühlt auch sie sich zu ihm hingezogen und verbringt sinnliche Nächte in seinen starken Armen. Davidh beginnt, von einer gemeinsamen Zukunft mit seiner schönen Heilerin zu träumen - bis er herausfindet, was sie ihm die ganze Zeit verheimlicht hat …

Die Lady und der stolze Krieger (Historical 366)

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  • Erscheinungstag 13.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513623
  • Seitenanzahl 750
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Terri Brisbin, Michelle Willingham, Meriel Fuller

Zärtliche Barbaren: Highlander, Krieger und Wikinger - Best of Historical 2021

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2018 by Theresa S. Brisbin
Originaltitel: „A Healer for the Highlander“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 367 - 2021 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ralph Sander

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751500470

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

 

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PROLOG

Auf dem Land des Cameron-Clans,

Loch Arkaig, Schottland.

Im Jahre des Herrn 1358

Anna Mackenzie beobachtete, wie Malcolm am Rand des Wasserfalls entlangbalancierte und dann auf den nassen und rutschigen Felsen zu einem riskanten Abstieg ansetzte. Sie wollte es selbst nicht, dennoch rannte sie sofort bis zur Felskante, kaum dass sie seinen Kopf nicht mehr sehen konnte. Von dort ließ sie ihn nicht mehr aus den Augen, bis er unten angekommen war. Er drehte sich um und winkte ihr zu, dann verschwand er im Wald, um zum Dorf und der Feste am See zu gelangen.

Seufzend schlang sie die Arme um sich, schloss die Augen und tauchte in die Erinnerung an die letzten Stunden ein. Sie hatten gelacht und sich geküsst … und sich geliebt. Sie liebte diesen Mann mehr als ihr eigenes Leben. Denn Malcolm, der einzige Sohn von Euan Cameron, hatte allen Gerüchten und Geschichten über die Hexe von Caig Falls getrotzt und war hergekommen, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Gestoßen war er dabei auf sie, Anna, aber nicht auf ihre Mutter. Wieder musste sie seufzen, da sie die Liebe zueinander entdeckt hatten. Es machte nichts aus, dass sie die Tochter der „Hexe“ und er der Sohn des Clanoberhaupts war. Es war auch nicht von Bedeutung, dass sie beide noch so jung waren. Es zählte nur, dass sie sich liebten und dass sie zusammen waren. Sie hatten sich geschworen, dass sich daran niemals etwas ändern sollte und dass er ihr einen Beweis für dieses Versprechen gegeben hatte, den sie nun unter ihrem Herzen trug.

Auf einmal riss das Geräusch von Schritten irgendwo hinter ihr sie aus ihrer Schwärmerei. Sie drehte sich um und sah ihre Mutter im Schatten stehen, von wo aus sie sie beobachtete. Wie lange hielt sie sich dort schon auf?

„Anna, ich brauche deine Hilfe“, sagte ihre Mutter.

Hatte sie Malcolm gesehen? Der Tonfall verriet nichts. Ohne abzuwarten, ob Anna ihr überhaupt helfen wollte, machte die Frau kehrt und ging zurück in den Wald. Anna folgte ihr auf dem verschlungenen Pfad bis zum Garten, um den sie sich kümmerte. Der war so von dicht an dicht stehenden Bäumen umgeben, dass er vor unerwünschten Blicken irgendwelcher neugieriger Leute gut geschützt war. Während sie keine Mühe hatte, den Garten als solchen zu erkennen, schien kein Dorfbewohner in der Lage zu sein, die Suche nach ihm erfolgreich abzuschließen. Das hatte bislang auch für Malcolm gegolten, bis er schließlich doch fündig geworden war.

„Wir müssen von diesen dort auch noch die letzten Reste pflücken“, sagte ihre Mutter und zeigte auf mehrere Reihen mit Kräutern und anderen Pflanzen.

„Davon hast du doch schon genügend, Mam“, wandte Anna ein. „Erst vor zwei Wochen haben wir die noch getrocknet.“

„Wir werden mehr davon brauchen“, beharrte ihre Mutter und griff nach einem der Körbe, die dort stets vorhanden waren. Sie hielt ihn Anna hin und bedeutete ihr anzufangen.

Das ergab keinen Sinn. Die Pflanzen und Kräuter mussten zu bestimmten Zeiten gepflückt werden, die Lara Mackenzie für ihre Heiltränke, Salben und anderen Mittel benötigte. Niemand wusste das besser als eben ihre Mutter. Und doch ließ sie Anna nun vieles pflücken, was eigentlich noch nicht so weit war. Anna kam der Aufforderung nach und sammelte mit ihrer Mutter zusammen im Verlauf der nächsten Stunden alles ein, was weit genug gediehen war, um in Kürze verarbeitet zu werden.

Ein seltsames Unbehagen ergriff Anna, als der Abend anbrach und ihre Mutter immer noch damit beschäftigt war, die gepflückten Pflanzen zu sortieren und in Tücher zu wickeln. Als ihre Mutter später an dem ramponierten großen Tisch saß und in eine dunkle Ecke des Cottages starrte, ging Anna zu ihr und stellte ihr endlich die Frage, von der sie schon den ganzen Tag über geplagt worden war.

„Gehen wir von hier weg, Mam?“

„Aye. Morgen früh.“

Die wenigen, schlichten Worte brachen Anna das Herz. Ihre Hände zitterten bei dem Gedanken daran, was sie nun erwarten mochte. War ihre Mutter hinter ihr Geheimnis gekommen? Hinter ihre Geheimnisse? Anna hatte sich solche Mühe gegeben, Malcolm nicht zu nahe an das Cottage oder an den geheimen Garten geraten zu lassen. Was genau wusste ihre Mutter?

„Warum?“, fragte sie. „Warum willst du all das hier aufgeben? Wohin werden wir gehen?“ Anna trat zum Fenster und legte die Hände an den Laden, dann schaute sie an dem rauen Holz vorbei nach draußen in den Wald, der ihr Zuhause umgab, und wartete auf eine Erklärung ihrer Mutter.

„Du bist durchschaut, Anna. Sind drei Monate schon vorüber?“

Unwillkürlich ließ Anna sich die Hände über den Bauch gleiten, noch bevor sie sich von dieser Geste abhalten konnte. Sie wollte sich eigentlich nicht zu ihrer Mutter umdrehen, nur um deren enttäuschte und missbilligende Miene zu sehen. Als sie es dann doch tat, entdeckte sie in den Augen ihrer Mutter Trauer, eine Spur Mitleid, vor allem aber Liebe.

„Aye, Mam. Oder kurz davor.“

„Wann wolltest du es mir sagen, Mädchen?“

Annas Kehle war wie zugeschnürt. Noch nie hatte sie ihrer Mutter etwas verschwiegen … bis Malcolm aufgetaucht war. Es hatte sich nicht falsch angefühlt, für sich zu behalten, dass sie ihn kannte und liebte. Jedenfalls bis zu diesem Augenblick. „Ich hätte es dir schon noch gesagt, Mam. Er … Mal hat gesagt, er wird es seinem Vater sagen und dann könnten wir …“

„Malcolm Cameron? Der Sohn des Clanoberhauptes?“ Anna nickte. „Ihn wolltest du heiraten? Hast du etwa geglaubt, das Clanoberhaupt lässt zu, dass sein Sohn die mittellose uneheliche Tochter der Hexe von Craig Falls zur Frau nimmt? Das solltest du aber besser wissen, Anna.“

Die Worte ihrer Mutter zwangen sie, ihre momentane Lage so zu betrachten, wie sie tatsächlich war – aber nicht, wie zu sein sie hoffte oder sich einredete. Es war viel romantischer an sein Versprechen zu glauben, dass sie ein Paar sein würden, weil sie sich das geschworen hatten. Es war romantischer zu glauben, dass das Kind, das sie gezeugt hatten, von seinem Clan mit offenen Armen empfangen würde … und sie ebenfalls.

Anna seufzte leise und sagte sich von all den Gedanken frei, mit denen sie ihre bedauernswerte Situation hatte schönreden wollen.

Ihre Mutter kam zu ihr und drückte sie an sich. „Es wird alles gut werden, Mädchen.“ Eine Weile standen sie so da, bis ihre Mutter die Umarmung löste und sie an den Schultern fasste, um ihr in die Augen zu sehen. „Meine Verwandten werden uns bei sich aufnehmen, bis wir das hier ausgestanden haben.“

Anna nickte und kämpfte gegen die Tränen an, die sie zu überwältigen drohten. „Ich möchte es ihm sagen, bevor wir von hier weggehen.“

„Nay. Das ist zu gefährlich. Wenn er davon weiß, begeht er irgendeine Dummheit, und dann bekommen wir große Schwierigkeiten. Ich habe das schon früher erlebt, Anna. Wenn eine Frau als Hexe bezeichnet wird, was Euan Cameron mir vor seinem versammelten Clan antun würde, sollte es ihm dienlich sein, dann ist das für diese Frau das Todesurteil. Unsere einzige Hoffnung ist, jetzt aufzubrechen und niemanden etwas von der Schwangerschaft wissen zu lassen.“

Anna hätte zu gern widersprochen und sich gegen dieses Vorhaben gesträubt, doch der versteinerte Ausdruck in den Augen ihrer Mutter verriet ihr, dass sie nichts vorbringen konnte, was ihre Mutter zum Einlenken hätte veranlassen können.

Das Glück, das sie verspürt hatte, dieses Gefühl von Liebe und freudiger Erwartung – es war von ihr gewichen und hatte tiefer Verzweiflung Platz gemacht. Ihr Kind würde niemals seinen Vater oder dessen Familie kennenlernen. Im Moment dieser schrecklichen Erkenntnis wurde ihr auch klar, dass sie selbst Malcolm niemals wiedersehen würde. Dass sie ihn nie wieder in den Armen halten und ihn nie wieder lieben würde.

Die nächsten Tage und Wochen zogen an Anna wie ein Schemen vorüber, nachdem sie und ihre Mutter zunächst alle Habseligkeiten eingepackt hatten und dann dem Tal und ihrem Zuhause oberhalb der Caig Falls in nördlicher Richtung entflohen waren. Die Familie ihrer Mutter, die Mackenzies, nahm sie beide bei sich auf, und sechs Monate später kam Annas Sohn zur Welt. Als sie drei Jahre später erfuhr, dass Malcolm getötet worden war, musste Anna an das Vorzeichen denken, das sie an jenem Tag wahrgenommen hatte.

Sie betrauerte seinen Tod und damit das jähe Ende aller Möglichkeiten, die sie sich gemeinsam überlegt hatten. Vielleicht würde sie ja eines Tages zu den Camerons reisen und ihrem und Malcolms Sohn die Gelegenheit geben, ein Teil der Familie von Malcolms Vater zu werden.

Vielleicht eines Tages …

1. KAPITEL

Die Burg Achnacarry am Loch Arkaig,

Frühling im Jahre des Herrn 1371

Davidh Cameron stand hinter seinem Laird und hielt Augen und Ohren offen, während sich der Anführer des Clans Klagen und Bitten anhörte. Als der Mann, der hier auf dem eigenen Grund im Süden des Landes die Krieger des Cameron-Clans befehligte, war es seine Pflicht, es diesen Leuten zu ermöglichen, sich Gehör zu verschaffen. Mehr als einmal sah er auf, wenn jemand die Halle betrat und hastig näher kam. Ruhe bewahren konnte er nur, wenn es sich nicht um jemanden aus dem Dorf handelte. Als sein Laird auf einmal mitten im Satz abbrach, obwohl er in ein Gespräch mit einem Bittsteller vertieft war, und Davidh ansah, wurde dem klar, dass sein Verhalten auffälliger war als beabsichtigt.

„Du kannst gehen“, sagte der Laird zu ihm und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. „Das hier erfordert nicht deine Anwesenheit.“

Ihm krampfte sich der Magen zusammen, als ihm klar wurde, dass seine mangelnde Aufmerksamkeit nicht unbemerkt geblieben war. Davidh beugte sich bis dicht an Robert Camerons Ohr vor. „Man wird mir eine Nachricht überbringen, wenn ich gebraucht werde, Mylord. Ich werde hier meine Aufgaben erfüllen.“ Davidh wartete auf eine Erwiderung, doch als die ausblieb, kehrte er einfach auf seinen Platz hinter dem des Clanoberhauptes zurück.

Er wollte sich nicht vor seinen Pflichten drücken, und als Befehlshaber über die Krieger des Clans hatte er sich bei offiziellen Anlässen, auf Reisen und zu anderen Gelegenheiten hinter dem Clanoberhaupt aufzuhalten. Das Letzte, was Davidh riskieren wollte, war, ausgerechnet dann nicht zugegen zu sein, wenn sein Laird ihn brauchte.

Die Angelegenheiten des Clans dauerten noch eine Weile an, und unweigerlich begann Davidh in Gedanken wieder abzuschweifen. Was, wenn sich Colms Zustand verschlechterte? Wenn er noch angestrengter atmete als letzte Nacht? Es schien so, als würde der Junge von Tag zu Tag schwächer. Was sollte er nur tun, wenn der schlimmste aller Fälle eintrat? Wie sollte er weiterleben, wenn auch noch sein Sohn starb, nachdem er bereits seine Frau und erst vor Kurzem seine Eltern verloren hatte?

In den letzten Jahren waren Davidh und seine Angehörigen immer wieder von Tod und Elend heimgesucht worden. Das einzig Gute in all der Zeit war der Aufstieg von Robert Cameron zum Laird des Cameron-Clans gewesen. Zum Glück hatte dessen Bruder Gilbert nur wenige Jahre über die Geschicke des Clans bestimmt. Doch diese kurze Zeit hatte gereicht, um den Clan an den Rand einer Auseinandersetzung nicht nur mit dem seit Langem verfeindeten Mackintosh-Clan zu bringen, sondern auch mit der weitaus größeren und mächtigen Chattan-Konföderation. Zugleich war es Gilbert gelungen, die Bemühungen seines Bruders Robert zu durchkreuzen, seinen Anspruch auf die Führung des Clans geltend zu machen.

Letztlich war es ein als Cameron aufgewachsener Mackintosh gewesen, der Gilbert gestürzt und den Clan in ruhigere Gewässer zurückgeleitet hatte, wodurch eine bessere Beziehung zum Mackintosh-Clan und sogar zum König möglich geworden war. Innerhalb des vergangenen Jahrs hatte sich Robert als ein gerechtes Oberhaupt einen Namen gemacht und als ein Mann, der ein Gespür dafür hatte, wie er seine Untertanen führen musste. Nach Gilbert, dem es nur um seinen eigenen Vorteil gegangen war und der sich als gnadenlos erwiesen hatte, war nun ein Mann an der Macht, der sich damit begnügte, die Ländereien des Clans zu verwalten und für den Schutz der Menschen zu sorgen, die darauf lebten.

Zügige Schritte auf dem Steinboden holten ihn aus seinen Gedanken, und als Davidh hochsah und die Person erkannte, die sich ihm näherte, stockte ihm der Atem. Seine schlimmsten Befürchtungen erwachten erneut zum Leben. Colm? Noch bevor die Frau das Podest erreichen konnte, nickte der Laird ihm zu. „Geh.“

Davidh war so schnell bei Margaret, der Tochter des Schmieds, dass sie nicht einmal in die Nähe des Podests gelangen konnte. „Geht es ihm noch schlechter?“, fragte er.

„Aye“, flüsterte sie.

Die besorgte Miene der jungen Frau verriet ihm mehr, als ihm lieb war. Dann rannte Davidh los, ließ die Frau einfach stehen und hoffte, sie würde ihn nicht einholen. Colm konnte … er konnte diesmal sterben. Zeilen aus halb vergessenen Gebeten gingen ihm durch den Kopf, als er sich an den Allmächtigen wandte, um an nichts anderes denken zu müssen.

Colm war der letzte Blutsverwandte auf Erden, den er noch hatte, und er durfte ihn einfach nicht verlieren.

Nicht auch noch den Jungen, lieber Gott. Nicht auch noch den Jungen.

An seinem Ziel angekommen, konnte sich Davidh nicht daran erinnern, wie er den Burgfried verlassen, den Hof überquert und den Weg durchs Tor bis ins Dorf zurückgelegt hatte. Das Nächste, was er wieder klar und deutlich wahrnahm, war die Tür zum Cottage des Schmieds, vor der er auf einmal stand. Die Angst hielt ihn davon ab anzuklopfen. Es war eine lähmende Angst, die ihm den Atem raubte und sein Herz rasen ließ. Wie sollte er sich dem Tod seines Sohnes stellen, wenn es das war, was ihn hinter dieser Tür erwartete?

Es gelang Davidh, seine Ängste so zu bändigen, wie er es seit Monaten und Jahren machte, dann klopfte er kurz und schloss einmal kurz die Augen. Langsam und von einem letzten Stoßgebet begleitet, öffnete er die Tür und suchte nach seinem Sohn. Colm lag auf einer Pritsche in der Ecke nahe dem Kamin. Der Junge verschwand förmlich in einem Kokon aus Decken, sodass Davidh nicht mehr ausmachen konnte als sein blasses Gesicht und die bläulich angelaufenen Lippen, die von einem kürzlich erlittenen Hustenanfall zeugten. Forschend sah er seinen Sohn an und versuchte zu erkennen, ob er noch lebte oder ob er schon tot war.

„Tritt ein“, flüsterte Suisan ihm zu und zog die Tür weiter auf, damit er eintreten konnte. „Der arme Kleine schläft jetzt. Er ist wieder völlig erschöpft von … nun, du weißt ja, was er durchmachen muss, wenn es wieder einmal so weit ist.“

Aye, Davidh wusste um die entsetzlichen Anfälle, die seinem Sohn die Luft zum Atmen nahmen und die ihn so schrecklich husten ließen, dass ihm anschließend jeder Muskel in der Brust schmerzte, da diese Hustenanfälle so unglaublich brutal waren.

Aber Colm lebte. Er hatte einen weiteren Angriff dieser Lungenkrankheit überstanden, die sich seit einigen Monaten in immer kürzeren Abständen ereigneten und ihn niederstreckten. Kein Kräutertee, kein Umschlag und kein Trank diverser Heiler hatten etwas dagegen ausrichten können. Mit jedem Hustenanfall wurde Colm ein wenig schwächer, und Davidh wusste nur zu gut, dass der Tag kommen würde, an dem er zu schwach sein würde, um den nächsten Anfall zu überstehen.

Heute hatte Colm noch einmal überlebt.

„Ich hätte dich eigentlich nicht hergerufen, aber ich … befürchtete, dass er es diesmal nicht schaffen würde. So wie heute war es noch nie.“ Mit einer knappen Kopfbewegung deutete sie auf seinen Sohn.

„Ich danke dir, dass du dich um ihn kümmerst, Suisan.“

Die stämmige Frau nickte und nahm dann ihre Tochter Margaret in die Arme, die soeben ins Haus zurückgekehrt war. Davidh beugte sich über seinen Sohn und beobachtete genau jeden Atemzug, den sein schwächlicher Sohn tat. Er fuhr sich durchs Haar und fragte sich, wie viel Zeit Colm wohl noch blieb.

„Margaret, bring das zu deinem Vater“, sagte Suisan, ließ ihre Tochter los und gab ihr einen kleinen Beutel. Es kam ihm etwas seltsam vor, aber Davidh sah mit an, wie die junge Frau ohne Rückfrage ihre Aufgabe erledigte.

Als er wieder mit Suisan allein war, kam sie zu ihm. „Ich möchte dir etwas vorschlagen, auch wenn ich im Augenblick nur Gerüchte kenne“, sagte sie leise.

„Ich höre“, gab Davidh schulterzuckend zurück. „Deine Ratschläge habe ich stets befolgt, Suisan.“

„Es wird gemunkelt, dass die Hexe nach Caig Falls zurückgekehrt sein soll.“

Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit. „Die Hexe?“

„Aye. Du kennst doch sicher die Geschichten, die seit Jahren die Runde machen und von einer Hexe erzählen, die oberhalb des Wasserfalls lebt.“

„Die kenne ich wohl, aber von ihr selbst ist sicher nicht mehr die Rede gewesen seit …“ … seit er selbst noch ein Junge gewesen war, dessen Freund Malcolm behauptet hatte, er habe sie entdeckt. „… seit sehr langer Zeit“, führte er seinen Satz schließlich zu Ende.

„Sie war keine Hexe, sondern eine weise Frau, wie dir klar sein sollte. Vor ein paar Jahren verschwand sie ganz plötzlich, und niemand hat je wieder von ihr gehört. Aber vor ein paar Tagen ist einer der Jungs den Wasserfall hochgeklettert und runtergefallen, und eine Frau hat sich um seine Verletzung gekümmert, ehe sie ihn zurück nach Hause geschickt hat.“ Suisan sah ihn eindringlich an. „Ich glaube, sie ist zurückgekehrt.“

„Glaubst du, sie kann Colm helfen?“

„Du hast alles in deiner Macht Stehende getan, Davidh. Warum solltest du sie nicht darum bitten, es zu versuchen?“

Suisan kniete sich neben Colm hin und strich die Decken glatt. Seine Krankheit begleitete ihn schon seit so langer Zeit, dass er kleiner und schmächtiger war als andere Kinder in seinem Alter.

„Ich werde nach ihr suchen“, erklärte Davidh lächelnd und nickte nachdrücklich. Er fühlte sich gleich etwas besser, jetzt, da er so etwas wie ein Ziel vor Augen hatte. Die Möglichkeit, dass es jemanden gab, der seinem Sohn vielleicht helfen konnte, ließ ihn neuen Mut fassen und weckte seine Lebensgeister.

„Wenn du noch etwas zu erledigen hast, kann ich ihn weiter versorgen“, sagte Suisan und stand auf. „Komm und iss mit uns zu Abend. Für die Nacht kannst du Colm dann später abholen.“

Davidh betrachtete die Decke, die auf der Brust des Jungen lag, und sah, wie wenig sie nur angehoben wurde, wenn er einatmete. Aber es war ein gleichmäßiges Atmen, und jede Stunde, die sein Sohn von dem nächsten Hustenanfall verschont blieb, war eine gute Stunde. Davidh sah zu Suisan. „Ich sollte zur Burg zurückkehren.“

„Dann tu das“, meinte sie. „Ich vermute, er wird heute die meiste Zeit über ohnehin nur schlafen.“

Davidh kehrte zur Feste zurück, da er wusste, dass Suisan sich um Colm wie um ihren eigenen Sohn kümmern würde. Da seine Schwester nach ihrer Heirat nach Edinburgh gezogen war, seine Eltern beide nicht mehr lebten und Mara vor drei Jahren gestorben war, wusste er auch, dass dies nicht die Lösung für sein Problem war. Was er brauchte, war ein starker und gesunder Sohn.

Anna Mackenzie stand am Rand des Wasserfalls, nicht weit von ihrem Cottage entfernt, und starrte in die Tiefe. Erinnerungen stiegen in ihr auf, die einen bitteren Beigeschmack dadurch bekamen, dass sie Malcolm niemals wiedersehen würde. Natürlich hatte sie sich nicht vorgemacht, dass es ein Leichtes für sie sein würde, hierher zurückzukehren, doch sie war es ihrem Sohn schuldig gewesen … ihrem und Malcolms Sohn.

Konnte sie das wirklich schaffen? Konnte sie hier so leben, wie es ihre Mutter so lange Zeit getan hatte? Es war schon ein wenig beängstigend, wie ähnlich ihr eigenes Leben in den letzten Jahren dem ihrer Mutter geworden war. Vor allem in diesem Moment, da sie hier am Wasser stand, während ihr Sohn das zum Teil felsige Gebiet rund um das Cottage erkundete. Waren tatsächlich schon dreizehn Jahre vergangen, seit sie an genau dieser Stelle von einer gemeinsamen Zukunft mit dem Mann, den sie liebte, geträumt hatte?

Mit einem Mal fühlte sie sich viel älter, als sie tatsächlich war. Iain tauchte hinter dem Cottage auf, und sie sah ihm zu, wie er sich ihr näherte. Ein schlechtes Gewissen ergriff sie, da ihr erst jetzt auffiel, dass ihr Sohn nicht mehr weit von dem Alter entfernt war, in dem sie selbst gewesen war, als sie seinen Vater kennen und lieben gelernt hatte. Iain wusste nur so viel über Malcolm, wie nötig gewesen war, um seine Neugier zu stillen. Sein Interesse an seinem Vater war dann plötzlich für sie zu einem Ansporn geworden, hierher zurückzukehren und die Verwandten von Iains Vater aufzusuchen. Das war das Mindeste, was sie für ihren Sohn und dessen Vater tun konnte.

Anna winkte den Jungen zu sich und wies nach unten, dorthin, wo der Wasserfall endete. „Das da unten nennen die Leute den Hexensee“, erklärte sie. „Viele haben versucht, auf diesem Weg am Rand des Sees entlang nach oben zu gelangen.“ Mit ausgestreckter Hand deutete sie auf die Stelle, die sie meinte. „Aber niemandem fällt der Pfad auf, der in diesem Hain neben dem großen Felsblock dort unten beginnt.“

„Aber mein Vater hat ihn entdeckt?“, fragte Iain.

Der Junge war in dem Alter, in dem er unbedingt mehr über seine Herkunft erfahren wollte. Er wurde langsam erwachsen und brauchte einen Vater, jemanden, der ihm zeigte, wohin die letzten Schritte auf diesem Weg führen mussten – etwas, das sie nicht für ihn tun konnte. Seit seiner Geburt hatte sie mehrere Heiratsanträge abgelehnt, da sie tief in ihrem Inneren immer gewusst hatte, dass sie ihn eines Tages mit den Menschen zusammenbringen würde, die seine tatsächliche Familie waren. Ihr war immer klar gewesen, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. Sie lächelte Iain an und nickte bestätigend. Dabei fiel ihr auf, dass er schon wieder ein Stück gewachsen war und sie inzwischen überragte. „Aye, aber erst, nachdem er es ein paarmal vergeblich auf dem rutschigen Weg versucht hatte.“

Iains Lachen hallte von den Bäumen wider, und ihr fiel einmal mehr die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Vater auf. Oder täuschte ihre Erinnerung sie? Sah sie vielleicht etwas, weil sie es sehen wollte?

„Schau mal, Mam“, sagte Iain und wandte sich zur Straße, die vom Wasserfall nach Süden zum See verlief.

Ein Mann kam von dort geritten. Anna hatte sich bereits gefragt, wie lange es nach der Versorgung des verletzten Jungen dauern würde, bis jemand herkommen würde, um nach ihr zu suchen. Die Antwort auf ihre Frage hatte sie nun. Leise seufzend schüttelte sie den Kopf. Jetzt würden sie sich wieder auf den Weg hierher machen – die einen, um die Hexe aufzusuchen, die anderen, um sich der Herausforderung zu stellen, den Wasserfall zu bezwingen.

Als der Mann sein Pferd langsamer werden ließ und den Blick nach oben richtete, zog Anna ihren Sohn zurück in den Schatten, den der dichte Wald hier oben spendete. Durch das Rauschen des Wassers war es nicht möglich, sie dort unten zu hören, doch man konnte sie durchaus sehen, wenn der Sonnenschein einen Weg durch das Laub fand. Vorläufig wollte Anna nicht, dass es dazu kam.

Sie musste erst noch Arbeiten abschließen, Pflanzen sortieren und den Garten von allem Unkraut befreien, ehe sie bereit war, den Dorfbewohnern ihre Dienste anzubieten. Von ihrer Mutter, die vor zwei Jahren gestorben war, hatte sie beizeiten alles gelernt, was es über Kräuter und Pflanzen zu wissen gab. Bis zu jenem Tag hatte sie sich bei den Mackenzies wohlgefühlt, doch mit dem Tod ihrer Mutter war sie von Rastlosigkeit erfasst worden. Die Nachrichten von den jüngsten Unruhen bei den Camerons und von einem neuen Oberhaupt waren für sie Bestätigung genug gewesen, dass ihre Zeit gekommen war.

Gilbert Camerons Ruf als gnadenloser Mann hatten sie von hier ferngehalten, doch dessen Tod und die Nachfolge durch seinen älteren Bruder waren dagegen Grund genug gewesen, um an diesen Ort zurückzukehren.

Ja, sie war zum rechten Zeitpunkt zurückgekehrt.

„Sei vorsichtig, Iain“, warnte sie ihren Sohn, als der sich von ihr entfernte. „Wir müssen erst Gewissheit haben, dass wir hier auch willkommen sind.“

Ihr Sohn nickte und schlich dann tiefer in den Wald hinein, um so wie alle Jungen erst einmal die neue Umgebung zu erkunden. Zweifellos würde er mit einem Fasan oder einem Kaninchen zurückkommen, damit sie zum Abendessen etwas auf dem Tisch hatten. Sein Geschick als Jäger, aber auch seine Fähigkeit, neue Situationen einfach hinzunehmen und sich an sie anzupassen, versetzten Anna immer wieder in Erstaunen. Gleichzeitig dankte sie dem Allmächtigen dafür, dass ihr Sohn solche Eigenschaften besaß. Es war schon schwer genug, und sie war froh, sich nicht auch noch mit einem störrischen Jungen auseinandersetzen zu müssen.

Anna kehrte ins Cottage zurück und widmete sich der schier erdrückenden Aufgabe, dort zu putzen. Wenn erst mal alles sauber war, konnte sie die Pflanzen sortieren, die Vorräte und alles andere einräumen.

Die Zeit verging wie im Flug, während sie fleißig arbeitete. Das Knirschen von Zweigen und trockenem Laub vor der offenen Tür machte sie darauf aufmerksam, dass Iain wieder da war.

„Ich wünsche einen guten Tag.“

Sie hob den Kopf und entdeckte einen Mann, der vor der Tür stand. Er war so groß und so breit, dass er den Türrahmen fast ganz ausfüllte. Sie ging zu ihm und erkannte erst da, dass der Mann in Wahrheit sogar geduckt dastand, um durch die Tür nach drinnen zu sehen, da sie für ihn viel zu klein war.

Es war der Reiter von vorhin. Der Umhang, den er sich um die Taille geschlungen und über die Schultern gelegt trug, wies ihn als einen Cameron aus. Da der Stoff völlig trocken war, konnte er nicht am Wasserfall hochgeklettert sein. Also musste er den anderen, sicheren Weg nach oben kennen, was nichts Gutes für sie verhieß, da sie so wohl keine Ruhe vor Fremden haben würde, was das Leben für sie deutlich unsicherer machte.

„Guten Tag, Sir“, erwiderte sie, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. Ungewaschen und in einem schmutzigen Kleid musste sie ein jämmerliches Bild abgeben. Er dagegen … er war auf eine gefährliche Art attraktiv.

Der Mann strich sich die langen dunklen Haare aus dem Gesicht, sodass sie seine männlichen Züge deutlicher sehen konnte. Seine eindringlich dreinschauenden Augen hatten die Farbe des dunkelsten Holzes, das sich im Wald finden ließ. Dazu dieses markante Kinn. Ja, er war der bestaussehende Mann, dem sie jemals begegnet war, sowohl hier bei den Camerons als auch zuvor bei den Mackenzies. Da diese Erkenntnis ihr die Kehle zuschnürte und eine Unruhe auslöste, gegen die sie ankämpfen musste, war es nötig, erst einmal zu schlucken, ehe sie einen Ton herausbringen konnte.

„Ich wollte Euch nicht bei Eurer Arbeit stören“, sagte der Mann, der einen Schritt nach hinten machte, als sie die Tür erreichte. „Man hat mir gesagt, Ihr seid …“ Er unterbrach sich, als wäre er nicht in der Lage, jenes Wort auszusprechen, das die meisten anderen verwendeten.

„Die Hexe von Caig Falls“, sagte sie.

2. KAPITEL

Ich wollte zwar Heilerin sagen, aber wenn Ihr die andere Bezeichnung bevorzugt …“

Sie war ihm zuvorgekommen und hatte den Satz für ihn zu Ende geführt. Vermutlich wäre er nicht der Erste gewesen, der sie Hexe genannt hätte. Davidh entging nicht, wie sie ihre grünen Augen für einen winzigen Moment aufriss, die dann zu leuchten begannen, als sie ihn anlächelte.

Ihre vollen, rosigen Lippen verzog sie zu einem verlockenden und hinreißenden Lächeln, das ihn vor die Frage stellte, ob sie die Bezeichnung wohl als Fluch oder als Kompliment betrachtete.

Sie begann zu lachen, und er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Der Schmutz, mit dem ihr Gesicht stellenweise verschmiert war, verdeckte kaum die Sommersprossen auf ihren Wangen. Und die Locken, die ihren Weg unter dem Kopftuch hervor nach draußen gefunden hatten, zeigten braune Haare in vielen Schattierungen, darunter auch ein leuchtender Kupferton und ein feuriges Rot. Seine Hand bewegte sich wie aus eigenem Antrieb nach oben, um noch mehr von ihrem Haar unter dem Tuch hervorzuholen. Es kostete Davidh Mühe, sich davon abzuhalten.

„Nay, Heilerin ist das, was mir lieber ist. Es trifft auch viel eher zu.“

Vollkommen überzeugt war Davidh nicht. Vielleicht verhexte sie ihn ja gerade mit einem Fluch, während sie ihn so konzentriert ansah. Sein Mund war mit einem Mal wie ausgedörrt, als sie noch näher kam. Dabei vergaß er, ein oder zwei Schritte nach hinten zu machen, damit sie passieren konnte. So schob sie sich an ihm vorbei nach draußen und berührte ihn dabei. Er drehte sich um und sah ihr hinterher. Etwas regte sich in ihm, ein Gefühl, das ihm längst nicht mehr vertraut war, da so viel Zeit vergangen war, seit er das letzte Mal so empfunden hatte.

Diese Frau schlug ihn in ihren Bann, sie sprach ihn auf eine Weise an, für die er keine Worte finden konnte. Sie erregte ihn.

„Es ist auch die Heilerin, zu der ich will. Aber ich hatte erwartet, dass diese Heilerin etwas … älter ist. Seid Ihr die Frau, die sich um Tavish gekümmert hat?“

„Der Junge, der hingefallen ist und sich den Fuß verdreht hat? Ungefähr zwölf Jahre alt?“

„Aye, den meine ich. Er hat Euch vor seiner Familie und vor jedem anderen nur loben können. So habe ich davon erfahren, dass Ihr hier seid.“

„Seid Ihr krank?“, fragte sie und musterte ihn von Kopf bis Fuß, ehe sie ihm wieder tief in die Augen sah. „Habt Ihr Fieber?“ Sie hob die Hand, als wollte sie ihm die Stirn fühlen, hielt aber nur wenige Fingerbreit von seinem Kopf entfernt inne. „Verzeiht“, sagte sie und ließ die Hand wieder sinken.

„Ich benötige Eure Dienste nicht“, erklärte er, doch dann fiel ihm auf, wie ungeschickt er sich ausgedrückt hatte, und schüttelte den Kopf. „Mein Sohn ist seit einiger Zeit krank, und nichts hilft.“ Er zuckte mit den Schultern und musste sich dazu zwingen, die Frau nicht auf der Stelle anzubetteln, damit sie ihm irgendwie half.

„Ich habe meine Heilmittel noch nicht ausgepackt, aber wenn Ihr mir beschreiben könnt, wie sich seine Krankheit zeigt, werde ich wissen, ob ich ihm helfen kann.“

Er konnte nicht verhindern, dass ihm vor Erleichterung ein lauter Seufzer über die Lippen kam. Etwas an ihrem Gesichtsausdruck gab ihm das Gefühl, dass sie ganz sicher etwas für seinen Sohn tun konnte. „Er hat oft große Probleme mit dem Atmen“, sagte er.

Es dauerte eine Weile, bis er alle Leiden beschrieben hatte, von denen sein Sohn seit einem Jahr heimgesucht wurde. Er wies auch darauf hin, dass sich Colms Verfassung von Woche zu Woche verschlechterte. Die Heilerin nickte von Zeit zu Zeit, so als würde sie seine Schilderungen bereits einer bestimmten Krankheit zuordnen. Ihm entging nicht, wie sie immer wieder einmal die Stirn runzelte, bevor sie ihm eine Frage stellte. Sie fragte auf eine zielgerichtete Weise, was der Heiler im Dorf nicht gemacht hatte. Ihre Fragen ergaben für ihn einen Sinn, da sie damit allem Anschein nach andere mögliche Krankheiten ausschließen wollte.

„Könnt Ihr ihm helfen?“ Beinahe hielt er den Atem an.

„Ich habe einen Verdacht, was sein Leiden ausgelöst haben könnte. Aber ich muss ihn mir ansehen, damit ich Gewissheit habe.“ Sie schaute sich auf der kleinen Lichtung um, auf der das abgeschiedene Cottage stand, dann wanderte ihr Blick zum Wasserfall. „Könnt Ihr ihn morgen früh herbringen?“

Nun war es Davidh, der sich umsah und sich fragte, ob das wohl möglich sein würde. Dieser kleine dichte Wald mit der Lichtung in seiner Mitte war wie eine Insel inmitten steiler Felswände auf der einen Seite und eines breiten Stroms auf der anderen Seite, der dann in den Wasserfall überging. Zugegeben, er hatte den Weg genommen, von dem Malcolm ihm vor vielen Jahren erzählt hatte, doch er würde seinen Sohn bis hier oben tragen müssen. Schließlich schüttelte er den Kopf und sah die Frau wieder an. „Nay. Ich wüsste nicht, wie ich ihn in seiner momentanen Verfassung transportieren sollte. Nicht mal auf dem Weg neben dem Wasserfall, den ich eben genommen habe.“

Es schien ihr nicht zu behagen, dass er überhaupt von diesem Weg wusste, doch daran konnte er nun nichts mehr ändern.

„Könnt Ihr nicht ins Dorf kommen, um ihn Euch da anzusehen?“ Als er ihre Miene sah, wusste er, sie würde ablehnen. „Ich kann Euch für diese Mühen auch bezahlen.“ Tatsächlich würde er ihr alles geben, was er besaß, wenn sie Colm nur helfen würde.

„Es hat nichts mit Geld zu tun. Aber ich habe das Clanoberhaupt noch nicht um Erlaubnis gebeten, wieder hier wohnen und meine Kräuter und meine Kenntnisse zum Wohl seiner Untertanen einsetzen zu dürfen. Würde ich Euren Sohn besuchen, wäre das eine Beleidigung, über die der Laird nicht hinwegsehen könnte.“

Wieder überkam ihn Erleichterung, denn dieses Hindernis war gar keines. Er selbst konnte mit dieser Frau zu Robert gehen und sie ihm vorstellen. „Dann werde ich Euch zu Robert bringen und dafür sorgen, dass er Euch diese Erlaubnis erteilt, bei uns zu leben.“ Noch während er diese Worte aussprach, mahnte ihn eine innere Stimme zur Vorsicht.

Robert vertraute auf Davidhs Urteil und würde die Frau hier willkommen heißen, wenn er ihm sein Wort gab. Genau deswegen musterte er sie jetzt und suchte nach Anzeichen dafür, dass von ihr eine Gefahr ausging, doch das Einzige, was sie ausstrahlte, war Mitgefühl.

„Das könntet Ihr tun?“ Dann auf einmal kniff sie die Augen ein wenig zusammen und sah ihn forschender an als zuvor. „Ich kenne weder Euren Namen, noch weiß ich, wer Ihr seid.“ Einen Moment lang wandte sie den Blick von ihm ab und schien über etwas nachzudenken. Schließlich fügte sie hinzu: „Das sollte nicht so schroff klingen, vor allem nicht, nachdem Ihr mir gerade Eure Hilfe angeboten habt.“ Der Hauch eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel.

„Ich bin einfach in Euer Zuhause eingedrungen und habe mich auch nicht nach Eurem Namen erkundigt“, sagte er. „Ich bin Davidh Cameron, ich befehlige die Krieger des Cameron-Clans.“

Seine Worte zeigten sofort und auf unerwartete Weise Wirkung. Sie blinzelte ein paarmal, dann stiegen ihr Tränen in die Augen, und rasch blickte sie zu Boden. Wie seltsam. Davidh versuchte, in ihrem Gesicht etwas Vertrautes zu entdecken, doch es war völlig unmöglich, dass er dieser Frau schon einmal begegnet war. Sie hätte er niemals vergessen können.

Einen Moment später schien sie sich aus den Gedanken zu reißen, in die sie versunken war. Als sie den Kopf wieder hob, waren keine Tränen mehr zu sehen.

„Verzeiht mir meine Weigerung. Euch zu helfen, Sir“, sagte sie leise und machte dabei einen Knicks. „Mir war nicht bewusst, wer Ihr seid, und ich wollte weder das Clanoberhaupt noch einen seiner Männer beleidigen.“

Diese plötzliche Unterwürfigkeit verwirrte ihn, doch er wusste, dass seine neue Position, die unmittelbar dem Laird unterstellt war, Reaktionen mit sich brachte, an die er sich erst noch gewöhnen musste. Es war eine Ehre, diesen Posten zu bekleiden, der ihm eine gewisse Macht verlieh. Schließlich würde jeder, der sich vom Laird eine Gunst erhoffte, sich zuerst an Davidh wenden, um über ihn an den Ranghöchsten im Clan heranzukommen. Er nickte der Frau zu.

„Ich habe mich von Euren Worten nicht beleidigt gefühlt. Ich vermute, Robert würde es auch nicht als Beleidigung empfinden, solltet Ihr ohne seine vorherige Zustimmung ins Dorf kommen. Allerdings könnten sich andere in seinem Namen darüber beschweren.“

Es gab stets solche Dorfbewohner, die die Würde des Clanoberhauptes schützen oder die sich damit einfach nur bei ihm beliebt machen wollten, um einen Vorteil daraus zu ziehen.

Während sie dastand und ihn mit ihren wunderschönen Augen erwartungsvoll ansah, verlor er sich für einen Moment. Als ihm endlich in den Sinn kam, dass er etwas sagen wollte, fiel ihm auf, dass er sie noch immer nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.

„Wie nennt man Euch?“, brachte er schließlich heraus. Immerhin wollte er doch wissen, welchen Namen er flüstern musste, wenn seine Gedanken um sie kreisten, sie aber nicht in seiner Nähe war.

„Ich bin Anna. Anna Mackenzie.“

„Aus …?“

„Ich habe im Norden bei der Familie meiner Mutter gelebt.“

„Und was führt Euch in den Süden? Hierher zu uns?“

Zwar hörte er sich im Augenblick nicht sehr gastfreundlich an, und er fragte ausgerechnet die Frau aus, in deren Händen womöglich das Leben seines Sohnes lag. Dennoch durfte Davidh nicht vergessen, dass er seinem Clan gegenüber Pflichten hatte, die er erfüllen musste. Wieder sah sie kurz in Richtung des Wasserfalls, bevor sie sich ihm zuwandte.

„Ich habe die Heilkunst gelernt, seit ich ein kleines Mädchen war, und ich habe schon damals das Talent dazu erkennen lassen. Ich wollte immer einen Platz für mich haben, um meine Kenntnisse und Fähigkeiten weiter zu vertiefen, damit ich den Kranken und den Verletzten helfen kann.“ Ihr ernster Tonfall ließ ihn innehalten.

„Es klingt, als wäre es eine Berufung.“

Als sie ihn daraufhin anlächelte, hätte er fast laut nach Luft geschnappt. Keine Frau hatte jemals eine solch heftige Reaktion bei ihm ausgelöst. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie es geschafft, ihm Unbehagen zu bereiten, ihn zu erregen und ihn neugierig zu machen. Das war nicht gut. Seine neue Position erforderte seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es war nicht gut, wenn da etwas oder jemand war, der ihn von seinen Pflichten ablenkte.

„Meine Mutter hatte es oft so ausgedrückt“, sagte Anna. „Manche Menschen werden in ihrem Leben an bestimmte Orte berufen, damit sie dort ihr Werk tun. Sie war dazu berufen, Heilerin zu sein, und es scheint, dass es mir genauso ergeht.“

„Wir haben einen Heiler im Dorf, aber er kümmert sich vor allem um Verletzungen. Von Heiltränken und anderen Mitteln hat er kaum mehr Ahnung als die meisten anderen Dorfbewohner.“

„Und wer hat dann Euren Sohn behandelt?“, fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu. Gleichzeitig wehte ein leichter Wind über die Lichtung, und Davidh stieg ein verlockender Duft in die Nase. Vielleicht die Seife, die sie benutzte? Er war davon so abgelenkt, dass seine Antwort viel zu spät kam, was auch Anna nicht entging.

„Wir hatten hier eine Frau, die ein paar Monate im Dorf gelebt hat, aber dann mit ihrem Ehemann in dessen Heimatdorf umgezogen ist. Morag überließ mir einen großen Vorrat an Tinkturen und Arzneien, die Colm braucht, aber jetzt kümmert sich der alte Ranald um solche Dinge.“

Sie murmelte irgendetwas vor sich hin, dann nickte sie. „Ich werde am Morgen zu Euch kommen, wenn es Euch recht ist.“

„Begebt Euch zum Tor und sagt den Wachen, sie sollen nach mir schicken“, entgegnete Davidh. „Ich muss jetzt aufbrechen.“

Er hatte sich hier bereits zu lange aufgehalten, denn die Sonne war bereits unterwegs zum Horizont, um der Nacht zu weichen. Selbst wenn er den Pfad nahm, von dem Malcolm ihm berichtet hatte, wäre der im Dunkeln viel zu tückisch. Der andere Weg, der genau am Wasserfall entlangführte, war bei Tag wie bei Nacht lebensgefährlich. Nur Narren und leichtsinnige Burschen würden dort ihr Glück versuchen.

„Dann bis morgen“, sagte sie, als er ihr zunickte. Er hatte sich eben abgewandt, da fragte sie noch schnell: „Woher kennt Ihr den Weg, der nach hier oben führt?“

„Den kenne ich schon sehr lange, aber bis heute hatte es für mich keine Veranlassung gegeben, ihn zu benutzen.“ Er drehte sich noch einmal zu Anna um, da das Rauschen des Wassers zu laut war, um ihr noch etwas zu sagen, wenn er erst mal einige Schritte zurückgelegt hatte. „Mein alter Freund Malcolm hat mir vor langer Zeit davon erzählt.“

Er kannte Anna nicht, und doch war der Ausdruck, den ihr Gesicht plötzlich annahm, zutiefst beunruhigend. „Mylady, fühlt Ihr Euch nicht wohl?“

„Doch, doch“, beteuerte sie und winkte ab. „Ich würde es nur vorziehen, wenn niemand von diesem Pfad wüsste.“

Er konnte gut verstehen, dass eine Frau, die ganz allein weitab vom Dorf lebte, lieber keine ungebetenen Gäste empfangen wollte, weil das einfach zu gefährlich war. „Ich werde mein Wissen mit niemandem teilen, Anna“, versprach er ihr, woraufhin sich ihre Miene gleich wieder aufhellte. „Dann sehen wir uns morgen.“

Schneller als erwartet legte er den Pfad nach unten zurück, wo sein Pferd auf ihn wartete, das er an einem schattigen Platz angebunden hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte Davidh wieder Hoffnung in seinem Herzen.

Sein Sohn würde nicht sterben.

Diese Frau, diese Heilerin namens Anna Mackenzie würde seinem Sohn helfen, und dann konnte Colm zu dem Mann heranwachsen, den Mara und Davidh sich seit seiner Geburt immer gewünscht hatten.

Sein Sohn würde nicht sterben.

Es war nicht das erste Mal, dass ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, aber jetzt erlaubte er sich, daran zu glauben, dass es auch so kommen könnte.

Anna schaffte es kaum zurück ins Cottage und bis an den Tisch, bevor sie von einem heftigen Zittern erfasst wurde. Ihr ganzer Körper zuckte, und sogar ihre Zähne klapperten, während sie sich mit einer Hand an der Rückenlehne festklammerte und sich auf den Stuhl sinken ließ, der am Tisch stand. Sie konnte nur beten, dass Iain sie nicht so zu sehen bekam.

Davidh Cameron. Befehlshaber der Cameron-Krieger. Berater des Clanoberhauptes. Ein einflussreicher und mächtiger Mann. Einer, der ihr den Weg ebnen, ihr aber ebenso gut das Leben zur Hölle machen konnte.

Und Malcolms Freund.

Erinnerungen stürmten so plötzlich auf sie ein, dass ihr der Atem stockte. Malcolms Stimme, wie er ihr von den Streichen erzählte, die sie sich in jungen Jahren erlaubt hatten. Wie er den Entschluss verteidigte, Malcolms Schwester zu ärgern, indem sie ihr einen toten Vogel ins Bett legten, und wie er ihr von den Folgen dieser Tat erzählte. Wie er ihr von seinen Plänen für die Zeit berichtete, wenn er der Laird und Davidh seine rechte Hand sein würde. Wie er die vielen Male schilderte, bei denen Davidh ihm geholfen und ihn beschützt hatte.

Die beiden hatten sich näher gestanden, als Brüder es konnten. Zehn Jahre war Malcolm nun schon tot, und Anna fragte sich, ob sein Freund ihn so vermisste wie sie. Klar war, dass der Mann in der Zwischenzeit geheiratet hatte und Vater eines Sohnes geworden war.

Dem er den Namen seines Freundes gegeben hatte.

Bemerkenswert, dass Malcolm von seinen Freunden immer nur Mal genannt worden war und dass dieser Mann seinen Sohn nach dem Rest des Namens benannt hatte: Colm.

Würde er mehr für sie tun als den neuen Laird zu fragen, ob sie hier auf dem Land der Camerons leben durfte? Würde er ihr helfen, das Geburtsrecht ihres Sohns durchzusetzen? Malcolm hätte jetzt Clanoberhaupt sein müssen, also sollte auch sein Sohn dieses Recht für sich beanspruchen dürfen.

Nun allerdings war die Hoheit über den Clan einem anderen Zweig zugefallen, und dieser Anführer hatte selbst Söhne, die darauf hofften, ihrem Vater nachfolgen zu dürfen. Ihr Sohn stellte damit eine Bedrohung für deren Pläne dar.

Schritte vor dem Cottage ließen sie kurz aufhorchen, doch diesmal war es Iain, der nach Hause kam und seine Beute präsentierte: ein Kaninchen, das so groß war, dass es für mehrere Mahlzeiten reichen würde, aber nicht so gewaltig, dass der Laird sich darüber beschweren konnte.

„Ein guter Fang“, sagte sie und stand auf, um einen Topf zu holen und sich um das Essen zu kümmern. Ihre Beine waren noch wacklig, und ihre Hände zitterten, als sie versuchte, den schweren Kessel an den Haken über dem Feuer zu hängen. Iain kam sofort dazu und nahm ihr den Kessel ab, als wäre der leicht wie eine Feder.

Ihr Sohn wurde allmählich zu einem Mann. Ihm mussten die wichtigen Dinge des Lebens für die Zeit beigebracht werden, die er inmitten der Camerons verbringen würde, sollte ihr Plan aufgehen. Die Fertigkeiten eines Kriegers und das Wissen, das er als möglicher Erbe vorweisen musste – das war nichts, was sie ihn lehren konnte.

Doch Davidh Cameron konnte das.

Als später das Essen im Topf vor sich hin köchelte, ging sie in Gedanken immer wieder den Plan durch, den sie sich zurechtlegt hatte, bevor sie mit ihrem Sohn aufgebrochen war, um in das Cottage ihrer Mutter zurückzukehren. Jetzt, da Davidh Cameron ins Spiel gekommen war, ergaben sich andere Möglichkeiten, ihr Ziel zu erreichen. Jedoch würde das nicht einfach werden, denn Davidh war ein gefährlicher Mann. Er würde alles tun, um seinen Clan und seinen Sohn vor jeder Bedrohung zu beschützen, selbst wenn die Bedrohung von der Geliebten und dem Sohn seines einstmals besten Freundes ausging.

3. KAPITEL

Die Wolken ballten sich grau am Himmel, als sie das Dorf Achnacarry in Richtung der Burg durchquerte. Anna zog das eine Ende des Wolltuchs über ihren Kopf, mit dem anderen bedeckte sie den Korb, um den Inhalt vor Regen zu schützen. Wenn der Laird es erlaubte, würde sie nach Davidhs Sohn sehen und dann ins Cottage zurückkehren.

Dort gab es noch so viel zu tun, was sie eigentlich erst noch hatte erledigen wollen, damit alles eingerichtet und an seinem Platz war. Vorher hatte sie niemanden wissen lassen wollen, dass sie zurückgekommen war. Sie konnte schon das Schicksal hören, das sie auslachte, weil sie geglaubt hatte, alles im Griff zu haben. Hätte sich dieser Junge doch bloß vom Wasserfall ferngehalten! Aber nachdem er sich verletzt hatte, war es ihr nicht möglich gewesen, ihn einfach sich selbst zu überlassen.

Sie nickte einem alten Mann zu, der ihr auf dem Weg zur Burg entgegenkam. Obwohl sie den unterschiedlichsten Leuten begegnet war, hatte kaum jemand von ihr Notiz genommen. Aber das war nicht anders zu erwarten gewesen, da sie – noch – eine Fremde im Dorf war. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es wohl jemals dazu kommen würde, dass sie sich nicht wie eine Fremde fühlte.

Ihr ganzes Leben war eine Aneinanderreihung von Abschnitten, nie etwas Konstantes gewesen. An ihre früheste Kindheit hatte sie keine Erinnerung, also musste sie glauben, was ihre Mutter darüber erzählt hatte. Dann waren da die Jahre, an die sie sich erinnern konnte, die Jahre, als sie im Cottage oberhalb des Wasserfalls gelebt hatten. Daran schlossen sich die wenigen Monate mit Malcolm an, die ihr noch jetzt ein Lächeln auf die Lippen zauberten.

Ein paar wundervolle, strahlende Monate voller Liebe, Glück und Hoffnung, von denen sie für den Rest ihres Lebens zehren würde.

Dann waren da die Flucht nach Norden, die Trennung von Malcolm und die Geburt ihres Sohnes. Iain war erst zwei Jahre alt, als sich in den Highlands die Nachricht vom Mord an Malcolm herumsprach. Ihre Mutter hatte ihr durch diese düstere Zeit geholfen – und Iain hatte mit seiner fröhlichen und ausgelassenen Art unwissentlich das Gleiche getan. Seine Kindheit war wie im Flug vergangen. Nach dem Ableben ihrer Mutter hatte Anna den Entschluss gefasst, hierher zurückzukehren, in die Heimat des Vaters ihres Sohnes.

Anna hob den Kopf und sah die Wachen, die zu beiden Seiten des Burgtors aus Eisen postiert waren. Würden sie wirklich zu Davidh gehen, wenn sie die Männer darum bat? Die Wachleute entdeckten sie und stellten sich vor das Tor.

„Was führt Euch her, Mistress?“, fragte der größere Wachmann, der warnend eine Hand um das Heft seines Schwerts gelegt hatte.

„Davidh Cameron hat mich gebeten, ihn heute Morgen zu besuchen. Er hat gesagt, dass ihm jemand Bescheid geben soll, sobald ich hier eingetroffen bin.“

Der skeptische Gesichtsausdruck und das Funkeln in den Augen der beiden Männer kamen und gingen so schnell, dass Anna beinahe nichts davon mitbekommen hätte. Es war offensichtlich, dass die Wachleute ihre Absichten missverstanden hatten. Sie nahm das Tuch von ihrem Korb und zeigte ihnen die verschiedenen Behältnisse, in denen sie die Arzneien aufbewahrte.

„Er hat mich gebeten, seinen Sohn zu untersuchen“, erklärte sie.

Die Männer schauten verlegen drein, nickten und kehrten auf ihre Posten zurück, dann rief der Kleinere irgendjemandem zu, er solle dem Kommandanten Bescheid geben. Anna rechnete damit, dass Davidh sie abholen würde, doch ein ihr fremder Mann kam von der anderen Seite zum Tor gelaufen.

„Kommt! Kommt!“, rief er ihr zu. Die Wachen nickten, und sie passierte das Tor. „Er erwartet Euch schon. Nur unser Laird ist im Moment zu beschäftigt und kann Euch nicht empfangen. Kommt, Ihr könnt hier drinnen warten.“

Sie musste laufen, um mit dem Mann mitzuhalten, daher war sie außer Atem, als sie beide die Tür zum Bergfried erreicht hatten. Aber das war noch nicht alles, denn der Mann führte sie durch einen langen Gang bis zu einem Durchgang, durch den wütende Worte nach draußen drangen.

Der Mann fasste sie am Arm und zog sie bis in die große Halle und bis zur gegenüberliegenden Wand hinter sich her. „Bleibt hier, bis Davidh Euch zu sich ruft.“ Dann deutete er auf einen Schemel gleich neben ihr und verschwand, noch bevor sie einen Ton sagen konnte.

Anna nahm auf dem Schemel Platz und ließ den Blick durch die große Halle schweifen, während sie nach dem Einzigen suchte, den sie hier kannte. Sie hörte ihn, lange bevor sie ihn sah. Schließlich entdeckte sie ihn neben dem Clanoberhaupt, mit dem er in ein Gespräch vertieft war. Angesichts des Umstandes, dass er laut und wütend redete, schien es mehr ein Streit als ein Gespräch zu sein. Allerdings war sie mit den Gepflogenheiten hier nicht vertraut, daher konnte sie nicht beurteilen, ob wirklich gestritten wurde oder ob man vielleicht nur einer Art Ritual folgte.

Sie beobachtete die Männer, die auf dem Podest zusammengekommen waren, und konnte erkennen, dass Davidh hohes Ansehen genoss, und das nicht nur bei seinem Laird, sondern auch bei den anderen. Wiederholt fragte der Laird Davidh um Rat, und die anderen bezogen sich in ihren eigenen Stellungnahmen auf Davidhs Äußerungen. Es schien darum zu gehen, dass irgendjemand in das Gebiet des Clans eingedrungen war, und um die Frage, wie damit umgegangen werden sollte. Die Diskussion zog sich eine Weile hin, und auch wenn Anna die Details entgingen, klang es dennoch so, als würden die anderen sich Davidhs Meinung anschließen.

„Genug.“

Das eine laute Wort aus dem Mund des Clanoberhaupts machte klar, dass der Streit beendet war. Der mächtige Mann setzte sich und nickte, die anderen wichen ein Stück zurück und warteten auf seinen Entschluss. Anstatt aber Befehle zu erteilen, sprach Robert Cameron mit leiser Stimme: „Ich werde bei Anbruch der Nacht entscheiden, und Davidh wird euch danach meine Befehle weitergeben.“

Nach der Körperhaltung einiger Männer zu urteilen, waren sie von dieser Vorgehensweise nicht angetan. Unklar war für Anna jedoch, ob sie sich an der vertagten Entscheidung störten oder ob ihnen Davidhs Einfluss auf das Verhalten ihres Oberhaupts missfiel. Als sich die Gruppe schließlich auflöste, sah Davidh in ihre Richtung und nickte ihr zu.

Also wusste er bereits von ihrer Anwesenheit. Er winkte sie nicht zu sich, sondern wandte sich an eine Dienerin und redete kurz mit ihr. Die griff dann nach einem Krug und einem Becher, mit dem sie zu Anna kam.

„Der Kommandant sagt, es dauert noch ein wenig, Mylady“, sagte die Dienerin und hielt ihr den Becher hin. „Möchtet Ihr etwas Ale trinken, während Ihr auf ihn wartet?“ Als Anna nickte, gab sie ihr den Becher und fuhr fort: „In der Küche haben wir noch etwas Porridge oder Brot und Käse, falls Ihr noch nicht gefrühstückt habt.“

„Nay“, gab Anna leise zurück. „Das Ale genügt mir.“ Sie nickte der Frau zu, die sich nach einem Knicks zurückzog, als wäre Anna von höherem Stand als sie. „Vielen Dank“, fügte Anna noch hinzu.

Ihren Korb hatte sie auf dem Schoß stehen, dass Tuch lag wieder auf ihren Schultern. Mit einer Hand schob sie die Haarsträhnen zurück, die unter dem Kopftuch herausgerutscht waren. Während sie dasaß, beobachtete sie das Kommen und Gehen in der Halle des mächtigen Cameron.

Hier also hatte Malcolm gelebt.

Sie war nie hierhergekommen, nicht mal bis ins Dorf. Ihre Mutter hatte ihre Existenz vor den Dorfbewohnern verheimlicht, und bis zu dem Moment, da Malcolm ihr zufällig im Wald nahe dem Wasserfall begegnet war, hatte niemand außer ihrer Mutter von ihr gewusst.

Sie konnte sich gut vorstellen, wie er als kleiner Junge in dieser weitläufigen Halle hin und her gerannt war. Und wie er da oben auf dem Platz neben seinem Vater Euan Cameron gesessen hatte, nicht nur als dessen Sohn, sondern auch als Than seines Clans. Von Kindheit an war er zum Kämpfen und Herrschen erzogen worden. Ihr stockte der Atem, als ihr klar wurde, wie recht ihre Mutter doch gehabt hatte: Sein Vater hätte einer Heirat niemals zugestimmt, ganz gleich ob sie ein Kind unter dem Herzen trug oder nicht. Der Sohn, der hier aufgewachsen war, würde nur eine Frau heiraten, die aus einem ebenbürtigen Haus stammte, aber nicht die mittellose Tochter einer Heilerin.

Sie wischte die Tränen weg, die ihr völlig unerwartet über die Wangen liefen. Zwar hatte es sich damals nicht so angefühlt, dennoch hatte ihre Mutter sie seinerzeit vor einer schmerzhaften Enttäuschung bewahrt. Sie hatte genau gewusst, wie es sonst ausgegangen wäre.

Ein Geliebter wäre das Einzige gewesen, was er in seinem Leben für sie hätte sein können. Zwar hätte er sie immer geliebt, aber sie wäre nie an seiner Seite gewesen, außer im Dunkel der Nacht oder dort, wo niemand sie zusammen sehen konnte. Und jedes aus Malcolms Ehe hervorgegangene Kind hätte Vorrang vor ihrem Jungen gehabt.

Wie seltsam, dass sie für eine solche Erkenntnis erst hatte herkommen müssen. Jetzt jedoch waren ein klarer Kopf und Selbstbeherrschung erforderlich, wenn sie sich an den Laird wenden wollte, um den Platz zu bekommen, den sie für ihren Sohn brauchte. Nur dann würde er auch Anspruch erheben können, wenn die Wahrheit ans Licht gekommen war.

„Anna Mackenzie, der Laird ruft Euch jetzt zu sich.“

Der Mann, der sie vom Tor hergebracht hatte, stand vor ihr. Sie sah hoch und bemerkte dabei, dass jeder in der Halle sie in diesem Moment anschaute. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nichts mehr um sich herum wahrgenommen hatte.

Rasch stand sie auf und schob den Griff ihres Korbs bis zur Armbeuge. Sie folgte dem Mann bis zum Podest und blieb stehen, als er ihr ein entsprechendes Zeichen gab. Dann machte sie an den Laird gerichtet einen Knicks, allerdings ohne ihn anzusehen. Sie wartete, bis ihr Name gesagt worden war, ehe sie sich wieder aufrichtete.

„Mein Kommandant sagt, Ihr seid eine Heilerin, Mistress Mackenzie.“

„Das ist richtig, Laird“, antwortete sie, ohne den Kopf zu heben.

„Ihr wirkt recht jung für eine Heilerin“, stellte der Laird fest. „Was hat Euch nach Achnacarry geführt?“

„Meine Mutter lebte vor einigen Jahren hier, deshalb wollte ich hierher zurückkehren.“

„Eure Mutter?“, wiederholte Davidh. Sie blickte weiter vor sich auf den Boden, während er die Stufen herunterkam und sich vor sie hinstellte. „Ihr habt nichts davon gesagt, dass Eure Mutter hier gelebt hat.“ Er stand jetzt zwischen ihr und seinem Laird. „Anna?“

„Ich glaube, ich weiß, was sie damit sagen will“, erklärte der Laird. „Eure Mutter war …“ Im gleichen Moment sah sie ihn an und wusste, er war im Bilde.

„Aye, Laird, die Leute nannten sie die Hexe von Caig Falls.“ Die Worte hallten von allen Seiten wider, jedoch nicht, weil sie zu laut geredet hätte, sondern weil alle Umstehenden den Namen gleichzeitig mit ihr flüsterten. „Allerdings war sie nur eine begabte Heilerin, sie konnte weder Zauber wirken noch jemanden verhexen.“

„Ganz sicher konnte sie das nicht“, stimmte der Laird ihr zu. „Sie war eine gottesfürchtige Frau, alles andere waren nur Gerüchte.“ Er winkte Davidh zu sich zurück, da er sie offenbar nicht als eine Bedrohung ansah.

Hatte sie das richtig verstanden? Hatte der Anführer des mächtigen Cameron-Clans soeben ihre Mutter gegen die frei erfundenen, aber lebensgefährlichen Behauptungen verteidigt, eine Hexe gewesen zu sein? Seine Augen funkelten fröhlich, als er sie anlächelte. Sein Vorgänger hätte so etwas niemals gemacht, und auch nicht der Mann, der vor ihm das Sagen über den Clan gehabt hatte.

Malcolms Vater hatte sich nicht darum geschert, dass ihre Mutter bedroht worden war, was ein weiterer Grund gewesen war, von einem Tag auf den anderen das Cottage zu verlassen und wegzugehen. Eine Frau, der man vorwarf, eine Hexe zu sein, schwebte in großer Gefahr, und es bedurfte nur eines winzigen Zwischenfalls, um sie in Lebensgefahr zu bringen.

„Aye, Laird“, sagte sie. „Sie besaß das Geschick einer wirklich begabten Heilerin. Ich kann nur hoffen, dass ich es mit ihrem Geschick aufnehmen kann.“

„Nun, der alte Ranald wird froh darüber sein, dass ihn jemand von diesen Pflichten befreit. Er kann mit Säge und Axt besser umgehen als mit Heiltränken und Tinkturen. Ihr werdet am Wasserfall wohnen? Davidh sprach davon, dass das Cottage sich in einem guten Zustand befindet, aber es ist natürlich sehr abgelegen.“ Ein Blick zu Davidh zeigte ihr, dass er bestätigend nickte. „Werdet Ihr nicht hier im Dorf wohnen wollen?“

„Die Pflanzen meiner Mutter gedeihen in der Nähe des Wasserfalls. Es ist dort leichter das anzubauen, was ich benötige.“ Anna sah sich um und fragte sich, welcher der Berater des Lairds sich wohl gegen sie stellen würde, sollte sie nicht mit allem einverstanden sein, was der Laird von ihr forderte. Zumindest der Mann, der sie vom Burgtor hergebracht hatte, schien über ihre Anwesenheit nicht erfreut zu sein. Um nicht schon jetzt für Unmut zu sorgen, schlug sie vor: „Ich kann es so einrichten, dass ich jeden Tag ins Dorf komme und mich um diejenigen kümmere, die meine Hilfe benötigen.“

Daraufhin schwieg der Laird so lange, dass sie fast bereit war einzulenken. Sie wollte schon zum Reden ansetzen und ihm sagen, dass sie ins Dorf umziehen würde, doch sie schwieg, als sie bemerkte, wie Davidh sie so verstohlen am Arm berührte, dass es gewiss außer ihr niemandem aufgefallen war.

„Wenn es Euch gelegener kommt, dort draußen zu leben, habt Ihr meine Erlaubnis, es zu tun“, verkündete der Laird. „Und solange Ihr meinem Clan dient, genießt Ihr auch meinen Schutz.“

„Vielen Dank, Laird.“

„Davidh, nachdem du nach deinem Sohn gesehen hast, erwarte ich dich hier.“

Anna machte wieder einen Knicks und sah zu, wie der Laird aufstand und wegging. Anna spürte, dass sich die Blicke der anderen auf sie richteten. Zweifellos fragten sie sich, wer diese Frau war, die in ihrem Clan willkommen geheißen worden war.

„Ich habe mitgebracht, was ich wohl benötigen werde, aber ich würde gern sehen, was Ihr ihm bislang gegeben habt“, sagte sie zu Davidh.

„Hier entlang“, erwiderte er und führte sie zu dem Durchgang, durch den sie hereingekommen war.

„Wer ist der Mann, der mich hergebracht hat?“

„Das ist Struan, der Verwalter des Lairds.“

Abrupt blieb sie stehen. Der Verwalter war einem gewöhnlichen Diener gleich losgeschickt worden, um sie am Tor abzuholen? Das hieß, der Verwalter war auch der Mann, der aus seiner Missbilligung ihr gegenüber keinen Hehl gemacht hatte. Der Mann, der über alles das Sagen hatte, was sich im Haushalt des Clanoberhauptes abspielte.

„Ihr habt den Verwalter des Lairds losgeschickt, um mich am Burgtor zu empfangen?“, fragte sie ungläubig.

„Aye“, sagte Davidh. „Robert wollte die Besprechung nicht unterbrechen, und Struan war als Einziger entbehrlich.“

Männer konnten ja so klug und gleichzeitig so gedankenlos sein. Davidh war inzwischen mit ausholenden Schritten weitergegangen, und sie musste sich beeilen, um zu ihm aufzuschließen. Sie verließen den Bergfried, überquerten den Hof und kehrten ins Dorf zurück. Diesmal wurde sie von jedem angestarrt, dem sie begegneten. Bald würde jeder wissen, wer sie war, denn solche Neuigkeiten verbreiteten sich immer wie ein Lauffeuer.

Sie bogen in eine kleine Gasse ein, wo ihr der Geruch von Feuer und heißem Metall entgegenschlug. Anna wusste, dass sie sich in der Nähe einer Schmiede befinden mussten. Tatsächlich gingen sie Augenblicke später daran vorbei und blieben vor dem großen Cottage gleich daneben stehen.

„Dies ist Euer Cottage?“, fragte sie und betrachtete das Gebäude. „Ist Eure Frau zu Hause?“

Er drehte sich zu ihr um, und sie sah, wie bleich er geworden war. Die Blässe ließ ihn hager und Furcht einflößend aussehen. Als er einen Schritt auf sie zu machte, musste sie sich zwingen, nicht vor ihm zurückzuweichen. Dann beugte er sich vor und raunte ihr ins Ohr: „Meine Frau starb vor einigen Jahren an einem Fieber, seitdem ziehe ich meinen Sohn allein groß.“

„Ich … oh …“ Es gelang ihr einfach nicht, die richtigen Worte finden.

„Ich möchte nicht in der Gegenwart meines Sohns über meine Ehefrau reden, darum flehe ich Euch an, nicht auf sie zu sprechen zu kommen, wenn wir bei ihm sind.“

Sein Tonfall ließ sie erahnen, wie es in ihm aussehen musste. Sie hörte den Verlust, die Trauer und das Verlangen aus seinen Worten heraus, was sie beinahe zu Tränen rührte.

„Hier …“ Er unterbrach sich und musste sich räuspern, was ihn noch verwundbarer erscheinen ließ. Ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. „Hier wohnen Jamie, der Schmied …“, mit einer Kopfbewegung über die Schulter deutete er auf die Werkstatt nebenan, „und seine Frau Suisan. Sie kümmert sich um Colm, wenn ich meiner Arbeit nachgehe.“

„Ich verstehe“, sagte sie leise.

Er nickte, klopfte flüchtig an und hob behutsam den Riegel an. Anna musste lächeln, als sie sah, welche Mühe er sich gab, so wenig wie möglich zu stören. Er mochte noch so groß und muskulös sein, aber wenn es um seinen kranken Sohn ging, konnte er ganz sanft und leise sein.

Das Gute war, dass man gelüftet hatte und durch die Fenster viel Licht ins Innere fiel. Allzu oft neigten die, die sich um Kranke kümmerten, zu dem Irrtum, alle Fenster zu schließen und das Kaminfeuer zu schüren. Aber der Rauch, den das verbrennende Holz verbreitete, sorgte für stickige Luft in den oft zu kleinen Räumen. Ihre Mutter war der Ansicht gewesen, dass den Kranken damit mehr geschadet wurde, als man mit jeder Arznei wiedergutmachen konnte.

Anna folgte Davidh hinein und lächelte der Frau zu, die neben der Pritsche stand und ängstlich dreinschaute. „Suisan?“, fragte sie, und als die Frau nickte, stellte sie sich vor: „Ich bin Anna Mackenzie.“

„Von Caig Falls?“, erkundigte sich die Frau.

Diese verdammten Gerüchte verfolgten sie genauso, wie es zuvor bei ihrer Mutter gewesen war. „Aye, von Caig Falls.“

„Ich bin froh, dass er Euch aufgesucht hat. Dem armen Kleinen geht es nicht viel besser als in den letzten Tagen.“ Anna hatte die Erfahrung gemacht, dass man gegen Misstrauen nur schwer ankämpfen konnte, daher war sie umso erfreuter, von dieser Frau ohne Vorbehalte aufgenommen zu werden. „Kommt, ich zeige Euch, was uns der letzte Heiler gegeben hat, um ihn zu behandeln.“

„Ich würde gern erst Euren Sohn sehen“, sagte Anna an Davidh gewandt, der sich zwischen sie und den Jungen gestellt hatte. Ob er das überhaupt bewusst getan hatte, wusste sie nicht, aber auf jeden Fall machte es deutlich, dass es ihm zuerst einmal darum ging, seinen Sohn zu beschützen. Ihr wurde warm ums Herz. Sie selbst hatte nie erlebt, dass außer ihrer Mutter jemand sie hatte beschützen wollen, was der Grund dafür sein mochte, dass es ihr bei anderen stets auffiel.

Der Kommandant des Lairds entspannte sich ein wenig und trat zur Seite, damit sie sich dem Jungen auf der Pritsche nähern konnte. Die Augen hatte er geschlossen, sodass sie nicht wusste, ob er schlief oder nicht. Sie kniete sich hin und betrachtete aufmerksam, wie sich seine Brust mit jedem Atemzug hob und senkte. Das war alles andere als erfreulich. Das rasselnde, schnelle und flache Atmen war kein gutes Zeichen.

Ein Blick auf seine Lippen und die Fingernägel verriet ihr mehr über seinen Zustand. Seine Lider zuckten, und er machte die Augen auf, als sie ihm den Handrücken leicht auf die Stirn legte.

„Guten Morgen, Colm“, sagte sie leise. „Wie fühlst du dich heute?“

Anna richtete den Oberkörper auf, verharrte aber in ihrer hockenden Haltung neben dem Bett, damit der Junge sehen konnte, wer noch hinter ihr stand. Es würde ihm bloß schaden, wenn er sich vor etwas fürchtete. Da er sich aufsetzen wollte, legte sie einen Arm um ihn und half ihm mit der freien Hand hoch.

Und dann begann er zu husten.

4. KAPITEL

Der Hustenanfall ließ den Körper des Jungen förmlich beben, während Anna ihn in den Armen hielt. Mit aller Macht verkrampfte sich der Leib, um den Husten zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Sie hörte, dass Davidh und Suisan ans Bett eilten, hielt sie aber mit einem Kopfschütteln davon ab.

„Wartet“, flüsterte sie.

„Er braucht das hier“, sagte Davidh und hielt ihr ein kleines Fläschchen hin. „Der Heiler hat gesagt, dass er drei bis vier Tropfen davon nehmen soll, wenn der Hustenanfall beginnt.“

Er hatte den Deckel bereits entfernt, sodass Anna riechen konnte, was sich darin befand. Mohnsaft. Eine besonders starke Mischung, wie der intensive Geruch vermuten ließ.

„Nay.“

Sie kniete sich hin und zog den Jungen endgültig in eine sitzende Position, bis er gegen ihren Arm gelehnt dasaß, sodass sie ihm die andere Hand auf den Rücken legen konnte, um zu ertasten, wo der Husten seinen Ursprung hatte. Anna hatte das schon einmal erlebt, ebenso wie ihre Mutter. Mohn war das Letzte, was der Junge jetzt brauchte.

„Das wird den Husten stillen, Anna“, beharrte Davidh und hielt ihr das Fläschchen erneut hin. „Der Husten tut ihm weh.“

Für Anna stand vor allem fest, dass es Davidh wehtat, denn seine Stimme klang so gequält, als wäre er derjenige, dessen Körper so durchgeschüttelt wurde. Sie wollte weder Vater noch Kind leiden sehen, doch dieser Trank hätte zwar den Husten unterdrückt, aber Colm vor allem das Atmen erschwert.

„Davidh“, flüsterte Suisan, dann waren leise Schritte zu hören. Der besorgte Vater hatte sich offenbar zurückgezogen.

Anna beobachtete den Jungen so lange, bis der Hustenanfall nachgelassen hatte. Ihr fiel auf, dass er dann weiterhin flach und hastig atmete, so als hätte er Angst, erneut husten zu müssen, wenn er zu tief einatmete.

„Jetzt geht es dir ja wieder etwas besser. Kannst du aufstehen, Colm?“ Der Junge nickte, doch Davidh rief sofort ein „Nein“ dazwischen. Nach einem unsicheren Blick zu seinem Vater, der schließlich nickte, stellte Colm sich hin, ließ sich aber von ihr stützen. „Komm, ich helfe dir. Wenn der Husten anfängt, geht es dir vielleicht besser, wenn du dich auf den Stuhl da setzt, anstatt weiter im Bett zu liegen.“ Nachdem sie ihn dort hingesetzt hatte, holte sie einen kleinen Beutel aus ihrem Korb und gab ihn Suisan. „Würdet Ihr das bitte für mich in einem kleinen Topf aufkochen? Wenn es abgekühlt ist, wird es für Colm genau die richtige Stärke haben.“

Dann begann ihre eigentliche Arbeit.

„Davidh, er sollte mehr sitzen und weniger liegen. Suisan, könnt Ihr die Läden an der Rückseite Eures Hauses offen lassen, solange Colm hier ist? Der Rauch vom Kamin und von der Schmiede ist nicht gut für ihn.“ Anna sah zur Pritsche. „Wenn er liegt, dann nicht so flach. Je höher der Kopf ist, umso besser ist es.“

Dann wartete sie ab, bis der Kräutertee aufgekocht und wieder weit genug abgekühlt war, damit Colm ihn trinken konnte. Um die Zeit zu überbrücken, nahm sie sich alle die Fläschchen und Behältnisse vor, die von dem alten Heiler empfohlen worden waren, begutachtete sie und fragte Colm, wie sie ihm schmeckten. Dabei wurde sein Sinn für Humor und seine Widerstandskraft erkennbar, da er bei jeder Arznei eine andere Grimasse schnitt, um den Geschmack zu beschreiben.

„Wie alt bist du, Colm?“, fragte sie. Zwar meinte sie sich erinnern zu können, dass Davidh sein Alter erwähnt hatte, doch sie wollte den Jungen zum Reden bringen.

„Acht Jahre.“

„Mistress Mackenzie“, ermahnte Davidh ihn über Annas Schulter hinweg.

„Mistress Mackenzie“, wiederholte Colm. „Ich bin acht Jahre alt.“

„Also schon fast erwachsen, nicht wahr?“, sagte sie, woraufhin er sie strahlend ansah. Die Augen hatte er von seinem Vater, während das übrige Gesicht nichts Vertrautes aufwies und nach seiner Mutter kommen musste. „Dann bist du alt und klug genug, um Anweisungen zu verstehen und zu befolgen?“

Colm nickte und trank wieder von seinem Tee, als wollte er so seine Geste unterstreichen. „Aye, Mistress.“

„Gut, dann möchte ich als Erstes“, sagte sie und sah ihn ernst an, „dass du dich nur auf die Pritsche legst, wenn du auch vorhast zu schlafen.“

„Er ist schwach und …“, wandte Davidh ein.

Sie ging nicht auf ihn ein, sondern redete weiter mit seinem Sohn. „Das wird anfangs nicht leicht für dich sein, weil du daran gewöhnt bist im Bett zu liegen. Aber du wirst dich schon bald stark genug fühlen, um den ganzen Tag zu sitzen oder zu stehen.“ Sie nickte dem Jungen zu. „Was meinst du, Colm? Wirst du das versuchen?“

„Aye, Mistress Mackenzie!“

Angesichts der Tränen, die Suisan sich von der Wange wischte, hatte sie den Jungen wohl schon lange nicht mehr von einem solchen Eifer erfasst gesehen.

„Leider habe ich noch einige andere Tränke, die du einnehmen musst. Einige davon werden ganz grässlich schmecken, aber sie werden dir helfen. Kannst du mir versprechen, dass du tun wirst, was ich dir sage?“

„Ich werde mein Bestes geben, Mistress. Ganz bestimmt.“

Davidh hielt das nicht länger aus. Zugegeben, sein Sohn verhielt sich auf eine Weise, die er an ihm schon lange nicht mehr beobachtet hatte. Aber das konnte nicht von Dauer sein. War es ein Fehler gewesen, diese Frau zu Colm zu bringen? Abgesehen von ihrer Behauptung, eine Heilerin zu sein und von ihrer Sammlung an Tinkturen und Tränken in kleinen Flaschen und anderen Behältnissen war da nichts, womit sie hätte beweisen können, dass sie jemals einen Menschen erfolgreich behandelt hatte. Warum aber hatte er sie dann überhaupt um Hilfe gebeten? Weil er das Gefühl gehabt hatte, das Richtige zu tun?

Während er ihrer Stimme lauschte, stellte er erstaunt fest, dass sie mit Colm redete, als wäre er derjenige, der hier das Sagen hatte. Weder verhätschelte sie ihn, noch machte sie ihm Vorschriften. Stattdessen erklärte sie ihm alles und bat ihn um seine Mitarbeit, damit ihre Behandlung Wirkung zeigen konnte. Es war ganz so, wie er mit den ihm unterstellten Kriegern umging, wenn er ihnen klarmachte, dass sie alle das Gleiche erreichen wollten.

Diese Anna Mackenzie schien zu wissen, was sie tat, obwohl alle ihre bisherigen Maßnahmen das genaue Gegenteil von dem darstellten, was jeder andere vor ihr ihm geraten hatte. Wenn er sie so beobachtete, musste er einsehen, dass sie wohl nach irgendeinem Plan vorging. Er brannte darauf, mehr darüber zu erfahren. Selbst Suisan nickte zustimmend, als die Frau Colm erklärte, was er wann einnehmen sollte.

„Wenn Ihr so freundlich wärt, ein wenig kochendes Wasser in diese Schale zu geben und sie hier auf den Tisch zu stellen“, wandte sie sich an Suisan. „Colm und ich werden gleich ein Spiel spielen.“

Davidh ging zur Tür und lehnte sich gegen den Rahmen, um von dort aus Anna zuzusehen, wie sie einem anderen Beutel ein paar Blätter entnahm und dann eine der dicken Decken von der Schlafstelle zog, ausschüttelte und mehrmals faltete, bis sie sie in die gewünschte Form gebracht hatte. Neugierig sah er ihr zu, verkniff sich aber jegliche Frage, obwohl es genug gab, worauf er von ihr eine Antwort bekommen wollte.

Kurz darauf stand eine Schale mit dampfendem Wasser dort auf dem Tisch, wo sein Sohn saß. Anna zerrieb die Blätter mit einer Hand und streute sie in die Schale. Nur Augenblicke später breitete sich ein wohlriechendes Aroma im Cottage aus. Anna legte die Decke über die Schale, hielt aber eine Seite hoch und gab Colm ein Zeichen, dass er sich vorbeugen sollte.

„Ich will herausfinden, wie lange du diese Dämpfe einatmen kannst, ohne dass du husten musst. Atme erst einmal ganz langsam ein und aus, während ich mitzähle, und versuch nicht zu husten.“ Dann legte sie das andere Ende der Decke so über Colms Kopf und Schultern, dass es aussah, als würde er in einem Zelt sitzen. „Bist du bereit, Colm?“ Die gedämpfte Bestätigung seines Sohns war trotz der Decke zu verstehen.

Davidh konnte nicht anders, als aus Mitgefühl mitzuatmen, während er Anna leise zählen hörte. Gleichzeitig lauschte er auf Anzeichen dafür, dass es seinem Sohn nicht gut ging, doch der ließ nichts verlauten. Dann auf einmal geschah es. Colm bekam einen erneuten Hustenanfall, und Davidh machte einen Schritt auf den Tisch zu, doch Anna scheuchte ihn winkend zurück. Mit der anderen Hand hielt sie Colms Schulter, um ihm Halt zu geben. Dabei redete sie leise auf ihn ein, dass er den Hustenanfall zulassen sollte, anstatt sich gegen ihn zu wehren. Sie erklärte ihm auch, wie er durch gezieltes Atmen dafür sorgen konnte, dass der Husten wieder abebbte. Während ein solcher Anfall sonst immer schlimmer wurde, bis Colm völlig kraftlos auf dem Bett zusammensank, ließ er nun langsam nach. Wenig später begann Anna wieder zu zählen, wie lange sein Sohn es unter der Decke aushielt. Davidh sah zu Suisan, die das Ganze mit skeptischem, aber auch hoffnungsvollem Blick verfolgte.

Davidh wagte es noch längst nicht, sich zu irgendwelchen Hoffnungen hinreißen zu lassen. Schon andere Behandlungen hatten im ersten Moment erfolgversprechend ausgesehen, doch geholfen hatten sie letztlich nicht. Würde es hier nicht anders sein? Davidhs Verzweiflung hatte längst einen Punkt erreicht, an dem er schon glücklich gewesen wäre, wenn sich Colms Zustand nicht weiter verschlechterte.

Es dauerte nicht lange, dann nahm Anna die Decke weg und legte sie neben die Schale mit dem inzwischen wieder abgekühlten Wasser.

„Wie fühlt sich deine Brust jetzt an, Colm?“, fragte Anna ihn.

Das Lächeln, mit dem Colm antwortete, ließ Davidh den Atem stocken. Sein Sohn zuckte mit den Schultern, und alle schauten wie gebannt hin, weil sie feststellen wollten, ob die Dämpfe dieser zerriebenen Blätter tatsächlich Linderung gebracht hatten.

„Besser“, antwortete er und atmete tiefer ein, als er es noch vor einer Stunde gewagt hätte. „Es tut jetzt nicht mehr weh.“

Allen dreien war die Erleichterung anzumerken, sogar der Frau, die für diesen Erfolg verantwortlich war.

„Ich muss mit deinem Vater und Suisan darüber reden, was zu tun ist und was du einnehmen musst“, sagte Anna und deutete auf alles, was sie mitgebracht hatte. „Wirst du ruhig dabeisitzen, während ich das mache?“ Auf den zweifelnden Blick des Jungen hin fügte sie hinzu: „Ich möchte, dass du dir das auch anhörst, damit du Bescheid weißt. Schaffst du das, Colm?“

Sein Sohn sah genauso konzentriert drein wie seine Mutter Mara, wenn sie sich über etwas Wichtiges Gedanken gemacht hatte. In diesem Augenblick hatte Davidh das Gefühl, seine Frau vor sich zu sehen, so verblüffend war die Ähnlichkeit. Oh Gott, wie sehr sie ihm doch fehlte. Da durfte er nicht auch noch seinen Sohn verlieren.

„In ein paar Tagen werde ich wieder herkommen und mehr Blätter und Tinkturen mitbringen, dann werden wir sehen, was dir noch helfen kann.“

„In ein paar Tagen?“, wiederholte Davidh, dem erst jetzt bewusst wurde, dass er während ihrer Anweisungen zur Behandlung des Jungen gar nicht bei der Sache gewesen war. „Ihr werdet nicht morgen wieder herkommen?“

„Nay“, sagte Anna und strich Colm liebevoll durchs Haar. „Es wird ein paar Tage dauern, bis sich eine Wirkung zeigt. Wenn die Arzneien den Husten unter Kontrolle halten, werde ich die wirklich benötigte Menge festlegen.“ Sie streichelte Colm über die Wange, dann ging sie zu Davidh, der an der Tür stand. „Wie ich sagte, muss ich in meinem Cottage noch sehr viel einräumen.“ Dabei schüttelte sie den Kopf.

„Und wenn sich sein Zustand wieder verschlechtert …“

„Dann lasst mich rufen, und ich werde herkommen“, entgegnete sie und sah ihm in die Augen. „Aber ich glaube nicht, dass das geschehen wird.“

Suisan stellte die Behältnisse auf ein Regal in der Nähe der Kochstelle und begann das Mittagsmahl zuzubereiten. Colm beobachtete genau, was sie machte, und legte ein Interesse an seiner Umgebung an den Tag, wie es seit vielen Monaten nicht mehr vorgekommen war. Anna nahm ihren Korb und packte alles hinein, was hier nicht gebraucht wurde. Dann verabschiedete sie sich von Colm und Suisan, schließlich auch von Davidh.

Er folgte ihr nach draußen, da er noch immer nach den richtigen Worten suchte, um sich zu bedanken. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um.

„Ich wollte es nicht vor Colm sagen, aber ich weiß noch nicht, ob sich sein Zustand tatsächlich bessern wird. Es könnte sein, dass er sich niema…“

Seine Hand lag auf ihrem Mund, ehe er selbst wusste, was er tat. Ihre Lippen fühlten sich unter seinen Fingern zart an, und er spürte ihr verdutztes Keuchen, noch bevor er es hören konnte.

„Verzeiht, Anna“, sagte er. „Nachdem ich ihn soeben dort drinnen so anders erlebt habe, möchte ich keine warnenden Worte hören. Ich lebe schon so lange mit der Gefahr, dass er jederzeit sterben könnte, doch mir ist erst eben klar geworden, wie schwer die Situation auf mir lastet.“ Er ließ die Hand sinken. „Gestattet einem Vater ein gewisses Maß an Hoffnung, anstatt sie zunichtezumachen.“

Sie wollte irgendetwas erwidern, tat es aber nicht. Stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen, unmittelbar bevor sie sich von ihm abwenden konnte. Er hatte nicht gewollt, dass sie in Tränen ausbrach. Er hatte nur zum ersten Mal einem anderen Menschen als seiner Frau gegenüber seine Ängste in Worte gefasst, Worte, die er seit Maras Tod allenfalls im Dunkel der Nacht geflüstert hatte.

„Dann werde ich in zwei Tagen wieder herkommen“, sagte sie und entfernte sich.

Er stand da und schaute ihr nach, bis sie um eine Ecke gebogen war und er sie nicht mehr sehen konnte. Schließlich kehrte er ins Cottage zurück, wo er sich noch eine Weile mit Suisan und Colm unterhielt, ehe er sich wieder seinen Pflichten widmete. Zum ersten Mal seit langer Zeit wurde er beim Weggehen nicht von Colms Hustenanfällen verfolgt …

Anna brauchte all ihre Kraft, um nicht zusammenzubrechen und sich den Tränen hinzugeben, die sie aus Mitgefühl für diesen Mann und seinen Sohn vergießen wollte. Immerhin war da die Sorge, die Erkrankung könnte zu weit fortgeschritten sein, als dass sie den Kleinen noch vor dem Tod würde bewahren können. Aber wie sollte sie das dem Mann sagen, der sie mit Hoffnung und Verzweiflung zugleich in den Augen ansah? Er wusste, wie ernst die Lage war. Und wie es schien, war dessen Überleben eng mit seinem eigenen verbunden.

Nicht, dass er ebenfalls krank gewesen wäre, doch sie glaubte, dass der Tod des Jungen auf ihn die gleiche Auswirkung haben würde wie eine unheilbare Krankheit.

Am Dorfrand angekommen, blieb sie stehen und drehte sich um. Er hatte ihr hinterhergeschaut, sie hatte bei jedem Schritt seinen Blick spüren können. Jetzt war er aber nicht mehr zu sehen, und sie ging zügiger weiter, weil sie Abstand zum Dorf gewinnen wollte. Doch der Junge und sein Vater waren es, um die alle ihre Gedanken kreisten, auch als sie längst zurück in ihrem Cottage war.

Den Rest des Tages verbrachte sie damit, das Unkraut zu zupfen und die Heilpflanzen ihrer Mutter zurückzuschneiden, die in all den Jahren ungehindert gewuchert waren.

Davidh und sein Sohn gingen ihr nicht aus dem Kopf, ob sie nun damit befasst war, ihren Vorrat an Tränken und Salben zu mischen, oder ob sie mit Iain bei Tisch saß und sich mit ihm unterhielt. Immer wieder überlegte sie, wie sie dem Jungen helfen konnte. Anmerkungen zu den Rezepten und Heilmitteln ihrer Mutter hatte sie in einem Buch eingetragen, in dem sie nun las, während sie ihren Korb packte, um wieder ins Dorf zu gehen. Zwar wollte Iain sie begleiten, doch sie bat ihn, hier inmitten der Schatten zu warten, in denen er sicher aufgehoben war.

Sie würde schon noch enthüllen, dass sie einen Sohn hatte, in dessen Adern das Blut des Clans floss. Aber das würde dann geschehen, wenn sie es wollte. Wenn der Moment gekommen war, würde sie die Kontrolle über das Wichtigste in ihrem Leben verlieren. Diese Aussicht bereitete ihr beileibe kein Vergnügen.

5. KAPITEL

Mistress Mackenzie!“

Colms begeisterter Ausruf schallte ihr entgegen, als sie sich dem Cottage des Schmieds näherte. Er saß in der Tür, winkte allen zu und redete mit jedem, der an diesem Morgen vorbeikam. Einige Leute standen nicht weit entfernt in einer Gruppe zusammen und schienen auf etwas zu warten, wie es auf Anna den Eindruck machte.

„Ich wünsche dir einen guten Tag, Colm!“, rief sie dem Jungen zu.

Dass er in der Morgensonne und unter freiem Himmel dasaß, ließ erkennen, dass sich seine Verfassung zum Teil gebessert hatte. Sein Gesicht war nicht mehr ganz so blass, und das deutete mehr in Richtung Besserung statt Verschlechterung. Als Anna ihn erreicht hatte, streckte Colm die Hand aus und zog an ihren Röcken.

„Mistress Mackenzie, ich habe den ganzen Tag gesessen, außer als ich geschlafen habe. So wie Ihr es mir gesagt habt!“

Suisan tauchte ebenfalls in der offenen Tür zum Cottage auf und wischte die Hände an ihrer Schürze ab.

„Ich wünsche einen guten Morgen, Mistress Mackenzie“, sagte sie und nickte dem Jungen zu, den offenbar so gut wie nichts mehr auf seinem Schemel halten konnte. „Er hofft so sehr, dass Ihr ihm erlauben werdet, nach draußen zu gehen.“

Anna fühlte seine Stirn. Kein Fieber. „Nun, ich werde mir ansehen, wie es ihm geht, und danach können wir uns darüber unterhalten, wie weit wir die Gefängnismauern versetzen können.“

„Ich habe alle Eure Arzneien genommen“, ließ der Junge sie wissen. „Sogar die braune, die so widerwärtig schmeckt.“ Er röchelte lautstark, um sein Missfallen kundzutun.

„Stimmt das, Mistress Cameron?“, erkundigte sich Anna in ernstem Tonfall. „Hat er meine Anweisungen befolgt?“

„Das stimmt“, erklärte Suisan.

„Komm, ich will erst einmal deine Atmung untersuchen, Colm.“ Sie lächelte den Jungen an, der von seinem Schemel sprang und ins Cottage lief. Vermeiden musste sie unbedingt, dass Colm sich übernahm und sich zu früh zu viel zumutete. Aber mit Blick auf sein ausgelassenes Verhalten würde es schwierig werden, ihn davon abzuhalten, dass er es übertrieb.

Colm ließ sich von ihr abtasten, und er atmete anstandslos so ein und aus, wie sie es von ihm verlangte. Zwar hustete er, doch nicht auf diese krampfartige Weise, die ihm zuvor die Luft zum Atmen genommen hatte. Das war ein gutes Zeichen. Natürlich war er damit nicht genesen, denn das würde noch sehr viel Zeit erfordern. Aber wenn ihre Behandlung zu einer Linderung seiner Beschwerden führte, wäre sie schon überglücklich.

„Ich glaube, morgen darf er für eine gewisse Zeit das Haus verlassen, Mistress Cameron“, verkündete Anna, als sie fertig war. „Herumrennen sollte er selbstverständlich nicht, aber er kann seine Freunde besuchen.“

„Wirklich?“, rief Colm dazwischen. „Morgen?“

„Aye. Wenn du mir versprichst, nicht zu rennen und nicht zu tollen.“

„Aye, Mistress Mackenzie! Aye!“

Colms Lächeln hatte etwas Herzerwärmendes an sich, das sie an ihren eigenen Sohn erinnerte. Zwischen beiden lagen auch nur wenige Jahre.

„Für den Anfang kannst du dich draußen hinsetzen und mit deinen Freunden reden. Dann könnt ihr gemeinsam Pläne schmieden.“

Sie hatte kaum den Satz beendet, da war der Junge auch schon auf dem Weg zur Tür. Er hielt sein Versprechen und setzte sich lediglich wieder auf den Schemel vor der Tür und rief nach seinen Freunden.

„Dann haben die warmen Dämpfe also gewirkt?“, fragte sie Suisan nun. „Hat er viel gehustet?“

„Nay“, erwiderte die ältere Frau. „Ein wenig in der ersten Nacht, aber jedes Mal, nachdem er die Dämpfe eingeatmet hatte, ging es ihm anschließend noch etwas besser. Er hat sich weder beklagt noch geweigert. Er ist ein gehorsamer Junge.“

„Gehorsamer als die meisten anderen, die mich um Hilfe bitten“, meinte Anna.

„Da Ihr gerade von Hilfe redet …“, begann Suisan, woraufhin Anna sie ansah und darauf wartete, dass die andere fortfuhr. „Es hat sich herumgesprochen, dass Ihr eine Heilerin seid.“

„Die Leute da draußen?“, fragte Anna, trat zur Tür, wo sich Colms Freunde um den Jungen geschart hatten, und sah zu der Gruppe, die mittlerweile noch etwas größer geworden war. „Die wollen zu mir?“

„Aye. Wenn es Euch nichts ausmacht. Viele haben Beschwerden, gegen die der alte Ranald nichts tun kann. Bei manchen sind es wirklich nur Kleinigkeiten, und ich glaube, Ihr könnt einigen von ihnen mit Euren Pflanzen und Mitteln helfen.“

In der Gruppe erkannte man, dass Anna auf sie aufmerksam gemacht worden war, weshalb die Leute sich nun langsam dem Cottage näherten. Dabei konnte Anna dem einen oder anderen bereits ansehen, um welche Art von Leiden es sich handelte.

„Suisan, ich kann diese Leute nicht unter freiem Himmel behandeln. Ist es möglich, sie ins Cottage zu holen? Oder gibt es ein anderes Haus, das ich dafür nutzen kann?“

„Ihr seid hier willkommen, und vielleicht kann ich Euch ja behilflich sein. Ich könnte Euch mit den Leuten aus dem Dorf bekannt machen.“

Es dauerte nicht lange, da war der erste Dorfbewohner von Anna im Cottage des Schmieds behandelt worden. Insgesamt vergingen etliche Stunden, aber dank Suisans Hilfe schaffte sie es, jeden anzuhören, der zu ihr wollte. Einigen konnten sie sofort helfen, bei den Leiden anderer Hilfesuchender fehlte es ihr an den entsprechenden Heilmitteln. In ein paar Tagen würde sie alles beisammen haben, doch es würden noch Wochen vergehen, ehe sie sich den Pflanzen oberhalb des Wasserfalls so gewidmet hatte, dass tatsächlich alles bereit war.

Colm saß immer noch an der Tür und begrüßte jeden, der ins Cottage kam. Allerdings konnte sie dem Jungen ansehen, dass ihn das zu viel Kraft kosten würde, sollte er damit noch lange weitermachen. Gerade hatte sie den letzten Patienten behandelt, als von draußen eine laute Stimme ertönte: „Was hast du dir dabei gedacht, Malcolm Cameron?“

Für einen Moment vergaß sie Zeit und Raum und hörte nur noch den Namen. Hastig lief sie zur Tür und rechnete damit, ihren Malcolm da draußen stehen zu sehen. Doch da war nur Davidh, der sich dem Cottage näherte. Anna schüttelte ratlos den Kopf, dann wanderte ihr Blick zu Colm, der noch immer vor der Tür saß.

Colm.

Malcolm.

Er hatte seinem Sohn tatsächlich den Namen seines besten Freundes gegeben.

„Du sollst doch nicht aus dem Haus gehen!“, herrschte Davidh den Jungen an.

„Papa, Mistress Mackenzie hat gesagt, dass ich darf.“

Davidh hatte nur auf seinen Sohn geachtet, und erst jetzt bemerkte er die Heilerin, die aus dem Cottage hinaus in den Sonnenschein trat. Er hockte sich vor Colm hin, sah ihn an und lauschte wie üblich konzentriert, wie seine Atmung war. Obwohl der Kleine blass wirkte, hatte er keine Mühe Luft zu holen.

„Nun, wenn Mistress Mackenzie ihre Erlaubnis erteilt hat, kann ich es dir wohl kaum verbieten.“ Der Junge machte ein erleichtertes Gesicht. Wie lange war es her, seit Colm zum letzten Mal das Cottage verlassen hatte? Davidh sah zu Anna und fragte: „Und was hat Mistress Mackenzie sonst noch zu sagen?“

„Wenn er sich heute ausruht und meine Anweisungen befolgt, könnte er morgen ein Stück weit mit seinen Freunden ins Dorf gehen“, antwortete sie.

„So wie es aussieht, hat er genau das aber nicht gemacht.“

„Noch nicht“, korrigierte sie ihn. „Heute Morgen war ich dankbar für seine Hilfe bei den Leuten aus dem Dorf, die alle zu mir wollten.“

Davidh richtete sich auf und berührte seinen Sohn an der Schulter. „Du siehst müde aus, Junge.“

Er konnte sehen, dass der Junge mit sich selbst rang, denn eigentlich wollte er noch nicht zurück ins Cottage, doch er spürte zweifellos auch, dass seine Kräfte allmählich nachließen. Angesichts der Tatsache, dass sein Sohn in den letzten zwei Tagen mehr unternommen hatte als in den vielen Wochen zuvor, war Davidh mehr als bereit, auf den Ratschlag der Heilerin zu hören. Von seinen anfänglichen Zweifeln war nichts mehr geblieben.

„Wir haben unsere Arbeit getan, deshalb wäre es jetzt eine gute Gelegenheit für dich, dass du eine Weile ausruhst, Mal…colm.“

Sie geriet ins Stocken, als sie den Namen seines Sohns sagen wollte. Ihre Miene verriet ihm, dass es irgendeinen besonderen Grund für ihre seltsame Reaktion geben musste.

„Jetzt weißt du Bescheid. Mistress Mackenzie hat gesprochen, und wir können nichts dagegen einwenden.“

Colm murmelte etwas vor sich hin, stand aber auf und verabschiedete sich von seinen Freunden. Dann ging er mit sehr langsamen Schritten nach drinnen, um so seinen Protest kundzutun. Davidh musste sich ein Lächeln verkneifen, das seine ernste Miene zunichtezumachen drohte. Schließlich wandte er sich sogar ab, weil Colm es maßlos übertrieb, indem er jeden Schritt mit einem lauten Seufzer untermalte, bis er seine Pritsche erreicht hatte und sich hinlegte. Es dauerte nicht lange, da war er auch schon eingeschlafen, was Davidh vor Augen führte, wie es um die körperliche Verfassung des Jungen trotz allem bestellt war.

„Ich …“ Es gab so vieles, wofür er ihr danken wollte, doch er fand nicht die richtigen Worte.

„Ich habe Suisan noch ein neues Mittel gegeben, das sie ihm über die nächsten Tage verteilt verabreichen soll“, sagte sie stattdessen. Dabei stand sie so, dass sie ihm zwar den Blick auf Colm nahm, aber auch verhinderte, dass ihre Worte bis ins Cottage getragen wurden. „Die Dämpfe scheinen ihm sehr zu helfen.“

„Aye, das tun sie tatsächlich, er hustet kaum noch.“ Wieder wollte er irgendwie seine Dankbarkeit in Worte fassen, doch es fiel ihm nichts ein, was für ihren Einsatz angemessen gewesen wäre. „Anna …“

„Es ist so, Davidh, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Seine Lungen sind stark angegriffen, und daran hat sich nichts geändert, nur weil ich ihm verschiedene Mittel verordnet habe und er seit ein paar Tagen den Wasserdampf einatmet.“

Warum sagte sie so etwas? Warum redete sie abwertend über das, was sie selbst geleistet hatte?

„Er ist schon eine ganze Weile krank“, warf er ein. „Ich verstehe, dass seine Heilung Zeit braucht.“

„Oder nie eintreten wird.“

Er hörte, was sie sagte, doch er wollte es nicht hinnehmen. Dieser winzige Funke Hoffnung, den er seit dem ersten Tag von Colms Erkrankung in seiner Seele mit sich herumgetragen hatte, war in den letzten zwei Tagen zu einer kleinen Flamme herangewachsen. Sollte er diese Flamme wieder ersticken, nur damit abermals nichts weiter als der Funke übrig blieb? Musste er das vielleicht sogar? Auf einmal legte sie ihm eine Hand auf den Arm.

„Manchmal verläuft es nicht so, wie erwünscht. Und wenn das hier der Fall ist …“ Sie unterbrach sich und ließ den Blick über das Dorf wandern. „Ich will Euch keine falschen Hoffnungen machen. Ihr müsst wissen, wie der Stand der Dinge ist, Davidh.“

„Ich fürchte, dafür ist es zu spät, Anna.“

Fragend sah sie ihn an, woraufhin er flüchtig mit den Schultern zuckte.

„Ich weiß um den Stand der Dinge. Ich weiß, wie es um Colm bestellt ist, denn ich habe kleinere Kinder als ihn an solchen Krankheiten sterben sehen.“ Eine Träne bahnte sich den Weg von ihrem Augenwinkel über ihre Wange. Er wollte sie zu gern wegwischen, doch stattdessen wich er einen Schritt vor ihr zurück. „Ich werde mich an jedem Tag erfreuen, den Ihr ihm mit Eurer Behandlung schenken könnt. Alles Übrige liegt in den Händen des Allmächtigen.“

Sie ging an ihm vorbei, und er hörte sie leise ächzen. Als er genauer hinsah, bemerkte er, dass sie sich bewegte, als hätte sie Schmerzen.

„Mistress Mackenzie, benötigt Ihr selbst auch einen Heiler?“

Als sie daraufhin lachte, schlug sein Herz prompt etwas schneller. „Aye, das könnte gut sein. Kennt Ihr einen?“

„Nur den alten Ranald. Die beste Wahl, wenn Ihr Euch irgendetwas abhacken lassen wollt“, scherzte er, was ein wenig gegen seine Anspannung half.

„Nein, das brauche ich nicht. Ich muss nur eine Weile ausruhen, nachdem ich so lange Zeit auf Knien oder vornübergebeugt verbracht habe. Ich werde Euch nicht von Euren Pflichten abhalten, Kommandant.“

„Kommt“, sagte er und machte eine ausholende Geste. „Ich werde erst später zurückerwartet. Ich kann Euch im Dorf herumführen, solltet Ihr es noch nicht kennen.“

„Das würde mich freuen“, entgegnete sie, folgte ihm zur Straße und ging dann neben ihm her.

Entlang der Hauptstraße zeigte Davidh ihr immer wieder wichtige Gebäude. Die Schmiede kannte sie bereits, nicht aber die Bäckerei, die Müllerei am Flussufer und die Weberei. Die Kunde von ihrer Anwesenheit hatte schon die Runde gemacht, sodass Anna von vielen Dorfbewohnern gegrüßt und von einigen auch angesprochen wurde. Erst nach einer Weile teilte sie ihm mit, dass sie diese Leute alle im Lauf des Tages behandelt hatte.

Davidh führte sie bis zu einem Strom, der im Norden in den Fluss mündete, der Loch Arkaig mit Loch Lochy verband. Um zum Wasserfall und zu ihrem Cottage zu gelangen, konnte sie dem Wasserlauf bis zur Einmündung in den Loch Arkaig folgen, dort die kleine Brücke überqueren und zur Nordseite des Flusses weitergehen. Der Fluss, dem der Wasserfall entsprang, speiste seinerseits den Fluss Arkaig mit Wasser.

Das Überraschendste für Davidh war die Erkenntnis, wie zwanglos er sich mit Anna unterhalten konnte. Noch als sie auf dem Rückweg zur Schmiede waren, erzählte er Anekdoten aus dem Dorf und erklärte ihr, wer mit wem wie verbunden war.

„Ihr habt mir nicht gezeigt, wo Ihr lebt“, stellte sie auf einmal fest.

Ihm blieb keine Zeit, um über ihre Neugier nachzudenken, da ein Mann zu ihnen gelaufen kam, der wieder und wieder aufgeregt Davidhs Namen rief. Erst da fiel ihm ein, dass er völlig die Zeit aus den Augen verloren hatte. Robert hatte ihn nach dem Mittagsmahl zu einem Treffen mit dem Verwalter erwartet, doch das war Davidh schlicht entfallen.

Er konnte es auf seinen Sohn schieben, da es ihn so sehr gerührt hatte, ihn auf der Bank vor dem Cottage sitzen zu sehen. Zum Teil stimmte das ja auch. Aber es hatte ihm ebenfalls sehr gut gefallen, mit Anna durch das Dorf zu gehen. So gut, dass er darüber seine eigentliche Pflicht vergessen hatte.

Davidh nickte dem Boten zu und sagte zu Anna: „Ich muss zurück. Werdet Ihr morgen wiederkommen?“

„In ein paar Tagen werde ich wieder hier sein. Ich muss noch so viel erledigen, bevor ich alles beisammen habe, um den Menschen hier im Dorf auch helfen zu können.“

Er wollte protestieren, doch das wäre nicht richtig gewesen. Seinen Unmut hatte er sich selbst zuzuschreiben, daher blieb ihm nichts anderes übrig als sich mit ein paar Dankesworten zu verabschieden und zur Burg zurückzukehren. Davidh fluchte innerlich bei jedem Schritt, während er zu seinem Pferd rannte, aufsaß und losritt.

Noch nie hatte er seine Pflichten vernachlässigt. Nicht ein einziges Mal, nicht einmal dann, als es Colm so schlecht gegangen war, dass er mit dem Schlimmsten hatte rechnen müssen.

Und auf einmal trat diese junge Frau in sein Leben, verschaffte seinem leidenden Sohn Linderung und sprach ihn auf eine Weise an, wie es außer Mara keine Frau je getan hatte – und er ließ es zu, sich durch sie von seinen Pflichten ablenken zu lassen.

Das durfte nicht noch einmal passieren.

6. KAPITEL

Drei Tage waren seit Annas letztem Besuch vergangen, und mit jedem Tag fiel es Davidh schwerer, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Seit er wie vom Teufel besessen in Richtung Burg davongeritten war, hatte sich Anna im Dorf nicht mehr blicken lassen. Zwar hatte Robert nichts zu seiner verspäteten Rückkehr gesagt, doch es wurde getuschelt seitdem, und nicht alle waren ihm wohlgesinnt. Da zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb des Clans noch immer Unstimmigkeiten herrschten, konnte er es sich nicht erlauben, unaufmerksam zu sein und seine Pflichten zu vernachlässigen.

Nachdem der Verrat des letzten Lairds enthüllt worden war, hatte das zu einem Bruch innerhalb des Clans geführt. Gilberts Anhänger hatten umgehend die Flucht ergriffen, um nicht Gefahr zu laufen, dass jemand ihnen ihre Beteiligung an diesem schändlichen Verrat nachwies und sie dafür bezahlen mussten. Zwar war Robert sein rechtmäßiger Nachfolger und überdies eine vernünftige Wahl, dennoch gab es im Clan solche, die sich fragten, ob man einem Mann trauen konnte, der schweigend gedient hatte, um seine eigenen Geheimnisse zu wahren.

Jede von Roberts Entscheidungen als Clanoberhaupt wurde genau auf mögliche Schwachstellen oder Fehleinschätzungen der jeweiligen Situation untersucht. Das galt auch für seine Entscheidung, dass Davidh seine Krieger führen und Struan sein Verwalter sein sollte. Als Laird genoss Robert Unterstützung der mächtigen Führer der Chattan-Konföderation, und das Vertrauen im Allgemeinen war zu ihm stetig größer geworden.

Dennoch konnte der Laird keinen Kommandanten gebrauchen, der einen unzuverlässigen Eindruck machte und an dessen Befähigung zum Befehlshaber über die Clankrieger man zweifeln konnte. In den letzten drei Tagen hatte sich Davidh mit noch mehr Eifer als gewohnt seinen Aufgaben und Pflichten gewidmet. Da es Colm besser ging, verweilte er von früh bis spät in der Feste, arbeitete mit seinen Leuten auf dem Übungsplatz, teilte die Wachdienste ein und schickte andere Männer los, damit sie Reparaturen in der Burg und im Dorf vornahmen. Auch wenn das nicht zu ihren eigentlichen Tätigkeiten gehörte, erledigten sie diese Aufgaben ohne zu murren.

Ganz gleich jedoch, wie erschöpft er abends war, hielt ihn der Gedanke an die Heilerin mit den grünen Augen beharrlich vom Schlafen ab. Als er es am Morgen des vierten Tags es nicht länger aushielt, sie nicht zu sehen, machte sich Davidh mit seinem Sohn auf den Weg zu ihr. Da es Colm so gut ging wie schon seit Monaten nicht mehr, war Davidh davon überzeugt, dass ihn der Ritt zum Wasserfall nicht zu sehr anstrengen würde. Andernfalls würde er sofort umkehren.

Unter dem zutreffenden Vorwand, dass ihnen die Blätter ausgingen, die Anna zerrieben in heißes Wasser gegeben hatte, und dass er sie für ihren bisherigen Einsatz entlohnen wollte, machte er sich auf den Weg zu Suisan, um seinen Sohn abzuholen. Keine zehn Schritte, nachdem er sein Haus verlassen hatte, stieß er mit einer Frau zusammen, die ihm entgegenkam.

„Guten Tag, Lilias“, sagte er prompt, während er seine Nachbarin festhielt, bis die das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. „Und entschuldige, dass ich dich umgerannt habe. Aber ich habe dich nicht gesehen.“

„Guten Tag, Davidh“, erwiderte sie, nachdem er sie wieder losgelassen hatte. „Du scheinst in Eile zu sein. Stimmt etwas nicht?“

Obwohl er keine Zeit zu verlieren hatte, wollte er nicht unhöflich zu der Frau sein, die oft bereitwillig auf seinen Sohn aufpasste, wenn er ihn allein lassen musste.

„Nay, Colm geht es gut“, antwortete er zufrieden. „Sein Zustand hat sich in den letzten Tagen gebessert. Dennoch will ich mit ihm jetzt zur Heilerin reiten.“

„Alle rechnen damit, dass sie wieder herkommt“, sagte Lilias. „Hältst du es für klug, mit ihm so weit zu reiten?“

Ein Funkeln in den Augen der Frau ließ Davidh rätseln, ob sie seine Urteilsfähigkeit anzweifelte oder ob sie nur neugierig war.

Er zuckte mit den Schultern. „Eben das ist für mich ein Grund mehr, zu ihr zu reiten. Seit vier Tagen hat sie niemand mehr gesehen, weder hier noch in der Nähe des Wasserfalls. Robert hat sie unter seinen Schutz gestellt, also …“ Er log Lilias nicht an, sondern ließ es lediglich so erscheinen, als käme er bloß seinen Pflichten nach.

„Willst du zum Essen zu mir kommen, wenn du von der Heilerin zurückgekehrt bist? Es ist lange her, seit wir das letzte Mal gemeinsam gegessen haben, Davidh.“ Sie lächelte ihn an und fügte hinzu: „Und bring den Jungen mit. Ich habe einen Eintopf gekocht, und es ist genug für alle da.“

Als ihm auffiel, wie sie beim Reden mit ihren Locken spielte, wurde ihm etwas klar. Auch wenn es lange her war, seit er das letzte Mal um eine Frau geworben hatte, gab es keinen Zweifel daran, dass Lilias mit ihm schäkerte.

„Ich danke dir für die Einladung, Lilias. Aber ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde, und ich kann auch nicht sagen, ob Colm dann der Sinn danach steht, noch jemanden zu besuchen.“ Er musste sich zwingen, seine Ungeduld zu bändigen, denn so wie auch viele andere im Dorf hatte sie ihm und Colm oft geholfen. „Ich muss aufbrechen.“

„Dann an einem anderen Abend?“, fragte Lilias und machte einen Schritt zur Seite. „Ich hoffe, dem Jungen geht es auch weiterhin so gut.“

Davidh nickte, dann verabschiedete er sich. Sein Pferd stand ohnehin beim Schmied, da Jamie einen Huf neu beschlug. Der rief seinen Namen, als Davidh einen Blick in das offenbar verlassene Cottage warf. Davidh drehte sich um und schaute den Weg entlang, der zum Brunnen in der Dorfmitte führte. Suisan und Colm kamen eben vom Brunnen zurück, und sein Sohn trug einen Eimer Wasser, den er nicht ein einziges Mal absetzen musste.

Davidh wollte seinen Augen nicht trauen. Wieder ging es Colm ein bisschen besser als am Tag zuvor, und wieder machte sich Davidh größere Hoffnungen, auch wenn Anna ihn genau davor gewarnt hatte. Aber Colm war lange Zeit so krank gewesen, dass selbst eine leichte Besserung ihm schon wie ein Gottesgeschenk vorkam.

„Papa!“, rief Colm, als er ihn entdeckte. „Sieh mal! Sieh mal!“

Mit beiden Händen fasste der Junge den Eimer und beschleunigte seine Schritte. Davidh wollte ihn ermahnen, langsamer zu machen, doch diese grenzenlose Freude, die sein Sohn ausstrahlte, ließ ihn innehalten. Als Colm ihn erreicht hatte, war allerdings gut die Hälfte des Wassers aus dem Eimer geschwappt. Davidh hockte sich lachend hin und drückte seinen Sohn an sich.

„Papa, ich hab ihn den ganzen Weg getragen“, sagte Colm voller Stolz.

Suisan kam dazu und nahm den halb leeren Eimer an sich, ohne sich über den Schwund zu beklagen. „Aye, das hat er gemacht“, bestätigte sie.

„Wie geht es dir, Colm? Was macht deine Brust?“ Davidh legte die Hände an Brust und Rücken des Jungen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie tief oder flach er atmete.

„Mir geht es gut, Papa. Suisan sagt das auch. Und Mistress Mackenzie auch.“

„Mistress Mackenzie? Wann hat sie euch denn besucht?“ Davidh richtete sich auf und sah Suisan an.

„Ganz früh heute Morgen, Davidh“, antwortete sie. „Du warst gerade erst weggeritten, da klopfte sie bei uns an.“

Anna war hier gewesen? Hatte sie womöglich abgewartet, bis er das Haus verlassen hatte, ehe sie zum Cottage gegangen war?

„Sie sprach davon, dass sie in ihrem Zuhause alle Hände voll zu tun hat, aber sie wollte Nachschub für Colm und für die anderen bringen, die sie behandelt hat.“ Suisan deutete auf einen Korb, der an der Tür zum Cottage stand. Darin lagen nun Schmuckstücke und andere verpackte Gegenstände, die als Bezahlung für Annas Dienste gedacht waren. Suisan stellte beide Eimer neben dem Korb ab. „Colm und ich haben uns darum gekümmert, dass jeder bekommt, was er braucht.“

Er fühlte sich enttäuscht und erfreut zugleich. Sein Sohn war in der Lage gewesen, einmal durch das ganze Dorf zu gehen, was seine Hoffnung nur weiter wachsen ließ. Doch es gefiel ihm nicht, dass Anna dem Dorf einen Besuch abgestattet hatte, ohne auch mit ihm zu reden.

„Hat sie gesagt, wann sie wiederkommt? Ich hatte nämlich vor, zu ihr zu reiten.“ Er nickte seinem Sohn zu. „Ich dachte, wir beide reiten zum Wasserfall. Es ist so ein schöner Tag, und Colm kommt mir schon viel kräftiger vor.“

Sein Sohn reagierte darauf wie erwartet, und Davidh musste ihn warnen, sich nicht schon vor Freude so zu verausgaben, da noch ein längerer Ritt vor ihnen lag. Wenig später waren sie beide mit dem Korb für Anna auf dem Weg in Richtung Norden, wo sich der Wasserfall befand. Davidh ließ sein Pferd nicht galoppieren, auch wenn das Tier offenbar gern ein schnelleres Tempo eingeschlagen hätte. Sein Sohn saß vor ihm, damit er ihn festhalten und verhindern konnte, dass er zu sehr durchgeschüttelt wurde.

Fast die ganze Strecke legten sie in einvernehmlichem Schweigen zurück, doch als sie sich dem Wasserfall näherten, wollte Colm mehr darüber wissen. Davidh erzählte ihm, wie er und sein bester Freund Malcolm als Kinder vergeblich versucht hatten, an den rutschigen Felsen des Wasserfalls hochzuklettern.

Als sie dann am Rand des Sees standen, der das von oben kommende Wasser sammelte und dann in Richtung Fluss weiterschickte, wurde Colm ganz ruhig und starrte den Wasserfall an, der für ihn bis in den Himmel zu reichen schien.

„Von da oben geht es aber tief runter.“

„Aye“, bestätigte Davidh. „Tavish kann von Glück reden, dass er sich nur den Fuß, und nicht jeden einzelnen Knochen in seinem Leib gebrochen hat. Ich hoffe, das war für dich und deine Freunde Warnung genug, so was nicht auch zu versuchen.“

Colm nickte und fragte: „Und wie finden wir dann Anna?“

„Es gibt einen geheimen Weg, der nach oben führt, aber du musst mir hoch und heilig versprechen, dass du mit niemandem darüber reden wirst.“

Mit der ernsten Miene eines Mannes, der soeben einen heiligen Befehl erteilt bekommen hatte, nickte Colm bestätigend. Davidh setzte ihn auf dem Boden ab und sagte ihm, Colm solle auf seinen Rücken klettern, weil das die einfachste Lösung war, um ihn auf dem steilen Weg bis ganz nach oben zu tragen. Wenig später hatten sie die Baumgruppe erreicht, hinter der die Höhle und damit der Weg nach oben verborgen lagen.

Er kam etwas langsamer voran, da er nicht allein unterwegs war, dennoch dauerte es nicht allzu lange, da hatte er den Weg nach oben bewältigt und war nicht mehr weit von Annas Cottage entfernt. Beim Näherkommen sah er, dass die Tür offen stand, aber es schien sich niemand im Haus aufzuhalten. Wahrscheinlich arbeitete sie auf dem Feld, das sie als ihren Garten bezeichnete. Zumindest fand er, dass das Gelände viel zu groß war, um noch als Garten zu gelten.

„Anna!“, rief Colm über Davidhs Schulter hinweg, was ihn daran erinnerte, dass er seinen Sohn immer noch huckepack trug. Er ging in die Hocke und ließ den Jungen runter. „Anna!“ Colm lief zu der Frau, die auf Knien in der Erde wühlte.

Sie sprang auf, als sie Colm rufen hörte, rieb sich die Hände, um sie von der Erde zu befreien, und fasste ihn an den Schultern. Dann kniete sie sich wieder hin, um ihm Stirn und die Wangen zu fühlen. Sie schien zu denken, dass etwas nicht mit ihm stimmte, aber schließlich hatte sie Davidh ja auch gesagt, er solle zu ihr kommen, wenn der Zustand seines Sohnes sich wieder verschlechterte.

„Anna, es geht ihm gut“, sagte er. „Es geht ihm wirklich gut.“

Ihre sorgenvolle Miene hielt an, bis sie sich davon überzeugt hatte, dass Colm einwandfrei atmete und dass sein Gesicht eine gesunde Farbe hatte. Schließlich stand sie auf und klopfte die Erde von ihren Röcken.

„Da Ihr nicht ins Dorf zurückgekehrt seid, wollte ich herkommen und nach dem Rechten sehen“, erklärte er, fand aber selbst, dass sich seine Worte wie ein fadenscheiniger Vorwand anhörten. Dennoch nickte sie.

„Ich habe noch heute Morgen nach Eurem Sohn gesehen“, sagte sie. „Aber es ist schön, dass Ihr mir meinen Korb mitgebracht habt.“

An den Korb dachte Davidh erst wieder, als Colm ihn ihr hinhielt.

„Was ist das?“, fragte sie, als sie entdeckte, dass der Korb nicht leer war.

„Das sind …“, begann er. „Tavishs Mutter schickt Euch den Käse, das Brot ist vom Bäcker und seiner Frau. Das Garn kommt von Mistress Cameron … von der, die Peggy genannt wird. Ach ja, und der alte Ranald sagt, Ihr könnt seine Nadeln und Garne haben, wenn Ihr das nächste Mal im Dorf seid. Er braucht sie nicht mehr.“

Die Worte brachen wie ein Wasserfall aus ihm hervor, begleitet von hastigen Gesten, um auf alles zu zeigen, was sich im Korb befand.

„Ich danke Euch, dass Ihr mir all diese Gaben gebracht habt“, sagte sie und drückte lächelnd den Korb an sich. „Allerdings hätte ich das auch alles bei meinem nächsten Besuch mitnehmen können.“

„Das Brot vom Bäcker wäre dann aber schon hart und trocken gewesen“, wandte Colm ein.

„Die Leute begleichen ihre Schulden gern so bald wie möglich“, fügte Davidh hinzu.

„Aha. Nun, daran hatte ich nicht gedacht“, meinte sie.

„Vor allem aber wollen sie sich dafür erkenntlich zeigen, dass Ihr Euch so um sie gekümmert habt.“

Sie lächelte erst seinen Sohn und dann ihn an. Dabei sah er, dass Tränen in ihren Augen schimmerten. War ihr nie der Gedanke gekommen, dass die Menschen, denen sie geholfen hatte, ihr etwas zurückgeben wollten? Oder verfuhr man dort, wo sie herkam, womöglich ganz anders? Jedenfalls bedankte man sich hier auf diese, manchmal auch auf andere Weise.

„Benötigt Ihr hier Hilfe?“, fragte er, um das Thema zu wechseln. Das weite Feld war mit Unkraut überwuchert, aber sicher befanden sich unter all dem Gestrüpp noch einige Pflanzen, die sie behalten und pflegen wollte. „Ich könnte ein paar meiner Männer herschicken, damit sie Euch bei den anstrengenderen Arbeiten unterstützen.“

Es schien so, als wollte sie ablehnen, aber dann drehte sie sich um, stemmte die Hände in die Hüften – ihre reizvollen Hüften – und betrachtete das Feld. „Aber dann müsstet Ihr Euren Männern verraten, wie sie nach hier oben kommen.“

„Ich könnte ihnen sagen, sie sollen den Wasserfall hochklettern. Allerdings glaube ich nicht, dass sehr viele von ihnen dazu bereit wären.“

Sie lachte über seine Worte so fröhlich, dass er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

„Ihr macht Scherze!“, rief sie ausgelassen.

„Natürlich mache ich Scherze“, versicherte Davidh ihr. „Bevor ich ihnen den Weg verrate, müssen sie mir so wie vorhin mein Sohn schwören, niemandem ein Wort davon zu sagen.“

„Ihr habt doch nicht tatsächlich Euren Sohn so etwas schwören lassen!“, sagte sie und zog den Jungen an sich. „Er ist noch viel zu jung für einen solchen Schwur.“ Sie strich ihm mit den Fingern durch die Haare und zauste sie, was sie oft machte, wenn er sie mit Colm zusammen sah. Es war eine liebevolle Geste, die zeigte, dass sie einander ins Herz geschlossen hatten.

„Ihr steht unter dem Schutz des Lairds, Anna. Es ist so, dass niemand Euch hier belästigen darf, da er sonst von Robert für sein Verhalten bestraft wird.“

„Gut, Kommandant. Ich wäre dankbar für Hilfe bei den Arbeiten, die ich nicht allein bewältigen kann.“ Sie deutete aufs Haus. „Möchtet Ihr noch etwas zur Erfrischung trinken, bevor Ihr Euch auf den Rückweg macht?“

Der Tonfall ihrer Frage war herzlich, dennoch kam es Davidh so vor, als wäre er soeben zum Gehen aufgefordert worden. Er sah sich beiläufig um und suchte nach Hinweisen darauf, ob sich außer ihr noch jemand hier oben aufhielt. Der Wind ließ die Blätter an den Bäumen leise rascheln, die Sonne schien durch das Laubdach und warf Muster aus Licht und Schatten auf den Waldboden. Nein, sie waren hier allein.

Colm nahm für sie beide die Einladung an und lief vor, um an der Tür auf Anna zu warten. Seine Neugier war eine willkommene Abwechslung nach der langen Zeit, die er im Bett verbracht hatte, dennoch achtete Davidh darauf, dass er sich nicht übernahm. Es war sicherlich ratsam, etwas zu trinken, aber danach würde er mit seinem Sohn ins Dorf zurückkehren.

Gerade als Davidh sich duckte, um die niedrige Tür zu durchschreiten, bemerkte er aus dem Augenwinkel einen Schatten, der sich rasch zur anderen Seite des Hauses bewegte. Er machte einen Schritt zurück, da er nicht wusste, ob es sich um Mensch oder Tier gehandelt hatte, doch da rief Anna ihm zu, er solle doch reinkommen.

„Ich glaubte, ich habe jemanden gesehen“, sagte er, als er im Cottage war und einen Becher mit kaltem Wasser entgegennahm. „Da drüben zwischen dem Wasserfall und dem Haus. Ich frage mich, ob es irgendeinem der Jungs doch gelungen sein könnte, den Wasserfall zu bezwingen.“

„Ich habe niemanden gesehen“, erwiderte sie. „Aber es könnte sein, dass sich irgendwelches Wild hierher verirrt hat und darauf wartet, sich an dem gütlich zu tun, was ich auf dem Feld anbaue.“

„Braucht Ihr jemanden, der die Tiere verscheucht, Mistress Mackenzie? Meine Freunde würden das für euch tun“, schlug Colm vor und wandte sich danach gleich an Davidh: „Sie würden auch schwören, niemandem ein Wort davon zu sagen.“

Anna gab seinem Sohn auch einen Becher Wasser und sagte: „Erst einmal musst du zu Kräften kommen. Wenn du …“

„… wenn ich alle ekligen Säfte trinke und mich ausruhe …“, führte Colm den Satz zu Ende, da er wusste, was sie sagen wollte.

„… dann werden dein Vater und ich entscheiden, wann du bereit bist, Wild zu vertreiben.“

„Ich glaube, wir müssen uns auf den Weg machen, Colm.“

„Aber Papa …“

„Wir sind ohne Vorankündigung hergekommen und haben Mistress Mackenzie bei ihrer Arbeit gestört. Damit sie weitermachen kann, sollten wir uns nun wieder verabschieden.“

Seltsamerweise fiel es Davidh noch viel schwerer als seinem Sohn, jetzt schon zu gehen. Etwas in ihm sehnte sich danach, ihr bei der Arbeit zu helfen und nach getanem Werk am Abend in dieses Cottage zurückzukehren. Er zwang sich dazu, diese Träumerei einzustellen und seiner Verantwortung nachzukommen, seinen Sohn nach Hause zu bringen.

„Wir hoffen, Euch bald wieder im Dorf zu sehen“, sagte er im Hinausgehen, bückte sich und wartete, bis Colm wieder auf seinen Rücken geklettert war.

„Ich hatte mich schon gefragt, wie Ihr das auf dem Weg nach oben bewerkstelligt habt“, meinte sie lachend. „Jetzt weiß ich es.“ Sie nickte den beiden zu. „Passt auf dem Weg nach unten gut auf. Durch den Regen ist der Weg nach dem Höhleneingang rutschig geworden.“

Nachdem er sich aufgerichtet hatte, legte er die Arme um Colms Füße, damit der Junge besseren Halt hatte. Dann fiel ihm ein, dass er noch eine Nachricht zu überbringen hatte. „Lady Elizabeth, die Frau des Lairds, würde sich freuen, wenn Ihr ihr nächstes Mal einen Besuch abstatten würdet. Sie ist sehr angetan davon, dass sich eine neue Heilerin in unserer Mitte befindet.“

„Wenn Ihr sie morgen seht, richtet Ihr bitte aus, dass ich kommen werde.“

An dem dichten Gebüsch angelangt, das den Zugang zum Pfad tarnte, drehte er sich noch einmal zu Anna um. Sie stand da und schaute in Richtung Wald, als würde sie nach etwas Ausschau halten … oder nach jemandem. Plötzlich wandte sie sich um und kam zu ihm geeilt.

„Davidh, wann werdet Ihr Eure Männer herschicken?“, fragte sie.

„In drei Tagen.“ Gleich morgen früh würde er mit Robert reden.

„Ich bin Euch sehr dankbar dafür.“

Davidh nickte und machte sich auf den Weg, während Colm ihr noch zuwinkte. Als er den Schatten der Bäume erreicht hatte, sah er noch einmal über die Schulter.

Anna stand da und blickte zum Wasserfall. Ihre Miene war von großer Sorge gezeichnet.

7. KAPITEL

Anna hielt gebannt den Atem an, als sie die große Halle der Feste betrat. Es wimmelte von Dienern, von denen einige sauber machten, während andere alles für das Mittagsmahl vorbereiteten. Mehrere Männer warteten nahe dem Podest auf eine Gelegenheit, mit dem Laird zu sprechen, der von einer wichtigen Unterredung zur nächsten überging.

In den letzten zwei Tagen hatte Anna sich ganz um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert, doch Iain war zunehmend rastlos und gelangweilt, weil er nicht ins Dorf gehen durfte. Lange konnte sie ihn nicht mehr vor aller Welt verstecken, aber das war vielleicht auch nicht mehr nötig, nachdem sie von den Leuten im Dorf so gut aufgenommen worden war. Dennoch war es etwas ganz anderes, ob sie die Menschen nur wissen ließ, dass es Iain gab, oder ob sie ihnen die Wahrheit über ihn anvertraute.

Zum Glück war er immer noch neugierig genug, was die unmittelbare Umgebung des Cottages anging, sodass die ihn hoffentlich noch einige Tage lang in ihren Bann schlug. Sein Geschick als Jäger ermöglichte es ihr, das von ihm erlegte Wild beim Bäcker und bei anderen Kaufleuten gegen andere Lebensmittel und gegen Haushaltsutensilien zu tauschen. Niemand fragte, woher das Fleisch kam, da sie alle wohl vermuteten, dass sie es für andere geleistete Dienste erhalten hatte.

Heute war sie nicht hergekommen, um den Laird zu sprechen, sondern weil dessen Frau sie sehen wollte. Elizabeth Cameron stand allen Frauen der Feste vor und kümmerte sich um alles, was dem Haushalt zuzurechnen war. Suisan zufolge hatte Lady Elizabeth noch einen Großteil anderer Aufgaben übernommen, nachdem ihr Mann vor nicht ganz einem Jahr zum Clanoberhaupt geworden war. Zu lange hatte Unruhe geherrscht, und zudem war Roberts Vorgänger zuletzt unverheiratet gewesen. Damit hatte es keine Frau an seiner Seite gegeben, die die Dinge in die Hand hätte nehmen können.

Keine Frau hätte überhaupt an Gilbert Camerons Seite sein wollen, denn Suisan wusste zu berichten, dass zwei seiner Ehefrauen unter merkwürdigen Umständen ums Leben gekommen waren, was zusammen mit anderen Verbrechen gegen die Camerons schließlich zu seinem Tod geführt hatten. Inzwischen wurden die Geschicke des Clans von seinem lange Zeit verbannten älteren Bruder geleitet.

Sie ging zu einer Tür im vorderen Bereich der Halle und erklärte einem der Diener den Anlass ihres Besuchs. Dann wartete sie in einem kleinen Alkoven, aber schon nach kurzer Zeit betrat eine ältere Frau durch einen Zugang hinter dem Podest die Halle. Als das Clanoberhaupt innehielt und ihr zulächelte, wusste Anna, dass sie es mit Lady Elizabeth zu tun hatte.

Für eine Frau, die alt genug war, um drei erwachsene Söhne zu haben, hatte Lady Elizabeth ein erstaunlich junges Erscheinungsbild. Zudem bewegte sie sich wie eine deutlich jüngere Frau. Noch erstaunlicher war jedoch, dass sie auf allen ihr zustehenden Prunk verzichtete und das schlichte Kleid einer Frau trug, die in einem Haushalt arbeitete. Trotz dieser Äußerlichkeiten machte Anna einen tiefen Knicks, als die Frau vor ihr stehen blieb, die nun mit dem Einverständnis ihres Ehemanns das Sagen über sie hatte.

„Mylady.“ Anna hob den Blick und richtete sich auf, als sie die auffordernde Geste der anderen Frau sah. „Der Kommandant sagte, Ihr wünscht mich zu sprechen.“

„Anna Mackenzie, richtig?“, fragte Lady Elizabeth, woraufhin Anna nickte. „Wir sind erfreut, dass Ihr Euch so hier niederlasst, wie es Eure Mutter zuvor schon getan hat. Wir benötigen dringend eine Heilerin. Sogar der alte Ranald ist froh darüber, dass jetzt jemand hier ist, der sich auskennt“, fügte sie lachend hinzu.

„Ich bin dankbar dafür, dass der Laird mir die Erlaubnis erteilt und dass Ihr mich willkommen heißt, Mylady. Kann ich etwas für Euch tun?“

„Ich habe bereits von Eurem Wirken in der Stadt gehört. Tavishs Vater dient meinem Mann, von ihm habe ich erfahren, dass Ihr seinen Jungen gerettet und behandelt habt. Meine Jungs haben sich in dem Alter auch immer wieder in solche Situationen gebracht.“ Elizabeth bedeutete Anna, ihr zu folgen. Sie verließen die Halle und betraten einen schmalen Gang. „Hier entlang.“

Es ging einige Stufen nach unten, dann blieben sie stehen. Elizabeth schaute erst in den einen, dann in den anderen Gang, erst danach führte sie Anna zu einer Tür am Ende des rechten Korridors.

„Ich habe das hier gefunden und wollte bei nächster Gelegenheit einen Bruder aus einer nahe gelegenen Abtei fragen, ob man dort etwas damit anfangen kann. Aber dann seid Ihr hier eingetroffen, und mein erster Gedanke war, dass das für Euch bestimmt sein muss.“

Lady Elizabeth hob den Riegel an und drückte die schwere Tür auf, dann betrat sie von Anna gefolgt die Kammer, in dem bereits eine Fackel brannte.

Anna sah sich um. Fässer und Flaschen, Gläser, Säcke und Körbe – alle möglichen Arten von Behältnissen füllten die Regalbretter vor ihr. Von der Decke hingen getrocknete Kräuter herab und erfüllten den Raum mit ihrem intensiven Aroma. Durch ein kleines Fenster fiel genug Licht, um Anna erkennen zu lassen, dass eine Vielzahl von Arzneien bereits zubereitet worden waren. Außerdem waren genügend Pflanzen vorhanden, um noch größere Mengen an Salben, Tinkturen und Säften anzurühren.

„Mylady!“

„Eine einzige, große Bescherung“, klagte Lady Elizabeth. „Ich besitze nicht das nötige Wissen, um zu sagen, was davon nützlich oder schädlich ist und bei welchen Leiden welches Wässerchen genommen wird. Aber Davidh sagte mir, Ihr könnt das.“

„Mylady, ich bin nicht so bewandert, wie es ein gebildeter Bruder sein könnte“, erklärte Anna. „Mir ist nur das vertraut, was ich über die Jahre hinweg von meiner Mutter gelernt habe. Vieles von dem hier …“, sie machte eine ausholende Geste, „… habe ich noch nie gesehen.“

Anna ging zu dem ausladenden Werktisch in der Mitte des kleinen Raums und sah sich an, was dort ausgebreitet lag. Viele der getrockneten und gebündelten Pflanzen waren ihr bekannt, mit den übrigen wusste sie nichts anzufangen.

„Ich glaube, es wäre sehr klug, einen Heiler aus der Abtei herkommen zu lassen“, sagte sie und schüttelte bedächtig den Kopf. „Ich besitze nicht genug Erfahrung, um diese Kostbarkeiten richtig anzuwenden.“ Lady Elizabeth kniff ein wenig die Augen zusammen und musterte Anna aufmerksam. „Woher stammt das alles? Wer hat eine solche Vielfalt an Pflanzen zusammengetragen?“

„Morag war nur für ein paar Monate hier, und von ihm abgesehen haben wir seit Jahren niemanden außer dem alten Ranald. Der frühere Laird sah keinen Sinn darin, einen Heiler ins Dorf zu holen. Daher muss das hier seit … nun, ich würde sagen, das hier wurde seit mindestens vier Jahren nicht mehr angerührt. Vielleicht sogar länger.“

Damit war das meiste davon längst nicht mehr zu gebrauchen, da es vollkommen vertrocknet und seine Wirkung verflogen war. Dennoch war sie nicht umsonst gekommen, denn einen Teil der Sammlung konnte sie sehr wohl noch verwenden.

„Da Euer Wissen unseren Leuten helfen wird, bitte ich Euch, all das an Euch zu nehmen, was Ihr noch gebrauchen könnt. Und wenn ihr noch andere Dinge benötigt, wendet Euch einfach an den Verwalter oder die Köchin.“

Als Anna sich zur Rückkehr hierher entschieden hatte, war sie davon ausgegangen, das in aller Stille und möglichst unbemerkt zu tun. Sie hatte angenommen, von den Menschen kaum wahrgenommen zu werden. Umso überraschender war nun, wie sie von allen willkommen geheißen wurde. Sie konnte nur hoffen, dass dies ein Zeichen dafür war, dass sie auch weiterhin so erfolgreich sein würde – dass man ihren Sohn genauso herzlich begrüßte und dass die Verwandten seines Vaters ihn bei sich aufnehmen würden.

„Ihr habt meine Erlaubnis herzukommen, wann immer Ihr Zeit dafür habt, um das auszuwählen, was Ihr gebrauchen könnt. Wie gesagt, ich besitze anders als Ihr nicht die nötigen Kenntnisse.“

Dass Lady Elizabeth sich zu ihrer Unwissenheit bekannte, machte sie Anna noch etwas sympathischer. Die Lady gab nicht vor, etwas zu wissen, obwohl sie keine Ahnung hatte.

„Vielen Dank, Mylady“, sagte sie.

Lady Cameron wandte sich zum Gehen, doch gleich darauf hielt sie inne und drehte sich noch einmal zu Anna um. Sorgenfalten zeigten sich in ihrem Gesicht. „Wird Davidhs Sohn wieder gesund werden?“, fragte sie leise. „Er hat so viele Widrigkeiten überstehen müssen.“ Einen Moment lang wusste Anna nicht, ob sie damit den Vater oder den Sohn meinte. „Der junge Malcolm liegt mir sehr am Herzen, da ich die Patentante seiner Mutter war.“

Wie zuvor zuckte Anna auch diesmal leicht zusammen, als Colms vollständiger Name fiel. Diese Reaktion konnte sie einfach nicht unterdrücken.

„Davidh war einer der Ersten, die sich auf Roberts Seite gestellt haben. Obwohl er noch jung ist, hat sein Vertrauen in meinen Ehemann dazu beigetragen, die Wogen zu glätten. Ich hoffe, Ihr könnt seinem Sohn helfen.“

„Ich gebe bereits mein Bestes, Mylady.“

Lady Cameron tätschelte Anna den Handrücken, dann verließ sie den kleinen Raum. Anna folgte ihr voller Ungeduld, da an diesem Tag noch genug Arbeit auf sie wartete. Zurück im schmalen Gang wies ihr die Lady den Weg zur Halle.

Es würde Stunden, nein, sogar Tage dauern, um alles zu sichten, was dort in dieser Kammer lagerte. Auch wenn sie mit Schrecken daran dachte, so viel von ihrer kostbaren Zeit dort verbringen zu müssen, juckte es ihr dennoch in den Fingern. Während sie den Burghof überquerte, begann sie bereits zu überlegen, wie sie sich die Tage am besten einteilte, um alles zu erledigen, was getan werden musste. Der Winter entließ das Land nur widerwillig aus seinen Klauen, dennoch musste sie schon bald den Garten für den Frühling bereit machen, damit im Sommer alles wachsen und gedeihen konnte.

Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie mit Davidh zusammenstieß, da sie ihn weder gehört noch gesehen hatte. Der Schreck darüber, gegen seine nackte Brust geprallt zu sein, war so heftig, dass sie drohte, das Gleichgewicht zu verlieren. Zu ihrem Glück bemerkte Davidh das noch schnell genug und bekam sie an den Schultern zu fassen.

„Verzeiht“, sagte sie und wich einen Schritt zurück.

„Ich habe Euren Namen gerufen, aber es scheint, als hättet Ihr mich nicht gehört“, meinte er.

Noch nie hatte sie einen Mann mit einer so muskulösen Brust gesehen. Zugegeben, sie zog nicht umher, um halbnackte Männer anzustarren, aber sie hatte zahlreiche Männerkörper zu sehen bekommen, wenn sie ihrer Mutter bei der Versorgung von Wunden geholfen hatte.

Daher konnte sie mit Gewissheit sagen, dass sie eine solche Brust und solche Arme noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

„Ich vermute, ich war von der Großzügigkeit der Lady so überwältigt, dass ich nichts mehr um mich herum wahrgenommen habe“, sagte sie.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass er seine langen dunklen Haare zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Dann auf einmal bemerkte sie die anderen Männer, die um sie herum verteilt auf dem Hof standen. Sie alle waren starke, muskelbepackte Krieger, und jeder von ihnen hielt ein Schwert oder eine andere Waffe in der Hand. Und alle standen sie da und sahen zu, wie Anna mit ihrem Befehlshaber redete.

„Ich habe Eure Kampfübungen gestört“, murmelte sie und deutete einen Knicks an. „Verzeiht mir.“ Sie hörte dabei, wie die Männer tuschelten.

„Ihr habt m…meine Kampfübungen nicht gestört“, sagte er hastig.

Unwillkürlich fragte sie sich, ob er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen.

„Ich wollte Euch diese Männer vorstellen, Mistress Mackenzie“, fuhr er fort und deutete auf drei seiner Leute. „Sie werden Euch morgen früh bei Eurem Feld und Euren Pflanzen helfen.“

„Mistress“, sagte jeder von ihnen und nickte ihr zu. Sie betrachtete die Gesichter, um sie sich einzuprägen, damit sie diese Männer auch wiedererkannte.

„Ich danke Euch für Eure Hilfe“, ließ sie die drei wissen, dann wandte sie sich an Davidh: „Und Euch danke ich für dieses Angebot.“

„Robert war meiner Meinung, dass es eine gute Sache sei, Euch zu helfen“, entgegnete er, dann beugte er sich ein wenig vor und fügte leiser hinzu: „Ihm und Elizabeth gefällt es, dass wir wieder eine Heilerin in unserer Mitte haben. Und mir gefällt es auch.“

„Ich werde bereit sein“, antwortete sie. Auf keinen Fall würde sie trödeln und damit den Männern im Weg stehen. Mit drei so starken Männern würde die Erledigung der Arbeit weniger als einen Tag in Anspruch nehmen. Und da sie Seite an Seite mit ihnen arbeiten wollte, würden sie noch schneller vorankommen. „Dann sehen wir uns morgen.“

Unruhe erfüllte sie, als sie ins Dorf ging, um nach denen zu sehen, die ihre Hilfe benötigten. Auch Colm stattete sie einen Besuch ab. Obwohl Davidhs Sohn davon sprach, dass er sich kräftiger fühlte, war Anna in Sorge, weil seine Atmung sie stutzig machte. Suisan achtete sehr darauf, dass der Junge seine Arzneien exakt in der vorgeschriebenen Menge einnahm, und dennoch war da irgendetwas … etwas, das sie einfach nicht näher bestimmen konnte.

Ohne dem Jungen Angst einjagen zu wollen, riet sie ihm, am Tag nur einen Ausflug ins Dorf zu unternehmen, und das auch nur, wenn er den ganzen Morgen über nicht hatte husten müssen. Obwohl Suisan ihr daraufhin einen fragenden Blick zuwarf, war Anna nicht in der Lage, ihre Bedenken in Worte zu fassen.

Der nächste Tag entpuppte sich als der anstrengendste Tag seit Langem, zugleich war er aber auch äußerst befriedigend. Nicht nur die drei von Davidh ausgewählten Krieger kamen am Morgen zu ihr, Davidh selbst begleitete sie. Und zudem hatte Lady Elizabeth für sie alle einen üppigen Proviantkorb mitgegeben. Zwar hatte Anna einen sehr großen Topf mit Suppe aufgesetzt und zudem Brot vom Bäcker mitgebracht, doch ihr wurde schnell klar, dass das nicht für vier schwer arbeitende Männer reichen würde.

Mehrmals an diesem Tag stand sie eine Weile im Schatten und sah den Männern bei der Arbeit zu. Die gruben, sägten und harkten unermüdlich, allesamt starke Krieger, die körperlich anstrengende Betätigungen gewöhnt waren. Vor allem aber wanderte ihr Blick zu einem Mann: Davidh. Seine Leute taten nichts, wozu er nicht auch bereit gewesen wäre. Ihr entging nicht, dass sie ihm zwar den Respekt entgegenbrachten, den er verdiente, zugleich verband die Männer aber auch eine enge Kameradschaft.

Ein paarmal beobachtete sie, dass Iain näher kam, als er eigentlich sollte. Doch er hielt sich von den Besuchern fern, da er verstanden hatte, was sie ihm gesagt hatte. Bald würde es so weit sein.

Nachdem die Arbeit getan war und die Männer sich auf den Heimweg gemacht hatten, entschied sie, dass der Zeitpunkt gekommen war, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Es wurde Zeit, das Geburtsrecht ihres Sohns einzufordern, damit ihm ein Platz in den Reihen der Camerons gewährt wurde. So viel Zeit war seit ihrer Ankunft hier vergangen, dass sie sich einen Weg überlegen musste, wie sie seine Existenz am besten enthüllte.

Nur ein paar Tage später wurde ihr diese Entscheidung jedoch abgenommen …

Spät in der Nacht setzte Regen ein, und den ganzen nächsten Tag über goss es in Strömen. Das Flussbett oberhalb des Wasserfalls konnte nicht länger die Massen fassen, die vom Himmel niederprasselten. Anna hatte Iain ausdrücklich gewarnt, nicht zu nahe ans Ufer zu gehen, bis der Fluss wieder auf sein übliches Maß geschrumpft war.

Ab Mittag arbeitete sie im Haus, da sie getrocknete Blätter zu Pulver verreiben musste, als Iain auf einmal hereingestürmt kam.

„Du musst schnell mitkommen!“, rief er aufgeregt. „Mam, da ist ein Junge!“ Er war schon wieder auf dem Weg nach draußen, ehe sie fragen konnte, was er damit meinte.

Sie folgte ihm aus dem Cottage in Richtung Wasserfall, dessen Tosen durch den Regen noch lauter als üblich war. Sie konnte nicht verstehen, was Iain ihr zurief, aber an der Felskante blieb er stehen und zeigte nach unten.

Oh Gott, da unten auf einem Felsvorsprung hielt sich tatsächlich ein Junge auf!

Anna näherte sich Stück für Stück der Felskante, die ganze Zeit darum bemüht, bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das war nicht so einfach, da die Felsen vom Wasser nass und rutschig waren und es zudem immer noch unentwegt regnete. Vorsichtig beugte sie sich vor und sah, dass ihr schlimmster Albtraum Wirklichkeit geworden war.

Da unten war ein Junge, aber nicht irgendeiner, sondern Davidhs Sohn. Der klammerte sich an einem Felsvorsprung und zitterte vor Anstrengung, da er versuchte, einen Fuß in eine Felsspalte zu schieben, um dort Halt zu finden. Weiter unten standen mehrere Kinder aus dem Dorf am Rand des Sees und sahen voller Entsetzen mit an, wie ihr Freund sich an den Felsen festhielt, um nicht in den Tod zu stürzen.

„Lauft! Lauft!“, schrie sie, so laut sie konnte, doch die Kinder hörten sie nicht. Also winkte sie und deutete in die Richtung, in der sich das Dorf befand. Dabei konnte sie nur beten, dass sie die Botschaft verstanden und ins Dorf rannten, um Hilfe zu holen. Als sie tatsächlich losliefen, blieb ihr nichts als die Hoffnung, dass noch jemand rechtzeitig herkam.

Doch Colm würde so lange nicht durchhalten. Er war nach wie vor geschwächt und damit nicht in der Lage, sich über längere Zeit an den Felsen festzuklammern. Sie rief Iain zu, ein Seil zu holen, während sie den Pfad hinuntereilte, so gut es unter diesen Umständen machbar war. Als sie auf gleicher Höhe war wie der Junge, blieb sie stehen. Colm war kreidebleich, er zitterte unkontrolliert am ganzen Leib. Zwar bewegte er die Lippen, doch was er ihr sagte, konnte sie durch den Lärm nicht hören.

Iain kam mit dem Seil zu ihr, das sie sich um die Taille schlang, während er das andere Ende an einem stabilen Baum festband. Sie zog Iain an sich und umarmte ihn. „Ich liebe dich, Iain. Jetzt geh einen Schritt zurück und bleib da hinten. Bleib der Felskante fern, aber halte dich bereit, mich zurückzuziehen, sobald ich ihn zu fassen bekommen habe.“

Anna raffte ihre Röcke und schob den Stoff unter das Seil, dann nahm sie ihren Gürtel und knotete ihn so zusammen, dass eine Schlaufe entstand. Anschließend näherte sie sich vorsichtig der Felskante, die den Pfad begrenzte. Was war nur in den Jungen gefahren, dass er dort hinaufgeklettert war? Aber letztlich war die Frage bedeutungslos, da sie jetzt auch nichts mehr daran ändern konnte. Sie war seine einzige Hoffnung, dieses Abenteuer zu überleben.

Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, damit sie die Kraft hatte, die sie für das hier brauchte, dann setzte sie einen Fuß auf den Fels und hielt sich am Seil fest. Sie wagte nicht, Colm anzusehen, während sie sich ihm näherte. Viel wichtiger war, dass sie sah, wo sie hintrat.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch dann war er auf einmal zum Greifen nah. Sie streckte die Hand nach ihm aus und ließ ihn nach der Schlaufe fassen, die sie aus ihrem Gürtel gebunden hatte. „Die musst du dir umlegen!“, schrie sie. „Über den Kopf und bis unter die Schultern!“

Mehrere Versuche waren nötig, bis ihm gelang, was sie ihm sagte. Als er fertig war, zog sie ihn zu sich heran. Sie sah kurz zu Iain, der daraufhin begann, sie zurück zum Pfad zu ziehen. Sie wiederum zog Colm hinter sich her. Der Gürtel, den er sich umgelegt hatte, erlangte in dem Moment Bedeutung, als der Junge den Halt verlor und abrutschte. Mit all ihrer Kraft und der von Iain dazu hielt sie den Gürtel fest und schaffte es, auf den kleinen Hügel neben dem Wasserfall zu klettern. Dort angekommen, ließ sie sich erschöpft zu Boden sinken und drückte Colm an sich, während sie nach Luft schnappte.

„Mam?“ Iain kniete neben ihr.

Sie rollte sich zur Seite und nickte ihrem Sohn zu. Ihm war zu verdanken, dass Colm noch lebte. Als sie den Jungen ansah, dessen Gesicht jetzt gräulich wirkte, konnte sie ihm anmerken, dass er Mühe hatte durchzuatmen.

„Wir müssen ihn ins Cottage bringen“, sagte sie.

Iain half ihr hoch, dann eilten sie den Pfad nach oben. Zurück im Cottage legte sie den Jungen auf die Pritsche, während ihr Sohn Decken zusammensuchte. Sie zog unterdessen Colm aus und warf die durchnässte Kleidung zur Seite. Innerhalb kürzester Zeit war der Tee mit einer Kräutermischung aufgesetzt, die seine Atmung anregen und gegen das Fieber wirken würde, das nicht ausbleiben würde.

Damit begann für Anna das, was sich als ein langwieriger Kampf gestalten würde, um Colms Leben zu retten.

8. KAPITEL

Er hielt sich weder bei Suisan noch in seinem eigenen Cottage auf. Er saß nicht auf dem Platz am Brunnen und auch sonst nirgendwo, wo die Jungs aus dem Dorf sich üblicherweise trafen. Davidh stellte dabei auch fest, dass von Colms Freunden ebenfalls keiner zu sehen war.

Der Junge besaß nicht das Durchhaltevermögen für weite Strecken, also musste sich die ganze Bande irgendwo versteckt haben. Nachdem er weiter nach ihnen gesucht und jeden, der ihm begegnet war, gefragt hatte, ob er Colm oder dessen Freunden begegnet war, kam es ihm so vor, als wären sie alle vom Erdboden verschluckt worden. Nur in der Feste hatte er sich noch nicht umgesehen, jedoch war er sich sicher, dass die Wachen sie nicht ohne guten Grund hätten passieren lassen – und das hätten sie ihm mitgeteilt, als er von dort weggegangen war.

Colm war verschwunden.

Er stand vor seinem Haus, hielt sein Pferd am Zügel und strich sich ratlos durchs Haar. Wäre Colm nicht bis vor Kurzem noch so krank gewesen, hätte sich Davidh nichts dabei gedacht, schließlich waren Jungs in dem Alter ständig unterwegs, um die Welt zu erkunden. Noch während er überlegte, ob er ein Versteck übersehen hatte, hörte er die Jungs und sah in die Richtung, aus der die Rufe kamen. Es waren der Tonfall und die entsetzten Mienen der Kinder, die ihm das Herz einen Schlag lang aussetzen ließen.

Einer der Jungs war den anderen ein Stück voraus, und Davidh kniete sich hin, um sich anzuhören, was los war.

„Er ist am Felsen! Colm klettert den Felsen rauf!“, rief er außer Atem.

„Wo? An welchem Felsen?“, fragte Davidh, obwohl er die Antwort bereits ahnte.

„Am Hexensee!“, rief ein anderer.

„Am Wasserfall!“, warf Tavish ein. „Er hat versucht, am Wasserfall hochzuklettern, und dann kam er nicht mehr vor und zurück!“

Er hörte nur diese Worte. Erklärungen konnten warten, bis er seinen Sohn unversehrt wiederhatte. Davidh saß auf und ritt davon, als wäre der Teufel hinter ihm her. Wieder kannte er nur einen Gedanken.

Lieber Gott, nicht der Junge. Ich flehe dich an, nicht der Junge.

Wie lange er bis zum Wasserfall benötigte, registrierte er vor heller Aufregung gar nicht. Auf dem letzten Stück hatte er das Gefühl, dass sich ihm der Magen umdrehte. Hinter der nächsten Biegung kam der Wasserfall in Sichtweite, er hörte das Tosen des Wassers und sah den See, dann folgte sein Blick dem Wasserfall nach oben. Nichts.

Keine Spur von Colm.

Er sprang von seinem Pferd und rannte zum wie üblich aufgewühlten See, dann sah er wieder nach oben, aber auch jetzt konnte er seinen Sohn nicht an der Felswand entdecken. Ebenso hielt er sich nicht auf den Hügeln rechts und links davon auf.

Gott sei Dank!

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
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