Dr. Valentinos dunkles Geheimnis

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Sie kennt sein dunkles Geheimnis! Dr. Alejandro Valentino ist entsetzt, als er die neue Ärztin trifft: Kiri ist Teil einer Vergangenheit, die er vergessen will. Warum muss er mit ihr arbeiten? Mit der Frau, die seine Karriere beenden könnte. Und der er vor Jahren verfallen ist …


  • Erscheinungstag 17.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719944
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Las Vegas, Nevada

Kiri trat auf die Terrasse der Privatvilla, die ihre Freundinnen in einem der luxuriösesten Fünf-Sterne-Resorts von Las Vegas gemietet hatten. Drinnen wurde es immer verrückter. Der Alkohol floss, und ein sehr versauter Kuchen wurde aufgetischt, der ihrer naanii die Röte ins Gesicht getrieben hätte. Und nicht nur ihr.

Sie hörte ihre Freundinnen kreischen, als die Braut ein weiteres fragwürdiges Geschenk öffnete. Kiri lachte und rief durch das offene Fenster: „Ihr seid Ärztinnen, ihr habt das doch alles schon mal gesehen!“

Ihre Freundinnen kicherten. Kiri ließ sich seufzend auf einer der Liegen nieder, die neben dem Pool standen. Der Garten war durch eine Mauer vor Blicken geschützt. Sandy, die Braut, war von allen die Verrückteste und hatte Kiri bereits beschuldigt, die Spielverderberin auf diesem Junggesellinnenabschied zu sein. Aber sie musste schließlich auch an ihre letzte Prüfung denken, mit der sie ihr praktisches Jahr abschließen würde.

Außerdem war sie ein klitzekleines bisschen neidisch. Sandy hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Sie heiratete, sie machte Karriere, und Kiri wusste, dass Sandy und Tony sofort versuchen würden, Kinder zu bekommen.

Kiri gelang es nicht einmal, den Richtigen zu finden.

Stattdessen kniete sie sich in ihre Arbeit. Wenn sie schon keinen Mann und keine Kinder haben konnte, hatte sie zumindest ihre Karriere.

„Du bist meine Brautjungfer, Kiri. Du kommst mit nach Vegas, ob du willst oder nicht.“

„Professor Vaughan ist superstreng, Sandy. Er sucht sich nur die Allerbesten aus. Ich wünsche euch viel Spaß, aber ich muss lernen.“

„Ohne dich fahren wir nicht. Es ist schlimm genug, dass du die letzten drei Männer, mit denen du aus warst, abserviert hast, weil du angeblich lernen musstest. Du brauchst von uns allen am meisten Erholung.“

Also war Kiri mit nach Vegas gefahren. Aber sie hatte ihre Bücher eingepackt. Wie Schmuggelware hatte sie sie tief unten in den Koffer gelegt. Sie zog ein Notizbuch hervor und blätterte zu der Stelle, an der sie aufgehört hatte zu lernen. Mit der Taschenlampen-App ihres Smartphones beleuchtete sie den Text und versuchte, sich weiteres Wissen ins Hirn zu stopfen.

Nur dass die Musik im Hintergrund störte. Sie steckte sich die Finger in die Ohren und hielt die Seiten mit den Ellbogen geöffnet. Die Brille rutschte ihr von der Nase.

So konnte sie nicht lernen!

Ihre Freundinnen waren mit ihren Prüfungen schon längst durch und wussten, wo sie in Zukunft als Chirurginnen arbeiten würden. Die Prüfungen für die Kinderchirurgie waren aber erst nächste Woche. Kiri hätte in New York bleiben und lernen sollen. Natürlich hatte sie als Brautjungfer Sandy gegenüber Verpflichtungen, aber glücklicherweise hatte Sandys Schwester einige ihrer Aufgaben übernommen und zum Beispiel dieses Wochenende organisiert.

Verdammte Sandy und ihr Tony, warum mussten sie so kurz vor den Prüfungen heiraten? Wer tat denn so was?

Tony war ebenfalls Chirurg und genoss das Wochenende in Florida beim Golfen. Dort war es bestimmt wärmer als hier. Sie schloss das Buch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„Ich dachte, in Vegas wäre es heiß“, murmelte sie und trank einen Schluck von ihrem Bellini. Nicht die beste Wahl, wenn ihr ohnehin schon kalt war.

„Wir sind in der Wüste. Da wird es nachts ziemlich kalt.“

Kiri wirbelte herum, um herauszufinden, wer da so einen schweren spanischen Akzent hatte, der ihr eine ganz andere Art von Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. Ihr blieb der Mund offen stehen. Dort lehnte ganz lässig ein großer, muskulöser, lateinamerikanischer Gott an der Terrassentür. Als er sie angrinste, sah sie ein Grübchen in seiner Wange und perfekte weiße Zähne. Seine dunklen Augen funkelten im Licht, das aus dem Haus nach außen drang, und versprachen sündige Versuchungen.

„W…was?“, fragte Kiri und schob ihre Brille mit dem dunklen Gestell nach oben. Sie war schon wieder heruntergerutscht und begann zu beschlagen. Kiri fluchte innerlich, dass sie ihre Kontaktlinsen in New York vergessen hatte.

„Wir sind in der Wüste. Am Tag ist es heiß, aber nachts ist es muy frio. Sehr kalt.“

„Wer bist du denn?“

Er grinste entspannt. „Deine Freundinnen haben mich zu dir geschickt, um dich aufzuheitern. Sie meinen, du bist eine Spaßbremse und musst lockerer werden.“

Oh Gott.

Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass ein Dutzend solcher bronzefarbener, muskulöser Götter zur Musik tanzten, während die Frauen sie anfeuerten. Das war also die „Unterhaltung“, von der Sandy gesprochen hatte. Männliche Stripper der exotischen Art.

Sie fühlte, wie sie rot anlief, als er einen Schritt auf sie zu kam. Er nahm ihre Hand und führte sie in das Zimmer, setzte sie auf die Couch.

„Lehn dich einfach zurück, mi tesoro“, flüsterte er ihr mit dieser honigsanften Stimme ins Ohr und ließ sie vergessen, dass sie sich Männern gegenüber immer ein wenig tollpatschig vorkam. „Ich kümmere mich um dich.“

„Ähm …“ Ihr schossen eine Million Gedanken durch den Kopf, aber als er sie in die Kissen drückte, schien auch ihr Hirn von Honig durchtränkt zu werden und zu verkleben.

Aus den Lautsprechern kam ein Song, den sie in ihrer Jugend unzählige Male gehört haben musste, einer dieser Songs, zu denen sie und ihre Highschool-Freundinnen gekichert hatten, die aber niemals bei schulischen Tanzveranstaltungen gespielt wurden.

Sandy und ihre Freundinnen kreischten auf, als die Tänzer ihren einstudierten Tanz begannen. Und sobald dieser Latino-Gott sich mit ausladenden Hüftbewegungen zur Musik bewegte, verstand sie plötzlich, warum der Song auf Schulveranstaltungen nicht gespielt wurde. Warum ihre Eltern ihn so gehasst hatten. Nun saß sie hier auf der Couch, die anderen Frauen schrien vor Vergnügen, und dieses Prachtexemplar von Mann blickte sie mit seinen dunklen Augen an und grinste, als ob er wüsste, wie sehr er sie erregte.

Er zog sein Shirt aus, unter dem auf einer muskulösen Brust ein Tattoo zum Vorschein kam. Schlagartig verstand sie, was ihr gefehlt hatte. Wann war sie eigentlich das letzte Mal mit einem Mann zusammen gewesen?

Kiris Beine hüpften unruhig auf und ab, wie sie es schon früher getan hatten, als Kiri die pummelige Streberin gewesen war, der niemand Beachtung schenkte.

Er kam auf sie zu und legte ihr eine starke Hand auf ein Bein, sodass es innehielt. Seine Berührung durchfuhr sie wie Feuer, und ihr Körper reagierte instinktiv auf den Sexappeal, den er ausströmte.

Aus irgendeinem Grund achtete er nur auf sie.

Doch dafür wurde er schließlich bezahlt. So versuchte sie sich jedenfalls zu beruhigen, als er noch näher kam und sie erneut in die Kissen drückte. Er tanzte nur für sie. Er nahm ihre Hände und legte sie sich auf die schmalen Hüften, bewegte sich über ihr.

„Ähm …“ Sie war wie in Trance. Natürlich wusste sie, dass er nur schauspielerte, aber trotzdem sah sie nur noch diesen Mann und seine dunklen Augen. Irgendetwas an ihm zog sie magisch an.

Als der Song endete, drehte er ihr den Rücken zu. Sie war wie gelähmt. In ihrem Bellini, den er ihr abgenommen und auf den Tisch gestellt hatte, war das Eis komplett geschmolzen. Ihr Herz raste.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal so von einem Mann gefesselt gewesen war. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann sie zum letzten Mal Sex gehabt hatte. Während ihres Praktikums mit Chad wahrscheinlich, aber das hatte sie wirklich schon fast vergessen. Sie sah nur noch diesen wunderbaren Mann vor sich.

Die letzten Jahre hatte sie sich darauf konzentriert, Kinderchirurgin zu werden und als Beste ihres Jahrgangs abzuschließen, damit Dr. Vaughan sich zu ihrem Mentor erklären würde. Dabei hatte sie komplett vergessen, wie sehr es ihr fehlte, mit einem Mann zusammen zu sein.

Berührt zu werden.

Geküsst zu werden.

Und mehr.

Die Tänzer standen nun alle um Sandy herum. Gut so. Kiri ließ ihr lauwarmes Glas Bellini auf dem Tisch stehen und schlich aus dem Haus, um sich möglichst schnell von diesem Junggesellinnenabschied zu entfernen. Bevor sie etwas tat, das sie später nur bereuen würde.

„Gute Show, oder, Alejandro?“

„Was?“, fragte Alejandro. Er hatte Fernando, einem der Tänzer aus der Truppe, nicht richtig zugehört. Sie saßen in der Lounge des Hotels und unterhielten noch immer die Frauen vom Junggesellinnenabschied. Er dachte nur an diese eine, wunderschöne Frau, für die er zu Beginn privat getanzt hatte. Als er ihr kurz den Rücken zugedreht hatte, war sie wieder nach draußen verschwunden.

Nun saß sie allein an der Bar und umklammerte ein Glas Wein. Alejandro konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Sie hatte Kurven an genau den richtigen Stellen, und obwohl sie klein war, hatte sie lange Beine, die sie gerade elegant übereinandergeschlagen hatte. Ihr Fuß wippte.

Vielleicht war es das enge schwarze Kleid oder die Stilettos … Jedenfalls konnte er nicht anders, als ihr auf die Beine zu starren.

Yo, Alejandro. Aufwachen!“ Fernando fuchtelte mit einer Hand von seinem Gesicht herum.

„Was?“, fragte Alejandro erneut.

„Ich hab dich gefragt, ob du auch mit unserer Show zufrieden warst. Ich war ja schon überrascht, dass Ricky uns von Miami nach Las Vegas geflogen hat. Aber jetzt noch das Geld von der Party und die geilen Zimmer – da werde ich seine Entscheidungen bestimmt nicht mehr anzweifeln.“

„Klar.“ Alejandro stand auf. „Ich glaube, ich geh heut nicht mehr aus, ich bleibe lieber im Hotel.“

„Bist du sicher, Alter?“, fragte einer der anderen Tänzer.

Alejandro nickte. „Ich bin müde.“

Er wollte seinen wirklich beträchtlichen Anteil des frisch verdienten Geldes nicht gleich wieder für Glücksspiele und Alkohol ausgeben. Es war gerade genug, um endlich seinen Studienkredit ganz abzubezahlen. Endlich würde er nicht mehr als Tänzer arbeiten müssen.

Er hatte das ganze Medizinstudium hinter sich gebracht, ohne dass seine Brüder herausgefunden hatten, was er tat. Er erinnerte sich noch an ihr Angebot, ihn finanziell zu unterstützen, aber sie hatten schon so viel für ihn geopfert, dass ihm nur die Ausrede eingefallen war, er arbeite unten am Hafen und nehme Fische aus. Sie mussten nicht wissen, dass er zuerst als Tänzer in einer schäbigen Samba-Bar getanzt hatte, bis Ricky ihn entdeckt und in seine eigene Bar geholt hatte. Nächste Woche würde er mit seinem Praktikum in der Transplantationschirurgie in Miami beginnen – in der Pädiatrieabteilung des Buena Vista Hospital. Und mit dem Tanzen war es endgültig vorbei.

Allerdings störte ihn, dass gerade bei seinem letzten Tanz die Frau vor ihm geflüchtet war. Das war ihm noch nie passiert.

Als seine Freunde die Bar verließen, um sich ins Nachtleben zu stürzen, nahm Alejandro allen Mut zusammen, um zu ihr hinüberzugehen. Hoffentlich würde er sie nicht verärgern.

Er war genervt gewesen, als sie ihn geschickt hatten, das Mauerblümchen von der Terrasse hereinzuholen. Doch ihre Schönheit hatte seinen Ärger gleich verpuffen lassen. Ihr langes, dunkles Haar hatte im Mondlicht geschimmert, und die großen, dunklen Augen hatten ihn fast dahinschmelzen lassen.

In den vielen Jahren, die er schon als Tänzer arbeitete, hatte er viele schöne Frauen gesehen. Aber keine war wie diese hier. Es war rein sexuelle Anziehung, wie eine elektrische Ladung. Er wollte ihr mit den Händen über den Körper fahren, ihre Lippen schmecken, ihr seidiges Haar spüren. Allerdings war es schon gegen die Regeln, dass er sie nur ansprechen wollte. Doch er musste einfach wissen, warum er sie offenbar so angewidert hatte.

„Ein Mineralwasser mit Zitrone bitte“, sagte er zu dem Barkeeper und setzte sich auf den Stuhl neben ihr. Er spürte sein Herz gegen die Rippen schlagen. So nervös hatte ihn noch keine Frau gemacht.

„Geht klar.“ Der Barkeeper entfernte sich, und die Frau warf Alejandro einen Blick zu. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Röte stieg ihr in die karamellfarbenen Wangen, und Alejandro verstand, dass sie ihn erkannte, es aber nicht zugeben wollte.

„Du bist einfach verschwunden“, sagte er und sah sie dabei nicht an. Er starrte auf die aufgereihten Flaschen hinter der Bar.

„Verzeihung?“, fragte sie mit leicht zittriger Stimme.

Er wandte sich ihr zu. „Du bist während der Show einfach verschwunden.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“ Sie drehte das Weinglas am Stiel hin und her.

Er beugte sich vor und roch den Kokosnussduft ihres Haares. Er atmete vorsichtig ein. „Natürlich weißt du das, mi tesoro“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Der Barkeeper brachte das Wasser, und Alejandro bezahlte. Er nahm das hohe Glas und trank einen Schluck, während sie neben ihm hin und her rutschte. Er schien sie unruhig zu machen.

„Na ja“, sagte er schließlich, „vielleicht habe ich mich vertan. Noch einen schönen Abend.“

„Warum würde dich das interessieren?“, fragte sie.

Er drehte sich wieder zu ihr um. „Warum würde mich was interessieren?“

„Dass ich gegangen bin.“

„Ist mir eben aufgefallen“, erwiderte er.

„Wahrscheinlich verschwinden bei dir …“ Sie räusperte sich. „Wahrscheinlich verschwinden bei eurer Show jede Menge Frauen.“

Alejandro setzte sich wieder. „Nicht bei meiner Show.“

Sie schnaufte. „Du bist ganz schön arrogant.“

„Das kann ich auch sein. Ich bin nun mal gut.“ Er zwinkerte ihr zu und lächelte. Langsam schien er die Mauer zu durchbrechen, mit der sie sich umgab. Er hatte schon beim Tanzen registriert, dass sie in sich verschlossen war.

„Das heißt, du merkst in deinem Club, wenn die Leute kommen und gehen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Doch, hast du.“ Sie ahmte ihn nach: „Nicht bei meiner Show.“

Er lachte. Es war sexy, wie sie versuchte, seine tiefe Stimme hinzubekommen. „Eine sehr gute Imitation.“

Sie wurde erneut rot. „Also hast du es gesagt.“

„Schon. Aber ich tanze nicht in Clubs, wenn du damit Stripclubs meinst.“

Sie strich eine Strähne ihres tintenschwarzen Haars hinter das Ohr. „Ja, Stripclubs.“

„Da trete ich nicht auf. Eine Weile habe ich in einer Samba-Bar getanzt, aber da behält man die Klamotten an. Jetzt werde ich hauptsächlich zu privaten Zwecken gebucht, wie heute Nacht. Weil ich so gut bin. Die Frauen zahlen meinem Agenten alles, was ich fordere.“

Sie verdrehte die Augen. „Jetzt mach mal halblang. So gut ist niemand.“

„Ich schon. Ich bin stolz auf meine Arbeit. Bist du nicht stolz auf deine Arbeit?“

„Doch, bin ich. Ich bin auch eine der Besten.“

Er hob eine Augenbraue. „Ach, wirklich?“

„Ja. Deswegen bin ich auch so früh gegangen. Meine Arbeit ist mir wichtig. Ich musste mir noch etwas anschauen.“

„Wann entspannst du denn dann mal, wenn schon nicht auf einer Party?“

„Entspannen? Ist das diese mysteriöse Sache, von der ich schon so viel gehört habe?“, flachste sie.

Alejandro musste lachen. Seine älteren Brüder zogen ihn oft damit auf, dass er zu viel arbeitete und nie Pause machte.

„Du hast wohl recht. Wir, die wir uns voll und ganz in unsere Arbeit stürzen, brauchen keine Entspannung. Und deswegen kann ich mich auch erst zurücklehnen, wenn alle auf der Party vollkommen mit meiner Leistung zufrieden sind. Ich bin eben Perfektionist. Und mir scheint, du warst mit meiner Leistung nicht zufrieden.“

Erneut stieg ihr die Röte ins Gesicht. „Tut mir leid, dass ich verschwunden bin.“

„Ich würde dir gern zeigen, was du verpasst hast.“ Was machte er da?

„Was?“, sagte sie mit piepsiger Stimme. „Ich habe … Ich weiß nicht einmal, wie du heißt. Ich werde nicht einfach mit einem Fremden …“

Alejandro griff in seine Jackentasche und überreichte ihr eine Visitenkarte. „Ich bin Alejandro. Hier sind all meine geschäftlichen Daten. Ich bin registriert und nehme meine Arbeit ernst. Ich tanze. Das ist alles. Ich bin kein Gigolo, und es würde nichts in der anderen Hinsicht passieren. Die Hände bleiben, wo sie sind. Und alles andere auch.“

Sie nahm die Karte entgegen. „Warum soll ich dann mit dir kommen?“

„Wie gesagt, ich will nicht, dass meine Kundinnen unzufrieden sind.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Deine Freundin hat mich bezahlt, damit ich auf ihrer Party eine gute Show hinlege. Die will ich noch beenden.“

Er war noch nie von selbst auf eine Kundin zugegangen, aber es ärgerte ihn wirklich, dass sie einfach abgehauen war. Möglicherweise lag es auch daran, dass sie einfach die schönste Frau der Welt war? Er wartete mit angehaltenem Atem auf ihre Antwort und rechnete schon mit einem Nein.

Sie trank den letzten Schluck Wein. „Wahrscheinlich bin ich verrückt, aber ich bin schließlich in Vegas. Und was in Vegas passiert, bleibt in Vegas, oder?“

Er spürte seinen Puls zwischen den Ohren donnern, als er ihre schmale, zarte Hand in seine nahm. „Absolut.“

1. KAPITEL

Fünf Jahre später. Miami, Frühling.

„Dir ist klar, dass du den hässlichen Bruder geheiratet hast, oder?“

Alejandro konnte nicht anders, als seine neue Schwägerin noch an ihrem Hochzeitstag aufzuziehen. Saoirse Murphy, eine wilde irische Schönheit, hatte gerade seinem Bruder Santiago das Ja-wort gegeben.

Santiago verdrehte die Augen. „Ihr seid schuld!“, rief er und zeigte auf die Zwillinge Dante und Rafe. „Ihr seid die Ältesten. Ihr solltet schon längst verheiratet sein! Dann würde sich dieses Baby hier nicht über mich lustig machen.“

Alejandro lachte. Dante und Rafe wurden nicht gern als „die Ältesten“ bezeichnet, aber Santiago und er hatten sie hinter ihrem Rücken schon immer so genannt.

Die Ältesten waren für ihn wie Ersatzväter – so wie auch Santiago, bevor er zur Army gegangen war, damals nach dem Raubüberfall in der Bodega, die auch den zehnjährigen Alejandro fast das Leben gekostet hatte. Er war in die Schusslinie geraten und hatte eine Kugel in die Brust bekommen.

Wenn ihn das Herz seines Vaters nicht gerettet hätte, wäre auch er gestorben. Doch nun trug er immer einen Teil seines Vaters in sich – eine große Verantwortung, die er jedoch mit Stolz schulterte. Deswegen war er heute auch einer der besten Transplantationschirurgen für Kinder im Buena Vista Hospital.

Apropos …

„Tut mir leid, aber ich muss ins Krankenhaus. Die neue Kinderchirurgin hat heute ihren ersten Tag. Ich habe gehört, sie ist ein ziemlicher culo duro.“

„Culo duro?“, fragte Saoirse an Santiago gewandt.

„Ein harter Hund“, sagt er zu seiner frischgebackenen Ehefrau. Dann drehte er sich zu Alejandro. „Warte mal ab, kleiner Bruder. Vielleicht ist sie nicht so schlimm, wie die Gerüchte sie machen.“

Alejandro biss die Zähne zusammen. Er hasste es, wenn Santiago ihn „kleiner Bruder“ nannte. Aber gut – er nannte Rafe und Dante „die Ältesten“, und es war alles liebevoll gemeint. So konnte er sich an Santiago wieder rächen und ihn den „hässlichen Bruder“ nennen.

Doch statt zurückzubeißen, küsste Alejandro galant Saoirses Hand. „Entschuldige bitte, dass ich schon wieder gehen muss. Aber felicitaciones les deseamos a ambos toda la felicidad del mundo.“

Saoirse runzelte die Stirn. „Glückwunsch … Wünsche euch beiden …“

„Alles Glück der Erde.“ Alejandro küsste ihr erneut die Hand.

„Suficiente idiota!“, sagte Santiago und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Au, ich bin kein Idiot.“ Alejandro zwinkerte Saoirse zu, die lachte und die Albereien zwischen den Brüdern offensichtlich genoss.

Rafe verdrehte die Augen, während Alejandro Santiago angrinste, der imaginäre Pfeile auf ihn abschoss.

„Tja, wir sollten froh sein, dass er auch nach Mamás und Papás Tod weiter Spanisch gesprochen hat“, seufzte Dante. „Aber muss er so viel besser sein als wir?“

Alejandro blinzelte Dante zu. „Immer, alter Mann, immer.“

Er verließ die Bodega seiner Familie, bevor seine älteren Brüder noch mit einer Rauferei begannen. Er winkte Carmelita zu, die die Weinschänke führte, seit er elf Jahre alt war. Sie winkte kurz zurück, in ihre Arbeit versunken.

Ihm schlug die Hitze entgegen. Seltsam für einen Frühlingstag. In Miami war es zwar immer warm, aber heute fühlte es sich an wie Sommer – eine feuchte, drückende Hitze. Die Palmen, die die Straße des alten Stadtviertels säumten, wiegten sich leicht im schwachen Wind. Im Süden braute sich ein Sturm zusammen.

Wie passend, dass Dr. Bhardwajs Ankunft durch ein Unwetter angekündigt wurde. Es gab schließlich Leute, die sie als die „Böse Hexe des Ostens“ bezeichneten.

Auf dem Weg zu seinem Motorrad flog ein Ball auf ihn zu. Er kickte ihn zurück und winkte der Gruppe Jungen und Mädchen zu, die auf der Straße Fußball spielten. Die meisten davon kannte er, weil er mit ihren Eltern zur Schule gegangen war. Sie hatten das Viertel nie verlassen und bildeten eine enge Gemeinschaft. Sie stammten alle von der kleinen karibischen Insel Heliconia. Er selbst war nie dort gewesen. Seine Eltern waren schon viele Jahre, bevor er geboren wurde, geflohen, um den furchtbaren Lebensbedingungen zu entkommen.

Alle in diesem Viertel blieben zusammen wie eine große Familie.

Nur er war gegangen.

Seine Wohnung lag in South Beach. Er hatte irgendwann nicht mehr bleiben können, weil dieses Viertel ihn immer so sehr daran erinnerte, wie seine Eltern gestorben waren und seine Brüder einen großen Teil ihrer Jugend für ihn geopfert hatten.

Hier war er auch Ricky begegnet, in einer schäbigen Samba-Bar, wo er mit einsamen Frauen getanzt hatte. Ricky hatte sich als Agent für Stripteasetänzer einen Namen gemacht und suchte Männer.

Doch das war alles vorbei, und er durfte sich nicht von seinen Erinnerungen ablenken lassen. Er hatte hart gearbeitet, um im Buena Vista Hospital zum Oberarzt für Transplantationschirurgie bei Kindern zu werden. Er würde es nicht hinnehmen, von einer neuen Ärztin hinausgedrängt zu werden.

Normalerweise würde er sich nicht solche Sorgen machen, aber offensichtlich wollte Dr. Bhardwaj einige Änderungen vornehmen, und das bedeutete letzten Endes immer Einsparungen. Alejandro war sich sicher, dass die Ankunft von Dr. Bhardwaj mit Mr. Snyder zu tun hatte, dem derzeitigen Vorstandsvorsitzenden. Seit Snyder diesen Job übernommen hatte, war nur zu klar geworden, dass er in jeder Abteilung versuchte, die Gelder zu kürzen.

Von Little Heliconia zum Buena Vista war es auf dem Motorrad nicht weit. Die dunklen Wolken zogen ihm hinterher.

„Wo warst du?“, fragte Dr. Raul Micha, als Alejandro den Umkleideraum betrat.

„Mein Bruder hat geheiratet“, antwortete Alejandro kurz angebunden. Er hatte keine Lust, mit seinem Kollegen zu sprechen.

„Masel tov“, sagte Dr. Micha sarkastisch. „Die Hexe sitzt übrigens schon auf ihrem Besen.“

Alejandro zog die Augenbrauen hoch. „Ach ja?“

Üblicherweise ignorierte er Dr. Michas Klatsch und Tratsch. Der Mann war geradezu paranoid, arbeitete aber zum Glück in der pädiatrischen Dermatologie, in die Alejandro sich selten verirrte. Trotzdem dachte Dr. Micha aus irgendeinem Grund, dass er und Alejandro allerbeste Freunde wären.

„In meiner Abteilung hat sie gleich Gelder gestrichen.“ Dr. Micha schüttelte den Kopf. „Kannst du dir das vorstellen? Dahinter steckt bestimmt der Snyder. Er ist mit Dr. Bhardwajs Mentor oben in New York befreundet, Dr. Vaughan.“

Alejandro war beeindruckt. Dr. Vaughan war ein Kinderchirurg von Weltruhm. Das hieß, Dr. Bhardwaj wusste zumindest, was sie tat. Dennoch …

„Gelder gestrichen?“, wiederholte er.

„Ja, all meine Projekte wurden eingestampft.“

„Das Buena Vista ist aber doch ein reiches Krankenhaus. Nicht wie das Seaside. Warum muss man da sparen?“

„Das Buena Vista war mal reich“, sagte Raul höhnisch. Dann blickte er in den Flur. „Oh, Mann, da kommt sie. Ich hau ab.“

Alejandro schüttelte verärgert den Kopf, als Raul aus dem Umkleideraum eilte. Er zog seine Alltagsgarderobe aus und holte die Krankenhauskleidung aus dem Spind. Bevor er das Hemd überziehen konnte, öffnete sich die Tür. Alejandro warf einen kurzen Blick über die Schulter und zuckte zusammen, als er der Frau in die Augen blickte, die dort stand. Es war die Frau, die verschwunden war.

Kiri.

Sein einziger One-Night-Stand aus seiner Zeit als Stripper stand direkt vor ihm. Vor fünf Jahren hatte er seinen privaten Tanz tatsächlich noch beendet, und dann hatte sie ihn geküsst. Alejandro hätte sie wegschieben sollen, aber dazu war er nicht in der Lage gewesen.

„Denk bitte nichts Falsches“, flüsterte sie. „So was habe ich noch nie gemacht. Mit einem Mann geschlafen, den ich gerade erst kennengelernt habe.“

„Ich mache so was auch nicht.“ Er fuhr ihr durch die Haare. „Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.“

Er verdrängte die Erinnerung. Ihr Mund stand offen, und sie starrte ihn durch die Brille an, die sie damals schon getragen hatte. Sie hatte ihn erkannt. Das war nicht gut.

„Was …? Ich …“ Sie bekam keinen Satz heraus.

„Tut mir leid.“ Er zog sich sein Hemd über und streckte die Hand aus. „Dr. Bhardwaj?“

Er würde so tun, als würde er sie nicht erkennen.

Was für eine Lüge. Er erkannte jeden Zentimeter. Auch noch nach fünf Jahren. Er wusste noch, wie ihre Haut schmeckte, wie sie roch und wie sie geseufzt hatte, als er ihr direkt unter dem Ohr am Hals geknabbert hatte.

„Ähm. Ja.“ Sie starrte ihn an, als wäre er ein Geist. Ein unerwünschter Geist. Sie nahm seine Hand und schüttelte sie kurz. „Ja, ich bin Dr. Bhardwaj.“

Er nickte. „Ich bin Dr. Valentino. Oberarzt im Team für pädiatrische Transplantationen.“

Dr. Valentino? Kiri hatte den Nachnamen ihres Latino-Gottes nie erfahren. Natürlich hatte sie ihn nach ihrer einmaligen Indiskretion in Las Vegas auch nicht danach gefragt.

Autor

Amy Ruttan

Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...

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