Die Westmorelands - Romane 19-24

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MAGIE EINER GEWITTERNACHT

In einer aufregenden Gewitternacht wird es Derringer klar: Die sinnliche Fremde in seinem Bett, die ihren Namen nicht verrät, ist die Richtige. Am nächsten Morgen keine Spur von ihr - bis auf ihren Spitzenslip. Derringer muss sie finden!

AUF MEINEN LIPPEN BRENNT NOCH DEIN KUSS

Jason Westmorelands Stimme jagt Bella wohlige Schauer über die Haut. Seit dem heißen Kuss kann Bella nur noch daran denken, wie sie sämtliche Spielarten der Lust mit ihm entdeckt. Da macht er ihr einen Antrag! Doch Jason will eine Vernunftehe …

HEIßE SEHNSUCHT - KALTE LÜGEN

Als Kalina den Ballsaal betritt, stockt Micah der Atem: Diese erotische Frau war seine Geliebte - bis sie ihn wegen der infamen Lügen ihres Vaters über Micah verließ. Jetzt will Micah Kalina und vor allem ihr Vertrauen wiedergewinnen …

NUR EIN MANN FÜR GEWISSE STUNDEN?

Privatdetektiv Rico soll Megans Familiengeheimnis lüften. Doch da ist diese unwiderstehliche Chemie zwischen ihnen! Gegen jede Vernunft gibt sich Megan dem überzeugten Junggesellen hin …

EINE HEIßE AFFÄRE - MEHR NICHT?

Beim Anblick von Alphas sinnlichen Kurven kann Riley Westmoreland nur noch an heißen Sex denken! Dass sie seine Millionen nicht beeindrucken, fordert ihn erst recht heraus. Doch aus einer kurzen Affäre wird mehr ...

UND PLÖTZLICH SPRICHST DU VON LIEBE?

Niemals wird sie noch einmal auf seinen überwältigenden Charme hereinfallen! Die bezaubernde Channing weiß, dass Zane alle Register seiner Verführungskunst zieht, um sie wieder in sein Bett zu bekommen. Diesmal spricht er sogar von Liebe ...


  • Erscheinungstag 13.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733772819
  • Seitenanzahl 880
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Brenda Jackson

Die Westmorelands 19-24

IMPRESSUM

MAGIE EINER GEWITTERNACHT erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2011 by Brenda Streater Jackson
Originaltitel: „A Wife for a Westmoreland“
erschienen bei: Harlequin Books Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1705 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Heike Warth

Abbildungen: David De Lossy/Thinkstock

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733743208

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Lucia Conyers klopfte das Herz bis zum Hals, während sie viel zu schnell in die Kurve fuhr. Als sie gehört hatte, dass Derringer Westmoreland von seinem Pferd abgeworfen worden war und sich dabei verletzt hatte, war sie vor Sorge außer sich geraten.

Zwar nahm Derringer sie meistens gar nicht wahr und ignorierte sie, wo er nur konnte, aber das war im Moment zweitrangig. In Denver genoss er den Ruf eines Frauenhelden, wobei die Frauen, mit denen er normalerweise zusammen war, in Lucias Augen nur schwerlich als Damen bezeichnet werden konnten. Derringer war jedenfalls als Herzensbrecher berüchtigt, und wenn man irgendeinen Mann als sexy bezeichnen konnte, dann ihn.

Aber Lucia liebte ihn, auch wenn sie darüber nicht sonderlich glücklich war. In schöner Regelmäßigkeit versuchte sie, sich ihn aus dem Kopf zu schlagen, jedoch ohne Erfolg.

Nicht einmal die vier Jahre auf dem College in Florida hatten an ihren Gefühlen für ihn etwas ändern können. Kaum war sie wieder in Denver gewesen und ihm im Farbengeschäft ihres Vaters begegnet, wäre sie, überwältigt von ihren Gefühlen, beinah ohnmächtig geworden.

Zu ihrer Überraschung hatte Derringer sich noch an sie erinnert und sich erkundigt, wie es ihr auf dem College ergangen sei. Allerdings hatte er sich weder mit ihr verabredet, noch hatte er sie um der alten Zeiten willen zu einem Drink eingeladen. Stattdessen hatte er ohne ein weiteres Wort seine Einkaufstüte genommen und war gegangen.

Ihre Gefühle für ihn reichten bis in die Schulzeit zurück, als sie zusammen mit seiner Schwester Megan an einem Projekt gearbeitet hatte. Nie würde sie vergessen, wie er Megan aus der Schule abgeholt und sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er war ihr als so attraktiv erschienen, dass sie beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Sie hatte das Gefühl gehabt, sterben zu müssen, und zugleich hatte sie sich im siebten Himmel geglaubt, als er sie angelächelt hatte. Grübchen, wie er sie hatte, gehörten verboten, fand sie, vor allem bei einem Mann. Sie hatte sich vom ersten Augenblick an unsterblich in ihn verliebt, und daran hatte sich nie etwas geändert. Das war ein paar Monate nach ihrem sechzehnten Geburtstag gewesen. Jetzt war sie neunundzwanzig und bekam immer noch eine Gänsehaut, wenn sie an die erste Begegnung mit ihm dachte.

In der Zwischenzeit hatte ihre beste Freundin Chloe Derringers Bruder Ramsey geheiratet, und sie sah Derringer öfter, aber an ihrem Verhältnis hatte das nichts geändert. Er war immer nett zu ihr, war aber an ihr als Frau nicht interessiert, das wusste sie.

Warum vergaß sie ihn nicht endlich und konzentrierte sich auf andere Dinge? Und vor allem: Warum setzte sie ihr Leben aufs Spiel, während sie wie eine Verrückte über die Straßen jagte, um sich davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging? Zuerst war sie ins Krankenhaus gerast, nur um dort zu erfahren, dass er bereits entlassen worden war.

Wahrscheinlich würde er sich wundern, dass ausgerechnet sie ihm einen Krankenbesuch zu Hause abstattete. Und es würde sie auch nicht überraschen, wenn sie bei ihm eine Frau vorfand, die ihr zuvorgekommen war und ihn bereits hingebungsvoll pflegte. Aber das alles war im Moment zweitrangig. Wichtig war nur, sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Nicht einmal das heraufziehende Gewitter konnte Lucia von diesem Besuch abhalten, obwohl sie Gewitter hasste.

Ihr war klar, dass sie sich dumm und unreif verhielt, aber darüber konnte sie später noch nachdenken.

Derringer wachte von einem gewaltigen Donnerschlag auf. Im selben Augenblick fuhr ein scharfer Schmerz durch seinen Körper und erinnerte ihn daran, dass er seine Medikamente nehmen musste.

Mühsam rappelte er sich auf und griff nach den Tabletten, die seine Schwester Megan fürsorglich auf dem Nachttischchen bereitgelegt hatte. Zwar hatte sie gesagt, er solle die nächste Dosis erst um sechs Uhr einnehmen – und bis dahin waren es noch zwei Stunden –, aber er brauchte jetzt etwas gegen die Schmerzen. Der ganze Körper tat ihm weh, und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er gespalten.

Nicht einmal drei Minuten hatte er im Sattel gesessen, als der übellaunige Gaul ihn abgeworfen hatte. Der Sturz hatte ihm nicht nur mehrere gebrochene Rippen eingebracht, die bei jedem Atemzug wehtaten, sondern ihn auch tief in seinem Stolz verletzt.

Vorsichtig legte er sich wieder hin und wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen.

Derringer’s Dungeon.

Lucia nahm den Fuß vom Gas, als sie das riesige Holzschild erreichte. Normalerweise hätten die fantasiereichen Namen, mit denen die Westmorelands ihre Ländereien bedachten, sie amüsiert. Sie war bereits an Jason’s Place, Zane’s Hideout, Canyon’s Bluff, Stern’s Stronghold, Riley’s Station und Ramsey’s Web vorbeigekommen. Wenn ein Mitglied der Familie fünfundzwanzig Jahre alt wurde, erbte es ein einhundert Morgen großes Stück Land. Das war auch der Grund, warum die Westmorelands so nahe beieinanderlebten.

Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. Vielleicht ist es doch ein Fehler gewesen hierherzukommen, dachte sie, als sie vor dem einstöckigen Gebäude anhielt. Es war ihr erster Besuch auf Derringers Farm. Und nach allem, was Lucia gehört hatte, kamen die meisten Frauen nur her, wenn sie eingeladen worden waren.

Was wollte sie also hier?

Nachdem sie den Motor abgestellt hatte, blieb Lucia einfach sitzen. Aus einem Impuls heraus war sie losgefahren, weil sie Derringer liebte. Aber gleichzeitig war ihr klar, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Derringer lag vermutlich im Bett und brauchte seine Ruhe, wahrscheinlich stand er auch unter dem Einfluss von starken Medikamenten. Wenn er überhaupt in der Lage war, ihr zu öffnen, dann sah er sie vermutlich an, als käme sie von einem anderen Stern. Für ihn war sie bestenfalls eine Bekannte, nicht einmal eine Freundin.

Lucia wollte gerade wieder kehrtmachen, als der Regen stärker wurde. Auf den Stufen zur Veranda stand ein großer Karton. Und das Mindeste, was sie tun konnte, war, dafür zu sorgen, dass er nicht nass wurde.

Entschlossen nahm sie ihren Schirm vom Rücksitz, stieg aus und rannte zur Veranda. Im selben Moment zuckte ganz in der Nähe ein Blitz vom Himmel, kurz gefolgt von einem krachenden Donner.

Chloe hatte ihr einmal erzählt, dass die Westmoreland-Männer nie abschlossen, und so steuerte sie auf die Tür zu und probierte es einfach aus. Ihre Freundin hatte recht gehabt: Die Tür war offen.

Lucia steckte den Kopf ins Haus. „Derringer?“, flüsterte sie, für den Fall, dass er unten auf dem Sofa statt in seinem Zimmer schlief.

Als sie keine Antwort bekam, beschloss sie, den Karton gleich ins Haus zu bringen. Innen sah sie sich um. Derringers Schwester Gemma hatte das Haus eingerichtet. Und sie hat wirklich ein Händchen dafür, stellte Lucia fest. Das Haus war wunderschön. Die hohen Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, boten einen atemberaubenden Ausblick auf die Berge.

Gerade wollte sie sich wieder unauffällig entfernen, da hörte sie im ersten Stock ein lautes Poltern, dem ein kräftiger Fluch folgte.

Ohne nachzudenken, stürmte Lucia die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und stieß die Tür zu mehreren leeren Zimmern auf, bevor sie endlich die richtige gefunden hatte. Derringer lag auf dem Boden, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen.

„Derringer!“

Sie rannte zu ihm und kniete sich auf den Boden. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie, einer Panik nahe. Trotzdem registrierte sie, dass er abgesehen von einem eng anliegenden schwarzen Slip nackt war. „Derringer?“

Langsam öffnete er die Augen, und ihr Herz schlug schneller. Sein Blick war glasig, als hätte er zu viel getrunken – oder eine Tablette zu viel genommen, was die wahrscheinlichere Variante war. Jetzt spielte ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel, und sofort erschienen diese unwiderstehlichen Wangengrübchen. Lucia holte tief Luft.

„Was bist du denn für ein hübsches Ding?“, wollte er wissen. Seine Stimme klang belegt. „Wie heißt du?“

„Puddin’ Tame“, entgegnete Lucia spontan, als ihr ein Lied aus ihrer Kindheit einfiel. Ach wie gut, dass niemand weiß …

Ganz offensichtlich hatte er zu viele Tabletten genommen, denn er tat, als hätte er sie noch im Leben gesehen.

„Das ist ja ein ganz reizender Name, Sweetheart.“

Lucia verdrehte die Augen. „Wenn du meinst, Cowboy. Vielleicht kannst du mich darüber aufklären, was du hier unten auf dem Boden treibst und warum du nicht im Bett liegst.“

„Ich war im Bad. Und als ich wieder ins Bett wollte, stand es plötzlich woanders, und ich habe es nicht mehr gefunden.“

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Sieht so aus. Komm, halt dich fest, ich helfe dir zurück.“

„Und wenn wieder jemand das Bett verschiebt?“

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Lucia. Selbst unter dem Einfluss von Medikamenten klang Derringers Stimme so tief und sexy, dass sie Lust auf ihn bekam und ihre Brustspitzen unter dem feuchten T-Shirt hart wurden. „Komm schon. Du musst doch schreckliche Schmerzen haben.“

Jetzt lachte er. „Nein, mir geht es großartig. Ich hätte richtig Lust, Sugar Foot zu reiten.“

„Heute Nacht nicht mehr.“ Lucia schüttelte den Kopf. „Los, Derringer. Lass uns versuchen, dich wieder ins Bett zu kriegen.“

„Es gefällt mir aber hier unten.“

„Tut mir leid, du Held, aber da kannst du nicht bleiben. Entweder lässt du dir jetzt von mir helfen, oder ich rufe einen deiner Brüder an.“

„Auf die habe ich aber keine Lust. Da bekäme ich doch nur zu hören: ‚Das habe ich dir ja gleich gesagt.‘“

„Vielleicht solltest du beim nächsten Mal auf sie hören. Nun komm endlich.“

Es bedurfte mehrerer Anläufe, bis sie Derringer in der Senkrechten hatte und in Richtung Bett dirigieren konnte. Dort verlor er plötzlich das Gleichgewicht und fiel rückwärts auf sie.

„Rutsch auf die Seite“, befahl sie ihm, als sie wieder zu Atem gekommen war.

Wieder erschienen diese aufregenden Wangengrübchen. „Warum?“, wollte er wissen, und seine Stimme klang heiser vor Erregung. „Mir gefällt es auf dir, Süße. Du fühlst dich gut an.“

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, in welcher Situation sie sich befand. Sie lag in Derringers Bett – und er auf ihr. Seine Erregung war deutlich zu spüren, genau zwischen ihren Beinen. Langsam breitete sich eine Art Hitzewelle in ihrem ganzen Körper aus und brachte ihr Blut in Wallung. Ihre Haut schien zu brennen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wurden ihre Brustwarzen hart gegen seinen bandagierten Oberkörper gepresst.

Verwirrt hob Derringer den Kopf und sah ihr in die Augen. Sein Blick war so begehrlich, dass Lucia unwillkürlich den Atem anhielt. Gleichzeitig wurde sie von einem Gefühl überwältigt, das sie noch nie erlebt hatte.

Mit jedem Herzschlag hob und senkte sich Derringers Brust, er schien wie elektrisiert.

Aus Angst vor ihrer eigenen Reaktion versuchte Lucia, ihn von sich zu schieben, aber er war zu schwer für sie.

„Derringer …“

Statt zu antworten, umfasste er ihr Gesicht. Und bevor sie noch den Kopf wegdrehen konnte, begann er, sie mit verzehrender Leidenschaft zu küssen.

Derringer kam zu dem Schluss, dass er offenbar träumte. Es war eine Fantasie, die nie mehr enden sollte. Diese Frau hatte so sinnliche Lippen, wie er sie nie zuvor gekostet hatte – heiß, feucht und einfach vollkommen. Wie ein Verdurstender, der endlich Rettung fand, war er mit der Zunge in ihren Mund eingedrungen und stillte seine Lust.

Irgendwo geisterte die Erinnerung an seinen Unfall durch seine lusterfüllten Gedanken. Eigentlich müsste er doch Schmerzen haben. Aber er spürte nur eine einzige Qual: diese unerfüllte Lust, die seinen ganzen Körper erfasst hatte.

Wer war diese Frau, und wo kam sie her? Müsste er sie kennen? Und warum brachte sie ihn dazu, etwas Verbotenes zu tun? Irgendwie hatte er das Gefühl, das er nicht ganz bei sich war, aber dann wieder konnte ihm nichts gleichgültiger sein. Sicher war nur eines: Er wollte sie. Am liebsten hätte er sie mit Haut und Haaren verschlungen.

Er bewegte sich ein wenig, um sie in die Mitte des Bettes zu rücken. Dabei löste er den Mund nur ganz leicht von ihrem. „Süße, du fühlst dich verdammt gut an“, flüsterte er heiser an ihren feuchten Lippen.

Und dann war sein Mund wieder auf ihrem, und er saugte an ihrer Zunge, als brauchte er sie wie die Luft zum Atmen. Und in diesem Augenblick war er davon überzeugt, dass es auch so war.

Lucia wusste, dass sie diesem Treiben ein Ende setzen musste. Derringer stand völlig neben sich und wusste nicht, was er tat – er erkannte sie nicht einmal. Aber wie sollte sie ihn aufhalten, wenn doch ihr Körper so heftig und leidenschaftlich auf ihn reagierte? Nie hatte ein Mann sie so geküsst, ihr solche Lust bereitet, dass sie unfähig war, einen klaren Gedanken zu fassen. Und noch nie hatte sie gespürt, dass man als Frau einen Mann derart begehren konnte. Sie liebte ihn und hatte ihn immer geliebt, aber jetzt verzehrte sie sich mit einer Begierde nach ihm, die ihr fremd gewesen war.

Bis jetzt.

„Ich will dich, Süße …“

Sie blinzelte, als er sich ein Stück zurückzog und sie für einen Moment in die Wirklichkeit zurückkehrte. Derringer mochte nicht wissen, was er tat, aber ihr war klar, dass er sie trotzdem zu nichts zwingen würde. Sie hatte die Freiheit, aufzustehen und zu gehen. Die Entscheidung lag bei ihr. Vermutlich würde Derringer sich später ohnehin nicht an diese Nacht erinnern.

Dennoch machte Lucia keine Anstalten, ihn zu verlassen. Da war etwas, das sie gefangen nahm, das sie unfähig machte, den Mann ihrer Träume zurückzulassen. Ihr war klar, dass Derringer sie nie wieder so wahrnehmen würde wie in dieser Nacht. Nie wieder würde er sie auf diese Weise begehren. Dass es jetzt offensichtlich nur die Medikamente waren, die dieses Begehren in ihm auslösten, verdrängte sie.

Hätte sie ihn nicht so geliebt, wäre sie immun gegen diese sexuelle Lust und Anziehung gewesen. Aber Liebe und Lust waren eine explosive Mischung, der sie hilflos ausgeliefert war. Dagegen kam sie nicht an, und eigentlich wollte sie es auch nicht. In zehn Monaten würde sie dreißig werden und hatte noch nie mit einem Mann geschlafen. Es war an der Zeit, dass sich das änderte. Und warum sollte es dann nicht mit dem einzigen Mann geschehen, den sie je lieben würde?

Die heutige Nacht gehörte ihr, und sie würde die Erinnerung daran wie einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen verschließen. Und wenn sie Derringer danach wiedersah, würde sie das Geheimnis, von dem er nicht einmal etwas ahnte, für sich behalten.

Lucia wusste, dass es nur noch eine Sache von wenigen Augenblicken war, dann würde er ihr Schweigen als Zustimmung nehmen. Aber sie hatte ihre Entscheidung gefällt. Die unbändige Begierde, die sie erneut erfasste, schrie förmlich nach Befriedigung. Und so schlang Lucia ihm die Arme um den Nacken und begann, ihn zu küssen. Im selben Moment schien etwas in ihr zu explodieren und sie in einen Strudel voll wunderbarer Empfindungen zu reißen, von deren Existenz sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte.

Derringer küsste sie, bis ihr die Sinne zu schwinden drohten und sie kaum mitbekam, dass er ihr das Hemd über den Kopf streifte und ihr den BH auszog. Als er dann die Lippen auf ihre Brustspitze senkte und daran zu saugen begann, schwappten Wellen der Lust und des schieren Glücks über Lucia hinweg. Sie nahm seinen Kopf mit beiden Händen und presste ihn an sich, voller Angst, Derringer könnte sich wieder von ihr lösen. Laut stöhnte sie auf und drängte sich ihm entgegen.

Und dann schob er ihr den Rock hoch und begann sie an der Stelle zu liebkosen, die sich so sehr nach Erlösung sehnte.

„Derringer!“

Lucia zitterte am ganzen Körper, während er begann, sie auf eine Art und Weise zu streicheln, gegen die sie so machtlos war wie gegen seine verführerischen Grübchen. Nie zuvor hatte sie so viel lustvolle Zuwendung erfahren.

„Ich will dich“, stieß er hervor. Dann küsste er sie erneut, ließ die Zunge um ihre tanzen.

Lucia war wehrlos und ließ sich nur allzu willig von ihm verführen. Sein Kuss war so verzehrend, dass sie erst merkte, dass er seinen Slip nach unten geschoben und sie ganz ausgezogen hatte, als sie seine warme Haut auf ihrer spürte. Und als er sich dann von ihr löste, um sich auf sie zu legen, war sie ihrer Leidenschaft und Begierde derart ausgeliefert, dass sie ihn nicht mehr hätte aufhalten können, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Begehrlich ließ er den Blick über ihre vollen Brüste schweifen, bevor er ihr in die Augen sah. In seinem Blick stand so viel sexuelles Verlangen, dass sie sich nur zu gern davon überzeugen ließ, dass er außer ihr noch nie eine Frau auf diese Weise angeschaut hatte.

Erneut küsste er sie und drang gleichzeitig in sie ein. Der plötzliche Schmerz ließ Lucia aufschreien.

Als hätte Derringer gespürt, was das bedeutete, hielt er mitten in der Bewegung inne. Erstaunt hob er den Kopf, um sie anzusehen, zog sich jedoch nicht zurück. Sie wusste nicht, welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen, wollte es auch gar nicht wissen. Und so schlang sie die Arme um ihn und begann ihn so leidenschaftlich zu küssen, wie er sie zuvor geküsst hatte. Er erschauerte und begann langsam, sich in ihr zu bewegen. Willig gab sich Lucia seinen Bewegungen hin, begierig darauf, das Feuer, das zwischen ihnen loderte, noch weiter zu schüren.

Als er für einen kurzen Moment die Lippen von ihren löste, um Atem zu schöpfen, stieß sie seinen Namen hervor. „Derringer!“

Die unbändige Lust, die sie zuvor nicht für möglich gehalten hätte, drohte sie vollends zu verschlingen.

Von ihren Freundinnen, vor allem von Chloe, wusste Lucia, wie schön es war, mit einem Mann zu schlafen, besonders mit einem, den man liebte. Aber keinen Moment hatte sie sich vorgestellt, wie überwältigend und wunderbar dieses Gefühl war, das ihr durch und durch ging. Oder Chloe hatte es vielleicht erwähnt, und sie hatte es nur nicht geglaubt. Jetzt wusste sie es. Derringer ließ all ihre erotischen Träume und Fantasien, alles, was sie sich je ausgemalt hatte, Wirklichkeit werden.

Er unterbrach den Kuss, bewegte sich aber weiter in ihr, vor und zurück. Er wollte alles. Lucia drängte sich ihm entgegen, als ihre Gefühle so stark und übermächtig wurden, dass sie sich nicht mehr zu beherrschen vermochte. Immer wieder schrie sie auf, als sie unaufhaltsam in einen Strudel von Leidenschaft gezogen wurde, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Und dann geschah etwas mit ihr, etwas ganz Neues, nie Gekanntes. Immer wieder drang Derringer in sie ein und trieb sie unaufhaltsam zum Höhepunkt. Und als sie so weit war, hob er den Kopf und sah ihr in die Augen, bevor er ein letztes Mal zu ihr kam.

„Süße“, flüsterte er, und der Kosename klang aus seinem Mund wunderschön. Mehr brauchte sie nicht, um auf den Gipfel der Lust katapultiert zu werden.

„Derringer!“

Wieder senkte er den Kopf und ließ die Zunge in ihren Mund gleiten. Lucia drängte sich ihm erneut entgegen, nahm alles, was er ihr geben konnte und wollte. Bruchteile von Sekunden später warf er den Kopf zurück, stöhnte laut auf und kam.

Langsam schlug Lucia die Augen auf. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Nur dass sie sich völlig erschöpft und wunschlos glücklich in die Kissen gekuschelt hatte, wusste sie noch. Sie hatte mit dem aufregendsten Mann der Welt geschlafen und war noch zutiefst erfüllt von diesem wunderbaren Gefühl.

Derringer lag neben ihr und schlief. Ihr fehlte sein Gewicht auf ihrem Körper, seinen Herzschlag zu spüren, aber am meisten fehlte ihr das Gefühl, ihn in sich zu spüren.

Noch immer war sie erfüllt von der Erinnerung an die Ekstase, die sie gemeinsam erlebt hatten. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie eine Reihe von Höhepunkten erlebt, um die jede andere Frau sie glühend beneidet hätte. Ihr erstes Mal hatte sie überwältigt. Und wie Derringer sie danach angeschaut hatte – wenn er sie gerade nicht geküsst hatte –, hatte sie erschauern lassen. Trotz des Verbandes um seine Brust hatte sie seine kräftigen Schultern und den muskulösen Rücken unter ihren Fingern gespürt.

Diese Nacht würde sie niemals vergessen, ihr Leben lang nicht. Sie würde für immer tief in ihrem Gedächtnis eingegraben sein, auch wenn Derringer sich wahrscheinlich später an nichts mehr würde erinnern können. Das tat weh, und Tränen traten ihr in die Augen. Eigentlich sollten es Freudentränen sein, dachte sie, nicht Tränen des Kummers. Sie liebte Derringer schon so lange. Wenigstens hatte sie diese glücklichen Stunden mit ihm erleben dürfen und konnte ihr Leben lang davon zehren.

Es hatte aufgehört zu regnen. Draußen war alles still und friedlich. Außer Derringers ruhigem Atem war nichts zu hören. Die Dämmerung zog herauf.

Lucia wusste, dass sie ihn bald verlassen musste. Je früher sie wieder fuhr, desto besser. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er reagieren würde, wenn er sie beim Aufwachen in seinem Bett fand. Und ganz gleich, was er ihr vorwerfen würde, es würde die wunderschönen Erinnerungen an diese Nacht mit ihm zerstören.

Außerdem würde wahrscheinlich bald jemand auftauchen – ein Bruder oder ein Cousin vielleicht –, um nach ihm zu sehen. Wer auch immer es war, er würde einen mittelschweren Schock erleiden, wenn er sie in dieser Situation entdeckte.

Vorsichtig schlüpfte Lucia aus dem Bett, bemüht, Derringer nicht aufzuwecken, und sah sich nach ihren Sachen um. Bis auf ihren Slip fand sie alles, und der war vermutlich irgendwo unter der Bettdecke verborgen. Vorsichtig hob sie die Decke hoch und sah unter Derringers Bein ein Stückchen pinkfarbenen Stoffs hervorblitzen. Natürlich hätte sie ihn wecken und bitten können, sein Bein etwas anzuheben, aber das war ihr ganz und gar unmöglich. Einen Moment blieb sie stehen, in der Hoffnung, dass er sich vielleicht bewegte und sie den Slip unter seinem Bein hervorziehen könnte, aber vergebens.

Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. Schließlich konnte sie nicht bis in alle Ewigkeit hier herumstehen, und so zog sie sich schließlich hastig an. Schon erschien die Sonne am Horizont. Lucia hatte keine Wahl. Sie musste wohl oder übel ohne ihren Slip heimfahren. Nach einem letzten prüfenden Blick durchs Zimmer, ob sie auch nichts Verräterisches vergessen hatte, schlich sie sich auf Zehenspitzen hinaus – nicht ohne sich noch ein letztes Mal nach Derringer umzudrehen. So sah er also in den frühen Morgenstunden aus, wenn er noch schlief. Mit dem Bartschatten fand sie ihn noch attraktiver als je zuvor.

Wahrscheinlich würde er sich fragen, wer den pinkfarbenen Slip in seinem Bett vergessen hatte – aber vielleicht auch nicht. Immerhin schlief er mit so vielen Frauen, dass er sich wahrscheinlich weiter keine Gedanken darüber machte. Was bedeutete schon ein Slip?

Kurz danach, als Lucia bereits im Auto saß, warf sie über den Rückspiegel einen letzten Blick auf Derringers Haus und ließ noch einmal die Nacht Revue passieren. Sie hatte ihm etwas geschenkt, das sie bisher keinem Mann anvertraut hatte – ihre Jungfräulichkeit. Traurig war nur, dass er es niemals erfahren würde.

2. KAPITEL

Eine Frau ist bei mir gewesen.

Es war der Geruch nach Sex, den Derringer beim Aufwachen wahrnahm. Verwirrt öffnete er die Augen und schloss sie gleich wieder, weil ihn grelles Sonnenlicht blendete. Als er sich umdrehen wollte, zuckte ein scharfer Schmerz durch sein Bein und seine Brust, und er stöhnte auf.

Langsam hob er den Kopf. Er sollte vielleicht eine Schmerztablette nehmen. Aber dann ließ er sich wieder zurücksinken, weil ihm einfiel, dass er in der vergangenen Nacht schon einige Medikamente gegen die Schmerzen genommen hatte. Megan würde ihm mit Sicherheit Vorhaltungen deswegen machen, aber wenigstens hatte er durchschlafen können.

Oder doch nicht?

Derringer krauste die Nase und atmete tief ein. Merkwürdig. Es roch eindeutig nach einem weiblichen Parfüm und nach Sex.

Außerdem tauchten plötzlich kleine Bildfetzen von einer Frau auf, mit der er geschlafen hatte. Es war der beste Traum gewesen, den er seit Jahren gehabt hatte. Meistens kamen solche Träume nicht annähernd an die Wirklichkeit heran, aber bei diesem Traum war das anders. Dass er von Sex träumte, wunderte ihn nicht, denn es war lange her, dass er zum letzten Mal mit einer Frau zusammen gewesen war. Die Vorbereitungen für die Pferdezucht, die er mit seinem Bruder Zane, seinem Cousin Jason und diesen neu aufgetauchten Verwandten, den Westmorelands aus Georgia, Montana und Texas, betreiben wollte, hatten einen Großteil seiner Zeit in Anspruch genommen. Da war für Frauen keine Zeit gewesen. Merkwürdig war nur, dass dieser Traum sich so realistisch und so echt angefühlt hatte. Aber vermutlich hatte es sich nur um eine schöne Illusion gehandelt, hervorgerufen durch die starken Schmerzmittel, die er genommen hatte.

Trotzdem, dachte er und streckte sich – nur um es sofort zu bereuen, als er erneut starke Schmerzen verspürte. Langsam schob er die Hand unter die Bettdecke, um sich den Oberschenkel zu massieren, und fühlte dabei ein Stück Stoff, das dort eindeutig nicht hingehörte. Er zog es heraus und starrte verständnislos auf einen winzigen pinkfarbenen Slip, der genau nach diesem Parfüm roch, das ihn geweckt hatte.

Vorsichtig richtete er sich auf und studierte das verräterische Dessous. Wem mochte der Slip gehören? Und wieso lag er bei ihm im Bett? Ihm wurde bewusst, dass der verräterische Geruch nicht nur an dem Slip haftete, sondern auch an seiner Bettwäsche. Außerdem war das Kopfkissen neben ihm eingedrückt, als hätte da noch vor Kurzem jemand gelegen.

Panik ergriff ihn. Mit wem, zum Teufel, hatte er letzte Nacht geschlafen? Denn inzwischen hatte er keinen Zweifel mehr daran, dass genau das passiert war. Diese Lust und tiefe Befriedigung bildete er sich nicht nur ein. Und es war auch nicht nur ein Traum gewesen, sondern er hatte das alles wirklich erlebt. Die Frage war nur: Wer war diese Frau gewesen?

Derringer schloss die Augen und versuchte, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er musste sie kennen, das stand für ihn fest. Eine Fremde wäre doch nicht einfach bei ihm aufgetaucht und hätte sich zu ihm ins Bett gelegt – oder doch? In seinem Leben hatte er sich schon mit etlichen ziemlich hemmungslosen Frauen vergnügt, aber keine hätte es gewagt, ohne Aufforderung hierherzukommen.

Und doch hatte eine es getan.

Er starrte die Wand an, als fände er dort eine Erinnerung an die vergangene Nacht und den vorangegangenen Tag. Dass er von Sugar Foot abgeworfen worden war, wusste er noch, und das würde er auch so schnell nicht vergessen. Auch konnte er sich daran erinnern, dass Zane und Jason ihn in die Notaufnahme gebracht und ihn, nachdem er verarztet worden war, heimgefahren hatten.

Und von ihrem mehrfach wiederholten Vorwurf „Das haben wir dir ja gleich gesagt“ klingelten ihm noch immer die Ohren. Später, als er schon zu Hause im Bett gelegen hatte, hatte dann Megan auf dem Weg ins Krankenhaus, wo sie als Anästhesistin arbeitete, vorbeigeschaut und ihm seine Medikamente verabreicht – mit der strengen Ermahnung, nicht zu viele Pillen zu nehmen. Hatte er sich vielleicht nicht daran gehalten?

Der Notarzt hatte ihn schon gewarnt, dass die Schmerztabletten sehr stark seien und keinesfalls überdosiert werden dürften.

Das hatte er allem Anschein nach trotzdem getan. Aber das gab keiner Frau das Recht, in sein Haus einzudringen und seine Notlage auszunützen. In Gedanken ging er verschiedene Bekannte durch und fragte sich, welche von denen es gewesen sein könnte. Vielleicht hatte die Frau von seinem Unfall gehört und beschlossen, als eine Art Krankenschwester zu fungieren. Ashira würde er so etwas vielleicht zutrauen, wenn überhaupt jemandem. War sie also die Frau gewesen, mit der er letzte Nacht geschlafen hatte? Er hoffte inständig, dass es nicht so war. Ihr traute er ohne Weiteres zu, dass sie ihn hereinlegen wollte, aber er war noch lange nicht so weit, in absehbarer Zeit die Verantwortung für irgendwelche Babys zu übernehmen. Außerdem war das, was er mit dieser geheimnisvollen Frau erlebt hatte, ganz anders gewesen als der Sex mit Ashira. Es war tiefer gegangen, offenbar so tief, dass ihn das Erlebnis nachhaltig beeindruckt hatte.

Dann fiel ihm plötzlich noch etwas ein. Die Frau war Jungfrau gewesen. Es wunderte ihn zwar, dass er sich daran erinnerte, aber da war er sich ganz sicher. Er hätte nicht vermutet, dass es in dieser Welt tatsächlich noch unberührte Frauen gab, aber er wusste genau, dass er sich nicht irrte. Selbst in seinem benebelten Zustand hatte er sich diesen unschuldigen Blick nicht nur eingebildet. Schon allein deshalb konnte es nicht Ashira gewesen sein, da sie alles andere als unberührt war. Abgesehen davon hatte er es sich zur goldenen Regel gemacht, nicht mit Jungfrauen zu schlafen.

Derringer seufzte tief auf. Er wollte, er könnte sich an mehr Einzelheiten erinnern, zum Beispiel an das Gesicht dieser Frau, schon um seines Friedens willen. Ihm wurde übel, als ihm siedend heiß einfiel, dass er kein Kondom benutzt hatte. Hatte die Frau ihm vielleicht eine Falle gestellt und präsentierte ihm in neun Monaten ein Baby?

Die Vorstellung, dass er auf diese oder auch eine andere Weise benutzt worden war, brachte sein Blut in Wallung, und ihn erfasste ein solcher Ärger, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Wenn die Frau sich einbildete, dass sie ihn auf diese Weise übervorteilen konnte, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Nicht nur, dass sie in sein Haus eingedrungen war. Nein, sie hatte außerdem seine Privatsphäre verletzt und seine Schwäche und Wehrlosigkeit ausgenutzt.

Wütend schüttelte er den Kopf. Und wenn er jeden Stein in Denver umdrehen musste, er würde diese Frau ausfindig machen. Und dann würde sie dafür bezahlen.

„Lucia, bist du okay?“

Es war Mittag, und Lucia saß an ihrem Schreibtisch in der Redaktion von Simply Irresistible, einer Zeitschrift für junge, erfolgreiche Frauen. Die Idee dazu hatte Chloe ein paar Jahre zuvor gehabt und zunächst eine regional beschränkte Ausgabe im Südwesten herausgebracht. Als sie dann beschlossen hatte, den Absatzmarkt weiter nach Westen auszudehnen und eine Redaktion in Denver zu eröffnen, hatte sie Lucia als Büroleiterin eingestellt.

Lucia liebte ihre Arbeit. Inzwischen war sie inoffiziell zur Chefredakteurin aufgestiegen, da Chloe sechs Monate zuvor eine kleine Tochter bekommen hatte und seither viel Zeit zu Hause bei ihrer kleinen Familie verbrachte. Noch in ihrer Schwangerschaft hatte sie Lucia dazu ermuntert, sich fortzubilden und ihren Master in Kommunikationswissenschaften zu machen. Viele Voraussetzungen dazu hatte Lucia bereits erfüllt, sodass sie ihren Abschluss sehr bald machen würde und ihrer Karriere bei Simply Irresistible nichts mehr im Wege stand.

Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Chloe und Ramsey sich zu einem zweiten Kind entschlossen, womit dann auch offiziell die Leitung der Redaktion in Denver in ihren Händen liegen würde.

„Lucia!“

Bei Chloes schärfer gewordenem Ton fuhr Lucia zusammen. „Was ist los? Du hast mich erschreckt.“

Chloe lächelte. So geistesabwesend hatte sie ihre Freundin lange nicht erlebt. „Ich habe dich etwas gefragt.“

Lucia runzelte die Stirn. „Wirklich?“

„Ja.“

„Und was?“

Nachsichtig schüttelte Chloe den Kopf. „Ich habe das Gefühl, dass du völlig abwesend bist. Was ist los? Mit der Arbeit kann es eigentlich nichts zu tun haben, denn die Verkaufszahlen für den April sind glänzend. Also? Mach endlich den Mund auf.“

Lucia biss sich auf die Lippe. Irgendjemandem musste sie einfach erzählen, was in der vergangenen Nacht passiert war. Und da Chloe ihre beste Freundin war, war es naheliegend, ihr das Herz auszuschütten. Andererseits gab es da auch ein Problem: Chloes Mann Ramsey war Derringers ältester Bruder. Zwar zweifelte Lucia nicht daran, dass ihre Freundin kein Sterbenswörtchen verlauten lassen würde, wenn sie sie darum bat, aber trotzdem …

„Okay. Ich frage dich nur noch einmal, dann lasse ich dich in Ruhe, wenn du nicht darüber reden willst. Was ist los mit dir? Du machst den Eindruck, als ob du in Trance bist. Ich könnte wetten, dass du kein Wort aus der Besprechung heute Morgen behalten hast. Also: Was ist passiert?“

Lucia holte tief Luft. „Derringer.“

Chloe runzelte die Stirn. „Was ist mit ihm? Ramsey hat heute Morgen nach ihm gesehen, und da schien alles in Ordnung zu sein. Natürlich hat er noch Schmerzen, aber abgesehen von seinen Medikamenten und viel Schlaf braucht er nichts.“

„Das mit dem Schlaf ist so eine Sache“, meinte Lucia. „Ich glaube nicht, dass er gestern viel geschlafen hat.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Cappuccino.

„Aha. Und wie kommst du darauf?“

Lucia zuckte die Achseln, beschloss dann aber, mit der Wahrheit herauszurücken. „Weil ich in der Nacht bei ihm war, und wir beide kaum geschlafen haben.“

Völlig entgeistert sah Chloe sie an, und Lucia hoffte, dass sie sich mit dieser Kurzversion zufriedengab. Aber da kannte sie ihre Freundin schlecht.

„Du bist mit Derringer zusammen?“ Der geschockte Ausdruck auf Chloes Gesicht war einem Lächeln gewichen.

„Das kommt darauf an, was du darunter verstehst“, gab Lucia zurück. „Jedenfalls bin ich seit gestern Nacht keine Jungfrau mehr. Derringer war dermaßen mit Schmerzmitteln vollgepumpt, dass er sich vermutlich an nichts erinnert.“

Das Lächeln verschwand wieder von Chloes Gesicht. „Was?“

„Ja. Er hat mich sogar gefragt, wie ich heiße und wer ich bin.“

Es dauerte zehn Minuten, bis Lucia Chloe die ganze Geschichte erzählt hatte. Auch den zurückgelassenen Slip vergaß sie dabei nicht. „Das war alles“, schloss sie dann.

Chloe schüttelte den Kopf. „Das glaube ich eher nicht, und zwar aus zwei Gründen: Du liebst Derringer, und das schon seit einer halben Ewigkeit. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das so einfach aufhört. Und nach dieser Nacht wirst du ihn außerdem in einem ganz anderen Licht sehen. Jedes Mal, wenn er dir in Zukunft über den Weg läuft, wirst du daran denken. Du kannst nur hoffen, dass Derringer deinen Slip nicht findet. Denn dann wird er alles daransetzen, um die Frau aufzustöbern, die bei ihm war – vorausgesetzt, er hat wirklich nicht gemerkt, dass du es warst.“

Daran wollte Lucia lieber nicht denken. Sie umschloss ihre Tasse mit beiden Händen und sah aus dem Fenster über die Stadt. Dann atmete sie tief durch und trank einen Schluck. Sie konnte nur hoffen, dass Chloe sich irrte. Derringer würde außer sich sein, wenn er die Wahrheit erfuhr, und was dann geschah, wollte sie sich lieber nicht ausmalen.

„Bei seinem Ruf wird das so sein, als würde er eine Nadel im Heuhaufen suchen.“

„Möglich. Aber was ist, wenn er diese Nadel trotzdem zufällig findet?“

Diese Möglichkeit zog Lucia lieber gar nicht erst in Betracht. Sie liebte Derringer schon so lange, dass sie nicht einmal wusste, ob sie überhaupt wollte, dass er die Wahrheit herausfand – schon allein deshalb, weil er ihre Liebe nicht erwiderte.

„Lucia?“

Sie drehte sich wieder zu ihrer Freundin um. „Keine Ahnung, was dann passiert. Ich will es auch gar nicht wissen. Am liebsten wäre mir, er würde sich nicht erinnern und es einfach dabei belassen.“

Eine Weile schwiegen beide. „Aber du wirst dich immer danach sehnen, wieder mit ihm zu schlafen“, prophezeite Chloe dann. „Du willst ihn, gib’s zu.“

Lucia zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn immer gewollt, Chloe.“

„Aber jetzt wahrscheinlich noch viel mehr.“

Lucia wollte ihrer Freundin widersprechen, aber das wäre vergebene Liebesmüh gewesen. Denn im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass Chloe wahrscheinlich recht hatte. Sie musste ununterbrochen an Derringer denken und konnte sich kaum auf ihre Arbeit konzentrieren. Immer wieder schwelgte sie in Erinnerungen an die vergangene Nacht. „Ich werde dagegen ankämpfen.“

„Das geht nicht so einfach.“

Das wusste Lucia selbst. Nichts, was Derringer betraf, war je einfach gewesen. „Und was schlägst du stattdessen vor?“, wollte sie wissen. Resignation lag in ihrer Stimme.

„Hör mit der Heimlichtuerei und Träumerei auf, und geh es endlich an!“

Natürlich würde Chloe ihr genau das raten. Lucia kannte ihre Freundin. Sie war immer schon mutig und direkt gewesen, und wenn sie etwas wollte, dann versuchte sie entschlossen, ihr Ziel zu erreichen. Lucia hatte sie immer um diese Gabe beneidet.

Chloe sah, dass Lucia zögerte. „Los, geh in die Offensive, Lucia. Wenn du etwas von Derringer willst, musst du dir was einfallen lassen. Und nach dieser Nacht, finde ich, wird es allerhöchste Zeit. Denk mal drüber nach.“

Eine Woche später wollte Jason Westmoreland von seinem Cousin wissen: „Soll das eine Scherzfrage sein oder was?“ Er lachte.

Derringer schüttelte den Kopf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. In den letzten Tagen hatte er viel geschlafen, und jedes Mal, wenn er aufgewacht war, hatte er unter sein Kopfkissen gegriffen und den pinkfarbenen Slip hervorgezogen, um sich zu vergewissern, dass er nicht geträumt hatte. Immer wieder war ihm dabei der Kosename durch den Kopf gegeistert, den er der Frau gegeben hatte, mit der er geschlafen hatte – Süße.

An diesem Morgen fühlte er sich deutlich besser als in den Tagen zuvor, und er beschloss, die Medikamente abzusetzen. Vielleicht konnte er dann klarer denken und sich doch noch an irgendeine entscheidende Kleinigkeit erinnern. Aber noch hatte seine Hoffnung sich nicht erfüllt.

Jason war vorbeigekommen, um nach ihm zu sehen, und jetzt saßen sie beide bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch.

„Nein, das ist keine Scherzfrage. Ich dachte nur, dass ich einfach mal bei dir anfange und dann mit Riley, Zane, Canyon und Stern weitermache. Und anschließend vergleiche ich die Antworten.“

Jason nickte kaum merklich. „Okay. Dann wiederhol deine Frage noch mal, damit ich sicher sein kann, dass ich alles richtig verstanden habe.“

Entschlossen lehnte Derringer sich über den Tisch. Es war ihm ernst. „Was sagen Schnitt und Farbe eines Slips über die Trägerin aus?“

„Na ja …“ Sein Cousin rieb sich das Kinn. „Ich würde sagen, gar nichts, es sei denn, die Frau trägt eine weiße Baumwollunterhose mit Spitzeneinsatz, die bis zur Taille reicht.“

„Nein, das tut sie nicht.“ Derringer hatte Jason nicht erzählt, aus welchem Grund er das wissen wollte, und Jason fragte nicht nach. Nicht jeder Westmoreland war so diskret wie er.

„Dann bin ich überfragt“, meinte Jason und trank einen Schluck Kaffee. „Es heißt ja, dass die Kleidung sehr viel über Menschen aussagt, und Weiß wird allgemein mit Unschuld in Zusammenhang gebracht. Allerdings trägt Fannie Nelson, die weit davon entfernt ist, in irgendeiner Weise unschuldig zu sein, ebenfalls weiße Slips. Das habe ich selbst gesehen, als sie ein Paar dieser Hüftjeans anhatte.“

„Willst du eigentlich gar nicht wissen, warum ich mich für Frauenslips interessiere?“

„Ich gebe zu, es macht mich schon neugierig. Aber andererseits wirst du deine Gründe haben, und ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich die wirklich erfahren will.“

Das konnte Derringer nachvollziehen. Schließlich kannte Jason den Ruf seines Cousins, der allgemein als Herzensbrecher galt.

„Hast du irgendwelche Pläne für heute, nachdem du wieder in die Welt der Lebenden zurückgekehrt bist? Ich habe gehört, dass der Arzt dir empfohlen hat, dich wenigstens noch eine Woche lang zu schonen, so lange, bis du wieder ganz gesund bist.“

„Ich werde noch ein paar Tage hier herumhängen und höchstens mal einen Ausflug mit dem Auto machen. Fahren darf ich ja.“

„Freut mich, dass du so vernünftig bist. Es hätte zwar schlimmer kommen können, aber der Sturz war trotzdem nicht ohne. Und wegen der Dessous würde ich an deiner Stelle Zane fragen, wenn er aus Boulder zurück ist. Er ist der absolute Fachmann auf dem Gebiet.“ Jason lachte. „Und vergiss nicht, etwas zum Schreiben mitzunehmen. Sonst vergisst du die Hälfte.“

Zwei Tage später verließ Derringer zum ersten Mal seit seinem Unfall das Haus und fuhr zu Zane. Da dessen Wagen auf dem Hof stand, hieß das wohl, dass sein Bruder wieder da war. Zane war zwar nur vierzehn Monate älter als er, aber was Frauen betraf, war er erheblich erfahrener.

Zanes Meinung sagten Farbe und Stil eines Slips sehr viel über die Trägerin aus. Sexuell freizügige Frauen trugen demnach winzige Tangas in allen Farben – außer in Weiß und sehr selten in Pastelltönen. Die meisten bevorzugten Schwarz. Und Frauen, die gern mit Männern spielten und sie reizten, entschieden sich nach Zanes Aussage meistens für schwarze Spitze. Wobei Spitze grundsätzlich bedeute, dass die Frau sich schön fühle. Bikinihöschen seien heutzutage nicht mehr so sehr in Mode wie Tangas und Hüftslips. Wenn eine Frau also trotzdem noch Bikinihöschen vorziehe, dann sei sie vermutlich sexuell weniger emanzipiert.

Derringer musste lachen, als Zane ihn in aller Ernsthaftigkeit vor Frauen warnte, die die großmütterliche, biedere Variante trügen, und rote Dessous empfahl, die dagegen wilden, offenen Sex versprachen. Gelb spreche für Experimentierfreude, womöglich auch verbunden mit dem Einsatz von Handschellen, und Blau für unverbrüchliche Treue. Dies lasse aber gleichzeitig auch eine gewisse Tendenz zu Besitzansprüchen erkennen. Bei Grün sei höchste Vorsicht geboten, denn Frauen in grünen Slips seien nur hinter Geld her, weshalb sicherheitshalber zwei Kondome übereinander zu empfehlen seien.

Zane benötigte fast eine Stunde, bis er endlich auf die Farbe Pink zu sprechen kam. Von diesen Frauen solle man am besten die Finger lassen, riet er, denn sie hätten nur die Ehe im Sinn. Mit einer aufregenden Mischung aus Unschuld und Lust am Sex kaperten sie die Männer, am Ende aber gehe es ihnen immer um einen Ehering.

„Okay. Nachdem du also über eine Stunde meiner Zeit beansprucht hast, verrätst du mir vielleicht, warum du so an dem Thema interessiert bist“, schloss Zane mit einem neugierigen Blick auf seinen Bruder.

Eigentlich geht es Zane nichts an, fand Derringer, aber dann entschloss er sich doch, ihm alles zu erzählen. Zwar standen ihm alle seine fünf Brüder und seine Cousins sehr nahe, aber zwischen ihm, Zane und Jason bestand eine besondere Verbindung. Hinzu kam, dass Zane sich ganz offensichtlich mit Frauen besser auskannte als er selbst und ihm deshalb vielleicht einen Rat geben konnte, wie er mit dieser ganzen Sache umgehen sollte.

„An dem Abend, an dem ich vom Pferd gefallen bin, ist eine Frau bei mir zu Hause aufgetaucht. Ich kann mich nicht an sie erinnern und weiß nur noch, dass ich mit ihr geschlafen habe. Keine Ahnung, wer sie war.“

Eine Weile sah Zane Derringer nur an. „Bist du ganz sicher, dass du dir das alles nicht nur eingebildet hast? Schließlich warst du mit Medikamenten vollgepumpt und ziemlich high. Megan war eigentlich davon überzeugt, dass du durchschläfst.“

Derringer schüttelte den Kopf. „Aber ich weiß genau, dass ich nicht nur geträumt habe, und dafür habe ich auch einen Beweis. Am Morgen habe ich nämlich ihren Slip im Bett gefunden.“ Was er nicht sagte, war, dass es der beste Sex seines Lebens gewesen war.

Zane holte tief Luft und seufzte dann. „Ich drücke dir die Daumen, dass es nicht Ashira war. Mann, wenn du kein Kondom benutzt hast und sie dich reingelegt hat, möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Stell dir vor, was wäre, wenn du Vater wirst!“

Allein die Vorstellung ließ Derringers Kopf schmerzen, und er massierte sich die Schläfen. „Nein, Ashira war es nicht, das steht fest. Diese Frau war ganz anders, und ehrlich gesagt hatte ich noch nie so aufregenden Sex wie mit ihr. Außerdem hat Ashira vor ein paar Tagen angerufen, um sich zu erkundigen, wie es mir geht. Sie ist gerade auf Besuch bei ihrer Großmutter in Dakota und war schon vor dem Unfall weg.“

„Eine Möglichkeit gäbe es, herauszufinden, wer deine geheimnisvolle Unbekannte war“, meinte Zane.

„Und die wäre?“

„Wir haben doch ein paar Wochen vor deinem Unfall diese Überwachungskameras einbauen lassen, falls jemand es auf die Pferde abgesehen hat. Damit müsste eigentlich jeder erfasst werden, der dein Haus betritt.“

Warum hatte er daran nicht gleich gedacht! Derringer stand auf und ging zur Tür. „Ich werde mir das Band sofort vornehmen.“

„Und was willst du tun, wenn du herausfindest, wer die Frau war?“, wollte Zane wissen.

Derringer blieb noch einmal stehen und drehte sich um. „Keine Ahnung. Aber ich schwöre dir, dass sie es bereuen wird.“ Damit wandte er sich endgültig zum Gehen.

Es war ihm ernst. Dank der Videoaufzeichnung fand er vielleicht bald heraus, wer ihn des Nachts heimgesucht und seine wehrlose Lage ausgenutzt hatte. Und dann konnte diese Frau sich warm anziehen! Wütend presste er die Kiefer aufeinander, als er in seinen Wagen stieg und losfuhr. Allerdings hatte er so ein Gefühl, als wäre es noch nicht damit getan, seine nächtliche Besucherin zu identifizieren. Der Sex mit ihr war einfach so unglaublich gut gewesen, und die Erinnerung daran würde ihn noch lange in seinen Träumen verfolgen.

In Rekordzeit traf er zu Hause ein und stürmte dann unverzüglich in sein Büro, um den Computer hochzufahren.

Ein Jahr zuvor hatten seine Cousins aus Montana beschlossen, ihre außerordentlich erfolgreiche Pferdezucht auszuweiten, und ihm, Zane und Jason die Partnerschaft angeboten. Mit Pferden kannte Derringer sich aus, und deshalb hatte er, genau wie die beiden anderen, die Chance sofort beim Schopf gepackt. Und da in Kürze die Pferde eintreffen würden, hatten sie vorsichtshalber diese Kameras installieren lassen. Hier in der Gegend schlugen immer wieder Pferdediebe zu, aber diesen würden sie von vornherein einen Strich durch die Rechnung machen.

Derringer atmete tief durch, als der Computer hochgefahren war, dann tippte er den entsprechenden Code ein, der ihm den Videokanal öffnen sollte. Angespannt ging er die infrage kommenden Dateien durch. Mit angehaltenem Atem saß er da, die Nerven zum Zerreißen gespannt.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich Scheinwerfer auf dem Bildschirm auftauchten. Am Himmel hatte sich ein Gewitter zusammengebraut, und es war dunkler, als es der Uhrzeit nach hätte sein dürfen. Auf einmal erinnerte er sich wieder daran, dass es an diesem Abend gedonnert und geblitzt hatte, begleitet von starkem Regen. Irgendwann bin ich davon sogar aufgewacht, fiel ihm ein. Er kniff die Augen zusammen, als er versuchte, den Wagen zu erkennen, der da in strömendem Regen auf seinen Hof fuhr. Mit jeder Sekunde wurde das Wetter schlechter.

Und dann wusste er plötzlich, wem dieser Wagen gehörte. Fassungslos lehnte er sich zurück. Er traute seinen Augen nicht. Die Frau, die da ausstieg und den Karton von der Veranda ins Haus zog, war niemand anderes als Lucia Conyers.

Derringer schüttelte den Kopf und versuchte zu begreifen, was er sah. Warum auch immer, jedenfalls war Lucia vorbeigekommen – vermutlich um Chloe einen Gefallen zu tun – und so nett gewesen, den Karton vor dem Durchweichen zu bewahren.

Er starrte auf den Bildschirm und wartete darauf, dass Lucia wiederauftauchte, zu ihrem Wagen rannte und wieder davonfuhr. Irgendwann würde ein zweiter Wagen vorfahren, und das würde dann die Frau sein, mit der er geschlafen hatte. Aber zwanzig Minuten später war Lucia immer noch nicht wieder erschienen.

Lucia Conyers ist meine Süße.

Derringer schüttelte den Kopf. Das war ganz und gar unmöglich. Er schaltete auf schnellen Vorlauf und ging das Band bis fünf Uhr morgens durch. Da erst öffnete sich seine Haustür wieder, und Lucia schlich sich hinaus, verstohlen, als verlasse sie den Tatort eines Verbrechens. Die wenigen Meter zu ihrem Wagen legte sie im Laufschritt zurück.

Derringer befand sich in einem Schockzustand. Hätte er es nicht gerade selbst gesehen, er hätte es nie für möglich gehalten. Wenn er eine Frau so gar nicht in Verdacht gehabt hatte, dann Lucia. Aber das Videoband lieferte den Beweis dafür, dass sie die Frau war, mit der er die Nacht verbracht hatte. Lucia, die beste Freundin seiner Schwägerin. Die süße Lucia war noch unberührt gewesen, wenigstens darin hatte er sich nicht geirrt. Sie, die immer zusammenzuckte, wenn er sie nur ansprach, und die die Flucht ergriff, wenn er ihr zu nahe kam … Ausgerechnet sie hatte seine Wehrlosigkeit ausgenutzt!

Erst ein paar Wochen zuvor hatte er zufällig mit angehört, wie Chloe und seine Schwestern sie gedrängt hatten, aufzuschreiben, was sie vor ihrem nächsten Geburtstag, dem dreißigsten, unbedingt noch erledigen wollte. Ob auf dieser Liste wohl auch der Punkt „Schwangerschaft“ aufgeführt war? Oder zumindest „Sex mit einem Mann“?

Derringer wurde wütend. Lucia Conyers würde einiges zu erklären haben, und er konnte ihr nur raten, sich einen guten Grund dafür einfallen zu lassen, dass sie ihn in seinem Bett überfallen hatte. Entschlossen zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Redaktion von Simply Irresistable.

„Ja, bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?“

Er hatte große Mühe, sich zu beherrschen. „Ich würde gern mit Lucia Conyers sprechen“, sagte er.

„Es tut mir leid, aber Ms Conyers ist zu Tisch.“

„Wissen Sie zufällig, wohin sie zum Essen gegangen ist?“

Eine kleine Pause entstand. „Darf ich Ihren Namen erfahren?“

„Ja. Westmoreland.“

„Mr Westmoreland, wie geht es Ihnen? Vor zwei Tagen war Ihre Frau mit dem süßen Baby da. Ihre Tochter ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Die Frau hielt ihn offenbar für Ramsey, aber das störte ihn nicht, solange er erfuhr, was er wissen wollte.

„Ich nehme das als Kompliment. Hat Lucia gesagt, wo sie essen will?“

„Ja, Sir. Bei McKay’s.“

„Ich bedanke mich.“

„Keine Ursache, Sir.“

Derringer lehnte sich zurück. In seinem Kopf nahm langsam ein Plan Gestalt an. Er würde Lucia nicht verraten, dass er die Wahrheit kannte. Sollte sie ruhig annehmen, dass er keine Ahnung hatte, und sich in Sicherheit wiegen.

Er würde zuschlagen, wenn sie es am wenigsten erwartete.

3. KAPITEL

Ohne dass sie sagen konnte, was sie dazu veranlasst hatte, sah Lucia von der Speisekarte auf und direkt in die Augen von Derringer Westmoreland. Sie erstarrte, als er geradewegs auf sie zukam. Seine Miene war undurchdringlich.

Wie immer war sie von seiner Erscheinung überwältigt: Er war groß, hatte breite Schultern, und unter seinem blauen Westernhemd zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab. Die engen Jeans umschlossen seine kräftigen Oberschenkel wie eine zweite Haut. Aber erst sein Gesicht … Mit der gebräunten Haut, den kaffeebraunen Augen und den sinnlichen Lippen sah er so gut aus, dass es mit Worten nicht zu beschreiben war.

Lucia saß wie angewurzelt auf ihrem Stuhl, unfähig, sich zu bewegen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle die Flucht ergriffen, brachte jedoch nicht die Energie dazu auf. Sie spürte, wie ihr ganz heiß wurde, als sie ihm ins Gesicht sah – das erste Mal seit dieser Nacht vor fast zwei Wochen.

Was suchte er hier? Und warum kam er so zielstrebig auf sie zu? Ob er den Slip gefunden und erraten hatte, dass er ihr gehörte? Sie schluckte. Aber das war unmöglich. Er konnte nicht herausgefunden haben, dass sie in seinem Bett gewesen war. Aber was wollte er dann von ihr?

Jetzt hatte er ihren Tisch erreicht und blieb stehen. Nervös fuhr Lucia sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Sie hätte schwören kann, dass er jede ihrer Bewegungen genau beobachtete. Wieder schluckte sie. Ihr Fehler war, dass sie eine zu lebhafte Fantasie hatte.

„Derringer, wie kommst du denn hierher?“, brachte sie schließlich hervor. „Chloe hat mir erzählt, dass du einen Unfall hattest.“

„Ja, ich bin vom Pferd gestürzt. Aber manchmal muss man auch etwas essen. Angeblich gibt es hier jeden Donnerstag die beste Fleischpastete in ganz Denver. Und nachdem ich dich hier allein am Tisch entdeckt habe, dachte ich, ich tue den Leuten etwas Gutes.“

Lucia hatte Schwierigkeiten, ihm zu folgen. „Aha. Und wie willst du das anstellen?“, fragte sie schließlich.

Er lächelte. „Indem ich mich zu dir setze und dadurch nicht auch noch einen eigenen Tisch beanspruche und für andere Gäste blockiere.“

Vor Schreck ließ Lucia beinah die Speisekarte fallen, aber sie gab sich redliche Mühe, ihre Gefühle zu verbergen. Hatte er gerade allen Ernstes vorgeschlagen, sich zu ihr an den Tisch zu setzen? Praktisch dieselbe Luft wie sie zu atmen? Sie war versucht, ihr Wasserglas in einem Zug auszutrinken. Stattdessen holte sie tief Luft, um ihren Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Wie konnte eine einzige Nacht mit ihm den Wunsch in ihr wecken, bei seinem Anblick jede Vernunft in den Wind zu schlagen und sich ihm in aller Öffentlichkeit an den Hals zu werfen?

Aber natürlich war das ganz und gar unmöglich. Wie wäre wohl Chloe mit so einer Situation umgegangen? Die Antwort war nicht schwer, aber sie half ihr nicht. Sie war nun einmal nicht Chloe. Trotzdem. Sie hatte keine andere Wahl. Das hieß, sie würde gefasst und selbstbewusst sein. Wenn das nur so einfach wäre …

Lucia zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, das ist eine gute Idee, Derringer. Setz dich.“

„Danke.“ Er erwiderte ihr Lächeln und nahm ihr gegenüber Platz.

War sie noch zu retten? Zu spät wurde ihr klar, was sie da getan hatte. Sie hatte ihn zu sich an den Tisch eingeladen! Worüber, um alles in der Welt, sollte sie sich nur mit ihm unterhalten? Was war, wenn sie sich verplapperte und etwas Dummes sagte wie: „Ach übrigens, wann kann ich meinen Slip bei dir abholen, den ich vor ein paar Tagen vergessen habe?“

Lucia stieß einen tiefen Seufzer aus. Es konnte gut sein, dass er schon alles wusste. Warum sonst sollte er sich zu ihr an den Tisch setzen? Das hatte er noch nie getan.

Sie riskierte einen Blick und sah, wie er lächelte und dabei seine Grübchen zeigte, die sie so wehrlos machten. Er sah genauso aus wie in dieser denkwürdigen Nacht, nur stand in seinen Augen nicht dieselbe verzehrende Lust. Heute waren sie ganz klar.

Die Bedienung kam, um die Bestellung aufzunehmen, und gewährte Lucia noch eine Galgenfrist. Lucia konnte nur hoffen, dass sie halbwegs anständig aussah. Geistesabwesend fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar. Aber mit ihrer äußeren Erscheinung schien alles in Ordnung zu sein.

Erneut lächelte er. „Ich habe gehört, dass du wieder studierst.“

Lucia sah, dass sich seine Lippen bewegten. Offenbar hatte er etwas gesagt.

„Wie bitte?“

„Du studierst wieder?“

„Ja. Woher weißt du das?“

„Von Chloe.“

„Aha.“ Wieso sollte Chloe mit ihm über sie reden? Es sei denn, er hätte sich nach ihr erkundigt. Aber das war höchst unwahrscheinlich. Vermutlich war ihr Name einfach nur zufällig während eines Gesprächs gefallen, und dann war die Sprache auf ihr Studium gekommen. Mehr steckte nicht dahinter. Sonst hätte Chloe sie bestimmt gewarnt.

„Ja, ich besuche einen Abendkurs, um meinen Master in Kommunikationswissenschaften zu machen.“ Sie sah Derringer an. „Du scheinst deinen Unfall gut überstanden zu haben.“ Kaum hatte sie das gesagt, als sie es schon bereute. Es war gefährlich, diesen Tag oder diese Nacht auch nur ansatzweise zu erwähnen, ganz gleich, in welchem Zusammenhang.

„Ja. Ich habe viel geschlafen diese Woche. Das hat geholfen. Ich bin schon wieder ziemlich gut in Form.“

Natürlich konnte sie ihm nicht sagen, dass er ihrer Ansicht nach auch während ihrer gemeinsamen Nacht ziemlich gut in Form gewesen war. Jedenfalls schien der Sturz seine Beweglichkeit nicht eingeschränkt zu haben. Wenn sie nur daran dachte, was er alles mit ihr angestellt hatte, wurde ihr ganz heiß.

„Und? Was hast du in letzter Zeit so getrieben?“

Lucias Herz schlug wie verrückt, und sie fragte sich, ob er wohl etwas merkte. Was sie getrieben hatte, wollte er wissen? Sie hätte es ihm sagen können. Immerhin war er es gewesen, der ihr die Jungfräulichkeit genommen hatte – derselbe Mann, der sie in die sinnlichen Freuden eingeführt hatte, von denen sie sonst nur in ihren Romanen las, derselbe Mann, den sie liebte und ihr Leben lang lieben würde. Das Absurde dabei war, dass er nicht die geringste Ahnung von alldem hatte. In seinen Augen war sie vermutlich ziemlich langweilig und schüchtern.

„Nicht viel“, hörte sie sich antworten. „Das Lernen und meine Arbeit in der Redaktion halten mich ziemlich auf Trab. Aber es macht mir Spaß, und ich beklage mich nicht. Und was machst du so?“

Sein Blick schien an ihren Lippen zu hängen.

Jetzt lachte Derringer. „Abgesehen davon, dass ich mich von diesem Gaul habe zum Narren halten lassen, habe ich nichts Aufregendes getan.“

Lucia neigte den Kopf zur Seite. „Warum hast du ihn überhaupt geritten? Ich dachte, es sei allgemein bekannt, dass er einen schlechten Charakter hat.“

Wieder ertönte dieses Lachen, so tief und sexy, dass sie eine Gänsehaut bekam. „Pure Eitelkeit. Ich dachte, wenn Casey es fertigbringt, Sugar Foot zu reiten, dann schaffe ich das auch.“

Lucia wusste, dass seine Cousine Casey und ihr Mann sowie sein Cousin Durango und dessen Frau Savannah ihn vor ein paar Wochen besucht hatten. Dabei hatte Casey Sugar Foot geritten und sich damit allgemeine Bewunderung erworben. Natürlich hatte der Hengst sie auch abwerfen wollen, aber sie hatte sich erfolgreich im Sattel gehalten.

„Ich bin eigentlich ein ziemlich guter Reiter“, sagte Derringer jetzt. „Wobei ich natürlich nicht von dem legendären und einzigartigen Sid Roberts trainiert wurde wie Casey und ihre Brüder.“

Lucia nickte. Casey, Cole und Clint waren Drillinge und bei ihrem Onkel Roberts aufgewachsen. „Aus Fehlern kann man nur lernen“, erwiderte sie und trank einen Schluck Wasser.

„Ja, da hast du recht.“

Lucia hatte das Gefühl, dass sie eine kleine Erholungspause nötig hätte, und stand auf. „Wenn du mich einen Moment entschuldigst?“

„Ja, natürlich“, sagte Derringer sofort und erhob sich ebenfalls.

Lucia holte tief Luft. Am liebsten hätte sie das Restaurant fluchtartig verlassen und wäre nicht mehr wiedergekommen. Aber es half nichts. Als sie die Toilette ansteuerte, spürte sie Derringers Blicke im Rücken.

Derringer sah Lucia nach. Sie sah ziemlich sexy aus. Mit ihrer schmalen Taille und den leicht gerundeten Hüften konnte sie den knappen hellblauen Pulli und knielangen Rock gut tragen. Besonders groß war sie nicht, vielleicht einen Meter achtundsechzig, aber sie hatte schöne Beine, die jetzt in hübschen schwarzen Lederstiefeln steckten. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie ihre Beine sich in dieser unglaublichen Nacht um seinen Körper geschlungen hatten.

Er hatte Lucia mit ihrer gebräunten Haut und den glänzenden schwarzen Haaren, die sie gewöhnlich als Pferdeschwanz trug, immer schon hübsch gefunden. Dazu kamen ihre haselnussfarbenen Augen, die hohen Wangenknochen und das fein geschnittene Gesicht. Und ihre sinnlichen Lippen verfolgten ihn regelrecht in seinen Gedanken, vor allem wenn er sich vorstellte, was sie damit alles anstellen konnte …

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und erinnerte sich daran, wie sie ihm vor Jahren, als er gerade von der Universität zurückgekommen war – sie musste ungefähr achtzehn gewesen sein und kurz vor der Abreise ins College gestanden haben –, zum ersten Mal aufgefallen war. Es war auf dem traditionellen Wohltätigkeitsball der Westmorelands gewesen. Damit sollte der Eltern von Derringer, seiner Tante und eines Onkels gedacht werden, die alle vier bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, als Derringer noch in der Highschool gewesen war. Das Geld, das durch den Ball zusammenkam, war für die Westmoreland-Stiftung bestimmt, mit der Hilfsprojekte in der Gemeinde finanziert wurden. Auch Lucia hatte in Begleitung ihrer Eltern den Ball besucht.

Er hatte gerade an der Bowlenschüssel gestanden, als sie hereingekommen war, und konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie ihm bei ihrem Anblick der Atem gestockt hatte. Den ganzen Abend hatte er die Blicke nicht von ihr wenden können, und das war etlichen anderen Ballbesuchern irgendwann aufgefallen – unter anderem auch Lucias Vater.

Der hatte ihn dann, als der Abend schon fortgeschritten war, beiseitegenommen und gewarnt: Er würde nicht dulden, dass ein Mitglied der Familie Westmoreland seiner Tochter nachstellte! Das lag nicht zuletzt an Derringers Cousin Bane, der Crystal Newsome schon seit der Schule nachstellte. Da Bane die Neigung hatte, in Schwierigkeiten zu geraten, hatte Carl Newsome ihm verboten, seiner Tochter zu nahe zu kommen. Unglücklicherweise hatte Crystal andere Vorstellungen von ihrem Glück und war genauso verrückt nach Bane wie er nach ihr. Und zusammen sorgten sie für eine Menge Ärger. Einmal waren sie sogar zusammen durchgebrannt, aber Carl Newsome hatte seine Tochter aufgespürt und an einen geheimen Ort verbannt, während Bane in seinem Kummer zur Navy gegangen war.

Derringer hatte zwar nicht Banes schlechten Ruf, aber er war wie dieser ein Westmoreland, und eine ganze Reihe von Eltern waren entschlossen, ihre Töchter vor ihm zu schützen. Bis zu einem gewissen Grad konnte er Lucias Vater sogar verstehen, denn er hatte ja selbst herumgetönt, dass er nicht vorhabe, sich häuslich niederzulassen und eine Familie zu gründen. Schon damals hätte ihm der Gedanke ans Heiraten nicht ferner sein können, und daran hatte sich nichts geändert. Dazu kam, dass sein Hauptinteresse im Moment sowieso der Pferdezucht galt.

„Ich bin wieder da.“

Derringer sah zu Lucia auf. Sie war wirklich wunderschön, aus der Nähe noch viel mehr. Aber sie schien sehr nervös zu sein, denn sie fuhr sich ständig mit der Zunge über die Lippen. Er hätte viel dafür gegeben, wenn es seine Lippen gewesen wären. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass ihm ihre Stimme gefiel. Sie war ruhig, aber zugleich sexy, und das wirkte sich ganz unmittelbar auf seine Gefühlswelt aus. Er hätte ihr stundenlang zuhören können.

„Erzähl mir, was du da für Kurse belegst“, forderte er sie auf. „Warum hast du überhaupt wieder angefangen zu studieren? Brauchst du den Master für etwas Bestimmtes?“

Ein wenig überrascht über sein Interesse, zog Lucia die Augenbrauen hoch, dann lächelte sie. Offenbar hatte er das richtige Thema gewählt.

„Na ja, Chloe hat es zwar noch nicht offiziell verkündet, aber sie kommt mittlerweile immer seltener in die Redaktion. Und wenn, dann hat sie das Baby dabei. Jedenfalls vertrete ich sie jetzt schon oft. Ich habe einfach den Eindruck, dass sie lieber zu Hause ist als im Büro.“

Derringer nickte. Er konnte Lucia nur zustimmen. Wann immer er Ramsey und Chloe einen Besuch abstattete, stellte er fest, dass die beiden ganz in ihrer Elternschaft aufgingen. Und er vermutete, dass es wohl nicht mehr besonders lang dauern würde, bis sie sich für ein zweites Kind entschieden.

„Jedenfalls will ich darauf vorbereitet sein, wenn sie über einen längeren Zeitraum wegbleibt“, meinte Lucia. „Wir haben schon darüber geredet und fanden beide, dass es nicht schaden kann, wenn ich den Master in Kommunikationswissenschaften mache. Das ergänzt meinen Bachelor in Wirtschaft ganz gut.“

Die Bedienung kam und brachte ihnen das bestellte Essen.

Lucia wechselte das Thema. „Ich habe gehört, dass Gemma sich ganz gut in Australien einlebt.“

Derringer nickte. Seine Schwester fehlte ihm zwar, aber wenn er mit ihr telefonierte, klang es, als ob es ihr wirklich gut ging. Sie hatte den Manager von Ramseys Schaffarm geheiratet, Callum. Gemma hatte lange nicht geahnt, dass er sie liebte, aber Derringer war von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass Callum der richtige Mann für sie war. Es war von Anfang an viel mehr als eine Bettgeschichte gewesen. Und deshalb unterstützte er die Verbindung von ganzem Herzen.

„Ja, ich habe vor ein paar Tagen mit ihr telefoniert. Sie und Callum wollen Ende des Monats zu unserem Ball kommen.“ Ob Lucia wohl auch dort auftauchen würde? Und wenn, dann mit wem?

„Hast du eigentlich einen festen Freund?“, fragte Derringer unvermittelt. Es war an der Zeit, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Lucia biss in eine Erdbeere und sah ihn ein paar Sekunden nur an. „Nein. Zurzeit bin ich ausschließlich mit meinen Lehrbüchern verabredet.“

„Das klingt nicht besonders aufregend. Hast du Lust, vielleicht mal mit mir ins Kino zu gehen?“

Lucia glaubte, sich verhört zu haben. „Du willst mit mir ins Kino gehen? Im Ernst?“

„Ja“, gab er zurück. „Lernen hin oder her, man muss auch entspannen zwischendurch. Es gibt einen neuen Film mit Tyler Perry, den ich mir anschauen wollte. Ich glaube, er läuft am Wochenende an. Hast du Lust, mich zu begleiten?“

Lucia schlug das Herz bis zum Hals. Offenbar hatte Derringer herausgefunden, dass sie die Frau war, die das Bett mit ihm geteilt hatte. Eine andere Erklärung hatte sie nicht. Warum sonst sollte er plötzlich mit ihr ausgehen wollen? All die Jahre hatte er nie das geringste Interesse an ihr gezeigt – warum also ausgerechnet jetzt?

Einen kribbelnden Moment sahen sie einander in die Augen, dann schaute Lucia hinunter auf ihren Teller. Andererseits konnte es auch sein, dass er nichts wusste und die Einladung zu diesem Zeitpunkt reiner Zufall war. Was sollte sie dann davon halten? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Forschend blickte sie ihr Gegenüber an, aber seine Miene verriet nichts.

„Warum willst du mit mir ausgehen, Derringer?“, fragte sie ihn direkt.

Derringer lächelte. „Das habe ich doch gesagt: Du brauchst ab und zu einfach ein bisschen Abwechslung von deinen Büchern und deiner Arbeit, damit du auf andere Gedanken kommst.“

Diese Begründung kaufte Lucia ihm immer noch nicht ab. „Wir kennen uns seit einer Ewigkeit, und bisher hast du noch nie den Versuch unternommen, dich mit mir zu verabreden. Genau genommen hast du dich nie auch nur im Geringsten für mich interessiert.“

Darüber lachte er herzlich. „So würde ich das nicht ausdrücken, Lucia. Aber ich liebe mein Leben, wie es ist, und lege Wert auf körperliche Unversehrtheit.“

Mitten in der Bewegung hielt sie inne. „Und was soll das jetzt wieder heißen?“

„Na ja, man hat mich davor gewarnt, dir nahezukommen, und ich habe die Warnung ernst genommen.“ Er verzog ein wenig den Mund.

Vor Schreck hätte Lucia beinah die Gabel fallen lassen. „Wer hat dich gewarnt – und warum?“ Sie hatte nie einen Freund gehabt, Eifersucht schied als Motiv also aus.

Jetzt lachte Derringer übers ganze Gesicht. „Glaub mir, dein Dad weiß sehr gut, wie man etwaige Verehrer seiner Tochter vergrault.“

Lucia wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gedanken überschlugen sich. „Mein Dad hat dich bedroht?“

„Ja, und ich habe diese Drohung ernst genommen.“ Derringer lächelte. „Es war in dem Sommer, als du gerade das College abgeschlossen hattest. Du warst achtzehn damals und ich zweiundzwanzig, und ich kam gerade von der Universität nach Hause zurück. Du hast mit deinen Eltern unseren Wohltätigkeitsball besucht. Vermutlich hat dein Dad mitbekommen, wie angetan ich von dir war, und hielt meine Absichten nicht für ehrenwert. Also zog er mich beiseite und machte mir klar, dass ich besser die Finger von dir lasse. Wenn nicht …“

Lucia glaubte ihm sofort. Schließlich kannte sie ihren Vater. Zwar gab er sich schlimmer, als er war, und ähnelte eher dem sprichwörtlichen bellenden Hund, aber das wussten die meisten Leute nicht. „Wenn nicht?“

„Dann würde er mir unter anderem die Augen herausreißen, ganz zu schweigen davon, was er mit anderen Körperteilen anstellen würde. Jedenfalls würde er nicht dulden, dass ein Westmoreland seiner Tochter den Hof machte.“

Lucia wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie glaubte sofort, dass sich das alles so abgespielt hatte, denn ihr Vater war immer schon überfürsorglich gewesen. Ein Glück, dass Derringer nicht wusste, wie aufgeregt sie war. Hatte er sich wirklich vor all den Jahren für sie interessiert?

Nervös befeuchtete sie ihre Lippen mit der Zungenspitze, und unwillkürlich fiel sein Blick auf ihren Mund. Ihr wurde ganz heiß bei der Vorstellung, dass er sich einmal zu ihr hingezogen gefühlt hatte, auch wenn sie nichts davon gewusst hatte. Trotzdem …

„Derringer, sei nicht albern. Das ist über zehn Jahre her“, meinte sie ein wenig spöttisch.

„Schon. Aber wahrscheinlich erinnerst du dich nicht daran, dass ich vor ein paar Jahren bei euch im Laden etwas gekauft habe. Du hast mich damals bedient.“

Und ob sie sich an diesen Tag erinnerte, auch wenn er schon so lange zurücklag! Das konnte sie ihm natürlich nicht beichten.

„Das ist zwar lange her, aber ich glaube, ich weiß noch, welchen Tag du meinst. Du hast damals Farbverdünner gekauft.“ Sie hätte ihm sogar sagen können, welche Marke und wie viel er bezahlt hatte.

„Wie auch immer. Jedenfalls hatte ich dich fragen wollen, ob du mit mir ausgehst, aber dann fing ich einen Blick deines Vaters auf und ließ es sein. Seine Meinung über mich hatte sich in der Zwischenzeit offenbar nicht geändert.“

Lucia musste einfach lachen, und es fühlte sich großartig an. Derringer hatte mit ihr ausgehen wollen! „Ich glaube es einfach nicht, dass du Angst vor Dad hattest!“

„Du kannst es ruhig glauben. Er kann sehr überzeugend sein. Hinzu kam, dass er und Bane ein paar Jahre vorher aneinandergeraten waren, als Bane einen Eimer mit Farbe bei ihm geklaut und damit Mr Milners Futterladen beschmiert hat – mit einem freundlichen Gruß von deinem Vater.“

Lucia musste sich vor Lachen die Tränen aus den Augen wischen. „Ja, ich erinnere mich. Ich war zwar auf dem College, aber meine Mom hat mir geschrieben, was passiert war. Mein Vater war stocksauer, genau wie Mr Milner. Dein Cousin Bane hatte den Ruf, ständig in Schwierigkeiten zu geraten. Wie läuft es denn mit ihm und der Navy?“

„Hervorragend. Kaum vorzustellen, dass er schon fast zwei Jahre dort ist. Aber so ist es.“

„Und seitdem war er nicht wieder hier?“

„Nein.“ Derringer schüttelte den Kopf. „Nicht ein einziges Mal. Er ärgert sich immer noch darüber, dass er nicht weiß, wo Crystal ist. Dafür haben die Newsomes gesorgt, bevor sie weggezogen sind. Eigentlich hoffen wir alle, dass er sie endlich vergisst und nach vorne schaut, aber bisher vergebens.“

Lucia wusste, wie Bane sich fühlte. Sie war auch nicht gern nach Denver zurückgegangen, da sie immer noch etwas für Derringer empfand. Und ihn zu sehen, wie er sich mit anderen Mädchen amüsierte, an deren Stelle sie nur zu gern gewesen wäre, war auch nicht gerade angenehm. Und jetzt erfuhr sie, dass sie anstelle dieser Mädchen hätte sein können! Ihr Vater hatte keine Ahnung, was er angerichtet hatte. Aber sie konnte ihm nicht einmal böse sein. Bane war nicht der einzige Westmoreland mit einem etwas zweifelhaften Ruf. Derringers jüngere Brüder – die Zwillinge Adrian und Aidan – und seine kleine Schwester Bailey standen Bane in dieser Hinsicht in nichts nach.

Irgendwann war es dann so, dass jeder hier vor den Westmorelands auf der Hut war. Allerdings hatte ihr Vater in letzter Zeit öfter als einmal festgestellt, dass Derringer und Ramsey sich seiner Meinung nach vorbildlich um die Familie kümmerten und sie zusammenhielten. Er hatte sich sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, dass er die beiden dafür bewunderte. Und damit war er nicht der Einzige. Alle Westmorelands waren auf dem College gewesen und hatten entweder ein eigenes Unternehmen oder gut bezahlte Jobs. Und alle zusammen waren die wohlhabendste Familie in der Gegend mit dem größten Landbesitz. Niemand fürchtete sie mehr, sondern alle brachten ihnen großen Respekt entgegen.

„Schau doch, wie sich alles zum Guten gewendet hat, Derringer“, sagte Lucia jetzt. „Die Zwillinge sind in Harvard, Bailey schließt in einem Jahr ihr Studium ab, und Bane dient dem Vaterland. Ramsey hat erzählt, dass er zu den Navy Seals will. Und das geht nur, wenn er Disziplin lernt.“

Derringer musste lachen. „Ausgerechnet Bane. Das wird nicht einfach.“ Er trank einen Schluck Tee. „Also, wie sieht’s aus? Haben wir eine Verabredung am Samstag?“

Eine Verabredung mit Derringer Westmoreland …

Lucia war schwindlig, und sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Gleichzeitig wusste sie natürlich, dass sie sich keiner Illusion hingeben durfte. Am Samstag würde er mit ihr ausgehen und am Sonntag mit irgendeiner anderen Frau. Schließlich lud er sie nur ins Kino ein, nicht nach Las Vegas, um sie dort zu heiraten.

Also würde sie sich nicht zu große Hoffnungen machen. Sie kannte Derringers Ruf. Er traf sich mit vielen Frauen, aber gleichzeitig verkündete er, dass er es nicht schätzte, wenn diese Frauen zu anhänglich oder besitzergreifend wurden.

Trotzdem … Es war schön, sich vorzustellen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, und das schon seit so vielen Jahren. Hieß das vielleicht nichts? Doch, beantwortete sie sich ihre Frage gleich selbst, das heißt etwas.

„Ja, ich gehe gern mit dir ins Kino, Derringer.“

4. KAPITEL

Derringer bog auf den Vorplatz seines Hauses ein und entdeckte das Auto seiner Schwester Bailey. Das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, war, von ihr bemuttert zu werden. Megan war schon schlimm genug, aber seine kleine Schwester war geradezu unerträglich. Als ihre Eltern damals gestorben waren, war sie erst sieben Jahre alt gewesen. Jetzt war sie zweiundzwanzig und auf dem College. Und wenn sie nicht gerade die Nase in ihre Bücher steckte, dann steckte sie sie in die Angelegenheiten ihrer fünf Brüder. Sie fühlte sich dazu berufen, über alles und jeden Bescheid zu wissen. Nachdem Ramsey inzwischen verheiratet war, hatte sie bei ihm die Zügel gelockert, aber ihn, Derringer, Zane und die Zwillinge hatte sie immer noch fest im Griff.

Ob sie schon lange wartete? Vermutlich würde sie ihm gleich eine Standpauke halten, weil er nicht zu Hause gewesen, sondern in die Stadt gefahren war.

Da er sie auf der Veranda nicht entdecken konnte, war sie wohl im Haus, was kein Problem darstellte, schloss er doch nie die Tür ab. Kaum hatte er den Fuß auf die Stufe gesetzt, als seine Schwester schon die Haustür aufriss. Ein Blick in ihr Gesicht genügte, und er wusste, dass er in Schwierigkeiten war. Sie war dabei gewesen, als der Arzt ihm für zwei Wochen außer Atmen, Schlafen und Essen praktisch alles verboten hatte.

„Kannst du mir bitte erklären, wo du in deinem Zustand warst, Derringer Westmoreland?“

Er ging an ihr vorbei und legte seinen Hut auf die Ablage. „Welchen Zustand meinst du, Bailey?“

„Du bist verletzt.“

„Aber nicht tot.“

Kaum hatte er das gesagt, als er es auch schon bereute. Denn er wusste genau, warum Bailey so überfürsorglich war. Sie hatte einfach Angst, ihre Brüder auf dieselbe Weise zu verlieren wie ihre Eltern. Es war eine Angst, die Derringer auch nicht fremd war, genauso wenig wie Zane. Sie alle hatten ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern gehabt – wie auch zu ihrer Tante und ihrem Onkel. Und sie alle hatten auf ihre Weise ihre Lehre aus diesem harten Schicksalsschlag gezogen. Derringer hatte es nur geschafft, weil er nie zurückgeschaut hatte. Der Preis dafür war, dass er es vermied, sich näher zu binden. Er hatte seine Brüder, Cousins und deren Kinder, die er alle von Herzen liebte. Mehr brauchte er nicht. Sollte er sich je in eine Frau verlieben und ihr würde etwas zustoßen – er wusste nicht, wie er damit umgehen würde. Vielleicht würde er darüber verrückt werden. Und deshalb war es ihm am liebsten so, wie es war. Er war mit seinem Leben zufrieden. Deshalb bezweifelte er, dass er je heiraten würde.

Er ging zu Bailey und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie zitterte. „He, komm schon, Bail. So schlimm war es nicht. Du hast doch auch gehört, was Dr. Epps gesagt hat. Der Unfall ist jetzt fast zwei Wochen her, und es geht mir gut.“

„Aber er hat auch gesagt, dass du Glück gehabt hast und alles hätte viel schlimmer ausgehen können.“

„Das ist es aber nicht. Mir wäre es lieber, wenn du mich ein anderes Mal besuchen würdest. Es sei denn, du willst waschen oder kochen. Ich würde mich jetzt gern hinlegen.“

Er sah, wie ihr Gesichtsausdruck sich veränderte. Seine Taktik hatte gewirkt. Sie mochte es nicht, wenn er ihr irgendetwas vorschrieb oder so tat, als bräuchte er nur mit dem Finger zu schnippen und sie würde gehorchen.

„Koch dir dein blödes Essen doch selbst. Und vielleicht kannst du ja eines deiner Flittchen dazu bringen, sich deiner Wäsche anzunehmen.“

„Wie du meinst. Aber pass auf, was du sagst, Bailey. Weißt du noch, wie ich dir früher immer den Mund mit Seife ausgewaschen habe, wenn du frech warst?“

Darauf antwortete sie gar nicht erst, sondern ließ sich aufs Sofa fallen, nahm die Fernbedienung und machte den Fernseher an.

Derringer verkniff sich ein Lächeln und sah auf die Uhr. „Und? Wie lange wolltest du bleiben?“

Da Bailey ihr Erbe noch nicht bekommen hatte, zeigte sie die Neigung, stundenlang bei ihren Geschwistern herumzuhängen. Meistens jedoch war Megan das Opfer, wogegen ihre Brüder absolut nichts hatten, zumal Bailey meist zu den unpassendsten Zeiten aufkreuzte.

So wie jetzt.

Bailey sah ihn nicht einmal an, als sie sich schließlich zu einer Antwort herabließ. „Solange ich Lust habe“, erklärte sie ihrem Bruder kühl. „Stört dich das?“

„Nein.“

„Gut.“ Sie zappte zu einem anderen Sender. „Also leg dich endlich hin. Hoffentlich bist du besserer Laune, wenn du aufstehst.“

Derringer lachte, als er sich zu ihr hinunterbeugte und sie liebevoll auf die Stirn küsste. „Danke, dass du dir solche Sorgen um mich machst, Kleine.“

„Wenn Gemma und ich das nicht tun, wer dann? Vielleicht all diese hirnlosen Frauen, mit denen du dich umgibst und die doch nur hinter deinem Geld her sind?“

Verwundert zog er eine Augenbraue hoch. „Und ich dachte immer, es wäre mein Charme, mit dem ich die Frauen betöre.“

Bailey sah zu ihm auf und verdrehte die Augen. „Wenn du nicht merkst, was wirklich los ist, Derringer, dann hast du echt ein Problem.“

Aber natürlich wusste er, was mit den Frauen los war, vor allem bei einer – Lucia Conyers. Allerdings zählte er sie nicht zu diesen „hirnlosen Frauen“ oder „Flittchen“, wie Bailey sie nannte. Wenn er am Samstag mit Lucia ins Kino ging, würde er ihr ihren Slip zurückgeben. Schon jetzt freute er sich auf den Moment, in dem ihr klar werden würde, dass er alles wusste – und praktisch von Anfang an gewusst hatte. Er war gespannt darauf, was sie sich wohl als Rechtfertigung einfallen lassen würde.

Aber vorher wollte er Bailey noch ein wenig auf den Zahn fühlen. „Ich habe heute bei McKay’s übrigens zufällig Lucia Conyers getroffen.“

„Ja, und?“, gab Bailey zurück, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.

Er lächelte. „Wir haben sogar zusammen gegessen, weil es so voll war und kein anderer Tisch mehr frei war.“ Eine kleine Pause entstand. „Sie ist sehr hübsch, das war mir bisher noch gar nicht richtig aufgefallen.“ Was allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn dass sie schön war, hatte er schon immer gewusst.

Langsam drehte Bailey sich zu ihm um, deutliche Missbilligung lag in ihrem Blick. „Ich hoffe nur, du denkst jetzt nicht, was ich glaube.“

Er lächelte. „Keine Ahnung. Was glaubst du denn, das ich denke?“

„Dass sie auf deiner Abschussliste steht.“

„Wenn du damit andeuten willst, dass ich vorhabe, mich mit ihr zu verabreden: Das habe ich schon getan. Wir gehen am Samstagabend zusammen ins Kino.“

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Bailey war entsetzt. „Sie ist Chloes beste Freundin.“

„Ja und?“ Derringer tat ahnungslos.

„Schließlich weiß hier jeder, wie die Westmorelands ticken. Du hängst sonst mit ganz anderen Mädchen rum und kannst eine Frau mit Verstand, wie Lucia eine ist, gar nicht richtig würdigen.“

„Meinst du das wirklich?“

„Ich weiß es! Wenn du eine Dummheit begehst und ihr wehtust, wird Chloe dir das nie verzeihen.“

Derringer zuckte die Achseln. Chloe hatte vermutlich keine Ahnung, was ihre Freundin in dieser Nacht getrieben hatte. Okay, er zweifelte nicht daran, dass Lucia Verstand hatte. Andererseits wollte es nicht recht dazu passen, dass sie sich in sein Bett geschlichen hatte.

„Lucia ist schließlich erwachsen“, meinte er. „Sie weiß, wie sie mit mir umgehen muss.“

Bailey musste ja nicht erfahren, wie aufregend sie mit ihm umgegangen war. Wann immer er daran dachte, machten sich gewisse Körperteile sehr nachdrücklich bemerkbar.

„Ich warne dich, Derringer. Und abgesehen davon, dass Lucia Chloes beste Freundin ist, mögen auch Megan und ich sie sehr gern.“

Derringer neigte leicht den Kopf zur Seite. „Ich vermute, das ist eine große Auszeichnung. Ihr drei habt noch keine Frau akzeptiert, mit der ich ausgehe. Interessant.“

Ohne seiner Schwester noch die Möglichkeit zu einer Antwort zu geben, ging er schnell die Treppe hinauf, um sich endlich hinzulegen.

Lucia konnte es kaum erwarten, bis sie wieder in der Redaktion war und Chloe die große Neuigkeit verkünden konnte.

„Ich gehe am Samstagabend mit Derringer ins Kino“, sagte sie aufgeregt in den Telefonhörer.

„Schön. Ich freue mich für dich. Vielleicht hat dieser Sturz ihn ja irgendwie zu Verstand gebracht. Daran hat es ihm bis jetzt ja immer gemangelt, deshalb hat er dich nie eingeladen. Dein Dad hatte recht. So viel man hört, hatten die Westmorelands immer einen ziemlich zweifelhaften Ruf.“

„Findest du, ich hätte nicht zusagen sollen?“

„Was ist denn das für eine Frage?! Selbstverständlich! Schließlich liebst du ihn und hast sogar schon mit ihm geschlafen.“

Lucia holte tief Luft. „Aber davon weiß er nichts. Das glaube ich jedenfalls.“

„Meinst du, dass er wirklich keine Ahnung hat?“

„Na ja, erst dachte ich, er käme deshalb an meinen Tisch.“

„Lucia, stell dein Licht nicht immer unter den Scheffel. Du hast hundertmal mehr Klasse als all die Frauen, mit denen er sich sonst abgibt.“

„Aber genau das ist doch das Problem, Chloe. Ich bin einfach nicht sein Typ, und seine Frauengeschichten sind legendär. Jemandem wie Ashira Lattimore kann ich nicht das Wasser reichen, und sie buhlt seit Jahren um seine Aufmerksamkeit.“

„Quatsch. Ashira ist eine verwöhnte, egoistische Nervensäge, definitiv keine Frau zum Heiraten.“

„Zum Heiraten?“ Lucia lachte. „Eine Ehe ist definitiv das Letzte, was Derringer im Sinn hat. Das weißt du so gut wie ich.“

„Ja, klar. Aber das haben sie auch über Ramsey gesagt, bevor ich ihm über den Weg gelaufen bin. Das heißt, dass Männer sich ändern können, wenn sie die richtige Frau treffen. Jetzt musst du Derringer nur noch davon überzeugen, dass du diese Frau bist.“

Traurig schüttelte Lucia den Kopf. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollte. „Das sagst du so, Chloe. Du warst schon immer selbstbewusster als ich.“

„Versuch es doch einfach, Lucia. Denk mal nach. Offenbar hat Derringer Interesse an dir, das ist deine große Chance. Verpasste Gelegenheiten lassen sich nicht nachholen. Wenn ich damals einfach hingenommen hätte, dass Ramsey nicht aufs Titelblatt will, was wäre dann geworden? Ich wusste, was ich wollte, und habe mich entschlossen, etwas dafür zu tun, damit ich es auch bekomme. Das würde ich dir auch empfehlen.“

„Ich weiß nicht.“ Lucia seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass Chloe so mit ihr sprach. Sie wusste ja auch, dass ihre Freundin recht hatte. Aber danach zu handeln war nicht so einfach, wenigstens nicht für sie.

„Lass es dir durch den Kopf gehen. Du hast zwei Tage. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich dafür sorgen, dass er jede Minute in meiner Gesellschaft genießt. Das ist jetzt deine große Chance. Mach was draus.“

Wenig später, als Lucia den Telefonhörer aufgelegt hatte, nahmen die Zweifel wieder überhand. Natürlich wollte sie mehr als alles andere Derringers Interesse wecken. Aber was, wenn es ihr nicht gelang? Wenn sie es nicht schaffte, den Mann, den sie liebte, dazu zu bringen, ihre Gefühle zu erwidern? Vielleicht vertreibt er sich mit diesen Mädchen ja nur die Zeit und zieht in Wirklichkeit einen anderen Frauentyp vor, versuchte sie, sich selbst Mut zu machen.

Mit einem hatte Chloe auf jeden Fall recht gehabt. Niemand hätte je für möglich gehalten, dass Ramsey sich ernsthaft verlieben würde. Die Frau, die er einmal hatte heiraten wollen, hatte ihm mitten in der Hochzeitszeremonie mitgeteilt, dass das Kind, das sie erwartete, von einem anderen Mann war. Und doch hatte er sich später in Chloe verliebt, ob er das vorher gewollt hatte oder nicht. Vielleicht also bestand für die anderen Westmorelands – vor allem für Derringer – auch noch Hoffnung.

„Gerüchten zufolge interessierst du dich neuerdings für Damenunterwäsche, Derringer. Gibt es dafür einen Grund?“ Das war Canyon, einer seiner Cousins und vier Jahre jünger als er.

Derringer drehte sich langsam vom Billardtisch um, das Queue noch in der Hand.

„Nein, keinen besonderen.“

Canyon lächelte. „Mich hast du zwar nicht gefragt, aber vielleicht interessiert es dich, dass die Frauen, mit denen ich ausgehe, keine Unterwäsche tragen.“

Derringer musste lachen. Das glaubte er sofort. Er sah zum Tisch hinüber, wo der Rest der Truppe bei einem Bier zusammensaß – sein Bruder Zane und seine Cousins Jason, Riley, Canyon und Stern. Sie standen sich alle so nahe wie Blutsbrüder. Zane war derjenige, der über diese Dessousgeschichte Bescheid wusste, aber er würde ihn bestimmt nicht verraten.

„Seit wann gehst du eigentlich mit Lucia aus?“, wollte Jason wissen. „Ich dachte, du hättest Angst vor ihrem Vater.“

Derringer lächelte. „Lucia ist erwachsen und alt genug, selbst zu entscheiden, mit wem sie ausgehen will oder nicht. Ihren Vater geht das nichts an.“

„Mag sein. Aber sie ist nicht dein Typ“, stellte Riley fest.

Etwas Ähnliches hatte Bailey an diesem Tag auch schon gesagt. „Und was ist mein Typ?“, fragte er betont freundlich.

„Frauen, die schwarze Slips tragen“, erklärte Canyon prompt.

„Andererseits könnte mein Geschmack im Hinblick auf Frauen sich auch verändert haben.“ Damit wandte Derringer sich wieder zum Billardtisch um.

Zane stieß einen verächtlichen Laut aus. „Seit wann das denn? Seit Sugar Foot dich abgeworfen hat und du dir den Kopf angeschlagen hast?“

Derringer runzelte die Stirn. „Ich habe mir den Kopf nicht angeschlagen.“

„Na ja, man macht sich eben so seine Gedanken“, sagte Riley. „Erst läufst du herum und fragst die Leute nach irgendwelchen Dessous aus, und jetzt verabredest du dich plötzlich mit Lucia Conyers. Ich kann dir nur raten, sie anständig zu behandeln, sonst bekommst du es mit Chloe zu tun.“

„Und nicht nur mit ihr“, drohte Zane. „Wir mögen Lucia.“

Derringer gab keine Antwort darauf, sondern drehte die Spitze seines Queues in der Kreide. In diesem Augenblick war es ihm völlig gleichgültig, was seine Verwandten von Lucia Conyers hielten. Er verfolgte seinen eigenen Plan mit ihr, und wenn seinen Brüdern und Cousins das nicht gefiel, dann hatten sie eben Pech gehabt.

5. KAPITEL

Am Samstagabend, kurz vor Derringers Ankunft, war Lucia ein Nervenbündel. Inzwischen hatte sie ihren Vater mit seinem Auftritt auf dem Ball der Westmorelands konfrontiert. Er hatte nichts abgestritten, aber seinem etwas dümmlichen Lächeln nach zu schließen, war ihm seine Drohung mittlerweile ein wenig peinlich. Und er gestand, dass er Derringer gefürchtet habe wie der Teufel das Weihwasser. Aber er bereute nichts, sondern war im Gegenteil mehr als zufrieden mit sich, dass seine Warnung die gewünschte Wirkung gezeigt hatte.

Immerhin versprach er, sich in Zukunft nicht mehr einzumischen, schließlich sei Lucia alt genug und könne für sich selbst sorgen. Am Ende hatte sie ihm einen töchterlichen Kuss gegeben und behauptet, er sei der beste Vater der Welt.

Derringer hatte also die Wahrheit gesagt. Er hatte sich vor Jahren wirklich für sie interessiert, aber dann hatte ihr Vater ihn abgeschreckt. Auch wenn Lucia sich fortan immer fragen würde, wie es gekommen wäre, hätte ihr Vater nicht eingegriffen, war sie doch fest davon überzeugt, dass nichts im Leben ohne Grund geschah. Abgesehen davon wäre sie Derringer damals mit ihren achtzehn Jahren sicher nicht gewachsen gewesen – und mit zweiundzwanzig wohl auch nicht. Sie war ja nicht einmal sicher, ob sie ihm heute gewachsen war, aber entschlossen, einen Versuch zu wagen. Irgendeinen tieferen Sinn hatte es bestimmt gehabt, dass sie zu ihm ins Bett gestiegen war.

Inständig hoffte sie, dass sich ihr dieser tiefere Sinn erschließen würde.

Die Tatsache, dass der Grund, warum Derringer mit ihr ins Kino gehen wollte, offenbar nichts mit ihrer gemeinsamen Nacht zu tun hatte, erleichterte sie ungemein. Immer wieder hatte sie die Nacht in Gedanken Revue passieren lassen und die ganze letzte Woche schlecht geschlafen. Wenn sie daran dachte, dass sie eventuell noch einmal Sex mit Derringer haben würde, wurde ihr abwechselnd heiß und kalt.

Am Motorengeräusch erkannte sie seinen Wagen, als er in ihre Auffahrt bog. An diesem Abend hatte er seinen Sportwagen genommen, in dem man sehr viel luxuriöser und bequemer saß als in seinem Kombi. Und sie würde ihrem Traummann darin viel näher sein!

Chloe hatte erzählt, dass die Westmorelands sich nicht einig waren, ob es angesichts Derringers Rufs als Frauenheld eine gute Idee war, dass sie mit ihm ausging. Niemand wollte, dass er ihr wehtat. Aber natürlich wussten sie alle nicht, dass sie Derringer schon so lange liebte und sich ein Traum für sie erfüllte. Und selbst wenn er danach nie wieder mit ihr ausgehen wollte, so hatte sie doch immer noch ihre Erinnerungen. Nicht, dass sie erwartete, dass sie an diesem Abend etwas ähnlich Aufregendes erleben würde. Dennoch war sie mehr als neugierig darauf, zu erfahren, was der Abend wohl bringen würde. Allein dass er sie eingeladen und dabei keine Hintergedanken gehabt hatte, tat ihr gut und gab ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

Um Derringers Mund spielte ein Lächeln, als er vor Lucias Tür anhielt. Kein anderes Haus in der Straße war so in Licht getaucht. Nicht nur die Terrasse war hell erleuchtet, sondern auch der Vorplatz. Überall waren Lampen angebracht. Es war schön hier mit all den imposanten alten Bäumen auf beiden Seiten der Straße und den Bergen im Hintergrund. Dennoch fühlte er sich in dieser Umgebung unwohl, irgendwie beengt. Wer so viel Land besaß wie er und seine Brüder war so beengte Verhältnisse einfach nicht gewohnt.

Es hätte ihn nicht gewundert, wenn die halbe Nachbarschaft ihn beobachtet hätte, als er jetzt im Scheinwerferlicht die Verandastufen hinaufstieg. Im Haus gegenüber hatten die Vorhänge sich jedenfalls ein wenig bewegt. Aber wenn Lucia sich nicht um neugierige Nachbarn scherte, dann tat er es auch nicht.

Schließlich hatte er selbst genug mit seiner neugierigen Familie zu tun. Vermutlich hätte er Bailey nichts von seiner Verabredung erzählen sollen, jedenfalls hatte sie keine Zeit verloren und alles brühwarm weitererzählt. Daraufhin hatte er eine Reihe von Anrufen bekommen, in denen er unmissverständlich davor gewarnt wurde, was passieren würde, wenn er sich nicht anständig benahm. Nur der eine Anruf, mit dem er eigentlich fest gerechnet hatte, kam nicht: der von Chloe. Und jetzt fragte er sich, ob sie nicht viel mehr wusste, als er vermutet hatte.

Bevor er klingelte, sah er auf die Uhr – es war Punkt halb sieben. Da er die Kinokarten schon reserviert hatte, brauchten sie nicht lange anzustehen. Er hatte alles genau geplant, auch den genauen Zeitpunkt, an dem er seine Bombe platzen lassen würde. Vorher wollte er Lucia jedoch noch die Freude an dem Film gönnen.

Derringer hörte ein Geräusch an der Tür, und Sekunden später stand sie vor ihm. Ihr Anblick traf ihn unerwartet. Sie hatte sich verändert. Hübsch war sie immer gewesen, aber an diesem Abend sah sie einfach umwerfend aus.

Anstelle des Pferdeschwanzes trug sie die Haare offen, sodass sie ihr in sanften Wellen auf die Schultern fielen. Außerdem schien sie irgendetwas mit ihren Augen angestellt zu haben, denn sie erschienen ihm größer und strahlender als sonst. Und dann, was sie anhatte … nicht aufreizend, aber so, dass es ihn den ganzen Abend nervös machen würde. Sie trug ein pflaumenfarbenes Baumwollkleid und dazu schwarze Wildlederstiefelchen, genau das Richtige für einen Kinoabend. Das Kleid betonte ihre schmale Taille, und es endete über dem Knie, sodass ihre langen wohlgeformten Beine gebührend zur Geltung kamen.

Ihr Anblick raubte ihm schier den Atem. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich wieder halbwegs gefasst hatte. Lucias Lächeln sagte ihm mehr als deutlich, dass sie sehr wohl mitbekommen hatte, welche Wirkung sie auf ihn ausübte. Er konnte gar nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern. Sie hatte es geschafft, ihn sprachlos zu machen. Statt der hübschen Lucia stand ein atemberaubendes Geschöpf vor ihm.

„Derringer.“

Er atmete einmal tief durch. „Hallo.“

„Ich hole mir nur noch schnell eine Jacke. Möchtest du kurz reinkommen?“

Er konnte gar nicht aufhören zu lächeln. Sie lud ihn ein! „Ja, gern.“

Als er an ihr vorbeiging, gaben beinah die Beine unter ihm nach. Dieses Parfüm! Es war derselbe Duft, den er am Morgen nach dieser denkwürdigen Nacht wahrgenommen hatte. Seitdem verfolgte er ihn. Sie war die einzige Frau, deren Slip er allabendlich unter sein Kopfkissen schob. Tief atmete er ein. Der Duft einer Frau konnte ungeheure Macht auf einen Mann ausüben.

„Möchtest du noch was trinken, bevor wir losfahren?“

„Nein, danke. Jetzt nicht.“ Derringer sah sich im Wohnzimmer um.

„Ich bin in einer Minute wieder da“, versprach Lucia.

„Lass dir ruhig Zeit.“ Er sah ihr nach. Sie bewegte sich sehr anmutig. Endlich zwang er sich, den Blick abzuwenden und sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Das Haus war klein, aber für Lucia war es genau richtig. Alles war an seinem Platz, selbst die Zeitschriften auf dem Tisch lagen ordentlich aufeinander. Besonders der offene Kamin hatte es ihm angetan, und er konnte sich gut vorstellen, wie an kalten, unfreundlichen Wintertagen ein Feuer darin brannte und Lucia es sich davor gemütlich machte.

Auf der Fahrt hierher war ihm aufgefallen, wie günstig sie wohnte. Es gab alles hier: Läden, Schnellimbisse, Lebensmittelgeschäfte und eine Reinigung. Das empfand sie sicher als sehr bequem. Er schüttelte den Kopf über sich. Nichts konnte ihm gleichgültiger sein als Lucias Umfeld.

„Ich bin so weit.“

Derringer drehte sich um. Sie stand neben einer Stehlampe, in deren Schein sie ihm fast überirdisch schön erschien. Er war wie gelähmt, unfähig, den Blick von ihr zu wenden. Was war nur mit ihm los? Aber natürlich kannte er die Antwort darauf: Lucia machte ihn an. Vielleicht sollte er vorschlagen, das Kino zu vergessen und es sich hier gemütlich zu machen. Aber davor scheute er zurück.

Langsam ging er zu ihr, und mit jedem Schritt klopfte sein Herz schneller. Als er vor ihr stand, sagte er das Einzige, das ihm einfiel. „Du siehst wunderschön aus, Lucia.“

Es war die reine Wahrheit.

Lucia wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Aber ihr wurde ganz warm. Tief in ihr meldete sich eine kleine warnende Stimme. Das ging alles viel zu schnell. Der Mann hatte Erfahrung und wusste, wie man mit Frauen umging. Um an sein Ziel zu kommen, würde er, so wie alle Männer, alles behaupten, was ihm den Weg dorthin ebnete. Trotzdem, in diesem Augenblick war es ihr gleichgültig. Das Kompliment war von Derringer Westmoreland gekommen, und nur das zählte.

„Danke schön.“

Er neigte den Kopf. „Es war mir ein Vergnügen“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Ohne jeden Zweifel hatte er vor, sie zu küssen. Da war Lucia sich ganz sicher. Von den Zehen bis zum Kopf durchströmte dieses Gefühl sie, und ihr wurde heiß.

„Lucia?“

Seine Stimme klang kehlig und traf sie ohne Umwege mitten ins Herz.

„Ja?“

Er legte ihr die Hand unters Kinn und hob es ein wenig an. Ihr Puls raste beinah, als ihre Blicke sich trafen und ein Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete. „Ich muss dich jetzt küssen.“ Und bevor sie auch nur neue Luft schöpfen konnte, senkte er den Mund auf ihren.

In dieser einen entscheidenden Nacht hatte er sie oft geküsst, aber dieser Kuss war anders. Das spürte sie. Die Leidenschaft war da, aber sie war nicht so wild und ungezügelt. Er wusste genau, was er tat, und wenn er ihr den Verstand raubte und sie willenlos machte, dann geschah das in voller Absicht.

Langsam drang er mit der Zunge in ihren Mund ein, und Lucia stöhnte auf. Mehr tat er nicht, gab sich damit zufrieden, einfach nur mit langsamen Bewegungen jeden Zentimeter ihres Mundes zu erforschen. Seine Lippen brannten auf ihren, genussvoll kostete sie den Pfefferminzbonbongeschmack aus. Im nächsten Moment saugte er an ihrer Zunge, drang dann tief, aber gleichzeitig sanft in ihren Mund vor und rief ein wahres Gefühlschaos in ihr hervor.

Sie verspürte ein Ziehen zwischen den Oberschenkeln, als Derringer sich an sie drängte und sie merkte, wie erregt er war. Hilflos vor Verlangen, stöhnte sie auf.

Es war ein Kuss, den man gewöhnlich am Ende einer Verabredung bekam, nicht bevor der Abend überhaupt begonnen hatte. Aber das war Derringer offenbar egal, die übliche Reihenfolge interessierte ihn nicht. Er handelte nach seinen Regeln und kümmerte sich nicht um andere. Lucia konnte sich sehr gut vorstellen, dass er nicht zuletzt deshalb so begehrt bei den Frauen war und Väter ihre Töchter vor ihm warnten. Er hatte eine Wirkung auf sie, gegen die sie machtlos war.

Und das war Absicht.

Ohne Vorankündigung vertiefte er den Kuss und umfasste ihre Taille. Seine Zunge bewegte sich schneller und härter in ihrem Mund, und Lucia war zu keiner anderen Reaktion fähig, als erneut aufzustöhnen. Instinktiv drängte sie sich an ihn, ihr war heiß vor Lust.

Vielleicht hätten sie noch eine halbe Ewigkeit einfach so dagestanden und sich leidenschaftlich geküsst, hätte Lucia sich nicht von ihm gelöst, um tief Luft zu holen. Sie schloss die Augen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schmeckte ihn immer noch. Die Lust, die ein einfacher Kuss in ihr auslöste, war kaum zu ertragen. Langsam schlug sie die Augen auf, als könnte sie so die turbulenten Gefühle beruhigen.

Wieder hob er ihr Gesicht an, sodass sie keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen. Seine Augen waren dunkel und tief, Lust stand darin und heiße Leidenschaft. In diesem Moment hatte er etwas Ungezähmtes, Ursprüngliches, so wie das Land, auf dem er lebte, das Land der Westmorelands. Und zum ersten Mal wurde ihr klar, wie sehr seine Umgebung ihn prägte.

Lucia konnte den Blick nicht abwenden, sie war wie hypnotisiert. Und gleichzeitig merkte sie, dass sie sich immer mehr in ihn verliebte.

„Lucia Conyers, du überraschst mich“, sagte Derringer, und seine Stimme klang tief, rau und unverschämt sexy.

Etwas verunsichert lachte Lucia auf. In den letzten Minuten war ihr klar geworden, wie schnell so ein Kuss außer Kontrolle geraten konnte, wie schnell man in einen Zustand geriet, in dem man nicht mehr klar denken konnte und alle Bedenken über Bord warf.

„Ist es gut oder schlecht, dass ich dich überrasche?“

Derringer lachte und ließ Lucia los, nachdem er ihr noch einen flüchtigen Kuss auf den Mund gegeben hatte. „Das entscheiden wir später“, meinte er dicht an ihren Lippen. „Komm, gehen wir, solange wir noch können.“

Der Abend verlief völlig anders, als Derringer es geplant hatte. Nicht einmal der Geruch nach Popcorn konnte Lucias Duft überdecken. Seine Nase schien gar nichts anderes mehr wahrzunehmen. Das war ihre erste Verabredung, und es hatte eigentlich auch ihre letzte werden sollen.

Aber jetzt …

Dieses „Aber“ machte ihm Sorgen. Es weckte zum Beispiel den Wunsch in ihm, dass der Abend niemals enden möge.

Nach dem Essen schlug er vor, noch auf einen Kaffee ins Torie’s zu gehen. Lucia hatte alles, was man sich als Mann bei der ersten Verabredung von einer Frau wünschte, gleichzeitig aber war sie für Überraschungen gut. Sie ist eine aufregende Mischung, fand er. Es war schön, sie so nah neben sich zu haben, als sie in seinem Cabrio durch Denver fuhren, auch wenn ihr Parfüm ihm die Sinne zu benebeln drohte. Aber er mochte nicht nur, wie sie duftete,

In all den Jahren hatte er viele Frauen getroffen, die gut dufteten. Aber der Duft dieser Frau, die jetzt mit geschlossenen Augen neben ihm saß und der Musik lauschte, war nicht nur köstlich, sondern versetzte ihn geradezu in Hochstimmung. Ja, ihr Duft tat ihm ohne jeden Zweifel gut. Er lachte leise und musste über sich selbst den Kopf schütteln.

Lucia öffnete die Augen. „Was ist so komisch?“, wollte sie wissen und wandte leicht den Kopf, um ihn anzusehen.

„Ach, ich habe nur gerade an den Film gedacht“, behauptete er. Unmöglich konnte er ihr die Wahrheit sagen.

Auch Lucia lachte. „Ja, der Film hat wirklich Spaß gemacht.“

Derringer warf ihr einen Blick von der Seite zu. „Ja. Schön, dass er dir gefallen hat.“

„Danke für die Einladung.“

„Gern.“

„Dein Auto ist auch nicht übel.“

„Freut mich, dass es dir gefällt.“

Nicht alle Frauen waren so davon angetan. Einige seiner flüchtigen Bekannten hatten sich beschwert, dass sein Wagen zwar schnittig und schnell war, aber zu eng und unbequem.

„Kannst du dir vorstellen, dass für nächstes Wochenende tatsächlich ein Schneesturm vorhergesagt ist?“

„Na ja, das ist eben Denver. Hier muss man immer mit Schneestürmen rechnen.“ Einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. „Hat es dir in Florida gefallen? Du hast da immerhin vier Jahre gelebt.“

Lucia nickte. „Ja, ich war sehr gern da.“

„Und warum bist du dann nach Denver zurückgekommen?“

Lucia antwortete nicht sofort. „Weil ich mir nicht vorstellen konnte, auf Dauer woanders zu leben“, antwortete sie schließlich.

Derringer nickte. Er konnte sie verstehen. Seine Collegezeit hatte er in Phoenix verbracht, aber die ganze Zeit über hatte er sich nach Hause gesehnt – und danach, Lucia wiederzusehen. Er war noch keine Woche hier gewesen, als Ramsey ihn damals geschickt hatte, um Farbverdünner zu kaufen. Zuerst hatte er Lucia nicht erkannt, denn in den Jahren, in denen er sie nicht gesehen hatte, war sie von einem jungen Mädchen zu einer schönen Frau geworden. Zum Glück hatte auch bei diesem Zusammentreffen ihr Vater eingegriffen, denn er, Derringer, hätte nicht sagen können, wohin seine Lust ihn sonst getrieben hätte.

Aber das alles war lange her. Inzwischen waren sie vor dem Torie’s eingetroffen, dem besten Café der Stadt, das für seine süßen Leckereien berühmt war. Derringer half Lucia aus dem Wagen und registrierte dabei sehr wohl die neugierigen Blicke der Passanten. Allerdings war er sich diesmal nicht sicher, ob diese Blicke wirklich nur seinem Wagen galten oder vielmehr der Frau in seiner Begleitung. Und zum ersten Mal vergaß er auch, den jungen Mann, der den Wagen parkte, zur Vorsicht zu mahnen.

Sie wurden vom Geschäftsführer persönlich begrüßt. „Wie schön, Sie bei uns zu sehen, Mr Westmoreland.“

„Danke, Pierre. Haben Sie einen etwas ruhigeren Tisch für uns?“

„Selbstverständlich, Sir.“

Derringer hielt Lucia am Ellbogen, als sie zu einem Tisch geführt wurden, von dem aus man einen traumhaften Blick auf die Berge und den See hatte. Im Kamin brannte ein anheimelndes Feuer und machte die romantische Umgebung perfekt. Das gefiel selbst Derringer, der eigentlich alles andere als ein Romantiker war. „Wenn du etwas essen willst, kann ich den Erdbeersahnekuchen sehr empfehlen“, meinte er.

„Dann will ich dir mal glauben.“

Lucia bestellte ein Glas Wein, Derringer nur Sodawasser.

„Ich muss ja fahren“, erklärte er auf ihren fragenden Blick hin. „Außerdem verträgt der Alkohol sich nicht mit meinen Medikamenten. Der Arzt hat mich sehr nachdrücklich vor der Wechselwirkung gewarnt.“

„Hast du immer noch Schmerzen?“, wollte Lucia wissen.

Er lächelte ein wenig gequält. „Es geht. Ich darf mich nur nicht zu schnell bewegen.“

„Vermutlich wirst du eine Weile nicht mehr versuchen, Sugar Foot zu reiten.“

„Wie kommst du denn darauf? Ich hatte das eigentlich schon morgen vor.“

Ihr Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Entsetzen und Unglauben wechselten sich in schneller Folge ab. „He, das war ein Witz!“, sagte Derringer und nahm ihre Hand.

Vorwurfsvoll sah Lucia ihn an. „Das will ich doch sehr hoffen. Auch hoffe ich, dass du deine Lektion gelernt hast. Man geht nicht unnötig so ein Risiko ein.“

Er lachte. „Ja, ich gebe zu, ich bin klüger geworden.“ Gleichzeitig war ihm klar, dass es ein sehr viel größeres Risiko war, zu viel Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Jetzt erst fiel ihm auf, dass er noch immer ihre Hand hielt, und er musste sich dazu zwingen, sie loszulassen.

Sich an eine Frau wie Lucia zu gewöhnen war gefährlich, denn ehe man sich’s als Mann versah, saß man in der Falle. Natürlich zog sie ihn an, aber für seinen Geschmack ein bisschen zu sehr. Sie war genau die Frau, die ihn dazu brachte, sie auf eine Weise zu begehren, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte. Und das war alles andere als gut.

Später bestellten sie sich noch einen Kaffee und teilten sich ein Stück Kuchen. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt, und Derringer ertappte sich immer wieder dabei, dass sein Blick sich in Lucias Gesicht verlor. Sie war schön, da hätte ihm kein Mann widersprochen, aber diese Schönheit war nicht nur oberflächlich, sondern sie kam von innen, und das machte Lucia so anziehend.

Als er sie zwei Stunden später nach Hause fuhr, stellte er fest, dass der Abend ganz anders verlaufen war, als er es ursprünglich beabsichtigt hatte. Vor einer roten Ampel mussten sie anhalten, und dabei warf er Lucia einen Blick von der Seite zu. Sie schlief. Kein Wunder, dachte er. Eigentlich wollte er alles Mögliche mit ihr anstellen, wenn sie vor ihrem Haus angelangt waren, aber er wusste, dass es am besten war, wenn er sie einfach nur zur Tür brachte und sich dann schleunigst verabschiedete. In ihm ging irgendetwas vor, das er nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. Allein dieser Kuss vorhin hatte ihn umgeworfen und seinen Verstand komplett ausgeschaltet. Von wegen, er wollte ihr eine Lektion erteilen!

Nur ein paar Minuten später ging er neben ihr zur Haustür.

„Danke für den wunderschönen Abend, Derringer.“

„Gern.“ Er musste sich dazu zwingen, sie nicht sofort wieder einzuladen. Das hätte ihm noch gefehlt. „Ich fahre dann wohl wieder“, sagte er und blieb stehen.

„Möchtest du vielleicht noch einen Kaffee?“

Er schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich glaube, mein Magen würde rebellieren. Außerdem muss ich früh aufstehen. Ich helfe morgen Zane und Jason mit den Pferden. Da brauche ich vorher meinen Schlaf.“

„Das verstehe ich.“

Er wollte gehen, schaffte es aber nicht. Stattdessen konnte er sie immer nur anschauen. „Gute Nacht, Lucia“, flüsterte er schließlich und strich flüchtig mit den Lippen über ihren Mund.

„Gute Nacht, Derringer.“

Er straffte den Rücken und sah ihr nach. Erst als die Tür ins Schloss fiel, drehte er sich um und ging zu seinem Wagen zurück. Er musste ganz dringend nachdenken. Irgendwie musste er dahinterkommen, was diese Lucia Conyers an sich hatte, das ihn in einen Zustand versetzte, den er noch nie erlebt hatte und der ihm geradezu unheimlich war.

6. KAPITEL

Zane war gerade damit beschäftigt, sein Pferd zu satteln, und hielt nur lange genug inne, um zu seinem Bruder hinüberzusehen. „Was ist eigentlich los mit dir, Derringer? Letzte Woche warst du brennend an Dessous interessiert, und jetzt auf einmal willst du alles über Parfüm wissen. Hast du dir inzwischen übrigens das Videoband angeschaut und herausgefunden, wer die Frau ist, die bei dir war?“

Derringer rieb sich das Gesicht. Er hätte sich ja denken können, dass es nicht gerade seine brillanteste Idee gewesen war, mit seinem Problem ausgerechnet zu Zane zu rennen. Andererseits kannte sein Bruder sich besser als jeder andere mit Frauen aus, und er, Derringer, brauchte einfach ein paar Antworten. Und wenn er die hatte, dann kam er vielleicht auch dahinter, was genau eigentlich zwischen Lucia und ihm war. Seit dem Kinobesuch war fast eine Woche verstrichen, und er war der Lösung immer noch nicht näher gekommen. Nicht einmal mit dem Beweisstück hatte er Lucia konfrontiert.

„Mit mir ist überhaupt nichts los“, behauptete er jetzt. „Beantworte einfach meine verdammte Frage!“

Zane musste lachen. „Sind wir ein bisschen empfindlich? Wie lief eigentlich deine Verabredung mit Lucia? Du hast überhaupt noch nichts erzählt.“

„Und ich werde dir auch nicht mehr erzählen, als dass es nett war.“

„Ich hoffe sehr, dass das wirklich alles ist. Sonst bekommst du es nämlich mit Chloe, Megan und Bailey zu tun. Und dabei hast du noch Glück, dass Gemma gerade im Ausland ist. Andererseits kommt sie Ende des Monats zu unserem Ball zurück.“

Derringer stieß etwas Unverständliches zwischen den Zähnen hervor. Die Frauen in dieser Familie sollten sich nicht ständig überall einmischen, und wenn irgendwann das Thema Lucia angesprochen wurde, würde er ihnen das auch genau so sagen. Die letzten Tage hatte er sich eher rargemacht, nur einmal hatte er Chloe, Ramsey und die kleine Susan besucht, aber da war das Gespräch nicht auf Lucia gekommen. Insgeheim befürchtete er, dass er sie irgendwann zufällig bei Chloe oder Ramsey treffen würde, und allein das war schon bemerkenswert: Dass Derringer Westmoreland eine Frau mied, hatte es noch nie gegeben.

„Also?“, forderte er jetzt seinen Bruder auf.

„Zuerst will ich eine Antwort“, gab Zane zurück. „Hast du dir dieses Videoband angeschaut?“

Derringer warf ihm einen bösen Blick zu. „Ja.“

„Und?“

„Darüber möchte ich nicht sprechen.“

Ein Hauch von Schadenfreude erschien auf Zanes Zügen. „Wenn du in neun Monaten eine Vaterschaftsklage am Hals hast, wirst du darüber sprechen müssen.“

Derringer erlitt einen mittleren Schock bei der Erkenntnis, dass Lucia vielleicht schwanger von ihm war. Sie hatten in dieser Nacht nicht verhütet. Machte ihr das keine Angst? Er erwiderte den Blick seines Bruders. „Das tue ich dann, wenn es so weit ist. Jetzt gib mir endlich eine Antwort.“

„Wie war die Frage noch mal?“, hakte Zane nach. „Ich bin neuerdings ziemlich vergesslich.“

Nie im Leben, dachte Derringer böse. Er wusste genau, dass Zane ihn nur aushorchen wollte. Das gefiel ihm zwar ganz und gar nicht, aber da er ihn brauchte, musste er im Moment darüber hinwegsehen. „Ich möchte alles über Parfüms wissen und über den Duft von Frauen.“

Zane lehnte sich an den Zaun. „Das ist nicht allzu schwierig. Alle Frauen haben ihren eigenen, ganz individuellen Duft, und wenn man als Mann aufmerksam ist, kann man sie daran praktisch im Dunkeln erkennen. Es gibt Männer, die merken schon an diesem Duft, wo die Frau sich in einem Raum gerade aufhält, noch bevor sie sie gesehen haben.“

Das wusste er selber, dafür brauchte er Zane nicht! Derringer holte tief Luft und schob seinen Stetson aus der Stirn. „Darum geht es nicht. Ich will wissen, welche Wirkung Parfüm auf Männer haben kann.“

„Na ja …“ Zane amüsierte sich offenbar großartig. „Die meisten Männer lassen sich davon total verrückt machen. Das liegt an den Pheromonen. Kannst du dich noch erinnern, dass ich letztes Jahr bei dieser Ärztin war?“

„Ja, und?“

„Mann, die hat mich mit ihrem Parfüm völlig verrückt gemacht, und das wusste sie sehr gut. Aber als sie dann diese Stelle in Atlanta annahm und wegging, fand ich es ziemlich leicht zu verschmerzen.“

Derringer verkniff es sich, Zane daran zu erinnern, dass er monatelang übelster Laune gewesen war, nachdem die Ärztin fortgegangen war.

„Jede Frau hat ihren ganz unverwechselbaren Duft, nur manche überdecken ihn mit irgendwelchen Duftwässern. Aber wenn du mit einer Frau ins Bett gehst, dann wirst du ihren natürlichen Duft nie mehr vergessen.“ Zane machte eine kleine Pause. „Allein dieser Duft kann einen Mann völlig hilflos machen.“

Derringer hob eine Augenbraue. „Im Ernst?“

„Ja. Er ist extrem stimulierend, und ich habe auch schon gehört, dass manche Männer allein am Geruch merken, dass eine Frau für sie bestimmt ist. Tiere verlassen sich ja auch auf ihren Geruchssinn, warum soll das für Menschen nicht auch gelten? Wenn dir also der Duft einer Frau so zusetzt, dann kann das heißen, dass du die Frau deines Lebens gefunden hast.“

Ob Zane ihm da nicht einen Bären aufband? Derringer war sich nicht ganz sicher, ob das alles wirklich ernst gemeint war. Dass er sein Leben mit einer Frau teilen sollte, nur weil ihr Duft ihm zusetzte, erschien ihm wenig einleuchtend. Aber natürlich hatte sein Bruder recht, was Tiere betraf. Und es war wirklich die Frage, ob der Mensch da so anders tickte.

„Ganz offensichtlich hat eine bestimmte Frau dich gewaltig beeindruckt“, stellte Zane lachend fest.

Derringer antwortete nicht, sondern ließ den Blick in die Ferne schweifen. Der Gedanke war ihm auch schon gekommen. Er runzelte die Stirn. „Darf ich fragen, was so komisch ist?“

„Glaub mir, das willst du gar nicht wissen.“

Wahrscheinlich stimmte das sogar. Er wollte es nicht wissen.

„Und du hast seit eurer Verabredung am Samstag nichts mehr von Derringer gehört?“, erkundigte Chloe sich ein wenig ungläubig.

Lucia hatte einen Kloß im Hals. Sie hatte sich zum Telefonieren auf ihrem Sofa zusammengerollt. Eigentlich hatte sie ja auch gar nicht erwartet, dass Derringer sich bei ihr meldete, aber dass er es wirklich nicht tat, schmerzte sie doch. Es war ein wirklich schöner Abend gewesen, wenigstens für sie. Und sie hatte den Eindruck gehabt, als hätte Derringer sich auch gut unterhalten. Aber wenn man Derringer Westmoreland hieß, dann konnte man natürlich jeden Tag ein anderes Mädchen haben.

Als er sie am Samstagabend nach Hause gebracht hatte, hatte sie eigentlich erwartet, dass er noch mit hereinkam. Aber er hatte ihr nur einen flüchtigen, fast keuschen Kuss auf den Mund gegeben und war dann gegangen.

„Nein, ich habe nichts mehr von ihm gehört“, erwiderte sie jetzt. „Aber das ist schon in Ordnung. Immerhin bin ich einmal mit ihm ausgegangen, das ist ja auch schon was.“

„Unsinn. Dir ist schon klar, dass man als Frau nicht dazu verdammt ist, am Telefon zu sitzen und darauf zu warten, dass ein Mann sich meldet? Du kannst genauso gut ihn anrufen.“

Ja, theoretisch, dachte Lucia. Aber es lag ihr einfach nicht. „Ich weiß, aber …“

Jemand klopfte an ihre Tür. „Ich muss aufhören, Chloe, es kommt jemand. Wahrscheinlich Mrs Noel. Sie backt freitags immer und benutzt mich als Versuchskaninchen für ihre neuen Kreationen. Ich rufe dich später zurück.“

„Ich komme“, rief sie, als es erneut klopfte.

Schnell stand sie auf und lief zur Tür. Dann machte sie sich eben einen romantischen Abend mit Mrs Noels süßen Köstlichkeiten und einer Liebesschnulze. Wenn man schon selbst keine Romanze erlebte, musste man sich eben mit einem Film begnügen.

Als sie durch ihren Türspion sah, hätte sie sich vor Schreck fast verschluckt. Nicht ihre Nachbarin stand vor der Tür, sondern Derringer. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen. Er war der letzte Mensch, den sie an diesem Abend erwartet hatte – oder überhaupt jemals wieder. Eigentlich hatte sie sich darauf eingestellt, dass sie sich einfach wie bisher zufällig bei Chloe und Ramsey begegnen würden.

Nach einem letzten tiefen Atemzug öffnete sie die Tür. Derringer lehnte an einem Pfosten. Er trug Jeans, Pulli, Lederjacke, Stiefel und sah unheimlich gut aus, aber das war ja nichts Neues.

Lucia räusperte sich. „Derringer?“

Er sah ihr in die Augen. „Ich weiß, ich hätte vorher anrufen sollen.“

Gerade noch verbiss sie sich die Bemerkung, er könne jederzeit ohne Voranmeldung bei ihr vorbeikommen. Schließlich wollte sie nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich nach ihm verzehrte, selbst wenn es so war. „Stimmt. Ist was passiert?“

„Nein. Ich musste dich einfach sehen.“

Geradezu verzweifelt bemühte sie sich, den erotischen Unterton und den Ausdruck in seinen Augen zu ignorieren. Er musste sie einfach sehen?

Aha. Mehr fiel ihm nicht ein, nachdem er es seit vergangenem Samstag nicht nötig gehabt hatte, sie wenigstens anzurufen? Vermutlich war er versetzt worden, und sie sollte jetzt als Notnagel dienen. Aber so leicht würde sie es ihm nicht machen.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Lass mich raten. Deine Verabredung ist kurzfristig geplatzt, und sonst hast du niemanden erreicht. Ich war die Nächste auf der Liste und soll jetzt die Lückenbüßerin spielen.“ Kaum hatte sie das gesagt, war ihr auch schon klar, dass es ein Fehler gewesen war. Keine Frau versetzte einen Mann wie Derringer, und außerdem nahm sie nicht an, dass sie auf irgendeiner seiner Listen auftauchte.

Er neigte leicht den Kopf zur Seite, als er sie ansah. „Glaubst du das im Ernst?“

Lucia schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was ich denken soll.“

Er kam näher. „Wenn du mich zu dir einlädst, wirst du gar nichts mehr denken“, flüsterte er direkt an ihrem Ohr.

Und genau davor fürchtete sie sich.

Sie atmete tief durch. Irgendwie würde sie die Situation meistern. Und so zog sie die Tür auf, damit er eintreten konnte.

Was tue ich hier eigentlich? fragte Derringer sich, als er an Lucia vorbei ins Haus ging. Im selben Augenblick, in dem sie ihm die Tür geöffnet hatte, hatte ihr Duft ihn gefangen genommen, und wie immer reagierte er mit allen Sinnen darauf.

Er musste sie immerzu ansehen, ob er wollte oder nicht. Irgendetwas schien mit ihm nicht zu stimmen. Oder wann hatte er je zugelassen, dass eine Frau diese Wirkung auf ihn hatte? Sie lehnte an der Tür, barfuß und in Leggins und T-Shirt. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sah unerhört sexy aus, einfach zum Anbeißen!

Derringer räusperte sich. „Hast du heute Abend schon was vor?“

„Nein. Ich wollte mir einen Film im Fernsehen anschauen. Auf Lifetime.“

Auf dem Sender liefen von früh bis spät irgendwelche romantischen Filme. Seine Schwestern waren geradezu süchtig danach gewesen, vor allem Bailey.

„Was hältst du davon, wenn wir stattdessen Inlinern?“

Überrascht sah Lucia ihn an. „Du willst was mit mir unternehmen?“

Ihr Misstrauen war ihm nicht entgangen. „Ja. Ich weiß, ich hätte mich melden sollen, tut mir leid. Und um etwas richtigzustellen: Ich hatte heute keine Verabredung und bin auch nicht versetzt worden. Genau genommen hatte ich gar nichts vor, sondern habe mich ins Auto gesetzt und bin hier gelandet. Weil ich dich einfach sehen musste.“

Ihre Zweifel standen ihr im Gesicht geschrieben. „Warum, Derringer? Warum musstest du mich sehen?“

In dem Moment wäre es möglich gewesen, einfach zu sagen: Ich weiß, wer du bist. Ich weiß, dass du die Frau bist, die in dieser Nacht bei mir war und mit der ich geschlafen habe. Du bist schuld daran, dass ich jedes Mal verrückt werde vor Lust, wenn ich dich sehe – auch jetzt. Und mehr als alles andere will ich mit dir ins Bett gehen.

„Derringer?“

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er ihr nicht geantwortet hatte. Er hatte einfach nur dagestanden und sie angestarrt wie ein liebeskranker Schwachkopf. Langsam kam er auf sie zu, bis er vor ihr stand. Dann stützte er die Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes an die Wand und neigte sich zu ihr.

„Ich weiß auch nicht genau, warum ich dich sehen musste“, gestand er leise. Seine Stimme klang rau. „Ich kann es dir nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich bei dir sein wollte. Es war schön mit dir am Samstag.“

„Ach ja?“

Er hörte ihr an, dass sie gekränkt und verletzt war, weil er sie seitdem nicht angerufen hatte. Natürlich hätte er das tun müssen, und er hatte es ja eigentlich auch tun wollen, jedoch erfolgreich gegen die Versuchung angekämpft. Und wie er gekämpft hatte! Das konnte sie natürlich nicht wissen. Ihm war klar, dass es besser gewesen wäre, wenn er nicht gekommen wäre, vor allem nicht, wenn er immer nur daran dachte, was er am liebsten alles mit ihr anstellen würde – hier oder auf dem Boden, auf dem Sofa, im Bett, an jedem verdammten Ort in diesem Haus! Fairerweise müsste er ihr erzählen, dass er von ihrem nächtlichen Besuch wusste.

In den letzten Tagen hatte er immer wieder diesen Videofilm angeschaut. Offenbar hatte sie eigentlich nur den Kopf durch die Tür gesteckt und gar nicht bleiben wollen. Dann hatte sie auf diesen Karton geschaut und beschlossen, ihn vor dem Regen zu retten und ins Haus zu stellen. Und da musste sie wohl gehört haben, dass er auf den Boden gefallen war. Denn an diesen Teil des Abends konnte er sich noch erinnern. Er war im Bad gewesen und dann gestürzt. Dann, erinnerte er sich, war diese Süße aufgetaucht und hatte ihm ins Bett zurückgeholfen. Das Nächste, was er dann wieder wusste, war, dass er mit einer Frau geschlafen hatte.

Und diese Frau war Lucia gewesen.

Es war alles ziemlich verwirrend.

„Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich nicht angerufen habe“, sagte er jetzt reumütig. „Das war nicht nett.“

Lucia schüttelte den Kopf. „Das ist nicht der springende Punkt. Es tut mir leid, wenn ich den Eindruck erweckt habe, dass ich auf einen Anruf von dir gewartet habe.“

Allein das zeigte ihm, dass sie anders war als die Frauen, mit denen er sonst ausging. Und es war genau dieser Unterschied, der ihn an diesem Abend hierher geführt hatte.

Sein Herz schlug schneller, und er nahm eines ihrer Ohrläppchen zwischen die Lippen. Dann fuhr er mit der Zungenspitze über ihren Mund, immer wieder. „Das braucht dir nicht leidzutun.“

Sie zog scharf den Atem ein und erschauerte.

„Warum ich?“, wollte sie wissen. Ihre Stimme war fast unhörbar.

„Warum nicht du?“, entgegnete er und strich wieder über ihre Lippen. Ihr Duft machte ihn verrückt, und er entschied, dass sie für den Moment genug geredet hatten. Sanft senkte er die Lippen auf ihren Mund.

Wenn sie klug wäre, würde sie ihn wegschicken. Das wusste sie. Aber wie sollte sie den Willen dazu aufbringen, wenn Derringer in ihrem Körper ein solches Gefühlschaos auslöste? Dieser Kuss war der pure Sex und erstickte jeden vernünftigen Gedanken bereits im Keim.

Und als wäre das noch nicht genug, drängte Derringer sich dicht an sie und ließ sie spüren, wie erregt er war. Lucias Brustspitzen zeichneten sich unter ihrem T-Shirt ab und rieben an seinem Oberkörper. Ob sie wollte oder nicht, sie musste wieder daran denken, wie sich sein nackter Körper, seine Haut auf ihrer angefühlt hatte. Wenn er vorhatte, sie zu verführen, dann war er auf dem besten Weg dazu.

Unvermittelt löste Derringer sich von ihr, und sie sah verwirrt zu ihm auf. Dabei biss sie sich nervös auf die Unterlippe, unsicher, was er vorhatte.

„Ich glaube, wir sollten uns ein bisschen Zeit nehmen und nachdenken“, sagte er heiser.

Damit meinte er wohl vor allem sich selbst, denn sie musste nicht nachdenken. Sie wusste, was sie wollte, und er wusste das auch. Wo also lag das Problem? Ihr war klar, worauf sie sich einlassen würde. Mit Derringer Westmoreland gab es keine Zukunft, und das akzeptierte sie. Natürlich war sie hoffnungslos in ihn verliebt, aber sie kannte ihre Grenzen. In den letzten zwölf Tagen war sie schon weiter bei ihm gekommen, als sie es sich je erhofft hatte. Sie hatten miteinander geschlafen, und er hatte sie beinah bis zur Bewusstlosigkeit geküsst.

Sie war kein Teenager mehr, der sich Illusionen machte und darauf wartete, dass der Märchenprinz kam und sie dann bis an ihr Lebensende glücklich miteinander lebten. Dass das nicht passieren würde, war ihr schon lange klar. Sie lief nicht blind in ihr Unglück, sondern mit sehr klarem Blick. Natürlich hätte sie es sich anders gewünscht, aber das war reine Illusion. Sie liebte diesen Mann, daran konnte sie nun einmal nichts ändern. Und so würde sie einfach nehmen, was sie bekam, und dann ein Leben lang von ihren Erinnerungen zehren.

„Ich schlage vor, du ziehst dich um.“

Lucia lächelte. „War das dein Ernst? Du hast wirklich Lust, Inliner zu laufen?“

Derringer schüttelte den Kopf. „Wenn du wüsstest, worauf ich wirklich Lust habe, würdest du mich wahrscheinlich mit einem Fußtritt nach draußen befördern.“

„Es käme auf einen Versuch an …“

Er lachte laut heraus. „Nein, lieber nicht. Ich warte hier auf dich.“

Lucia setzte sich in Bewegung, aber vor ihrem Zimmer blieb sie noch einmal stehen. „Dir ist schon klar, dass wir uns hier vielleicht besser unterhalten würden?“

„Geh jetzt, und zieh dir etwas anderes an, Lucia“, befahl Derringer, lächelte aber dabei.

Lucia gehorchte und zog die Tür hinter sich zu. Und während sie sich auszog, fällte sie eine Entscheidung.

Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie einen Mann verführen – oder es zumindest versuchen.

7. KAPITEL

Derringer konnte den Blick nicht von Lucia wenden. Sie stand auf der anderen Seite der Halle, wo die Inliner ausgeliehen wurden. Auf ihre Jeans passte nur eine Beschreibung: eng und sexy. Es war wirklich ganz unglaublich, wie aufregend Lucia darin aussah.

Er musste sich wirklich abgewöhnen, sie ständig anzustarren. Und so sah er sich um. Eigentlich hatte er viel mehr Trubel erwartet, schließlich war Freitagabend. Zu seiner Verwunderung waren mehr Kinder und Jugendliche hier als Erwachsene. Okay, es war lange her, dass er das letzte Mal Inliner gelaufen war, aber er nahm an, dass diese Kids eigentlich längst ins Bett gehörten.

Ein paar Minuten zuvor hatte so ein Dreikäsehoch sich äußert besorgt gezeigt, dass er und Lucia ob ihres hohen Alters seine Lauf stören könnten. Derringer musste lachen, als er wieder daran dachte. So alt waren sie beide nun auch wieder nicht.

„Was amüsiert dich denn so?“

Derringer sah auf. Mit ihren Inlinern in der Hand stand Lucia vor ihm. Er erzählte ihr von dem frechen Knirps, und sie lächelte.

„Gibt es nicht so eine Art Ausgangssperre für Minderjährige?“, erkundigte er sich.

Lucia schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht.“

„Und wann haben sie diese wunderbare Regelung abgeschafft?“, wollte er wissen.

Lucia lächelte süß. „An Banes achtzehntem Geburtstag.“

Derringer sah sie ein paar Sekunden wortlos an und merkte, dass es ihr Ernst gewesen war. Er warf den Kopf zurück und lachte lauthals.

„Derringer Westmoreland, wir fallen auf“, warnte ihn Lucia. Er zog sie zu sich heran. „Hat Bane eigentlich irgendwo keine Spuren hinterlassen?“, fragte er trocken.

„Eindeutig nein, wenn du meinen Vater fragst. Komm schon, Alter, sonst taucht der Steppke wieder auf und beschwert sich, dass wir ihm im Weg stehen.“

Derringer fasste sie um die Taille. „Ich zeige dir gleich, wer hier alt ist!“ Damit lief er los und zog sie hinter sich her,

Es war drei Uhr morgens, als Derringer Lucia nach Hause brachte. Er war mehr als zufrieden mit sich. Zwar hatte es eine Weile gedauert, bis er den vorlauten Knaben nachhaltig in seine Schranken verwiesen und seinen alten Ruf als Inliner-Crack wiederhergestellt hatte. Aber als sich herausgestellt hatte, dass er ein Westmoreland war, ein Cousin des berüchtigten Bane Westmoreland, war er sogar in Gefahr geraten, Autogramme geben zu müssen.

Er lachte und ließ sich auf Lucias Sofa fallen. „Ist es zu glauben, dass Bane von den Kids tatsächlich als eine Art Held verehrt wird?“

Lucia setzte sich ihm gegenüber. „Ja, natürlich. Bane hatte den Mut zu all diesen Streichen, die sie selbst gern anstellen würden. Oder wer sonst würde sich schon trauen, dem Sheriff den Wagen zu klauen, während der gerade einen Strafzettel ausstellt? Du hättest die Sprüche lesen sollen, die in der Mädchentoilette an die Wände gekritzelt waren! Die Zwillinge wurden übrigens fast genauso angehimmelt.“

„War das nicht nach deiner Zeit?“

Lucia umarmte zwei Kissen. „Meine kleine Cousine stand total auf Aidan und kannte kaum ein anderes Gesprächsthema – einmal abgesehen von Bane und Adrian und all den Schwierigkeiten, in denen die drei ständig steckten.“

„Bailey nicht zu vergessen“, sagte Derringer. „Sie war um keinen Deut besser. Es gab mal eine Zeit, da hätten wir die vier am liebsten in ein Militärcamp geschickt, damit sie dort ein bisschen Benehmen und Disziplin beigebracht kriegen. Aber das hätte bedeutet, dass wir aufgeben, und das wollten wir dann auch nicht.“ Für einen Moment wurde er ganz ernst. „Ich glaube, ich sage Ramsey und Dillon viel zu selten, wie dankbar ich ihnen dafür bin, dass sie unsere Familie so zusammenhalten. Unsere Eltern, Onkel und Tante auf einmal zu verlieren war traumatisch. Aber die beiden haben uns wirklich bewundernswert darüber hinweggeholfen.“ Plötzlich wurde Derringer bewusst, dass er noch nie mit jemandem über dieses Unglück gesprochen hatte, schon gar nicht mit irgendeiner seiner Freundinnen.

„Die beiden wissen sicher, wie dankbar du ihnen bist. Und sie sehen es auch daran, dass aus euch allen etwas geworden ist. Das hätte euch, ehrlich gesagt, niemand zugetraut. Und deshalb respektiert man euch heute.“ Lucia lächelte. „Und man bewundert euch auch. Ich weiß nicht, ob du mitbekommen hast, wie der Junge dich heute angeschaut hat, als ihm plötzlich klar wurde, dass du ein Westmoreland bist.“

„Ja, aber nur wegen Bane.“

„Das macht nichts.“

Im Grunde seines Herzens wusste Derringer, dass Lucia recht hatte. Denn darum ging es nicht. Wichtig war nur, was Ramsey und Dillon geleistet hatten. Er streckte die Beine aus. Jede einzelne Minute mit Lucia am heutigen Tag hatte er in vollen Zügen genossen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich einfach nur mit einer Frau amüsiert, ohne dabei irgendwelche Hintergedanken zu haben. Lucia war völlig natürlich gewesen und hatte keinen Moment versucht, Eindruck auf ihn zu machen oder seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Aber auch ihre Gespräche auf der Fahrt zur Inliner-Bahn und zurück hatten ihm gutgetan. So schwer es zu glauben war, aber sie hatten tatsächlich viel gemeinsam und teilten viele Interessen. Sie sahen beide gern Western, gelegentlich humoristische Sendungen und waren Fans von Bill Cosby und Sandra Bullock. Außerdem ritt Lucia gern.

Aber das alles war letztendlich nicht entscheidend. Was wirklich zählte, war, dass Derringer Lucias Gesellschaft einfach genoss. Er liebte ihr Lachen, sah sie gern an, und besonders gern legte er ihr den Arm um die Taille, wenn sie nebeneinander herliefen. Außerdem, so musste er zugeben, war sie eine ganz passable Inline-Skaterin.

„Das war ein wunderschöner Abend, Derringer.“

Sie hatte die Stiefel abgestreift und die Knie hochgezogen. Derringer musterte ihre langen Beine und stellte sich vor, wie sie in knappen Shorts oder einem kurzen Rock aussehen würden. Vor allem aber erinnerte er sich daran, wie diese Beine ihn in besagter Nacht umschlungen hatten.

„Ja, das finde ich auch.“

„Du läufst gut.“

„Du bist aber auch nicht schlecht.“

Wieso saß er hier eigentlich und machte Konversation, statt sich zu ihr zu setzen? Offenbar war sie nervös, denn sie knetete unablässig ihre Finger.

„Lucia, stört es dich, dass ich hier bin?“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil du da drüben sitzt und ich hier.“

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe, und sofort reagierte sein Körper darauf.

„Niemand zwingt dich, da sitzen zu bleiben“, erwiderte sie ein wenig schüchtern.

Er musste lächeln. Natürlich hatte sie recht. Warum sollte er hier auf dem Sofa bleiben, wenn er sich doch nichts sehnlicher wünschte, als ganz nahe bei ihr zu sein? Aber es war ihm völlig klar, dass es am besten wäre, aufzustehen, Lucia für den schönen Abend danken und schleunigst zu verschwinden – und nie mehr zurückzukommen. Gleichzeitig wusste er, dass er genau das nicht tun würde.

Lucia hatte nicht die geringste Ahnung, was sie angerichtet hatte, was es für ihn bedeutete, einfach nur in ihrer Nähe zu sein. Dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte, musste mit dieser gemeinsamen Nacht zu tun haben. Andererseits hatte er mit vielen Frauen Sex gehabt, und keine dieser früheren Nächte hatte nur annähernd so viel Eindruck bei ihm hinterlassen. Was also war an dieser Frau so anders? Und warum konnte er sich nicht dagegen wehren?

Die Antwort darauf versetzte ihm einen regelrechten Schock. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Lucia war, ohne dass es ihm bewusst gewesen war, ein Teil von ihm gewesen. Das war es, was ihm so zusetzte. Und dagegen kannte er nur ein Mittel. Als sie in dieser Nacht miteinander geschlafen hatten, war er irgendwie neben der Spur gewesen. Vielleicht war das das Problem. Das hieß, er musste noch einmal mit ihr schlafen, wenn er alle Sinne beisammenhatte. Dann konnte er diese Episode abschließen, endlich sein bisheriges Leben wie gewohnt weiterführen und seinen inneren Frieden wiederfinden. Vorher allerdings würde er ihr noch sagen, dass er über ihren nächtlichen Besuch Bescheid wusste.

Aber solch komplizierten Gedankengängen war er im Moment nicht gewachsen. Und so stand er auf und ging zu ihr.

Es gab keinen Fluchtweg, kein Versteck.

Aber tief in sich wusste Lucia, dass sie eigentlich weder fliehen noch sich verstecken wollte. Warum sie plötzlich so nervös war, als Derringer auf sie zukam, konnte sie selbst nicht sagen. Schließlich hatte sie sich doch vorgenommen, ihn in dieser Nacht zu verführen. Aber es sah so aus, als käme er ihr zuvor.

Mit seinem Besuch hatte er sie völlig überrascht. Er war wirklich der Letzte, den sie an diesem Tag – oder zu jedem anderen Zeitpunkt – vor ihrer Tür erwartet hätte. Noch dazu hatte er gesagt, er sei gekommen, weil er sie habe sehen müssen!

Aber solche Sprüche gehörten vermutlich zum üblichen Repertoire von Männern wie Derringer und hatten weiter nichts zu bedeuten. Trotzdem hatte sie ihn hereingebeten und auch später beim Inlinern jeden Moment mit ihm genossen. Und sie hatte immer noch nicht genug von ihm. Was immer Derringer ihr zu bieten hatte, sie würde es nehmen. Vielleicht würde sie sich selbst hassen, wenn sie am nächsten Morgen aufwachte, aber gleichzeitig würde sie zutiefst erfüllt sein und sich wie eine richtige Frau fühlen.

Lucia zweifelte keinen Moment daran, dass Derringer mit ihr schlafen wollte. Er hatte es schon einmal getan, und sein Blick ließ eigentlich keinen anderen Schluss zu. In dieser Nacht würde sie sich ganz bestimmt nicht wehren, dazu liebte sie ihn zu sehr – und war zu dankbar für die Zeit, die er ihr schenkte.

Er setzte sich neben sie. „Du trägst ein sehr aufregendes, verführerisches Parfüm“, sagte er.

Wieder so ein Spruch. „Findest du?“

„Ja. Es macht mich ganz verrückt.“

Lucia holte tief Luft. Zu gern hätte sie ihm geglaubt, aber sie wusste es besser. Dennoch war sie bereit, all ihre Bedenken über Bord zu werfen. Wie hätte sie seinem Blick und seinem Charme auch widerstehen sollen? Er war ihr so nahe, dass sie seinen Atem an ihrem Gesicht spürte, wenn er sprach.

Unvermittelt zog er sich ein wenig zurück und sah sie skeptisch an. „Du glaubst mir kein Wort, habe ich recht?“

Lucia biss sich auf die Lippe. Natürlich hätte sie ihn einfach anlügen können, aber das wollte sie nicht. Sie hob das Kinn. „Spielt es eine Rolle, ob ich dir glaube oder nicht?“

Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich, und eine Weile sah er sie nur an. Für den Bruchteil einer Sekunde war Lucia davon überzeugt, dass er etwas sagen wollte. Aber dann strich er ihr einfach nur mit den Fingerspitzen übers Kinn und senkte langsam den Kopf.

Ihre Lippen berührten sich, und sie schloss die Augen, als er mit der Zunge in ihren Mund vorstieß und sie so hungrig und leidenschaftlich küsste, dass sie aufstöhnte.

Ihr Herz klopfte wie wild, als er die Zunge um ihre kreisen ließ und daran saugte, als gäbe es nur das Hier und Jetzt. Es war ein Kuss, bei dem jede Frau sich zu unbedachten, undamenhaften Handlungen hinreißen lassen würde.

Aber genau das wollte sie. Sie wollte alles, was Derringer ihr geben konnte. Gleichzeitig wusste sie auch, dass ihr nicht viel Zeit mit ihm vergönnt sein würde. Es war stadtbekannt, dass Derringer seiner Affären schnell müde wurde und es bei keiner Frau längere Zeit aushielt. Zwar gab es immer noch eine oder zwei Frauen, die öfter mit ihm gesehen wurden, aber das lag an ihrer Hartnäckigkeit und nicht an Derringer. Sie jedenfalls würde nicht dazugehören, sondern sich einfach damit zufriedengeben, was er ihr freiwillig gab. Ganz bestimmt würde sie nicht um seine Zuneigung betteln.

Irgendwann unterbrach Derringer den Kuss und drückte Lucia in die Polster zurück. Sie wehrte sich nicht, sondern sah einfach nur zu ihm auf, als er sich auf sie legte. Seine Erregung war überdeutlich zu spüren.

Er neigte den Kopf und begann, Liebesbisse über ihren Hals zu verteilen, bevor er mit der Zungenspitze ihr Kinn liebkoste.

„Du hast eindeutig zu viel an“, flüsterte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. Im nächsten Moment zog er ihr den Pulli über den Kopf und warf ihn achtlos auf den Boden. Dann schob er ihr die Jeans hinunter.

Sie trug einen roten Spitzenbüstenhalter mit passendem Slip, und er musste lächeln. „Ich mag es, wenn Frauen schöne Dessous tragen“, stieß er rau hervor und begann erneut, sie zu küssen.

Seine Lippen waren heiß und drängend, und Lucia leistete keinen Widerstand, als er mit der Zunge immer wieder tief in ihren Mund vorstieß. Dann glitt er mit einer Hand zu ihren Brüsten und schob sie unter den Büstenhalter, um eine Brustspitze zu streicheln. Lucia erschauerte. „Derringer“, flüsterte sie erregt.

Vor Verlangen begann sie zu zittern. Ganz offensichtlich hatte Derringer seinen Ruf, dass ihm keine Frau widerstehen konnte, zu Recht.

Lucia hatte sich geirrt. Natürlich spielte es eine Rolle, ob sie ihm glaubte oder nicht.

Das spürte Derringer plötzlich, während er sie mit einer Begierde küsste, die er selbst nicht verstand. Irgendetwas hatte sie an sich, dass er nicht genug von ihr bekam, dass er sie verrückt nach sich machen, sie stöhnen hören wollte, um endlich die Erfüllung in ihr zu finden. Das Blut schoss mit solcher Macht in seine Lenden, dass es beinah wehtat.

Er zog sich ein wenig zurück, denn sie sollte sehen, was er tat – oder gleich tun würde. Schnell öffnete er den Vorderverschluss ihres BHs, sodass er ihre vollen und festen Brüste betrachten konnte. Sein Atem kam stoßweise. Lucias Brustspitzen waren dunkel und hart. Als er eine Knospe zwischen die Lippen nehmen wollte, schloss Lucia aufstöhnend die Augen.

„Schau mir zu. Du sollst sehen, was ich tue.“

Sie gehorchte, und er nahm die Brustspitze vorsichtig zwischen die Zähne und begann daran zu saugen. Und je erregter Lucia stöhnte, desto mehr animierte sie ihn, den Druck zu verstärken.

Doch das war ihm bald schon nicht mehr genug. Ihr Duft machte ihn schwindlig. Er musste sie spüren, sie schmecken, sich ganz diesem Duft hingeben. Sanft löste er die Lippen von ihrer Brustwarze, jedoch nur um sich der anderen zu widmen. Gleichzeitig schob er eine Hand unter ihr Höschen. Sie war feucht, und als er ihre empfindsamste Stelle berührte, drängte Lucia sich ihm keuchend entgegen.

Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Ihr Blick war verhangen vor Lust und Leidenschaft.

„Ja, Baby? Wünschst du dir etwas von mir?“

Statt eine Antwort zu geben, erzitterte sie, als er einen Finger in sie hineingleiten ließ und sie weiter streichelte. Eine Vielzahl von Gefühlen zeichnete sich in schneller Folge auf ihrem Gesicht ab. Lust und Ungläubigkeit wechselten einander ab. Es schien ihm, als könnte sie nicht begreifen, was da mit ihr geschah. Ihm war, als hätte er nie etwas Süßeres gesehen.

Pure Lust überkam ihn wie eine Lawine, und er war unfähig, sich ihr zu widersetzen. Ungeduldig streifte er seine Stiefel ab, zog den Reißverschluss seiner Jeans auf … Aber trotz aller Hast dachte er noch an das Kondom in seiner hinteren Tasche, zog es heraus und hielt es mit den Zähnen fest, während er an seinen Jeans zerrte.

„Derringer …“

Wenn sie seinen Namen noch einmal auf diese Weise sagte, kaum hörbar und mit diesem leicht heiseren Unterton, würde er für nichts mehr garantieren können. Er erschauerte und fürchtete, dass er seiner Gefühle genau in dem Augenblick nicht mehr Herr sein würde, in dem er in sie eindrang. Aber er wollte diesen Moment hinauszögern, ihn voll und ganz auskosten, solange er die Kraft dazu hatte.

Nackt stand er vor ihr, und sie schien sich gar nicht an ihm sattsehen zu können. Ein Gefühl wie Scham kam gar nicht erst auf. Instinktiv wusste er, dass das alles andere als ein Spiel war. Irgendetwas passierte zwischen ihnen, etwas, das tief ging, etwas Ernstes.

Aber er hatte genug Zeit vergeudet. Darüber nachdenken konnte er später. Und so begann er, ihr den Slip auszuziehen. Dann fasste er sie an, und sie zog tief die Luft ein. „Irgendwas an dir macht mich wahnsinnig“, stieß er hervor.

Endlich lag der Slip am Boden. „Heb die Hüften an“, befahl er rau. „Und spreiz die Beine für mich …“

Sie tat, was er sagte. Hastig griff er nach ihrem Slip und hielt ihn sich einen Augenblick vor die Nase, bevor er ihn in die hintere Tasche seiner Jeans steckte. Während Lucia jede seiner Bewegungen mit Blicken verfolgte, kam ihm der Verdacht, dass sie sich wohl ziemlich über ihn wunderte. Noch immer drang er nicht in sie ein. Doch er wollte sie zuerst schmecken, diesen Duft in sich aufnehmen, nach dem er in jener einen Nacht süchtig geworden war.

Schnell kniete er sich vor sie hin. Und bevor ihr klar war, was er vorhatte, küsste er ihre empfindsamste Stelle. Ein unkontrolliertes Zittern erfasste ihren Körper, während er sie mit der Zunge verwöhnte. Währenddessen verspürte er einen Hunger in sich wie noch bei keiner anderen Frau. Wahrscheinlich verstand sie nicht, was er da tat, aber das scherte ihn nicht, solange sie jeden einzelnen Augenblick auskostete.

So wie er.

Und plötzlich dachte er an sie als „seine“ Frau. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie erlebt. Allein der Gedanke jagte ihm Angst ein. Noch nie hatte er auch nur entfernt so etwas wie Besitzansprüche verspürt. Nur hatte er jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Er wusste nur, dass er sehr bald in ihr sein musste, sonst riskierte er, an Ort und Stelle zu kommen.

Schnell löste er den Mund von ihr und warf tief aufstöhnend den Kopf in den Nacken. Und während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, sah er Lucia an. Er fühlte sich wie in einem heißen, aufregenden Traum, wie in einer erotischen Fantasie, die er Wirklichkeit werden lassen musste. Es gab nur einen Weg: Er würde sich hier und jetzt mit ihr vereinen.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schob er ihr die Beine auseinander und küsste sie auf den Oberschenkel, bevor er sich auf sie legte. Instinktiv kam sie ihm entgegen und schlang ihm die Arme um den Hals. Ihre Blicke hatten sich ineinander verfangen, als er langsam in sie eindrang. Auf halbem Weg hielt er inne, um voll und ganz auszukosten, wie sie ihn eng umschloss.

Derringer wollte es langsam angehen lassen, aber dann ermunterte ihn Lucia, indem sie seine kleine harte Brustwarze küsste und begehrlich daran zu saugen begann. Das ließ Derringer endgültig die Beherrschung verlieren. Scharf zog er den Atem ein und drang im selben Moment hart und tief in sie ein.

Lucia schrie auf. „Ich wollte dir nicht wehtun“, entschuldigte er sich heiser. „Lieg ganz still …“

Zärtlich knabberte er an ihren Lippen, und als sie wohlig aufseufzte, begann er, sie drängend und ungeduldig zu küssen. Noch nie hatte er ein solches Verlangen in sich verspürt.

Und dann bewegte sie sich unter ihm, er hielt still. „Ja“, stieß er hervor. „Genau so … Nimm dir, was du willst, nimm dir alles …“

Er blieb ganz still, während sie sich unter ihm bewegte und an ihm rieb, ihm die Hüften entgegenhob und sie dann kreisen ließ, immer schneller und drängender, fordernder.

Derringer erstarrte einen Augenblick lang, als ihm einfiel, dass er das Kondom nicht übergestreift hatte. Er sollte aufhören, sofort, aber er konnte nicht. In ihr fühlte er sich wohl, es fühlte sich so richtig an, als wäre er dort angekommen, wohin er gehörte … Und dann vergaß er alles, drang wieder tief in sie ein, immer wieder, rhythmisch und immer schneller.

Bis jetzt hatte er gedacht, dass diese erste Nacht mit Lucia einzigartig gewesen war, aber sie war nichts im Vergleich zu dem, was er jetzt erlebte. Nichts war mit diesem Gefühl zu vergleichen, so tief in ihr zu sein. Nichts. Er war am Rande seiner Kräfte und übernahm jetzt die alleinige Führung. Ihre Körper erschauerten in der ewigen Lust, die von Anbeginn an Männer und Frauen miteinander geteilt hatten.

Er flüsterte ihr erotische Worte ins Ohr, dann legte er ihr die Hände ums Gesicht und sah auf sie hinunter, während er seine Bewegungen beschleunigte – fast verzweifelt auf der Suche nach Erfüllung. Und dann passierte etwas zwischen ihnen, das ihn fast aus dem Gleichgewicht geworfen hätte. Irgendwo in seinem Unterbewusstsein meldete sich eine kleine lästige Stimme, dass das alles nur damit zu tun hätte, dass er Lucia für sich ganz allein wollte.

Das konnte doch nicht wahr sein! Er beanspruchte keine Frau für sich allein, das hatte er noch nie getan.

Als er den Gipfel der Lust erreichte, konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Laut hörte er Lucia aufschreien, als auch sie in ungeahnte Höhen gehoben wurde.

8. KAPITEL

Langsam schlug Lucia die Augen auf. Durch das Fenster fielen helle Sonnenstrahlen und blendeten sie. Der Körper eines Mannes schmiegte sich an ihren Rücken, und warmer Atem strich ihr über den Nacken.

Plötzlich erinnerte sie sich wieder.

Derringer und sie hatten sich zuerst auf dem Sofa und dann im Schlafzimmer geliebt und waren irgendwann zusammen eingeschlafen. In den frühen Morgenstunden, als die Dämmerung langsam hereingebrochen war, hatten sie dann noch einmal miteinander geschlafen. Jetzt, am helllichten Tag, erschienen ihr die Ereignisse der Nacht völlig unwirklich. Andererseits lag Derringer neben ihr …

Als sie daran dachte, was sie gemeinsam alles angestellt hatten, errötete sie. Es hatte sie selbst überrascht, dass sie alles andere als prüde gewesen war.

Sie schloss die Augen. Dass diese Nacht ihr viel mehr bedeutete als ihm, wusste sie, damit konnte sie umgehen. Viel schwerer würde es werden, das alles hinter sich zu lassen. Sie liebte Derringer, und wenn sie noch öfter mit ihm schlief, würde einfach eine sexuelle Affäre daraus werden. Aber das wollte sie nicht. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, loszulassen und ihr Leben neu zu ordnen.

Langsam füllten ihre Augen sich mit Tränen. Ihr Herz würde immer Derringer gehören, aber er würde ihr seines nie schenken. Und niemals würde sie sich so weit erniedrigen, mit anderen Frauen um seine Aufmerksamkeit zu buhlen. Am besten kehrten sie einfach wieder zu dem distanziert freundlichen Verhältnis zurück, das sie jahrelang gepflegt hatten.

Wenn er ihr nie gehört hatte, dann konnte sie ihn auch nicht verlieren. Sie wusste, dass sie nie Teil seines Lebens werden würde, und sie würde nicht zulassen, dass er ihr das Herz brach. Aber genau das würde passieren, wenn sie sich plötzlich einbildete, Chancen bei ihm zu haben.

Ihre Liebe zu ihm würde so heimlich bleiben, wie sie all die Jahre gewesen war. Daran hatte sie sich gewöhnt, und nichts, auch nicht die beiden Nächte mit ihm, würde sie dazu bringen, sich Illusionen hinzugeben.

Sie schluckte, als sie bemerkte, dass Derringer schon wieder bereit für sie war. Ihr war klar, dass alles dagegensprach, ein letztes Mal mit ihm zu schlafen. Aber als er sie an sich zog, wusste sie, dass sie es trotzdem tun würde – um sich von ihm zu verabschieden. Allerdings wusste er davon noch nichts.

„Bist du schon wach?“ Er drehte sie in seinen Armen um, sodass er ihr ins Gesicht schauen konnte.

In selben Moment, in dem sie ihn ansah, wurde sie von einer unbändigen Lust erfasst. Sein Blick war verschleiert, und sie entdeckte dasselbe Verlangen darin wie in ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Mit dem Bartschatten war er unwiderstehlich sexy. Es sollte verboten werden, dass Männer so aussahen, so ungezähmt und so wild – so archaisch. Sie spürte, wie die Erregung Besitz von ihr ergriff.

„Halb“, erwiderte sie jetzt gähnend. Und in ihrem Gähnen lag bereits ein Versprechen. Er lächelte, und als sie diese unwiderstehlichen Grübchen sah, erschauerte sie.

„Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir dich ganz wach bekommen.“ Er legte ein Bein über sie, veränderte ein wenig seine Position und drang in sie ein. Gleichzeitig fing er an, sie zu küssen.

„Oh …“ Langsam und genüsslich bewegte er sich in ihr.

Nur einmal noch, das konnte ihr niemand verwehren …

Derringer war dabei, sein Hemd zuzuknöpfen, und hielt inne. Fassungslos sah er Lucia an. „Was soll das heißen, das war das letzte Mal?“

Für einen kurzen Moment konnte er das Bedauern in ihren Augen erkennen, als sie beim Zähneputzen eine kleine Pause machte. „Es heißt genau das. Die letzte Nacht war wunderbar, und ich möchte, dass sie das in meiner Erinnerung auch bleibt.“

„Und du glaubst, das täte sie nicht, wenn wir uns noch einmal lieben würden?“ Er war sichtlich verwirrt.

„Nein. Aber ich möchte nicht Teil deines Harems werden.“

Derringer verschränkte die Arme vor der Brust. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, was sie da sagte. „Und warum hast du dann überhaupt mit mir geschlafen?“

„Ich hatte meine Gründe.“

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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