Die verbotenen Küsse des Playboys

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Playboy Matteo Di Sione liebt das wilde Leben! Da wird er auch die widerspenstige Abby zähmen! Das verlangt ihr Vater von ihm im Tausch gegen eine prachtvolle Smaragdkette, die für Matteo von unschätzbarem Wert ist. Und die eigenwillige Unternehmertochter davon zu überzeugen, ihn auf einen Ball zu begleiten, reizt Matteo besonders! Denn Abby ist nicht nur faszinierend anders, neu für ihn ist auch, dass sein Charme sie kalt lässt. Doch als er sie eines Nachts sinnlich küsst, schenkt sie ihm sogar ihre Unschuld. Aber warum fühlt sich sein Sieg so leer und nichtig an?


  • Erscheinungstag 04.07.2017
  • Bandnummer 0014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708481
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Matteo Di Sione kannte seine Defizite und Unzulänglichkeiten nur zu gut. Sie ihm unter die Nase zu reiben, war überflüssig.

Kein Wunder, dass seine Laune zunehmend sank! Herbeizitiert von seinem Großvater Giovanni, fuhr er mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zur Di Sione Residenz, einem prachtvollen Anwesen an der Gold Coast von Long Island.

Nach dem Unfalltod von Matteos Eltern hatte Giovanni sich der sieben Vollwaisen angenommen, die sein Sohn Benito und dessen Frau Anna zurückließen. Für Matteo, damals gerade fünf, wurde die Residenz sein neues Zuhause.

Inzwischen lebte er in einem Penthouse Apartment mit grandiosem Blick auf Manhattans Skyline. Trotzdem blieb das Haus seines Großvaters der Ort, dem er sich am engsten verbunden fühlte.

Hier traf sich die Familie, mehr oder weniger freiwillig, zu verschiedenen Anlässen. Der eine oder andere schaute auch zwischendurch vorbei. Matteo allerdings fuhr heute keinesfalls freiwillig her. Ihm stand eine weitere Gardinenpredigt bevor.

Die Pressefritzen konnten seinen Niedergang offenbar kaum abwarten. Unentwegt waren sie ihm auf den Fersen. Natürlich auch Samstagnacht in Vegas! Und genauso natürlich traten sie seinen Millionen-Dollar-Verlust am Spieltisch genüsslich in ihren Schmierblättern breit. Dass er ebendiesen Verlust bereits vor dem Morgen doppelt wettgemacht hatte, davon stand natürlich nichts in der Zeitung. Aber das war ihm egal.

Matteo beschäftigte etwas ganz anderes. Als er heute Morgen in Manhattan angekommen und von seinem Jet in die wartende Limousine gewechselt war, hatte er sich wie üblich während der Fahrt über die neuesten Nachrichten informiert.

‚Erinnerungen werden wach!‘

Unter der beziehungsvollen Schlagzeile zeigte ein Bild, wie er im Morgengrauen das Casino verließ. Nach der langen Nacht war es kein Wunder, dass er ein wenig heruntergekommen wirkte: blass, unrasiert, das dunkle Haar wild zerzaust, am Arm eine Blondine. Daneben ein zweites Foto, aufgenommen vor dreißig Jahren, in Matteos Geburtsjahr.

Es zeigte Benito Di Sione, unrasiert und mit dem gleichen nachtschwarzen Haar, das ihm in stechend marineblaue Augen fiel, die sein Sohn von ihm geerbt hatte. An seinem Arm eine aufreizende Blondine, die nicht Matteos Mutter war.

Matteo bezweifelte ernsthaft, dass sein Vater sich am Tag danach auch nur an ihren Namen hatte erinnern können, während er immer wusste, wie seine Geliebten hießen. Am Samstagabend beispielsweise war es Lacey gewesen, ein wirklich heißer Feger …

Der Zeitungsartikel unter den Fotos bestand hauptsächlich in einer Auflistung der Ähnlichkeiten zwischen Vater und jüngstem Sohn. Er beschrieb ihre Risikofreudigkeit, den dekadenten, ausschweifenden Lebensstil und endete mit der Warnung, dass Matteo möglicherweise ein ähnlich tragisches Schicksal drohe: tot in seinem Sportwagen, um einen Laternenpfahl gewickelt, mit seiner sterbenden Gattin neben sich.

Nein, Matteo war absolut nicht scharf auf die bevorstehende Begegnung mit seinem Großvater. Er wusste genau, was er sich würde anhören müssen.

Während er in die lange Auffahrt einbog, war er blind für die Schönheiten des luxuriösen Anwesens. Mit grimmiger Miene parkte er den Wagen auf dem Kiesrondell, stieg aus, marschierte hocherhobenen Hauptes in Richtung Haus und fragte sich, wie der Empfang wohl aussehen würde.

Wenn er sonst herkam, dann meist, um seinen Großvater abzuholen und mit Giovanni zum Lunch in dessen Club zu fahren.

„Ich bin’s, Matteo!“, rief er beim Betreten der großzügigen Eingangshalle und lächelte, als er Almas vertraute Gestalt erblickte.

„Master Matteo!“, rief die ältliche Haushälterin sichtlich erleichtert aus.

„Wo ist er?“, erkundigte Matteo sich.

„In seinem Arbeitszimmer. Soll ich Signor Giovanni sagen, dass Sie hier sind?“

„Nicht nötig, ich gehe gleich zu ihm. Ich glaube, er erwartet mich.“ Matteo rollte vielsagend mit den Augen und erntete ein kleines Lächeln von Alma.

„Wie geht es ihm?“, fragte Matteo, wie er es immer tat, wenn er herkam.

„Er möchte selbst mit Ihnen reden“, kam es etwas steif zurück.

Seufzend machte er sich auf den Weg und stoppte vor der schweren Mahagonitür, hinter der das Arbeitszimmer seines Großvaters lag. Er klopfte und trat ein, nachdem er dazu aufgefordert wurde.

„Hey …“, begrüßte er seinen Großvater betont munter, sah dabei aber nicht ihn, sondern die Zeitung auf Giovannis Schreibtisch an. „Ich hab’s schon gelesen. Und wenn ich irgendetwas gar nicht brauchen kann, dann eine Strafpredigt“, trat er die Flucht nach vorn an.

„Wann hat mich eine an dich gerichtete Strafpredigt auch nur einen Schritt weitergebracht, Matteo?“, erwiderte der alte Mann ruhig. „Oder dich?“

Seine Stimme klang matter als gewohnt, und Matteo runzelte die Stirn. Giovanni war erschreckend blass und wirkte gebrechlich. Die sonst so strahlend blauen Augen hatten einen trüben Schimmer.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, und auf einmal hätte er überhaupt nichts mehr gegen eine Gardinenpredigt gehabt. Im Gegenteil, sollte sein Großvater ihm ruhig gehörig den Kopf waschen. Alles erschien ihm besser als das, was möglicherweise kommen würde.

„Ich habe dich hergebeten, um dir zu sagen …“

Matteo wollte es nicht hören. Als Meister der Ausreden und Ablenkung griff er rasch nach der Zeitung und schlug sie geräuschvoll auf. „Bei allen angeblichen Ähnlichkeiten haben sie einen entscheidenden Punkt übersehen“, führte er aus. „Er hatte Verantwortung zu tragen, ich nicht.“

„Ich weiß, die hatte er bei Gott“, bestätigte Giovanni müde. „Aber du auch, Matteo. Und zwar in erster Linie dir selbst gegenüber. Du scheinst ständig auf der Suche nach Ärger und neuen Problemen zu sein. Die Gesellschaft, in der du dich bewegst, die Risiken, die du eingehst …“

„Betreffen nur mich allein“, unterbrach Matteo ihn. „Mein Vater war verheiratet und hatte sieben Kinder, als er starb“, argumentierte er hitzig und tippte mit dem Finger auf das Foto. „Zumindest sieben, zu denen er stand.“

„Matteo …“ Die Unterredung mit seinem Enkel lief nicht so, wie Giovanni sie geplant hatte. „Setz dich.“

„Nein!“ Matteos Wut richtete sich nicht gegen seinen Großvater, sondern den Rest der Welt, und hauptsächlich gegen die ewigen Vergleiche mit seinem toten Vater. „Dass vergessen sie nämlich immer zu erwähnen … Ich schicke niemanden in die Hölle, durch die wir alle seinetwegen gehen mussten!“

Diese Entscheidung hatte er schon vor Jahren für sich getroffen. Er war nicht ohne Grund Single, und so sollte es auch bleiben.

Sorgenvoll betrachtete Giovanni seinen Enkel. Lebenshungrig und charismatisch wie sein Vater, verhielt er sich nicht nur oft wie Benito, sondern glich ihm auch noch äußerlich bis aufs Haar.

Aus ganz privaten Gründen hatte Giovanni nie eine enge Bindung zu seinem Sohn aufbauen können. Gesprochen hatte er darüber mit niemandem. Es war ein Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen würde.

Nach Benitos und Annas Tod konnte er den kleinen Matteo, diese frappierende Kopie seines Vaters, kaum in seiner Nähe ertragen. Als sich dann noch herausstellte, dass der Junge die Fehler seines Vaters wiederholte, anstatt aus ihnen zu lernen, zog Giovanni sich von seinem Enkel zurück.

So wuchs Matteo wild und ungezähmt auf. Niemand nahm sich seiner an oder versuchte zumindest, seine ungestüme Persönlichkeit in geordnete Bahnen zu lenken. Nachdem er gleich zu Beginn des zweiten Jahres vom College flog, schien sein Weg vorgezeichnet zu sein. Matteo verkündete großspurig, Schule und Studium würden ihm nichts bringen, da ‚Geld zu machen‘ quasi in seiner DNA verankert sei. Er wolle lieber auf dem Aktienmarkt und an der Börse sein Glück versuchen, statt Schul- oder Unibänke zu drücken.

Und Giovanni hatte sich wieder einmal bemüßigt gefühlt, ihm vorzuhalten, er sei wie sein Vater, und dass er ernsthaft fürchte, Matteo würde enden wie er.

Vorwürfe und Anschuldigungen, die Matteo sich nicht länger anhören wollte, schon gar nicht von seinem Großvater.

Es sei ohnehin zu spät, um ihm noch Vernunft beizubringen, hatte Giovanni ihm ins Gesicht geschrien.

„Als ob du das je versucht hättest!“ Es war das einzige Mal gewesen, dass er seinem Großvater einen Einblick in den Schmerz gewährte, der schon sein Leben lang in ihm wütete. „Du hast mich in diesem Haus wohnen lassen, mich ansonsten aber tunlichst ignoriert. Also tu jetzt nicht so, als würde dir etwas an mir liegen.“

Harsche Worte auf beiden Seiten, die ihr Verhältnis bis heute belasteten.

„Setz dich, Matteo.“

Doch dafür war er viel zu beunruhigt von Giovannis offensichtlicher Gebrechlichkeit. Nervös tigerte er zum Fenster und starrte hinaus in die grüne Weite, die einmal sein Spielplatz gewesen war. Seine Großmutter hatte er nie kennengelernt. Sie war vor seiner Geburt gestorben. Daher hatte seine Schwester Allegra ihre beiden jüngeren Schwestern großgezogen, während seine drei großen Brüder ein Internat besuchten.

Matteo blieb sich selbst überlassen.

„Erinnerst du dich an die Zeit vor dem Tod deiner Eltern, als ihr mich alle zusammen besucht habt?“

„Ich denke nie an früher.“

„Du warst natürlich noch sehr jung. Aber vielleicht kannst du dich erinnern …“

Und ob ich das kann!

Plötzlich erstanden vor Matteos innerem Auge Bilder von wütenden Menschen, lautstarken Auseinandersetzungen und verängstigten Kindern, inklusive er selbst. Mit peinigender Klarheit sah er wieder die ständigen Kämpfe vor sich, und die unsichere familiäre Existenz. Entweder sie lebten in Saus und Braus oder sie standen mit einem Bein auf der Straße. Erst viel später verstand er, dass exzessiver Drogenmissbrauch eines der Hauptprobleme in seiner Chaosfamilie gewesen war.

„Damals erzählte ich euch die Geschichte von meinen ‚Verlorenen Geliebten‘.“

Giovannis unverständliche Andeutungen zerrten an seinen Nerven. Matteo blickte zum See hinunter und auf einen Baum am Ufer, der so hoch war, dass sich sein Magen bei der Erinnerung an den Tag zusammenzog, als er ihn erklommen hatte und heruntergefallen war. Glücklicherweise hatte ein starker Ast seinen Sturz abgebremst. Sonst hätte er ihn wahrscheinlich nicht überlebt.

Niemand hatte es beobachtet, und Matteo behielt es für sich.

Aber der Sturz vom Baum war nicht seine schlimmste Erinnerung. Eine andere, die ihm bis heute kalten Schweiß auf die Stirn trieb, würde er nie mit jemandem teilen können. Die an jene grauenhafte Autofahrt, als er seinen Vater angefleht hatte, langsamer zu fahren und ihn bitte heil nach Hause zu bringen.

Seit jenem Tag hatte er nie wieder offen Angst gezeigt. Es half ohnehin nichts. Wenn überhaupt, stachelte es andere nur an.

„Denk noch einmal nach“, forderte Giovanni hartnäckig. „Die ‚Verlorenen Geliebten‘. So nannte ich sie in Erinnerung an eine andere Liebe, die …“ Seine Stimme brach ab.

„Keine Ahnung.“ Genervt schüttelte Matteo den Kopf.

„Dann helfe ich dir auf die Sprünge.“ Der innere Drang, etwas Wichtiges ins Reine zu bringen, solange er dazu noch in der Lage war, trieb den alten Mann an.

Bitte nicht! dachte Matteo, schwieg aber und ließ seinen Großvater reden.

„Frag mich nicht, wie ich zu ihnen gekommen bin. Ein alter Mann darf seine Geheimnisse für sich behalten …“

Matteo verzog keine Miene, während Giovanni im Geiste in die Vergangenheit eintauchte. „Als ich damals nach Amerika auswanderte, besaß ich nur Plunder – und meine besonderen Schätze. Sie bedeuteten mir mehr, als du dir je wirst vorstellen können. Doch um zu überleben, musste ich sie verkaufen …“ Er brach ab und suchte nach einer Regung in Matteos blassem, angespanntem Gesicht. „Erinnerst du dich jetzt?“

„Nein.“ Langsam hatte Matteo genug von den kryptischen Andeutungen. Er sah keinen Sinn darin, in die Vergangenheit abzutauchen, und heute schon gar nicht. „Wollen wir nicht hier raus?“, schlug er vor. „Wir könnten in deinen Club fahren …“

„Matteo!“ Trotz ihres belasteten Verhältnisses liebte Giovanni seinen Enkel. Ihm war klar, dass er das Thema wechseln wollte, aber das brachte sie nicht weiter. „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“

„Komm, lass uns fahren. Wir können doch auch unterwegs reden.“ Matteo hatte das absurde Gefühl, als würde sich eine Schlinge um seinen Hals legen.

„Ich werde sterben.“ Giovanni beobachtete die Reaktion seines Enkels, doch der ließ sich seine wahren Gefühle – wie immer – nicht anmerken.

„Das werden wir alle … irgendwann“, gab er in leichtem Ton zurück, während sein Herz wie ein Vorschlaghammer klopfte und sein Verstand sich weigerte, die niederschmetternde Nachricht zu akzeptieren. Der Gedanke, dass sein Großvater tatsächlich sterben könnte und die Familie sich an seinem Grab wiedersehen würde, verursachte ihm Übelkeit. Bis heute verfolgten ihn die Pressefotos von der Beerdigung seiner Eltern, von der Begräbnisprozession und von den sieben Kindern, die den Särgen ihrer Eltern gefolgt waren.

Nonno darf nicht sterben!

„Die Leukämie ist zurück“, sagte Giovanni ruhig.

„Was ist denn mit der Behandlung, die du damals bekommen hast?“ Vor siebzehn Jahren hatte ihn nur eine Knochenmarkspende retten können. Alle Enkel wurden getestet, doch niemand kam als Spender infrage. Schließlich hatte sein ältester Bruder Alessandro gestanden, dass er von einem Fehltritt seines Vaters wisse. Von einem weiteren Sohn. Zum Glück war es ihnen damals gelungen, ihn aufzuspüren. „Könnte Nate nicht noch einmal …“

„Eine Transplantation steht in meinem jetzigen Zustand nicht zur Disposition“, unterbrach ihn Giovanni. „Die Ärzte hoffen auf eine Remission. Wenn sie nicht eintritt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. In Wahrheit bestenfalls ein Jahr.“

„Verdammt! Du weißt doch, wie ich Wahrheiten hasse“, brummte Matteo.

Sein Großvater lächelte. „Ja, ich weiß.“

Tatsächlich schien Matteo ständig davor zu fliehen: in Casinos, Clubs, waghalsige Eskapaden. Immer bereit, seinem Körper und den Hedgefonds, mit denen er ein Vermögen gemacht hatte, alles abzuverlangen.

Nichts wünschte Giovanni in diesem Moment mehr, als die verletzenden und zerstörerischen Worte gegen Matteo auslöschen zu können, weil er lange nicht zwischen Vater und Sohn hatte unterscheiden können. Bei aller Ähnlichkeit gab es doch gravierende Unterschiede. Als es mit Giovannis Gesundheit bergab gegangen war und seine Leistungskraft nachgelassen hatte, war es Matteo gewesen, der regelmäßig vorbeigekommen war und ihn dazu gebracht hatte, trotz aller Einschränkungen wieder am Leben teilzunehmen. „Ich möchte, dass du etwas für mich tust. Etwas, das mir sehr wichtig ist und das unbedingt erledigt werden muss, damit ich meinem Ende getrost entgegensehen kann.“

Matteo holte tief Luft und wappnete sich innerlich. Jetzt kam die Moralpredigt!

„Ich möchte, dass du mir einen meiner vermissten Schätze wiederbringst.“

Verblüfft wandte Matteo sich um und starrte seinen Großvater an, als habe der den Verstand verloren. „Wovon, um alles in der Welt, redest du da?“

„Von meinen verlorenen Kostbarkeiten!“ Langsam verlor Giovanni die Geduld mit seinem begriffsstutzigen Enkel. Mit steifen Schritten ging er zum Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm ein Bild heraus.

Verblüfft sah Matteo, wie sich das Gesicht seines Großvaters beim Betrachten des Fotos erhellte und die trüben blauen Augen vor Aufregung glänzten. Giovannis Hand zitterte, als er seinem Enkel das Bild aushändigte. „Diese Halskette ist eine meiner ‚Verlorenen Geliebten‘.“

Misstrauisch begutachtete Matteo das abgebildete Schmuckstück: Eine ungewöhnliche, prachtvolle Smaragdkette, schlicht gearbeitet, aber zweifellos kostbar. „Weißgold?“

Sein Großvater schüttelte den Kopf. „Platin.“

Matteo schaute noch einmal genauer hin. Allein die funkelnden Smaragde, in der Größe von Rotkehlcheneiern, mussten ein Vermögen wert sein. Selbst auf dem Foto wirkten sie so plastisch, dass er das Bedürfnis verspürte, sie zu berühren. „Wir dachten immer, es wären vielleicht alte Münzen …“, murmelte er selbstvergessen.

„Also erinnerst du dich doch!“, triumphierte Giovanni.

„Nur daran, dass du uns dieses Märchen immer wieder erzählt hast.“ Er nahm die Halskette genauer unter die Lupe und stieß einen leisen Pfiff aus. „Die ist doch locker …“ Normalerweise konnte er derartige Dinge gut einschätzen, diesmal war er unsicher. „Millionen?“

„Fast.“

„Wer ist der Designer? Beziehungsweise der Juwelier …“

„Unbekannt“, unterbrach Giovanni ihn so brüsk, dass Matteo irritiert die Brauen zusammenschob. Bei einem derartig außergewöhnlichen Schmuckstück hätte er eine ganz besondere Geschichte vermutet.

„Dann hat diese Kette also mit deinen Anfängen hier zu tun?“ Langsam sah er klarer. Zur Überraschung aller war es Giovanni Di Sione damals gelungen, quasi aus dem Nichts ein Reederei-Imperium aufzubauen. Wenn er für das nötige Grundkapital derart exquisite Stücke veräußert hatte, war es kein Wunder, dass sein Unternehmen so rasant gewachsen war. Blieb die Frage: Wie kam ein junger sizilianischer Auswanderer in den Besitz so kostbarer Schmuckstücke?

Die Erklärungen seines Großvaters klangen ausweichend und verschwommen, so sehr Matteo auch drängte und nachhakte.

„Ich möchte, dass du die Kette findest und sie mir zurückbringst“, beendete Giovanni das unergiebige Frage- und Antwortspiel. „Ich habe sie vor sechzig Jahren an einen Mann namens Roche verkauft. Danach verliert sich ihre Spur.“

Wie sehr dieses Thema ihn bewegte, war nicht zu übersehen. Und Matteo konnte seine Neugier nicht bezwingen. „Und wie bist du zu ihr gekommen?“, versuchte er noch einmal sein Glück.

In Giovannis Mundwinkel stahl sich ein feines Lächeln. „Wie gesagt, ein alter Mann darf seine Geheimnisse …“

„Schon gut.“ Matteo erwiderte das Lächeln. Jetzt ergab dieses fast vergessene Märchen wenigstens mehr Sinn.

„Ich muss diese Kette wiederhaben!“

Beim Blick in die bittenden Augen seines Großvaters wünschte Matteo, über seinen Schatten springen und Giovanni sagen zu können, wie viel er ihm bedeutete. Und ihm außerdem zu sagen, dass er absolut nachvollziehen konnte, wie hart die Anfangsjahre für ihn gewesen sein mussten. Besonders, als er zu allem anderen auch noch die Obhut für sieben verwaiste Enkel hatte übernehmen müssen.

Doch mehr als ein Lächeln brachte Matteo nicht zustande, also nickte er nur.

1. KAPITEL

Matteo mochte Ellison nicht.

Mit stoischer Miene ließ er seinen Blick über die Jagdtrophäen wandern, die alle vier Wände des Arbeitszimmers zierten, bevor er sich wieder dem Mann hinter dem massigen Mahagonischreibtisch zuwandte.

„Sehe ich aus, als würde ich Geld brauchen?“, schnarrte Ellison.

Mit einem lässigen Schulterzucken überspielte Matteo, wie sehr ihn die Reaktion auf sein großzügiges Angebot überraschte. Bisher war es ihm weder gelungen, den Designer der außergewöhnlichen Halskette aufzuspüren, noch den Juwelier, der sie verkauft hatte. Dafür hatte er herausgefunden, dass Roche die Kette vor mehr als zwanzig Jahren an Ellison veräußert hatte.

Er war dem Mann auf verschiedenen Fundraising-Galas begegnet und wusste daher, dass Ellison verrückt nach Macht und Geld war. Darum sollte ihm ein besonders raffinierter Schachzug die Halskette sichern: eine mehr als üppige Spende, um Ellisons politische Ambitionen zu unterstützen.

Gezündet hatte seine grandiose Idee bisher leider noch nicht.

„Die Kette war ein Geschenk für meine verstorbene Frau …“

Dank entsprechender Hintergrundinformationen wusste Matteo, dass Ellison nicht der untröstliche Witwer war, für den er sich ausgab. Trotzdem spielte er das Spiel mit. „Das tut mir sehr leid“, sagte er ruhig und stand auf. „Es war taktlos von mir, überhaupt danach zu fragen. Trotzdem, vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben“, schloss er mit einem höflichen Lächeln und streckte die Hand aus.

Ellison ignorierte sie, und Matteo wusste, dass seine Chancen, das Haus mit der Halskette zu verlassen, drastisch stiegen. Es war nur eine Frage der Zeit.

„Allerdings empfinde es ich als wahre Schande, ein so wundervolles Schmuckstück unter Verschluss zu halten“, formulierte Ellison bedächtig. „Setzen Sie sich, Sohn.“

Er hasste es, so genannt zu werden – egal, wie alt sein Gegenüber sein mochte.

Es war nicht mehr als ein Machtspielchen, ein Kräftemessen. Eine Chance, Oberhand zu gewinnen. Aber da Matteo diese momentan innehatte, machte er gute Miene zum bösen Spiel und nahm wieder Platz. Wenn du wüsstest, wie wenig ich dich mag, dachte er und sah grimmig zu, wie Ellison zwei Drinks mixte.

„Wie kommt es, dass Sie sich ausgerechnet für diese Halskette interessieren?“

„Ich habe ein Faible für wahre Schönheit“, behauptete Matteo geschmeidig und erntete dafür ein süffisantes Lächeln.

„Genau wie ich.“ Natürlich wusste Ellison, wer sein Gast war. Jeder kannte die Di Siones. Und ebenso gut kannte jeder Matteos geradezu legendären Ruf als Womanizer. Oh ja, Matteo Di Sione hatte wahrhaftig einen ausgeprägten Sinn für Schönheit.

„Sind Sie und die Prinzessin nicht …“

„Ich habe keine Beziehung“, unterbrach Matteo ihn kühl, und Ellison lachte.

„Gut zu hören.“ Es hätte nur noch gefehlt, dass Ellison sich die Hände rieb. „Wie weit sind Sie bereit zu gehen? Mit Ihrem Angebot, meine ich.“

„Wie viel wollen Sie denn haben?“

„Nicht wie viel, sondern wie weit ist die Frage, Sohn“, korrigierte Ellison ihn, und Matteo wäre fast erneut aufgestanden, um zu gehen „Ich glaube nämlich, Sie lieben nicht nur die Schönheit, sondern auch Herausforderungen.“

„Wohl wahr.“

„Und wenn es stimmt, was ich über Sie gelesen habe, lassen Sie sich auch nicht von extrem hohen Einsätzen schrecken.“

„Nein.“ Im Gegenteil, je höher und riskanter, umso besser. Aber das musste er ja nicht laut sagen.

„Kommen Sie her“, forderte Ellison. „Und sehen Sie sich das an.“ Kurz darauf standen beide Männer vor einem Foto von Ellison, seiner Frau und ihren zwei Töchtern. „Dieses Bild ist vor zwölf Jahren bei einer unserer Charity-Galas aufgenommen worden.“

„Ihre Gattin war eine sehr schöne Frau.“ Und steinreich, fügte Matteo in Gedanken hinzu. Ein Großteil von Ellisons Vermögen stammte aus der Familienschatulle seiner Frau.

„Anette war außerdem eine starke Persönlichkeit mit unnachahmlicher Contenance. Am Tag, bevor dieses Foto aufgenommen wurde, hatten wir einen furchtbaren Streit. Sie war dahintergekommen, dass ich mit meiner Assistentin schlief. Und doch ist ihr auf diesem Bild absolut nichts anzumerken, oder?“

„Nein.“ Gedankenvoll betrachtete Matteo die attraktive Frau, die neben ihrem Gatten stand und zu ihm hochlächelte. „Absolut nicht.“ Ellisons Enthüllung schockiert ihn keineswegs, er fühlte sich einfach nur abgestoßen und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Töchtern zu.

Zwei makellose Produkte einer typischen Vorzeigefamilie der oberen Zehntausend.

Eine gekleidet in dezentem Steingrau, die andere in Beige, beide mit exquisiten Perlenketten um den schlanken Hals. Eine trug ihr Haar hochgesteckt, die andere …

Matteos Mundwinkel hoben sich, als er die jüngere der beiden genauer unter die Lupe nahm. Das dunkle wellige Haar wirkte trotz des violetten Satinbands ungezähmt. Die Augen funkelten ärgerlich. Ihr Lächeln war gezwungen. Und die Hand des Vaters auf ihrer Schulter ähnelte keiner vertraulichen Geste der Zuneigung, sondern sah aus, als wolle er seine Tochter daran hindern, der gestellten Szene zu entfliehen.

„Das ist Abby.“ Ellisons abgrundtiefer Seufzer ließ Matteo vermuten, dass er nicht gerade vor Stolz auf seine jüngste Tochter platzte, sondern sie eher als Nagel zu seinem Sarg betrachtete. „Schauen Sie sich das an“, forderte er Matteo auf und wies auf ein anderes gerahmtes Foto. „Das ist etwa …“ Er runzelte die Stirn. „Da war Abby ungefähr fünf, dann muss es zweiundzwanzig Jahre her sein.“

Abbys Augen waren rot. Nein, eigentlich eher strahlend smaragdgrün, entschied Matteo bei näherer Betrachtung. Aber ganz offensichtlich hatte sie geweint.

„Die einzige Chance, sie in einem Kleid zu fotografieren, war, ihr ein Spielzeugauto in die Hand zu drücken. Schon damals war sie von Autos geradezu besessen.“

Matteo hatte keine Ahnung, wohin das führen sollte, ließ Ellison aber weiterplappern, da er früh gelernt hatte, dass umfassende Informationen die solideste Basis für zukünftige Erfolge waren. Aus den Augenwinkeln betrachtete er dabei die Halskette, die Anette auf dem Familienporträt trug. Es war das spektakuläre Schmuckstück, nach dem sein Großvater sich nahezu verzehrte.

„Abby war völlig aufgelöst, weil wir an dem Tag ihre Nanny entlassen haben. Beide Mädchen hingen wie die Kletten an ihr, aber meine Frau hatte sich trotzdem durchgesetzt.“

Ah, langsam dämmert es mir! Matteo hatte Mühe, seinen Ekel zu verbergen, angesichts der Erkenntnis, dass offenbar nicht nur Ellisons kleine Töchter sich zu der Nanny hingezogen gefühlt hatten.

„Und dies ist das letzte Foto von meiner Tochter in einem Kleid.“ Mit resignierter Geste wies Ellison auf ein weiteres Bild. Es zeigte Abby auf einem roten Teppich, an ihrer Seite ein attraktiver blonder Hüne.

Der Mann kam Matteo irgendwie bekannt vor.

„Hunter Coleman“, sagte Ellison und Matteo nickte, weil er ihn jetzt einordnen konnte. Hunter war ein berühmter Rennfahrer, und seine Reputation, was den Umgang mit Frauen anging, stand der von Matteo in nichts nach.

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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