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Will sie wirklich weiterhin mit Skandalgeschichten ihr Geld verdienen? Um sich darüber klar zu werden, nimmt Portia sich eine Auszeit auf der romantischen Isola dei Fiori, wo ihre Schwester eine Villa geerbt hat. Doch ihre Einsamkeit wird gestört, als plötzlich der unverschämt attraktive Hollywoodstar Javier Russo auftaucht! Ein Artikel über ihn würde Portias Karriere vorantreiben. Aber was wird dann aus den zärtlichen Gefühlen, die zwischen ihr und dem sexy Italiener erwachen? Dem die Frauen zu Füßen liegen - und der nur sie küsst …


  • Erscheinungstag 08.05.2018
  • Bandnummer 102018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710149
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Portia schloss die Tür und atmete langsam aus, während das Motorengeräusch in der Ferne verklang. Was für eine himmlische Ruhe! Und wie friedlich es jetzt hier war.

Irgendwo im Garten, auf der anderen Hausseite, hörte sie Vogelgezwitscher. Nach drei Tagen, die sie ständig von Leuten umringt verbracht hatte, war das Musik für ihre Ohren. Sie lehnte sich gegen die kühle Wand und musste sich beherrschen, um nicht völlig kraftlos daran herunterzusinken. Die Hochzeit ihrer Schwester Miranda war vorbei.

Endlich konnte sie ihr Dauerlächeln abstellen und musste nicht mehr den nervtötenden Fragen ihrer Schwestern ausweichen. Miranda hatte vor Liebe von innen heraus gestrahlt.

Dabei bin ich die Älteste! Hätte ich nicht zuerst heiraten müssen?

Der Druck, den Portia in ihrer Brust spürte, seit sie hergekommen war, ließ nur langsam nach. Es war nicht so, dass sie ihre Schwestern nicht liebte. Natürlich tat sie das. Aber alle drei ständig um sich zu haben, war unglaublich anstrengend. Sie sprachen immer gleichzeitig, und mindestens eine von ihnen versuchte ständig, die anderen zu übertönen. Jetzt waren sie da, wo sie hingehörten: Miranda in den Flitterwochen, Posy bei ihrem geliebten Ballett und Immi, kurz vor der eigenen Hochzeit, zurück im familieneigenen Betrieb.

Wonach sie selbst sich sehnte, war ein klarer Kopf, um die nächsten Schritte zu planen.

Ihr iPhone lag unbeachtet auf einem der vergoldeten Tischchen in der großen Eingangshalle und schien sich über sie lustig zu machen. Die Isola dei Fiori bot nur eine mangelhafte mobile Abdeckung. Die alte Telefonleitung in der Villa war seit einem Erdbeben defekt, und einen Internetzugang gab es hier ohnehin nicht.

Gut so! dachte Portia trotzig. Ich brauche weder E-Mails noch mein Handy.

Das letzte Telefongespräch hatte ihr Arbeitsleben völlig auf den Kopf gestellt. Davon musste sie sich erst erholen: Mal ehrlich, was hast du uns denn im letzten Monat gebracht, Portia? hatte ihr Redakteur gnadenlos gefragt. Die Preisverleihung ist Wochen her, und deine Roter-Teppich-Interviews sind von gestern. Und das als angeblich investigative Journalistin! Mit siebenundzwanzig ist dein Haltbarkeitsdatum ohnehin so gut wie abgelaufen. Entweder du lieferst in den nächsten vier Wochen eine Hammer-Headline, oder du bist Geschichte.

Wenn sie daran zurückdachte, fühlte sie sich immer noch wie betäubt.

Dabei hatte sie sich mit dem erfolgreich absolvierten Journalismus-Studium ihren großen Traum erfüllt. Einen Job in der Fleet Street zu finden, war schon härter gewesen.

Während sie mit einem Freund für ein paar Wochen quer durch die USA gereist war, hatte sie noch keine Ahnung gehabt, wie ihr Leben einmal aussehen sollte. Und dann verhalf ihr ein zufälliges Gespräch in einem kleinen Café in Los Angeles zu einem vorübergehenden Job bei einem Fernsehsender.

Als der Produzent, der das Café besucht hatte, herausfand, was sie studiert hatte, fragte er Portia, ob sie in der Lage sei, Material für seine Talkshow zu recherchieren.

Portia war intelligent und sah gut aus. Zwei Monate später war sie immer noch bei dem Sender. Dann wurde der TV-Gastgeber auf dem Weg ins Studio in einen Unfall verwickelt. Sie bereitete sich in weniger als einer Stunde auf die Sendung vor und sprang für ihn ein. Das Publikum liebte sie, die Presse überschlug sich mit Lobhudeleien. Fazit: Die attraktive Brünette mit der üppigen Lockenmähne, den wachen dunklen Augen, dem sexy englischen Akzent und einem ausgeprägten Sinn für Humor zog weit mehr Zuschauer an als ihr Vorgänger. Innerhalb eines Jahres war die Show ein Hit.

Und all das durch einen Job, den sie per Zufall bekommen hatte.

Fünf Jahre später hatte Portia mehr Hollywood-Skandale aufgedeckt als jeder ihrer Konkurrenten. Dabei war sie anfangs nicht gerade rücksichtsvoll vorgegangen. Sie witterte lohnende Geschichten auf hundert Kilometer, und ihr Boss puschte sie zunehmend auf die Titelseiten. Zuerst hatte sie es genossen. Doch mit der Zeit erschien ihr das alles nur noch hohl und schal. Sie fühlte sich ausgelaugt und hatte das Feuer verloren, das einst in ihr gebrannt und sie angetrieben hatte. Hollywood war wie ein sich ständig wiederholender Zyklus, in dem nur die Gesichter wechselten, während Storys und Skandale die gleichen blieben.

Und ihr Boss verlangte immer noch reißerische Schlagzeilen, die ihr zunehmend Magenschmerzen bereiteten.

Die Zwickmühle, in der sie akut steckte, war, dass sie zwei Giftpfeile in Form brisanter Storys in ihrem Köcher hatte, aber ihr Gewissen sie daran hinderte, sie abzufeuern. Da war zum einen der ältere, beliebte Schauspieler, der seine Homosexualität bisher weitestgehend hatte geheim halten können. Dann eine großartige Schauspielerin, die seit Jahren unter Depression litt und ständig in Gefahr stand, sich etwas anzutun. Und das, obwohl ihr Humor und ihr strahlendes Lächeln ihre Markenzeichen waren. Beides war nur vorgetäuscht, und Portia wusste auch warum: Ihre Tochter war sehr krank. Und diese arme Frau sollte sie der skandalsüchtigen Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen?

Allein bei der Vorstellung schüttelte sie angewidert den Kopf.

Wenn sie allerdings in den nächsten Wochen keine andere Story auftrieb, konnte sie ihre Karriere vergessen. Aber welche Art von Skandal sollte sie auf der Isola dei Fiori schon finden? Auf einer dünn besiedelten Insel im Mittelmeer mit einem unzureichend ausgebauten Mobilfunknetz?

Portia seufzte. Vielleicht sollte sie sich lieber in das Manuskript für das Buch vertiefen, an dem sie seit drei Jahren arbeitete.

Eine sanfte Meeresbrise wehte durch die Eingangshalle. Die rückwärtigen französischen Terrassentüren standen wohl offen. Platz und Großzügigkeit waren zwei Zauberworte, die sie als Teenager stets mit diesem Ort verbunden hatte.

Portia betrat ihr Lieblingszimmer. Schaute man zur Kuppeldecke hoch, simulierte eine verblasste Symphonie in Blau, Malvenfarben und Rosa einen magischen Sonnenuntergang direkt über den Köpfen der Betrachter. Wenn sie ihre Augen schloss, sah sie die Villa in ihrem früheren Zustand vor sich. Damals hatte sie noch Sofia gehört, der Patin ihrer Schwester Posy. Sofia war ein berühmtes Model und die Geliebte des damaligen Monarchen der Isola dei Fiori gewesen.

Könnte Portia die Uhr zurückdrehen, würde sie wahnsinnig gern Sofia interviewen. Als Kind war ihr alles hier so normal erschienen. Die prachtvolle, einsam gelegene Villa war das Liebesnest zweier schillernder Persönlichkeiten und für sie und ihre Schwestern Feriendomizil und Bühne zugleich gewesen. Denn hier durften sie mit Sofias Erlaubnis deren aufregende Kleider anziehen und die große Treppe als Laufsteg benutzen.

Wenn Portia ihre Augen schloss, sah sie wieder Schauspieler, Rockstars und Models die Räume bevölkern. Heute würde sie ihnen mehr Aufmerksamkeit als früher widmen und ihre Ohren spitzen, um auch ja nichts zu verpassen. Doch leider war die Villa Rosa ziemlich in die Jahre gekommen und nichts an ihr auch nur annähernd so aufregend, prachtvoll und großartig wie früher.

Das blassrosa Mauerwerk bröckelte an vielen Stellen. Die exotischen Blumen und Stauden in den weitläufigen Gartenanlagen drohten vom Unkraut erstickt zu werden. Ein Teil des Daches über der Spülküche auf der rückwärtigen Hausseite war eingestürzt und gerade erst von Mirandas frischgebackenem Ehemann Cleve repariert worden. Auch die antiquierte Elektrik und die altersschwachen Wasserleitungen machten den Aufenthalt hier zu einem Abenteuertrip ganz anderer Art.

Portia fuhr mit der Hand den Riss an der Wand entlang, der sich bis zur Kuppel hinaufzog. Der traurige Zustand der Villa Rosa tat ihr körperlich weh.

Obwohl Posy als Sofias Patentochter die Erbin war, fühlten sich alle Schwestern mitverantwortlich. Sofia hatte sie in ihren Ferien stets wie kleine Erwachsene behandelt. Es gab keine festen Bettzeiten, keine lästigen Regeln. Solange sich die Mädchen respektvoll verhielten und einen zufriedenen Eindruck machten, schien Sofia glücklich zu sein.

So erinnerte sich Portia gern zurück an die faulen Tage mit entspannenden Stunden am privaten Strand und im Felsenpool, der aus einer warmen Quelle gespeist wurde. Und an all den Spaß in einem Farbenrausch aus Satin, Seide und Pailletten.

Portia lehnte sich an die Wand und seufzte abgrundtief. Der hässliche Riss ärgerte sie. Zweifellos würde die Reparatur einen Spezialisten erfordern, wie alles andere hier auch.

Warum fühlt es sich nur so an, als ob die Villa Rosa mein Leben widerspiegelt?

Ein erneuter Seufzer, dann gab Portia sich einen Ruck. Mit Jammern würde sie keinen Schritt vorankommen – weder, was die Villa Rosa betraf, noch in ihrem Leben.

Miranda und Cleve hatten einige Notfallreparaturen am Haus vorgenommen. So gab es wenigstens ein paar bewohnbare Räume. Aber Küche und Bäder waren hoffnungslos veraltet und kaum funktionstüchtig. Und der staubige vollgestopfte Dachboden wahrscheinlich der Traum jedes Antiquitätenhändlers. Aber sie kannte sich zu wenig aus, um ihn zu entrümpeln und damit Geld für dringend benötigte Reparaturen aufzutreiben. Außerdem durfte sie Posy nicht vorgreifen. Vielleicht wollte ihre Schwester die Villa ja auch so schnell wie möglich verkaufen, da ihre Ballettkarriere ihr ohnehin weder Zeit noch Raum ließ, sich um die Villa zu kümmern oder sie selbst zu nutzen.

Alles unsinnige Überlegungen, entschied Portia für sich, atmete tief ein und aus und lächelte schmerzlich. Der schwache Duft von Rosen, Jasmin und Zitrusfrüchten, der mit der sanften Meeresbrise durchs Haus wehte, weckte Heimweh nach der längst verblassten Kindheit. Wie sorglos und glücklich sie damals gewesen waren.

Sie ging zurück in die Küche, holte eine Flasche Roséwein aus dem – zum Glück – funktionierenden Kühlschrank, schnappte sich ein Glas und machte sich auf den Weg in den Wintergarten, der einen fantastischen Blick aufs Meer unter ihr bot. Auch dort erwartete sie ein trauriger Anblick. Einige Scheiben fehlten oder waren gesprungen. Irgendwann hatte Sofia in willkürlichem Streumuster farblich aufeinander abgestimmte Buntglasscheiben einsetzen lassen, weshalb der Wintergarten je nach Lichteinfall wie durch einen Regenbogen oder eine untergehende Sonne erleuchtet wurde. Die Türen am Ende öffneten sich zu einer Terrasse, die direkt in den Garten führte. Von hier aus gelangte man nach einem relativ steilen Abstieg auch zu der geschützten Privatbucht und dem Felsenpool.

Wie damals erschien es Portia noch heute als kleines Stück vom Paradies.

Sie ließ sich in einem alten Schaukelstuhl nieder, der knarrend protestierte. Portia hielt kurz den Atem an, doch da er hielt, wagte sie es und schenkte sich ihr Weinglas ein. Denn legte sie die Füße vorsichtig auf die Balustrade.

Unter ihr funkelte das azurblaue Meer. Kein Schiff zeigte sich am Horizont – ein Panorama, wie für sie gemacht.

Portia schloss für einen Moment die Augen. Es war immer noch etwas Magisches an diesem Ort. Versonnen nippte sie an ihrem Rosé und wünschte sich, sie könnte alles, was sich damals in dieser Villa zugetragen und was sie an Klatsch und Tratsch gehört hatte, aus der Vergangenheit zwanzig Jahre nach vorn in die Zukunft transferieren. Dann müsste sie sich keine Gedanken mehr um ihren Job machen.

Javier leerte die Bierflasche und stellte sie achtlos zur Seite. Er war mit der letzten Abend-Fähre auf die Insel gekommen und hatte, anstatt direkt zum Haus zu fahren, die nächste Bar geentert.

Die Isola dei Fiori war einer der bevorzugten Fluchtpunkte seiner Mutter gewesen. Und die Villa ihrer Freundin Sofia ihre regelmäßige Zuflucht, wenn ihr manisches Verhalten außer Kontrolle zu geraten drohte, sie aufhörte zu essen und sich weigerte, ihre Medikamente einzunehmen. Sein Vater hatte schnell gelernt, dass es in solchen Phasen keinen Sinn machte zu intervenieren. Sofias Nähe hatte ihr Ruhe und Gelassenheit vermittelt.

Obwohl sie in Javiers Augen immer noch wunderschön war, hatte seine Mutter es nicht verkraftet, dass die Jobs mit zunehmendem Alter seltener wurden. Jede Absage schien ihre Sprunghaftigkeit noch zu steigern, sodass sein Vater, ein erfolgreicher Filmproduzent, Mühe hatte, mit ihren Eskapaden mitzuhalten und seine Frau aufzufangen.

Javier war damals zu jung gewesen, um die Hintergründe zu verstehen. Er wusste nur, dass wieder mal ein Besuch bei Tante Sofia anstand, wenn sein Vater den großen Reisekoffer mit dem eingeprägten Monogramm packte.

Sie war nicht wirklich seine Tante, trotzdem hatte er stets auf diese Weise an sie gedacht. Und immer noch hatte er ihre unnachahmliche Grazie und Eleganz vor Augen. Sofia war nicht gegangen, sie schwebte. Sie sprach mit ihm, als wäre er ein Erwachsener, kein Kind, dem man Regeln auferlegte oder das man mit Vorschriften belastete. Stattdessen empfahl sie ihm ausdrücklich, sich zu amüsieren.

Was bei einem aktiven, findigen Jungen vielleicht nicht unbedingt angebracht war.

Geblieben war der unzerstörbare Eindruck, dass die Villa Rosa eine Art Heiligtum darstellte. Eine Oase der Ruhe und des Friedens.

Und beides brauchte Javier dringend. Einen Ort, an dem nicht hinter jeder Ecke Paparazzi lauerten. Wo er in einer Bar einen Drink oder einen Espresso bestellen konnte, ohne dass jemand mit dem Handy in der Hand auftauchte, um ein Selfie mit ihm als Hintergrund zu schießen.

Javier ließ sein Geld auf dem Tresen zurück und griff nach seiner Reisetasche. Mindestens drei Stunden hatte er in der kleinen Bar gesessen, ohne mehr als ein paar Worte zu wechseln. Das hatte gutgetan. Ebenso, wie sich der massive eiserne Schlüssel zur Villa Rosa in seiner Jackentasche gut anfühlte. Irgendwann im Laufe der Jahre hatte Sofia ihn seiner Mutter überlassen.

Es war schon seltsam. Seit Sofias Beerdigung vor ein paar Jahren war niemand von ihnen wieder hier gewesen. Er hatte gehört, dass die Glanzzeit der Villa Rosa vorbei und das gesamte Anwesen ziemlich heruntergekommen sein sollten.

Javier lächelte schmerzlich. Vielleicht konnte er sich irgendwie nützlich machen, während er dort eine Weile durchatmete. Sein Onkel Vinnie, ein respektabler Handwerker, hatte ihn als Teenager unter seine Fittiche genommen und ihm eine Menge beigebracht. Alles, damit er nicht auf die schiefe Bahn geriet.

Mit dreizehn, als einziges Kind einer exaltierten Model-Mutter und einem viel beschäftigten Filmproduzenten als Vater, hatte er zwangsläufig vieles gesehen und gehört, was seinem Alter nicht entsprach. Als Javier anfing, mit der einen oder anderen Droge herumzuexperimentieren, hatte sein Vater ihn über den Sommer nach Italien geschickt und der Fürsorge seines Bruders überlassen. Javier hatte gelernt, wie man Wände verputzte und Fliesen verlegte. Auch das Verarbeiten von Holz und Zuschneiden von Glasscheiben erwies sich als geradezu therapeutisch für einen frustrierten Teenager.

Nicht, dass er bisher eine dieser Fähigkeiten in Hollywood gebraucht hätte.

Javier trat aus der Bar hinaus in die laue Frühlingsluft. Im Hafen herrschte immer noch reger Betrieb. Die Silhouetten der Fischerboote wirkten geradezu malerisch vor dem Lila und Azurblau des sich langsam verdunkelnden Himmels. Wäre er ein Künstler, würde er versucht sein, sich mit Farben, Leinwand und Staffelei genau hier niederzulassen.

Aber Javier Russo war nicht für seine Malerei bekannt und berühmt.

Sein Name prangte auf den Leuchttafeln sämtlicher Hollywood-Kinos. Sein aktueller Film war gerade damit beworben worden, dass man ein fünfzehn Meter hohes Konterfei von ihm direkt an das D des berühmten Schriftzuges in den HOLLYWOOD-Hills gelehnt hatte. Ein Gigantismus, dem er weder gerecht werden konnte noch wollte.

Es schien, als liebte Hollywood italienische Filmstars. Im letzten Jahr galt er zur Genugtuung seines Agenten offiziell als bestverdienender Filmstar der Traumfabrik. Gerade erst hatte er vier direkt aufeinanderfolgende Filme abgedreht und war dafür um die halbe Welt gereist. Zwei Actionfilme, eine romantische Komödie und eine Science-Fiction-Produktion. Dafür hatte er zwischen der arabischen Wüste, der Weite des Indischen Ozeans, der nahe gelegenen Insel Santorini, den kanadischen Rocky Mountains und den Straßen von London hin- und herspringen müssen.

Vielen mochte das aufregend und glamourös erscheinen. Tatsächlich war es eine Strapaze, die einsam machte und ihn von den Menschen, die er liebte, fernhielt. Von der Familie, die er nicht wirklich hatte.

Javier fühlte sich ausgelaugt und zu Tode erschöpft. Auf den Fotos von der Beerdigung eines guten Freundes kam er urlaubsgebräunt mit antrainierten Muskeln rüber. Niemand hätte vermutet, dass er sich innerlich vor Schmerz krümmte und fast unter dem lastenden Schuldgefühl zerbrach, nicht da gewesen zu sein, um zu helfen.

Zum Entsetzen seines Agenten hatte er gleich nach der Beerdigung alle aktuellen Termine des Folgemonats gecancelt. In vier Wochen würde der Zirkus starten, der den Drehs unweigerlich folgte: Publicity in Form von unzähligen Interviews, roten Teppichen und angesagten Talkshows, um die Filme zu bewerben.

Doch bis dahin wollte er sich die dringend benötigte Auszeit gönnen.

Er lächelte, als er die Anhöhe erreichte, auf der die Villa Rosa lag. Der Spaziergang hatte ihm gutgetan und die verkrampfte Muskulatur gelockert, die er dem langen Flug von Los Angeles hierher verdankte. Abrupt blieb er stehen und musterte kritisch die Risse in der blassrosa Fassade. Sie war auf jeden Fall extrem renovierungsbedürftig, allerdings war Javier sich nicht sicher, was das richtige Material betraf. Vielleicht sollte er Onkel Vinnie anrufen und ihn um Rat fragen.

Er stellte seine Tasche ab und zog den Schlüssel aus der Tasche. Nach einem leichten Ruck drehte er sich erfreulicherweise im Schloss. Javier schob die Tür behutsam auf und fragte sich, was ihn erwartete.

Hoffentlich erholsame Ruhe. In erster Linie Ruhe und …

Er stutzte, runzelte die Stirn und schaute um sich. Seltsam, das Haus war nicht so staubig und muffig wie gedacht. Langsam durchquerte er die weitläufige Eingangshalle. Keine Frage, irgendjemand war in letzter Zeit hier gewesen.

Javier schaute in Sofias Lieblingszimmer, dem eigentlichen Mittelpunkt des Hauses. Jemand hatte die Staubüberwürfe von den Möbeln gezogen und in einer Ecke aufgehäuft. Gedankenverloren fuhr mit dem Finger über den bemalten Putz und zuckte zurück, als ein kleines Stück Farbe auf den Boden flockte. Im schwachen Dämmerlicht folgte er mit schmalen Augen den Rissen, die sich bis hinauf zur Kuppeldecke zogen. Derart massive Wandverletzungen zu beheben, erforderte fachliche Kompetenz.

Aufmerksam neigte er den Kopf und blähte die Nasenflügel. Die Luft hier roch frisch. Und er nahm noch einen Hauch von etwas anderem wahr. Selbst das Meeresrauschen von außen klang viel zu nah. Irgendwo mussten Fenster offen stehen.

Javier machte sich auf den Weg zur Rückseite des Hauses. Auch der Wintergarten hatte schon bessere Tage gesehen. Ein paar Glasscheiben fehlten, andere wiesen Sprünge auf. Etwas knirschte unter seinen Füßen. Er beugte sich herab und fand ein kleines Bruchstück aus rotem Glas unter seinem Schuh. Noch während er es betrachtete, hörte er ein leises Hüsteln.

Abrupt richtete er sich auf und schaute durch die offenen Glastüren hinaus auf die Terrasse. Eine Frau …

Wer, um alles in der Welt, mochte das sein? Laut seiner Mutter war dieser Ort seit Sofias Tod verlassen. Nur deshalb hatte die Villa derart verfallen können. Javier fragte sich, wie er mit der mysteriösen Frau auf der Terrasse verfahren sollte.

Ob sie eine Einbrecherin war? Eine Touristin, die das vernachlässigte blassrosa Haus zufällig entdeckt und es sich hier einfach bequem gemacht hatte?

Lautlos trat er näher.

Eine Brünette … in den Zwanzigern. Bekleidet mit etwas Rotem, ziemlich Kurzem. Was immer es auch sein mochte, es musste weit nach oben gerutscht sein, als sie es sich im Schaukelstuhl für ein Schläfchen gemütlich machte. Die schlanken Beine ruhten auf der niedrigen Balustrade … ein Hauch von schwarzer Spitze, am oberen Ende der nackten Schenkel, ließ seinen Mund trocken werden.

Die Fremde seufzte im Schlaf und bewegte sich, da ihre Schlafstätte offenbar nicht so bequem war wie gedacht. Der Schaukelstuhl wiegte sich sacht vor und zurück. Javier pirschte sich lautlos noch ein Stück näher heran. Erst jetzt sah er eine Flasche Wein und ein leeres Glas auf dem Terrassenboden stehen. Ist sie etwa betrunken?

Vielleicht hatte Sofia ja einige Flaschen im Weinkeller zurückgelassen, an denen sich der weibliche Eindringling hemmungslos gütlich tat? Die Vorstellung machte ihn wütend. Er war hierhergekommen, um Ruhe und Frieden zu finden, und jetzt sah er sich gezwungen, die Polizei zu rufen!

Mit zusammengepresstem Kiefer marschierte er weiter, entschlossen, die Angelegenheit schnellstmöglich zu regeln, und hielt überrascht inne, als er nahe genug gekommen war, um die Fremde besser in Augenschein nehmen zu können.

Üppige braune Locken mit hellen Reflexen umrahmten ein schmales, hinreißend attraktives Gesicht. Ob der seidige Schimmer der Sonne oder einem teuren Frisiersalon zu verdanken war, vermochte Javier nicht zu sagen. Das rote Sommerkleid war tatsächlich bis zu den sanft geschwungenen Hüften hochgerutscht und ließ viel … sehr viel goldbraune Haut sehen.

Sie hatte etwas seltsam Vertrautes an sich. Javier zermarterte sich das Hirn, wo er die schöne Fremde schon gesehen haben mochte, kam aber nicht darauf.

Unter seiner Schuhsohle knirschte ein Steinchen, und die Lider der Schläferin hoben sich. Bevor er ein Wort sagen konnte, war sie bereits auf den Beinen und schaute sich mit aufgerissenen Augen nach irgendetwas um, womit sie ihn niederschlagen konnte.

„Scusi, non volevo spaventarti …“ Automatisch fiel er in seine Muttersprache, was allerdings nichts gegen das Weinglas ausrichten konnte, das in seine Richtung flog, knapp seine Schläfe verfehlte und auf den Terrassenfliesen zerbrach.

„Nicht bewegen, Freundchen!“, warnte die streitbare Amazone und schwang jetzt die Weinflasche wie eine Waffe, als er einen Schritt in ihre Richtung machen wollte.

Ihr panischer Seitenblick verriet ihm, dass sie gleichzeitig nach einem Fluchtweg suchte. Plötzlich wurde ihm die Komik der Situation bewusst. Mit einer schnellen Vorwärtsbewegung nahm er ihr die leere Weinflasche ab und lächelte. „Sie wollen doch nicht wirklich über die Brüstung springen und sich unten im Felsenpool das Genick brechen?“, fragte er im Konversationston und hielt den Atem an, als sich ihre Augen schockartig weiteten. Nie zuvor hatte er derart lebendige Augen im tiefsten Schokobraun gesehen, in denen man versinken konnte wie in einem dunklen Strudel und …

Javier riss sich zusammen und schüttelte den Kopf, während Portia ihn stumm anstarrte. Er sah, wie sie um Fassung rang und verblüfft war, weil er so selbstverständlich vom Italienischen ins Englische gewechselt hatte. Außerdem wusste nur jemand, der sich hier gut auskannte, vom Privatstrand mit dem natürlichen Felsenpool, was nahelegte, dass sie beide offenkundig nicht zum ersten Mal in der Villa Rosa weilten.

Dazu kam immer noch diese vage Vertrautheit, die ihn irritierte.

„Sie kennen Neptuns Grotte?“

Dieser Akzent … das war es! Sie hatte sich angehört wie ein Mitglied der britischen Königsfamilie, als sie ihn bedroht hatte. Javier lächelte jetzt noch breiter, stellte die Flasche auf dem Terrassenboden ab und faltete die Arme über die Brust. „Ich war es, der den Namen erfunden hat!“, prahlte er wie ein Teenager. Doch sein Gegenüber schien weniger beeindruckt als stocksauer zu sein. Ihre wundervollen Augen verengten sich.

„Verdammt! Wer sind Sie, und was haben Sie in meinem Haus zu suchen?“

Javier hob die Brauen. „Ihr Haus? Sie sind Sofias Patentochter?“

Portia schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf. „Ja … nein. Ich meine …“

„Was denn nun? Sind Sie’s, oder sind Sie’s nicht?“

Lautloses Zähneknirschen. „Nein. Posy ist Sofias Patentochter und meine Schwester.“ Aufsässig schob sie ihr Kinn vor und maß ihn mit scharfem Blick. „Aber wer sind Sie? Und woher kennen Sie Sofia?“

Je mehr sie sprach, desto größer wurde das Gefühl der Vertrautheit. Ein bedeutender Filmstar konnte sie jedenfalls nicht sein, sonst hätte er sich ganz sicher an sie erinnert. „Sofia war eine enge Freundin meiner Mutter“, erklärte er steif. „In meiner Kinder- und Teenagerzeit waren wir oft hier.“

„Die liegt ganz offensichtlich lange hinter Ihnen.“

„Ich war auf Sofias Beerdigung, aber an Sie kann ich mich nicht erinnern.“ Was ihn wirklich wunderte. Denn sie war nicht einfach nur attraktiv, sondern schön. So schön wie jede der viel gepriesenen und bewunderten Hollywoodgrößen und dabei viel natürlicher als die meisten von ihnen. Kein Botox, keine offensichtliche chirurgische Nachhilfe.

Dass auch sie ihn nicht zu erkennen schien, entlockte Javier ein Lächeln. Aber dann sah er Zweifel und ein plötzliches Aufblitzen in den dunklen Augen.

„Wie heißen Sie?“ Es war keine Frage, sondern kam einem Befehl gleich.

In seinem Innern rührte sich etwas, das er lange nicht mehr verspürt hatte. Ein Hollywoodstar zu sein, bedeutete, sich ständig mit Jasagern und Speichelleckern auseinandersetzen zu müssen. Dem allen zu entfliehen, war Teil seiner Motivation gewesen, sich hierherzuflüchten. Javier atmete tief durch. „Sie verraten mir Ihren Namen und ich Ihnen dann vielleicht meinen.“

Sie zögerte kaum merklich, dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf. Eine Frau, die es offensichtlich gewohnt ist, den Ton anzugeben, schoss es ihm durch den Kopf. „Ich heiße Portia. Portia Marlowe.“ Sie warf die dunklen Locken über die Schultern nach hinten und schaute in Richtung Meer. Dann fuhr sie zu ihm herum. Er wusste, dass sie ihn endlich einordnen konnte. „Und Sie … sind Javier Russo.“

Accidenti! Vorbei war es mit seiner Anonymität. Javier seufzte und trat an die Balustrade. Sie hatte seinen Namen weder bewundernd noch schmeichlerisch ausgesprochen. Anders, als er es gewohnt war.

Der Strand tief unter ihm sah selbst in der zunehmenden Dämmerung einladend aus, auch wenn es mühselig war, ihn von hier aus zu erreichen. Als Kind hatte er nicht eine Sekunde darüber nachgedacht … und jetzt auch nicht. Der Gedanke, was seine Agenten und die Versicherungsagentur der Filmgesellschaft dazu sagen würden, entlockte ihm ein Grinsen. Ständig versuchten alle, ihn in Watte zu packen. Für seinen letzten Action-Film hatte man seine Beine für sage und schreibe zehn Millionen Dollar versichert!

Die Abendsonne war kurz davor, im Meer zu versinken, und sandte orangerote Strahlen über das Wasser, wodurch der Eindruck entstand, als würde der Horizont in Flammen stehen. Kein Wunder, dass Portia Marlowe sich ausgerechnet diesen magischen Platz für ein Nickerchen ausgesucht hatte. Was allerdings nicht erklärte, warum sie überhaupt hier war. Oder, noch wichtiger, wie lange sie zu bleiben gedachte …

Ruhig trat sie zu ihm an die Balustrade. „Javier Russo, italienischer Filmstar, dreißig Jahre alt …“, resümierte sie. „Sie haben gerade einen Science-Fiction-Film in der arabischen Wüste abgedreht und waren im letzten Jahr der bestverdienende Hollywood-Schauspieler.“

Javier spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. „Woher wissen Sie das alles? Und was hatte dieser Blick zu bedeuten, als Sie mein Alter erwähnten?“, konnte er sich nicht verkneifen.

Autor

Scarlet Wilson

Scarlet Wilson hat sich mit dem Schreiben einen Kindheitstraum erfüllt, ihre erste Geschichte schrieb sie, als sie acht Jahre alt war. Ihre Familie erinnert sich noch immer gerne an diese erste Erzählung, die sich um die Hauptfigur Shirley, ein magisches Portemonnaie und eine Mäusearmee drehte – der Name jeder Maus...

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