Zwischen Leidenschaft und Gefahr

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SCHOTTLAND, 1235: Der Morgen graut, als Lady Marianne mit Adair Mac Taran seine Burg erreicht. Eine Nacht voller Gefahren liegt hinter ihnen, in denen der mutige Schotte Marianne geholfen hat, den Fängen ihres selbstsüchtigen Bruders zu entkommen. Unter den Sternen Schottlands hat Adair ihr auch gezeigt, wie heiß das Feuer der Sinnlichkeit brennen kann. Doch was wird nun aus ihr? Zwischen den Rivalitäten schottischer Clans, der Verfolgung durch ihren Bruder und ihrer eigenen verlorenen Ehre gefangen, sieht Marianne nur eine Möglichkeit: Mit den Waffen einer Frau muss sie Adair dazu bringen, sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu machen


  • Erscheinungstag 13.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766689
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Schottland, im Jahre 1235

Marianne war in die Hölle verbannt.

Zumindest konnte man diesen Eindruck gewinnen, als sie am Bogenfenster in der Burg ihres Bruders stand und hinaus in die regennasse Landschaft blickte.

Natürlich goss es schon wieder. Ein wahrer Wolkenbruch prasselte nieder und umhüllte die scharfzackigen Hügelkämme rings um Beauxville wie mit einem Schleier. Der Regen verwandelte den Burghof in einen Morast aus Matsch und Pfützen und durchweichte die Gerüste, die sich rund um die erst zur Hälfte fertig gestellten Burgmauern zogen. Seit Mariannes Ankunft in dieser Wildnis am Rande der zivilisierten Welt hatte es unaufhörlich geschüttet.

In der Normandie scheint jetzt bestimmt die Sonne, und die Blätter an den Bäumen sind grün, grübelte sie. Inmitten einer Schar von gleichaltrigen jungen Damen würde sie tuschelnd unter den Schatten spendenden Ästen sitzen, bemüht, ihr Gekicher zu unterdrücken, während die Bauernknechte nach getaner Feldarbeit an der Klostermauer entlang heimwärts zögen. Lauthals grölten die jungen Kerle gewöhnlich ihre anzüglichen Lieder, wohl wissend, dass ihnen jenseits der weißen Mauern der Klosterschule ein Grüppchen junger Mädchen lauschte. Hektisch flatterten dann die Nonnen umher wie eine aufgeschreckte Vogelschar, bestrebt, unter vielstimmigem Gezeter ihre Schützlinge ins Gebäude zu scheuchen.

Ja, daheim in der Normandie, da wäre ihr schön warm. Hier hingegen fror sie die ganze Zeit, obwohl sie ein Leinenhemd, ein Gewand aus indigoblauer Wolle sowie ein hellrotes Bliaut mit goldener Borte trug und sich zudem noch einen hellgrünen Wollschal um die Schultern geschlungen hatte.

Glücklich wäre sie dort in der Normandie – nicht einsam und durchgefroren wie hier, nicht in dieser ganz und gar jämmerlichen Verfassung.

Sie hätte sich eben genauer erkundigen müssen, als ihr Bruder im Kloster aufgetaucht war und ihr eröffnet hatte, er werde sie auf sein Anwesen heimholen. Sie aber war nur allzu froh gewesen, der Gefangenschaft des frommen Konvents entrinnen zu können, zu stolz auf ihren blaublütigen Bruder, zu fasziniert von seinem Gebaren und seinen Waffen, um ihm lang und breit Fragen zu stellen. Sogar die Mutter Oberin hatte vor Nicholas regelrecht kleinlaut gewirkt. Dabei hatte Marianne immer angenommen, dass sich die ehrwürdige Mutter nicht einmal vom Papst höchstpersönlich einschüchtern ließ.

Sei’s drum: Hätte die Mutter Oberin geahnt, dass Nicholas seine Schwester hierher zu bringen gedachte, zu diesem halb fertigen Haufen Steine und Mörtel, wo Marianne unter lauter Wilden mit Zottelmähnen und nackten Beinen hausen musste, dann hätte sie gewiss Einspruch erhoben und erklärt, dass Schottland für eine junge normannische Dame von edlem Geblüt und vornehmer Erziehung der absolut ungeeignetste Ort auf Erden sei. Vermutlich hätte sie Nicholas vorgeschlagen, seiner Schwester zu erlauben, weiter im Kloster zu verweilen, welches ihr in den vergangenen zwölf Jahren zur Heimat geworden war, und zwar so lange, bis sich ein passender Gemahl für sie gefunden hätte.

Plötzlich öffnete sich die Tür zu ihrer Kammer mit einem lauten Krach. Erschrocken zuckte sie zusammen und fuhr herum. Mit energischen Schritten betrat ihr Bruder, der frisch eingesetzte Lord Beauxville, den Raum. Wie immer war Nicholas in schlichte schwarze Wolle gekleidet, ohne jeglichen Zierrat an Manschetten oder Kragen. Der einzige Schmuck war eine Bronzeschnalle an seinem Schwertgurt. Seine abgewetzten Stiefel waren schlammverkrustet und seine Haare feucht. Die verschlossene Miene ließ nicht erkennen, warum er seine Schwester in ihrem Gemach aufsuchte, was er selten tat.

„Aha, hier steckst du also!“ bemerkte er, als hätte er allen Ernstes angenommen, sie könne sich auch anderswo aufhalten. Forschend musterte er die kleine Kammer mit ihrem einfachen, grob gezimmerten Mobiliar und Mariannes bemalter Truhe. Sein Blick verweilte kurz auf dem Stickrahmen, der vernachlässigt in der Ecke stand.

„Was machst du gerade?“

„Ich dachte ans Kloster.“

Er schnaufte abfällig, was er immer tat, wenn sie ihr dortiges Dasein erwähnte oder über ihre Gefährtinnen und die Nonnen sprach. Warum auch hätte sie nicht an die Vergangenheit und das Leben in der Normandie denken sollen? Glaubte er etwa, sie könne es vergessen? Oder sie wolle es gar?

So ganz mochte sie ihren Unmut nicht für sich behalten. „Müsstest du nicht die Maurer beaufsichtigen? Oder dich um diesen ältlichen Schotten kümmern, der heute Morgen eintraf?“

„Die Maurer warten auf trockeneres Wetter, und Hamish Mac Glogan hat sich verabschiedet.“

„Falls die Maurer nur arbeiten können, wenn’s trocken ist, wird dein Schloss wahrscheinlich nie fertig“, entgegnete sie missmutig, während sie wieder aus dem Fenster schaute. Zu ihrer Überraschung regnete es in genau diesem Moment nicht, obwohl sich immer noch schwere graue Wolken hielten – ähnlich einem üblen Geruch. „Die Verzögerungen müssen dich doch ein hübsches Sümmchen kosten.“

„Ich wusste gar nicht, dass du etwas vom Burgenbau verstehst.“

„Zuweilen kamen Maurer ins Konvent“, konterte Marianne. „Und einmal hörte ich, wie die Mutter Oberin über die Kosten klagte. Da du ja mehr in Stand setzen musst als lediglich ein paar locker gewordene Steine, kann ich nur vermuten …“

„Spar dir deine Vermutungen. Ich kann mir die Handwerker leisten – jetzt, wo ich die frommen Schwestern nicht mehr für deine Unterbringung und Verpflegung entlohnen muss!“ fiel Nicholas ihr ins Wort.

Sein Ton klang nun nicht mehr abschätzig, sondern auffallend bissig, als wäre es für ihn eine unzumutbare Härte gewesen, Mariannes Klostererziehung finanzieren zu müssen. Ihre Familie indes war immer vermögend genug gewesen, und die Klosterfrauen hatten auch niemals durchblicken lassen, dass Marianne etwa aus lauter Barmherzigkeit aufgenommen worden war, so wie einige der weniger vom Glück verwöhnten Mädchen. „War meine Unterbringung dort denn so kostspielig?“

„Jedenfalls teuer genug!“ unterstrich er. „Doch ich bin nicht hier, um über Geld zu reden.“

Seine feindselige Haltung musste also einen anderen, rätselhafteren Grund haben. Marianne nahm auf ihrem Schemel Platz und überlegte, warum ihr Bruder sie also in ihrem Gemach aufsuchte. „Hast du Nachrichten von unserem Bruder Henry?“

Mit über der Brust verschränkten Armen und gerunzelter Stirn schaute Nicholas sie an. „Ein Soldat hat keine Zeit, seinen Angehörigen Botschaften zukommen zu lassen.“

Das klang ganz so, als stünde es um das Verhältnis der Brüder immer noch nicht zum Besten. Als Kinder hatten sie sich unentwegt gezankt. Marianne konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie sich als kleines Mädchen stets vor den Jungen versteckte, wenn diese wieder einmal stritten und rauften.

„Worüber möchtest du denn dann mit mir sprechen?“ hakte sie nach. Offenbar scheute er sich, zur Sache zu kommen, was sie verblüffte. Normalerweise war Nicholas nämlich äußerst direkt. Dass er nun so um den heißen Brei herumredete, machte sie allmählich nervös.

Dann fiel ihr ein Grund ein, weshalb ein Bruder durchaus eine Schwester aufsuchen mochte. „Geht es vielleicht um eine Frau?“ erkundigte sie sich hoffnungsvoll. „Gibt’s gar eine Dame, die du heiraten möchtest? Wünschst du meinen Rat?“

Nicholas schaute sie an, als habe sie den Verstand verloren. „Mach dich nicht lächerlich! Im Augenblick habe ich wahrlich Wichtigeres zu tun, als einem Weib den Hof zu machen. Und selbst wenn’s so wäre, würde ich mich nicht um Rat an dich wenden!“

Marianne hatte Mühe, diese brüske Abfuhr nicht als Kränkung aufzufassen. „Ich wollte dir lediglich behilflich sein“, erwiderte sie. „Ich habe zwölf Jahre ausschließlich unter Mädchen und Frauen gelebt. Wahrscheinlich gibt es nicht viel, was ich nicht über das weibliche Geschlecht weiß. Wenn du also doch etwas von mir erfahren möchtest …“

„Ich komme nicht wegen meiner Heirat, sondern wegen deiner!“

Bei diesen Worten machte sich ein dumpfes Gefühl in ihrer Magengrube breit. Genau dies hatte sie seit dem Tage geahnt, an dem er sie aus dem Kloster abgeholt hatte. Immerhin war eine Eheschließung das Los der meisten Jungfern von edlem Stande, und außerdem wünschte sie sich sehnlichst Kinder. Wie sehr hatte sie es geliebt, wenn sie den kleinen Mädchen im Konvent hatte helfen können. Warum also hatte Nicholas so lange gebraucht, ihr den wahren Grund für sein Kommen mitzuteilen? Vermutete er vielleicht, dass sie keinesfalls begeistert über seinen Plan war?

Obwohl ihr immer unbehaglicher zu Mute wurde, bemühte sie sich um Gefasstheit. „So? Und mit wem?“

Er schlenderte auf die Feuerstelle zu und stierte grübelnd in die glimmenden Kohlen. „Mit einer sehr guten Partie, Marianne“, betonte er nach einem Moment, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam. „Dein Zukünftiger besitzt Reichtümer und Macht.“

Anstatt über diese Antwort erleichtert zu sein, wurde sie nur noch beklommener.

„Wer ist es denn?“

„Hamish Mac Glogan.“

Bestürzt und entsetzt starrte sie ihren Bruder an. „Ist das nicht der Alte, der heute Morgen hier auftauchte?“

„Dieser Alte ist wohlhabend und einflussreich und zudem verwandt mit dem König von Schottland.“

Sein gereizter Tonfall ließ sie sofort an die Wutanfälle denken, die er als Kind häufig gehabt hatte. Nicholas war zehn Jahre älter als seine Schwester, und obwohl er sie niemals schlug, war sie immer zu Tode erschrocken gewesen. Deshalb wollte sie jetzt alles vermeiden, damit er nicht wieder in diese unberechenbare Raserei fiel.

Krampfhaft verschränkte Marianne ihre Hände. „Nicholas, ich will gerne anerkennen, dass du mein älterer Bruder bist und die Stelle unseres Vaters vertrittst. Mir ist bewusst, dass du es als deine Pflicht ansiehst, einen passenden Gatten für mich zu finden. Dennoch glaubte ich, einmal einen Normannen zu heiraten. Auch die frommen Schwestern gingen davon aus und stimmten meine Erziehung und Bildung daraufhin ab“, erklärte sie leise.

„Wie ich dir schon sagte: Hamish Mac Glogan ist reich, von edlem Geblüt und verwandt mit einem König. Das allein zählt.“

Sie erhob sich und trat auf ihren Bruder zu. „Aber er ist so alt und zudem Schotte! Ich weiß doch nichts über diese Leute, außer dass ihr Land unwirtlich, kalt und nass ist und sie diese merkwürdige Bekleidung tragen! Gewiss kommt doch auch ein anderer infrage, ein normannischer Edelmann, welcher …“

„Du missverstehst mich, Marianne“, unterbrach Nicholas sie mit einer Eiseskälte, die ihr durch Mark und Bein ging. „Die Vereinbarung ist bereits getroffen, der Vertrag unterzeichnet. Hamish Mac Glogan wird mir ein mächtiger Verbündeter sein, und Verbündete kann ich hier gut gebrauchen.“

Bei diesen Worten verspürte Marianne plötzlich einen quälenden Schmerz. So sprach kein liebevoller Bruder, sondern ein Mann, der seine eigenen Interessen um jeden Preis durchsetzen würde.

„Die Vermählung wird in sieben Tagen stattfinden!“ kündigte er an – barsch, kalt, grausam.

Sieben Nächte noch, bevor sie mit dem alten Schotten vermählt und gezwungen sein würde, für immer in dieser Wildnis auszuharren!

„Nicholas, gern heirate ich jeden Mann, den du für mich bestimmst, solange er nur Normanne ist. Das ist doch gewiss nicht zu viel verlangt!“

„Doch, das ist es wohl! Wie ich bereits erwähnte, Marianne, ist die Heirat beschlossene Sache! Da ich dein ältester männlicher Verwandter bin, hast du dich meinen Anordnungen zu fügen!“

Von einer Sekunde zur nächst en wuchs in Marianne eine unbeugsame Entschlossenheit. Ihr eigenes Leben und ihre Zukunft standen schließlich auf dem Spiel! Wenn niemand sonst ihre Interessen wahrnahm, dann musste sie dies eben selbst tun.

„Ich besitze Rechte, Nicholas! Das habe ich im Kloster gelernt! Pater Damien zufolge muss eine Frau ihre Zustimmung zur Verlobung geben. Niemand darf sie zu einer Ehe zwingen. Das verstößt gegen das Kirchenrecht.“

Doch Nicholas zeigte sich völlig ungerührt. „Die Oberin beklagte sich bei mir über deinen Starrsinn und Egoismus. Wie ich sehe, hat sie nicht übertrieben. Kein Wunder, dass sie heilfroh war, dich loszuwerden.“

Erneut ließ sie sich diese Kränkung nicht anmerken. „Dann wende ich mich eben an die Kirche und bitte um Asyl.“

„Welche Kirche denn? Und wie willst du zu einer gelangen?“

„Ich schreibe nach Rom, zum Papst persönlich. Sei versichert, ich werde alles Notwendige unternehmen, damit ich …“

Als Nicholas sie plötzlich bei den Schultern packte, erkannte sie in diesem Augenblick jenen Mann, den die Gegner im Kampf fürchteten – den grimmigen, zu allem entschlossenen Krieger, der am Leben geblieben war, während so viele andere ihres verloren hatten.

„Hast du eigentlich vergessen, wer für deine Unterbringung im Konvent aufgekommen ist?“ forderte er aufgebracht. „Glaubst du etwa, deine Klostererziehung hätte nichts gekostet? Mag sein, dass wir von edlem Geblüte sind, doch unsere Familie ist seit Jahren arm! Und das schon vor dem Tod unserer Eltern!“

„Du lügst! Du willst mich mit Lügen dazu bringen, dir zu gehorchen. Wären wir mittellos gewesen, so wüsste ich das doch!“ rief sie, während sie sich seinem Griff entwand.

„Es ist die Wahrheit! Du hast sie bloß nie erfahren. Unsere Eltern schickten dich von zu Hause fort, damit du nichts entbehren musstest. Sie opferten viel für deine Unterbringung im Kloster – genauso wie ich, denn vor ihrem Tode nötigten sie mir das Versprechen ab, dass ich dies Opfer ebenfalls bringen würde. Ich hielt Wort, und während du auf sauberem Bettzeug schlafen durftest und verpflegt wurdest wie eine Prinzessin, riskierte ich meinen Hals und tötete andere Männer, ehe sie mich umbringen konnten. Ich trug eine gebrauchte Rüstung und übernachtete in Ställ en, statt mir in einem Gasthof ein Zimmer zu nehmen. Und Hunger litt ich so oft, dass ich’s gar nicht mehr zählen kann. Durch die Vereinbarung wird es dir künftig an nichts mangeln. So halte ich weiter mein Versprechen, wofür du mir dankbar sein solltest!“

Bestürzt starrte Marianne ihn an. Nicholas’ zornige Worte ließen keinen Zweifel zu, wie ernst er es meinte. „Warum hast du mir nie etwas gesagt?“

„Nun sage ich’s dir ja! Ob Schotte oder nicht – Hamish Mac Glogan ist reich. Du wirst im Überfluss leben, während ich in diesem alten Gemäuer mein Dasein friste!“

Sie trat auf ihn zu und legte ihm besänftigend die Hand auf den kraftstrotzenden Oberarm. „Nicholas, ich bedaure aufrichtig, dass du um meinetwillen Unbill auf dich genommen hast. Ich wünschte, ich wäre informiert gewesen und hätte dir irgendwie helfen können. Aber ich bitte dich inständig: Zwinge mich nicht dazu, dir durch diese Vermählung Wiedergutmachung zu leisten. Lass mich nicht ein Leben lang leiden, nur damit dein Ehrgeiz befriedigt ist! In diesem Lande kann ich nicht bleiben!“

„Ach so, ich kann nicht!“ höhnte er und riss sich los. Mit energischen Schritten lief er durch die Kammer, fuhr dann herum und baute sich vor seiner Schwester auf.

„Vielleicht hätte ich das sagen sollen, wenn einmal wieder der jährliche Obolus ans Konvent fällig war! Statt mich immer behelfen zu müssen – ohne ordentliche Verpflegung, ohne eine angemessene Ausrüstung und ohne richtiges Bett! ‚Ich kann’s nicht bezahlen, ehrwürdige Mutter Oberin! Setzt meine Schwester getrost vor die Tür. Soll sie doch sehen, wie sie allein zurechtkommt!‘ Das hätte ich ihr vorjammern sollen!“ Beschwörend und voller Verzweiflung krampfte Marianne die Hände zusammen.

„Bitte, Nicholas! Ich flehe dich an! Ich heirate jeden normannischen Edelmann, den du mir vorschlägst. Es wird doch bestimmt einen geben, der mich nehmen wird – einen, der ebenso reich und mächtig ist wie dieser schottische Tattergreis!“ Nicholas’ Miene wandelte sich zu einem sarkastischen Feixen. „Allzu vielen normannischen Edelleuten bist du wohl noch nicht begegnet, wie, Schwesterherz? Denn sonst wüsstest du, dass sie zwar versuchen würden, dich ins Bett zu bekommen, aber ehelichen würden sie dich nie. Es mangelt dir nämlich an einer angemessenen Mitgift, meine teure, schöne Schwester!“ Marianne konnte es nicht begreifen. „Auch wenn wir nicht reich sind – irgendetwas muss sich doch vorweisen lassen! Du besitzt immerhin dieses Anwesen und diese Burg!“

„Das bedeutet noch lange nicht, dass ich geneigt wäre, künftig auch nur einen armseligen Penny für dich zu verschleudern!“ Nicholas verschränkte die Arme. „Das bisschen Geld, das mir noch bleibt, fließt in den Wiederaufbau und den Erhalt dieser Burg sowie in meine Truppe und mein Gesinde, so wie es sich für einen Mann meines Standes gehört. Für dich habe ich schon mehr vergeudet, als mir lieb ist – und als ich mir leisten konnte.“

„Aber …“

„Nichts aber!“ herrschte er sie an. Offenbar riss ihm mittlerweile der Geduldsfaden. „Ich habe einen begüterten Landadeligen für dich aufgetan, der dich auch ohne Mitgift nehmen wird, und bei Gott, Weib, du wirst ihn heiraten und mögen! Und wenn du so klug bist, wie die Nonnen behaupten – was sicherlich nicht als Kompliment gemeint war –, dann schenkst du dem alten Geißbock ein, zwei Söhne, bevor er das Zeitliche segnet. Auf diese Weise erwirbst du nämlich einen Anspruch auf sein Vermögen und seinen Grundbesitz.“

Bei der Vorstellung, welches Leben sie als Gattin von Hamish Mac Glogan erwartete, krampfte Marianne sich der Magen zusammen – irgendwo in einer zugigen Hütte das Bett mit ihm zu teilen, steinhartes Brot essen zu müssen, ihm wie ein wildes Tier die Kinder im Dreck zu gebären! Schlimmer behandelt zu werden als ein Hund!

Plötzlich war vom Burgtor her ein Schrei zu hören.

„Aus dem Weg!“ knurrte Nicholas, während er zum Fenster eilte. Als er hinausblickte, stieß er einen unflätigen Soldatenfluch aus.

„Was ist? Was geht da vor?“ fragte Marianne angstvoll. Hoffentlich wartete kein neuer Verdruss auf sie.

„Nichts, das dich etwas anginge“, blaffte er barsch, wobei er sie vorwurfsvoll anblitzte. „Über dein Verlöbnis reden wir später. Du brauchst jetzt Zeit, um dich zu beruhigen und darüber nachzudenken, wem du verpflichtet bist!“ Mit diesen Worten verließ er die Kammer und knallte die Tür hinter sich zu.

Schwer ließ Marianne sich auf ihre Bettstatt sinken. Einerlei, was sie ihrem Bruder schuldete – auf gar keinen Fall würde sie ihr ganzes Leben opfern, nur um ihm zu vergelten, was er für sie getan hatte. Sie erhob sich wieder und begab sich zum Fenster, während sie ihre Verzweiflung zurückdrängte. Irgendetwas muss es doch geben, um diese Verbindung zu verhindern, dachte sie angestrengt.

Vom Fenster aus sah sie, wie eine Schar ihr unbekannter Schotten hoch zu Ross durch die Tore aus dicken bronzebeschlagenen Eichenbohlen in den Burghof ritt. Ihr Anführer hatte schneeweißes Haar. Seine Kleidung war von einem dunklen Moosgrün, gemischt mit einem rötlichen Braun, das der Farbe geronnenen Blutes ähnelte. Der Reiter neben ihm war jünger und von höherem Wuchs, mit langem, dunkelbraunem Haar, das über die breiten Schultern fiel – bis auf zwei schmale Zöpfe, welche sein glatt rasiertes und überraschend ebenmäßiges Gesicht umrahmten.

Ebenmäßig für einen Schotten! belehrte sie sich stumm. Und obwohl er eine gerade Nase, ein kräftiges Kinn und volle Lippen hatte, trug er doch jene fremdartige Landestracht, welche die muskulösen Beine entblößte. Sein ärmelloses Hemd enthüllte ebenso kräftige Arme, und noch bestürzender als seine kraftstrotzende Erscheinung war sein Gesichtsausdruck, während er den Blick durch den Schlosshof schweifen ließ. Auf seiner Miene zeichnete sich ein dermaßen finsterer Ingrimm ab, dass Marianne den Eindruck bekam, er hätte alles, was ihm vor die Augen kam, in Brand gesteckt und wäre liebend gern jedem Einzelnen von Nicholas’ Burgbesatzung eigenhändig an die Gurgel gefahren.

Als der wilde und verwegene Krieger weiter prüfend den Hof sowie die angrenzenden Gebäude musterte, trat Marianne rasch einen Schritt vom Fenster zurück. Seinem giftigen Blick wollte sie sich nicht aussetzen. Schon auf der Hinreise hatte sie so viel lüsternes Gaffen von Männern erdulden müssen, dass es für den Rest des Lebens reichte. Und dieser Barbar, dieser unzivilisierte Wilde, davon war sie überzeugt, würde auf ihre weiblichen Reize nicht anders reagieren.

Aus der Deckung konnte sie beobachten, wie ihr Bruder aus der großen Halle trat. Für einen unmerklichen Augenblick stockte sein Schritt, als er den Krieger bemerkte, der an der Seite des grauhaarigen Alten ritt. Offenbar hatte Nicholas nicht mit dessen Erscheinen gerechnet und war von ihm nicht sonderlich angetan. Sein Zögern indes währte lediglich einen Moment, ehe er weiterging und höflich den Graukopf begrüßte, der überraschenderweise auf französisch antwortete.

Nie wäre sie darauf gekommen, dass ein Schotte ihre Sprache kannte oder gar so gut beherrschte. Ob jener grimmig aussehende Krieger wohl mitbekam, was Nicholas und der Anführer sich zu sagen hatten? Marianne hatte da ihre Zweifel. Vermutlich verstand er sich einzig und allein aufs Kämpfen.

Sie konnte erkennen, wie Nicholas verstummte und einladend auf seinen Burgsaal wies. Der Anführer der Schotten saß ab, woraufhin die übrigen ebenfalls von den Pferden stiegen und Nicholas ins Gebäude folgten.

Wer immer auch diese Neuankömmlinge sein mochten – sie schienen keine Feinde zu sein, denn sonst hätte Nicholas sie nicht mit solch ausgesuchter Höflichkeit empfangen. Handelte es sich also nicht um Gegner, sondern um mögliche oder tatsächliche Verbündete, würde er sie außerdem einladen, über Nacht zu bleiben. Dies ist eine gute Gelegenheit, mich als Gastgeberin zu zeigen, dachte Marianne. Dadurch würde sie Nicholas demonstrieren, dass es ihr gutes Recht war, Gemahlin eines normannischen Edelmannes und dadurch Herrin einer normannischen Burg zu werden, nicht aber das Eigentum eines primitiven Barbaren irgendwo am äußersten Rande der Welt.

Adair Mac Taran hätte den ganzen Bau tatsächlich am liebsten in Brand gesteckt. Ja, es gelüstete ihn geradezu danach, jedes einzelne Gerüst anzuzünden und die Mauern, die auf Albas heiligem Boden errichtet wurden, Stein für Stein niederzureißen. Dabei war es ihm einerlei, aus welchen Gründen der König von Schottland den Normannen Land vermacht hatte. Sie waren Fremde, die hier nichts zu suchen hatten, und Adair hasste sie allesamt.

„Hör ihn dir an, Lachlann“, brummte er auf Gälisch seinem Bruder zu, während beide dem Vater und Lord Nicholas zur normannischen Halle folgten, dem größten Gebäude, das Adair jemals zu Gesicht bekommen hatte, von York einmal abgesehen. „Dieser hochnäsige Hundesohn führt sich auf, als gehöre ihm das ganze Land!“

Neben ihnen ging Roban, Adairs Freund und Mitglied desselben Clans. „Stimmt“, bemerkte er nickend. „Oder als hätte er ein Schwert im Hintern stecken!“

„Oder mehr Schlachten geschlagen als wir alle zusammen“, fügte Lachlann hinzu, worauf Adair und Roban sich verschmitzt angrinsten.

„Aye“, bestätigte Adair, der sich nicht einmal die Mühe machte, leise zu sprechen. „Ein Schotte müsste schon volle zwölf Jahre alt sein, um den zu besiegen.“

„Um Himmels willen, Adair, halte deine Zunge im Zaum!“ mahnte Lachlann. „Hast du nicht gehört, was Vater sagte?“

„Durchaus, und ich werde auch keine Scherereien machen“, versprach Adair. „Trotzdem kümmert es mich einen Dreck, ob dieser Bastard da weiß oder nicht, was ich von ihm halte. Und obendrein versteht er sowieso kein Wort von unserer Unterhaltung.“

„Oh ja, wie Adair über die Normannen denkt, hat sich bereits herumgesprochen“, unterstrich Roban. „Falls dieser Lord Beauxville kein ausgesprochener Hornochse ist, wird er’s sicher schon wissen.“

„Das klingt ja so, als fändest du das richtig!“ fauchte Lachlann. „Es ist aber nie gut, dem Feind deine Gedanken zu offenbaren. Du musst lernen, deine Zunge zu hüten, Adair. Und was auch passieren mag: Gerate bloß nicht gleich in Rage!“

Adair betrachtete seinen schlanken, dunkelhaarigen Bruder mit gespielter Entrüstung, als sei ihm zuvor noch nie der Kragen geplatzt. „Was denn – ich und in Rage geraten? Wegen eines normannischen Lügenboldes und Raubritters, der nach Schottland kommt und sich unser Land mit List und Tücke unter den Nagel reißt?“

„Dieser Besitz wurde ihm von Alexander übertragen. Das solltest du tunlichst beachten, ehe du den Mann des Raubes bezichtigst!“

„Ich bezichtige ihn keineswegs des Raubes. Das überlasse ich Vater.“

Aus dem Grüppchen hinter ihm meldete sich eine weitere Stimme zu Wort. „Der Normanne ist nicht der Einzige, welcher glaubt, es stehe ihm zu, die Welt zu regieren.“

Adair brauchte nicht lange zu raten, wer da sprach. „Nicht die Welt, Cormag. Bloß unseren Clan, und zwar als der von meinem Vater und unseren Clan-Angehörigen auserkorene Erbe“, entgegnete er, ohne auch nur einen Blick über die Schulter zu werfen.

Cormag gab keine Antwort. Wie sollte er auch? Es war die Wahrheit, und die gesamte Sippe kannte sie. Niemand außer ihm selbst hielt Cormag Mac Taran für geeignet, den Platz von Seamus Mac Taran als Laird einzunehmen, als Oberhaupt des Clans und Thane von Lochbarr.

„Ich gebe mir Mühe, dem Kerl nicht gleich zu Anfang die Pest an den Hals zu wünschen“, sagte Adair zu seinem Bruder, während sie die Stufen der gewaltigen steinernen Halle erklommen. „Gibst du dich damit zufrieden?“

„Notgedrungen“, räumte Lachlann unwirsch ein, während sie alle dem Normannen und dem Clan-Oberhaupt am Kamin vorbei zu dem Podest folgten, das sich am Ende des Palas befand. Der Raum wimmelte von Menschen, darunter mehrere bewaffnete Fußsoldaten, die Brustpanzer trugen. An den Seitenwänden lehnten großflächige, zerkerbte Tischgestelle mit Sitzbänken davor. Den steinernen Fußboden bedeckten mit Rosmarin und Frühastern bestreute Binsenmatten, welche die Schritte dämpften und einen leichten Duft verströmten.

„Wir Übrigen müssen wahrscheinlich stehen wie Dienstboten“, murmelte Adair unterdrückt, als sie am Podest angelangt waren, wo zwei große und reich mit Schnitzereien verzierte Sessel standen.

„Ohne mein Claimh mor komme ich mir auch wie ein solcher vor“, gab Roban zurück, wobei er die stämmigen Schultern rollte, als vermisse er das vertraute Gewicht des gewaltigen Breitschwertes, das er sonst auf dem Rücken trug.

„Es war recht, unsere Schwerter am Tor zurückzulassen“, zischte Lachlann unterdrückt. „Schließlich kommen wir in Frieden! Nun haltet den Mund, ihr zwei! Ich will hören, was Vater und der Normanne sich zu sagen haben – und zwar ohne euer ständiges Genörgel im Ohr!“

„Seid willkommen in meiner Halle, Seamus Mac Taran!“ verkündete Nicholas auf Französisch, während der Laird Platz nahm. In barschem Befehlston verlangte der normannische Oberherr sodann nach Wein. Eine verschüchtert wirkende Magd, jung und hübsch, mit hellbraunem Haar, grünen Augen und einem Leberfleck auf dem rechten Brustansatz, nickte folgsam und huschte eilig davon. „Nun, was veranlasst Euch, mich heute auf Beauxville aufzusuchen?“

Verächtlich schürzte Adair die Lippen. Dreißig Jahre lang war sein Vater Kriegsmann und Anführer des Clans gewesen, und dieser Normanne behandelte ihn wie ein Kind! Außerdem hieß die Burg Dunkeathe, nicht Beauxville!

„Auf unserer Südweide fehlt ein Dutzend Stück Vieh“, stellte Seamus fest.

Und ihr habt sie gestohlen, du und deine Bande! ergänzte Adair stumm.

„So ein Malheur!“ erwiderte der Normanne seelenruhig. „Heutzutage treiben sich überall Halunken herum.“

Sogar direkt vor meiner Nase!

„Wohl wahr!“ bestätigte Seamus ebenso gleichmütig. „Nur würde kein Schotte die Mac Tarans berauben. Jedermann weiß: Wenn einer hungrig ist, so braucht er nur an meiner Halle anzuklopfen und erhält Speise und Trank. Wir Schotten verstehen uns auf Gastfreundschaft.“

Bei dieser ehrlichen Antwort, die einen listig versteckten Tadel enthielt, verzogen sich Adairs Lippen zu einem Lächeln. Der Normanne jedoch, dieser Tölpel, begriff rein gar nichts. Und falls doch, dann schämte er sich nicht einmal.

„Was hat dein Vater gesagt?“ fragte Roban flüsternd. Adair und Lachlann beherrschten Französisch, da ihr Vater darauf bestanden hatte, dass sie sich die Sprache aneigneten. Die Übrigen aus der Sippe verstanden kein Wort.

„Er hat dem Hundesohn gerade die schottische Gastlichkeit erläutert“, erklärte Adair.

Inzwischen hatte Nicholas sich wieder an seinen Gast gewandt. „So verdächtigt Ihr also nicht Eure Landsleute, dieses mutmaßliche Vergehen begangen zu haben?“

Der Ton, den der Normanne anschlug, brachte Adair nur noch mehr in Wallung – als seien die Schotten selbstverständlich als Erste verdächtig, obwohl es die Normannen waren, welche nach Schottland vordrangen und alles an sich rissen, was nicht niet- und nagelfest war.

„Nicht ausgeschlossen, dass es Schotten gewesen sein könnten“, beschied Seamus achselzuckend. Dann lächelte er auf eine Weise, bei der in vergangenen Zeiten so manchen Gegner das kalte Grausen gepackt hatte. „Die Schotten wissen allerdings auch, dass die Mac Tarans Diebe bestrafen. Als Thane mit königlicher Urkunde und als Oberhaupt des Clans steht es mir zu, Recht und Gesetz aufrechtzuerhalten.“

„Ihr besitzt eine Urkunde?“ Der Normanne klang überrascht. „Mich deuchte, ihr Schotten hieltet nicht viel von amtlichen Schriftstücken! Ich wähnte immer, das Land gehöre dem Clan gemeinsam.“

„Ich halte die Urkunde im Namen des Clans, denn sonst ließe sich nicht verhindern, dass Fremdlinge sich unser Land aneignen. Ich weise mithin bloß auf diese Urkunde hin, die mir das Recht überträgt, Gesetzesübertreter zu ahnden, wenn sie mich oder meinen Clan berauben. Werden sie gefasst, folgt die Strafe auf dem Fuße.“

Die Dienstmagd mit dem Muttermal auf der Brust tauchte wieder auf, in den Händen ein Tablett mit zwei Trinkpokalen darauf. Einen davon bot sie zunächst Nicholas an, der jedoch stirnrunzelnd auf Seamus deutete. Adair trat hastig vor und riss dem verdutzten Mädchen das Tablett aus den Händen. „Bei uns Schotten ist es Brauch, dass ein Gast den ersten Trunk in der Halle des Gastgebers serviert“, log er, wobei er sich darauf verließ, dass der Normanne gewiss nicht mit den örtlichen Gepflogenheiten vertraut sein würde. Dann bot er Nicholas einen der beiden Kelche.

Der Normanne indes, so verriet seine unerwartet scharfe Miene, hatte sich nach anfänglicher Überraschung schnell erholt und kannte sich mit den schottischen Sitten offenbar besser aus als von Adair angenommen. Dessen ungeachtet nahm er den Kelch kommentarlos entgegen, ebenso wie Seamus, der seinen Sohn mit einem warnenden Blick bedachte.

„Dieser kühne Jüngling hier ist Adair Mac Seamus Mac Taran, mein ältester Sohn“, sagte Seamus, nachdem die junge Magd sich wieder entfernt hatte. „Mein Clan hat ihn auserkoren, nach meinem Tode Thane und Sippenoberhaupt zu werden.“ Während Nicholas ihn abschätzend musterte, fragte Adair sich, ob der Normanne wohl schon erfahren hatte, dass Adair Mac Taran bislang im Kampfe unbesiegt geblieben war, ob mit Waffen oder den bloßen Händen, und zwar seit seinem zehnten Lebensjahr – nachdem er mit ansehen musste, zu welchen Taten normannische Soldaten fähig waren.

Die Augenbraue fragend gehoben, wandte Nicholas sich wieder an Seamus. „Auserkoren?“

„Jawohl. Obgleich er mein Sohn ist, halten wir uns an die Sitten unserer Väter. Der Laird benennt einen Nachfolger und schlägt ihn dem Clan vor, der seine Zustimmung geben muss. Ich nannte Adair, und er wurde gewählt.“

„Und alle sind mit dieser Wahl zufrieden?“

„Man findet sich damit ab, also bleibt es dabei“, antwortete Adairs Vater lächelnd. „Loyalität zum Clan geht uns über alles.“

„Nicht Treue zum König?“

„Hat der Laird dem König Treue geschworen, so gilt dies ausnahmslos für den ganzen Clan. Da ich Alexander, als er mir die Urkunde übereignete, meinen Eid leistete, würde ein jeder Mann aus meinem Clan sein Leben für ihn hingeben.“

„Egal, ob für einen solchen Dienst eine Belohnung winkt oder nicht“, fügte Adair hinzu, was ihm einen weiteren scharfen Blick seines Vaters eintrug sowie einen misstrauischen von Seiten des Normannen.

„Mein Sohn ist ein rechter Heißsporn, Mylord“, bemerkte Seamus. „Ein Charakterzug, welcher ihm zwar im Kampfe gut ansteht, in anderen Situationen zuweilen zu Missverständnissen führt.“

„Ich verstehe. Ihr habt mein Mitgefühl. Mein Bruder ist genauso.“

Seamus schmunzelte, als wären er und dieser hergelaufene Normanne die dicksten Freunde. „Bisweilen ein Kreuz, doch im Kampfe den ganzen Ärger wert, was?“

Der Normanne lachte sogar, wenn auch nicht aus vollem Herzen. „Würdet Ihr Henry aufsuchen und ihn oder seine Mannen des Diebstahls bezichtigen, so hättet Ihr sein Messer an der Kehle, ehe Ihr den Satz zu Ende bringen könntet.“

„Ich bin nicht gekommen, um Euch oder den Euren Diebstahl vorzuwerfen“, gab Seamus ungerührt zurück. „Sondern um Euch zu warnen, dass sich möglicherweise Gesetzlose herumtreiben. Außerdem wollte ich Euch mitteilen, dass wir die Absicht hegen, unsere Ländereien mit mehr Streifengängen besser zu überwachen.“

Plötzlich wurde Adair die Zielsetzung seines Vaters klarer und vertretbarer. Er hielt es zwar nach wie vor für besser, dem Normannen ohne Umschweife zu erklären, sie wüssten, dass seine Leute das Vieh genommen hätten. Die Spuren der Rinderhufe zeigten unmissverständlich an, dass die Tiere gen Dunkeathe getrieben worden waren. Der Vater jedoch war ein weiser, geduldiger Mensch und sein Vorgehen klug, so unbefriedigend es auch erscheinen mochte.

Nicholas’ Miene verhärtete sich. „Warnt Ihr mich vor Banditen, oder soll das heißen, dass Ihr jeden Normannen angreift, der Euer Land betritt?“

„Gibt es denn einen Beweis, dass die Rinder auch wirklich gestohlen wurden?“ In melodiösem Französisch erscholl eine Frauenstimme, die offenbar von irgendwo im Rücken der schottischen Besucher kam. „Vielleicht haben sie sich ja nur von der Weide verirrt!“

Als Adair und sämtliche andere Anwesenden sich nach der Stimme umdrehten, starrt en sie verblüfft auf eine wunderschöne Erscheinung, welche hoheitsvoll auf sie zuschritt. Sie war ohne Übertreibung die schönste Frau, die Adair je gesehen hatte, engelsgleich, mit dem Anflug eines sanften Lächelns auf ihrem entzückenden Antlitz, klaren blauen Augen von der Farbe des Sommerhimmels, samtenen Wangen und vollen, rosigen Lippen. Das weiche Blondhaar fiel ihr in langen Zöpfen auf die Schultern und umrahmte ihre ebenmäßigen Züge. Ihr Körper war schlank und wohlgeformt, obwohl sie in das kunterbunteste Sammelsurium unterschiedlichster Gewänder gekleidet war, das er jemals an einem Menschen gesehen hatte, Bettler einmal ausgenommen.

„Doch, doch, sie wurden geraubt“, beteuerte Adair und trat auf sie zu. „Der Hirte ist sich ganz sicher. Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer. “

Fragend hob sie eine wohlgeschwungene Braue. „Das Wort eines Rinderhirten? Darauf setzt Ihr Leib und Leben?“

„Bei diesem schon, ja.“

Mit gerunzelter Stirn wandte die Schöne sich an den Hausherrn. „Ob einige unserer Soldaten die Rinder vielleicht aus Versehen mitgenommen haben, Nicholas?“

Der Angesprochene guckte dermaßen verdutzt, dass Adair beinahe in lautes Gelächter ausgebrochen wäre. Doch der Normanne hatte sich rasch wieder in der Gewalt, auch wenn seine Wangen so rot angelaufen waren wie die Farbe des Bliaut, welches die Dame trug. „Marianne, begib dich wieder in dein Gemach!“

„Wollt Ihr uns etwa die Gesellschaft dieses bezaubernden Fräuleins vorenthalten?“ fragte Adairs Vater, wobei er sich erhob. „Ich bitte Euch, Verehrteste, nehmt doch Platz!“

Trotz dieses höflichen Angebots schnellte der Normanne regelrecht vom Podest herunter und stellte sich zwischen Adair und die Frau. „Meine Schwester hat andere Verpflichtungen.“

Schwester – keine Geliebte! Ein vertrautes Prickeln durchströmte Adairs Körper. Da es sich aber um eine Normannin handelte, ebbte diese Erregung rasch ab.

Zart errötend wandte Lady Marianne sich an seinen Vater. „Habt Dank für Eure Güte, mein Herr, doch mein Bruder hat Recht. Ich darf nicht länger weilen. Wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt. Ich muss dafür sorgen, dass wir unsere ehrenwerten Gäste angemessen verpflegen und für die Nacht unterbringen können.“

Lord Nicholas, so durchzuckte es Adair, hätte sie nicht so bloßstellen müssen! Der Normanne wurde ihm noch verhasster. Angesichts der Verärgerung, die das kantige Gesicht des Hausherrn bei den Worten seiner Schwester überflog, konnte er sich einer grimmigen Schadenfreude nicht erwehren. Sie hatte ihm die Demütigung mit gleicher Münze heimgezahlt, denn nun musste Nicholas ihnen Herberge anbieten, es sei denn, er hätte ihnen Speise und Trank sowie einen Schlafplatz brüsk verweigert.

Dennoch hätte Adair diesem Normannen eine solche Grobheit durchaus zugetraut. Daher war er völlig erstaunt, als Nicholas sprach: „Aber gewiss doch! Dann mach dich an die Arbeit, Marianne. Wir unterhalten uns später über die notwendigen Vorkehrungen.“

Die Schöne rang sich ein unsicheres Lächeln ab, neigte das Haupt und schwebte würdevoll und mit schwingenden Kleidersäumen zu einer in der Hallenwand eingelassenen Seitentür. Ihr Bruder ließ sich wieder heftig auf seinen Sessel fallen.

Kein Zweifel, der Grund für seinen Zorn bestand nicht darin, dass er ihnen Gastfreundschaft gewähren musste. Offenbar war ihm nur zu bewusst, dass ein potenzieller Gegner allerlei über seine Festung in Erfahrung bringen konnte, indem er darin übernachtete.

Später vielleicht, so dachte Adair nicht ohne klammheimliche Schadenfreude, kann ich mich bei Lord Nicholas’ Schwester für diese Gelegenheit bedanken.

2. KAPITEL

Und da nahm er mir das Tablett einfach aus der Hand und bediente sie selbst“, berichtete Polly atemlos. „Was für ein hübsches Mannsbild! Heilige Maria Muttergottes, so einen schönen Mann hab ich mein Lebtag nicht gesehen!“

Marianne, die sich gerade mit dem Küchenmeister unterhielt, schaute hinüber zu der kleinen Gruppe von dienstbaren Geistern, die sich um die völlig aufgelöste Polly scharten. Soeben schilderte die Magd aufgeregt, was sich in der Halle zugetragen hatte, ehe Marianne durch ihr Erscheinen Nicholas noch mehr verärgert hatte. Nur zu gern hätte sie gewusst, wer denn wohl Erbarmen mit der zappeligen Polly gehabt hatte, doch es war Zeit, dass alle sich wieder an die Arbeit begaben. „Die Wildbretkeule muss gewendet werden!“ belehrte sie den Küchenjungen, der den Bratenspieß bediente. „Und ihr Übrigen habt doch gewiss anderes zu tun, oder?“

Unverzüglich ging der Bursche wieder daran, gemächlich seinen Spieß zu drehen. Die Küchenmagd widmete sich erneut ihren Töpfen, und die anderen beiden Dienstmädchen machten sich ans Kneten von Teig. Drei männliche Wesen flüchteten Hals über Kopf aus der Küche.

„Gib ja Acht, dass es nicht an einer Seite verschmort und an der anderen roh ist!“ Emile, der Küchenmeister, erteilte dem Küchenjungen noch einen Befehl, ehe er dann die Augen gen Himmel schlug, als müsse er angesichts der Dummheit des Gesindes um Erlösung von allem Bösen flehen. „Noch weitere zwanzig Esser – und obendrein allesamt Schotten!“ Er schnupperte an einem über der Feuerstelle hängenden Kessel und rührte den Inhalt um, der einen appetitlichen Duft von Rindfleisch und Brühe verströmte. „Aber Schotten sind anspruchslos und haben einen gesunden Appetit. Selbst mein scheußlichster Fraß mundet denen vorzüglich.“

Erleichtert darüber, dass Emile weder in Panik geriet noch die Beherrschung verlor, richtete Marianne ihr Augenmerk auf etwas anderes. Sie winkte Polly zu sich und zog sich mit der jungen Magd in einen ruhigen Winkel zurück, fern vom Gewusel des Kochs und seiner Helfer. „Ich vernahm bereits, was sich in der Halle zugetragen hat. Du bist ja, äh, recht angetan von dem Schotten, der dir zu Hilfe kam!“

Polly wurde rot wie ein reifer Apfel und blickte zu Boden. „Natürlich war das sehr galant von ihm“, fuhr Marianne sanft fort, denn so dumm, der Magd die Leviten zu lesen, war sie nicht. Die ständigen Gardinenpredigten der Mutter Oberin hatten nämlich des Öfteren genau das Gegenteil der erhofften Wirkung erzielt. „Allerdings muss ich dich warnen. Manche Männer glauben, dass eine Frau ihre Dankbarkeit auf eine ganz bestimmte Weise ausdrücken muss, und wir wissen ja nicht, ob jener Schotte zu dieser Sorte gehört oder nicht.“

Polly hob den Blick und runzelte die Stirn, als begreife sie nicht recht.

„Ich meine damit“, erklärte Marianne, „dass er möglicherweise unterstellt, du seiest ihm so dankbar, dass du dich ihm hingibst. Daher solltest du dich heute Abend von diesen schottischen Gästen fern halten. Von allen! Nun darfst du gehen und der Biermagd mitteilen, dass wir heute Abend wohl noch weitere drei Fässer Ale benötigen!“

„Sehr wohl, Herrin“, murmelte die Dienstmagd, bevor sie verstört davoneilte.

„Marianne!“

Als sie die aufgebrachte Stimme ihres Bruders hörte, krampfte Marianne sich der Magen zusammen. Rasch drehte sie sich um und blickte zu der in die Halle führenden Tür. Nicholas stand direkt im Rahmen, die Hände in die Hüften gestemmt, die dunklen Brauen finster zusammengezogen, die Miene wutentbrannt. „Nach draußen, Marianne! Auf der Stelle!“

Herr, hilf! Das übertraf ja ihre schlimmsten Befürchtungen! Irgendwie jedoch musste sie versuchen, ihm klarzumachen, dass sie ihm lediglich helfen wollte.

Eine frische Brise bauschte ihre Gewänder, als sie vor der Burg angelangt war. Diesmal war es nicht der kühle Luftzug, welcher sonst durch die Gemäuer blies, sondern ein milder Schwall, der einen Hauch von Seetang von dem nur wenige Meilen entfernten Meer mitbrachte. Die Wolken lockerten auf, so dass stellenweise der strahlend blaue Himmel durchschien.

Rücksichtslos stampfte Nicholas quer über den Burghof, gefolgt von seiner Schwester, die sorgsam den Pfützen auswich, bis sie zu einem abgelegenen Plätzchen gelangten, das zwischen der Steinmetzwerkstatt und dem Lagerraum für die Fachwerkfüllung aus Lehm und Flechtwerk lag.

Sobald sie unter vier Augen waren, bollerte Nicholas schon erbost los. „Was, zum Teufel, sollte dies Possenspiel vorhin?“ erregte er sich, die Arme über der Brust verschränkt, während sein umgegürtetes Schwert vom hektischen Stampfen seiner Füße zitterte.

„Es war keinesfalls meine Absicht, dich zu erzürnen“, beteuerte sie schnell. „Ich tat lediglich, was man mich lehrte, um dir zu zeigen, dass …“

„Wärst du bloß nicht in den Palas gekommen! Und erst recht hättest du diese Kerle nicht einladen dürfen, hier zu übernachten, zum Kuckuck!“

„Ich habe sie nicht eingeladen! Ich war überzeugt, dass du als Herr zu Beauxville dies längst getan hättest! Ich habe lediglich versucht, mich deiner Gäste anzunehmen, wie es sich für eine Burgherrin gehört!“

„Das sind nicht meine Gäste! Außerdem sind wir hier nicht in der Normandie!“

Diesen Hinweis hätte Nicholas sich sparen können! „Allerdings nicht!“

Seine Augen verengten sich, während Marianne hastig weitersprach, um ihm begreiflich zu machen, warum sie so und nicht anders gehandelt hatte. „Ich wollte dir zeigen, was man mich auf deine erheblichen Kosten gelehrt hat. Siehst du denn nicht, dass es keine Geldverschwendung war und dass ich einen Normannen als Gemahl sehr wohl verdiene! Das ist sogar das Mindeste!“

„Die Mühe hättest du dir sparen können“, raunzte ihr Bruder. „Von mir aus kannst du dich wie die Königin aufführen, das ist mir völlig einerlei! In sieben Tagen heiratest du Hamish Mac Glogan, selbst wenn ich dich deswegen in deine Kammer einsperren und vorsichtshalber einen Posten vor die Tür stellen muss!“ Er trat noch näher auf sie zu und funkelte sie böse an. „Muss ich dich tatsächlich bewachen lassen, Marianne?“

„Nein, Nicholas, nicht nötig! Ich verstehe!“ antwortete sie, denn trotz ihrer Verzweiflung begriff sie sehr wohl, wie ernst es Nicholas mit seiner Entscheidung war. Für ihren Bruder stand die Sache fest, und von seinem Entschluss konnte sie ihn mit guten Worten nicht abbringen.

„Gut. Halte dich heute Abend der Halle fern. Diese Schotten sind die unverschämtesten und arrogantesten Frechlinge, welche ich je in meinem Leben kennen gelernt habe. Ich will auf keinen Fall, dass sie meine Schwester begaffen. Und nun begib dich in deine Kemenate und bleibe dort!“

„Herzlich gern!“ fauchte sie, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und ihren Bruder stehen ließ.

Mitsamt seinen Plänen für ihre Zukunft.

Der Mond ging auf, wenn auch nicht mit seinem ganzen Rund. Da Marianne die Tage zum letzten Vollmond gezählt und zurückverfolgt hatte, wusste sie, dass er im Abnehmen begriffen war. Wollte sie also fliehen und dabei noch das Mondlicht nutzen, durfte sie keine Zeit verlieren. Eine andere Wahl blieb ihr nicht, ganz gleich, welche Gefahren ihr dabei drohten. Entweder blieb sie hier und heiratete Mac Glogan, oder aber sie ging das Wagnis ein und lief aus Beauxville davon.

Mit einem Kleiderbündel und ihren Schuhen, die sie vor die Brust gepresst hielt, verließ sie ihre Schlafkammer und schlich verstohlen die Wendeltreppe hinunter, die in die Halle führte. Sie musste an sämtlichen Männern und Hunden vorbei, welche dort schliefen, und danach quer über den Burghof. Sie hatte geplant, durch das Seitentor zu schlüpfen, am Flussufer ein Boot zu entwenden und sich damit zu einem Fischerdorf an der Küste durchzuschlagen. Von dort konnte sie sich gegen Bezahlung nach York übersetzen lassen und anschließend weiterreisen, heimwärts in die Normandie.

Sie tastete nach dem Kruzifix, das sie um den Hals trug, ein Erbstück von ihrer Mutter. Wenn sie es zusammen mit ihren Schleifen und ein, zwei Gewändern verkaufte, hätte sie hoffentlich genug Geld für die Überfahrt. Für den Fall, dass das Nebentor versperrt und bewacht sein sollte, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als über eine halb fertige Mauer zu klettern. Das allerdings würde viel Zeit kosten. Außerdem riskierte sie, dass die Wachen am Haupttor sie entdeckten.

Sie erreichte die Halle. Zum Glück war ihr Bruder in religiösen Dingen außerordentlich lax, denn statt die Frühmette zu beten, lag alles in der gesamten Burg bis auf die eingeteilten Wachposten in tiefem Schlaf. Unangenehmerweise jedoch musste Marianne zusätzlich zu den Männern, welche für gewöhnlich im Palas übernachteten – Burgbesatzung, Knechte, Handwerker und Tagelöhner –, auch noch die Schotten beachten. Gott sei Dank ruhte das weibliche Gesinde in eigenen Schlafquartieren über der Küche.

Marianne spähte in den dunklen Raum. Obwohl das sonst in der Saalmitte flackernde Feuer erloschen war, konnte sie doch die Umrisse der schlummernden Männer und Hunde erkennen. Die Schotten waren unschwer auszumachen: Sie hatten sich kurzerhand in die langen Tuchbahnen gewickelt, die sie normalerweise als Kleidungsstück trugen, um sich dann anscheinend dort auszustrecken, wo sie gerade gestanden hatten. Rasch zählte Marianne sie durch.

Einer fehlte! Als sie die zusammengekauerten Leiber genauer betrachtete, wusste sie sofort, wer es war – der stattliche, muskulöse Mann! War er derjenige, von dem Polly so geschwärmt hatte? Vermutlich! Vielleicht haben meine Ermahnungen in der Küche ihre Wirkung verfehlt, und Polly erweist dem Halunken genau in diesem Moment ihre „Dankbarkeit“, dachte sie.

So sehr ihr diese Vorstellung auch missfiel – die Sorgen um Pollys Seelenheil durften sie nicht von ihrem Plan abhalten. Sie musste entkommen, und zwar noch in dieser Nacht. Eng an die Mauern gedrückt, schob sie sich seitwärts zum Kücheneingang.

Die Küche, zunächst ebenso finster wie auch die Halle, war zum Schneiden stickig. Die Gerüche von Rauch, Fett, Lauch und Gewürzen hingen noch in der Luft und stiegen Marianne stechend in die Nase. Sie spürte, wie ihr der Schweiß den Rücken hinunterrann, während ihr Blick aufmerksam den Raum abtastete. Spärlicher Mondschein sickerte durch die hohen, viereckigen Fensteröffnungen und tauchte alles in dämmriges Halbdunkel. Marianne erkannte den in der Mitte stehenden Arbeitstisch sowie die Fässer neben der Tür. Neben der Feuerstelle lagen Brennholzbündel; hölzerne Löffel und Schüsseln stapelten sich auf dem an einer Seitenwand angebrachten Bord. Daneben das Wasserbecken, das in die Außenwand des Gebäudes eingelassen war.

Der Küchenjunge schlief auf dem Boden neben der Tür zur Speisekammer, als bewache er die Vorräte an Ale und Wein, die dort lagerten. Er wälzte sich auf den Rücken, wobei er undeutlich etwas vor sich hin nuschelte. Aus Angst, ihn aufzuwecken, wand Marianne sich geschwind um den Arbeitstisch herum und huschte zum Hinterausgang. Rasch und geräuschlos hob sie den Riegel an und schlüpfte hinaus in die wohltuend kühle Nachtluft.

Kein Wölkchen hing am Himmel. Der Mond leuchtete mittlerweile so hell, dass es schwierig werden würde, sich zu verstecken. Dennoch war sie dankbar für das Licht, denn sie kannte sich in der Umgebung nicht aus und war wenig versessen darauf, im Stockfinstern durch unbekanntes Gelände zu streifen.

Die Mehrzahl der Mauern war unvollendet; es gab also für die Wachmannschaft noch keinen Wandelgang an der Brüstung entlang. Der Torbau hingegen war so gut wie fertig gestellt, und Nicholas hatte dort Posten eingeteilt, welche eine über den Burghof huschende Gestalt wahrscheinlich am ehesten entdecken würden.

Für eine Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, beobachtete sie das turmbewehrte Tor, ehe sie einigermaßen sicher sein konnte, dass die Posten nicht den Innenhof überblickten, sondern die Burg nach draußen zum Flusstal hin absicherten. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und sauste blitzschnell zu dem Durchlass zwischen der Hütte der Steinmetze und dem Lagerraum, wo Nicholas sie am Morgen so heftig zusammengestaucht hatte.

Kein Mensch schlug Alarm, kein Warnruf war zu hören. Der erste Teil ihrer Flucht war überstanden. Während sie tief Luft holte, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen den niedrigen Lagerschuppen und sandte ein stummes Dankgebet gen Himmel.

Auf einmal tauchte am hinteren Ende der gassenartigen Passage ein Mann auf – breitschultrig, gekleidet in jene fremdartige, rockähnliche Schottentracht und ein ärmelloses Hemd. Ehe Marianne, vom Schock erholt, fortrennen oder sich verstecken konnte, sprach er sie ganz gelassen auf Französisch an. „Merkwürdige Zeit für einen Spaziergang, oder, Mylady?“

Sie erkannte die Stimme. Obwohl sie heilfroh war, dass es nicht Nicholas oder einer seiner Männer war, fragte sie sich doch, was der Schotte hier zu suchen hatte. Und wo steckte Polly?

Plötzlich erstarrte sie. „Halt, wer da?“ rief eine Stimme. Es musste ein Wachtposten sein. Waren sie entdeckt? Hatte dieser lüsterne Schotte sie etwa um die Gelegenheit zur Flucht gebracht? Zu ihrer immensen Erleichterung antwortete eine zweite Männerstimme, ruhig und unaufgeregt. Die Wachen, so schien es Marianne, hatten sie oder den Schotten doch nicht bemerkt!

Vorläufig!

Dann erspähte sie die offene Tür zur Werkstatt rechterhand des Schotten. Hastig vorwärts huschend, schubste sie den Mann durch die Öffnung und zwängte sich hinter ihm hindurch. Er gab keinen Laut von sich, als die mit Lederscharnieren versehene Brettertür hinter ihnen zuklappte. Nur ein paar dünne Lichtstrahlen fielen durch die Ritzen in der Wand und den geschlossenen Fensterladen. In der Finsternis wirkte der Schotte noch riesenhafter, die Umrisse seiner hünenhaften Gestalt zeichneten sich vor dem Hintergrund der Hüttenwand ab, mit langen, nackten, muskulösen Beinen und kraftstrotzenden, gleichfalls bloßen Armen.

Vielleicht war dieser Verzweiflungsakt ein Fehler! Doch ehe Marianne die Flucht ergreifen konnte, sprach er sie an. „Fürwahr, teuerste Lady, welch unerwartetes Vergnügen!“ sagte er leise mit einer tiefen und leicht angerauten Stimme.

„Still!“ befahl sie im Flüsterton. „Oder sollen Euch etwa die Wachen aufspüren – hier, wo Ihr nichts verloren habt?“

„Nein, danach steht mir wahrlich nicht der Sinn“, erwiderte er gleichmütig. „Nur bezweifle ich, dass sie mich finden – es sei denn, sie können durch Wände gucken und scharf hören wie die Hunde. Sie sind zu weit weg und zu sehr damit beschäftigt, nach Feinden vor den Mauern Ausschau zu halten.“

„Wo ist Polly?“

„Wer?“

„Polly! Die Magd, die Euch den Wein servierte!“

Gemächlich trat der Schotte auf sie zu. „Ach, die Kleine mit dem Leberfleck auf dem Busen?“

Als hätte er sie mit seinem Unschuldsgetue zum Narren halten können! Sie wusste sehr wohl, zu welcher Falschheit die Männer fähig waren. „Genau. Wo steckt sie?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Sie würdigte ihn bloß eines frostigen Blickes und wich zurück, bis sie gegen eine Werkbank stieß, auf der etliche Werkzeuge lagen – Meißel und Kellen, Messstäbe sowie eine Winkelwaage, eine Dreieckskonstruktion mit einem kleinen Bleilot zur Bestimmung der Waagerechten. Dort stellte sie ihr Bündel ab, so dass sie die Hände frei hatte. Nun konnte sie sich zur Not verteidigen. „Ich glaube Euch kein Wort. Ich bin überzeugt, Ihr wart bei ihr. “

„Und ich bin mir gewiss, ich war es nicht. Andernfalls würde ich mich erinnern, dünkt mich.“

Den Rücken gegen die Werkbank gedrückt, spreizte Marianne die Finger hinter sich und ertastete einen Meißel. So etwas wie eine Waffe! Hektisch schloss ihre Hand sich um den Griff. „Was fällt Euch ein, nachts in der Burg meines Bruders herumzuschleichen?“

„Ich suche nach den Befestigungsplänen.“

Niemals hätte ein richtiger Spion dies so rasch und unverhohlen verraten. „Ihr haltet mich wohl für ein Dummchen!“

Er schlenderte noch näher an sie heran. „Egal, für was ich Euch halte, Mylady – auf den Kopf gefallen seid Ihr meiner Meinung nach jedenfalls nicht.“

Sie musste heftig schlucken.

Urplötzlich schnellte seine Hand vor, packte die ihre und zwängte sie zusammen, bis Marianne den Meißel fallen ließ.

„Wolltet Ihr mich allen Ernstes mit dem Ding da angreifen?“ fragte er, wobei er sie losließ.

Sie massierte sich die lädierte Hand und schwieg.

„Vor mir braucht Ihr Euch nicht zu fürchten, wertes Fräulein. Normanninnen entsprechen nicht ganz meinem Geschmack, auch wenn sie so liebreizend sind wie Ihr!“

Geschmeichelt und beleidigt zugleich – das geschah ihr zum ersten Mal! Vielleicht aber war das nur seine Taktik, andere zu verwirren. „Was schnüffelt Ihr außerhalb der Halle herum?“ wollte sie wissen, wenngleich dies an sich kein Vergehen darstellte. „Heraus damit, sonst alarmiere ich die Wachen!“

„Das werdet Ihr hübsch bleiben lassen!“ stellte er klar und griff um sie herum nach dem Meißel. Dabei rückte er ihr so nahe, dass sie seinen Atem warm auf der Wange spürte. Beide Hände fest um die Kante der Werkbank gekrallt, blieb sie stocksteif stehen, bis er sich wieder zurückzog. „Und zwar deshalb“, fuhr er fort, wobei er spielerisch den Meißel um die Finger kreisen ließ, „weil Ihr dann erklären müsstet, warum Ihr zu dieser nachtschlafenden Zeit herumstromert, dazu noch mit einem Kleiderbündel! Ich vermute, Ihr seid auf dem Weg zu einem heimlichen Stelldichein, wenn auch bedauerlicherweise nicht mit mir. “ Mit einem kurzen Rucken des Kopfes wies er auf ihre Siebensachen. „Und in weiser Voraussicht habt Ihr auch eine Decke als Unterlage mitgebracht. Vielleicht sogar einen Krug Wein!“

„Welch niederträchtige Unterstellung!“

Autor

Margaret Moore

Ihre ersten Schreibversuche als Autorin machte Margaret Moore mit acht Jahren, als der verwegene Errol Flynn sie zu einer Geschichte inspirierte. Wenig später verfiel sie dem kühlen Charme von Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise. Er ließ bei sich keine Emotionen zu – ganz anders als die Helden in ihren Romances!...

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